DER BOTE - FLUCHT UND VERTREIBUNG - AUS LISSABON - Deutsche Evangelische Kirchengemeinde ...

 
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DER BOTE - FLUCHT UND VERTREIBUNG - AUS LISSABON - Deutsche Evangelische Kirchengemeinde ...
60. JAHRGANG                      JUNI - AUGUST                                    N°2 / 2022

       DER BOTE               AUS LISSABON

   FLUCHT UND VERTREIBUNG

               Zeitschrift für evangelische Christen
                  deutscher Sprache in Portugal
               Lissabon • Porto • Madeira • Algarve
               Pilgerstatue am Ende des Jakobsweges am Kap Finisterre (Galizien)
DER BOTE - FLUCHT UND VERTREIBUNG - AUS LISSABON - Deutsche Evangelische Kirchengemeinde ...
IN DANKBARER ERINNERUNG
   Konfirmation am 10. April 2022

     Glaubensbekenntnis der Konfis 2022 in Lissabon

                          Ich glaube an Gott,
        der die Welt, das Leben und die Liebe erschaffen hat.
                      Er ist der Sinn des Lebens,
                     der Grund, warum wir leben,
                           unsere Hoffnung.
                      Gott ist wie ein guter Vater
             und kümmert sich um uns wie eine Mutter.
                Er ist immer für uns da und hilft uns,
              auch wenn wir mal etwas falsch machen.
             Er ist stark und hilft uns, stark zu werden.
                     Ich glaube an Jesus Christus,
                der ganz und gar Mensch war wie wir
                und gleichzeitig mehr als ein Mensch.
            Er ist Gottes Sohn und hat viel für uns getan.
                 Er ist unser Bruder und ein Vorbild,
                  in ihm können wir Gott begegnen.
                   Ich glaube an den Heiligen Geist,
         in ihm begleitet uns Gott und lässt uns nie allein.
               Dank ihm gehören wir alle zusammen.
                        Er inspiriert uns dazu,
                     bessere Menschen zu werden.
    Ich glaube, dass ich mich nie weit von Gott entfernen kann.
      Ich glaube, dass das Leben nicht mit dem Tod vorbei ist,
                  Gottes Reich ist unsere Hoffnung.
        Ich vertraue Gott bis zum Ende der Zeit in Ewigkeit.
                                 Amen.
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EDITORIAL

        LIEBE LESERIN, LIEBER LESER!

S
             eit ein paar Monaten ist                                                          Vertreibung“ zu beschäftigen. Dabei bli-
             alles anders. Als vor zwei                                                        cken wir sowohl auf das, was wir aus
             Jahren die Corona-Pandemie                                                        der Ukraine erfahren als auch auf das,
             alles auf den Kopf gestellt hat,                                                 was uns hier vor Ort begegnet und was
             war das ein großer Einschnitt                                                   wir tun können. Wir schlagen auch den Bo-
für uns alle. Während ich diese Zeilen schrei-                                            gen zu Fluchtgeschichten aus anderen Zeiten
be, atmen die Menschen in Portugal hörbar auf                                          und anderen Orten, die denen von heute erschre-
– ganz ohne Maske. Das Leben scheint so wie vor der                          ckend ähneln. Als hätte sich nichts verändert, als hätte
Pandemie, und wir genießen dies in vollen Zügen.                             die Menschheit nichts dazu gelernt… Diese beklemmende
                                                                             Erkenntnis begleitet uns seit Ausbruch des Krieges. Von
Doch Ende Februar hat sich die Welt, wie wir sie kannten,                    dem Gefühl der Ohnmacht, das uns befällt, wollen wir uns
einmal mehr radikal geändert. Etwas, womit die wenigs-                       aber nicht lähmen lassen. Auch in diesem Boten dürfen
ten gerechnet hätten, ist eingetreten: Krieg in Europa, ein                  wir Trost in Gottes Wort suchen und Gott mit dem vorge-
Angriff auf ein Land, das angeblich entnazifiziert werden                    stellten Lieblingslied um Frieden anflehen.
muss, oder geht es am Ende doch um den Traum, das frü-
here Reich der Sowjetunion wieder herzustellen? Wir hier                     Neben den Themenseiten finden sich auch in dieser Aus-
in Portugal sind weit weg von dem Krieg, der genau am                        gabe wieder Berichte aus den Gemeinden – z.B. über neue
anderen Ende Europas tobt. Und doch kommt uns dieser                         Gemeindekirchenräte und lebendige Veranstaltungen für
Krieg, den viele nicht für möglich gehalten hätten, ganz                     Kinder und Familien – sowie Informationen über das, was
nah. Wir begegnen ukrainischen Flüchtlingen in Portu-                        kommt: Die Gemeindetagung im September, zu der die Ge-
gal, ukrainische Freunde, die schon lange hier leben, sind                   meinde am Algarve einlädt, sowie Veranstaltungen, Aus-
voller Sorge um Familie und Freunde, und die Bilder we-                      flüge und Freizeiten in den einzelnen Gemeinden. Schau-
cken Erinnerungen bei denen, die ähnliches selbst erlebt                     en Sie doch einmal rein!
haben. Nicht wissend, wie lange dieser Krieg noch andau-
ern wird, hat sich das Redaktionsteam entschieden, sich                      Pfarrerin Christina Gelhaar
in dieser Ausgabe des Boten mit dem Thema „Flucht und                        für das Redaktionsteam

               Editorial                                                                                                                           3
               Geistliches Wort                                                                                                                    4
INDEX

               Hauptthema Flucht und Vertreibung                                                                                                   6
               Lieblingslied                                                                                                                     13
               Gottesdienste und Veranstaltungen                                                                                                 14
               Freud und Leid                                                                                                                    16
               Algarve: Charity-Projekt                                                                                                          17
               Madeira: Der neue Gemeindekirchenrat                                                                                              18
               Porto: Der neue Gemeindekirchenrat                                                                                                20
               Lissabon: Gemeindeausflüge                                                                                                        22
               Kinderseite                                                                                                                       24
               Jugend: Einladung zur Konfi-Zeit                                                                                                  25
               Kontakt & Impressum                                                                                                               26

Redaktionsteam:
Christina Gelhaar, Susanne Burger, Sven Glawion, Beate Hoffmann Mendonça (Lissabon); Angelika Richter, Susanne Rösch, Tanja Mutert Barros, Carina Serra (Por-
to); Stephan Lorenz (Algarve); Ilse Berardo, Stefanie Seimetz, Petra Steglich (Madeira)

                                                              DER BOTE AUS LISSABON                                                                             3
DER BOTE - FLUCHT UND VERTREIBUNG - AUS LISSABON - Deutsche Evangelische Kirchengemeinde ...
GEISTLICHES WORT

    ICH HABE IM SINN, EUCH EINE
    ZUKUNFT ZU SCHENKEN, WIE
    IHR SIE ERHOFFT

     „Du kannst Dir das nicht
     vorstellen, wie das ist, auf
     der Flucht zu sein!“

    I
         mmer wieder habe ich solche Worte gehört,        Und nun kommt uns der Krieg wieder ganz nah.
         wenn ich mich mit älteren Menschen aus ver-      Seit dem Angriff auf die Ukraine scheint alles
         schiedenen Gemeinden unterhalten habe. Vie-      Schreckliche wieder möglich zu sein, was für mich
         le von ihnen haben vor langer Zeit ihre Heimat   so lange unvorstellbar war. Und wieder sind Mil-
         verlassen müssen, die meisten Hals über Kopf.    lionen Menschen auf der Flucht, suchen einen si-
    Sie wurden vertrieben von dort, wo sie zu Hause       cheren Ort für sich, ein neues Zuhause, zumindest
    waren, oder sie sind geflohen, bevor ihnen Schlim-    vorübergehend. So wie damals, vor 77 Jahren. So
    meres angetan werden konnte.                          wie immer wieder an vielen Orten zu verschiede-
    Nein, ich kann mir das nicht vorstellen. Ich selbst   nen Zeiten. So wie auch vor 2.600 Jahren in Israel
    bin in Friedenszeiten aufgewachsen und kenne die-     und Babylonien.
    se Geschichten nur von den Älteren und natürlich
    aus dem Geschichtsunterricht und aus Büchern.         Unzählbar viele Menschen wurden damals depor-
    Und eigentlich dachte ich lange Zeit, wir hätten      tiert, verloren ihre Heimat, verloren alles, was ih-
    aus den Gräueln der beiden Weltkriege gelernt und     nen Halt gegeben hatte. Auch den Tempel, diesen
    so etwas würde nie wieder passieren. Auch wenn        Ort, der symbolhaft für Gottes Gegenwart gestan-
    es zu jeder Zeit irgendwo auf der Welt Krieg und      den hatte. Er war komplett zerstört worden. Wo
    Gewalt und Terror gab, hielt ich es doch für ausge-   war Gott nun, so fragten sich die Menschen, die
    schlossen, dass wir in Deutschland so etwas noch      noch in Israel waren, und auch die, die im baby-
    einmal selbst erleben könnten.                        lonischen Exil lebten, tausende Kilometer von der

