Der Gaza-Krieg im Bild - Occasional Paper August 2010
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Occasional Paper VI Der Gaza-Krieg im Bild Felix Koltermann August 2010 INTERNATIONALES KONVERSIONSZENTRUM BONN - Pfarrer-Byns-Straße 1 BONN INTERNATIONAL CENTER FOR CONVERSION (BICC) GMBH D - 53121 Bonn Tel.: 0228-911 96-0 Geschäftsführer: Peter J. Croll Fax: 0228-91196-22 Aufsichtsratsvorsitzender: E-Mail: bicc@bicc.de Handelsregister: Bonn HRB 6717 Internet: www.bicc.de
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis 5 Abstract 5 1. Einleitung 5 1.1 Einleitung 5 1.2 Forschungsgegenstand: Begriffe und Definitionen 6 1.3 Forschungsstand Nahostberichterstattung 7 1.4 Aufbau der Untersuchung 9 2. Gaza-Krieg 10 2.1 Der Gaza-Krieg im Kontext des Nahostkonflikts: Eine Konfliktanalyse 10 2.2 Nachrichtenzentrum Nahost: Der Gaza-Krieg und die Medien 12 3. Fotografie in der massenmedialen Kriegsberichterstattung 15 3.1 Fotografie: Abbild der Wirklichkeit oder Konstruktion von Realität? 15 3.2 Medien und Krieg 16 3.3 Die Funktion der Fotografie in der Kriegsdarstellung 17 4. Ein Vergleich der Bildberichterstattung von FAZ und SZ 19 4.1 Untersuchungsverfahren und Methodik 19 4.2 Beschreibung des Datensatzes 21 4.3 Quantitative Untersuchung 21 4.4 Qualitative Untersuchung 24 4.5 Schlüsselbilder 31 4.6 Auswertung der Fallstudie 35 5. Schlussbetrachtung und Ausblick 36 Quellen- und Literaturverzeichnis 39 Annex 43 Das BICC 47
Der Gaza-Krieg im Bild Abkürzungsverzeichnis AFP Agence France Presse AMA Agreement on Movement and Access AP Associated Press BPB Bundeszentrale für politische Bildung CPJ Committee to Protect Journalists DDP Deutscher Depeschendienst DJV Deutscher Journalisten- Verband DPA Deutsche Presseagentur FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FR Frankfurter Rundschau FPA Foreign Press Association GPO Government Press Office IDF Israel Defense Forces OCHA United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs PLO Palestine Liberation Organisation ROB Reporters Without Borders SZ Süddeutsche Zeitung UN Vereinte Nationen UNIFIL United Nations Interim Force in Lebanon 4
Felix Koltermann Abstract und damit den 22 Tage dauernden Gaza- Krieg einleitete, erreichte diese Nachricht D er folgende Aufsatz analysiert die das nachweihnachtliche Deutschland völlig Bildberichterstattung der Frankfurter unerwartet. Kaum jemand hatte zu diesem Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der Zeitpunkt mit einer Militäroffensive Israels Süddeutschen Zeitung (SZ) über den Gaza- diesen Ausmaßes gerechnet. In den Krieg. Der Untersuchung liegt die Annahme folgenden drei Wochen nahm die Bericht- zu Grunde, dass die Bildberichterstattung in erstattung über den Gaza-Krieg eine Form fotojournalistischer Kriegsfotografie eine herausragende Stellung in den deutschen besondere Form der medialen Wirklichkeits- Medien ein. Der Krieg wurde in den konstruktion darstellt, die mediumspezifische deutschen Medien über den gesamten Zeit- „Bilder“ konstruiert. Eingebettet ist diese raum der bewaffneten Auseinandersetzungen Analyse in eine Beschreibung der Bedeutung breit dokumentiert. Bilder spielten bei der der Fotografie für die Kriegs- und Darstellung des Krieges eine zentrale Rolle. Krisenberichterstattung und die Heraus- Was die Berichterstattung angeht, so ist arbeitung der Besonderheit des Mediums heute viel vom sogenannten „Pictorial Turn“ Fotografie als Träger von Erinnerung. Des oder „Iconic Turn“ die Rede, um die stetige Weiteren wird der Produktionskontext Bedeutungszunahme von Bildern und deren geschildert, in dem die Bilder vor Ort Allgegenwart in den Massenmedien zu entstanden sind, und diese Informationen zur beschreiben (vgl. Bredekamp, Horst, 2004, Einordnung der Ergebnisse der qualitativen S. 15). In den Printmedien wirken Bilder als Untersuchung herangezogen. eine Art „Eye-Catcher“ auf einer Seite. In der Die Grundlage dieses Occasional Papers war vorliegenden Studie wird deshalb eine eine Masterarbeit, die für den Studiengang exemplarische Analyse der Bildberichterstat- „Master in Peace and Security Studies tung deutscher Printmedien vorgenommen. (M.P.S.)“ am Institut für Friedensforschung Dabei ist zu beachten, dass Pressebilder aus und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg der visuellen Kriegsberichterstattung, welche (IFSH) während eines Forschungsaufenthaltes den Untersuchungsgegenstand dieser Studie am Bonn International Center for Conversion darstellen, nur ein Aspekt sind, der neben (BICC) entstanden ist. Für die Publikation Text, Audio- und Fernsehbeiträgen dafür wurde die Studie inhaltlich und redaktionell sorgt, dass wir uns ein „Bild“ von einem überarbeitet. Konflikt machen können, den wir mit eigenen Augen nicht gesehen haben. Der Untersuchung liegt die Hypothese zu 1. Einleitung Grunde, dass die Bildberichterstattung eine eigene Form der medialen Wirklichkeits- 1.1 Einleitung konstruktion darstellt, die sich von Medium zu Medium unterscheidet. Diese Hypothese folgt D er israelisch–palästinensische Konflikt, in dessen Rahmen der Gaza-Krieg zu analysieren ist, ist einer der am längsten der Leitfrage, inwieweit dies durch die unterschiedliche Wahl fotografischer Mittel in den abgedruckten Bildern bedingt ist. Durch schwelenden Konflikte des 20. und des die Unterschiedlichkeit der medialen beginnenden 21. Jahrhunderts und als solcher Wirklichkeitskonstruktion in der Bildbericht- Forschungsgegenstand der politischen erstattung der Frankfurter Allgemeinen Wissenschaften und der Friedens- und Zeitung (FAZ) und der Süddeutschen Zeitung Konfliktforschung. Als am Abend des 27. (SZ) werden zwei verschiedene „Bilder“ vom Dezember 2008 die israelische Armee mit Gaza-Krieg gezeichnet. Damit wird auch den Luftangriffen auf den Gaza-Streifen begann Konfliktparteien ein bestimmtes Image 5
Der Gaza-Krieg im Bild zugeschrieben. Ziel dieser Studie ist es, einen Pressefotografie in den Printmedien und lässt Beitrag zur Diskussion über die Rolle von sich „als beobachterabhängiges und vor Bildern in der Darstellung von Kriegen und allem durch Theorien des Sehens bestimmtes Konflikten zu leisten und zu untersuchen, auf Konstrukt von Realität begreifen“ (Grittmann welche Art und Weise sie unsere 2007, S. 17). Seine Relevanz bezieht der Wahrnehmung prägen. Fotojournalismus aus der Bedeutung der Visualisierung von Nachrichten (Grittmann/ 1.2 Forschungsgegenstand: Neverla/ Amman 2008, S. 8). Bei Pressefoto- Begriffe und Definitionen grafien über Krisen und Kriege, die in Deutschland veröffentlicht werden, handelt Journalistische Arbeit im Allgemeinen ist an es sich um Produkte der Auslandsbericht- gesellschaftlichen Prozessen und Dynamiken erstattung. Hafez (2002, S. 24) versteht unter orientiert. Konflikten als besonderer Form Auslandsberichterstattung „jedes System der gesellschaftlicher Dynamiken gilt ein journalistischen Informationsvermittlung (…), besonderes Interesse der Berichterstattung. in dessen Verlauf Informationen und Nach- Je stärker diese Dynamiken sind, umso größer richten