DER ÜBERWACHUNGS-KAPITALISMUS IM BILDUNGSBEREICH - JKU ePUB

Die Seite wird erstellt Lena Bischoff
 
WEITER LESEN
DER ÜBERWACHUNGS-KAPITALISMUS IM BILDUNGSBEREICH - JKU ePUB
Eingereicht von
 Lennart-Simon Göhmann

 Angefertigt an der
 Linz School of Education

 Beurteiler / Beurteilerin
 Assoc. Prof. Dr. Roman
 Langer

 Monat Jahr
 Februar 2021

DER ÜBERWACHUNGS-
KAPITALISMUS IM
BILDUNGSBEREICH

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades

Magister der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften
im Diplomstudium

Wirtschaftspädagogik

 JOHANNES KEPLER
 UNIVERSITÄT LINZ
 Altenberger Straße 69
 4040 Linz, Österreich
 jku.at
 DVR 0093696
DER ÜBERWACHUNGS-KAPITALISMUS IM BILDUNGSBEREICH - JKU ePUB
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG
Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne
fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt
bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht
habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument
identisch.

Ort, Datum

Unterschrift

02. Februar 2021 I/V
DER ÜBERWACHUNGS-KAPITALISMUS IM BILDUNGSBEREICH - JKU ePUB
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................ IV

Tabellenverzeichnis ..................................................................................................... IV

Abbildungsverzeichnis .................................................................................................. V

1. Einleitung ............................................................................................................... 1

2. Ökonomisierung der Bildung.................................................................................. 3

 Kapitalisierung ..................................................................................... 4

 Kommodifizierung ................................................................................ 4

 Privatisierung....................................................................................... 5

 Die Humankapitaltheorie ..................................................................... 6

3. Weichenstellung in der Bildungspolitik ab 1950 ..................................................... 7

 3.1. PISA 2000 .................................................................................................... 12

 3.2. Transnationalisierung durch PISA ................................................................ 14

4. Der Einzug von Big Data in die Bildung durch die Digitalisierung ......................... 17

 4.1. Digitalisierung in der klassischen Bildung ..................................................... 17

 4.2. Digitalisierung durch Verlagshäuser ............................................................. 19

5. Learning Analytics und Educational Data Mining ................................................. 19

 5.1. Technische Umsetzung ................................................................................ 23

 5.2. Daten ........................................................................................................... 23

 5.3. Methoden des Datensammelns .................................................................... 26

 5.4. Analysewerkzeuge der EDS ......................................................................... 29

 Predictive modelling .......................................................................... 29

 Exkurs: Naïve Bayes Classification ................................................... 33

 Artificial Neural Networks................................................................... 36

6. Adaptive Learning ................................................................................................ 40

 6.1. Die Basics .................................................................................................... 40

 6.2. Die Methoden und Werkzeuge am Beispiel von Knewton Alta...................... 45

 6.3. Die wissenschaftliche Basis.......................................................................... 50

02. Februar 2021 II/V
DER ÜBERWACHUNGS-KAPITALISMUS IM BILDUNGSBEREICH - JKU ePUB
Mastery Learning ............................................................................... 51

 Learning Analytics ............................................................................. 53

 Blended vs. Traditional vs. Online Learning ....................................... 58

 Adaptive Learning im Lichte der Wissenschaft .................................. 61

7. Bildung in der Zange des Überwachungskapitalismus ......................................... 65

 7.1. Gefahren durch den Überwachungskapitalismus.......................................... 66

 Der Datenblick und seine Schwächen ............................................... 66

 Die unterschätzte Gefahr durch Nudging ........................................... 69

 Der/die gläserne Studierende ............................................................ 71

8. Akteure und Profiteure im bildungsbezogenen Datengeschäft ............................. 73

9. Fazit, Diskussion und Ausblick ............................................................................ 75

02. Februar 2021 III/V
DER ÜBERWACHUNGS-KAPITALISMUS IM BILDUNGSBEREICH - JKU ePUB
Abkürzungsverzeichnis
APLU ...................................................Association of Public and Landgrant Universities
bzw. .................................................................................................... beziehungsweise
EDM ........................................................................................ Educational Data Mining
EDS ..................................................................................... Educational Data Sciences
GPA ............................................................................................... Grade Point Average
IDE ......................................................................Integrated Development Environment
KNN .......................................... künstliches neuronales Netz (Artificial Neural Network)
LA ..................................................................................................... Learning Analytics
LMS ....................................................................................... Lernmanagement-System
MINT........................................ Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik
MIT ..................................................................... Massachusetts Institute of Technology
OECD .................................................. Organisation for Co-operation and Development
PISA .................................................. Programme for International Student Assessment
TIMS .........................................Trends in International Mathematics and Science Study
z. B. ............................................................................................................ zum Beispiel

Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Digitalisierungsgrad nach Kursbereitstellungsmethode .............................. 19
Tabelle 2: Protokollierte Aktivitäten zur Erstellung des Frühwarnsystems ................... 31
Tabelle 3: Vergangene Besuchsdaten von Gast X im Freizeitpark bei bestimmten
Wetterbedingungen .................................................................................................... 34
Tabelle 4: Wahrscheinlichkeit eines Parkbesuchs bei einzelnen Wetterbedingungen . 34
Tabelle 5: Aufstellung der Wahrscheinlichkeiten für einen Besuch bzw. keinen Besuch
im Freizeitpark des Gastes X bei bestimmten Wetterbedingungen einer
Wetterkonstellation. .................................................................................................... 35

02. Februar 2021 IV/V
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Daten auf verschiedenen Granularitätsstufen......................................... 27
Abbildung 2: Prozesse der EDM auf Datenerhebungsebene ...................................... 28
Abbildung 3: Gewichtete Summe der Aktivitäten im Lernmanagement-System .......... 31
Abbildung 4: Skalierung auf 16-Einheiten-Skala ......................................................... 31
Abbildung 5: Wahrscheinlichkeit, dass der Gast den Park besuchen wird .................. 35
Abbildung 6: Wahrscheinlichkeit, dass der Gast den Park nicht besuchen wird .......... 35
Abbildung 7: Normalisierung für die Wahrscheinlichkeit eines Besuchs im Park ......... 35
Abbildung 8: Normalisierung für die Wahrscheinlichkeit, dass der Park nicht besucht
wird. ............................................................................................................................ 35
Abbildung 9: Aufbau eines einfachen Künstlichen Neuronalen Netzwerks .................. 37
Abbildung 10: Wie funktioniert ein neuronales Netz? .................................................. 37
Abbildung 11: Beispiel-Screenshot des Instruktor-Dashboards von Knewton Alta. ..... 42
Abbildung 12: Die vier Prozesse im Adaptiven Zyklus ................................................ 43
Abbildung 13: Beispiel eines vereinfachten Wissensgraphs........................................ 47
Abbildung 14: Das Proficiency Modell von Knewton ................................................... 47
Abbildung 15: Individueller Lernpfad eines Anwenders ............................................... 49
Abbildung 16: Individueller Lernpfad eines Anwenders ............................................... 50

