Entwicklung eines Blended Learning-Konzepts für den Rechnungswesenunterricht am Beispiel der Bilanzanalyse Masterarbeit - UNIPUB
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Rebecca Jandrisits-Radakovits, BSc MSc Entwicklung eines Blended Learning-Konzepts für den Rechnungswesenunterricht am Beispiel der Bilanzanalyse Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Science der Studienrichtung Wirtschaftspädagogik an der Karl-Franzens-Universität Graz Betreuerin: Assoz.-Prof. Dr. Elisabeth Riebenbauer Institut für Wirtschaftspädagogik Güttenbach, 09.06.2021
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung.................................................................................................................. 1 1.1 Forschungsfrage und Zielsetzung ....................................................................... 2 1.2 Disposition.......................................................................................................... 4 2 Blended Learning – ein Mix aus Präsenzlehre und E-Learning ......................... 5 2.1 Begriff des Präsenzunterrichts............................................................................ 5 2.2 Begriff des E-Learning ....................................................................................... 6 2.2.1 Computer-Based Training ........................................................................... 8 2.2.2 Web-Based Training ................................................................................... 8 2.2.3 Blended Learning ........................................................................................ 9 2.3 Modelle und Ansätze des Blended Learning .................................................... 12 2.3.1 5-Stufen-Modell von Salmon .................................................................... 12 2.3.2 Blended Learning-Konzept von Maresch ................................................. 15 2.3.3 Blended Learning-Ansätze nach Christensen/Staker/Horn ....................... 16 2.3.4 Flipped Classroom-Modell ....................................................................... 18 2.4 Unterricht in einer Blended Learning-Umgebung ............................................ 20 2.4.1 Gestaltung und Umsetzung der Online-Phase .......................................... 24 2.4.2 Gestaltung und Umsetzung der Präsenzphase........................................... 28 2.5 Potenziale des Blended Learning ..................................................................... 31 2.6 Herausforderungen des Blended Learning ....................................................... 34 3 Bilanzanalyse im Rechnungswesenunterricht an Handelsakademien .............. 36 3.1 Bedeutung der Bilanzanalyse für Praxis und Schule........................................ 36 3.2 Bilanzanalyse und Blended Learning im HAK Lehrplan 2014 ....................... 38 3.3 Untersuchung bestehender Unterrichtsmaterialien zur Bilanzanalyse ............. 41 3.3.1 Schulbücher ............................................................................................... 41 3.3.2 Online-Materialien .................................................................................... 52 4 Entwicklung eines Blended Learning-Konzepts für die Bilanzanalyse ............ 54 4.1 Vorbereitungsarbeiten durch die Lehrkraft ...................................................... 54 4.2 Gestaltung der Online-Phase ............................................................................ 58 4.3 Gestaltung der Präsenzphase ............................................................................ 64 5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ........................................................ 73 Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 76 I
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Blended Learning-Konzepte nach Christensen/Staker/Horn ......................... 16 Tabelle 2: Kriterienkatalog zur Schulbuchanalyse ......................................................... 42 Tabelle 3: Strukturplan zur Bilanzanalyse ...................................................................... 56 Tabelle 4: Lernziele nach Anderson/Krathwohl für die Bilanzanalyse .......................... 56 Tabelle 5: Disposition der Online-Phase zu den Rentabilitätskennzahlen...................... 58 Tabelle 6: Disposition der ersten Präsenzeinheit zu den Rentabilitätskennzahlen ......... 65 Tabelle 7: Disposition der zweiten Präsenzeinheit zu den Rentabilitätskennzahlen ...... 70 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Blended Learning als Mix aus Präsenz und E-Learning ........................... 11 Abbildung 2: Blended Learning-Modell nach Salmon ................................................... 12 Abbildung 3: Blended Learning-Konzept von Maresch ................................................. 15 Abbildung 4: Traditionelle Lehre vs. Flipped Classroom............................................... 21 Abbildung 5: Taxonomie und Zeitverlauf im traditionellen Präsenzunterricht .............. 23 Abbildung 6: Taxonomie und Zeitverlauf beim Flipped Classroom .............................. 23 Abbildung 7: Didaktisches Dreieck beim Blended Learning ......................................... 24 Abbildung 8: Bilanzanalyse im HAK Lehrplan 2014 ..................................................... 38 Abbildung 9: Layoutgestaltung im Schulbuch von HÖLZEL ........................................ 44 Abbildung 10: Anforderungsniveau im Schulbuch von HÖLZEL ................................. 45 Abbildung 11: Layoutgestaltung im Schulbuch von TRAUNER .................................. 46 Abbildung 12: Anforderungsniveau im Schulbuch von TRAUNER .............................. 47 Abbildung 13: Praxisbezug im Schulbuch von TRAUNER ........................................... 48 Abbildung 14: Layoutgestaltung im Schulbuch von JUGEND & VOLK ...................... 50 Abbildung 15: Anforderungsniveau im Schulbuch von JUGEND & VOLK ................. 51 Abbildung 16: Lernvideo zur Bilanzanalyse auf studyflix ............................................. 52 Abbildung 17: Planungsablauf eines Blended Learning-Szenarios ................................ 54 Abbildung 18: Lernvideo zu den Rentabilitätskennzahlen ............................................. 60 Abbildung 19: Socrative-Quiz zur Online-Phase............................................................ 62 Abbildung 20: Arbeitsblatt zur Online-Phase ................................................................. 63 Abbildung 21: Ausschnitt aus Learning Snacks im Rahmen der Präsenzeinheit ........... 66 Abbildung 22: Fallbeispiel aus der Präsenzeinheit zur Kennzahlenberechnung ............ 69 II
