Der Inneneinsatz der Bundeswehr

 
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Der Inneneinsatz der Bundeswehr
vom politischen Wollen und dem verfassungsrechtlichen Können
von Dirk Müllmann, Osnabrück

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur                Polizeiaufgaben in Krisenzeiten. Doch heute, verheeren-
Nichtigkeit des Luftsicherheitsgesetzes im Jahre 2006            de Anschläge in verschiedenen Staaten der Welt, eine
rückte die Frage, ob und wie sich die Pläne der                  Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land und ein
Bundesregierung verwirklichen lassen könnten, von                verfassungsrechtlich gescheitertes Luftsicherheitsgesetz
Terroristen entführte Flugzeuge durch die Bundeswehr             später, müssen wir feststellen, dass die sicherheits-
in ihrer Mission, das gekaperte Luftfahrzeug in ein              relevanten Ereignisse der letzten Jahre die Debatte um
möglichst belebtes Gebäude zu steuern, stoppen zu                Auslands- aber besonders auch Inneneinsätze der
lassen. Hierbei wurde sowohl die Frage gestellt, die             deutschen Streitkräfte zwar immer wieder angefacht hat,
Verfassung unangetastet zu lassen als auch untersucht,           die Politik in der Sache aber nicht weitergekommen ist.
wo und wie das Grundgesetz geändert werden könnte,               Probleme zeigen sich gerade in der Diskrepanz zwischen
um die bestehenden verfassungsrechtlichen Probleme               dem politisch und gesellschaftlich nicht unumstrittenen
dieses Vorhabens zu lösen. Im Zuge dieser Diskussion             Wollen und dem verfassungsrechtlichen Können bei der
brach auch erneut die Frage auf, ob der Bundeswehr               Realisierung dieser Pläne. Ziel der folgenden
nicht weitergehende Aufgaben im Zuge einer möglichen             Ausführungen ist es daher, beschränkt auf die
Änderung des Grundgesetzes zugewiesen werden sollte.             Verwendung der Bundeswehr im Inland, heraus-
Der folgende Beitrag soll nicht noch eine Ansicht zu             zuarbeiten, unter welchen Voraussetzungen das Militär
dieser aus juristischer Sicht sicher umfassend                   im Inland überhaupt rechtmäßig tätig werden kann und
beleuchteten Frage bieten. Vielmehr soll ein Schritt, den        daher im Kern, wo unsere Verfassung als gesetzlicher
die meisten Autoren übersehen haben, hier nachgeholt             Dreh- und Angelpunkt in der Frage der Rechtmäßigkeit
werden, indem die Frage beantwortet wird, welche                 der Verwendung der Streitkräfte Grenzen setzt. In
Einsatzfelder der Bundeswehr unter der aktuellen                 diesem Zusammenhang soll an den jeweils gegebenen
Verfassungslage schon eröffnet sind somit ein Überblick          Stellen auch auf die Realisierbarkeit einiger, wieder-
über die aktuelle deutsche Wehrverfassung geboten                kehrend geäußerter politischer Pläne unter der aktuellen
werden.                                                          Verfassungslage eingegangen werden. Am Ende der
                                                                 Arbeit soll eine Roadmap stehen, in der Ansätze zur
                                                                 Beantwortung der Frage angeboten werden sollen, wie
A.Einleitung                                                     das weitere Vorgehen der politischen Debatte um den
Die Bundeswehr hält rund 250.000 Personen unter                  Inneneinsatz der Bundeswehr aussehen sollte und wie
Waffen und beschäftigt weitere 125.000 zivile                    die Diskussion genutzt werden kann und soll, um
            1
Angestellte. Diese Männer und Frauen in oder ohne                Neuerungen durchzusetzen und eine eindeutige und
Uniform haben seit dem Ende des kalten Krieges ein               befriedigende Gesetzeslage zu schaffen.
grundsätzliches Problem. Sie wissen nicht mehr, wovor
sie ihr Vaterland verteidigen sollen, sind wir doch              B. Die rechtmäßige Verwendung der Streitkräfte im
spätestens seit der NATO Osterweiterung 1999 umringt                Inland
von Freunden. Es fehlte ihnen also schlicht am                   Wie vorhergehend schon betont, finden sich die
Feindbild. Mit den Anschlägen vom 11. September 2001             entscheidenden Regelungen für die Frage des Innenein-
zeigte jedoch ein neuer Feind, der internationale                satzes der Streitkräfte auf unterschiedliche Normen im
Terrorismus, seine hässliche Fratze in den Anschlägen            Grundgesetz verteilt. Die Frage nach den Einsatz-
von New York und Washington. Die Politik erklärte                möglichkeiten der Bundeswehr ist daher direkt an die
hiernach, dass die Sicherheit Deutschlands von nun an            Verfassung zu richten, sind doch, schon wegen der
auch am Hindukusch verteidigt würde2 und es entstanden           möglichen Auswirkungen eines Einsatzes der Armee, die
Pläne, den bundesdeutschen Streitkräften neue Aufga-             Rahmenbedingungen hierfür traditionell Regelungs-
ben, gerade auch im Inland, zuzuordnen. Der Reichweite           gebiet der staatlichen Grundordnung.3 Die folgende
dieser innerdeutschen Einsatzideen waren, in finanziell          Darstellung der einzelnen grundgesetzlichen Maßgaben
angespannten aber zugleich friedlichen Zeiten, in denen          kann dabei zugleich als eine Analyse der inhaltlichen
militärische Ausgaben oft nur schwer zu rechtfertigen            Systematik der deutschen Wehrverfassung verstanden
sind, in der politischen Diskussion kaum Grenzen                 werden.
gesetzt. Sie gingen von dem Einsatz von Soldaten als
Gebäudeschützer bis hin zur Übernahme originärer

1
 Vgl. BT-Drs. 16/4700 vom 20.03.2007, S.22ff.
2
 so Verteidigungsminister Peter Struck am 05.12.2002 bei einer
                                                                 3
Pressekonferenz.                                                     Fischer, JZ 2004, 376, 378.
Der Inneneinsatz der Bundeswehr – Dirk Müllmann

I. Verfassungsvorbehalt und Einsatzschwelle des Art.                   dieser verfassungsrechtlichen Möglichkeit muss daher
   87 a II GG                                                          geklärt werden, wie der Begriff Einsatz korrekt
1. Allgemeines: Die wohl zentrale Norm in Bezug auf                    verstanden werden muss oder konkreter, welche
die Frage nach einem rechtmäßigen Einsatz der                          Einsatzmöglichkeiten sich unterhalb der Einsatzschwelle
Bundeswehr im Inland ist Art. 87 a II GG, nennt sie doch               bieten.
