DER DIGITALE STAAT - TRANSPARENZ ALS DIGITALISIERUNGSMOTOR - ARGUMENTE ZU MARKTWIRTSCHAFT UND POLITIK - STIFTUNG MARKTWIRTSCHAFT
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Der digitale Staat – Transparenz als Digitalisierungsmotor Argumente zu Marktwirtschaft und Politik Nr. 155 | Juni 2021 Fulko Lenz
Der digitale Staat – Transparenz als Digitalisierungsmotor Fulko Lenz Argumente zu Marktwirtschaft und Politik Nr. 155 Inhaltsverzeichnis Vorwort 03 1 Einleitung – Sündenböcke und Vogel Strauße 04 2 Die Verfehlung digitalpolitischer Ziele 06 3 Deutschland im internationalen Vergleich 09 4 Digitale Handlungsfähigkeit in der Corona-Pandemie 13 4.1 Fehlende digitale Ausstattung und Verfahren 13 4.2 Unzureichende Datenerhebung und -nutzung 15 4.3 Zwischenfazit 19 5 Datenschutz: Hindernis oder Ablenkungsmanöver? 20 5.1 Datenschutz in der digitalen Pandemiebekämpfung 20 5.2 Grundsätze eines modernen Datenschutzes 21 6 Föderalismus: Erschwernis und Ausrede zugleich 24 6.1 Mehr Zentralismus als Ausweg? 24 6.2 Föderaler Wettbewerb statt Verantwortungsflucht 26 7 Datenbasierte Transparenz als Digitalisierungsmotor 28 7.1 Veränderungsanreize durch Transparenz 28 7.2 Bisherige Transparenzbemühungen nicht ausreichend 29 7.3 Auch Transparenz ist kein Allheilmittel 32 8 Fazit: Digitalpolitische Prioritätensetzung verändern 33 Literatur 34 Executive Summary 36 © 2021 Stiftung Marktwirtschaft (Hrsg.) Charlottenstraße 60 10117 Berlin Telefon: +49 (0)30 206057-0 Telefax: +49 (0)30 206057-57 info@stiftung-marktwirtschaft.de www.stiftung-marktwirtschaft.de ISSN: 1612 – 7072 Die Publikation ist auch über den QR-Code Titelfoto: © Andrey Kuzmin – stock.adobe.com / Montage kostenlos abrufbar.
Vorwort Vorwort Mit ebenso bombastischer wie routinierter Rhetorik werden • Ein moderner Datenschutz muss unbürokratisch ausge- auch im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 wieder blühende staltet werden und kann sich nicht – wie beispielsweise bei digitale Landschaften versprochen: Von einer digitalen Infra- der elektronischen Patientenakte vorgesehen – ausschließ- struktur „auf Weltniveau“, einem „digitalen Wirtschaftswun- lich auf kleinteilige, wiederholt erforderliche Einwilligungen der“ oder gar „Virtual Reality bzw. Augmented Reality in der und maximale Datensparsamkeit stützen. Verwaltung“ ist die Rede. Die Realität des deutschen Staates • Der Staat muss Herr über seine Informationsflüsse werden: ist jedoch alles andere als virtuell und die vorherrschende Einheitliche Standards und Schnittstellen sind immer digitale Landschaftsform in deutschen Amtsstuben und Be- dort zentral und verbindlich zu definieren, wo ebenen- und hörden erinnert noch immer eher an die „Servicewüste“, die behördenübergreifend vernetzte Systeme, Prozesse und die Expertenkommission für Forschung und Innovation schon Informationsflüsse von hoher Bedeutung sind. 2016 beklagte. • Die staatliche Aufgabenerfüllung muss auf einer we- Wie wenig Deutschland dem Idealbild eines digitalen sentlich besseren Datenbasis erfolgen. Dazu gehört Staates entspricht, hat die Corona-Pandemie schonungslos die transparente Bereitstellung von zwischen staatli- offengelegt: Digitale Ausstattung fehlte an allen Ecken und chen Stellen vergleichbaren Daten, anhand derer die Enden; der Einsatz digitaler Verfahren in Schulen, Gesund- Qualität staatlichen Handelns bewertet werden kann. heits- oder Bürgerämtern gelang nur begrenzt; eine aussa- gekräftige Datenbasis als Grundlage für effizientes staatliches Die Kluft zwischen digitalem Anspruch und analoger Handeln fehlt auch im zweiten Pandemiejahr. Alles ande- Wirklichkeit hängt auch damit zusammen, dass Staat und re als ausgemacht ist zudem, ob mit der Corona-Krise bei Politik über das eigene Handeln nicht nur viel zu wenig wis- allem Leid wenigstens im Hinblick auf die Digitalisierung ein sen, sondern im Zweifel lieber gar nichts wissen wollen. Man heilsamer Schock verbunden ist, der zu dauerhaften Ver- belässt es bei einem eher anekdotischen Beklagen des di- besserungen führt. Es steht vielmehr zu befürchten, dass gitalen Rückstands und gelobt so baldige wie diffuse Bes- spätestens nach dem Ende des pandemischen Notstandes serung. Einer politischen Vogel-Strauß-Strategie folgend die Beharrungskräfte und Bequemlichkeiten eines bürokra- werden konkrete Missstände und Versäumnisse im eigenen tischen, schwerfälligen und vor allem Bedenken tragenden Verantwortungsbereich weder sichtbar gemacht noch konse- Staatswesens wieder die Oberhand gewinnen. quent angegangen. Diejenigen, die den Kopf besonders tief Will man den zu Recht hohen Erwartungen von Bürgern im Sand der digitalen Wüste vergraben haben, zitieren den und Unternehmen an einen modernen, digital leistungsfä- Datenschutz als Ausrede oder verstecken sich hinter einem – higen Staat gerecht werden, braucht es daher nicht vollmun- diesen Namen zunehmend weniger verdienenden – Födera- dige, analoge Rhetorik, sondern dringend digitale Taten: lismus, bei dem die Flucht aus klar definierter Verantwortung mit Forderungen nach mehr Geld und der Verhinderung eines • Schulen müssen auch über die Pandemie hinaus digital wirksamen Leistungsvergleichs einhergeht. Vor diesem Hin- leistungsfähig werden, um moderne Technologien sinnvoll tergrund wird in der vorliegenden Studie ein Fokus auf daten- einsetzen und digitale Kompetenzen vermitteln zu können. basierte Transparenz als Motor nicht nur digitalen Fortschritts • Staatliche IT-Modernisierungsprojekte z.B. in Bürger-, gelegt. Sie sollte als Plädoyer verstanden werden, den digi- Gesundheits- oder Finanzämtern müssen entschlossener talen Staat als einen transparenten Staat zu gestalten und sowie vor allem wesentlich schneller vorangetrieben wer- den Kopf aus dem Sand zunehmen. den und sollten der Vereinfachung, Beschleunigung und Entbürokratisierung staatlichen Handelns dienen. Wir danken der informedia-Stiftung für die Förderung dieser • Dazu bedarf es digitaler Schnittstellen zu Bürgern und Publikation. Unternehmen, die nicht als Einbahnstraßen mit kontinu- ierlich ausgeweiteten Informationspflichten enden dürfen, weil der Staat daran scheitert, digitale Übermittlungs- und Verarbeitungswege zu schaffen (wie z.B. jahrelang bei der E-Bilanz). • Gesetze sind digital vollziehbar auszugestalten, ihre Ziel- erreichung sollte anhand von vorab definierten Indikatoren Prof. Dr. Michael Eilfort Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen überprüfbar sein und bestehendes Recht (z.B. im materi- Vorstand Vorstand ellen Steuerrecht) muss digitaltauglich angepasst werden. der Stiftung Marktwirtschaft der Stiftung Marktwirtschaft 03
