Der Leonberger Raum an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit

Die Seite wird erstellt Dirk Weller
 
WEITER LESEN
VOLKER TRUGENBERGER

Der Leonberger Raum an
der Wende vom Mittelalter
zur Neuzeit

Wirtschaft und Bevölkerung                               wichtigsten Quellen für die Ermittlung der B e v ö l -
                                                                                2
                                                         kerungsentwicklung. Dazu k o m m e n Steuerlisten
                                                                                                     3
                                                         und Steuerbücher der Stadt L e o n b e r g . B e i der
                                                         bevölkerungsstatistischen      Interpretation     von
                                                         Steuerlisten ist zu beachten, daß hier auch Pflege-
                                                         kinder mit eigenem Vermögen als selbständige
Bevölkerungsentwicklung                                  (Steuer-) Haushalte aufgeführt sind, o b w o h l sie
                                                         natürlich im Haushalt v o n Verwandten lebten und
Die Zeit zwischen 1470 und 1618 wird in der Wirt-        deshalb bei statistischen Erhebungen w i e der v o n
schaftsgeschichte als Zeitalter der Preisrevolution      1598 nicht berücksichtigt wurden. Da es sich j e -
            1
bezeichnet. Sie war, w i e schon aus der Epochen-        doch dabei immer um relativ w e n i g e Fälle handelt,
bezeichnung hervorgeht, geprägt v o n einem allge-       sind dennoch Aussagen über die Grundtendenzen
meinen, besonders jedoch bei Agrarprodukten              der Bevölkerungsentwicklung möglich.
feststellbaren Preisanstieg in H ö h e v o n durch-      Nach den genannten Quellen verdreifachte sich in
schnittlich 1,5 Prozent pro Jahr. Ursache dafür war      Gebersheim zwischen 1470 und 1598 die Zahl der
zum einen die Vermehrung des umlaufenden Gel-            Haushalte v o n 15 auf 48, was einem Anstieg der
des durch die Erschließung neuer Silbergruben in         Bevölkerung v o n ungefähr 70 Personen auf über
Europa und im neuentdeckten Amerika, vor allem           200 entspricht, wenn man ( w i e üblich) davon aus-
aber eine Zunahme der Nachfrage aufgrund eines           geht, daß durchschnittlich vier bis fünf Personen
starken Bevölkerungswachstums, mit d e m die             in einem Haushalt lebten. In Warmbronn vervier-
landwirtschaftliche Produktion nicht Schritt hal-        fachte sich die Haushaltszahl sogar v o n 14 auf 59.
ten konnte. Exakte Bevölkerungszahlen liegen             Nicht ganz so groß war die Bevölkerungszunahme
zwar nicht vor, doch ist davon auszugehen, daß die       in Höfingen, wo es 1470 69 Haushalte gab, während
Bevölkerung in Deutschland v o n neun oder zehn          in der Steuerliste v o n 1545 86 Haushalte genannt
Millionen im Jahr 1470 auf 15 bis 17 Millionen im        sind und bei der Haushaltszählung 1598 101, aber
Jahr 1618 anwuchs.                                       auch dort ist demnach immerhin eine Zunahme
Diese Zunahme der Bevölkerung läßt sich auch             v o n beinahe 50 Prozent festzustellen.
für den Leonberger Raum feststellen. Wir haben           Für Eltingen liegen A n g a b e n über die Zahl der
zwar auch hier keine genauen Einwohnerzahlen             Haushalte für das Jahr 1470 nicht vor, da dieser Ort
aus dieser Zeit, sondern nur A n g a b e n über die      damals vorübergehend nicht zum A m t L e o n b e r g
Zahl der Haushalte in den einzelnen Ortschaften,         gehörte. 1491 gab es hier 127 Haushalte, 1545 136
doch lassen sich daraus Rückschlüsse auf die Ein-        und 1598 143.
wohnerzahl ziehen.                                       In L e o n b e r g sind 1470 208 Haushalte nachgewie-
Steuerlisten aus den Jahren 1470 und 1544/45, eine       sen, demnach lebten damals dort ungefähr 900
Herdstättenliste aus d e m Jahr 1525 sowie eine          Personen. 25 Jahre später sind es 218, also auch in
Haushaltszählung v o n 1598 decken das gesamte           L e o n b e r g können wir zunächst ein leichtes A n -
damalige A m t L e o n b e r g ab und sind deshalb die   wachsen der Bevölkerung beobachten. D o c h 1525
Das älteste erhaltene Leonberger Bür-
                                                            gerbuch beginnt mit einer Auflistung
                                                            aller Bürger der Stadt um 1560
                                                            (Transkription der abgebildeten
                                                            Seite siehe Anhang Seite 321).