staatliche Grenzen überschreiten“. ist auch das Interesse der (Konflikt-) Entscheidend ist somit zum einen, wo die Berichterstattung. Krisen und Kriege gelten Bilder entstanden sind, und zum anderen, wo dabei als ausdifferenzierte Formen von sie veröffentlicht werden. Konflikten, die eine bestimmte Eskalations- Kriegsberichterstattung wie über den Gaza- schwelle überschritten haben und mit Gewalt Krieg ist damit ein Teilbereich der ausgetragen werden. Das Heidelberger Auslandsberichterstattung. Abgedeckt wird Institut für Internationale Konfliktforschung diese Berichterstattung entweder von (HIIK) definiert Krieg als einen Konflikt, in dem Auslandskorrespondenten, die in die Konflikt- Gewalt systematisch und in großem Umfang region entsandt werden, oder lokalen eingesetzt wird und das Ausmaß der Angestellten, welche die Informationen Zerstörung nachhaltig ist (HIIK 2008). Insofern entweder direkt an ihr Medium verkaufen bezieht sich der Begriff der Krisen- und Kriegs- oder dies über Nachrichtenagenturen tun. berichterstattung auf die Berichterstattung Die zuvor skizzierten Paradigmen der über gesellschaftliche Konflikte, in denen Kriegsberichterstattung sind nicht medien- immer wieder systematisch Gewalt zur spezifisch und umfassen Radio, Fernsehen, Erreichung bestimmter Ziele angewendet wird. Internet und die Zeitungsmedien. Aufgrund Die visuelle Krisen- und Kriegsbericht- ihrer medienspezifischen Eigenschaften erstattung ist eine besondere Form der Krisen- stellen die bildbasierten Medien jedoch eine und Kriegsberichterstattung. Dazu zählt auch Besonderheit dar, innerhalb derer nochmals die fotojournalistische Krisen- und Kriegs- zwischen Stand- und Bewegtbild zu berichterstattung, die für diese Studie unterscheiden ist. Die Besonderheit des relevant ist. Als Teil der visuellen Bericht- Bewegtbilds liegt dabei vor allem in der erstattung ist der Fotojournalismus an den Aneinanderreihung von Bildsequenzen und sichtbaren Ausprägungen der oben der Arbeit mit Tonaufnahmen. skizzierten Konfliktdynamiken interessiert. Aufgrund ihrer Dramatik und ihres Dabei stellt der Fotojournalismus an sich eine Neuigkeitswerts erfüllen Krisen und Kriege ausdifferenzierte Form der Fotografie dar und meist mehrere Nachrichtenfaktoren und kann laut Grittmann/ Neverla/ Ammann (vgl. haben einen hohen Nachrichtenwert. „War 2008, S. 14) als ein Subsystem des Journalis- sells“ heißt es nicht zu Unrecht immer wieder. mus aufgefasst werden und ist damit auch Dabei leistet die Pressefotografie heute einen an journalistischen Qualitätsstandards zu entscheidenden Beitrag zur Formierung von messen. Er zeigt sich meist in Form der Meinung. Untersuchungen wie die von Müller 6
Felix Koltermann (vgl. 2001, S. 27) haben gezeigt, dass unser erreichen mit ihren Printauflagen zusammen Blick auf einer Zeitungsseite durch Bilder fast 850.000 Menschen täglich (Süddeutsche geleitet wird: während 90 Prozent der 450.000, FAZ 400.000). Trotz der zunehmenden Zeitungsnutzer die Bilder betrachten, lesen Bedeutung der Online-Ausgaben der FAZ und nur 50 Prozent einen Artikel bis zu Ende. der SZ, bezieht sich die vorliegende Menschen sind auf Medien angewiesen, Untersuchung nur auf die Printausgaben, da welche die Realität1 übersetzten. Die die Bedeutung des Einzelbildes als ikonisches Relevanz von Bildern hat im letzten Jahrzehnt Zeichen auf einer Zeitungsseite wesentlich noch zugenommen. Das zeigt sich zum einen größer ist als im Internet. daran, dass Medien wie die FAZ dazu Die konkrete Untersuchung bezieht sich auf übergegangen sind, auch die Titelseite zu die tagesaktuelle Berichterstattung im bebildern und sich des Weiteren die Anzahl Zeitraum des Krieges zwischen dem der Bilder pro Seite erhöht hat (bei der FAZ 27. Dezember 2008 und dem 19. Januar 2009 von 1,4 Bilder/Seite im Jahr 2000 auf 2,0 und wird in Form einer Produktanalyse Bilder/Seite im Jahr 2006 und bei der SZ von vorgenommen. Den Untersuchungsgegenstand 1,9 auf 2,7) (vgl. Grittmann 2008, S. 227). bilden dabei die in den untersuchten Medien Die vorliegende Studie beschäftigt sich im abgebildeten Pressefotografien. Eingebettet Rahmen einer Produktanalyse mit der in eine empirische Untersuchung, die nach Bildberichterstattung über den Gaza-Krieg in der Anzahl der Bilder und nach formalen den deutschen Printmedien. Anhand eines Merkmalen fragt, werden die Bilder nach Vergleichs der Bildberichterstattungen der qualitativen Merkmalen, wie z.B. den Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und dargestellten Akteuren oder dem Bildinhalt, der Süddeutschen Zeitung (SZ) wird der Frage untersucht. Davon ausgehend werden nachgegangen, auf welche Art und Weise in Motivgruppen definiert und Schlüsselbilder den besagten Medien durch Bilder die extrahiert. Wirklichkeit des Gaza-Krieges konstruiert wird Der Studie liegt die Annahme zu Grunde, und wie sich diese in den beiden Zeitungen dass es trotz Zensur (Israel verhinderte die unterscheidet. Aussagen, die in der Untersu- Einreise ausländischer Journalisten in den chung generiert werden, beziehen sich auf Gaza-Streifen und die Hamas verbot Bilder die Bildberichterstattung der beiden über ihre Milizen) immer einen ausreichend untersuchten Medien. Schlussfolgerungen großen Bildpool gab, aus dem die Medien über die Wirkung sind aus dieser Studie nicht eine spezielle Auswahl getroffen haben, um zu ziehen. eine medienspezifische Wirklichkeit des Die FAZ und die SZ, deren Bildbericht- Krieges zu konstruieren. erstattung in dieser Studie untersucht wird, sind zwei der auflagenstärksten Leitmedien 1.3 Forschungsstand der deutschen Qualitätspresse. Sie wurden Nahostberichterstattung ausgewählt, weil sie das konservative und das liberale Meinungsspektrum repräsen- Bei einer Untersuchung der Berichterstattung tieren. Beide Medien tragen entscheidend über den Konflikt ist eine Unterscheidung zur Meinungsbildung in Deutschland bei und zwischen der Berichterstattung innerhalb der Konfliktregion, also in Israel und den 1 Realität wird in dieser Studie als Synonym für palästinensischen Gebieten, und außerhalb Geschehnisse, die in der Erfahrungswelt der Menschen passiert sind, verwendet. Wirklichkeit der Region, beispielsweise in Deutschland, wird benutzt, wenn es um die Beschreibung bzw. von zentraler Bedeutung. Medien in Konstruktion des Abbildes der Realität in den Konfliktregionen tendieren eher zu einer Medien und in der Auseinandersetzung mit der Realität geht. Die hier untersuchte Form der parteiischen Berichterstattung. Bezogen auf Repräsentation ist die Fotografie. die palästinensischen Gebiete kommt 7