Einleitung – Sündenböcke und Vogel Strauße Der digitale Staat – 1 Einleitung – Sündenböcke und Vogel Strauße Ein digital leistungsfähiger Staat sollte sich durch zielführen- holen auf das, was in anderen Ländern längst Standard ist. den und qualitäts- sowie effizienzsteigernden Einsatz digitaler Vielmehr offenbart sich in Deutschland bei der Digitalisierung und datengetriebener Technologien in allen Bereichen seiner ein Dreiklang des staatlichen Versagens: Selbstgesteckte Aufgabenerfüllung auszeichnen. Dabei ist die Digitalisierung Ziele werden nicht erreicht (Kapitel 2), in internationalen Ver- kein Selbstzweck, sondern vor allem Mittel zum Zweck eines gleichen belegt Deutschland bestenfalls Plätze im hinteren besseren und effizienteren staatlichen Handelns. Die Forde- Mittelfeld (Kapitel 3) und in der Folge schwindet die staatliche rung nach einem solchen digitalen Staat ist in Deutschland so Handlungsfähigkeit in einer digitalen und datengetriebenen alt und allgegenwärtig, wie das Klagen darüber, dass man von Welt bedrohlich – wie Kapitel 4 am Beispiel der Corona-Pan- diesem Idealbild weit entfernt ist. Es ist daher schon eine gute demie verdeutlicht. Nachricht, dass die Zeiten vorbei scheinen, in denen sich po- Die politischen Versprechungen, dass mit dem nächs litische Haltungen zur Digitalisierung überwiegend auf einem ten Strategiepapier, dem nächsten Förderprogramm oder Spektrum zwischen angstvoller Ablehnung und der Hoffnung spätestens der nächsten Legislaturperiode endlich alles an- darauf verorten ließen, dass der „Spuk“ irgendwann schon ders, alles besser wird, verlieren mit jeder Wiederholung an wieder vorbei ginge, wenn man ihn nur lange genug ignoriere. Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Umso grotesker Spätestens seit dem Bundestagswahlkampf 2017, der stark erscheint vor diesem Hintergrund der zunehmend zu be von Digitalthemen geprägt war, ist dem Thema erhöhte poli- obachtende digitalpolitische Anspruch, die digitale Trans- tische Aufmerksamkeit gewiss. So nahm Digitalpolitik im Ko- formation der Wirtschaft durch in Zahl und Intensität wach- alitionsvertrag von CDU/CSU und SPD eine prominente Rolle sende Eingriffe selektiv fördern und aktiv steuern zu wollen.1 ein: Der Wortstamm „digital“ findet sich auf dem 175 Seiten Ausgerechnet der Staat, dessen eigene digitale Rückstän- starken Dokument ganze 298 Mal. digkeit immer mehr zum Hemmschuh wird, soll den Weg Angesichts dieser ambitionierten, umfangreichen An- in die digitale Zukunft weisen? Aus lauter Angst vor einem kündigungen fällt die Bilanz der 2021 endenden 19. Legis- technologischen und wirtschaftlichen Bedeutungsverlust im laturperiode jedoch ernüchternd aus. Entstanden ist vor internationalen Vergleich gerät dabei viel zu sehr in Verges- allem eine Flut von Strategiepapieren und Aktionsplänen, mit senheit, dass das beste Investment in die Zukunftsfähigkeit zum Teil äußerst kleinteiligen Maßnahmenkatalogen: So fin- des Standorts Deutschland die Schaffung eines modernen, det man u.a. eine Datenstrategie der Bundesregierung, den digital leistungsfähigen Staates wäre. Es spricht wohl Bände Bericht der Daten-Ethik-Kommission, die KI-Strategie und über die politische Prioritätensetzung, dass in vielen der oben deren Fortschreibung, den Bericht der Enquete-Kommission genannten Strategiepapieren die Digitalisierung des Staates zur Künstlichen Intelligenz, eine Umsetzungsstrategie „Digi- erst im letzten Kapitel behandelt wird. Gerade hier wären talisierung gestalten“ der Bundesregierung, einen „Aktions- jedoch angesichts der nicht erst mit der Corona-Pandemie plan Forschungsdaten“ des Bildungsministeriums und einen offensichtlichen Mängel wesentlich ambitioniertere Anstren- 9-Punkte-Plan des Beauftragten der Bundesregierung für gungen erforderlich. Informationstechnik. Wollte man es überspitzt ausdrücken, Die Mischung aus einem eher abstrakten Diskurs um die könnte man unterstellen, die sichtbarste digitalpolitische Digitalisierung, gegen die ja ohnehin kaum jemand ernsthaft Errungenschaft der scheidenden Bundesregierung sei be- ist, und kleinteiligen Maßnahmenkatalogen, deren Umset- schriebenes Papier. Ein solches Urteil täte vielen Initiativen zung allzu oft an der Realität eines schwerfälligen Staatswe- jedoch Unrecht, deren Inhalte zum Teil durchaus Lob verdie- sens scheitert, ist bislang jedenfalls kein Erfolgsrezept. Die nen und die mit erkennbarem Willen vorangetrieben werden, Schaffung eines digital leistungsfähigen Staates wird dabei digitalpolitisch etwas zu bewegen. Dabei wurden mit der sowohl durch den Datenschutz (Kapitel 5) als auch den Föde- Registermodernisierung oder im Zuge der zumindest begon- ralismus (Kapitel 6) erschwert. Das eigentliche Problem aber nenen Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) durch- ist, dass Datenschutz und Föderalismus als willkommene, aus konkrete Fortschritte erzielt. politische Sündenböcke fungieren, mit denen von den Un- Dennoch – wie in den nachfolgenden drei Kapiteln auf- zulänglichkeiten im eigenen Verantwortungsbereich abge- gezeigt wird – trägt dieser bisherige digitalpolitische Ansatz lenkt werden kann. Wirkliche Konsequenzen muss niemand zu selten und zu wenige Früchte. Die zaghaften digitalpoli- fürchten, wenn Verbesserungen nicht gelingen oder gar tischen Fortschritte sind allenfalls ein quälend langsames Auf- nicht erst versucht werden. Nicht selten dominiert deshalb 1 Zu den Problemen aktiver staatlicher Lenkung und Förderung technologischer Entwicklungen und Innovationen vgl. Lenz (2020), S. 11-13, 21f. 04
Transparenz als Digitalisierungsmotor Einleitung – Sündenböcke und Vogel Strauße bei Digitalisierungsvorhaben eine Vogel-Strauß-Strategie, bei sichtbarer würden (Kapitel 7). Dabei hätte nicht nur die Politik der es attraktiver ist, Missstände bewusst im Anekdotischen eine bessere Grundlage für evidenzbasierte Entscheidungen, und Diffusen zu belassen und eine handlungs- und entschei- sondern würde vor allem ein für Bürger wieder erkennbarer dungsrelevante Leistungskontrolle zu verhindern, anstatt sich föderaler Wettbewerb Anreize für Veränderungen schaffen, konsequent für Modernisierung einzusetzen. deren genaue Ausgestaltung den jeweils Verantwortlichen Vor diesem Hintergrund reichen immer neue Einzelmaß- obliegen würde. Auf diese Weise könnte Transparenz zum nahmen und Strategien ohne strukturelle Veränderungen des Motor einer Digitalisierung des Staates werden, die nicht als digitalpolitischen Ansatzes nicht. Es sollte vielmehr zur vor- zentralistisch definierter Selbstzweck erfolgt, sondern als ein dringlichsten digitalpolitischen Priorität werden, im gesamten Mittel zum Zweck der Qualität und Effizienz staatlicher Auf- Staatswesen Handlungsdruck und Anreize für Veränderungen gabenerfüllung verstanden wird. Mit dem postpandemischen nicht nur digitaler Natur zu schaffen. Zu diesem Zweck be- politischen Neuanfang bietet sich eine große Chance, die er- darf es in allen Bereichen der staatlichen Aufgabenerfüllung forderlichen grundlegenden Veränderungen des staatlichen wesentlich umfangreicherer und aussagekräftigerer Daten und politischen Selbstverständnisses auf den Weg zu bringen über das eigene Handeln. Dessen Qualität und Zielerrei- und eine Transparenzoffensive ins Zentrum digitalpolitischer chung könnte auf dieser Basis – auch im Vergleich zwischen Aktivitäten zu stellen (Kapitel 8). Lässt man sie verstreichen, staatlichen Einrichtungen auf föderaler Ebene – wesentlich dürfte der digitale Staat hierzulande weiterhin bestenfalls eine besser beurteilt werden, wodurch auch Verantwortlichkeiten hoffnungsvolle Verheißung bleiben. 05
