Der Gaza-Krieg im Bild - Occasional Paper August 2010

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Der Gaza-Krieg im Bild - Occasional Paper August 2010
Der
Gaza-Krieg
im Bild

Occasional Paper
August 2010
Occasional Paper VI

                         Der Gaza-Krieg im Bild

                                                             Felix Koltermann

                                                                   August 2010

INTERNATIONALES KONVERSIONSZENTRUM BONN -                 Pfarrer-Byns-Straße 1
BONN INTERNATIONAL CENTER FOR CONVERSION (BICC) GMBH             D - 53121 Bonn
                                                             Tel.: 0228-911 96-0
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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis                                                        5

Abstract                                                                     5

1. Einleitung                                                                5

  1.1 Einleitung                                                             5
  1.2 Forschungsgegenstand: Begriffe und Definitionen                       6
  1.3 Forschungsstand Nahostberichterstattung                                7
  1.4 Aufbau der Untersuchung                                                9

2. Gaza-Krieg                                                               10

  2.1 Der Gaza-Krieg im Kontext des Nahostkonflikts: Eine Konfliktanalyse   10
  2.2 Nachrichtenzentrum Nahost: Der Gaza-Krieg und die Medien              12

3. Fotografie in der massenmedialen Kriegsberichterstattung                 15

  3.1 Fotografie: Abbild der Wirklichkeit oder Konstruktion von Realität?   15
  3.2 Medien und Krieg                                                      16
  3.3 Die Funktion der Fotografie in der Kriegsdarstellung                  17

4. Ein Vergleich der Bildberichterstattung von FAZ und SZ                   19

  4.1 Untersuchungsverfahren und Methodik                                   19
  4.2 Beschreibung des Datensatzes                                          21
  4.3 Quantitative Untersuchung                                             21
  4.4 Qualitative Untersuchung                                              24
  4.5 Schlüsselbilder                                                       31
  4.6 Auswertung der Fallstudie                                             35

5. Schlussbetrachtung und Ausblick                                          36

Quellen- und Literaturverzeichnis                                           39

Annex                                                                       43

Das BICC                                                                    47
Der Gaza-Krieg im Bild

Abkürzungsverzeichnis
AFP            Agence France Presse

AMA            Agreement on Movement
               and Access

AP             Associated Press

BPB            Bundeszentrale für
               politische Bildung

CPJ            Committee to Protect
               Journalists

DDP            Deutscher
               Depeschendienst

DJV            Deutscher Journalisten-
               Verband

DPA            Deutsche Presseagentur

FAZ            Frankfurter Allgemeine
               Zeitung

FR             Frankfurter Rundschau

FPA            Foreign Press Association

GPO            Government Press Office

IDF            Israel Defense Forces

OCHA           United Nations Office for
               the Coordination of
               Humanitarian Affairs

PLO            Palestine Liberation
               Organisation

ROB            Reporters Without Borders

SZ             Süddeutsche Zeitung

UN             Vereinte Nationen

UNIFIL         United Nations Interim
               Force in Lebanon

4
Felix Koltermann

Abstract                                            und damit den 22 Tage dauernden Gaza-
                                                    Krieg einleitete, erreichte diese Nachricht

D    er folgende Aufsatz analysiert die             das nachweihnachtliche Deutschland völlig
     Bildberichterstattung    der     Frankfurter   unerwartet. Kaum jemand hatte zu diesem
Allgemeinen      Zeitung    (FAZ)     und    der    Zeitpunkt mit einer Militäroffensive Israels
Süddeutschen Zeitung (SZ) über den Gaza-            diesen    Ausmaßes     gerechnet.     In   den
Krieg. Der Untersuchung liegt die Annahme           folgenden drei Wochen nahm die Bericht-
zu Grunde, dass die Bildberichterstattung in        erstattung   über    den    Gaza-Krieg     eine
Form fotojournalistischer Kriegsfotografie eine     herausragende Stellung in den deutschen
besondere Form der medialen Wirklichkeits-          Medien ein. Der Krieg wurde in den
konstruktion darstellt, die mediumspezifische       deutschen Medien über den gesamten Zeit-
„Bilder“ konstruiert. Eingebettet ist diese         raum der bewaffneten Auseinandersetzungen
Analyse in eine Beschreibung der Bedeutung          breit dokumentiert. Bilder spielten bei der
der     Fotografie   für   die    Kriegs-    und    Darstellung des Krieges eine zentrale Rolle.
Krisenberichterstattung und die Heraus-             Was die Berichterstattung angeht, so ist
arbeitung der Besonderheit des Mediums              heute viel vom sogenannten „Pictorial Turn“
Fotografie als Träger von Erinnerung. Des           oder „Iconic Turn“ die Rede, um die stetige
Weiteren     wird    der    Produktionskontext      Bedeutungszunahme von Bildern und deren
geschildert, in dem die Bilder vor Ort              Allgegenwart in den Massenmedien zu
entstanden sind, und diese Informationen zur        beschreiben (vgl. Bredekamp, Horst, 2004,
Einordnung der Ergebnisse der qualitativen          S. 15). In den Printmedien wirken Bilder als
Untersuchung herangezogen.                          eine Art „Eye-Catcher“ auf einer Seite. In der
Die Grundlage dieses Occasional Papers war          vorliegenden Studie wird deshalb eine
eine Masterarbeit, die für den Studiengang          exemplarische Analyse der Bildberichterstat-
„Master in Peace and Security Studies               tung deutscher Printmedien vorgenommen.
(M.P.S.)“ am Institut für Friedensforschung         Dabei ist zu beachten, dass Pressebilder aus
und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg      der visuellen Kriegsberichterstattung, welche
(IFSH) während eines Forschungsaufenthaltes         den Untersuchungsgegenstand dieser Studie
am Bonn International Center for Conversion         darstellen, nur ein Aspekt sind, der neben
(BICC) entstanden ist. Für die Publikation          Text, Audio- und Fernsehbeiträgen dafür
wurde die Studie inhaltlich und redaktionell        sorgt, dass wir uns ein „Bild“ von einem
überarbeitet.                                       Konflikt machen können, den wir mit eigenen
                                                    Augen nicht gesehen haben.

                                                    Der Untersuchung liegt die Hypothese zu
1. Einleitung                                       Grunde, dass die Bildberichterstattung eine
                                                    eigene Form der medialen Wirklichkeits-
1.1 Einleitung                                      konstruktion darstellt, die sich von Medium zu
                                                    Medium unterscheidet. Diese Hypothese folgt

D    er israelisch–palästinensische Konflikt, in
     dessen Rahmen der Gaza-Krieg zu
analysieren ist, ist einer der am längsten
                                                    der Leitfrage, inwieweit dies durch die
                                                    unterschiedliche Wahl fotografischer Mittel in
                                                    den abgedruckten Bildern bedingt ist. Durch
schwelenden Konflikte des 20. und des               die     Unterschiedlichkeit     der     medialen
beginnenden 21. Jahrhunderts und als solcher        Wirklichkeitskonstruktion in der Bildbericht-
Forschungsgegenstand        der     politischen     erstattung    der    Frankfurter    Allgemeinen
Wissenschaften und der Friedens- und                Zeitung (FAZ) und der Süddeutschen Zeitung
Konfliktforschung. Als am Abend des 27.             (SZ) werden zwei verschiedene „Bilder“ vom
Dezember 2008 die israelische Armee mit             Gaza-Krieg gezeichnet. Damit wird auch den
Luftangriffen auf den Gaza-Streifen begann          Konfliktparteien    ein    bestimmtes     Image