Der Gaza-Krieg im Bild erschwerend hinzu, dass wir es dort nicht mit häufig paternalistisch und Kritik würde über einer freien Presselandschaft zu tun haben. weite Teile nicht direkt, sondern stellvertre- Bezüglich der palästinensischen Berichterstattung tend über Zitate israelischer Kritiker geäußert über die zweite Intifada kommt eine (DISS, S. 29ff.). Dies zeigt, dass es schwierig ist, Untersuchung von Fohaqa zu dem Schluss, die Berichtererstattung vom eigentlichen dass die Medien hauptsächlich den eigenen Konflikt zu trennen (vgl. Dreßler 2008, S. 210). Standpunkt wiedergeben und sich auf die Die Medien tragen mit ihrer Berichterstattung Kosten der israelischen Besatzung und die zur Verbreitung und Verfestigung der vorhan- militärischen Aktivitäten in der Region denen Narrative bei. Stellvertretend wird dort fokussieren. „This type of coverage der Kampf um die Deutungshoheit des contributed to increased tension and played Konflikts geführt. Dabei klaffen die in into the hands of those whose goal was to Deutschland wahrgenommene Realität des continue the cycle of violence, whether on Konflikts und die Realität vor Ort oft the Palestinian or the Israeli side“ so sein auseinander (vgl. Dreßler 2008, S. 192). abschließender Kommentar (2006, S. 7). Der Ethnologe Martin Heidelberger hat in Bezogen auf die israelische Berichterstattung einer Studie die Produktions- und Arbeits- kommt Dor in einer Studie zu einem bedingungen der Fotojournalisten anhand ähnlichen Schluss: Seiner Ansicht nach der Verwertungskette der Bilder von der verfolgte die Berichterstattung in Israel das Produktion in der Konfliktregion bis in die Ziel, die Menschen vom Gefühl der Schuld zu Redaktionen in Deutschland hinein verfolgt befreien und sie in ihrer Opferrolle zu und damit eine gute Übersicht geschaffen, bestärken (vgl. Dor 2005, S. 3). auf die diese Studie aufbauen kann (vgl. Bezogen auf die deutsche Nahostbericht- Heidelberger 2009, S. 37). Auffällig ist die von erstattung kommt eine von der Bundes- ihm beschriebene hierarchische Rangordnung. zentrale für politische Bildung (BpB) Während die meisten Fotojournalisten, die als beauftragte Studie über die Berichterstattung Stringer (freie Mitarbeiter) insbesondere in in den Hauptnachrichtensendungen des den Brennpunkten in der Westbank und im deutschen Fernsehens zu dem Schluss, dass Gaza-Streifen arbeiten, Palästinenser sind, die Konfliktasymmetrie auf der Ereignisebene sind die Positionen in den lokalen Büros der sich auch in der Medienrealität fortsetzt (vgl. Agenturen in Jerusalem meist mit inter- IFEM 2002, S. 10ff.). In den untersuchten Jahren nationalen Fotojournalisten besetzt. Hier von 1999 bis 2001 hatten Israelis als Akteure herrscht auch ein starkes Gefälle in der eine höhere Präsenz als Palästinenser. Die Bezahlung. Des Weiteren hat er offengelegt, Palästinenser erschienen als Konfliktagressor, dass einige Fotojournalisten sich als Akteure die Israelis als Konfliktopfer. Charakteristisch im Konflikt sehen, während andere vehement war des Weiteren die Benutzung eines die Position des neutralen Beobachters Repertoires symbolisch aufgeladener Bilder, verteidigen. Diese unterschiedlichen Sicht- wie z.B. Hände schüttelnde Spitzenpolitiker, weisen werden von Heidelberger jedoch Straßenkampf der Steinewerfer, Trauerzüge nicht problematisiert und nicht vertiefend in sowie Opfer- und Schadensbilder am Tatort. Bezug auf das Konfliktszenario untersucht. Eine Diskursanalyse der Berichterstattung In einer Untersuchung der Bildbericht- über die zweite Intifada des Duisburger erstattung über den Nahostkonflikt in nord- Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) amerikanischen Magazinen hat Woodward brachte zum Vorschein, dass sowohl in Bezug herausgefunden, dass die Bilder immer wieder auf die Israelis als auch auf die Palästinenser ikonografische Stereotype reproduzieren und starke Negativcharakterisierungen zu finden kommt damit zu ähnlichen Forschungs- sind. Die in der Berichterstattung eingenom- ergebnissen wie die BpB-Studie (vgl. menen Perspektiven seien des Weiteren Woodward 2007, S. 8). Auch Heidelberger 8
Felix Koltermann kommt zu dem Schluss, dass sich bestimmte bedeutet. Die Schlussbetrachtung in Teil 5 klischeehafte Bildmuster wiederholen. Er sieht weist auf weitere forschungsrelevante Fragen die Verantwortung für diese repetitive hin und zieht ein Resümee der Untersuchung Berichterstattung bei den Fotojournalisten und ihrer theoretischen Verortung. (vgl. Heidelberger 2009, S. 30). Des Weiteren Die vorliegende Studie ist eine inter- hat eine Verschiebung stattgefunden: disziplinäre Studie, welche als problem- Ausgelöst von technischen Neuerungen wie orientiertes Forschungsvorhaben die Friedens- hohen Auflösungen und realitätsnahen Farben und Konfliktforschung mit der visuellen wird ein starker „sense of intimate Kommunikationsforschung verbindet. Ziel ist involvement“ erzeugt (Woodward 2007, es einen kritischen Rückblick vorzunehmen S. 15). Laut Woodward hat in den letzten und den Medien den Spiegel vorzuhalten Jahrzehnten eine Emotionalisierung und sowie Erkenntnisse zu generieren, die bei der Dramatisierung der Bildberichterstattung alltäglichen Zeitungslektüre nicht erkennbar stattgefunden. sind. Das gemeinsame Erkenntnissinteresse der visuellen Kommunikationsforschung sowie 1.4 Aufbau der Untersuchung der Friedens- und Konfliktforschung ist darin zu sehen, Prozesse visueller Kommunikation in Dieser Einleitung folgt im Teil 2 eine Analyse und über Kriege und Konflikte transparent zu des Gaza-Kriegs aus konflikttheoretischer und machen und diese Prozesse in Beziehung zum friedenswissenschaftlicher Perspektive, um eigentlichen Konfliktgeschehen zu setzen. den Krieg in einen zeithistorischen Kontext zu Paul (2004, S. 485) spricht in diesem Zusam- stellen. Dem folgt eine Beschreibung der menhang von einer „friedenspädagogische[n] Rahmenbedingungen, unter denen die Verantwortung der Wissenschaften“, vor Medien vor Ort über den Krieg berichten allem in der Aufklärungs- und Dechiffrierungs- konnten, um dies später für die Analyse der arbeit, um die dargebrachten Wirklichkeits- Bilder nutzen zu können. In Teil 3 wird die konstruktionen zu hinterfragen. Müller sieht in Funktion von Medien im Krieg dargestellt und der Untersuchung der „Rolle der Bild- der Fotojournalismus medientheoretisch propaganda im palästinensisch–israelischen verortet. Daraus leitet sich eine Beschreibung Konflikt“ eines der innovativsten Forschungs- der Besonderheiten der visuellen Kriegs- felder für die Friedens- und Konfliktforschung. berichterstattung und ihrer spezifischen Laut Prümm muss Wirklichkeitskonstruktion ab. Die eigentliche Untersuchung der Medien in Teil 4 ist einge- [d]ie Historiografie der neuen Kriege […] eine kritische Historiografie der bettet in eine Vorstellung der Methodik der Medienrealität sein. Sie hat die Produktanalyse und eine Vorstellung des Aufgabe, die Bildpolitik und die - Analyserasters sowie der Datengrundlage. strategien der Kriegsakteure in den Den Hauptteil bildet der Vergleich der Bilder Blick zu nehmen, die Präsentationslogik aus der FAZ und der SZ in einer quantitativen der medialen Ritualisierungen und die ikonografischen Darstellungsmuster zu und einer qualitativen Untersuchung. Aus untersuchen, um so den Krieg der Bilder dieser Untersuchung werden Schlüsselbilder jenseits aller schnellen Definitionen extrahiert, die ikonografisch verortet und auf sichtbar und erkenntlich zu machen ihre spezifische inhaltliche Bedeutungs- (2006, S. 228). konstruktion hin untersucht werden. Darauf aufbauend wird die Frage beantwortet, welche Form der Wirklichkeitskonstruktion die untersuchten Medien vornehmen und was dies für die Wahrnehmung des Konflikts 9