Die Verfehlung digitalpolitischer Ziele Der digitale Staat – 2 Die Verfehlung digitalpolitischer Ziele Eine der vordringlichsten digitalpolitischen Prioritäten war mit Glasfaseranschlüssen zu versorgen.5 Diese ermöglichen und ist der flächendeckende Ausbau von Breitband-Internet wesentlich höhere Übertragungsgeschwindigkeiten von 1 anschlüssen. Seit 2015 wurden im Bundesförderprogramm Gigabit/s und mehr. Auch hier ist jedoch bereits absehbar, für den Breitbandausbau insgesamt rund 12 Mrd. Euro För- dass dieses Ziel kaum erreicht werden kann: Die Verfügbar- dermittel zur Verfügung gestellt.2 Der Ausbau einer leistungs- keit von Glasfaseranschlüssen lag Ende 2020 bei mageren fähigen Digitalinfrastruktur dient zwar nicht unmittelbar der 14,5 Prozent aller Haushalte, wobei sich unter Einbeziehung Digitalisierung des Staatswesens, kann jedoch als Voraus- von kabelbasierten Anschlüssen mit ähnlichen Übertragungs- setzung dafür gesehen werden, dass Staat und Gesellschaft raten immerhin 59,2 Prozent ergaben (vgl. Abbildung 1). überhaupt digital miteinander interagieren können. Umso Kaum jemand glaubt dabei ernsthaft daran, dass bis 2025 schwerer wiegt die wiederholte Verfehlung selbstgesteckter eine flächendeckende Netzabdeckung mit Glasfaseran- Ausbauziele. So war es erklärtes Ziel des Bundes, bis Ende schlüssen gelingen kann.6 Zudem ist die Verfügbarkeit von 2018 Deutschland flächendeckend mit Internetanschlüssen Gigabit-Internetanschlüssen an Schulen und Krankenhäu- zu versorgen, die über eine Mindestgeschwindigkeit von sern – und damit in entscheidenden Bereichen staatlicher 50 Mbit/s verfügen.3 Bis heute konnte dieses Ziel nicht er- Aufgabenerfüllung – noch erheblich geringer. Dabei wurde reicht werden: Ende 2018 verfügten lediglich 87,7 Prozent mit dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sogar das aller Haushalte über ausreichend schnelle Anschlüsse.4 Zum prioritäre Ziel ausgegeben, bis zum Ende der 19. Legislatur- Ende des Jahres 2020 lag dieser Wert noch immer bei 94,5 periode diese Einrichtungen vollständig an das Glasfaser- Prozent. Auch wenn dies nah an der Zielmarke liegen mag, netz anzuschließen. Die Verfehlung dieses Ziels wiegt umso bedeutet es dennoch, dass mehr als einer von 20 Haushalten schwerer, da die erforderlichen Bandbreiten allein schon we- – konzentriert vor allem im ländlichen Bereich – noch immer gen der zahlreichen, gleichzeitigen Nutzer wesentlich größer nicht auf eine einigermaßen zeitgemäße Internetanbindung ausfallen dürften als bei privaten Haushalten. zurückgreifen kann. Ein weiteres digitalpolitisches Flaggschiff ist der „Digital- Wohl nicht zuletzt, um von der Verfehlung des 2018er- pakt Schule“, mit dem die nicht erst seit der Corona-Pande- Zieles abzulenken, wurde im Laufe des Jahres 2018 das mie offensichtlichen Rückstände bei der digitalen Infrastruktur neue Ziel ausgerufen, bis 2025 Deutschland flächendeckend des Schulwesens durch eine Bundesförderung in Höhe von 5 Ziel 2018 Ziel 2025 Ziel 2021 Ziel 2021 Abbildung 1: 100 Deutschland verfehlt seine 90 94,5 Breitband-Ausbauziele Verfügbarkeit in Prozent aller ... 80 88 87,6 70 Verfügbarkeit von Breitband-Internet 60 anschlüssen in Deutschland 59,2 (Stand Ende 2020) 50 40 Quelle: BMVI (2021). 42,2 30 37,2 20 10 0 Haushalte Schulen Krankenhäuser >= 50 Mbit/s >= 1.000 Mbit/s 2 Davon bewilligt waren zum Ende des Jahres 2020 etwa 8 Mrd. Euro, während sich die nach Projektabschluss ausgezahlten Mittel auf rund 1 Mrd. Euro beliefen (siehe Drucksache des Deutschen Bundestages 19/28307, S. 1f.). 3 Vgl. Bundesregierung (2014), S. 9. 4 Vgl. BMVI (2021). Dabei existiert ein großes Stadt-Land-Gefälle. 5 Vgl. CDU/CSU/SPD (2018), S. 38. 6 Wohlwissend wird beispielsweise im SPD-Wahlprogramm schon das erneut abgeänderte bzw. aufgeweichte Ziel ausgegeben, Deutschland müsse in den 2020er Jahren – also bis 2030 – zur Gigabitgesellschaft werden (vgl. SPD (2021), S. 12). 06
Transparenz als Digitalisierungsmotor Die Verfehlung digitalpolitischer Ziele 6.000 Abbildung 2: 500 Bundesmittel des Digitalpakts 5.000 Schule bislang kaum in Anspruch 4.000 genommen in Mio. Euro Stand 31.12.2020, ohne Förderprogramme 3.000 für IT-Administratoren und Lehrergeräte 5.000 2.000 Quelle: BMBF. 1.000 875 376 112 0 Fördermittel gesamt Abgeflossene Mittel Zusätzlich bewilligte Mittel Digitalpakt Schule Sofortausstattungsprogramm Mrd. Euro bis 2024 adressiert werden sollen. Die Fördermittel zess zu beschleunigen oder mögliches mangelndes Interes- fließen jedoch nur äußerst langsam ab: Zum Ende des Jah- se seitens der Schulen zu adressieren – findet jedoch kaum res 2020 wurden aus den ursprünglichen Mitteln des Digital- statt. Hinter dem Ziel eines vollständigen Mittelabflusses des paktes erst magere 112 Mio. Euro ausgezahlt (vgl. Abbildung Digitalpakts bis Ende 2024 und entsprechenden Digitalisie- 2). Wesentlich schneller flossen die Mittel des nach Ausbruch rungsfortschritten stehen demnach große Fragezeichen. der Corona-Pandemie beschlossenen, 500 Mio. Euro umfas- Ebenfalls fraglich ist die fristgerechte Implementierung senden Sofortprogramms zur Ausstattung von Schulen mit des Onlinzugangsgesetzes (OZG) bis 2022.8 Dieses sieht vor, Laptops und Tablets, die an Schüler verliehen werden kön- dass über einen Portalverbund als zentrale Anlaufstelle ab nen.7 Betrachtet man beide Programme zusammen wurden 2022 insgesamt 575 Verwaltungsdienstleistungen elektronisch von 5,5 Mrd. Euro bisher 487,9 Mio. Euro ausgeschüttet und abgerufen werden können. Das über den Umsetzungsstand weitere 874,9 Mio. Euro bewilligt. informierende OZG-Dashboard9 verweist dabei auf bereits 315 Nun mag die bislang geringe