02. Februar 2021 V/V
1. Einleitung
Diese Arbeit wurde unter anderem durch den Vortrag „SpiegelMining“ von David Kriesel
(2016) inspiriert. Kriesel konnte eindrucksvoll anhand von massenhaft gespeicherten
Spiegel-Online Artikeln und deren clevere Auswertung über Werkzeuge der
Datenanalyse aufzeigen, wie es möglich ist, durch große Datenmengen an
Informationen zu kommen, die man in den gesammelten Rohdaten auf den ersten Blick
gar nicht vermuten würde. Es ist ihm geglückt, mit einfachsten Informationen wie
Veröffentlichungsdatum, Autor und Rubrik, an interne Informationen der
Unternehmensstruktur zu gelangen, aber auch personenbezogene Rückschlüsse zu den
Redakteurinnen und Redakteuren konnten angestellt werden.
Doch erst das Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ von Shoshana
Zuboff (2018) hat die Idee dieser Diplomarbeit direkt angestoßen. In dem Buch von
Zuboff werden ebenfalls die verschiedenen Möglichkeiten der Datenanalyse diskutiert.
Anfänglich wird erklärt, wie es Google, Facebook und Apple geschafft haben, die
Privatsphäre ihrer Nutzer und Nutzerinnen zu infiltrieren, ohne auf größeren Widerstand
zu stoßen. Wobei Zuboff (2018, S. 72–73) dies als Beraubung von Verhaltensdaten
beschreibt, welche damit gelungen ist, dass die Nutzerinnen und Nutzer die Aufgabe der
Privatsphäre mittlerweile als Preis für den Zugang zu vermeintlich kostenlosen digitalen
Leistungen sehen. So wie die Massenproduktion den Industriekapitalismus beherrscht,
so beherrscht das massenhafte Sammeln von Daten für die Entwicklung von
Verhaltensinterventionen laut Zuboff (2018, S. 23) den Überwachungskapitalismus. Das
Buch fokussiert sich darauf zu beschreiben, wie der Überwachungskapitalismus von der
digitalen Welt über Wearables und der Idee der Smart City immer mehr in das reale
Leben überspringt. Damit verbunden sind die Versuche des Überwachungskapitalismus
durch Verhaltensmodifikation den Willen seiner Nutzer und Nutzerinnen zu
korrumpieren. Eher nebenbei beschreibt sie, dass der Chef-Datenwissenschaftler eines
Bildungsunternehmens aus dem Silicon Valley großes Interesse an der Sammlung von
Verhaltensdaten zeigt, da das Ziel seines Unternehmens die Erforschung und
Erschaffung eines Apparats der Verhaltensmodifikation ist (Zuboff, 2018, S. 338–339).
Rund um das Sammeln und Auswerten dieser Daten haben sich mit Learning Analytics
und Educational Data Mining bereits zwei eigene Forschungsgemeinschaften gebildet,
die gemeinsam das Forschungsfeld der Educational Data Sciences (EDS) formen
(Siemens & Baker, 2012, S. 252) und zusammen mit Verlagshäusern wie Pearson, John
Wiley & Sons oder McGraw-Hill Education, sind eigene datengetriebene Lern- und
Unterrichtsmodelle entstanden, die ihre Antworten auf pädagogische Fragen nicht mehr

02. Februar 2021 1/93
in der Bildungswissenschaft suchen, sondern auf Erkenntnisse der Educational Data
Sciences zurückgreifen.

Diese Erkenntnisse haben mich dazu veranlasst zu erforschen, inwieweit der von Zuboff
beschriebene Überwachungskapitalismus mittlerweile in den Bildungsbereich
vordringen konnte. Dafür wurde für diese Arbeit ein exploratives Vorgehen gewählt.
Dabei soll geklärt werden, wie Bildung, was lange Zeit die grundlegende kulturelle
Formung des Menschen bezeichnet hat, sich zu etwas entwickeln konnte, was über
Verhaltensinterventionen und Lern-Outputs gesteuert wird. Aber auch welche Ansätze,
Absichten und Überlegungen sich hinter der Educational Data Science verbergen und
wie diese in der Praxis umgesetzt und erforscht werden. Außerdem soll diese Arbeit
Antworten darauf finden, wie weit das Vorgehen der EDS von der Wissenschaft gedeckt
wird und wer die Akteure und Profiteure in dieser Bewegung sind.

Um diese Fragen zu beantworten, wird im ersten Teil auf die bildungspolitische
Geschichte ab den 1950er-Jahren eingegangen. Wobei besonders auf die
Geschehnisse rund um die erste PISA-Vergleichsstudie ein genauerer Blick geworfen
wird. Es wird dargelegt, dass die OECD mit PISA den Grundstein dafür gelegt hat, dass
mittlerweile mit Hilfe von datengetriebenen Lernlösungen versucht wird die Lernleistung
zu erhöhen. Im nächsten Schritt wird auf die technische Umsetzung der digitalen
Lernangebote eingegangen, um daran zu erklären, wie Nutzerdaten gesammelt werden.
Anhand von zwei konkreten Beispielen wird auf die Analysewerkzeuge der Educational
Data Sciences eingegangen und gezeigt, wie mithilfe von künstlicher Intelligenz oder
statistischer Techniken Entscheidungen getroffen werden. Für das Verständnis, wie ein
komplett datenbasierter Lernprozess abläuft, geht die vorliegende Arbeit auf die adaptive
Lernplattform von Knewton Alta des Verlagshauses John Wiley And Sons ein und legt
detailliert dar, wie die vorher erläuterten technischen Methoden und Analysewerkzeuge
hier ineinandergreifen, um eine für jeden Anwender und jede Anwenderin individuelle
Lernumgebung zu schaffen. Zum Abschluss wird ein Blick auf die wissenschaftliche
Basis geworfen. Dabei kann klar aufgezeigt werden, dass es kaum und wenn, nur sehr
schwache empirische Beweise dafür gibt, dass datenbasierte Lernmethoden die
Leistung von Lernenden in irgendeiner Weise positiv beeinflussen. Für eine abgerundete
Diskussion wirft die Arbeit einen Blick auf die Gefahren, die durch die EDS entstehen.
Bevor genauer in die Materie eingetaucht wird, werden einige Begrifflichkeiten rund um
die Ökonomisierung der Bildung noch kurz skizziert, da diese im Laufe der Arbeit immer

02. Februar 2021 2/93
wieder direkt und indirekt auftauchen werden. Dies trägt dazu bei, den ganzheitlichen
Zusammenhang zu erkennen.

2. Ökonomisierung der Bildung
Spricht man allgemein über die Ökonomisierung von gesellschaftlichen Teilbereichen,
so passiert dies meist mit einem kritischen Unterton. Es wird sich beklagt, dass
ökonomische Gesichtspunkte die Oberhand in Gebieten gewonnen haben, in denen
gesellschaftlich keine dauerhafte Gewinnerzielung erwünscht ist. Schimank und
Volkmann (2017 S. 593) beschreiben den Vorgang der Ökonomisierung als einen
laufenden Prozess, durch den eine Neuorientierung auf die Praktiken stattfindet, die
eigentlich eher aus der modernen Wirtschaft und dem kapitalistischen Markt geläufig
sind und diese sich in Bereichen ausbreiten, die bisher als nicht-ökonomische
Gesellschaftsbereiche bekannt waren. Höhne (2012, S. 797) beschreibt die
Ökonomisierung als einen Prozess, in dem ein System, eine Handlungslogik, Wissen
oder Ähnliches zunehmend von ökonomischen Ansatzpunkten und Denkmustern
dominiert wird. Dabei wird die Ökonomie als der Auslöser für die fortschreitende
Transformation gesehen, und die ökonomische Handlungslogik, Semantik sowie
Rationalität dringt in Bereiche ein, die eigentlich von nicht ökonomischen Denkweisen
geprägt sind.