Der Gaza-Krieg im Bild 2. Gaza-Krieg nensischen Kämpfer bedienen sich haupt- sächlich selbstgebauter Raketen, Minen und anderer Sprengfallen sowie automatischer 2.1. Der Gaza-Krieg im Kontext Kleinwaffen. Die israelische Armee dagegen des Nahostkonflikts: verfügt über eine starke Luftwaffe und Eine Konfliktanalyse Marineeinheiten sowie über eine Panzer gestützte Bodentruppe, die alle im Gaza- Der so genannte Gaza-Krieg war die letzte Streifen zum Einsatz kamen. Durch eine große militärische Auseinandersetzung im Mobilmachung konnte die israelische Armee Kontext des israelisch–palästinensischen auf Zehntausende von Reservisten zurück- Konflikts und erregte durch die Schwere der greifen. Die palästinensischen Kämpfer Kämpfe sowie die große Anzahl von Opfern werden demgegenüber nur auf einige große internationale Aufmerksamkeit. Der Tausend geschätzt. Krieg begann am 27. Dezember 2008 durch Der Gaza-Krieg ist nur im Zusammenhang mit Luftangriffe der Israel Defense Forces (IDF) dem israelisch-palästinensischen Grundkonflikt auf den Gaza-Streifen. Rund 22 Tage später zu verstehen (vgl. ebd., S. 97). Im Prinzip geht endete diese „massivste Operation der es um den Anspruch zweier Völker, des israelischen Armee in palästinensischen israelischen und des palästinensischen, auf Gebieten seit dem 6-Tage-Krieg“ (FES 2009, dasselbe Stück Land, das historische S. 2) mit einem einseitig ausgerufenen Palästina, in dem sich heute der Staat Israel Waffenstillstand der israelischen Armee am sowie die Westbank und der Gaza-Streifen 17. Januar 2009, dem sich die Hamas einen befinden. Der Gaza-Streifen ist Teil des Tag später anschloss. Damit war der Krieg, Gebiets, das zusammen mit der Westbank als der nach Angaben der Office for the zukünftiger Staat Palästina gehandelt wird. Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) Die Mehrheit der Menschen, die im Gaza- (vgl. 2009, S. 1) 1.440 Palästinensern und 13 Streifen leben, sind Flüchtlinge oder deren Israelis das Leben kostete, in einen fragilen Nachkommen aus den Gebieten, die Israel Waffenstillstand übergegangen. im ersten israelisch–arabischen Krieg 1948/49 Der Gaza-Krieg weist laut Johannsen (vgl. besetzt und zu seinem Staatsgebiet hinzufügt 2009, S. 100) Merkmale eines asymmetrischen hat. Diese Menschen tragen weiterhin die Konflikts oder des „Kleinen Krieges“ auf. Die Hoffnung auf Rückkehr in sich. Der Gaza- Asymmetrie2 gilt sowohl für die Akteure als Streifen stand immer unter Fremdverwaltung, auch für die Mittel. Auf der einen Seite steht erst unter den Ägyptern von 1948 bis 1967 Israel, als international anerkannter Staat und und dann unter der israelischen Besatzungs- Mitglied der Vereinten Nationen. Dem macht bis zum Abzug Israels 2005. Auch nach gegenüber steht die international nicht dem Abzug kontrollierte Israel weiterhin die anerkannte De-facto-Regierung der Hamas, Grenzen zu Land und zu See, weshalb der die im Gaza-Streifen seit ihrer gewalttätigen Gaza-Streifen völkerrechtlich gesehen weiterhin Machtübernahme im Juli 2007 an der Macht als besetztes Gebiet gilt. ist. Die Gewalt geht auf Seiten Israels von der Im Konflikt um den Gaza-Streifen ist eine israelischen Armee aus, auf palästinensischer stetige Eskalation zu beobachten, in der sich Seite dagegen von Hamas-Milizionären und die Lebensbedingungen der lokalen anderen autonom agierenden Widerstands- Bevölkerung seit zwei Jahrzehnten ständig gruppen. Besonders auffällig am Konflikt ist verschlechtert haben. In den Verträgen von die Asymmetrie der Waffen. Die palästi- Oslo in den 1990er Jahren, die der ersten 2 Asymmetrie bedeutet eine fundamentale Intifada ein Ende setzten, wurden Teile des Ungleichheit zwischen verschiedenen Akteuren seit 1967 von Israel besetzt gehaltenen Gaza- eines Konflikts und kann sich sowohl quantitativ Streifens der Verwaltung der neugeschaf- wie qualitativ äußern. 10
Felix Koltermann fenen palästinensischen Autonomiebehörde Nach einem Militäreinsatz Israels gegen unterstellt. Zu diesem Zeitpunkt lebten in 16 Schmugglertunnel an der Grenze zu Ägypten Siedlungen noch ca. 8.000 israelische Siedler am 4. November 2008, die neben der (vgl. B’Tselem 2009). Ursprünglich waren auch Versorgung mit Lebensmitteln auch für den Korridore zwischen der Westbank und dem Waffenschmuggel genutzt werden, verstärkten Gaza-Streifen gedacht, um Bewegungs- die palästinensischen Widerstandsgruppen freiheit für die palästinensische Bevölkerung ihre Angriffe auf Israel. Bemühungen der herzustellen. Seit Beginn der zweiten Intifada Türkei den Waffenstillstand zu verlängern, im Jahr 2000 wurde der Gaza-Streifen immer scheiterten. Parallel wurde in Israel von öfter komplett abgeriegelt. Zur Eskalation langer Hand ein Militäreinsatz im Gaza- trug neben den palästinensischen Selbst- Streifen geplant, der dann im Gaza-Krieg mordattentaten in Israel auch der vermehrte realisiert wurde. Beschuss Südisraels mit selbstgebauten Die Begründungen für den Krieg seitens der Raketen durch palästinensische Gruppen israelischen Regierung unterlagen während bei. Seit 2001 wurden 14 Menschen in Israel der Operation einem steten Wandel. So durch Raketen getötet und 434 verletzt (vgl. wurde die Sicherung der südlichen Grenze FES 2009). Im September 2005 setzte die Israels genannt, aber immer wieder auch die israelische Regierung einen einseitigen Abzug Verhinderung des Raketenabschusses aus seiner Siedler und Besatzungstruppen aus dem Gaza-Streifen und die Zerstörung der dem Gaza-Streifen durch. Im gleichen Jahr Tunnelinfrastruktur. Als gesicherte Erkenntnis wurde das Agreement on Movement and gilt, dass Israel mit dem Angriff auch seine Access (AMA) unterzeichnet, welches die militärische Abschreckungsfähigkeit wieder- Öffnung der Grenzen gewährleisten sollte. herstellen wollte (vgl. Johannsen 2009, S. 98). Dies wurde von Israel jedoch nie umgesetzt Hier spielt auch die massenmediale Bericht- und so stand der Gaza-Streifen, dessen erstattung eine zentrale Rolle, über deren Versorgung fast völlig von Importen Darstellung die militärische Abschreckungs- abhängig ist, immer wieder vor der fähigkeit hauptsächlich konstruiert wird. Mit humanitären Katastrophe. dem Namen der Operation „Gegossenes Eine neue Eskalationsstufe erreichte der Blei“ hatte man überdies einen symbol- Konflikt durch den internen palästinensischen trächtigen Namen gewählt, der auf die Machtkampf zwischen der Hamas und der Tradition des Bleigießens beim im Dezember Fatah3. Nach der gewalttätigen Macht- gefeierten jüdischen Lichterfest „Chanukka“ übernahme der Hamas im Gaza-Streifen zurückgeht. Die Hamas verfolgte im Krieg die wurden Fatah-Mitglieder von dort vertrieben. Strategie, die eigenen Opfer zu begrenzen In der Folge erklärte die israelische Regierung und den Schaden an den eigenen im Herbst 2007 den Gaza-Streifen zum Organisationsstrukturen so gering wie mög- feindlichen Gebiet. Die Unterzeichnung eines lich zu halten (vgl. FES 2009, S. 4). Dabei war sechsmonatigen Waffenstillstands im Juni das wichtigste Ziel der Machterhalt im Gaza- 2008 unter Vermittlung von Ägypten hatte Streifen, dessen Legitimation die Gruppe aus eine massive Reduzierung palästinensischer der gewonnen Parlamentswahl im Jahr 2006 Raketenangriffe zur Folge. Die erhoffte und ableitet. Ziel der hauptsächlich von der im Waffenstillstandsvertrag festgelegte Hamas zu verantwortenden Raketenangriffe Grenzöffnung durch Israel blieb jedoch aus. ist es, Druck auf Israel auszuüben um eine Grenzöffnung und Verhandlungen über 3 Hamas ist eine islamistisch orientierte Partei, die einen Endstatus zu erzwingen. über einen eigenen bewaffneten Arm, die Al- Aqsa Brigaden verfügt. Fatah ist die säkulare Bewegung des ehemaligen palästinensischen Führers Jassir Arafat. Fatah ist Mehrheitspartei in der PLO, in der die Hamas nicht vertreten ist. 11