Auszahlungsquote auf verfügbare OZG-Leistungen, weitere 105 befänden sich in der notwendige Vorlaufzeiten bei der idealerweise sorgfältigen Umsetzung. Problematisch mit Blick auf kommunale Dienst- Vorbereitung und zielführenden Ausgestaltung umfangreicher leistungen ist jedoch, dass Leistungen bereits dann als online Infrastrukturprojekte zurückzuführen sein. Der eher schul- verfügbar gewertet werden, wenn dies in mindestens einer terzuckende Verweis der zuständigen Länder darauf sowie Kommune der Fall ist. Übersichtliche Informationen über den auf die Tatsache, dass Mittel erst nach Fertigstellung der ge- offensichtlich entscheidenden Zielwert, nämlich wie viele der förderten Projekte ausgezahlt werden, sind als Erklärung für Verwaltungsleistungen flächendeckend – also in allen Kom- den sehr zögerlichen Fortgang des Digitalpakts im dritten von munen und für alle Bürger – verfügbar sind, bietet das Dash- insgesamt sechs Planungsjahren des Förderprogramms den- board bislang nicht.10 Die Befürchtung eines in der Fläche eher noch unbefriedigend. Angesichts der so offenkundigen Digi- ernüchternden Umsetzungsstandes wird durch Erhebungen talisierungsmängel im Schulbereich (siehe auch Abbildungen unter Kommunen bestätigt, die zeigen, dass bei zahlreichen 9 und 10) müsste alles daran gesetzt werden, so schnell wie Verwaltungsleistungen eine digitale Bereitstellung noch immer möglich Fortschritte zu erzielen. Eine ernsthafte Ursachenfor- eine Seltenheit ist (vgl. Abbildung 3). Zudem gelten bereits schung – beispielsweise mit der Absicht, die ländereigenen OZG-Leistungen des Reifegrads 2 als online verfügbar. Dies Förderrichtlinien zu vereinfachen, den Antragsstellungspro- bedeutet, dass eine Online-Beantragung grundsätzlich mög- 7 Mittlerweile wurde der Digitalpakt um zwei weitere Förderprogramme für IT-Administratoren und Lehrergeräte mit jeweils 500 Mio. Euro Umfang erweitert. 8 So verwies z.B. der Normenkontrollrat mehrfach auf entsprechende Skepsis, vgl. letztmalig Kühnen (2021), S. 11. 9 Das Dashboard findet sich unter www.onlinezugangsgesetz.de. 10 Zumindest scheint eine solche Erhebung in Planung zu sein (siehe Drucksache 19/25063 des Deutschen Bundestages, S. 5). 07
Die Verfehlung digitalpolitischer Ziele Der digitale Staat – 100 Abbildung 3: 90 Digitale Verwaltungsleistungen der Kommunen sind eher Anteil der Kommunen (in Prozent), 80 Ausnahme als Regel die Leistung online anbieten 70 Erhebung unter 302 kommunalen Internet- 60 seiten, Juli – Dezember 2020 50 Quelle: Hölscher et al. (2021). 40 30 20 10 0 Führungs- zeugnis Kfz- Zulassung Melderegister auskunft Gewerbe- anmeldung Kitaplatz beantragen Hundesteuer- anmeldung Wohngeld- antrag Eingliederungs- hilfen Bau- genehmigung Handwerker- parkausweis lich ist, Nachweise aber nicht online übermittelbar sein müs- die Projektlaufzeit von einem „grundsätzlichen Planungshori- sen. Wesentlich ambitionierter wäre es, als Zielwert Reifegrad zont“ von 10 Jahren aus. An der zu Beginn des Jahres 2021 3 zugrunde zu legen, also eine vollständig digitale Abwicklung eingeführten elektronischen Patientenakte wird nun schon der Verwaltungsleistung inkl. digitaler Bescheidzustellung. seit 2003 getüftelt.13 Auch in anderen staatlichen Bereichen vollziehen sich Vor dem Hintergrund dieser Beispiele für digitale Zielver- Digitalisierungsprojekte zum Teil in quälender Langsamkeit fehlung ist es ein wiederkehrendes Muster, dass der Bund und werden zeitliche Zielvorgaben verfehlt. So soll beispiels- zwar digitale Ziele ausruft und Modernisierungsvorhaben weise das Projekt KONSENS, das die Entwicklung einer anstößt. Für deren Umsetzung ist er jedoch auf Bereitschaft bundesweit einheitlichen Software für die Steuerverwaltung und Fähigkeit des gesamten Staatswesens angewiesen. Der vorsieht, nach derzeitigem Stand der Planungen frühestens Versuch, beides vor allem durch zusätzliche Finanzmittel zu 2029 und damit 22 Jahre nach Beginn abgeschlossen wer- fördern, trägt angesichts der nur zögerlichen Inanspruchnah- den.11 Das 2017 initiierte Programm „Polizei 2020“, mit dem me von Fördermitteln wenig Früchte. Auch wenn dabei kaum polizeiliche Datenhaltung und Informationsflüsse modernisiert vermeidbare Vorlaufzeiten für Infrastrukturvorhaben oder bü- und vereinheitlicht werden sollen, befindet sich laut Auskunft rokratisch bedingte Langsamkeit eine Rolle spielen mögen, der Bundesregierung zum Jahresende 2020 „in der abschlie- ist dies wohl auch ein Indiz dafür, dass es mit mehr Geld allein ßenden Phase konzeptioneller Planungen“.12 Man gehe für nicht getan ist. 11 Vgl. Bundesrechnungshof (2020), S. 4. 12 Siehe Drucksache 19/25651 des Deutschen Bundestages, S. 2,4. 13 Siehe www.deutschlandfunk.de vom 3.1.2021: „Durchbruch oder Flop?“. 08
Transparenz als Digitalisierungsmotor Deutschland im internationalen Vergleich 3 Deutschland im internationalen Vergleich Die Verfehlung digitalpolitischer Ziele muss kein Makel sein, sammenfasst, insgesamt zwar knapp über dem Durchschnitt solange dies nur Ausdruck einer überambitionierten Zielset- aller EU-Länder. Wesentlich ernüchternder aber ist der Blick zung ist und substanziellen Fortschritten nicht im Wege steht. auf die Komponente des Indexes, mit der die Qualität digitaler Mit Blick auf internationale Vergleiche zeigt sich allerdings, Verwaltungsdienstleistungen bewertet wird. Dieser setzt sich dass Deutschland mitnichten ein Land ist, in dem man sich aus Kennzahlen für den Nutzungsgrad digitaler Verfahren, zu viel oder zu schnelle Digitalisierung vornimmt. Im Gegen- die Verwendung vorausgefüllter Formulare, die vollständige teil: Das internationale Abschneiden des deutschen Staates Online-Verfügbarkeit bestimmter Verwaltungsdienste für Bür- bei diversen Digitalisierungs-Rankings ist – unabhängig von ger und Unternehmen sowie das Ausmaß von Open-Data- der methodischen Ausgestaltung – unterdurchschnittlich. Bemühungen zusammen. Hier nimmt Deutschland lediglich So liegt Deutschland im jährlich von der EU-Kommission den 21. Platz in Europa ein (vgl. Abbildung 4). Im Verlauf der veröffentlichten „Digital Economy and Society Index“ (DESI), letzten fünf Jahre blieb der Abstand auf den EU-Durchschnitt der zahlreiche Indikatoren zur Digitalisierung von Staat, Ge- im Wesentlichen konstant – eine digitale Aufholjagd sieht an- sellschaft und Wirtschaft der jeweiligen Mitgliedstaaten zu- ders aus (vgl. Abbildung 5). 100 Abbildung 4: 90 Deutschland beim E-Government 80 schlechter als der europäische Indexwert von 0 bis 100 Rang 21 70 Durchschnitt 60 DESI-Komponente E-Government 2020 50 40 Erläuterung: Indexwert ermittelt aus 30 Kennzahlen für den Nutzungsgrad digitaler Verfahren, die Verwendung vorausgefüllter 20 Formulare, die vollständige Online-Verfüg- 10 barkeit bestimmter Verwaltungsdienste für 0 Bürger und Unternehmen sowie das Ausmaß von Open-Data-Bemühungen. Estland Spanien Dänemark Finnland Lettland Litauen Niederlande Österreich Irland Schweden Malta Frankreich Portugal Luxemburg EU-Durchschnitt Belgien Ver. Königreich Slowenien Zypern Italien Polen Deutschland Tschechien Bulgarien Ungarn Kroatien Slowakei Griechenland Rumänien Quelle: Europäische Kommission – DESI 2020. 100 Abbildung 5: 90 Eine deutsche Aufholjagd beim 80 E-Government sieht anders aus Indexwert von 0 bis 100 70 Entwicklung DESI-Komponente 60 E-Government 2015–2020 50 40 Quelle: Europäische Kommission – DESI 2020. 30 20 10 0 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Estland EU-Durchschnitt Deutschland 09