die drei Varianten, für welche der Verfassungsgeber die
Streitkräfte aktivieren wollte: „Außer zur Verteidigung                2. Das Tätigwerden der Streitkräfte unterhalb der
dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit                  Einsatzschwelle: Das genaue Verständnis des den
dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.“ Art. 87a II                Verfassungsvorbehalt auslösenden Tatbestandsmerkmals
GG ist somit, obwohl er keine eigenständige Befugnis-                  Einsatz ist sehr umstritten. Die Meinungsverschiedenhei-
norm darstellt,4 entscheidender Anfangs- und                           ten beginnen bereits bei dem den Einssatz
Orientierungspunkt bei der strukturierten Suche nach                   charakterisierenden Kriterium. Eine Möglichkeit der
Ermächtigungsnormen und mithin rechtmäßigen Betäti-                    Abgrenzung ist in dem bewaffneten beziehungsweise
gungsfeldern für unsere Streitkräfte. Neben den zwei hier              unbewaffnetem Tätigwerden der Streitkräfte zu sehen.10
explizit erwähnten Möglichkeiten der Verteidigung und                  Dies ist jedoch aus zwei Gründen nicht überzeugend. In
den anderen im Grundgesetz zugelassenen Fällen lässt                   der Regel ist ein Einsatz die hoheitliche Verwendung des
sich der Norm zudem entnehmen, dass die Bundeswehr                     Militärs als „spezifisch, militärischer Handlungsver-
ebenfalls tätig werden darf, sofern sie nicht eingesetzt               band“11, also als eine Einheit, die für eine unmittelbare
wird. Dem Art. 87 a II GG kommt daher eine doppelte                    Zwangsanwendung          ausgebildet    und   kadermäßig
Funktion zu. Zuerst stellt er die Verwendung der                       gegliedert ist und die bei der Führung auf Befehl und
deutschen Armee unter den Vorbehalt der Verfassung.                    Gehorsam setzt.12 Die Bewaffnung allein kann jedoch
Angesichts des verfassungsgerichtlich festgestellten                   nicht das alleinige Abgrenzungskriterium für die
„Gebot[s] strikter Texttreue“5 im Rahmen der Auslegung                 Charakterisierung eines Streitkräfteeinsatzes als Einsatz
der hier relevanten Normen liegt sowohl in legisla-                    darstellen,13 ergibt sich doch schon aus der Verwendung
torischer Hinsicht als auch beim praktischen Einsatz der               des Wortes im allgemeinen Sprachgebrauch, dass auch
Streitkräfte die Grenze im Wortlaut der Verfassung. Eine               Aufgaben ohne Bewaffnung, wie z.B. das Stabilisieren
Verwendung kommt daher nur in den Fällen in Betracht,                  geborstener Deiche oder die Übernahme der
in denen sich der Verwendungszweck unter eine der in                   Verkehrsregelung, einen Einsatz darstellen würden,
der Verfassung explizit genannten Ermächtigungsnor-                    obwohl die Bewaffnung hier nur eine untergeordnete
men subsumieren lässt. Dies erlangt insofern Bedeutung,                Rolle spielt, sodass keine trennscharfen Ergebnisse
als ein Einsatz aufgrund der Natur der Sache oder eine                 erzielt werden können. Anerkannter ist daher die
stillschweigende Zulassung der Verwendung des Militärs                 Regelungs- oder Eingriffsqualität des Handelns zum
dadurch eindeutig ausgeschlossen ist.6 Dies schränkt                   zentralen Kriterium zu erheben.14 Hinzu kommen jedoch
nicht nur gewünschte Nutzungen des Militärs ein,                       auch noch, dass sich bei einem militärischen Einsatz der
sondern verhindert auch die scheinbare verfassungs-                    besonderen Organisationsstruktur der Streitkräfte bedient
rechtliche Rechtfertigung seines Missbrauchs. Zugleich                 wird und durch diese besondere Schärfe der
sollte das Gebot der strikten Texttreue jedoch auch bei                militärischen Regelungsgewalt die innenpolitische
der Auslegung vorhandener Ermächtigungsnormen                          Neutralität der Streitkräfte15, die in diesem Moment zur
beachtet werden, was, ähnlich einem strafrechtlichen                   Durchsetzung eines bestimmten, von der Führung
Analogieverbot, der zu weiten Ausdehnung der                           gewollten Ziels tätig werden, fraglich ist.
vorhandenen Wehrverfassungsnormen entgegensteht,7                      Auch wenn sich durch das Heranziehen der gerade
sodass Text- in diesem Zusammenhang auch als                           aufgeführten Kriterien eine Vielzahl der Fallsituationen,
Worttreue verstanden werden kann.                                      in denen ein Einsatz im allgemeinen Verständnis
Auf der anderen Seite eröffnet Art. 87 a II GG jedoch                  angenommen werden wird, erfassen lässt, muss dennoch
auch mit dem Einsatzbegriff eine Geringfügigkeits-                     festgehalten werden, dass es sich bei Vorliegen dieser
schwelle, bei deren Unterschreiten eine explizite                      Kriterien und der Verwendung der Bundeswehr als
verfassungsrechtliche Nennung der Streitkräfteaufgabe                  bewaffnete Vollzugsorgane „jedenfalls“ um einen
nicht notwendig ist8, was jedoch auch nicht allgemein                  Einsatz dieser handelt.16 Der Einsatzbegriff und der mit
anerkannt ist.9 Das bedeutet zugleich, dass nicht jede                 ihm verbundene Verfassungsvorbehalt müssen, schon
Verwendung oder Aktivität der Streitkräfte ein Einsatz                 allein angesichts der noch näher zu erörternden
i.S.d. Art. 87 a II GG ist. Zur richtigen Handhabung                   Regelungen in Art. 35 GG, jedoch auch einschlägig sein,
                                                                       wenn dem Tätigwerden selbst der hoheitliche Charakter
                                                                       fehlt, so z.B. bei dem Handeln zur Unterstützung Dritter,
4
  Franz/Günther, VBlBW 2006, 340, 341.
5
  BVerfGE 90, 286, 357.
6                                                                      10
  BVerfGE 90, 286, 356f.; BVerfG in: NJW 2006, 751, 754;                  Achterberg/Püttner/Würtenberger-Oldiges, Bes. VerwR II, §23,
Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, §78, Rn.29; Stern,        Rn.14; Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, §78, Rn.29; Bähr,
Staatsrecht, S.1476.                                                   ZRP 1994, 97, 100f.
7                                                                      11
  Dreist, NZWehrr 2006, 45, 58.                                           Sachs-Kokott, GG, Art. 87a, Rn.14; Schmidt-Jortzig, DÖV 2002,
8
  Fiebig, Bundeswehr im Inneren, S.106ff., 172f.; Sachs-Kokott, GG,    773, 776; Dreier-Heun, GG, Art.87a, Rn.15; BT-Drs. 5/2873, S.13.
                                                                       12
Art. 87a, Rn.14; Münch/Kunig-Hernekamp, GG, Art.87 a, Rn.13;              Jochum, JuS 2006, 511, 512.
                                                                       13
v.Mangoldt/Klein/Starck-Baldus, GG, Art.87a, Rn.3f.; Dreier-Heun,         So auch Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471, 476.
                                                                       14
GG, Art.87a, Rn.15; Jahn/Riedel, DÖV 1988, 957, 959f.                     Jochum, JuS 2006, 511, 512; Lutze, NZWehrR 2001, 117, 119.
9                                                                      15
  Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, §78, Rn.29; Bähr, ZRP      Maunz/Düring-Düring, Art.87a, Rn.32; Soria, DVBl 2004, 597, 599.
                                                                       16
1994, 97, 100f.                                                           Franz/Günther, VBlBW 2006, 340, 341.
Der Inneneinsatz der Bundeswehr – Dirk Müllmann

die hoheitlich tätig werden,17 somit den Situationen des               Einsatzschwelle erfolgen. Ob dies gerechtfertigt ist, soll
mittelbaren hoheitlichen Handelns der Streitkräfte. In                 in der Folge kurz überprüft werden.