                                                                                                  5
Der Gaza-Krieg im Bild

zugeschrieben. Ziel dieser Studie ist es, einen      Pressefotografie in den Printmedien und lässt
Beitrag zur Diskussion über die Rolle von            sich „als beobachterabhängiges und vor
Bildern in der Darstellung von Kriegen und           allem durch Theorien des Sehens bestimmtes
Konflikten zu leisten und zu untersuchen, auf        Konstrukt von Realität begreifen“ (Grittmann
welche     Art    und    Weise   sie     unsere      2007, S. 17). Seine Relevanz bezieht der
Wahrnehmung prägen.                                  Fotojournalismus aus der Bedeutung der
                                                     Visualisierung von Nachrichten (Grittmann/
1.2 Forschungsgegenstand:                            Neverla/ Amman 2008, S. 8). Bei Pressefoto-
Begriffe und Definitionen                            grafien über Krisen und Kriege, die in
                                                     Deutschland veröffentlicht werden, handelt
Journalistische Arbeit im Allgemeinen ist an         es sich um Produkte der Auslandsbericht-
gesellschaftlichen Prozessen und Dynamiken           erstattung. Hafez (2002, S. 24) versteht unter
orientiert. Konflikten als besonderer Form           Auslandsberichterstattung „jedes System der
gesellschaftlicher     Dynamiken       gilt    ein   journalistischen Informationsvermittlung (…),
besonderes Interesse der Berichterstattung.          in dessen Verlauf Informationen und Nach-
Je stärker diese Dynamiken sind, umso größer         richten staatliche Grenzen überschreiten“.
ist auch das Interesse der (Konflikt-)               Entscheidend ist somit zum einen, wo die
Berichterstattung. Krisen und Kriege gelten          Bilder entstanden sind, und zum anderen, wo
dabei als ausdifferenzierte Formen von               sie veröffentlicht werden.
Konflikten, die eine bestimmte Eskalations-          Kriegsberichterstattung wie über den Gaza-
schwelle überschritten haben und mit Gewalt          Krieg    ist   damit     ein  Teilbereich   der
ausgetragen werden. Das Heidelberger                 Auslandsberichterstattung. Abgedeckt wird
Institut für Internationale Konfliktforschung        diese     Berichterstattung    entweder    von
(HIIK) definiert Krieg als einen Konflikt, in dem    Auslandskorrespondenten, die in die Konflikt-
Gewalt systematisch und in großem Umfang             region entsandt werden, oder lokalen
eingesetzt wird und das Ausmaß der                   Angestellten, welche die Informationen
Zerstörung nachhaltig ist (HIIK 2008). Insofern      entweder direkt an ihr Medium verkaufen
bezieht sich der Begriff der Krisen- und Kriegs-     oder dies über Nachrichtenagenturen tun.
berichterstattung auf die Berichterstattung          Die    zuvor    skizzierten  Paradigmen     der
über gesellschaftliche Konflikte, in denen           Kriegsberichterstattung sind nicht medien-
immer wieder systematisch Gewalt zur                 spezifisch und umfassen Radio, Fernsehen,
Erreichung bestimmter Ziele angewendet wird.         Internet und die Zeitungsmedien. Aufgrund
Die visuelle Krisen- und Kriegsbericht-              ihrer    medienspezifischen       Eigenschaften
erstattung ist eine besondere Form der Krisen-       stellen die bildbasierten Medien jedoch eine
und Kriegsberichterstattung. Dazu zählt auch         Besonderheit dar, innerhalb derer nochmals
die fotojournalistische Krisen- und Kriegs-          zwischen      Stand-     und   Bewegtbild    zu
berichterstattung, die für diese Studie              unterscheiden ist. Die Besonderheit des
relevant ist. Als Teil der visuellen Bericht-        Bewegtbilds liegt dabei vor allem in der
erstattung ist der Fotojournalismus an den           Aneinanderreihung von Bildsequenzen und
sichtbaren      Ausprägungen      der    oben        der Arbeit mit Tonaufnahmen.
skizzierten    Konfliktdynamiken   interessiert.     Aufgrund       ihrer   Dramatik    und    ihres
Dabei stellt der Fotojournalismus an sich eine       Neuigkeitswerts erfüllen Krisen und Kriege
ausdifferenzierte Form der Fotografie dar und        meist mehrere Nachrichtenfaktoren und
kann laut Grittmann/ Neverla/ Ammann (vgl.           haben einen hohen Nachrichtenwert. „War
2008, S. 14) als ein Subsystem des Journalis-        sells“ heißt es nicht zu Unrecht immer wieder.
mus aufgefasst werden und ist damit auch             Dabei leistet die Pressefotografie heute einen
an journalistischen Qualitätsstandards zu            entscheidenden Beitrag zur Formierung von
messen. Er zeigt sich meist in Form der              Meinung. Untersuchungen wie die von Müller

6
Felix Koltermann

(vgl. 2001, S. 27) haben gezeigt, dass unser          erreichen mit ihren Printauflagen zusammen
Blick auf einer Zeitungsseite durch Bilder            fast 850.000 Menschen täglich (Süddeutsche
geleitet wird: während 90 Prozent der                 450.000, FAZ 400.000). Trotz der zunehmenden
Zeitungsnutzer die Bilder betrachten, lesen           Bedeutung der Online-Ausgaben der FAZ und
nur 50 Prozent einen Artikel bis zu Ende.             der SZ, bezieht sich die vorliegende
Menschen sind auf Medien angewiesen,                  Untersuchung nur auf die Printausgaben, da
welche die Realität1 übersetzten. Die                 die Bedeutung des Einzelbildes als ikonisches
Relevanz von Bildern hat im letzten Jahrzehnt         Zeichen auf einer Zeitungsseite wesentlich
noch zugenommen. Das zeigt sich zum einen             größer ist als im Internet.
daran, dass Medien wie die FAZ dazu
                                                      Die konkrete Untersuchung bezieht sich auf
übergegangen sind, auch die Titelseite zu
                                                      die    tagesaktuelle    Berichterstattung   im
bebildern und sich des Weiteren die Anzahl
                                                      Zeitraum    des    Krieges    zwischen    dem
der Bilder pro Seite erhöht hat (bei der FAZ
                                                      27. Dezember 2008 und dem 19. Januar 2009
von 1,4 Bilder/Seite im Jahr 2000 auf 2,0
                                                      und wird in Form einer Produktanalyse
Bilder/Seite im Jahr 2006 und bei der SZ von
                                                      vorgenommen. Den Untersuchungsgegenstand
1,9 auf 2,7) (vgl. Grittmann 2008, S. 227).
                                                      bilden dabei die in den untersuchten Medien
Die vorliegende Studie beschäftigt sich im            abgebildeten Pressefotografien. Eingebettet
Rahmen einer Produktanalyse mit der                   in eine empirische Untersuchung, die nach
Bildberichterstattung über den Gaza-Krieg in          der Anzahl der Bilder und nach formalen
den deutschen Printmedien. Anhand eines               Merkmalen fragt, werden die Bilder nach
Vergleichs der Bildberichterstattungen der            qualitativen Merkmalen, wie z.B. den
Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und             dargestellten Akteuren oder dem Bildinhalt,
der Süddeutschen Zeitung (SZ) wird der Frage          untersucht.   Davon      ausgehend     werden
nachgegangen, auf welche Art und Weise in             Motivgruppen definiert und Schlüsselbilder
den besagten Medien durch Bilder die                  extrahiert.
Wirklichkeit des Gaza-Krieges konstruiert wird
                                                      Der Studie liegt die Annahme zu Grunde,
und wie sich diese in den beiden Zeitungen
                                                      dass es trotz Zensur (Israel verhinderte die
unterscheidet. Aussagen, die in der Untersu-
                                                      Einreise ausländischer Journalisten in den
chung generiert werden, beziehen sich auf
                                                      Gaza-Streifen und die Hamas verbot Bilder
die     Bildberichterstattung  der    beiden
                                                      über ihre Milizen) immer einen ausreichend
untersuchten Medien. Schlussfolgerungen
                                                      großen Bildpool gab, aus dem die Medien
über die Wirkung sind aus dieser Studie nicht
                                                      eine spezielle Auswahl getroffen haben, um
zu ziehen.
                                                      eine medienspezifische Wirklichkeit des
Die FAZ und die SZ, deren Bildbericht-                Krieges zu konstruieren.
erstattung in dieser Studie untersucht wird,
sind zwei der auflagenstärksten Leitmedien            1.3 Forschungsstand
der deutschen Qualitätspresse. Sie wurden             Nahostberichterstattung
ausgewählt, weil sie das konservative und
das liberale Meinungsspektrum repräsen-               Bei einer Untersuchung der Berichterstattung
tieren. Beide Medien tragen entscheidend              über den Konflikt ist eine Unterscheidung
zur Meinungsbildung in Deutschland bei und            zwischen der Berichterstattung innerhalb der
                                                      Konfliktregion, also in Israel und den
1   Realität wird in dieser Studie als Synonym für
                                                      palästinensischen Gebieten, und außerhalb
    Geschehnisse, die in der Erfahrungswelt der
    Menschen passiert sind, verwendet. Wirklichkeit   der Region, beispielsweise in Deutschland,
    wird benutzt, wenn es um die Beschreibung bzw.    von     zentraler   Bedeutung.   Medien    in
    Konstruktion des Abbildes der Realität in den
                                                      Konfliktregionen tendieren eher zu einer
    Medien und in der Auseinandersetzung mit der
    Realität geht. Die hier untersuchte Form der      parteiischen Berichterstattung. Bezogen auf
    Repräsentation ist die Fotografie.                die    palästinensischen   Gebiete    kommt