Deutschland im internationalen Vergleich Der digitale Staat – 0,8 Abbildung 6: 0,7 Deutsches E-Government 0,6 auch im OECD-Vergleich Indexwert von 0 bis 1 unterdurchschnittlich 0,5 Rang 24 OECD-Digital Government Index 2019 0,4 0,3 Erläuterung: Bewertung von 6 Zieldimen sionen auf Basis von Fragebögen an 0,2 Regierungsvertreter („digital by design“, datengesteuerter öffentlicher Sektor, Regie- 0,1 rung als Plattform, „open by default“ sowie nutzerzentriertes und proaktives staatliches 0 Handeln). Republik Korea Ver. Königreich Kolumbien Dänemark Japan Kanada Spanein Israel Portugal Frankreich Neuseeland Norwegen Luxemburg Italien Slowenien Estland Lettland Österreich Niederlande Tschechien Irland Chile Belgien Deutschland Litauen Finnland Griechenland Island Schweden OECD-Durchschnitt Quelle: OECD (2020). Auch auf globaler Ebene ist das deutsche Erscheinungs- Handeln.14 Deutschland erreicht dabei 2019 lediglich den 24. bild nicht ermutigender. So ermittelt die OECD auf Basis von Rang unter 29 betrachteten OECD-Staaten. Fragebögen, die an Regierungsvertreter verschickt wurden, Noch unbefriedigender aus deutscher Sicht ist der On- den Digital Government Index (vgl. Abbildung 6). Auf Grund- line-Service Index der Vereinten Nationen, in dessen Rah- lage der Angaben werden Mitgliedstaaten der OECD in sechs men die Online-Präsenz der 193 UN-Staaten ebenfalls auf Zieldimensionen bewertet: „digital by design“, datengesteu- Basis eines Fragebogens bewertet wird (vgl. Abbildung 7).15 erter öffentlicher Sektor, Regierung als Plattform, „open by Deutschland belegt dabei im Jahr 2020 den 59. Platz – hinter default“ sowie nutzerzentriertes und proaktives staatliches Nord-Mazedonien und vor den Philippinen. 1,0 Abbildung 7: 0,9 Deutschlands E-Government auf 0,8 Rang 59 Rang 59 unter den UN-Staaten 0,7 UN Online-Service Index 2020: Top 10 und Indexwert von 0 bis 1 Plätze 56–65 des Rankings 0,6 Erläuterung: Bewertung der Online-Präsenz 0,5 der 193 UN-Staaten auf Basis von Frage 0,4 bögen an Regierungsvertreter. 0,3 Quelle: United Nations (2020). 0,2 0,1 0 … … Republik Korea Estland Dänemark Finnland Singapur Ver. Königreich Australien USA Österreich Neuseeland Ungarn Südafrika Nordmazedonien Deutschland Philippinen Tschechien Rumänien Slowakei Sri Lanka Weißrussland 14 Vgl. OECD (2020), S. 14 f. 15 Vgl. United Nations (2020), S. 236-242. Der Online-Service Index ist dabei nur eine von drei Teildimensionen des E-Government Development Index, der zusätz- lich auch die Telekommunikationsinfrastruktur und Humankapital berücksichtigt. In dem Gesamtranking belegt Deutschland Rang 25. 10
Transparenz als Digitalisierungsmotor Deutschland im internationalen Vergleich Bei derartigen Digitalisierungsrankings gehen in der Ag- pro Dienst maximal 20 Städte untersucht werden, bei denen gregation zahlreicher, zum Teil völlig unterschiedlicher Metho- es sich überwiegend um Großstädte handelt. Daher ist zu den und Indikatoren handlungsrelevante Informationen leicht erwarten, dass die Verfügbarkeit von digitalen Diensten in der verloren, zumal auch verschiedene Zieldimensionen verfolgt Fläche Deutschlands deutlich geringer ausgeprägt ist. werden. Ergebnisse müssen daher immer mit einer gewissen Neben der Verfügbarkeit von digitalen Verwaltungs- Vorsicht interpretiert werden. Beispielsweise erzielt Schwe- dienstleistungen ist vor allem deren Nutzung ein ausschlag- den im DESI einen überdurchschnittlichen zehnten Rang, gebender Erfolgskriterium. Bei diesem Indikator des DESI landet aber im Vergleich der OECD auf dem letzten Platz. schneidet Deutschland allerdings frappierend schlecht ab: Wie Deutschland jedoch verlässlich unterdurchschnittlich ab- Von allen Internetnutzern, die im Jahr 2019 Formulare einrei- zuschneiden, ist offensichtlich ungünstig. chen mussten, nutzten in Deutschland lediglich 49,3 Prozent Auch vor diesem Hintergrund lohnt sich der Blick auf hierfür die zur Verfügung stehenden Online-Möglichkeiten die Einzelindikatoren des DESI. So erzielt Deutschland bei (vgl. Abbildung 8).17 Damit belegt Deutschland in der EU den dem Indikator, der das Ausmaß beziffert, mit dem verschie- drittletzten Platz vor Italien und Griechenland, während der dene Verwaltungsschritte vollständig online erledigt werden entsprechende Wert bei Spitzenreiter Finnland 94,4 Prozent können, einen scheinbar beruhigend hohen Wert von 89,9 beträgt. Zwar kann ein geringer Nutzungsgrad von Online- auf einer Skala von 0 bis 100 und liegt ausnahmsweise im Angeboten in einer wie Deutschland alternden Gesellschaft europäischen Durchschnitt. Allerdings fließt in den Wert nur in der mangelnden Bereitschaft und Fähigkeit der Nutzer be- die stichprobenartige Online-Verfügbarkeit von acht „Lebens- gründet sein, digitale Verfahren zu nutzen, und dies in der ereignissen“ ein und wird ein gewichteter Durchschnitt ge- Folge auch die Entwicklung digitaler Leistungen erschweren. bildet, wobei ein Gesamtwert von 50 bereits erreicht würde, Das ändert gleichsam wenig an der unbedingten Notwendig- wenn lediglich Informationsmaterial online abrufbar ist.16 Eine keit, digitale Angebote zu schaffen, zumal eine geringe Nach- ambitioniertere Ausgestaltung des Index wäre daher durch- frage dieser ebenso gut auf angebotsseitige Versäumnisse aus vorstellbar. Hinzu kommt, dass viele Dienstleistungen auf zurückzuführen sein könnte. Für fehlenden Nutzerkomfort kommunaler Ebene erbracht werden, in der Erhebung jedoch spricht u.a., dass den Behörden bereits bekannte, personen- 100 Abbildung 8: 90 Deutschland bei der Nutzung von in Prozent der Internetnutzer, die ausgefüllte 80 E-Government in Europa Formulare einreichen mussten drittletzter 70 Personen, die in den letzten 12 Monaten per 60 Rang 26 Internet Formulare an Behörden übermittelt 50 haben, DESI-Periode 2020 40 Quelle: Europäische Kommission – DESI 2020. 