Konsequenz zu dieser erweiternden Auslegung muss ein                   Sicherlich keine Zweifel in Bezug auf die
Einsatz also schon dann angenommen werden, sofern die                  Rechtmäßigkeit der Verwendung bestehen hinsichtlich
Verwendung der Streitkräfte eine Ausübung unmit-                       des Auftretens der Bundeswehr bei repräsentativen
telbaren Zwangs oder andere regelnde Maßnahmen mit                     Anlässen in Ehrenformationen oder –geleiten.22 Unpro-
oder ohne Eingriffscharakter nahe legen.18                             blematisch ist sicher auch der vielzitierte hypothetisch
Es lässt sich somit erkennen, dass die Klassifizierung des             mögliche freiwillige Ernteeinsatz oder das zur
Tätigwerdens als Einsatz an sich nicht unproblematisch                 Verfügung stellen von humanem, logistischem oder
ist und dabei die Handlungen der Streitkräfte sowie                    technischem Kapital zur Vorbereitung von Veranstal-
deren Auswirkungen berücksichtigt werden müssen, was                   tungen.23 Doch hört die Einigkeit über die Recht-
die Annahme einer Verwendung unterhalb der                             mäßigkeit mit dieser überschaubaren Gruppe von
Einsatzschwelle stark einschränkt. Doch selbst dieses                  Möglichkeiten auch schon auf. Umstritten ist bereits, ob
verhältnismäßig differenzierte Verständnis von einem                   die Bundeswehr mit Tornado Aufklärungsflugzeugen im
Einsatz wird dem Gesamtbild der in der Literatur zu dem                Zusammenhang mit Castor-Tramsporten oder Groß-
Thema vertretenen Positionen nicht gerecht, reichen die                veranstaltungen Bahnstrecken oder Austragungsorte
Meinungen doch vom Bestreiten des Bestehens einer                      überwachen darf, ist doch, wie schon der oben disku-
Einsatzschwelle bzw. der Bezeichnung einer jeden                       tierten Definition des Begriffes Einsatz zu entnehmen,
Verwendung als Einsatz19, bis hin zu der Idee, einen                   dass der Zweck der konkreten Aufgabenwahrnehmung in
Einsatz bei Tätigwerden zur Gefahren- oder                             die Beurteilung dieser als Nichteinsatz oder Einsatz
Verbrechensabwehr anzunehmen 20. Diese Unklarheit                      miteinfließen muss.24 Sicher ist jedoch, dass sofern es
birgt in einem verfassungsrechtlich so heiklen Feld große              sich hier um den Zweck der Gefahrenabwehr handelt25,
Gefahren und Unsicherheiten, die dem Streitkräftever-                  von einer Verwendung der Bundeswehr unterhalb der
wender gerade in Not- oder Katastrophenzeiten nicht                    Einatzschwelle, gerade bei Beachtung strikter Texttreue
zugemutet werden sollten. Dies gilt umso mehr, als die                 nicht ausgegangen werden kann. Diese, dennoch
in der Realität denkbaren Verwendungsmöglichkeiten                     durchgeführten Einsätze, sind somit verfassungswidrig,
fast unbegrenzt scheinen und nicht unter eine feste                    obliegt die wahrgenommene Aufgabe doch eigentlich
Definition subsumiert werden können. Es spricht daher                  dem originären Zuständigkeitsbereich der Länderpoli-
gerade im Angesicht der vom Bundesverfassungsgericht                   zeien.26 Nicht anders verhält es sich im Rahmen der
angemahnten strikten Texttreue zur Erreichung von                      Seeraumüberwachung, mit deren Hilfe eben nicht nur
Rechtssicherheit sehr viel dafür, dass der Gesetzgeber in              festgestellt werden kann, ob deutsches Territorium
Übereinstimmung mit den von ihm geplanten allge-                       seeseits verletzt wird, sondern die hierbei gewonnenen
meinen Verwendungsoptionen für die Streitkräfte eine                   Informationen auch den maritimen Behörden der Polizei,
Legaldefinition des Einsatzbegriffes zur Verfügung                     Zollfahndung der Bundespolizei sowie anderer Kräfte
stellt, die dieses bestehende rechtliche Graufeld in einem             zur Verbrechensbekämpfung, z.B. im Kampf gegen
so entscheidenden und staatsrechtlich relevanten Gebiet                Drogenschmuggel oder illegale Einreise, zur Verfügung
beendet.21 Wie wichtig und praktisch relevant ein solcher              gestellt werden.27 Auch hier bedienen militärische
Schritt wäre, zeigt sich bei der folgenden Betrachtung                 Einheiten ohne Legitimation in der Verfassung und ohne
der heute schon vorgenommenen, und somit politisch                     dass angesichts des strengen Maßstabes von einer
wohl auch gewünschten, tatsächlichen Streitkräftever-                  Verwendung unterhalb der Einsatzschwelle ausgegangen
wendung unterhalb der Einsatzschwelle.                                 werden könnte, einen Zuständigkeitsraum, der originär
                                                                       als Polizeiaufgabe angesehen werden müsste.28 Für
                                                                       bestehende weitere Verwendungspläne wird sich das hier
3. Reale Verwendung der Streitkräfte in Nichteinsätzen:
                                                                       auftretende Problem, dass die Einstufung als Einsatz
Auch wenn sich unser Staat als einer der einzigen
                                                                       oder Nichteinsatz eben auch die Zielrichtung der
weltweit der strikten Trennung zwischen militärischen -
                                                                       Verwendung berücksichtigen muss, ebenso bemerkbar
mit Verteidigungs- und Abwehraufgaben - und polizeili-
                                                                       machen, sodass sich eine Vielzahl der Pläne nicht auf der
chen - als Gefahren- und Verbrechenspräventionsmaß-
                                                                       Basis dieser verfassungsrechtlichen Legitimation wird
nahmen - Kräften rühmt, ist unsere Armee in der
                                                                       realisieren lassen.
alltäglichen Zivilgesellschaft tatsächlich stärker vertreten
und in wichtigere Aufgaben eingebunden, als es im
kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft präsent ist.
Angesichts der verfassungsrechtlich explizit vorgesehe-                22
                                                                          Sachs-Kokott, Art.87a, Rn.14; Lutze, NZWehrr 2001, 117, 119;
nen Verwendungsmöglichkeiten kann diese Verwendung                     v.Mangoldt/Klein/Starck-Baldus, Art.87a, Rn.33; Fischer, JZ 2003,
lediglich aufgrund der Klassifikation als unterhalb der                376, 379.
                                                                       23
                                                                          Jochum, JuS 2006, 511, 512.
                                                                       24
                                                                          Vgl. Fn. 19.
17                                                                     25
   Jochum, JuS 2006, 511, 512; Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471,      Dreist, NZWehrr 2006, 45, 65.
                                                                       26
476.                                                                      So auch Dreist, NZWehrr 2006, 45, 65f.; a.A: Jochum, JuS 2006,
18
   Jochum, JuS 2006, 511, 512.                                         511, 512.
19                                                                     27
   Bähr, ZRP 1994, 97, 100f.; Kersting, NZWehrr 1983, 64, 69;             S. Beispiel bei Dreist, NZWehrr 2006, 45, 66.
                                                                       28
Jahn/Riedel, DÖV 1988, 957, 958; Lutze, NZWehrr 2003, 101, 106;           Dreist, NZWehrr 2006, 45, 66; Dreist, NZWehrr 2002, 133, 150;
Schmidt-Jortzig, DÖV 2002, 773, 775f.                                  153; Gramm, NZWehrr 2005, 133, 141; a.A. Schmidt-Jortzig; DÖV
20
   Gornig, JZ 1993, 123, 126.                                          2002, 773, 776, der im Rahmen dieser Aufgabenwahrnehmung von
21
   So auch Fischer, JZ 2004, 376, 379.                                 Amtshilfe ausgeht.