                                                                                                  7
Der Gaza-Krieg im Bild

erschwerend hinzu, dass wir es dort nicht mit       häufig paternalistisch und Kritik würde über
einer freien Presselandschaft zu tun haben.         weite Teile nicht direkt, sondern stellvertre-
Bezüglich der palästinensischen Berichterstattung   tend über Zitate israelischer Kritiker geäußert
über die zweite Intifada kommt eine                 (DISS, S. 29ff.). Dies zeigt, dass es schwierig ist,
Untersuchung von Fohaqa zu dem Schluss,             die Berichtererstattung vom eigentlichen
dass die Medien hauptsächlich den eigenen           Konflikt zu trennen (vgl. Dreßler 2008, S. 210).
Standpunkt wiedergeben und sich auf die             Die Medien tragen mit ihrer Berichterstattung
Kosten der israelischen Besatzung und die           zur Verbreitung und Verfestigung der vorhan-
militärischen Aktivitäten in der Region             denen Narrative bei. Stellvertretend wird dort
fokussieren.   „This    type     of   coverage      der Kampf um die Deutungshoheit des
contributed to increased tension and played         Konflikts geführt. Dabei klaffen die in
into the hands of those whose goal was to           Deutschland wahrgenommene Realität des
continue the cycle of violence, whether on          Konflikts und die Realität vor Ort oft
the Palestinian or the Israeli side“ so sein        auseinander (vgl. Dreßler 2008, S. 192).
abschließender Kommentar (2006, S. 7).
                                                    Der Ethnologe Martin Heidelberger hat in
Bezogen auf die israelische Berichterstattung
                                                    einer Studie die Produktions- und Arbeits-
kommt Dor in einer Studie zu einem
                                                    bedingungen der Fotojournalisten anhand
ähnlichen Schluss: Seiner Ansicht nach
                                                    der Verwertungskette der Bilder von der
verfolgte die Berichterstattung in Israel das
                                                    Produktion in der Konfliktregion bis in die
Ziel, die Menschen vom Gefühl der Schuld zu
                                                    Redaktionen in Deutschland hinein verfolgt
befreien und sie in ihrer Opferrolle zu
                                                    und damit eine gute Übersicht geschaffen,
bestärken (vgl. Dor 2005, S. 3).
                                                    auf die diese Studie aufbauen kann (vgl.
Bezogen auf die deutsche Nahostbericht-             Heidelberger 2009, S. 37). Auffällig ist die von
erstattung kommt eine von der Bundes-               ihm beschriebene hierarchische Rangordnung.
zentrale      für  politische    Bildung   (BpB)    Während die meisten Fotojournalisten, die als
beauftragte Studie über die Berichterstattung       Stringer (freie Mitarbeiter) insbesondere in
in den Hauptnachrichtensendungen des                den Brennpunkten in der Westbank und im
deutschen Fernsehens zu dem Schluss, dass           Gaza-Streifen arbeiten, Palästinenser sind,
die Konfliktasymmetrie auf der Ereignisebene        sind die Positionen in den lokalen Büros der
sich auch in der Medienrealität fortsetzt (vgl.     Agenturen in Jerusalem meist mit inter-
IFEM 2002, S. 10ff.). In den untersuchten Jahren    nationalen Fotojournalisten besetzt. Hier
von 1999 bis 2001 hatten Israelis als Akteure       herrscht auch ein starkes Gefälle in der
eine höhere Präsenz als Palästinenser. Die          Bezahlung. Des Weiteren hat er offengelegt,
Palästinenser erschienen als Konfliktagressor,      dass einige Fotojournalisten sich als Akteure
die Israelis als Konfliktopfer. Charakteristisch    im Konflikt sehen, während andere vehement
war des Weiteren die Benutzung eines                die Position des neutralen Beobachters
Repertoires symbolisch aufgeladener Bilder,         verteidigen. Diese unterschiedlichen Sicht-
wie z.B. Hände schüttelnde Spitzenpolitiker,        weisen werden von Heidelberger jedoch
Straßenkampf der Steinewerfer, Trauerzüge           nicht problematisiert und nicht vertiefend in
sowie Opfer- und Schadensbilder am Tatort.          Bezug auf das Konfliktszenario untersucht.
Eine Diskursanalyse der Berichterstattung
                                                    In einer Untersuchung der Bildbericht-
über die zweite Intifada des Duisburger
                                                    erstattung über den Nahostkonflikt in nord-
Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS)
                                                    amerikanischen Magazinen hat Woodward
brachte zum Vorschein, dass sowohl in Bezug
                                                    herausgefunden, dass die Bilder immer wieder
auf die Israelis als auch auf die Palästinenser
                                                    ikonografische Stereotype reproduzieren und
starke Negativcharakterisierungen zu finden
                                                    kommt damit zu ähnlichen Forschungs-
sind. Die in der Berichterstattung eingenom-
                                                    ergebnissen    wie   die   BpB-Studie   (vgl.
menen Perspektiven seien des Weiteren
                                                    Woodward 2007, S. 8). Auch Heidelberger

8
Felix Koltermann

kommt zu dem Schluss, dass sich bestimmte        bedeutet. Die Schlussbetrachtung in Teil 5
klischeehafte Bildmuster wiederholen. Er sieht   weist auf weitere forschungsrelevante Fragen
die Verantwortung für diese repetitive           hin und zieht ein Resümee der Untersuchung
Berichterstattung bei den Fotojournalisten       und ihrer theoretischen Verortung.
(vgl. Heidelberger 2009, S. 30). Des Weiteren
                                                 Die vorliegende Studie ist eine inter-
hat    eine    Verschiebung    stattgefunden:
                                                 disziplinäre Studie, welche als problem-
Ausgelöst von technischen Neuerungen wie
                                                 orientiertes Forschungsvorhaben die Friedens-
hohen Auflösungen und realitätsnahen Farben
                                                 und Konfliktforschung mit der visuellen
wird    ein   starker  „sense    of   intimate
                                                 Kommunikationsforschung verbindet. Ziel ist
involvement“ erzeugt (Woodward 2007,
                                                 es einen kritischen Rückblick vorzunehmen
S. 15). Laut Woodward hat in den letzten
                                                 und den Medien den Spiegel vorzuhalten
Jahrzehnten eine Emotionalisierung und
                                                 sowie Erkenntnisse zu generieren, die bei der
Dramatisierung     der   Bildberichterstattung
                                                 alltäglichen Zeitungslektüre nicht erkennbar
stattgefunden.
                                                 sind. Das gemeinsame Erkenntnissinteresse
                                                 der visuellen Kommunikationsforschung sowie
1.4 Aufbau der Untersuchung                      der Friedens- und Konfliktforschung ist darin
                                                 zu sehen, Prozesse visueller Kommunikation in
Dieser Einleitung folgt im Teil 2 eine Analyse
                                                 und über Kriege und Konflikte transparent zu
des Gaza-Kriegs aus konflikttheoretischer und
                                                 machen und diese Prozesse in Beziehung zum
friedenswissenschaftlicher Perspektive, um
                                                 eigentlichen Konfliktgeschehen zu setzen.
den Krieg in einen zeithistorischen Kontext zu
                                                 Paul (2004, S. 485) spricht in diesem Zusam-
stellen. Dem folgt eine Beschreibung der
                                                 menhang von einer „friedenspädagogische[n]
Rahmenbedingungen, unter denen die
                                                 Verantwortung der Wissenschaften“, vor
Medien vor Ort über den Krieg berichten
                                                 allem in der Aufklärungs- und Dechiffrierungs-
konnten, um dies später für die Analyse der
                                                 arbeit, um die dargebrachten Wirklichkeits-
Bilder nutzen zu können. In Teil 3 wird die
                                                 konstruktionen zu hinterfragen. Müller sieht in
Funktion von Medien im Krieg dargestellt und
                                                 der Untersuchung der „Rolle der Bild-
der     Fotojournalismus     medientheoretisch
                                                 propaganda im palästinensisch–israelischen
verortet. Daraus leitet sich eine Beschreibung
                                                 Konflikt“ eines der innovativsten Forschungs-
der Besonderheiten der visuellen Kriegs-
                                                 felder für die Friedens- und Konfliktforschung.
berichterstattung und ihrer spezifischen
                                                 Laut Prümm muss
Wirklichkeitskonstruktion ab. Die eigentliche
Untersuchung der Medien in Teil 4 ist einge-          [d]ie Historiografie der neuen Kriege
                                                      […] eine kritische Historiografie der
bettet in eine Vorstellung der Methodik der
                                                      Medienrealität    sein. Sie  hat    die
Produktanalyse und eine Vorstellung des               Aufgabe, die Bildpolitik und die -
Analyserasters sowie der Datengrundlage.              strategien der Kriegsakteure in den
Den Hauptteil bildet der Vergleich der Bilder         Blick zu nehmen, die Präsentationslogik
aus der FAZ und der SZ in einer quantitativen         der medialen Ritualisierungen und die
                                                      ikonografischen Darstellungsmuster zu
und einer qualitativen Untersuchung. Aus
                                                      untersuchen, um so den Krieg der Bilder
dieser Untersuchung werden Schlüsselbilder            jenseits aller schnellen Definitionen
extrahiert, die ikonografisch verortet und auf        sichtbar und erkenntlich zu machen
ihre spezifische inhaltliche Bedeutungs-              (2006, S. 228).
konstruktion hin untersucht werden. Darauf
aufbauend wird die Frage beantwortet,
welche Form der Wirklichkeitskonstruktion die
untersuchten Medien vornehmen und was
dies für die Wahrnehmung des Konflikts