Verschärft man nun den Blick weiter auf die Bildung, dann lassen sich laut Spring (2014,
S. 2) mit dem Terminus Ökonomisierung einige Trends in der globalen Bildungspolitik
beschreiben. Unter diesem Begriff lässt sich ein Bündel von Maßnahmen identifizieren,
die von multinationalen Unternehmen einschließlich globaler Bildungsunternehmen
vorangetrieben werden. Ziel dieser Maßnahmenpakete ist es, die globale Schul- und
Bildungspolitik zu verändern. Daraus folgend entwickelt sich die Bildung und Ausbildung
von jungen Menschen in eine positive Richtung für Unternehmen und deren benötigten
Ressourcen. Spring (2014, S. 2) nennt dies auch „global corporatization of education“,
da dieser Terminus seiner Ansicht nach diese Absichten besser offenlegt. Multinationale
Unternehmen vernetzen sich dafür über internationale Organisationen wie die
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), das
Weltwirtschaftsforum und die Welthandelsorganisation. Dass diese Organisationen
einen immensen Einfluss auf die Ausrichtung der Bildungspolitik in den
deutschsprachigen Raum hatten und immer noch haben, wird in einem späteren Kapitel
beleuchtet.

02. Februar 2021 3/93
Aber auch in der Bildungsforschung lassen sich deutliche Zeichen des
Ökonomisierungsgedankens feststellen. Hargreaves, ein Vertreter des Evidence-based
Teachings, welches an die Vorgehensweise der Medizin angelehnt ist (Hargreaves,
1997, S. 406), fordert für die Bildungsforschung, dass diese Beweise liefert, die
nachweisen, dass das Vorgehen X einer Lehrkraft bessere Ergebnisse erbringt als das
Vorgehen Y (Hargreaves, 1997, S. 413). Diese Forderung deutet Herzog (2011, S. 128)
als eine Verlagerung des Schwerpunkts der erziehungswissenschaftlichen Forschung,
welche darauf abzielt, die pädagogische Produktivität zu steigern durch die stärkere
Kontrolle der Produktionsbedingungen. Die Produktionsbedingungen beschreibt er als
Lernenden und Lehrenden.
Die Maßnahmenpakete der Ökonomisierung bedienen sich der Werkzeuge
Kapitalisierung, Kommodifizierung und Privatisierung.
Diese Arbeit bezieht sich auf die grundlegende Idee der Begriffsabgrenzungen von
Höhne (2012, S. 799–801), jedoch wurde diese noch weiter verfeinert.

 Kapitalisierung
Laut Graßl (2019, S. 162) hat Bildung im historischen Verlauf durch die Sozialisierung
von Bildungsgütern ihren Charakter als Ware verloren. Weit verbreitet und in der
Bevölkerung anerkannt ist der Gedanke, dass jegliche Person ein Anrecht auf Bildung
hat, die der Staat kostenlos zur Verfügung stellt. Als Belege für dieses Gedankengut legt
Graßl (2019, S. 162) Volksbegehren gegen die Privatisierung von Bildungseinrichtungen
in Deutschland vor, welche von einer breiten Masse unterstützt wurden.
Richard Münch beschreibt als Kapitalisierung der Bildung das genaue Gegenteil dieses
Gedankens. Bildung will durch einen fortschreitenden Kapitalisierungsgedanken nicht
mehr als gesellschaftliches Kollektivgut gesehen werden, sondern als individuelles Gut
und Ware, welche auf einem globalen Bildungsmarkt gehandelt werden (Münch, 2010,
S. 47). Die Erschaffung eines privaten Bildungssektors verspricht hohe Gewinne, da im
Zuge der Arbeitsmarktindividualisierung eine Bildungspflicht erzwungen wurde. Dieser -
etwas überspitzt ausgedrückt - Zwangskonsum macht das öffentliche Bildungssystem
interessant für Kapitalverwertungsstrategien (Graßl, 2019, S. 163).

 Kommodifizierung
Kommodifizierung in der Praxis bedeutet, dass es für sogenannte Elemente Märkte
geben muss und, dass in diesen Märkten jedes dieser Elemente in eine Angebots- und
eine Nachfragegruppe organisiert ist. Jedes Element hat einen Preis, der mit Angebot
und Nachfrage interagiert (Polanyi et al., 2001, S. 73). Etwas vereinfacht ausgedrückt
beschreibt Sackmann (2004, S. 66) Kommodifizierung als einen ökonomisch geprägten

02. Februar 2021 4/93
Prozess, in dem eine Dienstleistung oder ein Gegenstand nach marktwirtschaftlichen
Prinzipien gehandelt wird und die Akteure und Akteurinnen zunehmend an einer
Gewinnorientierung interessiert sind. Ein Kommodifizierungsgrad kann historisch
variieren. So weist Sackmann (2004, S. 66) darauf hin, dass in den USA der
Sportbereich von Universitäten bereits von jeher kommerziell ausgerichtet war. Die
Kommerzialisierung der restlichen universitären Bildungsbereiche laut Bok (2005, S. 10)
aber erst seit den Achtzigerjahren voranschreitet.
Sackmann (2004, S. 88) kommt zu dem Schluss, dass es keine Hinweise auf einen sich
ausbreitenden internationalen Bildungsmarkt gibt, da der Anteil von privaten
Universitäten selbst in den USA mit 2,9 % verschwindend gering ist. Höhne (2012,
S. 800) bemängelt diese Darstellung und bezeichnet die Darstellung von Sackmann als
irreführend, da vielleicht nur 2,9 % der amerikanischen Universitäten im Besitz von
gewinnorientierten Trägern sind, aber die verwendeten Kursunterlagen und
Testverfahren auch an öffentlichen Universitäten hochgradig kommerzialisiert sind. So
hat laut Münch (2018, S. 81) Pearson Education, der weltweit führende Konzern der
Bildungsindustrie, alleine im Jahr 2016 einen Umsatz von über fünf Milliarden Euro mit
dem Verkauf von Materialien für die standardisierte Evaluation von Schülerinnen und
Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern erzielt.