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DER BOTE - FLUCHT UND VERTREIBUNG - AUS LISSABON - Deutsche Evangelische Kirchengemeinde ...
GEISTLICHES WORT

                        Heimat entfernt. Und sie           sie! Denn wenn es ihnen gut geht, dann geht es auch
                        setzten sich an die Flüsse         euch gut.« Mein Plan mit euch steht fest: Ich will euer
                        in Babylon und weinten, so         Glück und nicht euer Unglück. Ich habe im Sinn, euch
                        wird es erzählt. Sie wollten       eine Zukunft zu schenken, wie ihr sie erhofft. Das sage
                        einfach nur zurück nach            ich, der Herr. Ihr werdet kommen und zu mir beten, ihr
                        Hause. Selbst wenn dort al-        werdet rufen und ich werde euch erhören. Ihr werdet
                        les in Schutt und Asche lag.       mich suchen und werdet mich finden. Denn wenn ihr
                        Sie wollten wieder aufbau-         mich von ganzem Herzen sucht, werde ich mich von
                        en. Sie wollten dahin, wo sie      euch finden lassen. Das sage ich, der Herr. (Jer 29,4-
                        hingehörten. Aber es war ih-       7+11-14a)
                        nen nicht erlaubt. Sie konn-
                        ten sich zwar frei bewegen         Diese Worte von Gott waren vielleicht nicht ganz
                        in Babylonien, es ging ih-         das, was die Menschen in Babylonien hören woll-
                        nen auch nicht wirklich            ten. Sie sehnen sich doch nach ihrer Heimat und
                        schlecht. Aber zurück nach         wollten so schnell wie möglich zurück. Sie wollen
                        Israel durften sie nicht.          sich hier in der Fremde gar nicht wohl fühlen. Frü-
                                                           her war schließlich alles besser. In der Heimat war
                        So wie ihnen geht es aktu-         alles besser.
                        ell vielen Menschen, die aus
                        der Ukraine geflohen sind.         Aber unser Gott ist nicht rückwärtsgewandt. So
                        Auch wenn manche schon             sehr der Verlust der Heimat auch schmerzt, da-
                        wieder zurück kehren, ist          mals wie heute, wird uns doch das Festhalten an
                        es doch eigentlich noch viel       der Vergangenheit nicht am Leben erhalten. Ty-
                        zu gefährlich, sicheres Le-        pisch für Gott ist es, dass er die Zukunft eröffnet.
                        ben ist an vielen Orten erst       Oder, wie ein schönes Sprichwort sagt: Wo Gott
                        einmal auf längere Sicht           eine Tür schließt, öffnet er ein Fenster. Es nützt
                        nicht möglich. Ob manch            nichts, verzweifelt vor der verschlossenen Tür zu
                        ein Flüchtling am Tejo sitzt       stehen und an ihr zu rütteln und sich auszuma-
                        oder am Douro und bittere          len, wie schön es dahinter aussieht, auch wenn
                        Tränen des Heimwehs ver-           die Trauer über das Ende eines Traums oder auch
                        gießt?                             des normalen Lebens, wie wir es bislang kannten,
                                                           absolut berechtigt ist und auch durchlebt werden
                       Damals, vor 2.600 Jahren,           muss. Dennoch ist es wichtig, nicht an dieser Stelle
                       als sich die Menschen frag-         stehen zu bleiben, sondern den Schicksalsschlag
                       ten, wo Gott denn nun sei,          in das eigene Leben zu integrieren, und eben das
                       nachdem sein Haus zerstört          Fenster zu suchen, das Gott nun für uns geöffnet
                       worden war, als sie sich von        hat. Die ukrainischen Flüchtlinge in Portugal, die
                       Gott verlassen fühlten – da         ihre Heimat bestimmt vermissen und sich Sorgen
                       bekam der Prophet Jeremia,          machen um ihre Angehörigen, nehmen gleichzeitig
                       der noch in Jerusalem war,          sehr bewusst wahr, wie freundlich sie hier empfan-
                       den Auftrag von Gott selbst,        gen wurden und unterstützt werden. Sie beginnen
                       einen Brief an die Menschen         sobald wie möglich, die Sprache zu erlernen und
                       im Exil zu schreiben. Sie wa-       versuchen, sich hier in dieser Übergangszeit so gut
                       ren nämlich ganz und gar            wie möglich einzurichten.
                       nicht von Gott verlassen.
                       Auch in der Fremde hatte            Baut Gärten, sagt Gott durch den Propheten Jere-
er noch Pläne mit ihnen, wie er ihnen durch Jere-          mia. Macht das Beste daraus. Verschiebt das Leben
mia mitteilen ließ. Dass seine Pläne nicht ganz so         nicht auf einen späteren Zeitpunkt, der vielleicht
waren, wie sie es sich gewünscht hätten, wurde in          nicht so bald oder vielleicht auch niemals eintritt.
dem Brief aber auch deutlich. Von einer baldigen           Lebt im Hier und Jetzt im Vertrauen auf den, der
Rückkehr in die Heimat war dort nämlich nicht die          Euch Zukunft und Hoffnung schenkt. Niemand
Rede, im Gegenteil. Jeremia kündigt in Gottes Na-          sagt, dass das leicht ist. Ganz besonders für Men-
men an, dass sie für zwei Generationen in Babylo-          schen, die so viel verloren haben und so Schreckli-
nien bleiben werden. Und er sagt ihnen im Prinzip:         ches erlebt haben wie die Flüchtlinge, damals wie
Macht das Beste draus!                                     heute. Aber es ist im Prinzip die einzige Möglich-
                                                           keit, um lebendig zu bleiben.
Der Gott Israels, der Herrscher der Welt, sagt zu allen,
die er aus Jerusalem nach Babylonien wegführen ließ:       Den Flüchtlingen wünsche ich die Kraft und den
»Baut euch Häuser und richtet euch darin ein! Legt         Mut dazu, Gärten zu bauen und an der Hoffnung
euch Gärten an, denn ihr werdet noch lange genug dort      festzuhalten, und genau das Gleiche wünsche ich
bleiben, um zu essen, was darin wächst! Heiratet und       uns allen wo auch immer wir uns gerade befinden
zeugt Kinder! Verheiratet eure Söhne und Töchter, da-      und was auch immer uns gerade umtreibt. Lasst
mit auch sie Kinder bekommen! Eure Zahl soll zuneh-        uns gemeinsam an der Hoffnung festhalten und
men und nicht abnehmen. Seid um das Wohl der Städ-         darauf vertrauen, dass wir von Gott gehalten sind.
te besorgt, in die ich euch verbannt habe, und betet für   [Pfarrerin Christina Gelhaar, Lissabon]

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FLUCHT UND VERTREIBUNG

       FLUCHT UND
    O
               stern 1962 – Einschulung in Südnie-      bieten des Deutschen Reiches geflohen waren so-
               dersachsen, damals noch Zonenrand-       wie aus den Ländern im östlichen Europa.
               gebiet genannt. Die Demarkationslinie
               zwischen den beiden Teilen Deutsch-      Viele Lebensgeschichten hörten wir, die gezeich-
               lands lag in allernächster Nähe.         net waren von Zerstörung, Hunger, Verfolgung
                                                        und Verlust von Heimat. Später erfuhren wir auch
    In unserem 800 Seelen Vorort von Einbeck kann-      von dem entsetzlichen Leid der Frauen, die Opfer
    te man sich. Unter den 25 Erstklässlern befanden    von Vergewaltigungen geworden waren.
    sich aber einige Kinder, mit denen ich noch nie
    gespielt hatte. Sie hießen wie viele andere Sieg-   In meiner Jugendzeit, also 20 Jahre nach Kriegs-
    linde, Andreas, Alfred und Gerlinde. Und doch       ende, war ein emotional und moralisch besetzter
    erschienen sie uns anders zu sein. Zuerst einmal    Begriff aus diesen dramatischen Zeitzeugnissen
    waren sie nicht in unserem Religionsunterricht,     gebildet worden, mit dem ein spezifischer Teil
    sie waren katholisch. Ihre Mütter kochten mit an-   deutscher Nachkriegsgeschichte bezeichnet wur-
    deren Zutaten als denen, die wir gewohnt waren.     de: Flucht und Vertreibung.
    So etwas wie Knoblauch war uns fremd. Hier und
    da gebrauchten sie Ausdrücke, die wir nicht ver-    Dieser Doppelbegriff beinhaltet die leidvollen Er-
    standen.                                            fahrungen von Verlust der Heimat unter gewalt-
                                                        samer Ausweisung.
    Unsere Eltern erklärten uns, dass sie Flüchtlinge
    seien und in den vormaligen Gesindehäusern der      Natürlich wäre es einseitig und falsch gewesen,
    Bauernhöfe wohnten. Natürlich waren diese Kin-      hätte man die Zwangsmigration der Deutschen
    der nicht geflohen, sondern so wie wir in West-     der Nachkriegszeit nicht in einen Zusammenhang
    deutschland geboren. Es waren ihre Eltern, die      mit der vorausgegangenen deutschen Kriegspoli-
    1945 und kurz danach aus den ehemaligen Ostge-      tik und ihren Gräueltaten gestellt.