                                                                                              9
Der Gaza-Krieg im Bild

2. Gaza-Krieg                                           nensischen Kämpfer bedienen sich haupt-
                                                        sächlich selbstgebauter Raketen, Minen und
                                                        anderer Sprengfallen sowie automatischer
2.1. Der Gaza-Krieg im Kontext
                                                        Kleinwaffen. Die israelische Armee dagegen
des Nahostkonflikts:                                    verfügt über eine starke Luftwaffe und
Eine Konfliktanalyse                                    Marineeinheiten sowie über eine Panzer
                                                        gestützte Bodentruppe, die alle im Gaza-
Der so genannte Gaza-Krieg war die letzte               Streifen zum Einsatz kamen. Durch eine
große militärische Auseinandersetzung im                Mobilmachung konnte die israelische Armee
Kontext     des    israelisch–palästinensischen         auf Zehntausende von Reservisten zurück-
Konflikts und erregte durch die Schwere der             greifen.  Die   palästinensischen   Kämpfer
Kämpfe sowie die große Anzahl von Opfern                werden demgegenüber nur auf einige
große internationale Aufmerksamkeit. Der                Tausend geschätzt.
Krieg begann am 27. Dezember 2008 durch
                                                        Der Gaza-Krieg ist nur im Zusammenhang mit
Luftangriffe der Israel Defense Forces (IDF)
                                                        dem israelisch-palästinensischen Grundkonflikt
auf den Gaza-Streifen. Rund 22 Tage später
                                                        zu verstehen (vgl. ebd., S. 97). Im Prinzip geht
endete diese „massivste Operation der
                                                        es um den Anspruch zweier Völker, des
israelischen Armee in palästinensischen
                                                        israelischen und des palästinensischen, auf
Gebieten seit dem 6-Tage-Krieg“ (FES 2009,
                                                        dasselbe     Stück   Land,    das    historische
S. 2) mit einem einseitig ausgerufenen
                                                        Palästina, in dem sich heute der Staat Israel
Waffenstillstand der israelischen Armee am
                                                        sowie die Westbank und der Gaza-Streifen
17. Januar 2009, dem sich die Hamas einen
                                                        befinden. Der Gaza-Streifen ist Teil des
Tag später anschloss. Damit war der Krieg,
                                                        Gebiets, das zusammen mit der Westbank als
der nach Angaben der Office for the
                                                        zukünftiger Staat Palästina gehandelt wird.
Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA)
                                                        Die Mehrheit der Menschen, die im Gaza-
(vgl. 2009, S. 1) 1.440 Palästinensern und 13
                                                        Streifen leben, sind Flüchtlinge oder deren
Israelis das Leben kostete, in einen fragilen
                                                        Nachkommen aus den Gebieten, die Israel
Waffenstillstand übergegangen.
                                                        im ersten israelisch–arabischen Krieg 1948/49
Der Gaza-Krieg weist laut Johannsen (vgl.               besetzt und zu seinem Staatsgebiet hinzufügt
2009, S. 100) Merkmale eines asymmetrischen             hat. Diese Menschen tragen weiterhin die
Konflikts oder des „Kleinen Krieges“ auf. Die           Hoffnung auf Rückkehr in sich. Der Gaza-
Asymmetrie2 gilt sowohl für die Akteure als             Streifen stand immer unter Fremdverwaltung,
auch für die Mittel. Auf der einen Seite steht          erst unter den Ägyptern von 1948 bis 1967
Israel, als international anerkannter Staat und         und dann unter der israelischen Besatzungs-
Mitglied der Vereinten Nationen. Dem                    macht bis zum Abzug Israels 2005. Auch nach
gegenüber steht die international nicht                 dem Abzug kontrollierte Israel weiterhin die
anerkannte De-facto-Regierung der Hamas,                Grenzen zu Land und zu See, weshalb der
die im Gaza-Streifen seit ihrer gewalttätigen           Gaza-Streifen völkerrechtlich gesehen weiterhin
Machtübernahme im Juli 2007 an der Macht                als besetztes Gebiet gilt.
ist. Die Gewalt geht auf Seiten Israels von der
                                                        Im Konflikt um den Gaza-Streifen ist eine
israelischen Armee aus, auf palästinensischer
                                                        stetige Eskalation zu beobachten, in der sich
Seite dagegen von Hamas-Milizionären und
                                                        die     Lebensbedingungen       der    lokalen
anderen autonom agierenden Widerstands-
                                                        Bevölkerung seit zwei Jahrzehnten ständig
gruppen. Besonders auffällig am Konflikt ist
                                                        verschlechtert haben. In den Verträgen von
die Asymmetrie der Waffen. Die palästi-
                                                        Oslo in den 1990er Jahren, die der ersten
2    Asymmetrie      bedeutet   eine  fundamentale      Intifada ein Ende setzten, wurden Teile des
     Ungleichheit zwischen verschiedenen Akteuren       seit 1967 von Israel besetzt gehaltenen Gaza-
     eines Konflikts und kann sich sowohl quantitativ
                                                        Streifens der Verwaltung der neugeschaf-
     wie qualitativ äußern.

10
Felix Koltermann

fenen palästinensischen Autonomiebehörde                  Nach einem Militäreinsatz Israels gegen
unterstellt. Zu diesem Zeitpunkt lebten in 16             Schmugglertunnel an der Grenze zu Ägypten
Siedlungen noch ca. 8.000 israelische Siedler             am 4. November 2008, die neben der
(vgl. B’Tselem 2009). Ursprünglich waren auch             Versorgung mit Lebensmitteln auch für den
Korridore zwischen der Westbank und dem                   Waffenschmuggel genutzt werden, verstärkten
Gaza-Streifen gedacht, um Bewegungs-                      die palästinensischen Widerstandsgruppen
freiheit für die palästinensische Bevölkerung             ihre Angriffe auf Israel. Bemühungen der
herzustellen. Seit Beginn der zweiten Intifada            Türkei den Waffenstillstand zu verlängern,
im Jahr 2000 wurde der Gaza-Streifen immer                scheiterten. Parallel wurde in Israel von
öfter komplett abgeriegelt. Zur Eskalation                langer Hand ein Militäreinsatz im Gaza-
trug neben den palästinensischen Selbst-                  Streifen geplant, der dann im Gaza-Krieg
mordattentaten in Israel auch der vermehrte               realisiert wurde.
Beschuss     Südisraels    mit  selbstgebauten
                                                          Die Begründungen für den Krieg seitens der
Raketen durch palästinensische Gruppen
                                                          israelischen Regierung unterlagen während
bei. Seit 2001 wurden 14 Menschen in Israel
                                                          der Operation einem steten Wandel. So
durch Raketen getötet und 434 verletzt (vgl.
                                                          wurde die Sicherung der südlichen Grenze
FES 2009). Im September 2005 setzte die
                                                          Israels genannt, aber immer wieder auch die
israelische Regierung einen einseitigen Abzug
                                                          Verhinderung des Raketenabschusses aus
seiner Siedler und Besatzungstruppen aus
                                                          dem Gaza-Streifen und die Zerstörung der
dem Gaza-Streifen durch. Im gleichen Jahr
                                                          Tunnelinfrastruktur. Als gesicherte Erkenntnis
wurde das Agreement on Movement and
                                                          gilt, dass Israel mit dem Angriff auch seine
Access (AMA) unterzeichnet, welches die
                                                          militärische Abschreckungsfähigkeit wieder-
Öffnung der Grenzen gewährleisten sollte.
                                                          herstellen wollte (vgl. Johannsen 2009, S. 98).
Dies wurde von Israel jedoch nie umgesetzt
                                                          Hier spielt auch die massenmediale Bericht-
und so stand der Gaza-Streifen, dessen
                                                          erstattung eine zentrale Rolle, über deren
Versorgung      fast    völlig von     Importen
                                                          Darstellung die militärische Abschreckungs-
abhängig ist, immer wieder vor der
                                                          fähigkeit hauptsächlich konstruiert wird. Mit
humanitären Katastrophe.
                                                          dem Namen der Operation „Gegossenes
Eine neue Eskalationsstufe erreichte der                  Blei“ hatte man überdies einen symbol-
Konflikt durch den internen palästinensischen             trächtigen Namen gewählt, der auf die
Machtkampf zwischen der Hamas und der                     Tradition des Bleigießens beim im Dezember
Fatah3. Nach der gewalttätigen Macht-                     gefeierten jüdischen Lichterfest „Chanukka“
übernahme der Hamas im Gaza-Streifen                      zurückgeht. Die Hamas verfolgte im Krieg die
wurden Fatah-Mitglieder von dort vertrieben.              Strategie, die eigenen Opfer zu begrenzen
In der Folge erklärte die israelische Regierung           und den Schaden an den eigenen
im Herbst 2007 den Gaza-Streifen zum                      Organisationsstrukturen so gering wie mög-
feindlichen Gebiet. Die Unterzeichnung eines              lich zu halten (vgl. FES 2009, S. 4). Dabei war
sechsmonatigen Waffenstillstands im Juni                  das wichtigste Ziel der Machterhalt im Gaza-
2008 unter Vermittlung von Ägypten hatte                  Streifen, dessen Legitimation die Gruppe aus
eine massive Reduzierung palästinensischer                der gewonnen Parlamentswahl im Jahr 2006
Raketenangriffe zur Folge. Die erhoffte und               ableitet. Ziel der hauptsächlich von der
im     Waffenstillstandsvertrag      festgelegte          Hamas zu verantwortenden Raketenangriffe
Grenzöffnung durch Israel blieb jedoch aus.               ist es, Druck auf Israel auszuüben um eine
                                                          Grenzöffnung und Verhandlungen über
3   Hamas ist eine islamistisch orientierte Partei, die   einen Endstatus zu erzwingen.
    über einen eigenen bewaffneten Arm, die Al-
    Aqsa Brigaden verfügt. Fatah ist die säkulare
    Bewegung des ehemaligen palästinensischen
    Führers Jassir Arafat. Fatah ist Mehrheitspartei in
    der PLO, in der die Hamas nicht vertreten ist.