Der Gaza-Krieg im Bild Über das Vorgehen der israelischen Armee im 2.2 Nachrichtenzentrum Gaza-Streifen sowie die Folgen der Nahost: Der Gaza-Krieg und Raketenangriffe der Hamas in Israel richtete der Menschenrechtsrat der Vereinten die Medien Nationen am 3. April 2009 die „UN Fact Als ein seit Jahrzehnten schwelender Konflikt Finding Mission on the Conflict in Gaza“ ein. ist der Nahostkonflikt weltweit immer wieder Den Vorsitz dieser Fact Finding Mission Hauptnachrichtenthema Nummer Eins und übernahm der südafrikanische Richter eines der wichtigsten Nachrichtenzentren. Als Richard Goldstone, was dem am 19. Nachrichtenzentren werden Länder bezeichnet, September 2009 veröffentlichten Abschluss- die konstant auf der Nachrichtenagenda bericht auch den Namen „Goldstone- erscheinen. Bezogen auf den Nahostkonflikt Bericht“ eintrug. Da Israel der Mission die wird auch von einem zyklischen Nach- Zusammenarbeit verweigerte, konnten deren richtenzentrum gesprochen, an dem situativ Mitglieder nicht in Israel selbst recherchieren, großes Interesse herrscht (vgl. Hahn/ was im Gaza-Streifen hingegen möglich war. Lönnendonker 2008, S. 511). Aufgrund der Der Bericht wirft beiden Seiten Verstöße unterschiedlichen Beschränkungen bei der gegen das Kriegsvölkerrecht vor. Bezogen Studie ist es sinnvoll, zwischen drei Gruppen auf die Blockierung des Zugangs zum Gaza- von (Foto-)Journalisten zu unterscheiden: den Streifen für Journalisten zeigte sich der Bericht ausländischen Fotografen mit Wohnsitz in der „concerned about the near total exclusion of Untersuchungsregion (Fotokorrespondenten), the media and human rights monitors from den ausländischen Fotojournalisten auf Gaza since 5 November 2008“ (UN 2009, Recherchereise oder mit Redaktionsauftrag S. 382). Weiter heißt es: (Parachutists) sowie lokalen Fotojournalisten The Mission observes that Israel, in its mit Wohnsitz in der Region, die für actions against political activists, NGOs internationale Agenturen und Medien- and the media, has attempted to minimise public scrutiny of its conduct konzerne arbeiten (Stringer). Die Mehrzahl both during its military operations in der im Nahostkonflikt tätigen Fotojournalisten Gaza and the consequences that sind, neben einigen wenigen festen these operations have had for the Fotokorrespondenten, einheimische Stringer, residents of Gaza. die für nationale und internationale Sowohl Israel als auch die Hamas lehnten das Agenturen sowie internationale Medienkon- Ergebnis des Berichts ab. zerne arbeiten. Dies gilt vor allem für die Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der palästinensischen Fotojournalisten aus der Gaza-Krieg im Gesamtkontext des israelisch– Westbank und dem Gaza-Streifen. palästinensischen Konflikts eine neue Stufe Parachutists fliegen oft nur im Fall eines der militärischen Eskalation darstellt. Der eskalierten Konflikts, wie im Fall des Gaza- Konflikt als solcher, ebenso wie der Gaza- Kriegs, in die Region ein. Verglichen mit Krieg, stellen ein viel diskutiertes Thema in anderen Weltregionen ist das Berichtsgebiet Deutschland dar. Die Schwierigkeiten, denen der Fotokorrespondenten relativ klein und nur die visuelle Kriegsberichterstattung über den auf Israel und die palästinensischen Gebiete Konflikt unterlag, werden im nächsten Teil beschränkt, bei einigen schließt es noch ausführlich betrachtet. Jordanien mit ein. Das Gros der Korrespondenten sitzt in Tel Aviv oder Jerusalem und unternimmt von dort Reisen in der Region. In der Westbank leben und arbeiten nur gut eine Handvoll und in Gaza keine ausländischen Journalisten. Damit setzt sich die Konfliktasymmetrie auch im Wohn- 12
Felix Koltermann und Arbeitsort der ausländischen Korres- Sperrgebiet entlang der Grenze zu Gaza pondenten fort. Trotzdem ist für den Beginn sowie die Zensur der dort regierenden Hamas des Gaza-Kriegs eine umfangreiche Präsenz gegenüber palästinensischen Journalisten. von Journalisten unterschiedlicher Medien Deutsche Medien wie die Frankfurter anzunehmen. Rundschau (FR) oder Tagesschau Online gingen dazu über, in Informationskästen auf Palästinensische Journalisten sind diejenigen, die Beschränkungen der Berichterstattung die im eigentlichen Sinn vor Ort sind und im hinzuweisen. Doch nicht erst seit dem Konflikt selbst stehen. Sie gelten heute nicht Ausbruch des Krieges war die journalistische mehr nur als Zuträger für internationale Arbeit im Gaza-Streifen erschwert. Noch kurz Medien, sondern auch als professionell vor Ausbruch des Krieges im November 2008 arbeitende Mitarbeiter internationaler war der Gaza-Streifen für drei Wochen Presseagenturen und als Partner inter- komplett abgeriegelt (vgl. Mertins 2008). nationaler Medien (vgl. El Gawhary 2008). Den israelischen Journalisten ist, wie allen Das Gros der internationalen Medien israelischen Staatsbürgern, generell der sammelte sich am Rande des Gaza-Streifens Zugang zu den palästinensischen Gebieten auf dem sogenannten „Hill of shame“ (Snow verwehrt, die unter Kontrolle der palästinen- 2009). Dies war ein Hügel außerhalb der Zwei- sischen Autonomiebehörde oder, wie im Meilen-Sperrzone, von dem aus man einen Gaza-Streifen, der Hamas stehen. Nur mit guten Blick in den Gaza-Streifen hatte. Al- Sondergenehmigungen sind dort Recherchen Dschasira war der einzige internationale möglich. Ebenso wie internationalen Journa- Nachrichtensender, der über den gesamten listen war ihnen der Zugang zum Gaza- Kriegszeitraum mit einem Büro im Gaza- Streifen während des gesamten Krieges Streifen präsent war und live von dort verboten. Laut Silke Mertins von der TAZ sind berichtete (vgl. Putz 2009). Laut eines Artikels israelische Journalisten sogar schon seit zwei des Spiegel vom Januar 2009 „berichten 70 Jahren aus dem Gaza-Streifen verbannt (vgl. Korrespondenten, Kameraleute, Producer Mertins 2008). Internationalen Journalisten ist und Stringer ununterbrochen aus Gaza, sie die freie Arbeit in Israel nur möglich, wenn sie haben die Deutungshoheit“ (Hülsen/ sich beim Presseamt der israelischen Mittelstaedt 2009, S. 56). Regierung, dem