1 Einleitung „The Coronavirus Pandemic Has Unleashed A Revolution In Education: From Now On, Blended Learning Will Be The Benchmark.”1 Diese Schlagzeile aus dem Forbes Magazin vom 13. April 2020 mag auf den ersten Blick drastisch formuliert sein, aber sie trifft die aktuelle Situation im Kern. Denn was viele zu Beginn der Corona-Krise nur als vorübergehendes Notfallkonzept ansahen, könnte wohl bald Standard im schulischen Lehr-Lernprozess sein. Bei Blended Learning handelt es sich um eine Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht, die ein mögliches (Zukunfts-)Modell des technologieunterstützten Klassenzimmers darstellt. Wesentliches Merkmal dieser Lehr-Lernform ist ein selbstständiges, selbstgesteuertes Lernen unter dem Einsatz verschiedener Formen digitaler Medien.2 Ungeachtet der Tatsache, wie lange das Corona-Virus unser bisher bekanntes Schulleben noch dauerhaft einschränken wird, eines ist jedenfalls jetzt schon klar: Die gewonnenen Lerneffekte im Umgang mit neuen Medien, die Motivation zur Unterrichtsentwicklung und die positiven sowie negativen Erfahrungen mit der Online- Lehre werden den künftigen Unterricht massiv beeinflussen. Vielfach ist sogar davon auszugehen, dass zuvor verwendete Methoden nicht mehr relevant sein werden und unter dem Aspekt der Digitalisierung hybride Lehr-Lernkonzepte enorm an Bedeutung gewinnen werden. Damit einhergehend ergibt sich für alle Beteiligten des Schulsystems eine neue Dynamik in der Schul- und Unterrichtsentwicklung verbunden mit neuen Herausforderungen, z.B.: die Anpassung an flexible Unterrichtsformen und die Sicherstellung des bestmöglichen Lehr-Lernerfolgs. Vor diesem Hintergrund nimmt auch die Lehrperson veränderte und völlig neue Rollen ein. Konzeption und Aufbereitung der Inhalte müssen besonders durchdacht und geplant werden, um für SchülerInnen zu Hause klar und verständlich zu sein. Im Zuge der coronabedingten Schulschließungen ist vor allem das Blended Learning als Unterrichtskonzept verstärkt in den Fokus gerückt. Doch dieses Konzept ist keineswegs neu – im Gegenteil, es wird teils schon seit einiger Zeit sowohl in der Hochschullehre als auch vereinzelt im schulischen Unterricht eingesetzt. Bei dieser Form des – wörtlich übersetzten – „vermischten Lernens“ werden digitale und klassische (analoge) 1 The Forbes Magazine (2020), [online]. 2 Vgl. Hrastinski (2019), 565. 1
Bausteine zu einem effektiven formellen Lernszenario kombiniert, um die Vorteile der jeweiligen Lernform einzubringen und die Nachteile der jeweils anderen Lernform zu kompensieren. Auf diese Weise können Lernende zeit- und ortsunabhängig lernen, wobei natürlich die Rahmenbedingungen, also der Wechsel von der eher fremdgesteuerten Präsenzphase und der weitestgehend selbstgesteuerten Online-Phase, von der Lehrperson vorgegeben werden.3 Die bis dato übliche (frontale) Wissensvermittlung wird ausgelagert, sodass während der Unterrichtszeit vorrangig das Gelernte aus den Online-Phasen bei Übungen angewendet, vertieft und reflektiert wird.4 Somit ergibt sich ein neuer Ansatz des Lehrens und Lernens mit neuen Freiheiten und Impulsen für die Unterrichtsentwicklung. Auch unter dem Aspekt des zunehmenden Rufs nach individueller Förderung und Unterstützung der Lernenden gewinnt das Blended Learning-Konzept vermehrt an Bedeutung.5 Mit der konkreten Umsetzung eines Blended Learning-Konzepts sind allerdings nicht nur neue Möglichkeiten und Chancen für Lehrende und Lernende verbunden, sondern es gilt gleichzeitig auch Restriktionen zu kennen und Herausforderungen zu bewältigen. So muss beispielsweise seitens der Lehrkraft ein didaktisches Gesamtkonzept entwickelt werden, um mit der Anwendung des Blended Learning auch tatsächlich die definierten Lernziele erreichen zu können. Anhand des zuvor dargestellten Themenaufrisses soll verdeutlicht werden, dass sich unter dem Aspekt der Digitalisierung neue dynamische, flexiblere und womöglich wirkungsvollere Unterrichtsansätze anbieten, die den Bildungsbereich auf positive Weise bereichern könnten. Das Blended Learning ist ein solches Konzept. Wo die Potenziale und Herausforderungen dieses Unterrichtskonzeptes liegen und wie ein solches Blended Learning-Konzept konkret aussehen kann, gilt es zu klären – und das bildet die grundlegende Motivation zur Verfassung dieser Masterarbeit. 1.1 Forschungsfrage und Zielsetzung Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen der vorliegenden Masterarbeit folgende Forschungsfrage beantwortet werden: Welche Potenziale und Herausforderungen bietet das Konzept des Blended Learning und wie könnte ein konkretes Konzept im Rechnungswesenunterricht zum Thema Bilanzanalyse aussehen? 3 Vgl. Erpenbeck/Sauter/Sauter (2015), 29. 4 Vgl. Ebel et al. (2015), 3. 5 Vgl. Capone/De Caterina/Mazza (2017), 10478. 2
Ziel der Masterarbeit ist es, das Konzept des Blended Learning genauer unter die Lupe zu nehmen. Dazu sollen seine Potenziale und Chancen aufgezeigt und mögliche Herausforderungen verdeutlicht werden. Außerdem soll veranschaulicht werden, wie die Phasen eines Blended Learning-Konzepts aussehen, welche Einschränkungen sich ergeben und welche Vorarbeiten seitens der Lehrkraft zu erfolgen haben. Dazu soll anhand eines ausgewählten Themas ein Blended Learning-Konzept entwickelt werden. Für die vorliegende Masterarbeit bildet das Themengebiet Bilanzanalyse die Grundlage, welches laut HAK Lehrplan 2014 an Handelsakademien im fünften Jahrgang im Rechnungswesenunterricht behandelt wird. Ausschlaggebend für die Themenwahl Bilanzanalyse ist sowohl die zunehmende Bedeutung in der Praxis als auch der stärkere Fokus darauf im Rechnungswesenunterricht an Handelsakademien im Vergleich mit anderen Schularten. Zudem ist das Blended Learning für Lernende höherer Jahrgänge besser geeignet, da hier auch ein größeres Maß an Selbstständigkeit und Eigenverantwortung vorausgesetzt werden kann. Die Basis für die geplante Entwicklung des Blended Learning-Konzepts soll eine Analyse bestehender Unterrichtsmaterialien zum Thema Bilanzanalyse bilden. Denn im Zuge der Digitalisierung des Bildungssektors ist in den vergangenen Jahren bereits eine Vielzahl an unterschiedlichen Online-Plattformen (LMS, Moodle) und Online-Tools (Lernvideos) entstanden, die sowohl für Lernende als auch Lehrende eine umfangreiche Sammlung an Hilfsmitteln und Materialien zu diversen Unterrichtsthemen anbietet. Dazu soll für die vorliegende Masterarbeit untersucht werden, wie die Inhalte zum Thema Bilanzanalyse in Schulbüchern und E-Materialien aufgebaut und behandelt werden und in welchem Ausmaß auf bereits bestehende Lernmaterialien zu diesem Thema für ein Blended Learning-Konzept zurückgegriffen werden kann. Schließlich sollen mittels der Konzeption einer exemplarischen Unterrichtssequenz die Potenziale und Herausforderungen des Blended Learning ausgearbeitet und eine Möglichkeit zur Umsetzung für den Rechnungswesenunterricht an Handelsakademien aufgezeigt werden. 3