                                                                                                      11
Der Gaza-Krieg im Bild

Über das Vorgehen der israelischen Armee im         2.2 Nachrichtenzentrum
Gaza-Streifen      sowie    die    Folgen     der
                                                    Nahost: Der Gaza-Krieg und
Raketenangriffe der Hamas in Israel richtete
der     Menschenrechtsrat       der    Vereinten
                                                    die Medien
Nationen am 3. April 2009 die „UN Fact
                                                    Als ein seit Jahrzehnten schwelender Konflikt
Finding Mission on the Conflict in Gaza“ ein.
                                                    ist der Nahostkonflikt weltweit immer wieder
Den Vorsitz dieser Fact Finding Mission
                                                    Hauptnachrichtenthema Nummer Eins und
übernahm       der    südafrikanische     Richter
                                                    eines der wichtigsten Nachrichtenzentren. Als
Richard Goldstone, was dem am 19.
                                                    Nachrichtenzentren werden Länder bezeichnet,
September 2009 veröffentlichten Abschluss-
                                                    die konstant auf der Nachrichtenagenda
bericht auch den Namen „Goldstone-
                                                    erscheinen. Bezogen auf den Nahostkonflikt
Bericht“ eintrug. Da Israel der Mission die
                                                    wird auch von einem zyklischen Nach-
Zusammenarbeit verweigerte, konnten deren
                                                    richtenzentrum gesprochen, an dem situativ
Mitglieder nicht in Israel selbst recherchieren,
                                                    großes     Interesse   herrscht   (vgl.  Hahn/
was im Gaza-Streifen hingegen möglich war.
                                                    Lönnendonker 2008, S. 511). Aufgrund der
Der Bericht wirft beiden Seiten Verstöße
                                                    unterschiedlichen Beschränkungen bei der
gegen das Kriegsvölkerrecht vor. Bezogen
                                                    Studie ist es sinnvoll, zwischen drei Gruppen
auf die Blockierung des Zugangs zum Gaza-
                                                    von (Foto-)Journalisten zu unterscheiden: den
Streifen für Journalisten zeigte sich der Bericht
                                                    ausländischen Fotografen mit Wohnsitz in der
„concerned about the near total exclusion of
                                                    Untersuchungsregion (Fotokorrespondenten),
the media and human rights monitors from
                                                    den ausländischen Fotojournalisten auf
Gaza since 5 November 2008“ (UN 2009,
                                                    Recherchereise oder mit Redaktionsauftrag
S. 382). Weiter heißt es:
                                                    (Parachutists) sowie lokalen Fotojournalisten
      The Mission observes that Israel, in its      mit Wohnsitz in der Region, die für
      actions against political activists, NGOs
                                                    internationale     Agenturen    und     Medien-
      and the media, has attempted to
      minimise public scrutiny of its conduct       konzerne arbeiten (Stringer). Die Mehrzahl
      both during its military operations in        der im Nahostkonflikt tätigen Fotojournalisten
      Gaza and the consequences that                sind,    neben     einigen    wenigen    festen
      these operations have had for the             Fotokorrespondenten, einheimische Stringer,
      residents of Gaza.
                                                    die    für    nationale    und   internationale
Sowohl Israel als auch die Hamas lehnten das        Agenturen sowie internationale Medienkon-
Ergebnis des Berichts ab.                           zerne arbeiten. Dies gilt vor allem für die
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der          palästinensischen Fotojournalisten aus der
Gaza-Krieg im Gesamtkontext des israelisch–         Westbank        und      dem     Gaza-Streifen.
palästinensischen Konflikts eine neue Stufe         Parachutists fliegen oft nur im Fall eines
der militärischen Eskalation darstellt. Der         eskalierten Konflikts, wie im Fall des Gaza-
Konflikt als solcher, ebenso wie der Gaza-          Kriegs, in die Region ein. Verglichen mit
Krieg, stellen ein viel diskutiertes Thema in       anderen Weltregionen ist das Berichtsgebiet
Deutschland dar. Die Schwierigkeiten, denen         der Fotokorrespondenten relativ klein und nur
die visuelle Kriegsberichterstattung über den       auf Israel und die palästinensischen Gebiete
Konflikt unterlag, werden im nächsten Teil          beschränkt, bei einigen schließt es noch
ausführlich betrachtet.                             Jordanien      mit    ein.   Das    Gros    der
                                                    Korrespondenten sitzt in Tel Aviv oder
                                                    Jerusalem und unternimmt von dort Reisen in
                                                    der Region. In der Westbank leben und
                                                    arbeiten nur gut eine Handvoll und in Gaza
                                                    keine ausländischen Journalisten. Damit setzt
                                                    sich die Konfliktasymmetrie auch im Wohn-

12
Felix Koltermann

und Arbeitsort der ausländischen Korres-             Sperrgebiet entlang der Grenze zu Gaza
pondenten fort. Trotzdem ist für den Beginn          sowie die Zensur der dort regierenden Hamas
des Gaza-Kriegs eine umfangreiche Präsenz            gegenüber palästinensischen Journalisten.
von Journalisten unterschiedlicher Medien            Deutsche    Medien    wie    die Frankfurter
anzunehmen.                                          Rundschau (FR) oder Tagesschau Online
                                                     gingen dazu über, in Informationskästen auf
Palästinensische Journalisten sind diejenigen,
                                                     die Beschränkungen der Berichterstattung
die im eigentlichen Sinn vor Ort sind und im
                                                     hinzuweisen. Doch nicht erst seit dem
Konflikt selbst stehen. Sie gelten heute nicht
                                                     Ausbruch des Krieges war die journalistische
mehr nur als Zuträger für internationale
                                                     Arbeit im Gaza-Streifen erschwert. Noch kurz
Medien, sondern auch als professionell
                                                     vor Ausbruch des Krieges im November 2008
arbeitende        Mitarbeiter     internationaler
                                                     war der Gaza-Streifen für drei Wochen
Presseagenturen und als Partner inter-
                                                     komplett abgeriegelt (vgl. Mertins 2008).
nationaler Medien (vgl. El Gawhary 2008).
Den israelischen Journalisten ist, wie allen         Das Gros der internationalen Medien
israelischen Staatsbürgern, generell der             sammelte sich am Rande des Gaza-Streifens
Zugang zu den palästinensischen Gebieten             auf dem sogenannten „Hill of shame“ (Snow
verwehrt, die unter Kontrolle der palästinen-        2009). Dies war ein Hügel außerhalb der Zwei-
sischen Autonomiebehörde oder, wie im                Meilen-Sperrzone, von dem aus man einen
Gaza-Streifen, der Hamas stehen. Nur mit             guten Blick in den Gaza-Streifen hatte. Al-
Sondergenehmigungen sind dort Recherchen             Dschasira war der einzige internationale
möglich. Ebenso wie internationalen Journa-          Nachrichtensender, der über den gesamten
listen war ihnen der Zugang zum Gaza-                Kriegszeitraum mit einem Büro im Gaza-
Streifen während des gesamten Krieges                Streifen präsent war und live von dort
verboten. Laut Silke Mertins von der TAZ sind        berichtete (vgl. Putz 2009). Laut eines Artikels
israelische Journalisten sogar schon seit zwei       des Spiegel vom Januar 2009 „berichten 70
Jahren aus dem Gaza-Streifen verbannt (vgl.          Korrespondenten, Kameraleute, Producer
Mertins 2008). Internationalen Journalisten ist      und Stringer ununterbrochen aus Gaza, sie
die freie Arbeit in Israel nur möglich, wenn sie     haben      die    Deutungshoheit“     (Hülsen/
sich    beim    Presseamt      der    israelischen   Mittelstaedt 2009, S. 56).
Regierung, dem Government Press Office
                                                     Umso stärker waren die PR-Aktivitäten der
(GPO), registriert haben (Marx 2008). Aber
                                                     israelischen Armee. In Sderot, in unmittel-
auch diese Registrierung ist, wie die Erteilung
                                                     barer Nähe zum Gaza-Streifen gelegen,
eines Arbeitsvisums, in den letzten Jahren
                                                     wurde eigens ein großes Pressezentrum
immer schwieriger geworden. Die Arbeit ist
                                                     eingerichtet. Dort, wie auf dem „Journalisten-
damit völlig von den politisch-militärischen
                                                     hügel“, waren ständig Pressesprecher der
Entscheidungen der israelischen Regierung
                                                     israelischen   Armee      und     hochrangige
und deren Politik der Abriegelung der
                                                     Regierungsmitarbeiter für Interviews verfügbar.
Gebiete abhängig (ebd.).
                                                           Professionell wie nie zuvor schlagen die
Noch während des Gaza-Kriegs begann in                     Israelis die Medienschlacht. Sie wissen:
deutschen und internationalen Medien (FAZ,                 Die angereiste Weltpresse braucht
SZ, Spiegel, Independent) eine intensive                   Stoff. […] [In Sderot] warten Kaffee und
                                                           Kuchen und die israelischen Opfer der
Auseinandersetzung      über   die    Bericht-
                                                           palästinensischen        Raketenangriffe
erstattung zum Krieg. Hintergrund waren die                (ebd., S. 55).
erschwerten Recherchebedingungen durch
                                                     Darüber    hinaus  nutzte  die  israelische
die     Einreiseverbote   der     israelischen
                                                     Regierung zum ersten Mal großangelegt und
Regierung für Journalisten in den Gaza-
                                                     strategisch geplant das Internet und ver-
Streifen, das von der israelischen Armee
                                                     breitete über einen eigenen YouTube-Kanal
ausgerufene, zwei Meilen breite militärische
                                                     Filme, die von den Kommunikationseinheiten