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VERTREIBUNG
Ein vielgestaltiger Erinnerungsdiskurs ist not-      uns für diese Grundwerte menschlichen Lebens
wendig, damit die Opfer auf allen Seiten gesehen     ein - hier und überall. Plötzlich wird „Flucht und
werden, damit wir uns vor alten und wieder neuen     Vertreibung“ wieder erschreckend persönlich,
Feindbildern schützen.                               weil die Bedrohung an der Tür der Europäischen
                                                     Union steht.
Mit diesem Wissen ausgerüstet und doch nahezu
ratlos, stehen wir nun vor einem neuen Phäno-        Es stellt sich uns tatsächlich die Frage: Was ist
men von „Flucht und Vertreibung“.                    uns die freiheitlich demokratische Zukunft wert?
                                                     Hoffentlich mehr als nur die notwendige Erinne-
Flucht und Vertreibung 2.0                           rungskultur. Ohne zu teilen, was uns lieb ist, wird
Niemand konnte sich vor dem 24. Februar 2022         es keine Einheit, keinen Frieden und keine Hoff-
auch nur im Geringsten vorstellen, dass ein russi-   nung auf Menschlichkeit geben.
scher Militärangriff auf die Ukraine bevorstünde,
der sich dann zu einem mörderischen Krieg aus-       Millionen von Menschen aus der Ukraine sind auf
geweitet hat.                                        der Flucht aus der Kriegshölle zu uns in die Euro-
                                                     päische Union. Auch bei uns gibt es kein Paradies,
Bilder und Zeugnisse von Zerstörung, Hunger,         aber hier und da Orte von Recht und Gerechtigkeit,
Verfolgung, Mord und Vergewaltigung, dieses          Frieden und Freiheit.
Armutszeugnis der Menschheit, das wir aus der
Geschichte kennen, schlägt unserem Optimismus        In dieser Hoffnung sind auch wir als christliche
der vergangenen 30 Jahre ins Gesicht.                Gemeinden gefragt, uns für eine lebenswerte Zu-
                                                     kunft aller einzusetzen. [ Ilse Everlien Berardo,
Nehmen wir unsere Meinungsfreiheit, unsere Ge-       Madeira ]
wissensfreiheit, Frieden und Demokratie nicht
für gratis und selbstverständlich, sondern setzen

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    HILFE
    DIREKT AN DIE
    AUSLANDSGEMEINDE IN KIEW

    D
               ie St.-Katharina-Kirche befindet sich       wieder in der Gemeinde ausgeholfen und ist den
               mitten im Zentrum von Kiew und wird         Mitgliedern in Kiew bis heute eng verbunden.
               in Friedenszeiten täglich von vielen Ein-
               heimischen und Touristen besucht. Sie       So hatten wir bei Kriegsbeginn über Pastor Heldt-
    ist das Zuhause der Deutschen Ev.-Lutherischen         Meyerding einen sehr direkten Draht, um unsere
    Kirchengemeinde, deren Gemeindeleben sich Ende         Spendengelder an die Gemeinde vor Ort zu brin-
    Februar mit dem russischen Angriff auf die Ukrai-      gen. In einem Brief bedankt sich Lydia Tseldorf,
    ne radikal änderte: Wochenlang wurde Kiew umla-        Vorsitzende der Gemeinde in Kiew, bei Wolfgang
    gert, viele Familien flohen, die Männer wurden zum     Heldt-Meyerding: „Dank Ihrer Spenden konnten
    Armeedienst eingezogen und Pfarrer Matthias Lasi       65 Menschen aus der Gemeinde finanziell unter-
    konnte seine Predigten nur noch über Facebook          stützt werden, sie konnten sich Medikamente und
    übermitteln. Da sich die Kirche im Regierungsvier-     Lebensmittel kaufen. Außerdem wurden von dem
    tel, einem vom Militär bewachtem Sperrgebiet, be-      Geld Medikamente, Lebensmittel und persönlicher
    findet, konnte das Gemeindeleben erst zaghaft an       Hygienebedarf für 40 ukrainische Militärangehöri-
    Ostern 2022 wieder aufgenommen werden.                 ge beschafft, die auch unsere Kirche beschützen.“
    Ähnlich wie unsere Gemeinde ist auch die Deut-         Wir beten für die Schwestergemeinde in Kiew.
    sche Ev.-Lutherische Kirche St. Katharina mit der
    EKD in Deutschland verbunden. Unser ehemaliger         Deutsche Ev.-Lutherische Kirche St. Katharina in
    Pastor Wolfgang Heldt-Meyerding – von 2010 bis         Kiew: www.katharina.kiev.ua [ Tanja Mutert Bar-
    2013 in Porto tätig – hat bis zur Pandemie immer       ros, Porto ]

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FLÜCHTLINGE IN IHRER NEUEN HEIMAT:

Ein Gefühl des Verlorenseins
A
          ls ich die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine   Hinzu kommt der Verlust der Sprache: Sich nicht mit
          kennenlernte, griff ich automatisch auf ein     seinen Mitmenschen in seiner Muttersprache unter-
          altbekanntes Muster zurück: Ich zeigte ih-      halten zu können, verstärkt das Gefühl des Verlo-
          nen meine Wahlheimat Porto und spulte da-       renseins in der Fremde. Dies ist ja auch für viele Ge-
bei freundlich das „Insider-Touri-Programm“ ab, wie       meindemitglieder die Motivation, deutschsprachige
es wahrscheinlich alle Deutschen in Porto mit ihren       Gottesdienste in Portugal zu besuchen, mit dem Un-
Besuchern tun. Doch der Funke sprang nicht über...        terschied, dass fast alle von uns regelmäßig in ihre
Sie zeigten höflich Interesse, das ja, aber sie nahmen    Heimat reisen können.
ihre Umgebung gar nicht recht wahr. Und wie auch?
Ihre aktuellen Sorgen waren bei den Lieben in der         Die Hilfsbereitschaft für Kriegsflüchtlinge aus dem
Ukraine, ob diese die Nacht erneut mit Bombenalarm        Ukraine-Krieg ist in ganz Europa groß. Im Unter-
im Keller verbringen müssten, wer verletzt würde,         schied zu der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sind
ob es Tote gäbe und welche Häuser von russischen          die Länder, die die Kriegsflüchtlinge aufnehmen,
Bomben getroffen würden. Ihre Tage und Nächte             jetzt nicht selbst vom Krieg gezeichnet und können
wurden von den auf ihren Handys aufploppenden             daher tatkräftige und auch materielle Unterstüt-
Nachrichten aus der Heimat bestimmt. Die Wirren           zung geben.
eines Krieges hatten sie nach Portugal verschlagen
– aber bewusst ausgesucht, nein, ausgesucht hatten        Gerade Deutschland bekam ja bereits viele Male im
sie sich unser Land nicht.                                vergangenen Jahrhundert einen Flüchtlingsstrom
                                                          zu spüren. Allein nach dem Zweiten Weltkrieg ka-
An dieses erste Treffen musste ich immer wieder           men rund 14 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge
denken und bemühte mich fortan, mehr Einfüh-              in das verbliebene Deutschland, ohne Rückfahrkar-
lungsvermögen zu zeigen. Aber mich so richtig in die      te im Gepäck. Sie stammten u.a. aus Ostpreußen,
ukrainischen Kriegsflüchtlinge hineinzuversetzen,         Pommern, Schlesien und Böhmen. Auch nach mehr
das schaffe ich bis heute nicht. Immer wieder for-        als 70 Jahren haben viele von ihnen noch immer das
dere ich mich selbst auf, mir das vorzustellen: Ich sei   Gefühl, entwurzelt zu sein, heimatlos. Hinzu kommt
irgendwo gestrandet, ich könne nicht wieder zurück        dieses ständige Misstrauen, dass im Leben nichts von
zu meiner Familie, in meine Heimat, weil dort Krieg       Dauer ist, da ja alles im nächsten Augenblick schon
herrsche. Mein Vorstellungsvermögen reicht dafür          wieder verloren sein kann.
einfach nicht aus, zu lange schon darf ich in Frie-
denszeiten leben.                                         Der Schriftsteller Christoph Hein, selbst Vertriebener
                                                          aus Schlesien, beschreibt in seinem Roman „Land-
Schaut man den Kriegsflüchtlingen in die Augen,           nahme" die tiefen Konflikte innerhalb der deutschen
sieht man dieses Gefühl des Verlorenseins. Sie haben      Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg: „Aus ih-
ihre alte Heimat verloren und scheinen in der neu-        rem Land waren sie vertrieben worden, und in un-
en noch nicht richtig angekommen zu sein. Vielen          serem wurden sie nicht heimisch. Sie hatten sich bei
Vertriebenen geht es so, und sie leiden darunter oft      uns niedergelassen, sie hatten in unserer Stadt ihr
ihr Leben lang. Sie wurden brutal und abrupt abge-        Quartier aufgeschlagen, aber eigentlich bewohnten
schnitten von allem, was sie kannten und was ihnen        sie ihre verschwundene Heimat. Fortwährend spra-
lieb und teuer war: ihre Familien, ihre Freunde, das      chen sie darüber, was sie alles verloren hatten, und
Haus, die Gemüsebeete im Garten, die Nachbarn, die        davon wollte keiner in der Stadt etwas hören."
Kollegen, die Straße zu ihrer Arbeit, der Duft der Fel-
der im Frühling, das Läuten der Kirchenglocken, das       Ich werde an diese Passage denken, wenn ich das
Kläffen des Nachbarhundes – die Liste kleiner und         nächste Mal mit den Ukrainern zusammen bin. [ Tan-
großer Verluste geht endlos weiter.                       ja Mutert Barros, Porto ]

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FLUCHT UND VERTREIBUNG

     VOR 77
     JAHREN
     Ich erinnere mich genau:
     Es war der 18. Januar 1945.