                                                            Bevölkerungsanstieg nicht unproblematisch. Man
                                                            entschloß sich deshalb, Zuzugsbeschränkungen
                                                            zu erlassen. Ab 1575 wurde das Bürgergeld, das
                                                            Auswärtige zu entrichten hatten, die sich als Bür-
                                                            ger in Leonberg niederlassen wollten, verdoppelt,
                                                            außerdem hatten sie von nun an ein Mindestver-
                                                            mögen von 100 Gulden nachzuweisen. Ferner wur-
                                                            de beschlossen, daß Bürgertöchter, die nach aus-
                                                            wärts heirateten, auf das Leonberger Bürgerrecht
                                                                                 6
                                                            verzichten mußten.
                                                            Diese Maßnahmen scheinen zumindest vorüber-
                                                            gehend erfolgreich gewesen zu sein, denn die Zahl
                                                            der jährlichen Neubürgeraufnahmen ging zu-
                                                            nächst deutlich zurück. Die Zahl der Haushalte
                                                            verringerte sich v o n 243 im Jahre 1568 auf 208 im
bevölkerten nur noch 161 Familien, W i t w e n und          Jahr 1598. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts gab es
ledige Bürger die Stadt, was einem Rückgang v o n           allerdings wieder eine merkliche Zunahme der Be-
26 Prozent gegenüber 1495 entspricht, ein Rück-             völkerung, w i e eine Steuerliste aus dem Jahr 1613
gang, der völlig der allgemeinen Bevölkerungsent-           beweist, in der 286 Haushalte genannt sind, davon
wicklung zuwiderläuft. Der Grund für diesen                 211 Bürger mit Hausbesitz und 75 »hausgenossen«
Rückgang ist wohl in erster L i n i e in einem verhee-      ohne eigenen Hausbesitz.
renden Stadtbrand im Jahr 1498 zu sehen, der 46             Der erhebliche Bevölkerungsrückgang in Leon-
                      4
Häuser vernichtete. N o c h 1553 hieß es, daß nach          berg nach dem Stadtbrand v o n 1498, insbesondere
der »großen verderblichen brunst v i l der vermög-          aber das Stagnieren der Einwohnerzahl gegen En-
lichsten persohnen unnd burger«, die viele Güter            de des 16. Jahrhunderts führten dazu, daß die grö-
in Höfingen, Gerlingen und Ditzingen gehabt hät-            ßeren Dörfer des A m t s w i e Eltingen, Ditzingen,
ten, »auß der statt g e z o g e n « seien und daß 20 Hof-   Gerlingen oder Weilimdorf beinahe die Größe der
stätten in der Stadt noch immer » o n g e b a w t «         Amtsstadt erreichten, ja, so Gerlingen 1598, sogar
       5
lägen.                                                      übertrafen.
Erst in den 1550er Jahren konnten die Einwohner-            Die allgemeine Zunahme der Bevölkerung in der
zahlen der Zeit vor dem Stadtbrand wieder er-               Zeit zwischen 1470 und 1618 hatte ihre Ursache
reicht werden. Dann setzte allerdings ein rapides           w o h l v o r allem in der hohen Geburtenrate. In vie-
Bevölkerungswachstum ein. Angesichts der klei-              len Ehen brachten die Frauen alle anderthalb bis
nen Markung und der mit dem Bürgerrecht ver-                zwei Jahre ein K i n d zur Welt. Der Leonberger
bundenen Leistungen der Stadt w i e der kostenlo-           Barbier und Gastwirt Simon Ackermann hatte v o n
sen Brennholzgabe aus dem Stadtwald oder der                zwei Frauen insgesamt 21 Kinder, sein Mitbürger,
Unterstützung im Fall der N o t war dieser rasche           der Küfer Wendel Bilfinger, v o n zwei Frauen 14
Eine Seite aus der Leonberger
                         Bürgermeisterrechnung (Stadtrechnung)
                               von 1586187 mit Einträgen des von
                              Neubürgern bezahlten Bürgergelds
                                  (Transkription siehe Anhang).