1.2 Disposition Zu Beginn der Mastarbeit erfolgt in Kapitel 1 eine Einführung in die Thematik der vorliegenden Masterarbeit. Im Zuge dessen werden die Problemstellung und die damit verbundene Relevanz des Themas dargestellt sowie die Motivation zur Verfassung der Masterarbeit aufgezeigt. Darauf aufbauend werden die Forschungsfrage und die daraus abgeleitete Zielsetzung erläutert sowie die Gliederung der Masterarbeit demonstriert. In Kapitel 2 wird Blended Learning vorgestellt. Dazu werden zunächst die Begriffe E- Learning und Präsenzunterricht erläutert, welche letztlich die Grundlage für das Blended Learning bilden. In diesem Zusammenhang sollen die unterschiedlichen didaktischen Ansätze des Blended Learning verdeutlicht werden, wobei allen voran das Konzept des Flipped Classroom näher beleuchtet wird. Außerdem wird aufgezeigt, welche Potenziale und Chancen dieses Konzept für Lehrende und Lernende bietet, aber auch welche Herausforderungen und Einschränkungen mit dem Blended Learning im schulischen Kontext verbunden sind. Anschließend wird das Thema Bilanzanalyse im Rechnungswesenunterricht in Kapitel 3 näher beleuchtet. Dazu soll zunächst die Relevanz dieses Themas für Praxis und Schule sowie die Verankerung im HAK Lehrplan 2014 dargestellt werden. Zudem erfolgt eine Analyse bereits bestehender Unterrichtsmaterialien zum Thema Bilanzanalyse als Basis für die Konzeption des Blended Learning-Konzepts in Kapitel 4. Vor diesem Hintergrund wird untersucht, welche bestehende Materialien zur Bilanzanalyse vorliegen und inwiefern diese für ein Blended Learning-Konzept einsetzbar sind. Das Hauptaugenmerk in Kapitel 4 liegt auf der Planung und Gestaltung eines konkreten Blended Learning-Konzepts zum Thema Bilanzanalyse für den Rechnungswesen- unterricht in Handelsakademien. Dazu werden die in Kapitel 2 und 3 dargestellten theoretischen Grundlagen herangezogen, wobei ein breiter Raum den erforderlichen Vorarbeiten der Lehrkraft für die Gestaltung und Durchführung des Blended Learning gewidmet wird. Anschließend wird exemplarisch demonstriert, wie die Online- und Präsenzphasen für den fünften Jahrgang konkret gestaltet werden könnten. Kapitel 5 bildet den Abschluss der Masterarbeit. Es werden die bedeutendsten Inhalte und Ergebnisse zusammengefasst, um die eingangs gestellte Forschungsfrage zu beantworten. 4
2 Blended Learning – ein Mix aus Präsenzlehre und E- Learning Die rasante Entwicklung digitaler und technologischer Anwendungen hat die Bildungswelt in den letzten Jahrzehnten massiv verändert und damit auch das Lehren und Lernen revolutioniert. Mit der Einführung des World Wide Web sind zunächst Konzepte wie Online-Lehre und E-Learning entstanden, die zu Beginn eher verstärkt im Bereich der Hochschulbildung Anwendung fanden.6 Mittlerweile hat sich E-Learning sowohl unter inhaltlichen als auch technischen Gesichtspunkten kontinuierlich weiterentwickelt und wird quer über alle Bildungsbereiche eingesetzt.7 Allen voran die permanente Weiterentwicklung der Computertechnologie sowie die rasante Netznutzung liefern die technische Grundlage für unterschiedliche Ausprägungsformen des E-Learning, darunter auch für das Konzept des Blended Learning.8 Im Rahmen dieses Kapitels werden die theoretischen Grundlagen des Blended Learning näher beleuchtet. Da es sich bei Blended Learning um eine Mischung aus Präsenzlehre und E-Learning handelt, werden zunächst die beiden Begriffe voneinander abgegrenzt und definiert. Anschließend daran erfolgt eine genauere Analyse des Blended Learning. 2.1 Begriff des Präsenzunterrichts Das Face-to-Face-Learning beschreibt den traditionellen Präsenzunterricht im Klassenzimmer. Dabei treffen sich Lernende und Lehrende an einem bestimmten Ort, um einzelne Themeninhalte gemeinsam zu erarbeiten.9 Die Wissensvermittlung findet mittels unterschiedlicher Methoden (Frontalunterricht, Einzel-, PartnerInnen- oder Gruppenarbeiten), Aktivitätsgraden sowie unterschiedlicher Nutzung von Medien statt. Im Gegensatz zum E-Learning dominiert beim Präsenzunterricht die Interaktion und Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden. So können die Teilnehmenden direkt in einen Dialog treten, spontan auf Aussagen anderer reagieren und sich sofort verbales und nonverbales Feedback einholen.10 Die soziale Interaktion und Kommunikation schafft somit eine Vertrauensbasis, die in weiterer Folge als entscheidender Faktor für den Lernerfolg gilt. In diesem Zusammenhang spricht sich Banna (2014) dahingehend für den Präsenzunterricht aus, da nur dort die Beziehung zwischen Lehrperson und den Lernenden im bestmöglichen Ausmaß gefördert wird. 6 Vgl. Baumgartner/Häfele/Häfele (2002), 4–6. 7 Vgl. Revermann/Georgieff/Kimpeler (2007), 21. 8 Vgl. Revermann/Georgieff/Kimpeler (2007), 34. 9 Vgl. Erpenbeck/Sauter/Sauter (2015), 63. 10 Vgl. Kraft (2003), 45. 5
Verglichen damit geht beim E-Learning durch die zeitliche und räumliche Distanz die persönliche Betreuung verloren.11 Kraft (2013) untermauert diese Behauptung durch eine Befragung zum Thema Präsenzveranstaltungen. Bei dieser Untersuchung zeigte sich, dass für rund 80% der Befragten die direkte Kommunikation im Präsenzunterricht einen hohen Stellenwert einnimmt und einen wichtigen Beitrag zum Lernerfolg liefert. Neben dem persönlichen Austausch wird im Zuge der direkten Kommunikation aber auch die Möglichkeit zur gemeinsamen Reflexion und zur Klärung offener Fragen eingeräumt, was sich letztlich auch positiv auf die Motivation der Lernenden auswirkt. Folgende Punkte sind beim E-Learning zu beachten, weil sie Stärken des Präsenzunterrichts repräsentieren: • Förderung des kollaborativen Lernens mithilfe von Gruppenarbeiten, • Unterstützung der Online-Kommunikation durch gegenseitiges Kennenlernen, • Einführung in das E-Learning durch Hilfestellungen in der Präsenzphase und • Aufrechterhaltung der Motivation durch Erfahrungsaustausch und Reflexion.12 Hinsichtlich der Begriffsabgrenzung wird E-Learning je nach Ausgestaltungsform unterschiedlich definiert. Diese verschiedenen Auffassungen werden in weiterer Folge kurz erläutert. 2.2 Begriff des E-Learning Seit Mitte der 1990er Jahre ist der Begriff E-Learning fester Bestandteil in der weltweiten Lehr-Lernlandschaft. Durch die rasante Weiterentwicklung der Computer- und Internettechnologien hat sich allerdings das Verständnis von E-Learning stetig verändert.13 Zum Zeitpunkt des Auftretens von E-Learning wurde darunter zunächst das Lehren und Lernen unter dem Einsatz elektronischer Hilfsmittel aus dem Offline- Bereich wie CD-Roms, Fernseher oder Videobänder verstanden.14 Im Zuge der Einführung des Internets Ende der 1990er Jahre wird der Begriff nach Dichanz/Ernst (2002) auf den Online-Bereich ausgeweitet, sodass es sich bei E-Learning um ein computer- und netzbasiertes Lehren und Lernen handelt.15 Bis dato ist aus der Literatur keine allgemein gültige Definition für E-Learning abzuleiten, da je nach Ausprägung der Begriff unterschiedlich weit zu fassen ist. Baumgartner/Häfele/Häfele (2002) sehen 11 Vgl. Banna (2014), [online]. 12 Vgl. Kraft (2003), 49. 13 Vgl. Erpenbeck/Sauter/Sauter (2015), 5. 14 Vgl. Reverman/Georgieff/Kimpeler (2007), 25. 15 Vgl. Dichanz/Ernst (2002), 43–46. 6