Der Inneneinsatz der Bundeswehr – Dirk Müllmann

II. Verteidigung, Verteidigungsfall und Inlandsaufgaben               gegen terroristische Angriffe35 wird dieses unumstrittene
– Art. 87 a I, III GG                                                 Definitionselement des Verteidigungsbegriffes proble-
Auch wenn das Bestehen eines Verteidigungs- oder                      matisch. Objektiv betrachtet müsste man, um in einer
Spannungsfalles gemäß Art. 115a GG in den politischen                 akuten Situation mit militärischen Mitteln auf einen
Verwendungsplänen für die deutschen Streitkräfte keine                terroristischen Akt antworten zu können, unumstößlich
oder zumindest eine nur untergeordnete Rolle spielt,                  ausschließen können, dass der Angriff vom Inland aus
wäre eine Darstellung der Einsatzmöglichkeiten im                     begangen wurde, was zugleich klare Abgrenzungskri-
Inland ohne eine Erwähnung dieser Möglichkeit                         terien erforderlich macht.36 Überspitzt gesagt macht es
unvollständig. Insbesondere kann anhand der hier                      für unsere Verfassung eben einen Unterschied, ob eine
getroffenen Regelungen zugleich überprüft werden, ob,                 Bombe vom benachbarten Ausland über unsere Grenze
angesichts der sichernden Aufgaben, die die Streitkräfte              geworfen wird oder sie aber auf der anderen Seite
im Inland übernehmen könnten, sie, wenn auch                          deponiert wurde. Ob dies in der Kürze der Zeit gelingen
präventiv, verteidigend eingesetzt werden und daher ihre              mag, scheint mehr als fraglich.37 Dies gilt umso mehr, als
Verwendung unter dem Begriff der Verteidigung                         der Terrorismus, mit dem die Welt innerhalb der letzten
gerechtfertigt wäre. Das Grundgesetz enthält keine                    Jahre verstärkt konfrontiert wird und gegen den die
Definition des Begriffes Verteidigung, wohl aber in Art.              Bundeswehr       als   wirksames      Verteidigungsmittel
115a I 1 GG eine Legaldefinition des Verteidigungs-                   eingesetzt werden soll, entstaatlicht38 ist, also interna-
falles, der anzunehmen ist, wenn „das Bundesgebiet mit                tional agiert. Zudem muss, im heutigen Verständnis des
Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff                Grundgesetzes, um zu verhindern, dass einhergehend mit
unmittelbar bevorsteht“.29 In eben diesen Fällen erlaubt              einer weiten Interpretation des Begriffes Verteidigung
die Verfassung den Streitkräften, zivile Objekte zu                   eine Verwischung zwischen militärischem und
schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzu-                    polizeilichen Vorgehen entsteht und dadurch zugleich
nehmen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Verteidigungs-                der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a II GG entwertet
aufgaben erforderlich ist (Art. 87a II 1 GG). Möglich ist             wird, ein streng militärisches Verständnis der
es zudem nach Art. 87a II 2 GG, dass der Bundeswehr in                Verteidigung angenommen werden.39 Auch wenn die aus
Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden auch                      dem internationalen Terrorismus resultierenden Konflik-
Aufgaben im Zivilschutz und zur Unterstützung                         te aufgrund militärischer Organisationsstrukturen dieser
polizeilicher Maßnahmen übertragen werden.                            Gruppen, ihrer globalen Aktionsfähigkeit und der
Im Gegensatz zu diesem recht klar umrissenen Feld des                 Zerstörungswirkung ihres Handelns40 den bewaffneten
Verteidigungsfalles ist der Begriff Verteidigung erneut               Handlungen von Staaten entsprechen mag und diese
sehr umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hat                     Konflikte in ihrem Potential zwischenstaatliche daher
jedenfalls der Diskussion, ob Verteidigung und                        gleichkommen 41, liegt ein zur Verteidigung berech-
Verteidigungsfall synonym zu verwendende Begriffe                     tigender Angriff nicht schon allein deshalb vor, weil
seien, ein Ende gesetzt.30 Eine für diese Untersuchung                Ausmaß und Tragweite nur effektiv von den
hinreichende Definition lässt sich in der Wendung sehen,              Streitkräften bewältigt werden kann.42 Allein aus der
dass „ ein Fall der [Landes-]Verteidigung [dann gegeben               faktischen Möglichkeit und wohl auch Notwendigkeit
ist], soweit Angriffe von einiger Erheblichkeit im Sinne              einer militärischen Antwort lässt sich die Befugnis
einer kriegerischen Auseinandersetzung mit auslän-                    hierzu aus den oben genannten Gründen aus unserem
dischen Mächten abzuwehren sind“31 Ein differenziertes                Grundgesetz noch nicht ableiten.43 Wir mögen in der
Verständnis beider von der Verfassung genutzten                       Lage sein, nach gründlichen Untersuchungen einen
Begriffe scheint nicht nur angesichts der bewusst                     verübten Anschlag einer bekannten Terrororganisation
verschiedenen Verwendung erforderlich, sondern auch                   zuordnen zu können, doch nützt dies in der zur Handlung
aufgrund der Tatsache, dass Verteidigung nicht nur die                auffordernden Gefahrensituation nichts und ist zudem oft
reine, vom Verteidigungsfall umfasste, Landesverteidi-                auch mit der Erkenntnis verbunden, dass der Angriff im
gung darstellt, sondern ebenso die Bündnisverteidigung                eigenen Land geplant wurde.44 In Bezug auf punktuelle,
gemäß Art. 5 NATO-Vertrag betrifft, besonders völker-                 den Terrorismus bekämpfende Einsätze der Streitkräfte
rechtlich geboten.32 Allen Erklärungsversuchen des
Begriffs Verteidigung ist jedoch gemein, dass sie einen
Bezug nach außen aufweisen 33, sich also gegen einen                  35
                                                                         Bejahend: Fiebig, Bundeswehr im Inneren, S.106ff., 275f.;
von außen kommenden Angriff richten 34. Gerade in der                 Ablehnend: Wilkesmann, NVwZ 2002, 1316, 1321.
                                                                      36
                                                                         Fischer, JZ 2004, 376, 380.
Diskussion um den Inlandseinsatz als ‚Verteidigung’                   37
                                                                         So auch Fischer, JZ 2004, 376, 380; Jochum, JuS 2006, 511, 513;
                                                                      Sattler, NVwZ, 1286.
                                                                      38
                                                                         Jochum, JuS 2006, 511, 513; Fischer, JZ 2003, 376, 380; Sattler,
                                                                      NVwZ 2004, 1286
                                                                      39
                                                                         Sattler, NVwZ 2004, 1286.
29                                                                    40
   Zu den Voraussetzungen der Feststellung des Spannungsfalls, auch      Achterberg/Püttner/Würtenberger-Oldiges, Bes. VerwR II, §23,
äußerer Notstand siehe Art.80a I 2 GG; ausführlich hierzu:            Rn.18;
                                                                      41
Jarras/Pieroth, Art.80a, Rn.1; Schmidt-Jortzig, DÖV 2002, 773, 777.      Jochum, JuS 2006, 511, 513.
30                                                                    42
   BVerfGE 90, 286, 386.                                                 Gramm, NZWehrr 2003, 89, 95; Sattler, NVwZ 2004, 1286; a.A.
31
   Arndt, DÖV 1992, 618, 618f.; Sachs-Robbers, Art. 115a, Rn.8;       Krings/Burkiczak, DÖV 2002, 501, 511; Wiefelspütz, NZWehrr 2003,
Jochum, JuS 2006, 511, 513.                                           45, 56.
32                                                                    43
   Sachs-Kokott, Art.87a, Rn.18; Fischer, JZ 2004, 376, 379f.            Sattler, NVwZ 2004, 1286; Wolff, ThürVBl 2003, 176; Gramm,
33
   Fischer, JZ 2004, 376, 379f.; Jochum, JuS 2006, 511, 513.          NZWehrr 2003, 89, 91; a.A. Depenheuer, ZG 2008, 1, 8f.
34                                                                    44
   Fiebig, Bundeswehr im Inneren, S.106ff., 274f.; Schmidt-Jortzig,      Vgl. Bsp. bei Fischer, JZ 2004, 376, 380; ebenso der Einwand bei
DÖV 2002, 773, 775; Sattler, NVwZ 2004, 1286.                         Sattler, NVwZ 2004, 1286.
Der Inneneinsatz der Bundeswehr – Dirk Müllmann

im Inland muss also festgestellt werden, dass diese auf                 Terrorszenarien wohl nicht gerecht,52 sie mit
der Basis der Verteidigungsermächtigung nicht möglich                   bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen zu vergleichen. Art.