                                                                                                  13
Der Gaza-Krieg im Bild

der IDF erstellt worden waren (vgl. Rid/           In   verschiedenen      deutschen     Medien
Hecker 2009, S. 123). Gespiegelt wurden die        berichteten palästinensische Journalisten aus
Aktivitäten Israels von zahlreichen palästinen-    dem Gaza-Streifen über Behinderungen ihrer
sischen Blogs und YouTube-Seiten, auf denen        Arbeit durch die Hamas. Nach Recherchen
vor    allem     Amateurbilder     aus   Gaza      von Reporters Without Borders (ROB) (vgl.
veröffentlicht wurden, die jedoch keiner           2009) wurden palästinensische Journalisten,
zentralen Planung wie bei der Kriegs-              die kritisch über die Hamas berichteten,
kommunikation der IDF folgten. Rid/ Hecker         bedroht und es wurde versucht, auf die
(ebd., S. 124) weisen in ihrer Studie über         Verleger Einfluss zu nehmen. Die Arbeit in
irreguläre Kriegsführung im Informations-          Krankenhäusern und das Aufnehmen von
zeitalter darauf hin, dass Israels Armee           Opfern wurde dagegen von der Hamas
demonstrierte, dass „War 1.0 could be              unterstützt, was zu der intensiv diskutierten
effectively combined with some elements of         Frage führte, inwieweit das Abbilden von
War 2.0.”                                          Kriegsopfern der Propagandamaschine der
                                                   Hamas hilft (Welt Online / FAZ).
Gegen das Einreiseverbot in den Gaza-
Streifen, klagte die Interessenvertretung der      Die in den bewaffneten Konflikten der letzten
in Israel ansässigen Auslandskorrespondenten,      Jahre zu beobachtende Tendenz, dass
die Foreign Press Association (FPA), am 29.        Journalisten auch selbst Opfer von zum Teil
Dezember vor dem Obersten Gerichtshof              gezielten Angriffen werden, zeigte sich auch
Israels. Der Gerichtshof forderte die Armee in     im Gaza-Krieg. Das Committee to Protect
seiner    Erklärung     auf,   unverzüglich   12   Journalists (CPJ) (2009, S. 209) schreibt in
Journalisten in den Gaza-Streifen zu lassen.       seinem Jahresbericht 2008, dass „[j]ournalists
Die israelische Armee ist dieser Aufforderung      working in the Palestinian territories said the
jedoch nicht gefolgt. Daniel Seaman,               Israeli military’s apparent disregard for the
Direktor    des     israelischen   Presseamtes,    safety of the press hurt their ability to work”.
verteidigte die Abriegelung des Gaza-              Journalistische Infrastruktur galt auch als
Streifens für die Presse damit, dass „wegen        militärisches     Ziel der    IDF,    wie   die
der unprofessionellen Arbeit der Auslands-         Bombardierung des Hauptquartiers des von
presse […] die Hamas sonst mit fragwürdigen        der Hamas kontrollierten Fernsehsenders Al-
Berichten Israel in ein schlechtes Licht           Aqsa TV zeigte (vgl. ebd., S. 208). Dazu kam
rücken“ könne (Teichmann 2009). Gegen die          die Zerstörung ziviler Infrastruktur wie des
Sperre gab es massive internationale               Mobilfunknetzes und der Stromversorgung,
Proteste,     unter    anderem     auch     vom    was die Berichterstattung aus dem Gaza-
Deutschen Journalisten-Verband (DJV), der          Streifen vor große Schwierigkeiten stellte (vgl.
in seiner Pressemitteilung vom 6. Januar 2009      Hülsen/ Mittelstaedt 2009, S. 56).
verlauten ließ,
                                                   All diese Beschränkungen konnten jedoch
      [d]urch        das      medienfeindliche     nicht verhindern, dass es dennoch Bilder und
      Verhalten des Militärs könne der             Berichte aus dem Gaza-Streifen gab. Das
      Eindruck entstehen, Israel wolle einen
                                                   gravierendste Problem für die Berichterstatter
      Krieg unter Ausschluss der Welt-
      öffentlichkeit     führen      und    die    vor Ort stellte die Unmöglichkeit dar, Berichte
      Journalisten     mit    Erfolgsmeldungen     zu verifizieren. Da die palästinensischen
      abspeisen (2009).                            Journalisten und Fotografen als professionelle
Erst gegen Kriegsende, als Israel mehrere          Mitarbeiter     internationaler Medien      und
Male sogenannte ‘humanitäre Feuerpausen’           Agenturen gelten, gab es einen ausreichend
einlegte, durften Journalisten für wenige          großen Bildpool, auf den zugegriffen werden
Stunden in Begleitung der israelischen Armee       konnte, auch wenn in diesem aufgrund der
in den Gaza-Streifen.                              oben beschriebenen Beschränkungen in der
                                                   Bildberichterstattung bestimmte Bildmotive

14
Felix Koltermann

wie von Hamas-Kämpfern oder israelischen           verdichten Bilder Informationen zu einer
Soldaten im Kampfeinsatz fehlten. Die Frage,       prägnanten Aussage. In der journalistischen
wie jedes Medium aus diesem Bildpool für           Berichterstattung   genießen   Bilder  beim
sich eine eigene Wirklichkeit konstruierte, wird   Rezipienten einen Vertrauensvorschuss und
in der Untersuchung der visuellen Auslands-        fungieren „[t]rotz aller berechtigter Zweifel
berichterstattung der FAZ und der SZ in Teil 4     […] als Belege im Sinne von „es ist so
dieser Studie beantwortet.                         gewesen“ […]“ (Leifert 2007, S. 247). Das
                                                   Herausstechende dieser Art der Informations-
Die in diesem Teil geschilderten Probleme bei
                                                   vermittlung über Bilder beschreibt Freund
der Berichterstattung aus und über den
                                                   (vgl. 1993, S. 228) als einen Appell an das
Gaza-Krieg sind keine Einzelfälle, sondern Teil
                                                   Gefühl, was durch die unmittelbare Wirkung
der Schwierigkeiten, mit denen Journalisten
                                                   auch eine große Gefahr birgt.
und Fotografen in Kriegs- und Krisenregionen
zu kämpfen haben. Im folgenden Teil wird           In der Kommunikationsforschung ist es heute
zunächst das Verhältnis von Medien und             „Common Sense“, von der Fotografie als
Krieg aufgezeigt. Dann werden die Besonder-        einer Form der medialen Wirklichkeits-
heiten der visuellen Kriegsberichterstattung       konstruktion zu sprechen. Laut Sachsse
herausgestellt und die Charakteristika foto-       (2003a, S. 263) beginnt in der Fotografie
grafischer Wirklichkeitskonstruktion erläutert.         nach der – wörtlichen – Aufnahme des
                                                        Geschehens ein mehr oder minder
                                                        automatisch ablaufender Vorgang des
3. Fotografie in der                                    Verfertigens von Anschauungsmaterial,
                                                        das     spiegelbildlich  zu     seinem
massenmedialen                                          Entstehungsvorgang       allein     als
                                                        Verdopplung der Realität den Mythos
Kriegsberichterstattung                                 der eigenen Glaubwürdigkeit aufrecht
                                                        erhalten kann.
3.1 Fotografie: Abbild der                         Laut Mietzner (vgl. 2004) werden in diesem
Wirklichkeit oder                                  Zusammenhang die Bilder in ihrer gesell-
Konstruktion von Realität?                         schaftlichen Funktion zu einem eigenen
                                                   Erfahrungsraum,     während   die  konkrete