           7
Kinder. In Eltingen wurden im 16. Jahrhundert
                                                8
jährlich bis zu 47 Kinder geboren , das heißt in
jedem dritten Haushalt kam pro Jahr eine Frau
       9
nieder.

                                        1
Not und Tod

Wenn trotz der hohen Geburtenrate im Durch-
schnitt nur zwischen vier und fünf Personen in
einem Haushalt lebten, so lag das daran, daß sehr
viele Kinder bereits bei der Geburt oder in den
ersten Lebensmonaten starben. Es ist davon aus-
zugehen, daß es sich bei einem Drittel bis der
Hälfte aller Todesfälle um Säuglinge und Kinder
handelte und daß nur ungefähr zwei Drittel aller
lebendgeborenen Kinder das zeugungs- bezie-
hungsweise gebärfähige Alter erreichten. A l s
Hauptursachen für die hohe Kindersterblichkeit
gelten Ernährungsmangel, fehlende Hygiene, aber
                                  10
vor allem die P o c k e n . Hatte man das Kindesalter
überstanden, dann hatte man jedoch gute Aussich-                                           14
                                                                   tel der B e v ö l k e r u n g . Besonders tragisch war hier
ten 60 Jahre und älter zu werden. Der Leonberger                   der Fall der Familie des Georg und der Margaretha
Wirt Michel K o c h , gestorben im A p r i l 1612, wurde           Wendel. Mitte August 1596 wurde Anna Wendel,
                                       11
sogar um die 100 Jahre alt.                                        eine Tochter, die als M a g d in Hirschlanden gedient
Den Menschen war der Tod - sei es durch Krank-                     hatte, krank in ihr Elternhaus in der Eltinger
heit oder durch Unfall - allgegenwärtig. A u c h                   Glemsstraße gebracht, wo sie am 26. der Seuche
Mord und Totschlag kamen vor. Großes Aufsehen                      erlag. Wenige Tage darauf wurde das jüngste K i n d
etwa erregte es, als Georg Müller, der Bürgermei-                  der Familie, ein drei Wochen alter Säugling, das
ster v o n Warmbronn, zusammen mit seiner v o n                    nächste Opfer der Pest. Am 9. September mußte
ihm schwangeren Geliebten seine Ehefrau um-                        man die kleine Tochter Christine begraben, am
brachte.       12
                                                                   darauffolgenden Tag einen ihrer Brüder, wieder
Mehrmals wütete die Pest und raffte ganze Fami-                    einen Tag später eine weitere Schwester und am
lien hinweg. Seuchen sind für die Jahre 1572,1576,                 12. September schließlich den Familienvater Ge-
1584 bis 1586, 1594, 1596/97, 1608/09 und 1611/12                  org Wendel, der nach viertägiger Krankheit gestor-
                    13
überliefert. 1596/97 forderte die Pest allein in El-               ben war. I h m folgten noch vier Töchter und drei
tingen 253 Seelen, das bedeutet ungefähr ein Drit-                 Söhne ins Grab. Von der vielköpfigen Familie
Wappenschild von 1571 mit Initialen
                                                                              B. B. (Bastian Berwart) und Hand-
                                                                              werkerzeichen an einem Haus in der
                                                                              Leonberger Schloßgasse. Bastian
                                                                              Berwart war Küfer von Beruf.

                                                                              Ein von Sebastian Mochel 1603 an
                                                                              seinem Haus in der ehemaligen Le-
                                                                              onberger Kirchgasse (heute: Bei der
                                                                              Stadtkirche) angebrachter Spruch
                                                                              blieb beim Stadtbrand von 1895 er-
                                                                              halten und ziert jetzt das an gleicher
                                                                              Stelle errichtete Gebäude.