E-Learning als übergeordneten Begriff für alle Arten von softwareunterstütztem Lernen und rücken damit stärker die Software in den Vordergrund und weniger das technische Gerät, wie dies bei Dichanz/Ernst (2002) der Fall ist. Dementsprechend können auch andere technische Geräte wie Smartphones oder Tablets als Lehr-Lernmedium herangezogen werden.16 In einer Studie der Uni Rostock zum Thema E-Learning argumentieren die AutorInnen dahingehend, dass unter E-Learning alle Lehr- Lernprozesse zu verstehen sind, die in die digitale Umgebung eingebettet werden.17 Demgegenüber setzen Rosenberg (2001) sowie Erpenbeck/Sauter/Sauter (2015) für das E-Learning zwingend die Notwendigkeit des Internets voraus.18 Nach Rohlfing (2002) wird beim E-Learning Wissen und/oder Know-how entweder übers Internet oder mithilfe elektronischer Medien verbreitet, welches sich an einen begrenzten Lernendenkreis richtet.19 Ausgehend von diesen unterschiedlichen Definitionen, ist E-Learning im Grunde nach als Erweiterung von Lehr- und Lernmöglichkeiten unter dem Einsatz digitaler Medien zu sehen. Dabei geht es primär nicht um eine reine Informations- und Wissensvermittlung, sondern auch um die Möglichkeit zur Kommunikation und Kooperation mit unterschiedlichen Medien im Rahmen des Unterrichts.20 Der Einsatz von E-Learning im schulischen Lehr-Lernprozess bietet laut Kraft (2003) folgende Potenziale und Möglichkeiten: • Schaffung neuer Kommunikationswege über Foren und Chats, • Steigerung des selbstgesteuerten Lernens und der Individualisierung durch unterschiedliche Angebote für Lernende, • zeitliche und räumliche Flexibilisierung und • Bereitstellung vielfältiger Lernressourcen (z.B. Datenbanken oder Statistiken).21 Ergänzend dazu zählen laut Magnus (2001) die multimediale Gestaltung von Lehr- Lerninhalten in Form von Texten, Bildern oder Audio- und Videosequenzen ebenso zu den großen Vorteilen des E-Learning.22 Insbesondere die zeitliche und räumliche 16 Vgl. Baumgartner/Häfele/Häfele (2002), 4–6 und Dichanz/Ernst (2002), 43–46. 17 Vgl. Tavangarian et al. (2004), 274. 18 Vgl. Erpenbeck/Sauter/Sauter (2015), 3 und Rosenberg (2001), 28. 19 Vgl. Rohlfing (2002), 279. 20 Vgl. Revermann/Georgieff/Kimpeler (2007), 23. 21 Vgl. Kraft (2003), 44. 22 Vgl. Magnus (2001), 17. 7
Flexibilität sowie die hohe Selbstständigkeit der Lernenden stellen zugleich den größten Unterschied zum Präsenzunterricht dar.23 In der Literatur24 wird zwischen mehreren Entwicklungsstufen des E-Learning unterschieden. Die drei wichtigsten werden in den nachfolgenden Teilkapiteln beleuchtet. 2.2.1 Computer-Based Training Im Rahmen des schulischen Unterrichts wurde in den 1990er Jahren E-Learning zunächst in Form des Computer-Based Training (CBT) eingesetzt. Bei dieser frühen Ausprägungsform des E-Learning werden die Lerninhalte digital über Datenträger wie beispielsweise CD-Rom oder DVD für die Lernenden aufbereitet. 25 Die Übungsprogramme laufen computerunterstützt offline und können jederzeit von den Lernenden orts- und zeitunabhängig sowie im eigenen Lerntempo eingesetzt werden, da bei dieser E-Learning-Variante keine Internetanbindung erforderlich ist.26 Die Interaktion erfolgt allerdings rein in Form von standardisierten Kontrollfragen und vordefiniertem Feedback, sodass hier keine Möglichkeit zur Kommunikation gegeben ist. Als zusätzliche Einschränkung des CBT ist an dieser Stelle der mangelnde Aktualitätsbezug anzumerken, bei dem es der Lehrkraft nicht möglich ist, zusätzlich Fragen, Inhalte oder passende Themen zu ergänzen.27 Die Wissensvermittlung und Bereitstellung übernimmt bei dieser E-Learning-Form der Computer, der die Lernenden etappenweise durch die vordefinierten Lerninhalte führt.28 Das Computer-Based Training als älteste Ausprägungsform des E-Learning erfordert von den Lernenden ein hohes Maß an Selbstständigkeit. Um die Motivation der Lernenden aufgrund der starren Aufgaben und Inhalte aufrechtzuerhalten, wird diese Lernform im schulischen Unterricht oft nur in einzelnen Sequenzen eingesetzt.29 2.2.2 Web-Based Training Mit der Verbreitung des Internets Anfang der 2000er Jahre wurde zugleich die technische Grundlage für die Weiterentwicklung des E-Learning vom Computer-Based Training zum Web-Based Training (WBT) geschaffen. Damit müssen Lerninhalte nicht 23 Vgl. Erpenbeck/Sauter/Sauter (2015), 63. 24 Vgl. Sauter/Sauter/Bender (2004), Revermann/Georgieff/Kimpeler (2007) und Erpenbeck/Sauter/Sauter (2015). 25 Vgl. Sauter/Sauter/Bender (2004), 20. 26 Vgl. Dittler (2017), 23. 27 Vgl. Kuhlmann/Sauter (2008), 73. 28 Vgl. Revermann/Georgieff/Kimpeler (2007), 26. 29 Vgl. Sauter/Sauter/Bender (2004), 114 und Kuhlmann/Sauter (2008), 73. 8
mehr ausschließlich über Datenträger verbreitet, sondern können fortan über web- basierte Lernplattformen abgerufen werden.30 Beim Web-Based Training werden die Lerninhalte und -programme in eine web-basierte Lernumgebung eingebettet und sind jederzeit zeit- und ortsunabhängig über einen Webbrowser abrufbar.31 Dadurch ergibt sich für die Lehrkraft die Möglichkeit, Inhalte einfach und schnell zu aktualisieren und mit den Lernenden über Anwendungen wie E-Mail, Chat oder Foren in Kontakt zu treten.32 Auf diese Weise wird ein didaktischer Mehrwert geschaffen, da sich neue Möglichkeiten bei der Kommunikation und Kooperation zwischen Lehrkraft und Lernenden ergeben. Die Lehrperson ist im Zuge des Web-Based Training in der Lage, die Lernenden während der selbstverantwortlichen Lernphasen zu unterstützen und bei Fragen als Coach zu fungieren.33 Zugleich zur Kommunikation mit der Lehrkraft fördert das Web-Based Training durch den Einsatz unterschiedlicher Kommunikationstools auch den Austausch mit anderen Lernenden. Somit kann neben dem selbstgesteuerten Lernen auch das kooperative und kollaborative Lernen gestärkt werden, indem Lernende miteinander kommunizieren, Erfahrungen austauschen, neues Wissen gemeinsam schaffen und so voneinander lernen.34 Folglich ist beim Web-Based Training nicht mehr von einem isolierten Lehr-Lernsetting zu sprechen wie beim Computer-Based Training, sondern von einem integrativen Modell mit vielen Vernetzungsmöglichkeiten.35 Neben dem Computer-Based Training und dem Web-Based Training stellt Blended Learning eine weitere Ausprägungsform des E-Learning dar. Da für die vorliegende Masterarbeit Blended Learning die Ausgangsgrundlage bildet, wird diese Form nun in weiterer Folge näher betrachtet und analysiert. 2.2.3 Blended Learning Trotz der erfolgreichen Implementierung und Anwendung unterschiedlicher E- Learning-Varianten im Bildungsbereich und der damit verbundenen Orts- und Zeitunabhängigkeit, wurde mit der Zeit der Ruf nach einer neuen Lernkultur immer lauter. Ausschlaggebend dafür waren neben den unterschätzten Kosten für die Entwicklung der Online-Lernangebote auch die Tatsache, dass reines E-Learning auf Dauer nicht haltbar ist. Ziel war es nun, die Stärken der Präsenzlehre und des E- 30 Vgl. Dittler (2017), 23. 31 Vgl. Erpenbeck/Sauter/Sauter (2015), 6. 32 Vgl. Revermann/Georgieff/Kimpeler (2007), 27. 33 Vgl. Dittler (2017), 23–24. 34 Vgl. Petko (2010), 10–11. 35 Vgl. Sauter/Sauter/Bender (2004), 20. 9