B   ilder beeinflussen in entscheidender           Begegnung und Kommunikation in der
    Weise die Wahrnehmung des Menschen.            menschlichen      Erfahrung  einen   immer
„Aus neurophysiologischen Gründen“, so             geringeren Platz einnehmen. Haller (2008a,
Haller (2008a, S. 271), „vertrauen Menschen        S. 272) definiert eine visuelle Darstellung
in erster Linie dem, was sie sehen.“ Dabei         insofern treffend als
beziehen Bilder ihre Bedeutung aus der                  [e]ine von der Wahl der technischen
Tatsache, dass sie, so Müller (2003, S. 86),            Mittel stark geprägte subjektive Sicht
„Ausschnitte    der     Realität   zu   einem           des Betrachters auf eine singuläre
                                                        Situation, die für einen (perspek-
enträumlichten und entzeitlichten Gesamt-
                                                        tivenabhängigen)    Realitätsausschnitt
eindruck“ verdichten. Diese Verdichtung                 gehalten werden kann, die aber auch
bedeutet auch eine Komprimierung von                    als Schaubild einer Inszenierung zu
Information, was das Besondere von Bildern              interpretieren ist.
ausmacht. Neben dieser konkreten Funktion          Vor allem die technischen und physikalischen
der Konfrontation mit „Realität“ haben Bilder      Eigenschaften der Fotografie unterstützen
laut Haller (2008a, S. 276) noch eine „zweite      dies, da eine Kamera von Grund auf anders
symbolische Dimension“, die er folgendermaßen      konstruiert ist als das menschliche Auge (vgl.
beschreibt: „Genau diese Darstellung, just         Rossig 2007, S. 23). Denn die Bildgestaltung
jener Schnappschuss versinnbildlicht das, was      an sich wird geleitet durch die persönliche
insgesamt das Geschehen ausmacht.“ Damit           Intention des Fotografen, die Wahl des

                                                                                              15
Der Gaza-Krieg im Bild

Ausschnitts und das Wann und Wie der                    Referenz des Dabeiseins im Akt des
Aufnahme. Die Objektivität des Bildes ist               Fotografierens“. Grittmann weist darauf hin,
damit laut Freund (vgl. 1993, S. 173) nur eine          dass paradoxerweise
Illusion. Sonntag (2005, S. 56) weist darauf hin,             [d]as    Wissen  um    die     digitalen
dass das Bild, das wir sehen, immer ein Bild                  Manipulationsmöglichkeiten von Fotos
ist, das jemand gewählt hat: „Fotografieren                   […] im vergangenen Jahrzehnt im
heißt einen Ausschnitt wählen, und einen                      Journalismus keineswegs zur Aufgabe
                                                              des Authentizitätsanspruchs geführt
Ausschnitt wählen heißt Ausschließen.“ Der
                                                              [hat]. Im Gegenteil: Das authentische
Moment der Aufnahme stellt eine bewusste                      Foto wird umso stärker von Qualitäts-
Entscheidung des Fotografen dar, die eine                     medien eingefordert (2003, S. 123).
Form von Manipulation bzw. der Realitäts-               In der Pressefotografie und im Foto-
verengung darstellt (vgl. Blecher 2001, S. 66).         journalismus als fotografischen Kategorien
Dabei stehen „authentische Bilder“ als solche           wird damit ein Glauben aufrecht erhalten,
als ein Garant dafür, dass ein Ereignis auch            der in anderen Bereichen der Fotografie
tatsächlich stattgefunden hat. Grittmann                schon längst aufgegeben wurde.
(2003, S. 125) definiert dabei Authentizität als
„keine dem Medium der Fotografie inhärente              3.2 Medien und Krieg
Eigenschaft, […] sondern eine auf sozialen
Praktiken    und     professionellen    Normen          Im Krieg kommt der massenmedialen Bericht-
beruhende Konstruktion von Wirklichkeit.“ Der           erstattung eine besondere Bedeutung zu. Vor
Produktionskontext      folgt   journalistischen        allem die Kernfunktion journalistischer Arbeit,
Kriterien wie Objektivität oder Wahrhaftigkeit          die Informationsfunktion, bekommt hier eine
und konstruiert so die „Authentizität“ der              zentrale Bedeutung. Dabei ist eine Unter-
Bilder. Zu Zeiten der analogen Fotografie               scheidung zwischen der Berichterstattung
diente als Garant der „Wahrheit“ das                    innerhalb der Konfliktregion, also in Israel und
Negativ. Dies ist jedoch im Umbruch, da die             den     palästinensischen       Gebieten,    und
analoge Fotografie heute zumindest im                   außerhalb der Region, beispielsweise in
Fotojournalismus als überholt angesehen                 Deutschland,      von     zentraler    Bedeutung.
werden kann:                                            Insbesondere in Ländern wie den USA, Groß-
                                                        britannien oder Israel, die aktiv an Kriegen
       Spätestens infolge der Digitalisierung
       sämtlicher Informationen haben wir               beteiligt sind, sei es regional oder internatio-
       eine neue Sicht auf das Verhältnis               nal, erwarten die kriegführenden Parteien
       zwischen Realität, Wahrnehmung und               von den Medien, diese zu unterstützten.
       Bildlichkeit, da nun – mit dem Ver-              Chomsky (2006) beschreibt die in diesem
       schwinden des „Originals“ – das Mani-
                                                        Rahmen        ablaufenden         Prozesse    als
       pulative      jedweder   Bilddarstellung
       offensichtlich    wird (Haller   2008a,          „Manufacturing Consent“. In demokratischen
       S. 272)4.                                        Systemen sind Militärs und Regierungen auf
Daneben bleibt nur die Augenzeugenschaft                die Unterstützung der Öffentlichkeit zum
des Fotografen als Person, der mit seiner               Führen eines Krieges angewiesen (vgl.
körperlichen Anwesenheit für die „Authen-               Löffelholz 2004, S. 35). Laut Sommer (vgl. 2004,
tizität“ der Bilder steht. So dient laut Sachsse        S. 322) haben die Massenmedien in diesem
(2003b, S. 135) „[d]er Körper der Fotografin            Zusammenhang eine Doppelfunktion sowohl
oder des Fotografen […] als alleinige                   als Vermittler als auch als Konstrukteure
                                                        sozialer Wirklichkeiten. Insbesondere, wenn
4    Ob das Manipulative auch für den Betrachter        ein Kriegsziel die Wiederherstellung der
     offensichtlich ist, muss nach Ansicht des Autors   eigenen Abschreckungsfähigkeit ist wie im
     noch nachgewiesen werden. Als gesicherte
                                                        Falle Israels im Gaza-Krieg, spielen die
     Erkenntnis kann gelten, dass der Akt der
     Manipulation durch das Verschwinden des            Medien als Vermittler eine zentrale Rolle. Der
     Originals einfacher geworden ist.                  Hintergrund       ist,    dass      Stärke   und