Government Press Office Umso stärker waren die PR-Aktivitäten der (GPO), registriert haben (Marx 2008). Aber israelischen Armee. In Sderot, in unmittel- auch diese Registrierung ist, wie die Erteilung barer Nähe zum Gaza-Streifen gelegen, eines Arbeitsvisums, in den letzten Jahren wurde eigens ein großes Pressezentrum immer schwieriger geworden. Die Arbeit ist eingerichtet. Dort, wie auf dem „Journalisten- damit völlig von den politisch-militärischen hügel“, waren ständig Pressesprecher der Entscheidungen der israelischen Regierung israelischen Armee und hochrangige und deren Politik der Abriegelung der Regierungsmitarbeiter für Interviews verfügbar. Gebiete abhängig (ebd.). Professionell wie nie zuvor schlagen die Noch während des Gaza-Kriegs begann in Israelis die Medienschlacht. Sie wissen: deutschen und internationalen Medien (FAZ, Die angereiste Weltpresse braucht SZ, Spiegel, Independent) eine intensive Stoff. […] [In Sderot] warten Kaffee und Kuchen und die israelischen Opfer der Auseinandersetzung über die Bericht- palästinensischen Raketenangriffe erstattung zum Krieg. Hintergrund waren die (ebd., S. 55). erschwerten Recherchebedingungen durch Darüber hinaus nutzte die israelische die Einreiseverbote der israelischen Regierung zum ersten Mal großangelegt und Regierung für Journalisten in den Gaza- strategisch geplant das Internet und ver- Streifen, das von der israelischen Armee breitete über einen eigenen YouTube-Kanal ausgerufene, zwei Meilen breite militärische Filme, die von den Kommunikationseinheiten 13
Der Gaza-Krieg im Bild der IDF erstellt worden waren (vgl. Rid/ In verschiedenen deutschen Medien Hecker 2009, S. 123). Gespiegelt wurden die berichteten palästinensische Journalisten aus Aktivitäten Israels von zahlreichen palästinen- dem Gaza-Streifen über Behinderungen ihrer sischen Blogs und YouTube-Seiten, auf denen Arbeit durch die Hamas. Nach Recherchen vor allem Amateurbilder aus Gaza von Reporters Without Borders (ROB) (vgl. veröffentlicht wurden, die jedoch keiner 2009) wurden palästinensische Journalisten, zentralen Planung wie bei der Kriegs- die kritisch über die Hamas berichteten, kommunikation der IDF folgten. Rid/ Hecker bedroht und es wurde versucht, auf die (ebd., S. 124) weisen in ihrer Studie über Verleger Einfluss zu nehmen. Die Arbeit in irreguläre Kriegsführung im Informations- Krankenhäusern und das Aufnehmen von zeitalter darauf hin, dass Israels Armee Opfern wurde dagegen von der Hamas demonstrierte, dass „War 1.0 could be unterstützt, was zu der intensiv diskutierten effectively combined with some elements of Frage führte, inwieweit das Abbilden von War 2.0.” Kriegsopfern der Propagandamaschine der Hamas hilft (Welt Online / FAZ). Gegen das Einreiseverbot in den Gaza- Streifen, klagte die Interessenvertretung der Die in den bewaffneten Konflikten der letzten in Israel ansässigen Auslandskorrespondenten, Jahre zu beobachtende Tendenz, dass die Foreign Press Association (FPA), am 29. Journalisten auch selbst Opfer von zum Teil Dezember vor dem Obersten Gerichtshof gezielten Angriffen werden, zeigte sich auch Israels. Der Gerichtshof forderte die Armee in im Gaza-Krieg. Das Committee to Protect seiner Erklärung auf, unverzüglich 12 Journalists (CPJ) (2009, S. 209) schreibt in Journalisten in den Gaza-Streifen zu lassen. seinem Jahresbericht 2008, dass „[j]ournalists Die israelische Armee ist dieser Aufforderung working in the Palestinian territories said the jedoch nicht gefolgt. Daniel Seaman, Israeli military’s apparent disregard for the Direktor des israelischen Presseamtes, safety of the press hurt their ability to work”. verteidigte die Abriegelung des Gaza- Journalistische Infrastruktur galt auch als Streifens für die Presse damit, dass „wegen militärisches Ziel der IDF, wie die der unprofessionellen Arbeit der Auslands- Bombardierung des Hauptquartiers des von presse […] die Hamas sonst mit fragwürdigen der Hamas kontrollierten Fernsehsenders Al- Berichten Israel in ein schlechtes Licht Aqsa TV zeigte (vgl. ebd., S. 208). Dazu kam rücken“ könne (Teichmann 2009). Gegen die die Zerstörung ziviler Infrastruktur wie des Sperre gab es massive internationale Mobilfunknetzes und der Stromversorgung, Proteste, unter anderem auch vom was die Berichterstattung aus dem Gaza- Deutschen Journalisten-Verband (DJV), der Streifen vor große Schwierigkeiten stellte (vgl. in seiner Pressemitteilung vom 6. Januar 2009 Hülsen/ Mittelstaedt 2009, S. 56). verlauten ließ, All diese Beschränkungen konnten jedoch [d]urch das medienfeindliche nicht verhindern, dass es dennoch Bilder und Verhalten des Militärs könne der Berichte aus dem Gaza-Streifen gab. Das Eindruck entstehen, Israel wolle einen gravierendste Problem für die Berichterstatter Krieg unter Ausschluss der Welt- öffentlichkeit führen und die vor Ort stellte die Unmöglichkeit dar, Berichte Journalisten mit Erfolgsmeldungen zu verifizieren. Da die palästinensischen abspeisen (2009). Journalisten und Fotografen als professionelle Erst gegen Kriegsende, als Israel mehrere Mitarbeiter internationaler Medien und Male sogenannte ‘humanitäre Feuerpausen’ Agenturen gelten, gab es einen ausreichend einlegte, durften Journalisten für wenige großen Bildpool, auf den zugegriffen werden Stunden in Begleitung der israelischen Armee konnte, auch wenn in diesem aufgrund der in den Gaza-Streifen. oben beschriebenen Beschränkungen in der Bildberichterstattung bestimmte Bildmotive 14
Felix Koltermann wie von Hamas-Kämpfern oder israelischen verdichten Bilder Informationen zu einer Soldaten im Kampfeinsatz fehlten. Die Frage, prägnanten Aussage. In der journalistischen wie jedes Medium aus diesem Bildpool für Berichterstattung genießen Bilder beim sich eine eigene Wirklichkeit konstruierte, wird Rezipienten einen Vertrauensvorschuss und in der Untersuchung der visuellen Auslands- fungieren „[t]rotz aller berechtigter Zweifel berichterstattung der FAZ und der SZ in Teil 4 […] als Belege im Sinne von „es ist so dieser Studie beantwortet. gewesen“ […]“ (Leifert 2007, S. 247). Das Herausstechende dieser Art der Informations- Die in diesem Teil geschilderten Probleme bei vermittlung über Bilder beschreibt Freund der Berichterstattung aus und über den (vgl. 1993, S. 228) als einen Appell an das Gaza-Krieg sind keine Einzelfälle, sondern Teil Gefühl, was durch die unmittelbare Wirkung der Schwierigkeiten, mit denen Journalisten auch eine große Gefahr birgt. und Fotografen in Kriegs- und Krisenregionen zu kämpfen haben. Im folgenden Teil wird In der Kommunikationsforschung ist es heute zunächst das Verhältnis von Medien und „Common Sense“, von der Fotografie als Krieg aufgezeigt. Dann werden die Besonder- einer Form der medialen Wirklichkeits- heiten der visuellen Kriegsberichterstattung konstruktion zu sprechen. Laut Sachsse herausgestellt und die Charakteristika foto- (2003a, S. 263) beginnt in der Fotografie grafischer Wirklichkeitskonstruktion erläutert. nach der – wörtlichen – Aufnahme des Geschehens ein mehr oder minder automatisch ablaufender Vorgang des 3. Fotografie in der Verfertigens von Anschauungsmaterial, das spiegelbildlich zu seinem massenmedialen Entstehungsvorgang allein als Verdopplung der Realität den Mythos Kriegsberichterstattung der eigenen Glaubwürdigkeit aufrecht erhalten kann. 3.1 Fotografie: Abbild der Laut Mietzner (vgl. 2004) werden in diesem Wirklichkeit oder Zusammenhang die Bilder in ihrer gesell- Konstruktion von Realität? schaftlichen Funktion zu einem eigenen Erfahrungsraum, während die konkrete B ilder beeinflussen in entscheidender Begegnung und Kommunikation in der Weise die Wahrnehmung des Menschen. menschlichen Erfahrung einen immer „Aus neurophysiologischen Gründen“, so geringeren Platz einnehmen. Haller (2008a, Haller (2008a, S. 271), „vertrauen Menschen S. 272) definiert eine visuelle Darstellung in erster Linie dem, was sie sehen.