30 20 10 0 Finnland Estland Dänemark Schweden Ver. Königreich Niederlande Lettland Rumänien Spanien Litauen Irland Frankreich Österreich Portugal EU-Durchschnitt Kroatien Bulgarien Slowenien Luxemburg Malta Ungarn Polen Belgien Slowakei Zypern Tschechien Deutschland Griechenland Italien 16 Die Lebensereignisse umfassen Verwaltungsleistungen im Zusammenhang mit Unternehmensgründungen, regulärem Unternehmensbetrieb, Familienleben, Jobverlust und -suche, Studium, Umzug, Autoerwerb und -besitz sowie der Führung eines Bagatellverfahrens (vgl. van der Linden et al. (2020), S. 14). 17 Die umfragebasierten Erhebungen von Scheiber et al. (2020), S. 14 ff. kommen für das Jahr 2020 auf einen ähnlichen Wert von ungefähr 54 Prozent der Befragten, die angaben, in den letzten 12 Monaten E-Government Angebote genutzt zu haben. Allerdings handelt es sich bei der überwiegenden Mehrzahl der in Anspruch genommenen Dienste eher um vorgelagerte Schritte, wie die Informationsgewinnung auf Webseiten, Online-Terminvereinbarung oder das Herunterladen von Formularen. Schon das ist zwar eine erhebliche Verbesserung aus Nutzersicht, aber zugleich von einer wirklich digitalen Verwaltung mit vollständig digitalen Prozessen noch einen guten Schritt entfernt. 11
Deutschland im internationalen Vergleich Der digitale Staat – bezogene Daten in Online-Formularen deutlich seltener vor als digitalpolitische Erfolgskontrolle, über die Anreize für Ver- ausgefüllt werden als im europäischen Durchschnitt.18 besserungen entstehen können, ist zwar nicht vernachlässig- Wenig ermutigend sind Erkenntnisse über digitale Fort- bar, aber dennoch begrenzt. schritte des Schulwesens im internationalen Vergleich, die Erstens macht die inhärente Schwierigkeit, die digitale sich aus den letztmalig 2018 durchgeführten PISA-Erhe- Leistungsfähigkeit von Staaten als komplexes und multi- bungen gewinnen lassen (vgl. Abbildung 9). Auf Basis der dimensionales Untersuchungsobjekt auf einen eindimen- durchgeführten Befragungen von Schulleitern zeigt sich, sionalen Indexwert zu reduzieren, Rankings bis zu einem dass die infrastrukturellen Voraussetzungen in Deutschland bestimmten Grad methodisch angreifbar. So gilt es bei- weit hinter dem internationalen Durchschnitt zurückbleiben. spielsweise zu entscheiden, wie die Verfügbarkeit, die Inan- So befinden sich hierzulande nur knapp ein Drittel der Schüler spruchnahme oder die Qualität von digitalen Dienstleistungen in Schulen, in denen die Internetanbindung ausreichend ist, des Staates zu gewichten ist. Zweitens kann ein Vergleich während es im OECD-Durchschnitt mehr als doppelt so viele zwischen Ländern nicht der Tatsache gerecht werden, dass sind. Besonders erschreckend ist jedoch der Stellenwert, den insbesondere innerhalb des föderal organisierten Staates in die Digitalisierung in der täglichen Arbeit von Lehrkräften ein- Deutschland erhebliche Unterschiede im Hinblick auf digitale nimmt, denen zudem kaum entsprechende Ressourcen zur Leistungsfähigkeit staatlicher Einrichtungen vorliegen. Drit- Verfügung stehen. Lediglich 40 Prozent der Schüler sind auf tens stehen Daten oftmals erst mit erheblichem Zeitverzug Schulen, an denen Zugang zu effektiven digitalen Weiterbil- zur Verfügung. In der Folge fällt es politisch Verantwortlichen dungsangeboten für Lehrer vorhanden ist. Das ist unter den daher leicht, die zumeist nur kurz währende öffentliche Auf- 78 untersuchten Ländern der drittschlechteste Wert. Ebenso merksamkeit und Entrüstung über die Bestätigung eines eher fehlen Anreize zum Einsatz digitaler Technologien sowie die diffusen Bildes digitaler Rückständigkeit in Deutschland zu Möglichkeit zum organisierten Austausch über den Einsatz entkräften bzw. auszusitzen. Hinzu kommt, dass der Ver- digitaler Unterrichtsansätze und deren Weiterentwicklung un- gleich mit anderen Ländern zwar zu wertvollen Erkenntnissen ter Lehrkräften. Da die letzte PISA-Erhebung vor der Corona- über digitale Möglichkeiten führen kann. Die bloße Übertra- Pandemie erfolgt ist, mag sich seitdem bereits einiges zum gung von „Best Practices“ aus digitalen Vorreiterländern ist Besseren gewendet haben, auch wenn daran Zweifel beste- dabei allerdings wenig erfolgsversprechend, da sich instituti- hen (vgl. Kapitel 4.1). onelle, rechtliche und gesellschaftliche Voraussetzungen oft- Letztlich eignen sich internationale Vergleiche, ob nun mals stark unterscheiden und Veränderungen ohne die Ein- auf Basis aggregierter Indexwerte oder einzelner Indikatoren, beziehung betroffener Akteure in den Entwicklungsprozess vor allem für eine grobe „Standortbestimmung“. Ihre Wirkung oftmals auf Widerstand treffen.19 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% Abbildung 9: Deutsche Schulen bei der Internetbandbreite und -geschwindigkeit Digitalisierung im OECD-Vergleich ist ausreichend Rang 71 von 79 abgeschlagen Effektive Ressourcen für Lehrkräfte, Anteil der Schüler an Schulen, deren Lei- um den Einsatz digitaler Hilfsmittel tung folgenden Aussagen zustimmt zu erlernen, sind vorhanden Rang 77 von 79 Quelle: OECD – PISA 2018 Database. Es existieren Anreize für Lehrer, digitale Hilfsmittel im Unterricht einzusetzen Rang 50 von 79 Eingeplante Zeit für Lehrertreffen zu Austausch, Bewertung oder Entwicklung von Unterrichtsmaterialien und -ansätzen, die digitale Hilfsmittel einsetzen. Rang 76 von 79 OECD-Durchschnitt Deutschland 18 Der entsprechende Indexwert ist Teil des DESI und liegt bei 41,1 im Vergleich zum EU-Durchschnitt von 59,4 (vgl. van der Linden et al. (2020), S. 29). 19 Vgl. Bason (2014), S. 13. Vor diesem Hintergrund beinahe schon etwas hilflos wirkt auch der jüngste Vorschlag, digitale Experten-Teams aus Estland einfliegen zu lassen. Siehe www.faz.net vom 12.4.2021: „Altmaier: ‘Team aus Estland einfliegen‘“. 12