sein werden. Für geplante dauerhafte Inlandsaufgaben                    87a IV GG zielt eben auf die Bekämpfung einer großen,
der Bundeswehr gilt dies umso mehr, als es für sie an der               innerstaatlichen Gruppe, die den Bestand des Landes
Gegenwärtigkeit45 der von außen kommenden Gefahr                        gefährdet und ist daher schon von seiner Intention nicht
fehlt und die bloße Möglichkeit eines jederzeit                         zur Rechtfertigung verbesserter Sicherheitsmaßnahmen
möglichen terroristischen Angriffs als Grundlage für                    geeignet.53 Interessant ist die Betrachtung des Art. 87a
Daueraufgaben der Armee im Inneren den Verfassungs-                     IV GG als Vergleichsmaßstab, sagt er doch viel über die
vorbehalt des Art. 87 a II GG aushebeln würde.                          grundgesetzliche Systematik in Bezug auf die
                                                                        Verwendung der Bundeswehr aus. Im Inneren erlaubt er
III. Innerer Notstand – Art. 87 a IV GG                                 den Streitkräften selbst in Zeiten der absoluten zivilen
Eine weitere, im Grundgesetz vorgesehene, Verwen-                       Unordnung nur ein Tätigwerden zu Zwecken des
dungsmöglichkeit der Streitkräfte im Inland liegt im Fall               Objektschutzes und im Kampf gegen organisierte und
eines Inneren Notstandes gemäß Artt. 87a IV, 91 II GG                   militärisch bewaffnete Aufständige54 und dies auch nur,
vor. Diese verfassungsrechtliche Grundlage wird als                     wenn die Kräfte der Länder- und Bundespolizei nicht
Ermächtigungsnorm für den Inlandeinsatz der Streit-                     ausreichend sind 55. Bei der Interpretation von
kräfte in der aktuellen politischen Diskussion nicht                    grundgesetzlichen Rechtfertigungsgrundlagen sind diese
ernsthaft erwogen, befindet sich Deutschland doch weder                 sehr begrenzten Mittel angesichts des innerstaatlichen
in einer akuten noch langfristigen Notstandslage. Die                   Ausnahmezustandes als Maßstab zu berücksichtigen,
kurze Darstellung dieser Einsatzmöglichkeit dient daher                 denn in ihrem Angesicht erscheinen die von der
lediglich der Vollständigkeit.                                          aktuellen     politischen    Diskussion    vorgesehenen
Im Fall der Notwendigkeit der Abwehr einer drohenden                    Verwendungsmaßnahmen in einer Republik mit stabiler
Gefahr für den Bestand der freiheitlich demokratischen                  Innenlage unverhältnismäßig, zeigt sich doch, dass das
Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die                      scharfe Schwert des Streitkräfteeinsatzes dem äußeren
Bundesregierung die Streitkräfte zur Unterstützung der                  Feind vorbehalten sein soll.56 Aus dieser Betrachtung
Polizei und bei der Bekämpfung organisierter und                        sollte man somit im Gedächtnis behalten, dass unter der
militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen, soweit                aktuellen Verfassungslage jede Maßnahme, die über eine
die Polizeikräfte sowie die Bundespolizei zur                           der im Grundgesetz niedergelegten Ermächtigungsgrund-
Gefahrenabwehr nicht ausreichen.46 Diese Voraus-                        lagen legitimiert werden soll, mit dem übrigen System
setzungen müssen dabei nicht isoliert, sondern kumulativ                der deutschen Wehrverfassung im Einklang stehen,
vorliegen.47 Der Bestand des Bundes oder eines Landes                   mithin verhältnismäßig sein muss.
ist berührt, wenn die einzelnen Elemente des Staats-
gebiets, der Staatsgewalt oder des Staatsvolks                          IV. Amtshilfe – Art. 35 II 2, III GG
beeinträchtigt sind48, wozu besonders die auswärtige                    1. Allgemeines: Eine zentrale Rolle in der Frage nach
Gewalt des Bundes, Gesetzgebung und Verwaltung                          ‚ungenutzten Verfassungskapazitäten’57 für Bundeswehr-
sowie die Rechtsprechung gehören.49 Die freiheitlich                    inneneinstäze haben die Vorschriften über Amtshilfe des
demokratische Grundordnung ist gemäß                ihrer               Bundes gegenüber den Ländern gespielt, die ebenfalls
Definition50 gefährdet, sobald die rechtsstaatliche                     ein Tätigwerden der Bundesarmee im Inland möglich
Herrschaftsordnung, die Selbstbestimmung des Volkes                     machen würde.58 Art. 35 I GG ist von der Betrachtung
oder die Freiheit und Gleichheit der Deutschen bedroht                  als Einsatzgrundlage der Streitkräfte von dieser
werden, was regelmäßig nur in extremen Fällen wie                       Überlegung schon deshalb ausgenommen, da die
Bürgerkriegen oder Militärputschen gegeben sein wird.51                 Amtshilfegrundsätze weder zu einem Aufgabenzuwachs
Wie sich bei Betrachtung der Voraussetzungen des                        bei der ersuchten Behörde führen, noch der Einsatz, also
Inlandseinsatzes der Streitkräfte in Fällen des Inneren                 die Wahrnehmung hoheitlichen Zwangs, im Rahmen der
Notstandes offenbart und oben bereits kurz bemerkt                      Amtshilfe möglich ist, wenn die Befugnis nicht ohnehin
wurde, ist die aktuelle Bedrohungslage, in der sich                     besteht.59 Von Bedeutung sind daher die Regelungen der
Deutschland durch innere und äußere Feinde befindet,                    Absätze 2 (Satz 2) und 3. Hiernach können, je nach
kaum geeignet, kurzfristige oder dauerhafte militärische                gegebener Situation aufgrund der Entscheidung der
Maßnahmen aufgrund des Art. 87a IV GG zu                                Bundesregierung oder auf Anforderung eines Landes, bei
rechtfertigen. Nicht nur, dass es an einem ‚Drohen’ der                 einer Naturkatastrophe oder bei Auftreten eines
Gefahr fehlt, auch wird es den momentan denkbaren                       besonders schweren Unglücksfalls Kräfte der
                                                                        Bundeswehr zur Hilfe bei der Bewältigung der Situation

45                                                                      52
   Vgl. Jochum, JuS 2006, 511, 513; v.Mangoldt/Klein/Starck-Baldus,        Dreist, NZWehrr 2006, 45, 57.
                                                                        53
Art87a; Rn.31f.                                                            Fischer, JZ 2004, 376, 382; Dreist, NZWehrr 2002, 133, 137; Ipsen
46
   v.Mangoldt/Klein/Starck-Baldus, Art.87a, Rn.71; Maunz/Dürig,         in: K.D. Schwarz, Sicherheitspolitik, 434f.
                                                                        54
Art.87a, 110f.                                                             Dies betonend: Dreist, NZWehrr 2006, 45, 57.
47                                                                      55
   Dreist, NZWehrr 2006, 45, 57.                                           Dies betonend: Fischer, JZ 2004, 376, 380.
48                                                                      56
   Jochum, JuS 2006, 511, 515.                                             So auch Fischer, JZ 2004, 376, 380.
49                                                                      57
   Maunz/Dürig, Art.87a, 100.                                              Nach: 57 Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471, 479.
50                                                                      58
   BVerfGE 2, 1, 11ff.                                                     Vgl. hierzu nur Luftsicherheitsgesetz der Bundesregierung vom
51
   Maunz/Dürig, Art.87a, 110f.; Fiebig, Bundeswehr im Inneren, 398ff;   18.06.2004, BT-Drs. 509/04; ausführlich zu der Diskussion um das
Münch/Kunig-Hernekamp, GG, Art.87 a, Rn.41; Badura, Staatsrecht,        Gesetz statt vieler: Depenheuer, ZG 2008, 1ff.;
                                                                        59
S.559; ders. ThürVBl 1994, 169, 173.                                       Dreist, NZWehrr 2006, 45, 56; Gramm, NZWehrr 2003, 89, 92.
Der Inneneinsatz der Bundeswehr – Dirk Müllmann

eingesetzt werden. Die im Rahmen dieser Ermächti-                       3. Besonders schwerer Unglücksfall: Die zweite
gungsnormen auftretenden, für einen Inlandseinsatz der                  Situation, in welcher Amtshilfe durch die Streitkräfte
Streitkräfte zentralen Fragen, sollen in der Folge näher                möglich ist, ist die im Falle eines besonders schweren
betrachtet werden.                                                      Unglücksfalls. Im Gegensatz zur Naturkatastrophe
                                                                        handelt es sich bei einem Unglücksfall um ein
                                                                        Großschadensereignis, das auf menschlichem Fehlver-
2. Naturkatastrophen: Abseits vom politischen
                                                                        halten oder technischem Versagen beruht.67 Besonders
Schlachtfeld um die Bundeswehrverwendung als Gegen-
                                                                        schwer ist dieser, wenn er ein Schadensereignis von
oder Präventivmaßnahme zum internationalen Terroris-
                                                                        erheblichem und ungewöhnlichem Ausmaß darstellt.68
mus, das wohl die größte öffentliche Aufmerksamkeit
                                                                        Im Unterschied zur Gruppe der zuvor genannten Fälle,
auf sich zieht, und bewegt durch die extremen
                                                                        deren Ursprung in der Unkontrollierbarkeit der Natur zu
Wetterlagen und durch Wetter verursachten Ereignisse
                                                                        sehen ist, kann ein durch menschliches Handeln
der letzten Jahre, soll die Bundeswehr in Fällen, in denen
                                                                        verursachter Schadensfall jedoch auf Vorsatz oder
der Mensch seine natürliche Umgebung nicht mehr
                                                                        Fahrlässigkeit beruhen. Dies kann in den Fällen, in denen
kontrollieren kann, sie gar zur Bedrohung für ihn wird,
                                                                        ein solches Schadensereignis bereits eingetreten ist,
bei der Bewältigung der auftretenden Notlagen den
                                                                        jedoch keinen Unterschied machen. Die Amtshilfe des
zuständigen Behörden sowohl mit technischem Gerät als
                                                                        Art. 35 II 2, III GG wurde zur effektiven Unterstützung
auch mit Menschenkraft unterstützend zur Seite stehen.