     M
                  eine beiden jüngeren Schwestern wa-       nach bestiegen wir einen Flüchtlingszug. Dieser
                  ren schon in den Warthegau evakuiert,     Zug fuhr scheinbar völlig planlos von Ort zu Ort,
                  aber da ich mit meinen zehn Jahren        um den Tieffliegern auszuweichen. Die Umstände
                  schon die Oberschule besuchte, sollte     waren furchtbar: Der Zug hatte keine Fenster, die
     ich vorerst in Rauschen (Nähe Königsberg) blei-        Toiletten waren eingefroren, wir hatten kaum zu
     ben. Meine Mutter hatte sich bereits von mir verab-    essen. Und in jeder Nacht starben Kinder, die dann
     schiedet, da erhielt mein Vater die Nachricht: Die     aus dem überfüllten Zug „entfernt“ wurden. Es war
     Russen sind in Soltau! Sofort sagte er meiner Mut-     grausam, diese Bilder haben sich in mein Gedächt-
     ter, dass sie Königsberg nicht ohne mich verlassen     nis eingegraben.
     dürfe.
     Mit Unterstützung von seiner Sekretärin besorg-        Wir kamen in Rochlitz in ein umfunktioniertes
     te er Zugtickets für mich und meine Mutter. Am         Schullandheim. Von dort aus schrieb meine Mutter
     nächsten Tag holte mich mein Vater mit dem Auto        täglich Briefe an meinen Vater und meinen Onkel,
     ab und brachte mich durch einen Schneesturm di-        um herauszufinden, wohin wir nun gehen könn-
     rekt zum Bahnhof. Er und meine Mutter stiegen          ten. Einer dieser Briefe kam tatsächlich bei mei-
     mit unserem Gepäck in den Zug, um Plätze für uns       nem Onkel an – der sofort ein Telegramm schick-
     zu belegen. Ich wartete währenddessen auf dem          te: Kommt zu uns nach Eschwege. In Rochlitz war
     Bahnsteig und sah zu, wie sich der Zug füllte. Als     meine jüngste Schwester sehr krank geworden, sie
     mein Vater wieder herauskam, war der Zug schon         hatte eine doppelseitige Lungenentzündung. Oft
     so voll, dass ich selbst nicht mehr einsteigen konn-   konnte sie einfach nicht mehr. Dann hing sie an
     te. Darum hob mich mein Vater hoch und ich klet-       mir, und ich habe sie, so gut es ging, gestützt. Es
     terte durch das Fenster direkt zu meiner Mutter.       war furchtbar. Als wir völlig entkräftet in Eschwege
                                                            ankamen, wurden wir herzlich empfangen. „Jetzt
     Es war der letzte Zug, der Königsberg verließ. Er      sind wir da“, sagte ich zu meiner kleinen Schwester,
     hatte Gottseidank zwei Stunden Verspätung, sonst       als ich das Haus meines Onkels sah. „Gleich hast
     hätten wir ihn verpasst. Wenn das mit dem Zug          du es geschafft.“ Da kamen Leute und halfen uns
     nicht geklappt hätte, hätten wir versucht, mit der     mit den schweren Koffern.
     Gustloff zu fliehen. Und wie die Geschichte aus-
     ging, ist ja bekannt…                                  Vor allem mein Onkel hat dafür gesorgt, dass ich in
                                                            Eschwege eine neue Heimat gefunden habe. Aber
     Von Schneidemühl aus ging es gemeinsam mit             auch die Menschen vor Ort, meine Klassenkame-
     meinen kleinen Schwestern, unserem Kindermäd-          raden und die Lehrerinnen, haben mich freundlich
     chen, meiner Tante und meinen Cousins weiter:          aufgenommen. Dafür bin ich allen bis heute dank-
     Zunächst mit einem Lazarettzug bis Berlin, da-         bar. [ Waltraut Pedro, Lissabon ]

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FLUCHT UND VERTREIBUNG

                                          EINE
                                    VERLORENE
                                       HEIMAT

S
        eit weit über 100 Jahren lebte meine
        Familie mütterlicherseits in Angola;
        1939 wurde ich in Luanda geboren und
        verlebte dort eine wunderbare, unbe-
schwerte Jugend. Ende der 1950er Jahre ging
ich nach England auf eine Schule. Nach dem
dortigen Abitur zog ich nach Deutschland und
Belgien. Inzwischen hatte ich eine Deutsche
geheiratet. Wir lebten in Brüssel, aber uns
war klar, dass wir in nicht allzu ferner Zeit
nach Angola oder Portugal übersiedeln wür-
den. Das Los fiel auf Portugal, auf Porto.
1969 besuchte ich meine Heimatstadt Luan-
da – nicht ahnend, dass es das letzte Mal wäre. Ei-
gentlich wollten meine Frau und ich den Urlaub        Bezüglich meiner Familie
in Luanda verbringen, aber unsere beiden Kinder       kehrten fast alle, die jahrzehntelang sehr
waren noch klein, und so verschoben wir es auf ein    glücklich und erfolgreich in Angola gelebt hatten,
„Später“, was sich nie realisierte.                   zurück.

Es sollte sich als glücklich erweisen, dass wir uns   Das Schicksal meiner Schwester war symptoma-
für Portugal entschieden hatten, denn die Ge-         tisch für viele ihrer Leidensgenossen: Zwar hatte
schichte nahm ihren Lauf: In Portugal gab es 1974     sie Kisten mit ihrem Hausrat packen können, die
die friedliche Nelkenrevolution, welche aber auch     per Schiff nach Portugal kommen sollten, jedoch
die kämpferische Ablösung der afrikanischen Ko-       traf davon niemals etwas hier ein! (Derlei Dinge
lonien zur Folge hatte. Eine über fünfhundertjäh-     wurden stattdessen damals einfach nach Kuba
rige Zeit der Portugiesen in Afrika ging zu Ende.     verschifft!) Somit war die einzige Habe meiner
                                                      Schwester mit Mann und vier Kindern pro Person
Es mussten jetzt diejenigen aus Angola fliehen, die   nur ein Koffer. (Ich glaube, bis heute hat sie dieses
sich nicht zur neuen kommunistischen Regierung        Trauma nicht überwunden.)
zugehörig fühlten. Daraus entstand der Begriff
der Retornados. Dazu zählten Portugiesen aller        Meine Eltern hatten sich in dieser unruhigen Zeit
Hautfarben, die sich dann innerhalb weniger Jah-      in Porto aufgehalten. Nie wieder kehrten sie nach
re schweren Herzens – und immer mit Sehnsucht         Angola zurück und all ihre/unsere Besitztümer
nach der alten Heimat – in Portugal integrierten.     waren für immer verloren… [ A. Cruz, Porto ]

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FLUCHT UND VERTREIBUNG

                BUCHVORSTELLUNGEN
                                                 2
                  Gott ist nicht                                     Flucht. Eine
                   schüchtern                                   Menschheitsgeschichte
                     (Aufbauverlag 2017)                                (Siedler Verlag, München 2020)
                       Olga Grjasnowa                                           Andreas Kossert