Wendel überlebten nur die Ehefrau und der Sohn              khümerlicher theurung« und großer Kälte reichte
Johannes. N o c h im September griff die Pest auf           man den Kindern armer Leute in Leonberg in den
andere Häuser über. Bald reichte der Platz auf d e m        Wintermonaten 1589/90 und 1592/93 zweimal am
                                                                                             20
um die Kirche gelegenen Friedhof nicht mehr aus,            Tag kostenlos einen B r e i .
um die Toten aufzunehmen, und es mußte ein
neuer Friedhof (der heute noch bestehende) v o r
dem Ort angelegt werden.                                    Blüte   der   Landwirtschaft
Auch in Leonberg wurde im übrigen w o h l gegen
Ende des 16. Jahrhunderts ein neuer Friedhof au-            Dennoch, die Zeit zwischen 1470 und 1618 war
ßerhalb der Stadt angelegt (der heutige A l t e             trotz Seuchen und Hungersnöten auch die Zeit
Friedhof).                                                  einer gewissen wirtschaftlichen Blüte. Die Land-
Seuchen traten häufig in Verbindung mit Hun-                wirtschaft, aber auch Handel und Gewerbe nah-
gersnöten auf. Deren Ursache waren Mißernten,               men einen allgemeinen Aufschwung, so daß man
die Lebensmittelteuerungen zur F o l g e hatten. Für        für die Jahre vor dem Dreißigjährigen Krieg sogar
viele, deren Landwirtschaft nicht ausreichte, um            v o n Wohlstand sprechen kann. Dieser Wohlstand
den Eigenbedarf zu decken (in L e o n b e r g zu Be-        fand seinen Niederschlag in einer regen Bautätig-
ginn des 17. Jahrhunderts z w e i Drittel der B e v ö l -   keit, v o n der noch heute manches Gebäude und
        15
kerung ), war dann das tägliche Brot uner-                  manche Bauinschrift in Leonberg und in den
                                                                                        21
schwinglich und die Familie mußte hungern.                  Nachbardörfern zeugen.
Eine besonders große Hungersnot herrschte z w i -           Da freilich zwischen 1470 und 1618 die Preise für
schen 1571 und 1574, als mehrere hintereinander-            landwirtschaftliche Erzeugnisse bedeutend stär-
folgende Mißernten in beinahe ganz Europa eine              ker stiegen als die L ö h n e oder gar die Preise für
Hungerkrise auslösten. A u s anderen Gegenden               gewerbliche Erzeugnisse, kam der wirtschaftliche
Deutschlands erfahren wir, daß die Leute Rüben,             Aufschwung vor allem denjenigen zugute, die
Nesseln, Kraut und Gras gegessen hätten oder das            landwirtschaftliche Produkte verkauften. Dies
                           16
Laub v o n den B ä u m e n . In L e o n b e r g wurde im    waren die Adelsfamilien w i e etwa die Truchsessen
Winter 1573/74 den A r m e n kostenlos Hafer ausge-         v o n Höfingen, die A b g a b e n von den Bauern erhiel-
        17
g e b e n . Eine neue Hungersnot kam in den 1580er          ten, dies waren die reichen Kaufleute in den Städ-
Jahren. Manche sahen sich in jenen Jahren sogar             ten, w i e etwa die Familie Dreher in Leonberg, die
gezwungen, das ihnen v o n der Stadt zugeteilte             mit Wein, Getreide und Wolle handelte, Getreide-
Brennholz zu verkaufen, um über die Runden zu               abgaben v o n zwei Höfen in Höfingen erhielt und
             18
k o m m e n . Was das in einem kalten Winter bedeu-         eine ausgedehnte eigene Landwirtschaft betrieb,
tete, braucht nicht näher ausgeführt zu werden. Im          die auch das Hofgut Mauer bei Münchingen um-
Mai 1586 mußte ein Leonberger Dachdecker bei                faßte, und dies waren die großen Grundbesitzer
der Stadt »flehenlich« um Unterstützung bitten,             und Bauern w i e etwa die Besserer in Leonberg, die
»das er mit w e i b unnd khinder nit ongeeßen               Wolfangel in Eltingen oder die Dolmetsch in Hö-
                    1 9
schlaffen m ü e ß « . Wegen »beschwerlicher, be-            fingen, die über den Eigenbedarf hinaus Über-
Die 1968 abgebrochene alte Leonberger
                    Kelter, erbaut um 1600. Heute steht
                       an dieser Stelle das Finanzamt.