 Privatisierung
Laut Höhne (2012, S. 800–801) werden aus formaler Sicht drei grundlegende
Privatisierungsformen unterschieden. Bei der Organisationsprivatisierung wird eine
öffentliche Organisation zu einem privatwirtschaftlichen Unternehmen umgebaut.
Dagegen kann man bei der funktionalen Privatisierung von einer Auslagerung sprechen
oder dem sogenannten Contracting-out. Außerdem kann man noch die materielle
Privatisierung unterscheiden.
Konkret für den Bildungsbereich beschreibt Lohmann (2014, S. 5) die Privatisierung als
laufende Abschaffung des öffentlichen Bildungswesens. Dabei findet eine
Transformation statt, in welcher eine staatlich bereitgestellte Infrastruktur, für die
staatlich bereitgestellte Mittel ausgegeben werden, in eine individuelle Angelegenheit für
Wirtschaftssubjekte verwandelt wird. Dabei können die Wirtschaftssubjekte als Käufer,
Verkäufer oder Vermittler auftreten. Privatisierung wird häufig unter verschiedenen
Deckmänteln betrieben. Am Ende geht es jedoch immer um die Ausweitung des
Bereichs, in welchem Kapital angesammelt und verwertet werden kann (Lohmann, 2014,
S. 5–6). Höhne (2012, S. 801) weist zu Recht darauf hin, dass Privatisierung im
Bildungsbereich nicht nur an bürokratischen Rechts- und Eigentumsformen zu definieren

02. Februar 2021 5/93
ist, sondern Privatisierung im erweiterten Sinne zu betrachten ist. So erläutert er weiter,
dass man zwischen expliziten Märkten und Quasi-Märkten unterscheiden muss. Wobei
auf diesen Quasi-Märkten ein „importing ideas“ betrieben wird, um den öffentlichen
Sektor nach Kriterien der privaten Wirtschaft zu gestalten. Diese Form der
fortschreitenden Privatisierung im Bildungsbereich lässt sich laut Höhne weltweit
beobachten. Lohmann (2014, S. 6) weist daraufhin, dass in Deutschland die
Privatisierung im Bildungsbereich in dieser Form aktuell rasant voranschreitet, da die
Bundesrepublik der Leitlinie der OECD folgt, welche Privatisierung weltweit stark
vorantreibt.

 Die Humankapitaltheorie
Laut Becker (2009, S. 15) lässt sich der Gedanke des Humankapitals auf Ted Schultz,
Jacob Mincer und Milton Friedman zurückführen, drei Ökonomen von der University of
Chicago. Die meisten Leute denken bei dem Begriff Kapital an Geld auf der Bank,
Aktienvermögen oder ähnliche Formen der Geldanlage. Hier kommen wir auf eine etwas
andere Form von Kapital zu sprechen. Schulbildung, Computerkurse, Fähigkeiten aller
Art sowie positive Tugenden wie Pünktlichkeit oder Ehrlichkeit sind nach der Auffassung
von Becker ebenfalls Formen von Kapital, da diese Merkmale, Fähigkeiten und
Eigenschaften zu höheren Einkommen, einer besseren Gesundheit und vielen anderen
positiven Effekten führen (2009, S. 15–16). Deswegen ist er der Überzeugung, dass
Ausgaben in die eben erwähnten Bereiche, eine Investition in das bereits bekannte
Konzept von Kapital ist. Diese Investitionen nennt er Humankapital. Somit lässt sich
festhalten, dass die Fähigkeiten und Qualitäten von Menschen als individuelles Kapital
betrachtet werden und deswegen auch der nächste Schritt, dieses am Markt anzubieten,
logisch erscheint. Noch präziser bringt Foucault (2017, S. 314) den Grundgedanken von
Humankapital auf den Punkt. Er beschreibt im Rahmen dessen das Individuum selbst
als Unternehmer und also folglich alleinig in der Verantwortung für das Fortkommen als
Unternehmer. Somit ist Humankapital ein abgeändertes Konzept des Homo
oeconomicus, welches an das neoliberale Wirtschaftssystem angelehnt ist. Wobei der
Mensch für sich selbst sein eigenes Kapital ist und deswegen auch selbst Produzent
seiner Einnahmequelle. Foucault (2017, S. 314) beschreibt weiter, dass das Konzept
von Humankapital den Gedanken von Menschen als Unternehmer salonfähig macht.

Für den Bildungsbereich bedeutet dies verkürzt ausgedrückt, dass
Humankapitalökonomen der Auffassung sind, dass Investitionen in Bildung zur
Erzeugung besserer Arbeitskräfte, Wirtschaftswachstum, Verringerung der

02. Februar 2021 6/93
Einkommensungleichheit und zur Erhöhung der Beschäftigung führen werden. Spring
(2014, S. 2) betrachtet die Humankapitalbildung als Teil der laufenden „Ökonomisierung
der Bildung“. Als Ökonomisierung versteht er wiederum den wachsenden Einfluss der
Bildungsforschung, die nicht von Bildungsforscherinnen oder Bildungsforschern
durchgeführt wird, sondern von Ökonominnen und Ökonomen. Dies führt zu einer
wirtschaftlichen Beurteilung der Schulergebnisse. Die Ökonomisierung der Bildung
verlagert Bedenken um die Schulbildung in Bezug auf Bürgerbeteiligung, Schutz der
Menschenrechte und Umweltschutz auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung
(Spring, 2014, S. 2). Ein Bildungswesen, welches sich auf die Humankapitaltheorie
stützt, zeichnet sich durch „Output Orientierung“ aus. Es zählen vor allem ökonomische
Kriterien. Der Bildungsprozess beschränkt sich damit auf formulierte
Erwartungshaltungen und deren Evaluierung. Relevant wird dadurch nur noch, was
gleichermaßen auswertbar ist und somit auch belohnt werden kann. Die allgemeinen
Bildungsideen und Erziehungsziele untergraben hingegen diesen Prozess (Krautz,
2007, S. 84).

Die Erkenntnisse von Spring und Krautz sind wichtig, da sich im weiteren Verlauf diese
Arbeit damit beschäftigen soll, wie Big Data den Sprung in die Bildung geschafft hat. Hält
man sich nun die Erkenntnisse von Spring und Krautz vor Augen, so ist die genaue
Datenanalyse und Auswertung von Schülerergebnissen nur der nächste logische Schritt
in einer stetig voranschreitenden Output-Orientierung im Bildungsbereich. Fraglich ist
dabei, ob die Pädagogik und Bildungswissenschaft in dieser Umgebung noch Platz
haben. Geht man nun mit diesem Wissen an die bildungspolitische Geschichte heran,
so wird man merken, dass die Ökonomisierung der Bildung nicht erst seit den 2000er-
Jahren stattgefunden hat, wie häufig behauptet wird, sondern bereits mit den
Bildungsreformen der Sechziger- und Siebzigerjahre losgetreten wurde.

3. Weichenstellung in der Bildungspolitik ab 1950
Folgt man den Erkenntnissen von Seiverth (2007, S. 32), gab es in der Bildungspolitik
des Westens zwei große Schocks, welche einen radikalen Umbau der Bildungspolitik
zur Folge hatten. Auf der einen Seite der PISA-Schock, der die Bildungslandschaft im
Jahr 2000 getroffen hat. Auf diesen Schock wird im späteren Verlauf der Arbeit genauer
eingegangen. Mehr als vierzig Jahre vorher, mit Ende des Jahres 1957, glückt es der
Sowjetunion jedoch, den ersten Satelliten mithilfe einer russischen Trägerrakete ins All
zu schicken. Mit diesem Schritt gelang es der Sowjetunion als erste Nation, die

02. Februar 2021 7/93
Erdatmosphäre zu verlassen und das Zeitalter der Raumfahrt wurde eingeläutet. Dies
wird als der sogenannte Sputnikschock bezeichnet (Hadjar & Becker, 2017, S. 217).
Zu diesem Zeitpunkt herrschte noch der Kalte Krieg zwischen West und Ost.
Erkenntnissen von Seiverth (2007, S. 33) folgend reagierten die USA mit fundamentalen
Änderungen in ihrer Bildungspolitik. So wurden die Ausgaben für Wissenschaft drastisch
erhöht und Universitäten neu gegründet und stärker subventioniert. Der Schock hatte
den „National Defense Education Act“ in den USA zufolge (Jolly, 2009, S. 51). Dieser
zielte darauf ab, die amerikanische Bildungslandschaft zu fördern. Dafür wurde eine
Milliarde US-Dollar über einen Zeitraum von vier Jahren allein für Studentenkredite und
Stipendien zur Verfügung gestellt. Des Weiteren wurden den einzelnen Staaten Mittel
zur Verfügung gestellt, um besonders den Mathematik-, Naturwissenschafts- und
Fremdsprachenunterricht zu stärken. Zusätzlich zu einer besseren Ausrüstung sowie
besseren Lernmaterialien wurde die Fort- und Weiterbildung der Lehrer und Lehrerinnen
vorangetrieben (Jolly, 2009, S. 52).
In Deutschland dauerte es bis zur Feststellung einer Bildungskatastrophe sieben Jahre
länger. Die Kultusminister der elf deutschen Bundesländer beauftragten Georg Picht mit
einer Bedarfsfeststellung für das deutsche Schulsystem. Dieser rief im Jahr 1963 die
deutsche Bildungskatastrophe aus und bemängelte die Rückständigkeit des
Schulsystems (Felden, 2020, S. 33–34).