     D                                                        W
              ie syrische Revolution bricht aus. Die Prota-                er flieht, der verliert Hab und Gut und
              gonistin Amal befindet sich am Beginn ihrer                  das soziale Netzwerk. Wer fliehen muss,
              Karriere als Schauspielerin und träumt von                   verliert außerdem die Kontrolle über
              kommendem Ruhm, zumal ihr Vater gute                         das eigene Leben und erfährt Entwur-
     Verbindungen bis in höchste Regierungskreise hat.        zelung und den Verlust von Heimat und Identität.
     Zwei Jahre später treibt sie im Ozean: Das Schiff, mit   Alle Flüchtlinge machen diese traumatisierenden
     dem sie nach Europa geschmuggelt werden will, ist        Erfahrungen. Der Neuanfang ist schwierig, denn
     ein Schrotthaufen und geht unter. Amal rettet dabei      die Einheimischen haben Vorurteile und ihre Vor-
     ein Baby, dessen Mutter ertrinkt, und kümmert sich       behalte, vielleicht auch aus der Furcht gespeist,
     fortan um das Kind.                                      selbst einmal alles verlieren zu können wie die Ge-
                                                              flohenen. Der Historiker Andreas Kossert lässt die
     Der zweite Protagonist heißt Hammoudi. Er ist Arzt       Flüchtenden zu Wort kommen. Er berichtet von ih-
     in Paris und hat eine Stelle im besten Krankenhaus       ren Geschichten, die von der Vormoderne bis in die
     von Paris. Er muss nach Damaskus, um seinen Pass         Gegenwart reichen, und zeigt, dass Flüchtlinge, ob
     verlängern zu lassen, wobei er in die revolutionären     sie aus Ostpreußen, Syrien, Burma oder der Ukraine
     Auseinandersetzungen gerät. Im Untergrund versorgt       fliehen, in ihrer Ohnmacht doch die Weltgeschich-
     er mit minimalen Mitteln Verletzte des Bürgerkrieges,    te bewegen. Dabei verbindet er historische Quellen
     gerät dabei zwischen die verschiedenen rivalisieren-     und berührende literarische Zeugnisse von Betrof-
     den Bürgerkriegsparteien, kann aber im letzten Mo-       fenen. Empathie, Stilgefühl und ein unaufgeregter
     ment fliehen. Irgendwann hockt er mit hundert ande-      Blick auf die aktuellen Debatten rund um Aus- und
     ren Flüchtenden auf einem winzigen Schlauchboot,         Einwanderung zeichnen sein Buch aus.
     hoffend auf Lesbos anzukommen.
                                                              Andreas Kossert, geboren 1970, studierte Geschich-
     In Berlin sehen sich Amal und Hammoudi wieder –          te, Slawistik und Politik. Er arbeitete am Deutschen
     zwei Menschen, die alles verloren haben und nun von      Historischen Institut in Warschau und lebt heute in
     vorn anfangen müssen.                                    Berlin. Wer sein Buch liest, dessen Einstellung und
                                                              Verhalten gegenüber Flüchtenden wird sich verän-
     Olga Grjasnowas Roman ist eine Schilderung des syri-     dern.
     schen Bürgerkrieges. Es liest sich heute, 5 Jahre nach   [ Stephan Lorenz ]
     dem Erscheinen, wie eine Blaupause des Krieges, den
     wir gerade in der Ukraine erleben: Butcha, Mariupol.
     Die Logik der Gewalt und des Tötens ist unerträglich.
     Ein erschütterndes Dokument unserer Zeit.

12                                              DER BOTE AUS LISSABON
LIEBLINGSLIED

E
       hrlich gesagt, gibt es für mich das eine Lieb-    milder Liebeshort“) erschien aber nach dem 2. Welt-
       lingslied nicht. So viele Lieder sind es, die     krieg als wenig passend, und so schrieb Jan Noo-
       mich berühren, mich seit langer Zeit oder         ter ein neues Friedenslied: „Geef vrede, Heer, geef
auch noch nicht so lange begleiten. Lieder, die ich      vrede.“ Als eine Magdeburger Gemeinde dieses Lied
begeistert mitsinge, deren Melodie mich mitreißt         Anfang der 1980er Jahre gemeinsam mit ihrer hol-
oder deren Text mich ganz persönlich anspricht.          ländischen Partnergemeinde singen wollte, wurde
In den letzten Monaten sind mir mehrere Friedens-        eine deutsche Fassung benötigt. Geprägt durch die
lieder wieder besonders wichtig geworden. Unter          Friedensbewegung in der DDR kam hierbei die deut-
anderem das Lied, das wir unter der Nummer 430           liche Wendung „Recht wird durch Macht entschie-
in unserem Gesangbuch finden: Gib Frieden, Herr,         den“ in die erste Strophe – und hat Gott sei Dank die
gib Frieden. Schon die drängende Bitte, die gleich       Zensur überlebt. Verfasser der deutschen Version ist
zwei Mal ausgesprochen wird – Gib Frieden! – trifft      der Pfarrer Jürgen Henkys. Gesungen wird das Lied
genau die Gedanken, die sich seit Ausbruch des           mit den klaren Worten, die heute aktueller denn je
Krieges in der Ukraine in meinem Kopf im Kreise          erscheinen, auf die altbekannte Melodie des Liedes
drehen. Mir selbst sind ja die Hände gebunden, ich       „Befiehl du deine Wege“ (EG 361).
kann den Krieg nicht beenden – aber Gott kann! Gib       Trotzig und gegen alle Aussichtslosigkeit möchte
Frieden, Gott! „Wir rufen: Herr, wie lange? Hilf uns,    ich dieses und andere Friedenslieder genau in die-
die friedlos sind.“ So endet die erste Strophe.          ser Zeit singen. Singen gegen den Lärm von Rake-
Dieses Lied mit seinem aktuellen Text geht auf ein       ten und Bomben. Singen als ein Gebet, das Gott in
altes Friedensgedicht von Ernst Moritz Arndt zurück,     den Ohren klingelt. Singen gegen alle Aussichtslo-
das mit den selben Worten beginnt. Auf der Suche         sigkeit, singen für den Frieden. Lasst uns Gott an-
nach neuen Liedern für den Frieden hat der hollän-       flehen und gemeinsam singen: „Gib Mut zum Hän-
dische Mennonitenpfarrer Jan Nooter dieses Ge-           dereichen, zur Rede, die nicht lügt, und mach aus
dicht entdeckt. Die ursprünglich sehr spiritualisierte   uns ein Zeichen dafür, dass Friede siegt.“ [ Christina
Auffassung des Friedens durch Jesus Christus („Du        Gelhaar, Lissabon ]

                                              DER BOTE AUS LISSABON                                               13
UNSERE GOTTESDIENSTE

                             LISSABON                      PORTO                  ALGARVE                   MADEIRA
                             Jeden Sonntag um 11 Uhr Jeden 2. und 4. Sonntag     Jeden Sonntag um 11 Uhr     In der Regel an zwei
                               in der Martin-Luther-  im Monat um 10.30 Uhr        in der Capela de Nossa    Sonntagen im Monat
                                Kirche, parallel dazu im Haus der Begegnung       Senhora da Encarnação     um 16 Uhr in der Igreja
                                Kindergottesdienst      (außer Juli/August)             in Carvoeiro             Presbiteriana

         So, 5. Juni                Gottesdienst                                      Gottesdienst
                                                                                                                Gottesdienst
         Pfingsten               mit Abendmahl                                       mit Abendmahl

         So, 12. Juni                                        Gottesdienst
                                  Gottesdienst                                        Gottesdienst
          Trinitatis                                        mit Abendmahl

         So., 19. Juni                                                                Gottesdienst
                                   Gottesdienst                                                                 Gottesdienst
     1. So. n. Trinitatis                                                            mit Abendmahl

                                   Taizé-Gebet
         Fr, 24. Juni
                                     (21 Uhr!)
                                 Ökumenischer
         So, 26. Juni                                    Familiengottesdienst,
                                    Gottesdienst,                                 KEIN GOTTESDIENST!
     2. So. n. Trinitatis                                 anschl. Sommerfest
                               anschl. Sommerfest
         So, 3. Juli              Gottesdienst                                        Gottesdienst
     3. So. n. Trinitatis        mit Abendmahl                                       mit Abendmahl

         So, 10. Juli
                               Mirjam-Gottesdienst                                                              Gottesdienst
     4. So. n. Trinitatis

         So, 17. Juli
                                   Gottesdienst
     5. So. n. Trinitatis

         So, 24. Juli                                                                 Gottesdienst
                              KEIN GOTTESDIENST!                                                                Gottesdienst
     6. So. n. Trinitatis                                                            mit Abendmahl

         So, 31. Juli
                                   Gottesdienst
     7. So. n. Trinitatis
                                                           SOMMERPAUSE!
        So, 7. August                                                                 Gottesdienst
                              KEIN GOTTESDIENST!
     8. So. n. Trinitatis                                                            mit Abendmahl

       So, 14. August
                                  Gottesdienst
     9. So. n. Trinitatis
                                                                                                               Gottesdienste
                                                                                                             nach Vereinbarung
       So, 21. August                                                                 Gottesdienst
                              KEIN GOTTESDIENST!
     10. So. n. Trinitatis                                                           mit Abendmahl

       So, 28. August
                                   Gottesdienst
     11. So. n. Trinitatis

      So, 5. September            Gottesdienst                                        Gottesdienst
     12. So. n. Trinitatis       mit Abendmahl                                       mit Abendmahl

                                                     Ca. einmal im Monat stellt die Bartholomäusbrüderschaft einen Fahr-
                                                     dienst zum Gottesdienst in der evangelischen und katholischen Kirche
                                                     in Lissabon an der Linha de Cascais bereit. Wer diesen Fahrdienst gerne
                                                     nutzen möchte, meldet sich bitte bis zum Donnerstag vor dem jeweili-
                                                     gen Gottesdienst bei Frau da Câmara an (Tel: 914 429 370).

                                          Hinweis:
                                          Die Angaben auf dem Gottesdienstplan können sich evtl. noch ändern. Bitte be-
                                          achten Sie in jedem Fall die aktuellen Hinweise der Gemeinden auf der jeweiligen
                                          Homepage: www.dekl.org (Lissabon), https://dekporto.blogspot.com/ (Porto),
                                          www.deka-algarve.com (Algarve), www.dekmadeira.de (Madeira), sowie wei-
                                          tere Informationskanäle der Gemeinden wie Newsletter oder die WhatsApp-
                                          Nachrichten-Gruppe.