Learning zu kombinieren, indem selbstständige Arbeitsphasen und traditionelle Elemente sinnvoll miteinander verknüpft werden.36 Vor diesem Hintergrund haben zahlreiche Studien das Konzept des Blended Learning zu einem aufstrebenden Forschungsfeld vorangetrieben. Aus diesem Grund ist es auch nicht verwunderlich, dass sich angesichts des breiten Spektrums an vorhandenen Ergebnissen und der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten des Blended Learning mehrere unterschiedliche Definitionen und Bezeichnungen etabliert haben.37 Beispielsweise sehen Oliver/Trigwell (2005) grundsätzlich jede Kombination von zwei oder mehreren Lernformen als Blended Learning an.38 Driscoll (2002) argumentiert dahingehend, dass Blended Learning verschiedene web-basierte Technologien mit klassischen Unterrichtselementen vermischt.39 Demgegenüber kann Blended Learning laut Allen/Seaman (2003) als eine Variante der Online-Lehre betrachtet werden, bei der 30% – 80% der Inhalte in einem Online-Format aufbereitet werden.40 Ungeachtet dieser unterschiedlichen Begriffsauslegungen, haben sich vor allem zwei wesentliche Definitionen durchgesetzt: Graham (2006) definiert Blended Learning als Kombination von Präsenzunterricht und computerunterstützten Lernmethoden und legt dahingehend dieses Unterrichtskonzept breiter an.41 Demgegenüber beschreiben Garrison/Kanuka (2004) Blended Learning wie folgt: “Blended learning is both simple and complex. At its simplest, blended learning is the thoughtful integration of classroom face-to-face learning experiences with online learning experiences. There is considerable intuitive appeal to the concept of integrating the strengths of synchronous (face-to-face) and asynchronous (text-based internet) learning activities. At the same time, there is considerable complexity in its implementation with the challenge of virtually limitless design possibilities and applicability to so many contexts.”42 Obwohl die Diskussion um eine einheitliche Definition für Blended Learning noch offen ist, gibt es doch bei allen Ausführungen erkennbare Gemeinsamkeiten. So wird Blended Learning als eine Mischung des traditionellen Face-to-Face-Unterrichts mit Online-Elementen verstanden, bei welcher die Teilnehmenden manchmal physisch 36 Vgl. Petko (2010), 11. 37 Vgl. Pilotto (2020), 66. 38 Vgl. Oliver/Trigwell (2005), 18–21. 39 Vgl. Driscoll (2002), 1. 40 Vgl. Allen/Seaman (2003), 6. 41 Vgl. Graham (2006), 3–5. 42 Garrison/Kanuka (2004), 96. 10
voneinander getrennt sind.43 Dabei baut das Konzept des Blended Learning darauf auf, Stärken des Face-to-Face-Unterrichts und des E-Learning so zusammen zu führen, dass die Vorteile der jeweiligen Lernform eingebracht und die Nachteile der jeweils anderen Lernform kompensiert werden. Dies lässt sich wie folgt abbilden: Abbildung 1: Blended Learning als Mix aus Präsenz und E-Learning44 Demzufolge ist Blended Learning eine Kombination aus zwei Lernumgebungen: des traditionellen Face-to-Face-Settings bzw. Präsenzunterrichts und des E-Learning.45 Charakteristisch für das Blended Learning – verglichen mit anderen Unterrichtsformen – ist somit die integrative Mischung aus synchronem und asynchronem Lernen.46 Beim synchronem Lernen können Lernende direkt mit der Lehrperson in Kontakt treten und kommunizieren, während der Vorteil des asynchronen Lernens darin liegt, dass die Lernenden ihr Tempo selbst bestimmen und die Lehrkraft individuell auf Probleme und Fragen reagieren kann.47 Primäres Ziel des Blended Learning oder hybriden Lernens ist die Optimierung von Lernprozessen zur Erreichung individueller Lernziele unter Einsatz unterschiedlicher Lehr-Lernmethoden.48 Die zunehmende Bedeutung dieses Unterrichtkonzepts wird auch im Rahmen einer Trendstudie der Medien und Kompetenzforschung, dem MMB Learning Delphi 2014 deutlich, bei der regelmäßig E-Learning-ExpertInnen zu Trends im digitalen Lernen befragt werden. Dabei sollen die Teilnehmenden einschätzen, ob die genannten 43 Vgl. Skrypnyk et al. (2015), 62. 44 Eigene Darstellung. 45 Vgl. Graham (2006), 3–5. 46 Vgl. Garrison/Kanuka (2004), 96. 47 Vgl. Schulmeister (2009), [online]. 48 Vgl. Rothmeier-Reinmann (2003), 30. 11
Lernformen, Anwendungen und Technologien künftig eine eher hohe oder geringe Bedeutung für das Lernen einnehmen werden. Laut Studie sehen rund 99% der Befragten vor allem Blended Learning als wichtigste Lernform an, gefolgt von virtuellen Klassenräumen und mobilen Apps.49 2.3 Modelle und Ansätze des Blended Learning Im Laufe der Jahre sind unterschiedliche Ansätze und Modelle für die Gestaltung von Blended Learning entstanden. In diesem Kapitel werden exemplarisch einige didaktische Konzepte vorgestellt und deren Bedeutung im schulischen Unterricht aufgezeigt. 2.3.1 5-Stufen-Modell von Salmon Gilly Salmon beschreibt in ihrem 5-Stufen-Modell einen strukturierten mehrstufigen Prozess für das Lehren und Lernen im Online-Modus. Das Modell zeigt für jede Phase auf, welche Anforderungen an die Lernenden gestellt werden und welche Betreuungsaufgaben von der Lehrkraft zu erbringen sind. Primäres Ziel des 5-Stufen- Modells ist das gemeinsame aktive Lernen und eine Verbesserung der Interaktion und Kommunikation aller Beteiligten.50 Das 5-Stufen-Modell des Blended Learning nach Salmon sieht folgendermaßen aus: Abbildung 2: Blended Learning-Modell nach Salmon51 49 Vgl. MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung (2014), 5. 50 Vgl. Salmon (o.J.), [online]. 51 Abbildung: Salmon (o.J.), [online]. 12