 „Bildungsnotstand heißt wirtschaftlicher Notstand. Der bisherige
 wirtschaftliche Aufschwung wird ein rasches Ende nehmen, wenn die
 qualifizierten Nachwuchskräfte fehlen, ohne die im technischen
 Zeitalter kein Produktionssystem etwas leisten kann.“ (Picht, 1965,
 S. 9–10)

Picht sieht zwei grundlegende Probleme in der Bundesrepublik. Auf der einen Seite
mangelnde Quantität an Lehrerinnen und Lehrern sowie eine schlechte Qualität an
Bildungsstandards bei Abiturienten und Abiturientinnen. Die schlechten
Bildungsstandards führt er jedoch hauptsächlich auf die geringe Quantität an Lehrkräften
zurück (Picht, 1965, S. 12–15).
Echten (2020, S. 34–35) macht, neben der eben erwähnten Bedarfsfeststellung von
Picht, auch die Schrift von Ralf Dahrendorf „Bildung ist Bürgerrecht. Plädoyer für eine
aktive Bildungspolitik“ für die maßgebliche Beeinflussung der Bildungsziele der
Bundesrepublik Deutschaland verantwortlich. In dieser Schrift spricht sich Dahrendorf
(1968, S. 23–24) dafür aus, dass jeder Mensch neben dem Recht auf eine intensive

02. Februar 2021 8/93
Grundausbildung auch das Recht auf eine weiterführende Ausbildung, die seiner
Leistungsfähigkeit entspricht, hat. Dabei macht er sich auch für Chancengleichheit stark
und macht darauf aufmerksam, dass alle leistungsfremden Merkmale, welche zur
Benachteiligung oder Bevorzugung führen, ausgeblendet werden müssen. Dahrendorf
merkt an, dass ein Bürgerrecht auf Bildung nur durch aktive Bildungspolitik durchgesetzt
werden kann, da das alleinige Recht nicht garantiert, dass dieses auch ausgeübt wird.
Dahrendorf (1968, S. 28) bemerkt des Weiteren an, dass es einen Bedarf aus der
Arbeitswelt gibt und deswegen mehr hochqualifizierte Arbeitskräfte ausgebildet werden
müssen. Da durch aktive Bildungspolitik eine Expansion auf allen Stufen des
Bildungswesens stattfindet, bedeutet dies, dass mehr Abiturienten und Abiturientinnen
voraussetzen bzw. anzeigen, dass es auch mehr Menschen mit einem besseren
obligatorischen Grund- und Hauptschulabschluss gibt (1968, S. 48).
Für eine erfolgreiche Reformierung des Bildungswesens verweist Dahrendorf (1968,
S. 65) auf eine nötige Modernisierung der Gesellschaft. Dabei benötigen seiner
Auffassung nach: Landkinder, Arbeiterkinder, Mädchen und mit Einschränkungen
katholische Kinder besondere Aufmerksamkeit. Grund für die erhöhte Aufmerksamkeit
ist, dass diese Gruppe von Kindern auffällig unterrepräsentiert in höheren Schulen und
folgend daraus auch auf Universitäten sind.
Neben Dahrendorf und Picht wird in der Literatur auch die sogenannte
Außerparlamentarische Opposition, eine Studentenbewegung, für die in den
kommenden Jahren folgende Bildungsexpansion verantwortlich gemacht (Raidt, 2010,
S. 45).
Hepp (2011, S. 122–124) sieht Ralf Dahrendorf und Georg Picht ebenfalls als die
Katalysatoren der öffentlichen Bildungsdebatte und somit auch als einer der
Anstoßgründe für die durchgeführten Reformierungen des deutschen Bildungswesens
ab dem Jahr 1965. Dieser bemerkt jedoch zusätzlich noch, dass Georg Pichts
Argumentationen primär ökonomischer Natur waren. Auch Krautz (2020, S. 8)
beschreibt Georg Picht als ersten populären deutschen Verfechter der
Humankapitaltheorie und somit ebenfalls als ersten Vertreter der Ökonomisierung der
Bildung. Besonders gut lässt sich die ökonomische Ausrichtung seiner Ansichten an
folgendem Auszug erkennen:

 „Die Zahl der Abiturienten bezeichnet das geistige Potenzial eines
 Volkes, und von dem geistigen Potential sind in der modernen Welt
 die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft, die Höhe des Sozialprodukts
 und die politische Stellung abhängig.“ (Picht, 1965, S. 17)

02. Februar 2021 9/93
Daraus lässt sich schließen, dass der Anstoß für die Ökonomisierung der Bildung bereits
in den Sechzigerjahren stattgefunden hat (Hepp, 2011, S. 123). Auch Höhne (2015,
S. 15–17) sieht eine enge Verknüpfung zwischen der Steigerung der Bildungsleistung
durch Anwenden von humankapitalistischen Theorien, welche seit den 1960er-Jahren
vor allem von der OECD vorangetrieben wurden und beschreibt dies als erste
Ökonomisierungswelle in der Bildung.

Die Schriften von Dahrendorf und Picht, aber auch der damalige Zeitgeist, gipfeln 1965
in einer bildungspolitischen Wende, und in einem gemeinschaftlichen Projekt von Bund
und Ländern wird der deutsche Bildungsrat ins Leben gerufen. Dieser entwickelte bis in
das Jahr 1970 einen „Strukturplan für das Bildungswesen“ durch eine
Verfassungsreform. Im Jahr 1969 erhielt der Bund eine Mitspracherecht bei der
gesamtstaatlichen Bildungsplanung, dem Bau von Universitäten, der
Rahmengesetzgebung im Hochschulbereich und die Zuständigkeit für die Ausgestaltung
der Dienstverträge von Lehrpersonen (Hepp, 2011, S. 123). Somit fand eine
grundlegende Kompetenzverlagerung im Bildungsbereich von den Ländern auf den
Bund statt.

Laut Felden (2020, S. 36) erlebt die Bundesrepublik Deutschland durch diese
Maßnahmen in den darauffolgenden Jahren einen noch nie da gewesenen
Bildungsaufschwung. Dieser spiegelt sich auch an den Bildungsausgaben wider. Die
Nettoausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden werden fast verdreifacht und steigen
von 15,7 Millionen DM im Jahr 1965 auf über 44 Millionen DM im Jahr 1973. Wie von
Georg Picht gefordert, steigen auch die Zahlen der Abiturienten und Abiturientinnen
sowie der Studierenden an Universitäten. Aber auch die vor allem von Dahrendorf
bemängelten Bildungsbenachteiligungen und Chancengleichheiten zwischen den
sozialen Schichten werden zumindest leicht reduziert (Felden, 2020, S. 36).