Transparenz als Digitalisierungsmotor Digitale Handlungsfähigkeit in der Corona-Pandemie 4 Digitale Handlungsfähigkeit in der Corona-Pandemie Rückständigkeit in Gesundheitsämtern 4.1 Fehlende digitale Ausstattung und Verfahren Im Fokus der öffentlichen Diskussion stand vor allem die von vielen Seiten beklagte digitale Rückständigkeit der Gesund- Durch die Corona-Pandemie ist die mangelnde digitale Aus- heitsämter, die bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie stattung staatlicher Stellen sowie das Fehlen digitaler Verfah- auf händische Excel-Listen und Faxgeräte setzen mussten.22 ren in zahlreichen Bereichen überdeutlich zu Tage getreten. Es ist offensichtlich, dass insbesondere manuelle Datenüber- Als Ergebnis zum Teil jahrelanger Versäumnisse wurde eine effektive staatliche Reaktion auf die Krise erheblich erschwert. Abbildung 10: Digitaler Schulunterricht scheitert oft Digitaler Distanzunterricht in Deutschland kein adäquater Ersatz – zudem kaum Fortschritt erkennbar Mit am offensichtlichsten wurde dies in den Schulen, die auf digitalen Distanzunterricht während Schulschließungen nicht Quelle: Wößmann et al. (2021). genügend vorbereitet waren. Dies mag zu Beginn der Pan- demie angesichts fehlender Vorlaufzeit noch verständlich und kaum vermeidbar gewesen sein. Alarmierend sind jedoch Be- Zeitaufwand für schulische Aktivitäten in Stunden pro Werktag funde, die vermuten lassen, dass sich die Situation auch im Anfang 2021 1 3,3 zweiten Pandemiejahr kaum verbessert hat. Dies verdeutlicht Frühjahr 2020 0,9 2,7 eine Befragung unter Lehrkräften, die im April und Dezember 2020 durchgeführt wurde: Während im Frühjahr zwei Drittel Vor Corona 5,9 1,5 der Befragten angaben, ihre Schule sei weniger gut oder Schulbesuch Lernen für die Schule schlecht auf Fernunterricht vorbereitet, betrug derselbe Wert im Dezember noch immer 61 Prozent.20 Nur knapp die Hälfte der befragten Lehrkräfte berichtete zudem, dass ihre Schule Gemeinsamer Unterricht für die ganze Klasse (z.B. Videoanruf) im Dezember über technische Möglichkeiten für Videounter- richt verfügt habe. Anfang 2021 26 % 35 % 13 % 8% 18 % Ein ähnliches Bild lassen Erhebungen unter Eltern von Frühjahr 2020 6% 23 % 14 % 11 % 45 % Schulkindern erkennen (vgl. Abbildung 10).21 So war die mit Lernaktivitäten verbrachte Zeit mit 4,3 Stunden pro Tag auch Täglich Mehrmals pro Woche Einmal pro Woche Anfang 2021 noch deutlich geringer als vor der Corona-Pan- Weniger als einmal pro Woche Nie demie. Fast 40 Prozent aller befragten Eltern gaben dabei an, ihr Kind habe während der Schulschließungen zu Beginn des Jahres 2021 höchstens einmal pro Woche gemeinsamen Bereitstellung von Aufgaben hauptsächlich über ... (Video-)Unterricht mit der gesamten Klasse gehabt. Immer- Anfang 2021 51 % 26 % 20 % 3% hin erfolgte im Vergleich zum Frühjahr 2020 nur noch für 18 statt 45 Prozent der Schüler gar kein gemeinsamer Unter- digitale Lernplattformen andere digitale Bereitstellung richt. Weiterhin gab knapp ein Viertel der befragten Eltern Papierform andere Art der Bereitstellung an, Aufgaben seien hauptsächlich auf nicht-digitalen Wegen bereitgestellt worden und bei mehr als einem Drittel traten regelmäßige Probleme bei der Nutzung digitaler Lernplatt- Auftreten von Problemen bei der Nutzung digitaler Lernplattformen formen auf. Auch über ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie verläuft die schulische Leistungserbringung im Rahmen di- Anfang 2021 5% 29 % 40 % 18 % 8% gitaler Ersatzformen daher alles andere als optimal und sind entsprechende, langfristige Auswirkungen auf den Bildungs- Täglich Regelmäßig, aber nicht täglich Selten erfolg betroffener Schüler zu befürchten. Nie Nicht verwendet 20 Vgl. forsa (2020). 21 Vgl. Wößmann et al. (2021). 13
Digitale Handlungsfähigkeit in der Corona-Pandemie Der digitale Staat – tragungen und Meldewege fehleranfällig sind, eine Vergeu- bart, das Programm SORMAS in 90 Prozent der Gesund- dung wertvoller, ohnehin knapp bemessener personeller und heitsämter zur Anwendung zu bringen. Später wurde das Ziel zeitlicher Ressourcen darstellen und somit die Effektivität der ausgerufen, SORMAS bis Ende Februar 2021 in allen Ge- Pandemiebekämpfung einschränken. So wurde erst zum sundheitsämtern zu installieren. Die tatsächliche Umsetzung 1.1.2021 das einheitliche Meldesystem DEMIS bundesweit dieser Beschlüsse liegt jedoch im Kompetenzbereich der verpflichtend eingeführt, mit dem die Meldung von positiven Länder bzw. der jeweiligen Gesundheitsämter. So war SOR- Corona-Testergebnissen durch Labore an die Gesundheits- MAS nach Auskunft der Bundesregierung zum 25. März 2021 ämter und das Robert-Koch-Institut (RKI) erfolgen soll. Die zwar immerhin in 315 von insgesamt 375 Gesundheitsämtern Umstellung inmitten einer Hochphase der Pandemie – statt einsatzbereit, Medienrecherchen ergaben jedoch, dass nur beispielsweise im Sommer bei niedrigeren Fallzahlen – sorgte 90 Gesundheitsämter tatsächlich aktiv mit der Software ar- dabei für Probleme.23 Auch wenn DEMIS zwar mittlerweile in beiteten.27 Effiziente und bestmöglich automatisierte digitale allen Gesundheitsämtern einsatzbereit ist, hat das Fax den- Prozesse, die auf interoperablen Systemen beruhen, bleiben noch nicht ausgedient. Noch immer übermitteln zahlreiche demnach bei der Pandemiebekämpfung in weiter Ferne. Labore die Ergebnisse per Fax an die Gesundheitsämter, von wo aus sie wiederum an das RKI gemeldet werden.24 Allein Verwaltung schlecht vorbereitet dieser letzte Schritt des Meldeweges sorgt für einen nicht unerheblichen Verzug bei der Ermittlung aktueller Fallzahlen: Ein ähnliches Bild ergibt sich mit Blick auf Verwaltungsdienst- Lediglich 70 Prozent aller Infektionsfälle liegen weniger als 12 leistungen. Angesichts der in den beiden voranstehenden Stunden nach Erfassung durch das zuständige Gesundheits- Kapiteln beschriebenen Voraussetzungen überrascht es we- amt beim RKI vor.25 Da politische Entscheidungen im Zuge nig, dass die öffentliche Verwaltung auch in der Pandemie zu der Pandemie in großen Teilen auf den aktuellen Fallzahlen wenig auf digitale Verfahren und Schnittstellen zu den Bür- beruhen, ist dies so bedenklich wie unnötig. gern setzen konnte. Stattdessen blieben Anliegen vielerorts Noch weniger von Erfolg gekrönt waren bisher die bun- schlicht liegen und waren Behörden für Bürger zuweilen gar despolitischen Versuche, in den Gesundheitsämtern mit nicht mehr erreichbar. Erhebungen nach der ersten Pande- SORMAS eine einheitliche Software zur Kontaktnachver- miewelle zeigen, dass mit 11 Prozent nur ein äußerst kleiner folgung zu etablieren. Aufgrund zu Beginn der Pandemie Teil der Befragten innerhalb der ersten drei Monate der Pan- fehlender, einheitlicher Systeme entwickelten die Gesund- demie Anfang 2020 seine Nachfrage nach Online-Diensten heitsämter jeweils eigene Lösungen oder verwendeten Excel- erhöhte. Knapp ein Drittel wählte hingegen die Strategie „Ver- basierte Verfahren, die jedoch wegen fehlender Schnittstellen meidung“, während 15 Prozent angaben, dass sie Behörden- nicht bzw. nur bedingt miteinander kompatibel sind.26 Bei der gänge wegen Schließungen gar nicht absolvieren konnten.28 Bekämpfung einer Pandemie, die sich eben nicht an Land- Eine andere Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass von kreisgrenzen hält, bedeuten derartige Insellösungen, dass die denjenigen, die während des ersten Lockdowns Kontakt mit Nachverfolgung über die Grenzen der eigenen Zuständigkeit Behörden hatten, 41 Prozent die Verwaltung als weniger oder vielfach händisches Abtippen aus einem System, eine Über- gar nicht funktionsfähig bewerten.29 Alles andere als vorbild- mittlung via Faxgerät und erneutes Eintragen in ein anderes lich waren zudem die Bemühungen der öffentlichen Verwal- System erfordert. tung, Tätigkeiten ins Home-Office zu verlegen. Im zweiten Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen der Minister- Quartal 2020 arbeitete nur jeder zweite Beschäftigte der öf- präsidentenkonferenzen zunächst im November 2020 verein- fentlichen Verwaltung überwiegend aus dem Home-Office. 