“ Dabei insofern treffend als beziehen Bilder ihre Bedeutung aus der [e]ine von der Wahl der technischen Tatsache, dass sie, so Müller (2003, S. 86), Mittel stark geprägte subjektive Sicht „Ausschnitte der Realität zu einem des Betrachters auf eine singuläre Situation, die für einen (perspek- enträumlichten und entzeitlichten Gesamt- tivenabhängigen) Realitätsausschnitt eindruck“ verdichten. Diese Verdichtung gehalten werden kann, die aber auch bedeutet auch eine Komprimierung von als Schaubild einer Inszenierung zu Information, was das Besondere von Bildern interpretieren ist. ausmacht. Neben dieser konkreten Funktion Vor allem die technischen und physikalischen der Konfrontation mit „Realität“ haben Bilder Eigenschaften der Fotografie unterstützen laut Haller (2008a, S. 276) noch eine „zweite dies, da eine Kamera von Grund auf anders symbolische Dimension“, die er folgendermaßen konstruiert ist als das menschliche Auge (vgl. beschreibt: „Genau diese Darstellung, just Rossig 2007, S. 23). Denn die Bildgestaltung jener Schnappschuss versinnbildlicht das, was an sich wird geleitet durch die persönliche insgesamt das Geschehen ausmacht.“ Damit Intention des Fotografen, die Wahl des 15
Der Gaza-Krieg im Bild Ausschnitts und das Wann und Wie der Referenz des Dabeiseins im Akt des Aufnahme. Die Objektivität des Bildes ist Fotografierens“. Grittmann weist darauf hin, damit laut Freund (vgl. 1993, S. 173) nur eine dass paradoxerweise Illusion. Sonntag (2005, S. 56) weist darauf hin, [d]as Wissen um die digitalen dass das Bild, das wir sehen, immer ein Bild Manipulationsmöglichkeiten von Fotos ist, das jemand gewählt hat: „Fotografieren […] im vergangenen Jahrzehnt im heißt einen Ausschnitt wählen, und einen Journalismus keineswegs zur Aufgabe des Authentizitätsanspruchs geführt Ausschnitt wählen heißt Ausschließen.“ Der [hat]. Im Gegenteil: Das authentische Moment der Aufnahme stellt eine bewusste Foto wird umso stärker von Qualitäts- Entscheidung des Fotografen dar, die eine medien eingefordert (2003, S. 123). Form von Manipulation bzw. der Realitäts- In der Pressefotografie und im Foto- verengung darstellt (vgl. Blecher 2001, S. 66). journalismus als fotografischen Kategorien Dabei stehen „authentische Bilder“ als solche wird damit ein Glauben aufrecht erhalten, als ein Garant dafür, dass ein Ereignis auch der in anderen Bereichen der Fotografie tatsächlich stattgefunden hat. Grittmann schon längst aufgegeben wurde. (2003, S. 125) definiert dabei Authentizität als „keine dem Medium der Fotografie inhärente 3.2 Medien und Krieg Eigenschaft, […] sondern eine auf sozialen Praktiken und professionellen Normen Im Krieg kommt der massenmedialen Bericht- beruhende Konstruktion von Wirklichkeit.“ Der erstattung eine besondere Bedeutung zu. Vor Produktionskontext folgt journalistischen allem die Kernfunktion journalistischer Arbeit, Kriterien wie Objektivität oder Wahrhaftigkeit die Informationsfunktion, bekommt hier eine und konstruiert so die „Authentizität“ der zentrale Bedeutung. Dabei ist eine Unter- Bilder. Zu Zeiten der analogen Fotografie scheidung zwischen der Berichterstattung diente als Garant der „Wahrheit“ das innerhalb der Konfliktregion, also in Israel und Negativ. Dies ist jedoch im Umbruch, da die den palästinensischen Gebieten, und analoge Fotografie heute zumindest im außerhalb der Region, beispielsweise in Fotojournalismus als überholt angesehen Deutschland, von zentraler Bedeutung. werden kann: Insbesondere in Ländern wie den USA, Groß- britannien oder Israel, die aktiv an Kriegen Spätestens infolge der Digitalisierung sämtlicher Informationen haben wir beteiligt sind, sei es regional oder internatio- eine neue Sicht auf das Verhältnis nal, erwarten die kriegführenden Parteien zwischen Realität, Wahrnehmung und von den Medien, diese zu unterstützten. Bildlichkeit, da nun – mit dem Ver- Chomsky (2006) beschreibt die in diesem schwinden des „Originals“ – das Mani- Rahmen ablaufenden Prozesse als pulative jedweder Bilddarstellung offensichtlich wird (Haller 2008a, „Manufacturing Consent“. In demokratischen S. 272)4. Systemen sind Militärs und Regierungen auf Daneben bleibt nur die Augenzeugenschaft die Unterstützung der Öffentlichkeit zum des Fotografen als Person, der mit seiner Führen eines Krieges angewiesen (vgl. körperlichen Anwesenheit für die „Authen- Löffelholz 2004, S. 35). Laut Sommer (vgl. 2004, tizität“ der Bilder steht. So dient laut Sachsse S. 322) haben die Massenmedien in diesem (2003b, S. 135) „[d]er Körper der Fotografin Zusammenhang eine Doppelfunktion sowohl oder des Fotografen […] als alleinige als Vermittler als auch als Konstrukteure sozialer Wirklichkeiten. Insbesondere, wenn 4 Ob das Manipulative auch für den Betrachter ein Kriegsziel die Wiederherstellung der offensichtlich ist, muss nach Ansicht des Autors eigenen Abschreckungsfähigkeit ist wie im noch nachgewiesen werden. Als gesicherte Falle Israels im Gaza-Krieg, spielen die Erkenntnis kann gelten, dass der Akt der Manipulation durch das Verschwinden des Medien als Vermittler eine zentrale Rolle. Der Originals einfacher geworden ist. Hintergrund ist, dass Stärke und 16
Felix Koltermann Abschreckungsfähigkeit gegenüber dem von Rollen bei Auftragsarbeiten für Armeen Gegner über die Wahrnehmung derselben und Verteidigungsministerien. funktionieren und diese wesentlich von der Bilder von Kriegen und Konflikten sind jedoch Berichterstattung beeinflusst wird. In diesem nicht nur „Dispositive[n] der Wahrnehmung Zusammenhang entwickelte Virilio (vgl. 1993, und Agenturen des kulturellen Gedächtnisses“ S. 61) nach dem Golf-Krieg 1991 die These (Paul 2004, S. 15), sondern auch „Waffen in von der Herausbildung einer „vierten Front“. der Strategie der kriegführenden Parteien Paul (2004, S. 47) weist auf Folgendes hin: und der Terroristen, aber auch Instrumente im „Kriege werden heute für und in den Medien Antiterrorkampf der Regierungen“ (Müller/ geführt“. Die Ereignisse an sich, auf die sich Knieper 2005, S. 11). Dies verweist auf die die Berichterstattung der Massenmedien manipulativen und meinungsleitenden bezieht, stellen dabei nur das Rohmaterial Funktionen von Bildern und die in der dar, auf dem die mediale Konstruktion