                                                                        der vorhandenen Kräfte, im hier vorliegenden Fall des
Die Verfassung erlaubt dies schon heute bei Vorliegen
                                                                        Landes, eingeführt69 und dient letztlich der Bewältigung
einer Naturkatastrophe, einem Großschadenereignis
                                                                        der Notsituation und der erforderlichen Beseitigung der
natürlichen, also durch Naturgewalten hervorgerufenen,
                                                                        durch sie hervorgerufenen Gefahren und Beeinträcht-
Ursprungs.60 Dank dieser gesonderten Ermächtigung für
                                                                        igungen. Diese Gefahren bestehen für die Bevölkerung
die Verwendung der Bundeswehr im Inneren, muss sich
                                                                        unabhängig davon, ob ihre Ursache absichtlich oder
die Art der wahrnehmbaren Aufgaben nicht auf
                                                                        fahrlässig herbeigeführt wurde.70 Dies gilt auch, wenn
Tätigkeiten unterhalb der Einsatzschwelle61 beschränken,
                                                                        dem absichtlich herbeigeführten Schadensereignis
sondern kann, wie sich am wohl bekanntesten Beispiel,
                                                                        politische Bedeutung zukommt71, da durch die Bewäl-
der Hamburger Sturmflut im Jahr 1962 zeigen lässt, auch
                                                                        tigung und Folgenbeseitigung die politische Neutralität
das gesamte Spektrum seiner technischen Möglichkeiten
                                                                        der Streitkräfte nicht angetastet wird.72 Die angesichts
verwenden. Damals agierten 8350 Soldaten mit
                                                                        dieser Argumente überflüssige Aufklärung der
mehreren      100     Hubschraubern,    Schlauch- und
                                                                        Schadensursache wäre zudem kontraproduktiv, ginge
Sturmbooten sowie schwerem technischen Gerät62 nicht
                                                                        durch sie doch wertvolle Zeit zur effektiven Katas-
nur in der technisch-logistischen Unterstützung der
                                                                        trophenbekämpfung verloren, bevor die Bundeswehr
Kräfte vor Ort, sondern halfen bei der Versorgung von
                                                                        gerufen werden könnte und dies nur, um den
eingeschlossenen Menschen mit Lebensmitteln und
                                                                        unwahrscheinlichen Fall auszuschließen, dass der Staat
absolvierten sowohl Aufklärungsflüge als Plünderungs-
                                                                        mithilfe seiner Streitkräfte innenpolitische Krisen
schutzmaßnahmen mithilfe von Feldjägern.63 Es zeigt
                                                                        bekämpfen könnte.73 Auch wenn es somit deutlich
sich gerade in den zuletzt genannten Maßnahmen, dass
                                                                        scheint, dass die Streitkräfte unabhängig von der
die Unterstützungsleistung der Streitkräfte in diesen
                                                                        willentlichen oder unwillentlichen Verursachung einer
„Sonderfällen einer Störung der öffentlichen Sicherheit
                                                                        Katastrophe tätig werden dürfen, sollte der Gesetzgeber
und Ordnung“64 unmittelbare oder mittelbare Teilakte im
                                                                        zumindest in Erwägung ziehen, durch eine klarstellende
Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr darstellen,
                                                                        Formulierung jeden Zweifel in diesem wichtigen Feld zu
was die Unterstützung, angesichts eben dieser
                                                                        beseitigen und somit eine eindeutige Kompetenzlage für
Zielrichtung 65, insgesamt über die Einsatzschwelle
                                                                        einen Streitkräfteeinsatz schaffen.
heben.66 Zugleich machen die Existenz der Ermächti-
gungsnorm und die auf ihrer Basis bereits mithilfe der
Streitkräfte bewältigten Ereignisse deutlich, dass im Fall              4. Präventive Maßnahmen im Rahmen der Amtshilfe:
des Auftretens von Naturkatastrophen die umfängliche                    Anders als im vorhergehenden Teil besprochen könnte
und sinnvolle Unterstützung der zuständigen Behörden                    sich die Rechtslage darstellen, wenn es nicht, wie in den
möglich ist. Allein benötigt man Landeskatastrophen-                    Varianten des Art. 35 II 2, III GG festgelegt, um bereits
schutzgesetze, die diese Ressourcen auch effektiv                       eingetretene Unglücksfälle oder Naturkatastrophen geht,
nutzbar machen.                                                         sondern um das Verhindern des Eintritt eines
                                                                        Großschadensereignisses und damit den präventiven Ein-
                                                                        satz von Bundeswehreinheiten.74 Der Gesetzeswortlaut

60                                                                      67
   Dreier-Bauer, Art.35, Rn.24; Sachs-Erbguth, Art.35, Rn.38;              Fischer, JZ 2004, 376, 381; Jarras/Pieroth, Art. 35, Rn.7; Dreier-
v.Münch/Kunig-Gubelt, Art.35, Rn.25.                                    Bauer, Art.35, Rn.24; v.Münch/Kung-Gubelt, Art.35, Rn.25.
61                                                                      68
   Vgl. hierzu: II 1 b; II 1 c.                                            Sattler, NVwZ 2004, 1286, 1287.
62                                                                      69
   Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Inneres – Zivile              Baldus, NVwZ 2004, 1278, 1282.
                                                                        70
Verteidigung -, 22.10.04.                                                  So auch für viele: Jochum, JuS 2006, 511, 514.
63                                                                      71
   Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471, 475ff.                            Linke, AöR 129 (2004), 489, 520.
64                                                                      72
   Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471, 476; Sachs-Erbguth, Art. 35,      Baldus, NVwZ 2004, 1278, 1282; Maunz/Dürig, Art.87a, Rn.31ff.
                                                                        73
Rn.38.                                                                     Jochum, JuS 2006, 511, 514.