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VERANSTALTUNGEN

LISSABON                                      VERANSTALTUNGEN                             RegenbogenTreff
                                              Sa, 04.06.2022 16 Uhr Konfi-Tag: Was        Am Sonntag, 26. Juni 2022, feiern wir
Achtung: Bitte beachten Sie kurzfristige      Ihr wollt!                                  um 10.30 Uhr alle zusammen einen Fa-
Terminänderungen und weitere Angebo-          So, 05.06.2022 11 Uhr zweisprachiger        miliengottesdienst mit Jung & Alt. Das
te auf unserer Webseite unter www.dekl.       Gottesdienst zu Pfingsten mit dem 40-jäh-   anschließende Sommerfest ist seit Jahren
org. Aktuelle Informationen erhalten Sie      rigen Dienstjubiläum von Dona Elsa, an-     ein Highlight im Gemeindeleben und für
auch in unserem Newsletter oder in der        schließend Empfang – herzhafte und süße     die Kinder gibt es wieder ein buntes Spiel-
DEKL-WhatsApp-Gruppe. Senden Sie uns          Spenden für das Buffet erbeten, mit Fahr-   programm im Garten.
eine Mail an info@dekl.org, wenn Sie die-     dienst
sen Dienst beziehen möchten.                  Do, 09.06.2022 19 Uhr Literaturkreis        Veranstaltungen und besondere
                                              Sa, 11.06.2022 Gemeindeausflug nach         Gottesdienste
REGELMÄSSIGE TERMINE                          Entroncamento und Tomar – s. S. 22          Di, 14.06.2022 14.30 Uhr Frauen-Bibel-Kreis
Gottesdienst                                  Di, 14.06.2022 18.30 Uhr GKR-Sitzung        So, 26.06.2022 10.30 Uhr
Jeden Sonntag um 11 Uhr in der Martin-        Mi, 15.06.2022 20 Uhr Redaktionssit-        Familiengottesdienst mit Pfarrerin Ange-
Luther-Kirche. Im Juli und August fallen      zung Bote (online)                          lika Richter und dem RegenbogenTeam –
einzelne Gottesdienste aus – bitte den Got-   Di, 21.06.2022 20 Uhr Bibelteilen on-       herzliche Einladung an alle Familien mit
tesdienstplan beachten!                       line                                        Kindern!
                                              Fr, 24.06.2022 19 Uhr Männer unter          Anschließend Sommerfest im Garten
Kindergottesdienst                            sich                                        Di, 28.06.2022 14.30 Uhr Frauen-Bibel-Kreis
Jeden Sonntag um 11 Uhr (nicht im Juli        Fr, 24.06.2022 21 Uhr Taizé-Gebet in
und August). Beginn in der Kirche mit         unserer Kirche                              ALGARVE
den Großen, dann *nur für Kinder* im          So, 26.06.2022 11 Uhr Ökumenischer
Gemeindehaus. Nach dem Gottesdienst           Gottesdienst, anschließend Sommer-          Gottesdienste
treffen sich Kinder und Erwachsene beim       fest im Kirchgarten – herzhafte und süße    Jeden Sonntag um 11 Uhr in der Kapelle in
Kirchencafé wieder.                           Spenden für das Buffet erbeten, mit Fahr-   Carvoeiro. Am ersten und dritten Sonntag mit
                                              dienst                                      Abendmahl. Im Juli und August findet der
Chor JubiLis                                  Mi, 29.06.2022 10.30 Uhr Frühstücks-        Gottesdienst nur an jedem 2. Sonntag statt.
Proben immer mittwochs, 19-20.30 Uhr          kreis – Ausflug ins Museu do Dinheiro zu
im Gemeindehaus (außer Ferien/Feierta-        der Muralha de Dom Diniz                    Kirchenchor
ge). Neue Sängerinnen und Sänger sind         Di, 05.07.2022 18 Uhr Vorbereitung          In der Regel am 2. und 4. Donnerstag im
stets willkommen und können gerne da-         Mirjam-Gottesdienst im Kirchgarten mit      Monat um 18.30 Uhr in der Kapelle in Car-
zukommen!                                     gemeinsamem Abendessen                      voeiro – nicht im Juli und August.
                                              So, 10.07.2022 11 Uhr Mirjam-Gottes-
Sprechstunde der Pfarrerin                    dienst: Abigajil – Initiative ergreifen     Gesprächskreis
Donnerstags 16.30-17.30 Uhr (nicht im         Di, 12.07.2022 20 Uhr Bibelteilen im        In der Regel am ersten und dritten Donners-
Juli und August) – weitere Gesprächster-      Gemeindehaus                                tag im Monat um 15.30 Uhr im Pfarrhaus in
mine nach Vereinbarung                                                                    Sesmarias, Lote 84 – nicht im Juli und August.
                                              PORTO
Taizé-Gebet                                                                               Bitte beachten Sie die aktuellen Informa-
In der Regel am dritten Freitag im Monat      Gottesdienste                               tionen auf unserer Website: https://www.
um 19 Uhr wechselweise in der Martin-         In der Regel am 2. und am 4. Sonntag im     deka-algarve.com
Luther-Kirche und in der katholischen         Monat um 10.30 Uhr im Haus der Begeg-
Kirche Nossa Senhora das Dores (nicht         nung – nicht im Juli und August!            MADEIRA
im Juli und August). Nächster Termin: 24.
Juni in unserer Kirche.                       Frauen-Bibel-Kreis                          So, 05.06.2022 16 Uhr Gottesdienst
                                              In der Regel zwei Mal im Monat an einem     So, 19.06.2022 16 Uhr Gottesdienst
Frühstückskreis                               Dienstagnachmittag um 14.30 Uhr im Ge-      So, 03.07.2022 16 Uhr Gottesdienst
In der Regel am letzten Donnerstag im         meindezentrum.                              So, 24.07.2022 16 Uhr Gottesdienst
Monat, 10.30-12.30 Uhr, in der Kirche         Nächster Termin: 14. Juni                   Im August und September finden Gottes-
oder im Kirchgarten. Nächster Termin                                                      dienste nur nach Vereinbarung statt, sie-
ausnahmsweise am Mittwoch, 29. Juni.                                                      he hierzu auf der Homepage www.dekma-
                                                                                          deira.de.
Bibelteilen
Einmal im Monat an einem Dienstag-
abend um 20 Uhr im Gemeindehaus oder
online. Nächster Termin: Dienstag, 21.
Juni online.

Männer unter sich
Am letzten Freitag im Monat um 19 Uhr
im Gemeindehaus. Nächster Termin: 24.
Juni.

Literaturkreis
Einmal im Monat an einem Donners-
tagabend um 19 Uhr im Gemeindehaus.
Nächster Termin: 9. Juni.

                                                       DER BOTE AUS LISSABON                                                               15
ALGARVE

AKTIONEN FÜR FLÜCHTLINGE
 Und wenn sich ein Fremdling bei dir aufhält in eurem Land, so sollt ihr ihn nicht
bedrücken. Wie einer in eurem Volk Geborener soll euch der Fremdling sein, der sich
bei euch aufhält, und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn Fremdlinge wart ihr
        im Land Ägypten; ich bin der Ewige, euer Gott (3. Mose, 19,33.34)

D
         ie Bibel ist voller Fluchtgeschichten. Von der   Schließlich veranstaltete die Gemeinde am 26. April
         Vertreibung aus dem Paradies, der Migrati-       auf der Quinta des Ehepaars Diechtierow ein Charity-
         on Abrahams, der Flucht Jakobs vor seinem        Konzert mit einer Band, Chören und einem bekann-
         Bruder, der Flucht Israels aus Ägypten über      ten Akkordeonspieler aus der Gegend. Der Erlös geht
das babylonische Exil bis zur Flucht der Eltern Jesu      an unsere Projekte.
nach Ägypten. Menschen sind von Anfang an auf der
Flucht. Der Krieg in der Ukraine zwingt Menschen
dazu, sich in Sicherheit zu bringen. Alles hinter sich
zu lassen. Nur das Nötigste zusammengerafft. Meis-
tens sind es Frauen und Kinder. Sie kommen auch
nach Portugal. Zu uns. Viele kommen bei Verwand-
ten unter, denn im Algarve lebt schon länger eine gro-
ße ukrainische Gemeinde. Auch viele Menschen aus
Russland leben hier. Nicht alle haben das Glück, eine
Anlaufstation zu haben. Die Deutschsprachige ev.-
luth. Gemeinde im Algarve (DEKA) will helfen. Mit
drei Aktionen tun wir das. Zum einen unterstützen
wir das Projekt des Restaurants ‚Taste‘ in Carvoeiro.
Nicola und ihr Mann Cyprian Silvasan helfen 9 ukra-
inischen Frauen und deren Kindern mit einer Woh-
nung und Unterhalt. Sie haben ein Charity-Essen           Wir alle wünschen uns das baldige Ende des schreck-
veranstaltet, bei dem über 1000€ zusammengekom-           lichen Zerstörens und Mordens. Vor allen Dingen für
men sind. Unsere Kirchengemeinde hat spontan die          die Flüchtlinge. Sie wollen doch bald ihre Männer
Kollekte eines Sonntags von über 300 € diesem Pro-        und Söhne in einer befreiten Ukraine wieder in die
jekt gewidmet.                                            Arme schließen.