22 So kam laut einer Umfrage unter 252 Gesundheitsämtern im Sommer des Jahres 2020 das Faxgerät mit Abstand am häufigsten als Medium zum Datenaus- tausch mit Laboren zum Einsatz (171 Nennungen bei möglichen Mehrfachnennungen; vgl. Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag (2020), S. 16). 23 Siehe www.dw.com vom 26.1.2021: Gesundheitsämter: „Mit Papier, Stift und Fax gegen Corona“. 24 Gemäß einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hatten zum 3. März 2021 460 Labore einen DEMIS-Zugang be- antragt, allerdings nur 360 davon auch tatsächlich Meldungen über das System abgesetzt (siehe Drucksache 19/28134 des Deutschen Bundestages, S. 8). 25 Siehe Drucksache 19/28134 des Deutschen Bundestages, S. 6. 26 Vgl. Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag (2020), S. 17. 27 Siehe Drucksache 19/28134 des Deutschen Bundestages, S. 4 sowie www.tagesschau.de vom 18.3.2021: „Daten müssen weiter abgetippt werden“. 28 Vgl. Scheiber et al. (2020), S. 19. 29 Vgl. Köppl (2020), S. 20 sowie zu der Verbreitung des Home-Offices S. 12f. 14
Transparenz als Digitalisierungsmotor Digitale Handlungsfähigkeit in der Corona-Pandemie Jeder Vierte musste täglich an den eigenen Arbeitsplatz kom- digital registrieren können, anstatt sich in handschriftliche men – auf kommunaler Ebene galt dies sogar für 42 Prozent. Listen einzutragen.33 Die entsprechende Funktion gibt es in der Corona-Warn-App seit April 2021. Zudem fallen die enorm Digitale Lösungen spät und überhastet hohen Entwicklungskosten der deutschen App auf. Im Herbst 2020 wurden die Kosten der irischen Corona-App, die zu dem Positiv zu sehen ist hingegen, dass bei der Bewältigung der Zeitpunkt umfangreichere Funktionen hatte, mit 800.000 Euro Herausforderungen durch die Pandemie durchaus neue digi- bemessen, während das Finanzministerium zum Start der tale Verfahren und Lösungen entstanden sind. Dabei fällt je- deutschen Variante mit 69 Mio. Euro rechnete.34 doch auf, dass deren Entwicklung nicht immer schnell genug oder mangels vorausschauender Vorbereitung überhastet 4.2 Unzureichende Datenerhebung und erfolgte. So wurde die Auszahlung von Hilfsgeldern der No- -nutzung vember- und Dezemberhilfen sowie der Überbrückungshilfe III durch die jeweils nicht rechtzeitig einsatzbereite Software für die Antragsstellung verzögert.30 Ebenso wurde bei der Im Zuge der Corona-Pandemie wurden politische Entschei- Kontrolle von Einreisenden aus Risikogebieten im Ausland dungen wohl unmittelbarer als je zuvor durch empirische monatelang auf Papier-Aussteigekarten gesetzt und ging ein Kennziffern beeinflusst. Tagesaktuelle Inzidenzkurven, R- System zur digitalen Einreiseanmeldung erst im November Werte, Übersterblichkeiten und Impfquoten standen im Mit- 2020 an den Start. telpunkt des medialen und gesellschaftlichen Diskurses wie Auch bei der Entwicklung eines digitalen Impfnachweises nie zuvor. Diese Entwicklung hin zu einer evidenzbasierten kann man sich fragen, warum ein solcher erst Monate nach Politik ist als Ausdruck und Folge fortschreitender Digitalisie- dem Start der Impfkampagne zur Verfügung stehen soll und rung, ohne die eine entsprechend umfangreiche und zeitna- nicht gleich zu Beginn, zumal Sorgen vor Fälschungen bei he Erhebung und Auswertung von Daten kaum vorstellbar der nachträglichen Übertragung aus dem gelben Impfpass wäre, sehr zu begrüßen. Dennoch wird zielgerichtetes, staat- bestehen. In manchen Bundesländern wurde gleichsam trotz liches Handeln in der Corona-Pandemie vielfach dadurch er- monatelanger, absehbarer Vorlaufzeit die Auftragsvergabe schwert, dass es an systematisch erhobenen, aktuellen Da- für die Errichtung von Online-Portalen zur Impfterminvergabe ten als Handlungsgrundlage entweder fehlt oder diese nicht sehr kurz vor dem Impfstart erteilt, weshalb die Umsetzung sinnvoll in politische Entscheidungen eingebunden werden.35 mitunter hastig erfolgte und sich somit die anfänglichen Pro- Die mangelnde Fähigkeit bzw. Bereitschaft zu mehr evidenz- bleme bei der Terminvergabe verschärften.31 Ähnliches gilt für basiertem Handeln drückt sich nicht zuletzt auch darin aus, den Einsatz von Lern-Plattformen für digitalen Distanzunter- dass Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung noch mehr als richt, bei denen es auch im Januar 2021 teilweise noch zu ein Jahr nach Pandemiebeginn im politischen Ausnahmemo- erheblichen Problemen kam (vgl. auch Abbildung 10).32 dus nächtlicher Verhandlungen und Entscheidungen entwor- Darüber hinaus erfolgte die Weiterentwicklung der Co- fen wurden. rona-Warn-App im Vergleich zu ähnlichen Anwendungen in Man kann die Bekämpfung einer Pandemie dabei als ein anderen Ländern eher schleppend. So kam bei der britischen Informationsproblem interpretieren: Wüsste man zu jedem Warn-App bereits im September 2020 eine Check-In-Funkti- Zeitpunkt exakt Bescheid, wer infektiös ist, ließe sich durch on zum Einsatz, mit der sich z.B. Restaurantgäste oder Ver- Isolierung der Infizierten die Zirkulation des Virus innerhalb anstaltungsteilnehmer durch Einscannen eines QR-Codes kürzester Zeit beenden.36 Die völlig unstrittige Tatsache, dass 30 Siehe www.handelsblatt.com vom 16.12.2020: „Unternehmen müssen wohl bis März auf ‘Überbrückungshilfe III‘ warten“. 31 Siehe www.zeit.de vom 27.2.2021: „Ihr Impftermin verzögert sich leider noch“. 32 Siehe www.focus.de vom 11.1.2021: „Viele Lernplattformen zum Schulstart down: Das ist der Stand in Ihrem Bundesland“. 33 Siehe www.spiegel.de vom 6.3.2021: „Wie QR-Codes in England gegen die Pandemie helfen“. 34 Siehe www.spiegel.de vom 13.10.2020: „Das teure, vergessene Mammutprojekt“ sowie www.aerzteblatt.de vom 13.10.2020: „Bundesregierung schlüsselt Kosten für Corona-Warn-App auf“. 35 Vgl. hierzu auch Deutsche Arbeitsgemeinschaft Statistik (2021) mit entsprechender Kritik an fehlender Evidenz des Krisenmanagements während der Corona- Pandemie. 36 Für die Interpretation der Pandemie als Informationsproblem vgl. Gans (2020). 15
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