65                                                                      74
   Vgl. II 1 b.                                                            Instruktiv: für Präventionsmaßnahmen: Jochum, JuS 2006, 511, 514;
66
   Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471, 476.                           Franz/Günther, VBlBW 2006, 340, 342; gegen
Der Inneneinsatz der Bundeswehr – Dirk Müllmann

trifft keine eindeutige Aussage über die hier in Frage              ihrer Waffen auswirkt. Die Streitkräfte werden im
stehende Zeitkomponente, spricht er doch von der „Hilfe             gegebenen Fall von dem betroffenen Land angefordert83
bei“ einer Naturkatastrophe oder einem Unglücksfall.75              und nehmen materiell polizeiliche Aufgaben wahr 84. In
Es ist zudem sicher weltfremd zu verlangen, dass alle               logischer Konsequenz dürfen sie sich daher auch nur
vorhandenen Einsatzkräfte erst mobilisiert werden                   solcher Hilfsmittel bedienen, wie die Polizeikräfte der
können, wenn ein Schaden bereits eingetreten ist, nicht             Länder,85 sich qualitativ also von denen der
aber, wenn er noch verhindert werden könnte.76 Und                  Länderpolizeien nicht unterscheiden 86, könnte doch
auch die allgemeinen Grundsätze staatlicher Sicherungs-             ansonsten die verfassungsrechtlich gebotene Trennung
gewährleistung gebieten, dass die Verhinderung des                  von Militär und Polizei durch die Anforderung der
Eintritts    eines    Schadensereignisses    schon    zur           Armee im Rahmen der Amtshilfe umgangen werden und
Realisierung der Effektivität staatlicher Hilfe höchstes            damit polizeiliche Aufgaben mit militärischen Mitteln
Ziel sein muss.77 Doch, ob das Grundgesetz auch                     ausgeübt werden. Aufgrund dieser Erwägung, der
wirklich Inlandseinsätze in Fällen gerechtfertigt sieht,            Entstehungsgeschichte der Norm87 und im Vergleich zur
die den Eintritt einer Katastrophe mit an Sicherheit                genaueren situativen Beschreibung in den Artt. 87 IV
grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen 78,                   und 91 II GG88 wird daher die militärische Bewaffnung
erscheint dennoch fraglich. Sind schon Maßnahmen der                der Streitkräfte im Rahmen der Amtshilfe als unzulässig
Prävention       eines     unmittelbar    bevorstehenden            erachtet.89 Dies erscheint insgesamt auch als korrekt. Bei
Großschadensereignisses in einigen Situationen schwer               der Bekämpfung eines besonders schweren Unglücks-
von Maßnahmen zur Katastrophenbekämpfung zu                         falls oder einer Naturkatastrophe im Rahmen der
unterscheiden,79 ist es noch wesentlich komplizierter,              Amtshilfe bleiben die Streitkräfte damit auf die
Präventionsmaßnahmen         zur    Verhinderung    eines           Verwendung von Mitteln, die in den Polizeigesetzen der
unmittelbar bevorstehenden Schadensereignisses von                  Länder vorgesehen sind oder technisch neutraler
denen zur Abwehr eines nur bevorstehenden oder                      Hilfsmittel, durch die die Einsatzschwelle nicht
möglicherweise bevorstehenden Ereignisses zu trennen.               überschritten wird 90, beschränkt, sodass insbesondere die
Dies wäre aber umso wichtiger, als Maßnahmen zur                    Nutzung speziell militärischer Waffen nicht möglich ist.
Prävention eines nur wahrscheinlichen und möglichen                 Dieses Problem lässt sich auch nicht dadurch umgehen,
Schadens von dem Wortlaut der Verfassung sicher nicht               dass die Länderpolizeien mit militärischen Waffen
erfasst sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem            ‚aufgerüstet’ werden, da diese so nahezu den Status einer
Zusammenhang zudem betont, wie viel Wert es auf die                 Miliz erreichen könnten und faktisch eine im Inland
strikte Texttreue in Bezug auf die Auslegung der                    einsetzbare Armee würden 91, deren Missbrauchsgefahr
Wehrverfassung       legt.80   Eine    Ausweitung     des           nicht abschätzbar erscheint.
Verständnisses birgt ferner die drängende Gefahr, dass
durch immer weitergehende Präventionsaufgaben seitens               V. Kriegsvölkerrecht und ungeschriebene Notstands-
der Streitkräfte der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a II           rechte
GG ausgehebelt wird, was sicher nicht zu einer Omni-,               Von juristischer Seite ist zur Erweiterung der
aber doch verstärkten Präsenz der Bundeswehr im Alltag              Inlandskompetenzen der Streitkräfte, insbesondere im
führen würde und so auf lange Sicht die grundgesetzlich             Rahmen der Terrorabwehr, zudem der Versuch unter-
gewollte Neutralität in Frage stellen und gefährden                 nommen worden, den Einsatz durch ungeschriebene
könnte. Eine Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten auf                Notrechte, Handlungsverpflichtungen des Staates oder
Unglücksprävention ist daher unter der aktuellen                    gar das Völkerrecht zu erreichen. Diesen Ideen ist jedoch
Verfassung trotz guter Gegenargumente abzulehnen                    mit großer Vorsicht zu begegnen. In Bezug auf die
                                                                    Heranziehung des Völkerrechts muss erneut darauf
                                                                    hingewiesen werden, dass die dort betrachteten
5. Einsatz militärischer Mittel: Aufgrund der anfangs81
                                                                    Situationen wirkliche Kriege und nicht wie im Fall des
erwähnten strikten Trennung im Grundgesetz zwischen
                                                                    Terrorismus nur kriegsähnliche Ereignisse darstellen und
polizeilichen und militärischen Aufgaben82 ergibt sich im
                                                                    wir uns zugleich nicht in einem solchen befinden.92
Rahmen der Amtshilfe durch die Streitkräfte im Art. 35
                                                                    Außerdem kann dieses Recht wohl nur Aussagen darüber
II 2, III GG die Frage, inwiefern sich die Übernahme
                                                                    treffen, was dem Gegner in Konflikt-, nicht jedoch was
polizeilicher Aufgaben durch die Armee auf die Wahl
                                                                    der eigenen Bevölkerung in Friedenszeiten an eigener
                                                                    Streitmacht entgegengesetzt werden darf.93 Zuletzt muss
Präventionsmaßnahmen: Wilkesmann, NVwZ 2002, 1316, 1321;
Krings/Burkiczak, DÖV 2002, 501, 512; vgl. auch Nachweise bei
                                                                    auch auf die zwischen beiden Rechtsrängen bestehende
Franz/Günther, VBlBW 2006, 340, 342, Fn.29.
75
   BVerfG, NJW 2006, 751, 755; Jochum, JuS 2006, 511, 514;
                                                                    83
Franz/Günther, VBlBW 2006, 340, 342.                                   Maunz/Dürig, Art.87a, Rn.30; Linke, ÄoR 129 (2004), 489, 521f.;
76
   Baldus, NVwZ 2004, 1278, 1283; Hillgruber/Hoffmann, NWVBl        Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471, 477ff.
                                                                    84
2004, 176, 178; Winkler, DÖV 2002, 149, 155; Wiefelspütz, NZWehrr      Jochum, JuS 2006, 511, 514.
                                                                    85
2003, 45, 62.                                                          Linke, ÄoR 129 (2004), 489, 520.
77                                                                  86
   Möstl, Staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und       BVerfG, NJW 2006, 751; a.A. Baldus, NVwZ 2004, 1278; 1284.
                                                                    87
Ordnung, 148; Linke, AöR 129 (2004), 489, 520.                         BT-Drs. 5/1879, S.23.
78                                                                  88
   BVerfG, NJW 2006, 751; Soria, DVBl 2004, 597, 602.                  Linke, NZWehrr 177, 178; BT-Prot. 5/175, S.9444 (D)f.
79                                                                  89
   Jochum, JuS 2006, 511, 514.                                         Statt vieler: Jochum, JuS 2006, 511, 514.
80                                                                  90
   Dreist, NZWehrr 2006, 45, 58; BVerfGE 90, 286, 357.                 Jochum, JuS 2006, 511, 514.
81                                                                  91
   Vgl. I 1 c.                                                         Linke, NZWehrr 177, 178.
82                                                                  92
   Winkler, DÖV 2006, 149, 152; Hillgruber/Hoffmann, NWVBl 2004,       Pestalozza, NJW 2007, 492, 495.
                                                                    93
176, 178; Linke, ÄoR 129 (2004), 489, 510f.                            Pestalozza, NJW 2007, 492, 495.