Mit diesen umfassenden Reformen setzte sich laut Uhle (2004, S. 52–53) in den
Siebzigerjahren auch ein neues Bildungsprinzip in den Schulen durch. Alles Lehren und
Lernen hatte, unabhängig von der Schulform, dem Wissenschaftsprinzip zu folgen. Uhle
führt weiter aus, dass dieser neue Gedanke eine eindeutige Kritik an dem bisherigen
Bildungsverständnis ausübte. Die bisherigen Überlegungen stammten zumindest noch
in Grundzügen aus dem 18. Jahrhundert. Schulen waren im deutschsprachigen Raum
so angelegt, dass sie zuerst die Persönlichkeitsentwicklung förderten und erst im

02. Februar 2021 10/93
späteren Verlauf der Fokus auf die berufliche Spezialisierung in den Vordergrund rückte.
Man folgte dem Gedanken der allgemeinen Menschenbildung in allgemeinbildenden
Bildungsanstalten. Aus den Ausführungen von Strzelewicz und Raapke (1973, S. 33–
35) lässt sich schließen, dass mit der Verdrängung des Persönlichkeitsideals durch das
Wissenschaftsprinzip auch eine Absage und somit ein deutlich erkennbarer Bruch mit
dem Aristokratismus stattgefunden hat. Der Frankfurter Sozialphilosoph Habermas
setzte sich in seinen Aufsätzen für die Lehrbarkeit der Wissenschaft bis in die
Grundschule ein und appellierte dafür, dass geistes- und naturwissenschaftliches
Denken über den Zusammenhang von Industrie, Technik und Verwaltung unterrichtet
werden müssen (Uhle, 2004, S. 53–54).

Nach diesen Reformen sind vonseiten des Bundes keine weiteren bemerkenswerten
Vorstöße unternommen worden. Allerdings boten sich bis Ende des Jahrhunderts kaum
nennenswerte Chancen oder Gelegenheiten für bildungspolitische Reformen und
Initiativen an. Auf der einen Seite war der öffentliche Bildungsdiskurs mit Ende der
Siebzigerjahre weitgehend abgeflacht und auch aus der Bildungslandschaft kamen
selbst ebenfalls keine Impulse mehr. Auf der anderen Seite kämpfte man nach den
teuren Reformen mit der Finanzierung dieser, was zu Engpässen in der Finanzierung
führte. Nach der schnellen und bildungseuphorischen Entwicklung der Siebzigerjahre
folgte eine lange Flaute im Bildungsbereich (Hepp, 2011, S. 125). Als mit der
internationalen TIMS-Studie aus dem Jahr 1997 Vergleichsergebnisse aus anderen
Ländern vorlagen, ergab sich erstmals wieder leichte öffentliche Kritik an der
Leistungsfähigkeit deutscher Schüler und Schülerinnen in den Naturwissenschaften, und
der Bund legte seine bis dahin geltende Zurückhaltung wieder ab (Hepp, 2011, S. 125).
Die nächste erwähnenswerte Reformwelle im Bildungsbereich erfolgte aber erst in den
2000er-Jahren mit dem Schock, den die erste internationale PISA-Studie auslöste. Den
Geschehnissen rund um die PISA-Studie wird im folgenden Abschnitt die
Aufmerksamkeit gewidmet.

Festzuhalten ist zuvor noch, dass die Entwicklungen in Österreich denen in Deutschland
sehr ähnlich waren. So kommt es dort zu vergleichbaren Entwicklungen, und
wirtschaftsbezogene Argumente haben einen hohen Stellenwert in der Gestaltung der
neuen Schulgesetze (Engelbrecht, 1988, S. 479). Im Jahr 1962 wird laut Engelbrecht
(1988, S. 479) ein neuer Abschnitt in der österreichischen Bildungsgeschichte eröffnet.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Strukturen, Gesetze, Bildungsziele und

02. Februar 2021 11/93
Grundeinstellungen des österreichischen Bildungswesens noch jene aus der
Habsburgermonarchie. Mit den neuen Gesetzen von 1962 begannen auch in Österreich
Bemühungen zur Anhebung des allgemeinen Bildungsniveaus durch Bildungswerbung
und der Beseitigung von Barrieren, ähnlich wie von Dahrendorf gefordert. Die neu
erarbeiteten Curricula setzten ebenfalls verstärkt auf das Wissenschaftsprinzip
(Engelbrecht, 1988, S. 485). Es wird deutlich, dass mit den durchgeführten Reformen in
Deutschland, aber ebenfalls in Österreich, eine Abkehr vom klassischen Bildungsbegriff
und somit auch von dem Persönlichkeitsideal - welches nach wahrem, reinem und
vollem Menschentum strebt (Strzelewicz & Raapke, 1973, S. 18) - stattgefunden hat.
Radtke (2003, S. 110) beschreibt die Ereignisse rund um die Reformierung der
Bildungspolitik als erste Hochkonjunktur der Bildungsökonomie und schlussfolgert, dass
ein Zusammenhang zwischen der Qualifikation des Humankapitals und erwünschten
Wirtschaftszielen konstruiert wurde. Dies alles unter dem Deckmantel der
internationalen Wettbewerbsfähigkeit.

 3.1. PISA 2000
Der internationale PISA-Vergleichstest wurde erstmalig im Jahr 2000 durchgeführt und
von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)
organisiert. Dabei werden alle drei Jahre die Lese-, Mathematik- und
Naturwissenschaftskenntnisse von fünfzehnjährigen Schülerinnen und Schülern unter
den teilnehmenden Staaten verglichen. Bei der letzten Erhebung im Jahr 2018 haben
ungefähr 600.000 Schülerinnen und Schüler aus 79 Ländern an der Studie
teilgenommen (OECD, 2020).
Wie die OECD, eine Organisation, die auf Wirtschaft spezialisiert ist, dazu kommt, sich
in die Bildungspolitik von ihren Mitgliedsstaaten einzumischen, ist Bestandteil
kontroverser Diskussionen (z. B.: Bieber & Martens, 2011). Sie lässt sich aber laut
Leibfried und Martens (2008, S. 8) auf den einfachen Umstand zurückführen, dass
Ronald Reagan mehr Einfluss auf die Bildungspolitik der US-Bundesstaaten haben
wollte. Um dies zu ermöglichen, suchte er Möglichkeiten, um die Bildungspolitik von
einem inneramerikanischen Problem zu einer außenpolitischen Frage zu machen und
übte Druck auf die OECD aus, damit diese Vergleichsdaten anderer Industrieländer
erfasst. Bemerkenswert ist, dass die OECD laut Leibfried und Martens (2008, S. 8)
Bildung damals in den Bereich der Kultur einordnete und deswegen die Meinung vertrat,
dass es dafür keine international vergleichbaren Indikatoren gäbe, weil sich Kultur nicht
in Zahlen, Tabellen und Indikatoren pressen Iieße. Mitte der Achtzigerjahre erklärte sich

02. Februar 2021 12/93
die OECD durch massiven Druck vonseiten der USA und Schützenhilfe aus Frankreich
bereit, eine solche Bildungserhebung durchzuführen (Leibfried & Martens, 2008, S. 9).
Da bis zu diesem Zeitpunkt keine Messwerte für Bildung vorhanden waren, entwickelte
der Schweizer Philosoph Norberto Bottani zusammen mit Expertinnen und Experten aus
der ganzen Welt Indikatoren. Wie genau die Indikatoren zustande gekommen sind, lässt
sich kaum noch rekonstruieren, aber das erste Ergebnis dieser Bewegung ist die seit
1992 jährlich erscheinende Zusammenfassung von Bildungsstatistiken mit dem Namen
„Bildung auf einen Blick“ (Leibfried & Martens, 2008, S. 9).