Stufe 1: Zugang und Motivation Im Rahmen der ersten Stufe gilt es für die Lernenden einen schnellen, einfachen und problemlosen Zugang zur Lernplattformen bzw. zu anderen Tools herzustellen. Dies erfolgt aufgrund der Tatsache, dass auch in Zeiten mobiler Geräte und sozialer Netzwerke nicht immer davon auszugehen ist, dass die Lernenden über ausreichende Erfahrungen im Online-Lernen oder der Nutzung von Lernplattformen verfügen.52 Ebenso muss die Lehrkraft dafür sorgen, dass die Motivation gefördert, der Austausch angeregt sowie die Diskussion belebt wird.53 Gerade in der ersten Phase sollen die Lernenden unter kontrollierten Bedingungen Fehler machen dürfen, um daraus Selbstvertrauen für die weiteren Phasen zu schöpfen.54 Stufe 2: Online-Sozialisation In der zweiten Phase im Modell sollen sich die Teilnehmenden kennenlernen und durch gemeinsame Übungen Vertrauen zueinander aufbauen.55 Im schulischen Unterricht bieten sich an dieser Stelle u.a. Aufgaben an, bei denen die Lernenden direkt miteinander kommunizieren und in Foren gegenseitig Beiträge kommentieren. Zusätzlich muss die Lehrkraft in dieser Phase der Online-Sozialisation Regeln für den gemeinsamen Online-Unterricht aufstellen, wobei hier insbesondere Themen wie Pünktlichkeit, Abgabefristen und Feedbackregeln festzulegen sind.56 Stufe 3: Informationsaustausch Im Anschluss an die Kennenlernphase (Stufe 1 und Stufe 2) beginnt die inhaltliche Arbeit und die Auseinandersetzung mit kursrelevanten Themen.57 Die Lehrkraft versorgt die Teilnehmenden in dieser Phase mit geeigneten Lernmedien sowie -materialien und stellt zusätzliche Informationsquellen zur Verfügung. Für den schulischen Unterricht können in dieser Phase asynchrone Mittel wie Foren, Chats oder Wikis eingesetzt werden. Dadurch ergibt sich für die Lernenden gegenüber dem Präsenzunterricht der Vorteil, ihr individuelles Bearbeitungstempo zu wählen und unabhängig von den übrigen Teilnehmenden die Aufgaben zu erledigen.58 Zudem 52 Vgl. Schäffer/Osterhagen (2016), 7. 53 Vgl. Salmon (o.J.), [online]. 54 Vgl. Klante/Gundermann (o.J.), 3. 55 Vgl. Pilotto (2020), 71. 56 Vgl. Klante/Gundermann (o.J.), 3. 57 Vgl. Schäffer/Osterhagen (2016), 8. 58 Vgl. Klante/Gundermann (o.J.), 3. 13
können sich die Beteiligten untereinander austauschen, Informationen sowie erworbenes Wissen teilen und gegenseitig mit Tipps zur Bearbeitung bestimmter Aufgaben helfen.59 Stufe 4: Wissenskonstruktion In der vierten Phase diskutieren die Lernenden bereits intensiv miteinander, sodass aus verschiedenen Blickwinkeln letztlich gemeinsame Ideen und Ziele entwickelt werden können. Primäres Ziel dieser Stufe ist die gemeinsame Konstruktion von Wissen. Dazu können Werkzeuge eingesetzt werden, die kooperatives und kollaboratives Arbeiten fördern, wie beispielsweise Mind-Mapping Tools, Etherpad60 oder auch Gruppentreffen über Microsoft-Teams.61 Um den Prozess der Wissenskonstruktion zu fördern, sind laut Maresch (2008) folgende Schlüsselelemente zu beachten: • zeitnahe und schnelle Beantwortung offener Fragen und Beiträge der Lernenden, • unbegrenzter Zugang zu allen Postings und Beiträgen sicherstellen sowie • respektvollen Umgang in der virtuellen Lerngruppe forcieren.62 Stufe 5: Weiterentwicklung In der fünften und letzten Phase im Modell nach Salmon agiert die Lerngruppe bereits selbstständig und übernimmt zugleich die Verantwortung für den eigenen Lernprozess, während die Aktivität der Lehrkraft weitestgehend abnimmt.63 Im schulischen Unterricht bietet sich hier die Möglichkeit, die geschaffenen Ergebnisse im Rahmen von Abschlusspräsentationen oder themenbezogenen Events den übrigen Teilnehmenden zu präsentieren.64 Im Zuge des Online-Lernens sollen die Lernenden auch ihre gewonnenen Erkenntnisse des Lernprozesses reflektieren und sich Gedanken zu ihren Lerngewohnheiten machen. Die Lehrkraft kann dazu den Teilnehmenden Leitfragen bereitstellen, die das Bewusstsein für den eigenen Lernstil stärken, sodass sinnvolle Lernstrategien für das künftige Lernen abgeleitet werden können.65 59 Vgl. Schäffer/Osterhagen (2016), 8. 60 Mit Etherpad können mehrere Beteiligte gleichzeitig ein Dokument bearbeiten, wobei etwaige Änderungen sofort bei allen Teilnehmenden ersichtlich werden. 61 Vgl. Klante/Gundermann (o.J.), 4. 62 Vgl. Maresch (2008), 71. 63 Vgl. Schäffer/Osterhagen (2016), 16. 64 Vgl. Klante/Gundermann (o.J.), 5. 65 Vgl. Schäffer/Osterhagen (2016), 16 und Klante/Gundermann (o.J.), 5. 14
2.3.2 Blended Learning-Konzept von Maresch Maresch (2008) zeigt den Verlauf eines vierstufigen Blended Learning-Konzepts für den schulischen Unterricht auf, wobei sich dieser wie folgt darstellen lässt: Abbildung 3: Blended Learning-Konzept von Maresch66 Das Blended Learning-Konzept nach Maresch startet mit einer Inputphase (Stufe 1) zu einem ausgewählten Themenfeld im Rahmen einer Präsenzeinheit. Ergänzend dazu stellt die Lehrperson geeignete Materialien auf der entsprechenden Lernplattform zur Verfügung, sodass die SchülerInnen auf Dokumente, Beispiele oder Präsentationen zugreifen können. Die Einführung in das Thema soll den Lernenden einen guten ersten Einblick in die Thematik geben, damit das anschließende Üben (Stufe 2) möglich ist. Aufbauend auf den Impulsvortrag sollen die Lernenden nun komplexe Aufgaben zum Thema bearbeiten und lösen. Dies kann entweder in Einzelarbeit oder aber auch in PartnerInnen- oder Gruppenarbeit erfolgen, wobei verschiedene Kommunikationstools auf der Lernplattform zur Verfügung stehen. Die Lehrkraft fungiert vermehrt als Coach, leitet bei Unklarheiten oder offenen Fragen zum Thema an und steht den Lernenden unterstützend zur Seite.67 In weiterer Folge wenden die Lernenden das erworbene 66 Abbildung: Maresch (2008), 67. 67 Vgl. Maresch (2008), 68. 15
Wissen aus Stufe 1 und Stufe 2 eigenständig an, wobei die Lehrkraft bei den Aufgabenstellungen eine Vernetzung mit Inhalten aus anderen Unterrichtsfächern gewährleisten soll. Die Hilfestellungen und Anweisungen der Lehrperson werden auf das Minimum reduziert, da sich die Teilnehmenden in dieser dritten Stufe bereits intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben und Fragen kaum noch auftreten. Dies ist größtenteils darauf zurückzuführen, dass die Lernplattform durch etwaige Gruppenfunktionen, Chats und Foren viele Möglichkeiten für den Austausch und die Kooperation untereinander bereitstellt. Die SchülerInnen können die ihnen zur Verfügung stehenden Tools optimal nutzen, um sich auszutauschen und bei Unklarheiten gemeinsame Lösungen zu finden.68 In der letzten Stufe sollen die erarbeiteten Ergebnisse aus Stufe 2 und Stufe 3 den übrigen Teilnehmenden sowie der Lehrkraft präsentiert werden. Gleichzeitig soll die Selbstreflexion angeregt und gefördert werden, sodass sich Gewinne für künftige Lernsettings ergeben.69 2.3.3 Blended Learning-Ansätze nach Christensen/Staker/Horn Wie bereits in Kapitel 2.2.3 erläutert, haben sich im Laufe der Jahre je nach Ausgestaltungsform unterschiedliche Definitionen für Blended Learning etabliert. Daran anknüpfend argumentieren Christensen/Staker/Horn (2013), dass vor allem im primären und sekundären Schulbereich folgende vier Blended Learning-Konzepte eine entscheidende Rolle einnehmen:70 Rotationsmodell Flex-Modell A La Carte-Modell virtuelles Modell Tabelle 1: Blended Learning-Konzepte nach Christensen/Staker/Horn71 Rotationsmodell Im Rahmen dieses Blended Learning-Konzepts arbeiten sich die Lernenden nach einem von der Lehrkraft definierten festen Zeitplan durch unterschiedliche Lernstationen zu einem bestimmten Themenfeld, wobei davon zumindest eine Einheit online absolviert wird.72 Dieser Ansatz bietet im schulischen Bereich den Vorteil, dass den Lernenden ein gewisses Maß an Kontrolle über das eigene Lernen eingeräumt wird, da Tempo und Herangehensweise individuell gestaltbar sind. Die Lehrkraft hingegen kann durch dieses 68 Vgl. Maresch (2008), 70. 69 Vgl. Maresch (2008), 71. 70 Vgl. Christensen/Staker/Horn (2013), 26. 71 Eigene Darstellung. 72 Vgl. Christensen/Staker/Horn (2013), 26. 16