Der Inneneinsatz der Bundeswehr – Dirk Müllmann

Ordnung verwiesen werden. Denn nur, weil die                   es sollte schon der Grundsatz gelten, dass „wenn die
Regelungsmaterie des Völkerrechts eine höhere                  Polizei mit ihren Fähigkeiten die Gefahr nicht abwenden
Regelungsebene betrifft als das Verfassungsrecht, geht         kann, […] immer noch die Bundeswehr zur Verfügung
es diesem noch lange nicht vor. Ganz im Gegenteil, trifft      [steht]“104. Für eine solche Überarbeitung des
doch Art. 25 GG Aussagen über die Einordnung des               Grundgesetzes gibt es gute Argumente. Die heutige
Völkerrechts in das Gefüge nationalen Rechts.                  Bedrohungslage unterscheidet sich wesentlich von der
Völkerrecht entfesselt die Verfassung als höchste              Zeit, als unsere Verfassung geschrieben wurde, lassen
innerstaatliche Ordnung somit keinesfalls.94                   sich doch feindliche Angriffe nicht mehr deutlich einer
Möglicherweise existente staatsrechtliche Notrechte            von außen kommenden Macht zuordnen. Die
können jedenfalls nur punktuell in einer akuten                Argumentation, die sich gegen eine verstärkte Präsenz
Krisensituation eingesetzt werden und eignen sich daher        der Bundeswehr im Inneren wendet, basiert meist auf
schon nicht für eine dauerhafte Aufgabenzuteilung an die       den, unbestritten, verhängnisvollen Erfahrungen, die
Streitkräfte.95 Im Strafrecht zu verwendende Notrechte,        Deutschland während der Zeit der Weimarer Republik
wie die Notwehr, die Nothilfe, der Notstand oder der           mit solchen Einsätzen der Reichswehr machen musste.105
übergesetzliche Notstand 96 kommen ebenfalls nicht als         Dennoch sollte man die Validität dieser Beweisführung
Ermächtigungsnormen für staatliches Handeln in Frage,          nach heutigen Maßstäben neu überdenken. Wir leben in
lassen sie doch ausschließlich eine mit einer Handlung         einer stabilen Demokratie und die Bundeswehr bietet,
möglicherweise verbundene Strafbarkeit des Handelnden          nachdem sie sich über 50 Jahre lang als Verteidiger
entfallen.97 Dies gilt nicht nur für die Rechtmäßigkeit        unseres Staates bewährt hat, keinerlei Anlass zu der
eines punktuellen Einsatzes, sondern erst recht für die        Befürchtung, sie wolle, gebe man ihr nur die
Möglichkeit, eine Dauerzuweisung einer Aufgabe auf             grundgesetzliche Möglichkeit hierzu, die Macht im
ihnen basieren zu wollen. Es erscheint zudem sehr              Staate an sich reißen. Wenn ein Missbrauch der
bedenklich, dass der Gesetzgeber, sich anscheinend             Streitkräfte tatsächlich angestrebt wird, dann auch ohne
lieber auf eine ungeschriebene Rechtsbasis zurückzieht,        vorherige demokratische Legitimation und praktisch
und darauf vertraut, dass in der Notsituation schon keiner     immanent sogar dann, wenn sie von den
die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit seines                 Verantwortlichen       trotz    Vorhersehbarkeit      einer
Handelns stellen werde, als sich mit rechtsstaatlichen         Krisensituation ohne Ermächtigungsgrundlage zur
Mitteln darum zu sorgen, dass gewünschte                       faktischen Bewältigung der Probleme eingesetzt wird.
Einsatzmöglichkeiten von Soldaten auf einer soliden            „Die Bundeswehr hat das Vertrauen des Volkes. Hört
verfassungsmäßigen Grundlage stehen.98 Es geht dabei           dies bei der Übertragung von Sicherheitsaufgaben im
um die Schaffung von Rechtssicherheit in einer                 Inland auf?“106. Die Bundeswehr übernimmt auch im
vorhersehbaren Lage99, auf die sowohl die Bevölkerung          Ausland Aufgaben, die für den Aufbau oder das
als auch die eingesetzten Kräfte ein Recht haben               alltägliche    Funktionieren     einer    Zivilgesellschaft
sollten.100                                                    unerlässlich sind. Welchen Eindruck vermitteln wir dann
                                                               den Einsatzstaaten, wenn wir die Streitkräfte für die
C. Resümee und Ausblick                                        Verwendung bei uns als unqualifiziert bezeichnen?
Nach der durchgeführten Untersuchung lässt sich die            Wenn die Bundeswehr nicht in der Lage sein sollte,
Feststellung treffen, dass wir in der aktuellen Fassung        schlichte Aufgaben wahrzunehmen, muss man sich
des     Grundgesetzes     über     keine    ‚ungenutzten       ernste Sorgen um die Verteidigungslage des eigenen
Verfassungskapazitäten’ 101 für einen Inlandseinsatz der       Landes machen. Dies gilt sicher nicht in Bezug auf
Bundeswehr verfügen. Das heißt jedoch nicht, dass die          personelle Fragen. Es steht nicht zur Diskussion, dass die
aktuelle politische Diskussion völlig fehlgeht, indem sie      Streitkräfte durch ihre übermäßige Verwendung im
über Pläne diskutiert, die sich nicht realisieren ließen.      Inland nicht mehr in der Lage sein könnten, ihre
Für ihre Durchsetzung bedürfte es jedoch einer                 eigentlichen Aufgaben wahrzunehmen. Diese müssen
Verfassungsänderung, die sich mit einer zweidrittel            jederzeit im Vordergrund ihrer Existenz stehen. Und
Mehrheit der großen Koalition realisieren ließe. Zur           sicher muss auch beachtet werden, dass unsere Armee in
Klarstellung sei jedoch vorweggenommen, dass es nicht          internationalen Einsatz stetig mehr gefordert wird und
das Ziel der Verfassungsreformer oder der Gesellschaft         freie Kapazitäten geringer werden. Doch die
seien kann, die Streitkräfte zu einer Hilfspolizei im          Bundeswehr ist in ihrer jetzigen Funktion für das Inland
Inneren zu machen 102, muss der Grundsatz der Trennung         totes, weil für die deutsche Gesellschaft ungenutztes
von polizeilichen und militärischen Aufgaben doch auch         Kapital, das man sich in finanziell angespannten Zeiten,
seitens der Armee beansprucht werden können.103 Aber           die zugleich ein Umdenken in der Frage der
                                                               Bedrohungslagen erfordern, so nicht mehr leisten kann.
94
                                                               Es wäre zudem schwer, den Bürgern zu erklären, warum
   Pestalozza, NJW 2007, 492, 495.
95
   Fischer, JZ 2004, 376, 383.
                                                               eine Armee, die die Mittel dazu besitzt, in dem Moment,
96
   Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45, 62; Wilkesmann, NVwZ 2002,   in dem sie das Land gegen z.B. einen terroristischen Akt
1316, 1322.                                                    verteidigen könnte, nicht eingesetzt wird. Dies stellt eine
97
   Fischer, JZ 2004, 376, 383.                                 Erklärungsaufgabe dar, die sicher kein Politiker auf sich
98
   Fischer, JZ 2004, 376, 383.
99
   Gramm, NZWehrr 2003, 89, 89f.
100                                                            104
    Fischer, JZ 2004, 376, 383.                                   Wiefelspütz, ZRP 2003, 140.
101                                                            105
    Vgl. Fn.57.                                                   Hierzu ausführlich: Dreist, NZWehrr 2006, 45, 58ff.
102                                                            106
    so auch: Schily, EuGRZ 2005, 290, 293.                        Wellershoff, Das ganze Spektrum der Landesverteidigung, in: FAZ
103
    Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471, 484.                 v. 09.10.2001, S.16.
Der Inneneinsatz der Bundeswehr – Dirk Müllmann

laden will und legt den bösen Verdacht nahe, dass in      es,    angesichts   ihrer     wichtigen     Rolle,  eine
einem solchen kritischen Moment ein bewusster und         verfassungsrechtliche Grundlage zu erhalten, die nicht in
geplanter Verfassungsbruch begangen werden soll.          vielen, über das ganze Grundgesetz verstreute
Nochmals betont sei, dass es nicht darum geht, der        Paragraphen Einzelfälle regelt, sondern in einem
Bundeswehr nun nach Kräften neue Inlandsaufgaben          Abschnitt die Pflichten und Möglichkeiten der Armee
zuzuweisen, sondern vielmehr endlich einen politischen    aus       einem       inhaltlich      logischen      und
und gesellschaftlichen Diskurs darüber zu führen, ob es   zusammenhängendem Guss regelt. Denn nichts ist
sinnvolle Fälle gibt, in denen wir auf unsere Armee       schlimmer für die Gesellschaft und die eingesetzten
zurückgreifen wollen. Im Anschluss hieran muss das        Soldaten und Verantwortlichen, als ihnen die
Grundgesetz an diesen gesellschaftlichen und              Rechtssicherheit für Situationen vorzuenthalten, die
demokratisch zu legitimierenden Wunsch angepasst          regelbar und planbar sind, da sie von so vielen Seiten
werden. Auch hier sei die Politik ermahnt. Die            durchdacht wurden.
Bundeswehr und die deutsche Wehrverfassung verdienen
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