von Literatur oft mit „Bildpolitik“ umschriebene Wirklichkeit aufbaut. Bedeutung der Kontrolle von Bildern durch Um Einfluss auf die Berichterstattung und das die kriegführenden Parteien (vgl. Prümm Framing der Ereignisse zu nehmen, bedienen 2006, S. 222). Die Bildpolitik „soll vor allem sich kriegführende Parteien verstärkt der dafür sorgen, dass Legitimation und Mittel von Public Relations und Propaganda, Erscheinungsbild des Krieges nicht auseinan- wie in Teil 2.2. für den Gaza-Krieg dargestellt. derfallen“ (ebd.). Denn der Formenwandel Laut Spindler (vgl. 2005, S. 185) haben Kriegs- des Krieges, weg von klassischen zwischen- parteien von Beginn der modernen staatlichen Kriegen hin zu „Neuen Kriegen“ Kriegsführung an versucht, über die unter- oder „Asymmetrischen Kriegen“ (Münkler schiedlichsten Mittel (Zensur, Desinformation 2004), wie für den Gaza-Krieg in Teil 2 etc.) Einfluss auf die Berichterstattung zu beschrieben, ist auch für die Bildbericht- nehmen. Neue Herausforderungen stellen erstattung über diese Kriege nicht folgenlos sich im Informationszeitalter mit weltweit geblieben. Neben der Funktion als Waffen, massenhaft verfügbaren Zugängen zum „die unmittelbar auf den politischen Willen Internet und der wachsenden Bedeutung des des militärisch übermächtigen Gegners Web 2.0 als dem neuen Kommunikations- und gerichtet sind“ (Paul 2005, S. 158), führt dies Nachrichtenmedium. Vor allem die Kontrolle zu einer arbeitsteiligen Kriegsberichterstattung, von Informationen wird immer schwieriger, die militärische Aufklärung und da jeder User Bilder und Informationen ins Operation und ziviles Kriegsleiden, stark Netz einspeisen und damit klassische unterkühlte Sachberichte und stark Zensurmethoden umgehen kann. Umso emotionalisierende Reportagen für unterschiedliche Parteien zweckdienlich erbitterter wird der Krieg an der voneinander trennt (Brinkemper 2003, „Medienfront“ geführt. Dabei wird es durch S. 26). die Beschleunigung und Diversifizierung der Berichterstattung für den Rezipienten 3.3 Die Funktion der Fotografie in zunehmend schwerer, sich ein „Bild“ zu der Kriegsdarstellung machen: „Die Überprüfung des Wahrheits- gehalts von Nachrichten erweist sich für den Bezogen auf die visuelle Darstellung von Zuschauer als schwierig, wenn nicht gar Kriegen und Konflikten, geht die visuelle unmöglich.“ (Büttner 2004, S. 224). Auch die Kommunikationsforschung davon aus, dass Verflechtungen zwischen Medien und Militär „[n]ur Kriege, die massenmedial Bildzeugnisse sind vielfältig. Sie reichen vom Zurverfügung- hinterlassen, […] Kriege [sind], die im stellen von Transportkapazitäten für Journalisten Gedächtnis haften bleiben.“ (Müller/ Knieper über Drehgenehmigungen und Informationen 2005, S. 7). Für den Bildjournalismus bedeutet aus erster Hand bis hin zur Überschneidung dies laut Leifert (2007, S. 268), „Gesellschaft 17
Der Gaza-Krieg im Bild mit Realität zu konfrontieren […]. Besonders bestimmten Konflikt überhaupt etwas Bilder von Leid, Krieg und Unglück können hängenbleibt, […] Tag für Tag Aufnahmen aus diesem Konflikt verstörend sein, stellen aber gleichzeitig gesendet und wiederholt werden. Referenzpunkte von Wissen und Erinnerung Damit wird, so Paul (2004, S. 477), das dar.“ Die visuelle Prägung der Kriegs- „Realgesicht“ des Krieges in der aktuellen kommunikation der Gegenwart hat zur Folge, Berichterstattung durch das „Deutungs- dass die „Bilder“ über Kriege und Konflikte, gesicht des Krieges“ substituiert6. Die die wir in uns tragen, „in der Regel nicht auf Auseinandersetzung in den Medien und der eigenem Erleben beruhen, sondern auf davon ausgehende gesellschaftliche Diskurs medial vermittelte Bilder aktueller und haben somit als Gegenstand nicht mehr den vergangener Kriege zurückgehen“ (Paul Krieg an sich, also den originalen Gegen- 2004, S. 14). Als „Schlüsselbilder“ gehen einige stand, sondern „dessen medialen Schein“ von ihnen in unser kollektives Gedächtnis5 ein. d.h. das Bild des Krieges (vgl. ebd.). Laut Unter anderem auf die Präsenz dieser Haller (2008b, S. 45) wird diese Bedeutung Schlüsselbilder ist es zurückzuführen, dass, so des Bildes jedoch erst dann wirkungsvoll, Paul (2004, S. 14) in seiner Studie „Bilder des „wenn das Bild über seine Situations- Krieges“, jeder Krieg „seine eigene gebundenheit hinaus mit dem Gezeigten unverwechselbare visuelle Individualität, eine eine Bedeutung transportiert, die ein Text nur bestimmte ästhetische Kennung“ produziert. vermittels vieler Worte interpretativ zu leisten Andere Autoren sprechen in diesem vermag.“ Zusammenhang auch von der Indexikalität des Krieges (vgl. Sachsse 2003a, S. 265). Diese Als problematisch anzusehen ist, dass „sich in bietet die Möglichkeit, das spezifische den Köpfen die Vorstellung fest[setzt], die visuelle Bild eines Kriegs, im Fall dieser Studie Bedeutsamkeit eines Ereignisses sei propor- des Gaza-Krieges, zu untersuchen. tional zu seinem Bilderreichtum.“ (Ramonet 1999, S. 173). Denn Bilder beeinflussen Fotografien bestimmen laut Spindler (2005, historische Prozesse und wirken meinungs- S. 182) wesentlich, „welche Bedeutung und bewußtseinsbildend (vgl. Paul 2004, S. 11). Konflikte erhalten und wie sie in Erinnerung Das dramatische dieser meinungsbildenden bleiben.“ Nach Ansicht von Link (vgl. 2000, Funktion von Bildern beschreibt Haller (2008a, S. 246) haben Bilder bezogen auf die S. 276) damit, dass Bildern in der Kriegs- Darstellung von Kriegen und Konflikten die berichterstattung oft eine „binäre Aussage“ Funktion, maximale Authentizität herzustellen. zu Grunde liegt, die das „dem Kriegsgeschehen Eine weitere Bildfunktion ist laut Paul (2004, immanente Gut-Böse-Schema übernimmt.“ S. 11) das „katastrophisch antizivilisatorische Aufgrund der Einprägsamkeit der visuellen Ereignis des Krieges zu einem zivilisatorischen Darstellung ist die Dekonstruktion dieser Akt umzuformen“ und diesem eine Ordnungs- Botschaften in Bildern sehr schwer zu struktur zu geben. Denn nur durch eine vollziehen. Blecher (2001, S. 25) geht in seiner ästhetisierte und entzeitlichte Struktur wird Beschreibung des Fotojournalismus so weit zu das Ereignis für den Betrachter rezipierbar. sagen, dass „Fotojournalismus nichts anderes Laut Sonntag (2005, S. 28) müssen jedoch, als die Kunst von der gezielten Manipulation [d]amit bei Zuschauern, die aus allen des Lesers [ist] – in mehr oder weniger stark Richtungen mit dramatischen Bildern ausgeprägtem Maße.“ bombardiert werden, von einem 5 Als Beispiele für einige der bekanntesten 6 Problematisch an Pauls Argumentation ist, dass er „Schlüsselbilder“, sind hier das Bild von Joe davon ausgeht, es wäre möglich das Rosenthal der Hissung der amerikanischen Flagge „Realgesicht“ des Krieges zu zeigen. Diese Studie auf der japanischen Insel Iwo Jima, oder das Bild geht davon aus, dass jede Wirklich- von Nick Ut des Napalm verbrannten Mädchen keitskonstruktion des Krieges subjektiv ist und Kim Phúc aus dem Vietnam-Krieg zu nennen. verschiedene Formen annehmen kann. 18
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