Ein Bericht der Weltbank von 1996 zeigt ausdrücklich, dass die Output-Orientierung
bereits zu diesem Zeitpunkt ein fester Bestandteil von Bildung geworden ist, und dass
die Weltbank ebenfalls den Ansatz der Output-Orientierung und Messbarkeit von Bildung
verfolgt. Besonders deutlich wird dies, da die Weltbank die Bereitstellung von
Finanzierungsmöglichkeiten an diese Punkte knüpft.

 “An orientation toward outcome means that priorities in education are
 determined through economic analysis, standard setting, and
 measurement of the attainment of standards setting, and
 measurement of the attainment of standards. A sectoral approach is
 key for setting priorities” (Weltbank, 1996, S. 94).

 “The World Bank is encouraging the use of performance and
 effectiveness indicators in the education projects that it helps finance.
 Especially important here are labor market and learning outcomes
 and the relationship of outcomes to inputs” (Weltbank, 1996, S. 102).

Mitte der Neunzigerjahre wurden laut Leibfried und Martens (2008, S. 9) Stimmen nach
einheitlich erhobenen Messwerten lauter, da die bisher gesammelten Daten keine
wirklich vergleichbaren Rückschlüsse erlaubten. Ein beträchtlicher Prozentteil von
Schülerinnen und Schüler, die die Hochschulreife erlangen, kombiniert mit einer
bescheidenen Quote von Klassenwiederholungen, kann beispielsweise einerseits auf
ein hohes Niveau des Bildungssystems hindeuten oder andererseits auf sehr
minimalistische Anforderungen zurückzuführen sein. Auch andere Indikatoren wie Noten
lassen faktisch keinen Vergleich oder Rückschluss auf die Kompetenzen eines Schülers
oder einer Schülerin zu. Deswegen strebte Tom Alexander, der damalige Direktor der
Bildungsabteilung, eine Vergleichsstudie an, die die „Outcomes“ von Schülerinnen und
Schülern im gleichen Alter misst. Nach anfänglichem Gegenwind, nicht zuletzt, weil man

02. Februar 2021 13/93
der OECD als Wirtschaftsorganisation die Kompetenz für eine solche Untersuchung
nicht zutraute, wurde 1997 die erste PISA-Studie beschlossen und im Jahr 2000
durchgeführt. Die Ergebnisse wurden ein Jahr später veröffentlicht und schlugen im
deutschsprachigen Raum ein wie eine Bombe (Leibfried & Martens, 2008, S. 10).

 3.2. Transnationalisierung durch PISA
„Sind deutsche Schüler doof?“ Dies titelte der Spiegel 2001 kurz nach der
Veröffentlichung der PISA-Studienergebnisse (Der Spiegel, 2001). Nachdem
Deutschland, das Land der Dichter und Denker, in der PISA-Vergleichsstudie bei der
Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern nur auf Platz 21 von 31 landete und in
den Naturwissenschaften wie Mathematik ähnlich schlecht abschnitt (OECD et al., 2001,
S. 45) & (OECD et al., 2001, S. 81), wurde eine medienwirksame Bildungsdebatte
ausgelöst. PISA war zwar der Anstoß für den öffentlichen Diskurs in Deutschland, die
Kultusministerkonferenz hatte laut Klieme et al. (2010, S. 288) allerdings schon im Jahr
1997 reagiert und ein systematisches und länderübergreifendes Bildungsmonitoring
gestartet, da die Ergebnisse der TIMSS-Mittelstufenstudie bereits auf gravierende
Versäumnisse schließen ließ.
Die Reaktion auf die Ergebnisse der 2001 veröffentlichten PISA-Daten war überstürzt
und frei von Beratungen aus der Wissenschaft. Noch am Tag der Publizierung der ersten
PISA-Ergebnisse wurde ein Handlungskatalog durch die Kultusministerkonferenz
präsentiert. Dabei bezogen sich die Maßnahmen unter anderem auf eine Überarbeitung
der Lehrpläne mit Augenmerk auf die Kompetenzförderung, Einrichtung von
Ganztagsschulen, Schulungen für Lehrerinnen und Lehrer und der Förderung von
bildungsbenachteiligten Schülerinnen und Schülern. Ein weiterer Fokus war die
Qualitätssicherung und -entwicklung (Hermstein et al., 2019, 790).
Ziel des damit eingeführten Bildungsmonitorings war das Erstellen von
Vergleichsstudien innerhalb Deutschlands. Laut Klieme et al. (2010, S. 288) war ein
weiterer Schritt die regelmäßige Evaluierung von einzelnen Schulen und die genaue
Formulierung von Erwartungen in Form von Bildungsstandards an diese. Die eben
erwähnten Werkzeuge zur Qualitätssicherung wurden bis dato im deutschsprachigen
Raum historisch gesehen kaum verwendet, haben allerdings laut Klieme et al.
mittlerweile einen gravierenden Einfluss auf die Bildungspolitik. Wirklich neu ist diese
Strategie dabei nicht. Im angelsächsischen Raum war das Bildungsmonitoring zu
diesem Zeitpunkt bereits weit verbreitet und auch von der OECD wurde in dem 1989

02. Februar 2021 14/93
erschienenen Bericht „Schule und Qualität“ eine ähnlich angelegte Strategie propagiert
(2010, S. 288).

Messner (2016, S. 24) fasst die bildungspolitischen Geschehnisse damit zusammen,
dass die PISA-Ergebnisse zu einem rabiaten Einstellungswechsel geführt haben, wenn
es um die Erfassung der Schülerleistung geht, dabei haben vor allem die zuvor eher
kritisch behafteten Testungen an Wertschätzung gewonnen. Eng damit verbunden sieht
er das neu geschaffene Steuerungsmittel der Evaluation, welches nun als zentrale Idee
der Qualitätskontrolle im Bildungssektor gilt. Dieser kulturelle Wandel lässt sich auch
daran beobachten, wie die wissenschaftliche Pädagogik nach der PISA-Studie neu
ausgerichtet wurde. Neu etablierte Forschungsstellen, Professuren und Projekte im
deutschsprachigen Gebiet konzentrieren sich zunehmend auf die empirische
Bildungsforschung, die somit innerhalb eines Jahrzehnts zur dominierenden Praxis der
pädagogischen Wissenschaften aufgestiegen ist (Messner, 2016, S. 24).