                                                                           Als Millionen Vertriebene
                                                                                mit wenig Gepäck
                                                                           und lastender Erinnerung
                                                            im restlichen Vaterland zwangseinquartiert wurden,
                                                                             riefen viele Heimische,
                                                                      die sich durch Zuzug beengt sahen:
                                                                     Geht hin, wo ihr hergekommen seid!

                                                                                  Aber sie blieben,
                                                                            und eingeübt blieb der Ruf:
                                                                                  Haut endlich ab!
                                                                              Bald galt er Fremden,
Darüber hinaus hat ein Ehepaar aus der Gemeinde
dem KGR den Vorschlag gemacht, eine Familie für
                                                                              die später, noch später
ein Jahr zu unterstützen. Das Ehepaar zahlt 90%,                            von weither gereist kamen
die Gemeinde 10%. Wir brauchten nicht lange zu                             und unverständlich sprachen;
überlegen. So unterstützen wir eine Mutter, die mit                            sie blieben gleichfalls
ihren zwei Kindern, einem Jungen von 7 Jahren und                          und vermehrten sich sesshaft.
einem Mädchen von einem Jahr, in Paderne unterge-
kommen sind.                                                            Erst als die immer schon Heimischen
                                                                              sich fremd genug waren,
                                                                       begannen auch sie in all den Fremden,
                                                                             die mühsam gelernt hatten,
                                                                             ihr Fremdsein zu ertragen,
                                                                               sich selbst zu erkennen
                                                                               und mit ihnen zu leben.
                                                                        (Günter Grass, Vonne Endlichkait, 2015)

                                               DER BOTE AUS LISSABON                                              17
MADEIRA

     GEMEINDEVERSAMMLUNG
     AUF MADEIRA

     D
              ie Gemeindeversammlung musste in
              diesem Jahr digital stattfinden. Bei ei-
              ner 7-Tage-Inzidenz von Corona-Infi-
              zierten über 1200 auf Madeira wagte der
     Gemeindekirchenrat es nicht, die Versammlung
     in Präsenz zu gestalten. Doch in den letzten zwei
     Jahren hat keine Gemeindeversammlung mehr
     stattgefunden und der amtierende Gemeindekir-
     chenrat war ebenso lange bloß kommissarisch
     tätig. In dieser Situation erwiesen sich die Aus-
     landspfarrerin und die Vorsitzende aus Lissa-
     bon als wahrhaft „mütterlich“, wie es der Begriff
     „Muttergemeinde“ nahelegt: Im Umgang mit der
     digitalen Technik schon wahre Profis, gaben sie
     den Neulingen auf Madeira jede Hilfe. Und sie-
     he da: Was vorher so schwierig erschien, klapp-
     te wie am Schnürchen. Die Pfarrerin berichtete
     über die veränderte Arbeit während der Pande-
     mie, in der es zwar unmöglich war, Menschen
     im Krankenhaus und privat zu besuchen, in der
     aber Telefon, Mails und die gute alte Post halfen,
     die Kommunikation aufrecht zu erhalten.
     Schatzmeisterin Petra Steglich berichtete von
     sinkenden Einnahmen während der Pandemie:
     Viel weniger Gottesdienste bringen auch weniger
     Kollekten und eine ganze Reihe von Mitgliedern der      Dozentin an der Universität von Madeira, wo ich
     Gemeinde hatte im zweiten Pandemiejahr die Zah-         Portugiesisch und portugiesische Geschichte stu-
     lung des Mitgliedsbeitrages offenbar „vergessen“.       diert habe (Master) und 2006 in Germanistik und
     Aber eine große Spende von Trauergästen anläss-         Kulturwissenschaft promoviert wurde.
     lich der Beerdigung von Gründungsmitglied Arnd          Die Arbeit im Gemeindekirchenrat der Deutsch-
     Oelsner ermöglichte es, dass die Gemeinde den-          sprachigen Evangelischen Kirche Madeira macht
     noch Menschen in Not auf Madeira helfen konnte.         mir große Freude und gibt mir Gelegenheit, mit
     Die Caritas, die Tafel und eine große Suppenküche                   Schrift, Stimme und Tat zum Lobe
     konnten regelmäßig finanziell unterstützt werden.                     Gottes und seiner Schöpfung bei-
     Im neuen Gemeindekirchenrat sind Ilse Everlien                          zutragen.
     Berardo als Pfarrerin und auch die drei Mitglieder
     aus dem vorherigen Rat vertreten, dazu gibt es ein
     neues Gesicht: Joachim Bodschwinna.                                        Joachim Bodschwinna
     [ Stefanie Seimetz ]
                                                                                Den Hamburger Jung hat es von
                                                                               der Elbe über die Spree an die
     DER NEUE GEMEINDEKIR-                                                    Limmat in der Schweiz geführt.
     CHENRAT STELLT SICH VOR                                                Hier lebe ich mit meiner Familie,
                                                             Ehefrau und den vier erwachsenen Kindern zwi-
               Anne Martina Emonts                           schen 21 und 29 Jahren, seit mehr als 25 Jahren.
                                                             In Zürich war ich bis Mitte letzten Jahres bei einer
                   Ich bin Katholikin, stamme aus Aa-        Bank beschäftigt. Für die Zukunft plane ich deut-
                   chen, denke ökumenisch, halte viel        lich mehr Zeit auf Madeira zu verbringen als in der
                   vom interreligiösen Dialog und            Vergangenheit, um mich noch aktiver in die Pro-
                   schaue in jeder Lebenslage auf das,       jekte der Kirchgemeinde einbringen zu können.
                   was uns eint.                             In unserer Heimatgemeinde in der Schweiz waren
                  Nach dem Studium von Germanistik           wir als Familie in die Aktivitäten der Kirche ein-
               und katholischer Theologie für das Lehr-      gebunden. Hierzu zählten neben der Organisation
           amt war ich Lektorin in einem Verlag, Lei-        von Freizeitveranstaltungen und der Betreuung
     tende Redakteurin der Kirchenzeitung Bonn/Sieg-         der Schulkinder beim Mittagstisch auch die Unter-
     burg und ging dann der Liebe wegen nach Madeira,        stützung des Pfarrers bei seiner Arbeit.
     wo ich seit 1986 gern lebe. Ich arbeite seit 1990 als   Meine Reiseleidenschaft hat mich bereits Anfang

18                                             DER BOTE AUS LISSABON
MADEIRA

                                                       wir im Westen der Insel in ländlicher Umge-
                                                       bung mit Blick auf den Atlantik.

                                                                           Ilse Everlien Berardo

                                                                               Dankenswerterweise bin
                                                                               ich das geworden, was ich
                                                                               schon als Gymnasiastin
                                                                               1971 im südniedersächsi-
                                                                              schen Einbeck werden woll-
                                                                            te: Pastorin.
                                                                         Nur war mir damals der berufli-
                                                        che Weg, der viel mit Berufung zu tun hat, noch
                                                        verborgen.
                                                        Nach meinem Studium der Evangelischen Theo-
                                                        logie in Marburg und Göttingen entschied ich
                                                        mich vor 41 Jahren zuerst für die Familie und
                                                        das auf Madeira. Vielleicht gehöre ich ja zu den
                                                        Menschen, die viele Dinge nicht zur selben Zeit
                                                        beginnen können. Mein Mann Jorge, auf Ma-
                                                        deira geboren, und ich sind Eltern einer Tochter
                                                        und zweier Söhne.
                                                        Die kirchlichen Aufgaben sind mir im Laufe der
                                                        vergangenen 35 Jahre von engagierten Christen,
                                                        wie z.B. Gemeindegründer Arnd Oelsner, anver-
der 1990er Jahre nach Madeira geführt. 2015 ha-      traut worden.
ben wir uns für eine Wohnung auf Madeira ent-        Ich liebe die Kirche in ihrer lebendigen Vielfalt. Da-
schieden und genießen seitdem das Klima und          bei bin ich immer interessiert, Neues über Glauben
die entschleunigende Atmosphäre auf der Insel.       und Leben hinzuzulernen und dieses im Gottes-
Schnell haben wir auch den Anschluss an die evan-    dienst und sozialem Wirken weiterzugeben. Mein
gelische Gemeinde in Funchal gefunden.               Herzblut habe ich in der Ökumene entdeckt. Auf
Ich freue mich, den Gemeindekirchenrat zu unter-     diesem Weg der christlichen Verbundenheit möch-
stützen und mit meinen Ideen das Gemeindeleben       te ich mit unserer Gemeinde weitergehen.
zu bereichern. Insbesondere schätze ich die Zu-
           sammenkünfte, die hoffentlich in die-
              sem Jahr trotz Corona wieder mög-                         Stefanie Seimetz
                lich sein werden.
                                                                         Dass es auf Madeira eine
                                                                         deutschsprachige     evangeli-
                Petra Steglich                                           sche Kirchengemeinde gibt,
                                                                         ist für mich ein richtiges Ge-
                Als ich vor zehn Jahren in den Ge-                       schenk. Ich brauche die ande-
              meindekirchenrat Madeira gewählt                         ren, mit denen zusammen ich
             wurde, wurde mir das Amt der Schatz-                 beten, das Abendmahl feiern, mich
        meisterin übertragen. Grundlage für die      austauschen kann. Gottesdienst zu feiern gehört
Wahl war meine über 30jährige Tätigkeit als Lei-     schon lange zu meinem Leben dazu. Als Schulkind
terin der Buchhaltung in einem mittelständischen     in Bochum besuchte ich mit meinem Bruder den
Unternehmen in Freiburg. Mit Zahlen zu arbeiten      Kindergottesdienst, später traf ich am Sonntag-
macht mir Freude.                                    morgen die Jugendgruppe in der Kirche, nach dem
Die Erstellung und zeitnahe Aktualisierung un-       Theologiestudium und dem Vikariat wurde ich als
serer Homepage ist eine kreative Aufgabe, die ich    „Springerin“ in vielen Gemeinden „meiner“ Stadt
gern übernommen habe. Der Umgang mit den             eingesetzt. Geradezu ein Wunder, dass es so fern
neuen Medien, z.B. Gemeindeinformationen oder        dieser Heimat wieder Gottesdienst in meiner Mut-
Videokonferenzen, gehören ebenso zu meinen Auf-      tersprache gibt, mit Menschen, die ebenso wie ich
gaben in der Gemeinde wie auch die Ausstattung       von weit her kommen, äußerlich wie innerlich, und
vom Kirchenkaffee zu besonderen Anlässen.            hier zu einer Gemeinde zusammenfinden. Kein
Mit meinem Mann und unseren zwei Katzen leben        Wunder, dass ich hier mitarbeiten möchte!