„Stationen-Lernen“ einen höheren Differenzierungsgrad erreichen als beim traditionellen Präsenzunterricht.73 Flex-Modell Im Gegensatz zum Rotationsmodell findet beim Flex-Modell der Unterricht hauptsächlich in einem flexiblen Online-Modus statt. Dabei stellt die Lehrperson sämtliche Lernmaterialien auf einer Lernplattform zur Verfügung, welche von den Lernenden zeit- und ortsunabhängig zur Bearbeitung verwendet werden können.74 Die Lehrperson selbst hält sich im Hintergrund und bietet bei Bedarf Unterstützung in Form von Kleingruppenunterricht, Gruppenprojekten oder individuellen Videokonferenzen an. Bei dieser Form des Blended Learning steht die Selbstverantwortung beim Lernen im Vordergrund, wobei der Erfolg dieses Ansatzes jedoch stark von der Motivation der Lernenden abhängt.75 A La Carte-Modell Das A La Carte-Modell bietet Lernenden die Möglichkeit zusätzlich zum Präsenzangebot auch Online-Kurse an anderen Bildungseinrichtungen zu besuchen. Dieser Blended Learning-Ansatz spielt im schulischen Unterricht kaum eine Rolle, sondern findet vermehrt Anwendung im Hochschulbereich sowie im Rahmen von Unternehmensschulungen.76 Virtuelles Modell Im Zuge des virtuellen Modells lernen die Teilnehmenden größtenteils online und müssen nur an bestimmten Tagen einen Präsenzunterricht besuchen. Dadurch können Lernende ihre Lernzeit flexibel und individuell gestalten, sodass Lernen aufgrund der vorhandenen Tools überall und jederzeit möglich ist. Während im angloamerikanischen Schulbereich dieses Blended Learning-Konzept an einigen Schulen zum Einsatz gelangt, ist diese Form im österreichischen Schulsystem bislang nur im Hochschulbereich anzutreffen.77 Eine beliebte und vielfach eingesetzte Ausprägungsform des Rotationsmodells ist der Flipped Classroom, welcher sich abwechselnd aus einer Präsenzphase sowie einer 73 Vgl. Blended Learning Universe (2019), [online]. 74 Vgl. Christensen/Staker/Horn (2013), 26. 75 Vgl. Hrastinski (2019), 566. 76 Vgl. Christensen/Staker/Horn (2013), 26. 77 Vgl. Blended Learning Universe (2019), [online]. 17
Online-Phase zusammensetzt.78 Bei Flipped Classroom handelt es sich um ein Blended Learning-Konzept mit unterschiedlichen Medien und Methoden unter Einsatz physischer und/oder virtueller Räume.79 Da für die vorliegende Mastarbeit vor allem der Flipped Classroom eine große Rolle einnimmt, wird dieser in weiterer Folge näher beleuchtet. 2.3.4 Flipped Classroom-Modell Der Ansatz des Flipped Classroom stammt ursprünglich aus den USA und könnte mit „umgekehrter Unterricht“ ins Deutsche übersetzt werden. Dabei bedeutet den Unterricht zu flippen nach Lage/Platt/Treglia (2000), dass “events that have traditionally taken place inside the classroom now take place outside the classroom and vice versa”80. Folglich handelt es sich um ein Unterrichtskonzept, bei welchem Input- und Übungsphase räumlich und zeitlich getauscht werden.81 In Fachliteratur und Praxis haben sich mittlerweile zahlreiche Ausformungen und Gestaltungsmöglichkeiten des Flipped Classroom ergeben, die auf unterschiedlichen Begriffsdefinitionen und Erklärungen basieren.82 Laut Bergmann/Sams (2012) wird beim Flipped Classroom das Lernen in zwei Phasen unterteilt, wobei die Phase der Wissensvermittlung in Präsenz mit der anschließenden Übungsphase zu Hause vertauscht bzw. „geflipped“ wird.83 Ziel ist es somit, die Präsenzzeit für das gemeinsame Üben, Vertiefen und Anwenden zu nutzen und die grundlegende Einführung in ein bestimmtes Themenfeld in der individuellen Selbstlernphase nach Hause zu verlagern.84 Im Gegensatz zum klassischen Unterricht, bei dem die Wissensvermittlung zunächst in der Präsenzphase stattfindet und erst dann das Üben und Vertiefen des Lernstoffs in der anschließenden Selbstlernphase erfolgt, werden beim „umgekehrten Unterricht“ die beiden grundlegenden Phasen miteinander getauscht.85 Der Ansatz des Flipped Classroom findet sowohl im Schul- als auch im Hochschulbereich seit geraumer Zeit vermehrt Anwendung und wird von unterschiedlichen Lehrenden als abwechslungsreiche didaktische Alternative propagiert.86 78 Vgl. Ott (2018), 183 und Christensen/Staker/Horn (2013), 26. 79 Vgl. Reinmann (2011), 7. 80 Lange/Platt/Treglia (2000), 32. 81 Vgl. Buchner/Schmid (o.J.), [online]. 82 Vgl. Bergmann/Sams (2012), Lange/Platt/Treglia (2000), Ebel et al. (2015) und Buchner/Schmid (o.J.), [online]. 83 Vgl. Bergmann/Sams (2012), 13. 84 Vgl. Zwickwolf/Kauffeld (2019), 46. 85 Vgl. Bergmann/Sams (2012), 13. 86 Vgl. Ebel et al. (2015), 5. 18
Der Flipped Classroom-Ansatz erlangte vor allem in den letzten Jahren durch die Pädagogen Bergmann/Sams zunehmende Aufmerksamkeit, die als Vorreiter in der Anwendung des Flipped Classroom gelten.87 Die beiden Amerikaner filmten ihre Unterrichtseinheiten und stellten die Videos mit den Inhalten anschließend für abwesende SchülerInnen zur Verfügung, damit diese als hilfreiche Lernunterstützung zu Hause herangezogen werden konnten. Es stellte sich heraus, dass die Aufbereitung und Vermittlung des Lehrstoffs mithilfe von Lernvideos mit großer Begeisterung angenommen wurde und die Unterrichtszeit im Klassenzimmer effektiver genutzt werden konnte.88 Bergmann/Sams (2012) stützen diese Erkenntnisse und den Erfolg des Flipped Classroom-Ansatzes auf folgende Beobachtung: “The time when students really need me physically present is when they get stuck and need my individual help. They don’t need me there in the room with them to yak at them and give them content; they can receive content on their own”89. Vor diesem Hintergrund beschlossen die beiden Pädagogen, den bislang gewohnten Schulunterricht umzudrehen, indem zunächst Videos von den Lernenden zu Hause angesehen und Inhalte dann in der Präsenzeinheit gemeinsam vertieft und angewendet werden.90 Andere Autorinnen und Autoren wie Lage/Platt/Treglia (2000) erprobten beispielsweise den Flipped Classroom im Hochschulbereich unter dem Titel Inverted Classroom, um die unterschiedlichen Lernstile der Studierenden bestmöglich zu berücksichtigen und damit die Präsenzzeit effektiver zu nutzen. In diesem Zusammenhang erhielten die Teilnehmenden zur Vorbereitung auf die Präsenzeinheiten sämtliche Lernmaterialien in Form von Texten, Lernvideos oder Power-Point-Präsentationen mit Tonaufnahmen zur Verfügung gestellt. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass ein Großteil der Lernenden dieses Konzept dem traditionellen Unterricht vorzieht und es besser geeignet ist, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Lernenden einzugehen.91 Ungeachtet der Tatsache, dass beim Flipped Classroom die mediale Unterstützung mithilfe von Lernvideos einen hohen Stellenwert einnimmt, so ist es dennoch die Präsenzeinheit, welche beim Flipped Classroom im Vordergrund steht. Zwar stellt die aktive Auseinandersetzung mit den Inhalten zu Hause das Fundament für die anschließende Präsenzeinheit dar, dennoch gilt es primär, die Zeit im Klassenzimmer 87 Vgl. November/Mull (o.J.), 1–4. 88 Vgl. Bergmann/Sams (2012), 4–6. 89 Bergmann/Sams (2012), 4. 90 Vgl. Bernhofer/Wieland (2018), 34. 91 Vgl. Lange/Platt/Treglia (2000), 34–41. 19