PISA hat zu einer nachhaltigen Veränderung der Bildungspolitik geleitet, welche nötig
war, da durch die Politik das Ziel verfolgt wurde, die Ergebnisse in einem Vergleichstest
zu erhöhen, in der Hoffnung, dass sich dadurch auch der Bildungsstandard der
Schülerinnen und Schüler verbessert. Ob dies dazu geführt hat, ist genauso fraglich wie
der von den Medien und der Öffentlichkeit ausgerufene zweite Bildungsnotstand.
Die Bildung in den deutschsprachigen Ländern wurde mit den Reformen der 70er-Jahre
nach dem Wissenschaftsprinzip ausgerichtet (Uhle, 2004, S. 52–53). Die Ausrichtung
der Bildung erfolgte allerdings nach einem im deutschsprachigen Raum gebräuchlichen
Verständnis. Zwar ist die Auslegung des Bildungsbegriffs komplex und im Laufe der
Geschichte haben sich verschiedene Akzentsetzungen herausgebildet. Ehrenspeck
(2010, S. 156) merkt an, dass sich im historischen Verlauf viele begriffsmäßige
Bedeutungen ausformulieren konnten und zu unzähligen begrifflichen Konnotationen
geleitet haben. Abgesehen davon sieht Ehrenspeck (2010, S. 156) den Begriff als
Bestandteil vieler Zusammensetzungen wie Bildungsplanung, Bildungsökonomie,
Bildungspolitik oder auch Bildungsforschung, was wiederum zu Unterscheidungen in der
Auslegung führt. Dies wird auch offensichtlich bei dem Versuch, einen Überblick über
die verschiedenen Interpretationen und Auslegungen zu erhalten.
Rohlfs (2011, S. 53) weist jedoch darauf hin, dass unabhängig davon, ob man sich nun
auf die Begriffsbestimmungen von Klafki (z. B.: Klafki, 1975) stützt oder Bildung
zwischen persönlicher, politischer und praktischer Bildung unterscheidet, wie es Hentig

02. Februar 2021 15/93
(2009) vorgemacht hat, im deutschsprachigen Verständnis sich bei allen Definitionen die
Gemeinsamkeit finden lässt, dass Bildung als ganzheitlicher Prozess definiert wird. In
dessen Zentrum steht hierbei die Entwicklung der eigenen Person in Form der Entfaltung
der Ganzheit der individuellen Persönlichkeit.

Das ist allerdings nicht das Verständnis von Bildung, welches die PISA-Studie versucht
zu messen. PISA möchte “scientific literacy” messen, was zwar auf Deutsch frei
übersetzt ebenfalls Bildung bedeutet, allerdings auf einem anderen Verständnis beruht.
Die OECD beschreibt diesen Terminus wie folgt (OECD, S. 1):

 “PISA defines scientific literacy as the ability to engage with science-
 related issues, and with the ideas of science, as a reflective citizen.
 PISA’s definition includes being able to explain phenomena
 scientifically, evaluate and design scientific enquiry, and interpret
 data and evidence scientifically. It emphasises the importance of
 being able to apply scientific knowledge in the context of real-life
 situations.”

Messner (2016, S. 27) sieht in dieser Beschreibung eine alltagsbezogene Deutung von
Bildung, die im angelsächsischen Raum geläufig ist. Gelernt werden soll das, was für
den Schüler oder die Schülerin künftig Gebrauchswert besitzt und auch PISA macht
deutlich, dass es beabsichtigt zu messen, was für die Lernende oder den Lernenden
später in Alltag und Beruf von Gebrauch sein kann. Zu Recht stellt Messner fest, dass
sich in dieser Begriffsdeutung der funktional-pragmatische Ansatz von lebendigem
Weltwissen und operativen Grundfähigkeiten verbirgt. Auf welche auch die im
deutschsprachigen Raum gesetzten bildungspolitischen Reformen rund um die 2000er-
Jahre setzen. Dadurch tritt an die Stelle des vor allem im gymnasialen Umfeld tief
verankerten Wissenschaftsprinzips das sogenannte Situationsprinzip. Messner (2016,
S. 29–30) verweist darauf, dass PISA eigentlich nicht die Absicht hat, Lehrpersonal
dabei zu helfen, die Lehrplanziele zu bewerkstelligen, sondern vergleichen möchte, wie
fortgeschrittene Schlüsselkompetenzen von 15-Jährigen in drei Leistungsbereichen
erreicht wurden. Allerdings wurde PISA durch bildungspolitische Entscheidungen zum
Synonym für Testbares. In Frankreich genauso wie in Deutschland wurde PISA zum
wichtigsten Planungsmaterial für die Regierung (Leibfried & Martens, 2008, S. 11).

02. Februar 2021 16/93
Eine Problemstellung für Lehrkräfte ist allerdings ein Umstand, den Fuchs in einem
Aufsatz verdeutlicht. Er verweist darauf, ähnlich wie schon Messner, dass PISA keinerlei
Anhaltspunkte dafür gibt, wie Einzelpersonen die Lehre verbessern können:

 „PISA dient ausdrücklich nicht dazu, Informationen für Einzelschulen
 oder Lehrkräfte bereitzustellen, die in eine konkrete Verbesserung
 der Unterrichtsgestaltung ‚vor Ort‘ münden könnten” (Fuchs, 2003,
 S. 163).

Die PISA-Studie und die damit einhergehende neue Orientierung der Bildungspolitik hat
allerdings den Weg für die genaue Messung und Analyse von Output-orientierten
Bildungsdaten auf der Makroebene eröffnet. Gorur et al. (2018, S. 2) sehen die
testbasierte Rechenschaftspflicht von Bildungssystemen mittlerweile eher als die Norm
statt die Ausnahme. Der Erfolg von Unterricht wird seit den 2000er-Jahren anhand des
Outputs gemessen, den Lernende gemeinsam in einem Land produzieren. Damit wurde
die Output-Orientierung zur neuen Währung des Bildungserfolgs und PISA hat komplexe
Bildungssysteme auf einfache Zahlen heruntergerechnet. Da die PISA-Studie sowie
andere Vergleichstests allerdings keinen Rückschluss auf konkrete Verbesserungen
direkt im Klassenzimmer zulassen, ist hier ein Vakuum entstanden. Lehrende müssen
sich anhand von Indikatoren messen lassen, für die sie keine Messinstrumente besitzen.
Diese Lücke greift die Educational Data Sciences dankbar auf und bringt die groß
angelegte Analyse, Messung und Auswertung von Bildungsdaten durch die
fortschreitende Digitalisierung bis ins Klassenzimmer.

4. Der Einzug von Big Data in die Bildung durch die Digitalisierung
Wie Zuboff (2018) in ihrem Buch aufzeigen konnte, ist das groß angelegte Sammeln und
Analysieren von großen Mengen an Nutzerdaten in der Privatwirtschaft bereits zur
Normalität geworden. Es liegt die Vermutung nahe, dass dieser Wandel mittlerweile auch
an Einfluss in der Bildung gewonnen hat. Die Gründe dazu wurden bereits in dem
vorhergehenden Abschnitt erörtert. Dieses Kapitel befasst sich damit, wie die
Möglichkeiten dafür entstanden sind.

 4.1. Digitalisierung in der klassischen Bildung
Auch wenn der Fortschritt in Richtung Digitalisierung im Bildungsbereich, verglichen mit
der Wirtschaft sehr langsam vonstattengeht, so findet dieser statt. Angetrieben durch
den Zeitgeist, ist der Einsatz von Tabletts, Smartboards und Lernplattformen schon

02. Februar 2021 17/93
Sie können auch lesen