16
Felix Koltermann

Abschreckungsfähigkeit     gegenüber      dem       von Rollen bei Auftragsarbeiten für Armeen
Gegner über die Wahrnehmung derselben               und Verteidigungsministerien.
funktionieren und diese wesentlich von der
                                                    Bilder von Kriegen und Konflikten sind jedoch
Berichterstattung beeinflusst wird. In diesem
                                                    nicht nur „Dispositive[n] der Wahrnehmung
Zusammenhang entwickelte Virilio (vgl. 1993,
                                                    und Agenturen des kulturellen Gedächtnisses“
S. 61) nach dem Golf-Krieg 1991 die These
                                                    (Paul 2004, S. 15), sondern auch „Waffen in
von der Herausbildung einer „vierten Front“.
                                                    der Strategie der kriegführenden Parteien
Paul (2004, S. 47) weist auf Folgendes hin:
                                                    und der Terroristen, aber auch Instrumente im
„Kriege werden heute für und in den Medien
                                                    Antiterrorkampf der Regierungen“ (Müller/
geführt“. Die Ereignisse an sich, auf die sich
                                                    Knieper 2005, S. 11). Dies verweist auf die
die Berichterstattung der Massenmedien
                                                    manipulativen         und     meinungsleitenden
bezieht, stellen dabei nur das Rohmaterial
                                                    Funktionen von Bildern und die in der
dar, auf dem die mediale Konstruktion von
                                                    Literatur oft mit „Bildpolitik“ umschriebene
Wirklichkeit aufbaut.
                                                    Bedeutung der Kontrolle von Bildern durch
Um Einfluss auf die Berichterstattung und das       die kriegführenden Parteien (vgl. Prümm
Framing der Ereignisse zu nehmen, bedienen          2006, S. 222). Die Bildpolitik „soll vor allem
sich kriegführende Parteien verstärkt der           dafür    sorgen,      dass    Legitimation    und
Mittel von Public Relations und Propaganda,         Erscheinungsbild des Krieges nicht auseinan-
wie in Teil 2.2. für den Gaza-Krieg dargestellt.    derfallen“ (ebd.). Denn der Formenwandel
Laut Spindler (vgl. 2005, S. 185) haben Kriegs-     des Krieges, weg von klassischen zwischen-
parteien      von     Beginn   der    modernen      staatlichen Kriegen hin zu „Neuen Kriegen“
Kriegsführung an versucht, über die unter-          oder „Asymmetrischen Kriegen“ (Münkler
schiedlichsten Mittel (Zensur, Desinformation       2004), wie für den Gaza-Krieg in Teil 2
etc.) Einfluss auf die Berichterstattung zu         beschrieben, ist auch für die Bildbericht-
nehmen. Neue Herausforderungen stellen              erstattung über diese Kriege nicht folgenlos
sich im Informationszeitalter mit weltweit          geblieben. Neben der Funktion als Waffen,
massenhaft verfügbaren Zugängen zum                 „die unmittelbar auf den politischen Willen
Internet und der wachsenden Bedeutung des           des militärisch übermächtigen Gegners
Web 2.0 als dem neuen Kommunikations- und           gerichtet sind“ (Paul 2005, S. 158), führt dies
Nachrichtenmedium. Vor allem die Kontrolle          zu einer arbeitsteiligen Kriegsberichterstattung,
von Informationen wird immer schwieriger,                 die     militärische  Aufklärung     und
da jeder User Bilder und Informationen ins                Operation und ziviles Kriegsleiden, stark
Netz     einspeisen     und  damit    klassische          unterkühlte Sachberichte und stark
Zensurmethoden umgehen kann. Umso                         emotionalisierende    Reportagen      für
                                                          unterschiedliche Parteien zweckdienlich
erbitterter     wird     der  Krieg    an     der
                                                          voneinander trennt (Brinkemper 2003,
„Medienfront“ geführt. Dabei wird es durch                S. 26).
die Beschleunigung und Diversifizierung der
Berichterstattung       für  den    Rezipienten     3.3 Die Funktion der Fotografie in
zunehmend schwerer, sich ein „Bild“ zu              der Kriegsdarstellung
machen: „Die Überprüfung des Wahrheits-
gehalts von Nachrichten erweist sich für den        Bezogen auf die visuelle Darstellung von
Zuschauer als schwierig, wenn nicht gar             Kriegen und Konflikten, geht die visuelle
unmöglich.“ (Büttner 2004, S. 224). Auch die        Kommunikationsforschung davon aus, dass
Verflechtungen zwischen Medien und Militär          „[n]ur Kriege, die massenmedial Bildzeugnisse
sind vielfältig. Sie reichen vom Zurverfügung-      hinterlassen, […] Kriege [sind], die im
stellen von Transportkapazitäten für Journalisten   Gedächtnis haften bleiben.“ (Müller/ Knieper
über Drehgenehmigungen und Informationen            2005, S. 7). Für den Bildjournalismus bedeutet
aus erster Hand bis hin zur Überschneidung          dies laut Leifert (2007, S. 268), „Gesellschaft

                                                                                                  17
Der Gaza-Krieg im Bild

mit Realität zu konfrontieren […]. Besonders                   bestimmten Konflikt überhaupt etwas
Bilder von Leid, Krieg und Unglück können                      hängenbleibt,   […]   Tag   für  Tag
                                                               Aufnahmen     aus   diesem    Konflikt
verstörend sein, stellen aber gleichzeitig
                                                               gesendet und wiederholt werden.
Referenzpunkte von Wissen und Erinnerung
                                                         Damit wird, so Paul (2004, S. 477), das
dar.“ Die visuelle Prägung der Kriegs-
                                                         „Realgesicht“ des Krieges in der aktuellen
kommunikation der Gegenwart hat zur Folge,
                                                         Berichterstattung durch das „Deutungs-
dass die „Bilder“ über Kriege und Konflikte,
                                                         gesicht    des    Krieges“   substituiert6.  Die
die wir in uns tragen, „in der Regel nicht auf
                                                         Auseinandersetzung in den Medien und der
eigenem Erleben beruhen, sondern auf
                                                         davon ausgehende gesellschaftliche Diskurs
medial vermittelte Bilder aktueller und
                                                         haben somit als Gegenstand nicht mehr den
vergangener Kriege zurückgehen“ (Paul
                                                         Krieg an sich, also den originalen Gegen-
2004, S. 14). Als „Schlüsselbilder“ gehen einige
                                                         stand, sondern „dessen medialen Schein“
von ihnen in unser kollektives Gedächtnis5 ein.
                                                         d.h. das Bild des Krieges (vgl. ebd.). Laut
Unter anderem auf die Präsenz dieser
                                                         Haller (2008b, S. 45) wird diese Bedeutung
Schlüsselbilder ist es zurückzuführen, dass, so
                                                         des Bildes jedoch erst dann wirkungsvoll,
Paul (2004, S. 14) in seiner Studie „Bilder des
                                                         „wenn das Bild über seine Situations-
Krieges“,     jeder    Krieg    „seine    eigene
                                                         gebundenheit hinaus mit dem Gezeigten
unverwechselbare visuelle Individualität, eine
                                                         eine Bedeutung transportiert, die ein Text nur
bestimmte ästhetische Kennung“ produziert.
                                                         vermittels vieler Worte interpretativ zu leisten
Andere      Autoren     sprechen     in   diesem
                                                         vermag.“
Zusammenhang auch von der Indexikalität
des Krieges (vgl. Sachsse 2003a, S. 265). Diese          Als problematisch anzusehen ist, dass „sich in
bietet die Möglichkeit, das spezifische                  den Köpfen die Vorstellung fest[setzt], die
visuelle Bild eines Kriegs, im Fall dieser Studie        Bedeutsamkeit eines Ereignisses sei propor-
des Gaza-Krieges, zu untersuchen.                        tional zu seinem Bilderreichtum.“ (Ramonet
                                                         1999, S. 173). Denn Bilder beeinflussen
Fotografien bestimmen laut Spindler (2005,
                                                         historische Prozesse und wirken meinungs-
S. 182)   wesentlich,   „welche     Bedeutung
                                                         und bewußtseinsbildend (vgl. Paul 2004, S. 11).
Konflikte erhalten und wie sie in Erinnerung
                                                         Das dramatische dieser meinungsbildenden
bleiben.“ Nach Ansicht von Link (vgl. 2000,
                                                         Funktion von Bildern beschreibt Haller (2008a,
S. 246) haben Bilder bezogen auf die
                                                         S. 276) damit, dass Bildern in der Kriegs-
Darstellung von Kriegen und Konflikten die
                                                         berichterstattung oft eine „binäre Aussage“
Funktion, maximale Authentizität herzustellen.
                                                         zu Grunde liegt, die das „dem Kriegsgeschehen
Eine weitere Bildfunktion ist laut Paul (2004,
                                                         immanente Gut-Böse-Schema übernimmt.“
S. 11) das „katastrophisch antizivilisatorische
                                                         Aufgrund der Einprägsamkeit der visuellen
Ereignis des Krieges zu einem zivilisatorischen
                                                         Darstellung ist die Dekonstruktion dieser
Akt umzuformen“ und diesem eine Ordnungs-
                                                         Botschaften in Bildern sehr schwer zu
struktur zu geben. Denn nur durch eine
                                                         vollziehen. Blecher (2001, S. 25) geht in seiner
ästhetisierte und entzeitlichte Struktur wird
                                                         Beschreibung des Fotojournalismus so weit zu
das Ereignis für den Betrachter rezipierbar.
                                                         sagen, dass „Fotojournalismus nichts anderes
Laut Sonntag (2005, S. 28) müssen jedoch,
                                                         als die Kunst von der gezielten Manipulation
       [d]amit bei Zuschauern, die aus allen             des Lesers [ist] – in mehr oder weniger stark
       Richtungen mit dramatischen Bildern
                                                         ausgeprägtem Maße.“
       bombardiert    werden,   von   einem

5    Als Beispiele für einige der bekanntesten           6   Problematisch an Pauls Argumentation ist, dass er
     „Schlüsselbilder“, sind hier das Bild von Joe           davon ausgeht, es wäre möglich das
     Rosenthal der Hissung der amerikanischen Flagge         „Realgesicht“ des Krieges zu zeigen. Diese Studie
     auf der japanischen Insel Iwo Jima, oder das Bild       geht    davon     aus,   dass    jede    Wirklich-
     von Nick Ut des Napalm verbrannten Mädchen              keitskonstruktion des Krieges subjektiv ist und
     Kim Phúc aus dem Vietnam-Krieg zu nennen.               verschiedene Formen annehmen kann.

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