bestmöglich zu nutzen.92 Bergmann/Sams (2012) sehen genau diese Lernenden- zentriertheit anstelle der Lehrendenzentriertheit im Mittelpunkt des Flipped Classroom und argumentieren dahingehend, die Aufmerksamkeit von der Lehrperson hin zu den Lernenden und zum Lernen zu lenken.93 Auch Buchner/Schmid (o.J.) verweisen auf das Ziel, einen lernendenzentrierten Unterricht zu forcieren, um auf diese Weise Individualisierung und Differenzierung im Unterricht zu fördern.94 Nach Baker (2000) sind beim Flipped Classroom-Konzept folgende Ziele wesentlich: • aktives Üben, Vertiefen und Anwenden in der Präsenzeinheit bei gleichzeitiger Minimierung der Lehrvorträge, • Verstehen und nicht bloßes Wiedergeben vermittelter Inhalte fördern, • individuelles und selbstgesteuertes Lernen stärken und • kooperatives und kollaboratives Lernen durch Gruppenarbeiten ermöglichen.95 Obige Ausführungen bilden die Grundlage des Blended Learning-Konzepts dieser Arbeit. In weiterer Folge wird erläutert, wie dieses in Form des Flipped Classroom in den schulischen Unterricht integriert werden kann. 2.4 Unterricht in einer Blended Learning-Umgebung Der Wechsel zwischen Online-Aktivitäten und Präsenzunterricht gilt als Aushängeschild sämtlicher Ausgestaltungsformen des Blended Learning. Dabei können die selbstständigen Online-Einheiten sowohl im Rahmen des Unterrichts im Klassenzimmer als auch von zu Hause aus durch die Bearbeitung von Lernaufgaben stattfinden, wobei hier jede Sozialform (Einzel-, PartnerInnen- oder Gruppenarbeiten) angedacht werden kann.96 Die Anwendung eines Blended Learning-Konzepts durch den Einsatz von Flipped Classroom gewinnt auch im österreichischen Bildungsbereich zunehmend an Bedeutung.97 Im Vergleich dazu hat sich Flipped Classroom im amerikanischen Bildungswesen hingegen schon vor einigen Jahren zu einem populären Unterrichtskonzept entwickelt. Neben Bergmann/Sams gilt auch der amerikanische Harvard-Physikprofessor Mazur als Mitbegründer des Flipped Classroom, der sich auch intensiv mit lernfördernden Strategien beschäftigt und Lernen als zweistufigen Prozess ansieht. Dabei müssen sich seiner Ansicht nach die Lernenden zuerst selbst mit den 92 Vgl. Bergmann/Sams (2014), 5–6. 93 Vgl. Bergmann/Sams (2012), 11. 94 Vgl. Buchner/Schmid (o.J.), [online]. 95 Vgl. Baker (2000), 11. 96 Vgl. Han/Ellis (2019), 12. 97 Vgl. Buchner/Schmid (2018), 9. 20
grundlegenden Informationen auseinandersetzen, damit sie diese in einem zweiten Schritt anwenden und mit bereits vorhandenem Wissen verbinden können.98 Ein derartiger zweistufiger Lernprozess ist charakteristisch für viele Blended Learning- Konzepte, die sich üblicherweise aus Online-Sequenzen sowie Präsenzeinheiten zusammensetzen. Wie bereits in Kapitel 2.3.4 erläutert, ist die Online-Phase zu Hause als individuelle Vorbereitungsphase zu nutzen, auf welche eine intensive Anwendungsphase in Präsenz folgt.99 Dadurch kann die Unterrichtszeit in der traditionellen Präsenzphase intensiv für eine interaktive Zusammenarbeit verwendet werden, da sich die Lernenden bereits vorab mit den neuen Lerninhalten auseinandersetzen.100 Für das Unterrichten bieten sich mithilfe moderner Technologien an dieser Stelle viele Gestaltungsmöglichkeiten, die allesamt außerhalb des Klassenzimmers frei zugänglich sind, sodass letztlich Lerninhalte zeit- und ortsunabhängig in wiederholter Form abspielbar sind.101 Zusammenfassend ist Flipped Classroom vom klassischen Präsenzunterricht somit folgendermaßen abzugrenzen: Abbildung 4: Traditionelle Lehre vs. Flipped Classroom102 Neben der unterschiedlichen methodischen Aufbereitung, bedingt durch den Wechsel der Lernphasen, ergibt sich beim Flipped Classroom folglich auch eine andere 98 Vgl. Mazur (2013), [online]. 99 Vgl. Pilotto (2020), 65. 100 Vgl. Song/Kapur (2017), 293. 101 Vgl. Mazur (2013), [online]. 102 Abbildung: Sailer/Figas (2018), 319. 21
Gliederung der geplanten Lernziele. In diesem Kontext wird auf die adaptierte Taxonomietabelle nach Anderson/Krathwohl (2001) verwiesen, welche die anzustrebenden Lernziele in sechs aufeinanderfolgende Stufen gliedert, wobei jeweils eine Stufe erreicht werden muss, damit die Lernziele der nächsten Ebene verwirklicht werden können.103 Im traditionellen Frontalunterricht werden in der Präsenzphase im Rahmen der Wissensvermittlung in erster Linie die Lernziele Erinnern und Verstehen der untersten Ebene verfolgt. Die anschließende individuelle Selbstlernphase dient schließlich dazu, das gelernte in Form von Hausaufgaben zu vertiefen und in Form von speziellen Aufgaben anzuwenden, um letztlich die höherliegenden Lernprozesse wie Anwenden, Analysieren und Evaluieren zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang kritisieren Bergmann/Sams (2012), dass durch die Anwendung des klassischen Lehrvortrags die Lehrpersonen den Großteil der Zeit damit verbringen, dass sich die Teilnehmenden an das Gelernte erinnern, es verstehen und anwenden können, jedoch kaum Zeit für die höheren Lernziele bleibt.104 Die Verwirklichung des letzten Levels Erschaffen erfolgt ausschließlich in Form von Aktivitäten im Selbststudium zu Hause und selten in Zusammenarbeit mit der Lehrperson.105 Bei der Anwendung des Flipped Classroom bleibt die vorgeschlagene Pyramidenstruktur nach Anderson/Krathwohl (2001)106 erhalten, jedoch ergibt sich nun eine Umkehrung der Orte und der eingesetzten Zeit. Die Lernziele der untersten Ebene wie Wissen und Verstehen sind im Zuge der individuellen Online-Phase selbstständig von den Lernenden erreichbar, da die Inhalte immer wieder abgerufen und im eigenen Lerntempo erarbeitet werden können.107 Dazu schlagen Bergmann/Sams (2014) vor, vorrangig selbsterstellte Lernvideos als Werkzeuge zur Entwicklung der beiden unteren Ebenen der Taxonomie zu verwenden.108 Etwaige offene Punkte oder Verständnisfragen lassen sich in der Präsenzeinheit gemeinsam im Plenum beantworten. Das Hauptaugenmerk im Präsenzunterricht liegt allerdings auf den Erwerb höhergelegener Fähigkeiten, basierend auf der Überlegung, dass auf die individuelle Selbstlernphase aufbauend anspruchsvollere Lernprozesse verfolgt werden können.109 Die unterschiedliche Zuordnung der Taxonomien lassen sich exemplarisch folgendermaßen abbilden: 103 Vgl. Anderson/Krathwohl (2001), 28. 104 Vgl. Bergmann/Sams (2012), 13–17. 105 Vgl. Andrade/Coutinho (2016), 1120. 106 Vgl. Andrade/Coutinho (2016), 1119. 107 Vgl. Weidlich/Spannagel (2014), 239. 108 Vgl. Bergmann/Sams (2014), 30. 109 Vgl. Weidlich/Spannagel (2014), 239. 22
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