                                           DER BOTE AUS LISSABON                                              19
PORTO

     Wer leitet
     die Geschicke
     der Gemeinde
     in Porto?
     E
             nde März 2022 gab es Wahlen bei uns in Porto:
             Turnusmäßig wählten die Mitglieder der
             Deutschen Ev. Kirchengemeinde Porto ihren
             Gemeindekirchenrat, der für die nächsten
     4 Jahre die Geschicke der Gemeinde leiten wird.
     Drei Mitglieder des Vorstandes wurden in ihrem
     Amt bestätigt, Ruth Gomes und Werner Englert
     wurden neu in den Vorstand gewählt, beide allerdings
     nicht zum ersten Mal! Damit besteht der Vorstand
     aus den folgenden 5 gewählten Mitgliedern;
     satzungsgemäß gesellt sich unsere Pfarrerin
     Angelika Richter hinzu:

     Susanne Rösch – 1. Vorsitzende

     Werner Englert – 2. Vorsitzender

     Beate von Rohden Guimarães – Schatzmeisterin

     Claudia Beate Essert – Beisitzerin

     Ruth Gomes – Beisitzerin

     Sehr erfreulich war die Wahlbeteiligung
     von über 70%!

     Im Mai begibt sich der neue Vorstand gleich
     in eine Klausurtagung, denn es sind keine
     geringen Herausforderungen, die auf die
     neue Führungsriege warten: die Instandhaltung
     und Finanzierung des Gemeindezentrums,
     der Mitgliederschwund und Nachwuchs für
     die Gemeinde – das sind seit Jahren schon
     die Hauptthemen, die unseren
     Gemeindekirchenrat umtreiben.

     Wir wünschen gutes Gelingen und bedanken
     uns bei allen für ihr ehrenamtliches
     Engagement!

     Ein ganz besonderer Dank gilt auch
     den ausscheidenden Mitgliedern
     Johannes Rückert, der sich jahrelang
     als zweiter Vorsitzender im
     Gemeindekirchenrat verdient
     gemacht hat, und Marianne Wedel.
     [ Tanja Mutert Barros ]

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PORTO

 EINLADUNG ZUM FAMILIENGOTTESDIENST
 MIT SOMMERFEST AM 26. JUNI 2022 IN PORTO

 E
         nde Juni ist es wieder so weit: Wir feiern    richtig zu schätzen wissen! Für die Kinder gibt es
         mit Jung & Alt einen Familiengottesdienst     ein buntes Spieleprogramm im Garten und unser
         und laden anschließend zum Sommerfest         Schwungtuch (Foto oben) wird auch wieder ausge-
         der Gemeinde ein!                             packt – versprochen.
 Am Sonntag, 26. Juni 2022, feiern wir um 10.30
 Uhr alle zusammen einen Familiengottesdienst,         Das Sommerfest ist ein hervorragender Anlass,
 denn der RegenbogenTreff, unser Kinderpro-            gemütlich zusammen zu sitzen, das Gemeinde-
 gramm in Porto, findet diesmal im großen Gemein-      jahr Revue passieren zu lassen und uns von allen
 desaal statt. Pfarrerin Angelika Richter wird uns     in Ruhe vor der Sommerpause zu verabschieden.
 gewohnt umsichtig durch die – diesmal kindge-         Diesmal wird der Abschied von Pfarrerin Angeli-
 rechte – Liturgie führen.                             ka Richter und ihrem Ehemann Gerd zum Glück
                                                       wieder leichtfallen: Erfreulicherweise bleibt uns
 Das anschließende Sommerfest ist seit Jahren ein      unsere Pfarrerin ein weiteres Jahr erhalten, denn
 Highlight im Gemeindeleben und eindeutig der          Angelika Richter hat ihren neuen Einsatz von Sep-
 Moment, an dem alle Gemeindemitglieder und            tember 2022 bis Juni 2023 bereits zugesagt.
 Gäste unsere große Terrasse und den Garten so         [ Tanja Mutert Barros ]

Ruheoase • Rückzugsort • Liebesnest • Pilgerstation • Geheimtipp in Porto!

Ferienwohnung für 2-4 Personen in Porto
Porto ist immer eine Reise wert. Und unsere Ferien-         • 40 qm Grundfläche
wohnung für 2-4 Personen ein absoluter Geheimtipp!          • Wohnzimmer mit Essbereich
Die gemütliche Wohnung ist ruhig gelegen im Ge-             • Voll ausgestattete Küchenzeile
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Porto. Von hier aus gelangen Sie mit öffentlichen             Wohnbereich)
Verkehrsmitteln bequem an die Atlantikstrände und in        • Badezimmer (Dusche, WC, Waschmaschine)
die pittoreske Innenstadt Portos.                           • Sonnenterrasse und Gartennutzung

Ihre Anfragen oder Reservierungswünsche senden Sie gerne per Mail an
evangelische.gemeinde.porto@gmail.com       DER BOTE AUS LISSABON                                           21
LISSABON

     EINLADUNG ZUM
     GEMEINDEAUSFLUG
     DER DEKL NACH
     ENTRONCAMENTO UND
     TOMAR AM 11. JUNI 2022
     Viele haben schon danach gefragt:
     Nun wollen wir endlich nach einer
     langen Durststrecke am 11. Juni
     unseren nächsten Gemeindeaus-
     flug machen.

     W
                 ir werden dieses Mal wieder mit der Ei-   der Zeit Phillips I. (Ende des XVI. Jahrhunderts), der
                 senbahn reisen. Unser erstes Ziel ist     das Kloster mit Wasser versorgte.
                 Entroncamento, das sicherlich vielen
                 als Eisenbahnknotenpunkt bekannt          Abfahrt: Gegen 8 Uhr (genaue Uhrzeit – auch der
     ist. In einem Reiseblog stieß ich auf folgende Fra-   Rückreise – wird noch bekanntgegeben) am Bahn-
     ge: „Ist Entroncamento einen Tagesausflug wert?       hof Santa Apolónia.
     Das Eisenbahnmuseum auf jeden Fall.“ Es ist eines
     der jüngsten Museen Portugals, ein hochmodernes       Preis: 67,50 € (Fahrt, Führungen, Eintritte, kompl.
     Museum, das in seiner jetzigen Form im Mai 2015       Mittagessen – inkl. Getränke)
     eingeweiht wurde. Es handelt sich um eine der be-
     deutensten europäischen Sammlungen auf dem            Anmeldung: bis spätestens 6. Juni 2022 im Ge-
     Gebiet der Eisenbahngeschichte, die in Portugal vor   meindesekretariat (Tel: 217 260 976) oder per E-Mail
     rund 160 Jahren begann. Ein Erlebnis für die ganze    (info@dekl.org) mit Angabe der Handy-Nummer
     Familie.                                              und des Geburtsjahres (wegen evtl. Ermäßigung bei
     Unser Endziel ist die Stadt Tomar, einst Sitz des     den Eintrittskarten)
     Templerordens, eine Stadt, die für mich immer wie-
     der neu, immer wieder interessant ist. Das Kloster    Bitte den genannten Betrag bis spätestens 6. Juni
     Convento de Cristo ist eines der bedeutendtesten      2022 entrichten (in bar, per Scheck oder durch Über-
     Renaissance-Werke Portugals. Ein bemerkenswer-        weisung auf das Konto der Kirchengemeinde (Kon-
     tes Bauwerk ist auch der etwa 6 km lange Aqueduto     todaten s. S. 26). [ Hannelore Correia ]
     de Pegões oder Aqueduto do Convento de Cristo aus

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