schüsse produzierten. Diejenigen Handwerker
und Tagelöhner, die sich ihre Nahrungsmittel
überwiegend oder sogar ganz auf dem Markt kau-
                                    22
fen mußten, verarmten d a g e g e n .                     gewesen seien. 1617 schließlich baten Gebershei-
Die Leonberger Gegend galt als fruchtbar. Der             mer Bürger den Herzog, 5 M o r g e n (1,6 ha) Egarten
Humanist Johannes Tethinger rühmte 1545 ihren             am H u m m e l b e r g in Weingärten umwandeln zu
Reichtum: Leonberg selbst sei zwar nicht sehr             dürfen.  28

groß, aber es gebe große und stattliche Dörfer,           Der Weinbau brachte Wohlstand. D i e meisten Orte
vermögend und bevölkerungsreich, in ganz Würt-            in Württemberg, die aufgrund des hohen Durch-
temberg sei kein Landstrich reicher an Vieh, K o r n      schnittsvermögens ihrer Einwohner als wohlha-
           23
und Wein.                                                 bend zu bezeichnen sind, lagen in Weinbaugebie-
Die Bevölkerungszunahme hatte ebenso w i e die            ten. V i e l e L e o n b e r g e r Bürger besaßen einen eige-
steigenden Agrarpreise eine Ausweitung der land-          nen Weinberg, 1528 waren es 108 v o n 174. Bei der
wirtschaftlichen Nutzfläche zur Folge. A l l e i n die    Hälfte v o n ihnen war der Weinbergbesitz damals
von Leonberger Bürgern bebaute landwirtschaft-            allerdings kleiner als ein M o r g e n (30 A r ) , der größ-
liche Fläche nahm zwischen 1528 und 1575 um               te Weinbergbesitzer konnte auf knapp drei Hektar
                     24
über 80 Hektar z u . Diese Zunahme ist vor allem          Reben anbauen. Ähnliches läßt sich auch v o n den
auf das Anwachsen der Weinbaufläche zurückzu-             Dörfern vermuten, o b w o h l aus dieser Zeit nur für
führen, die sich in dem genannten Zeitraum v o n 55       Gebersheim genauere Unterlagen überliefert sind.
Hektar auf 92 Hektar beinahe verdoppelte. Der             Dort hatten einem Steuerbuch aus der zweiten
Anteil der Weingärten an der gesamten landwirt-           Hälfte des 16. Jahrhunderts zufolge v o n 50 Haus-
schaftlichen Nutzfläche stieg damit in L e o n b e r g    halten 34 eigene Weinberge. Nur bei vier Haushal-
von 10 Prozent im Jahr 1528 auf 16 Prozent im Jahr        ten jedoch betrug die Weinbaufläche einen Mor-
                                                                             29
1575.                                                     gen oder mehr.
In den Leonberger Nachbarorten bemühte man                A u c h die Ackerflächen wurden, wenn wir die
sich ebenfalls eifrig, neue Weinberge zu erschlie-        Leonberger Verhältnisse verallgemeinern dürfen,
ßen. 1566 genehmigte Herzog Christoph eine Bitte          ausgeweitet, jedoch bei w e i t e m nicht in dem Maß
des »flecken Ölungen v o n w e g e n usreittung 26        w i e die Weinbauflächen. Angesichts relativ gerin-
morgen (8 Hektar) egarten (brachliegender Wein-           ger Erträge und teilweise hoher grundherrlicher
gärten), so sie zue Weingarten machen w ö l t e n « ,     Abgaben, die bis zur Hälfte der Ernte betragen
weil »solche usreittung dem gemeinen man zu gut-          konnten, diente der Ackerbau überwiegend der
                   2 5
ten komen m a g « ; in Wärmbronn wurden zwi-              Eigenversorgung. 1583 stellten die Leonberger
schen 1553 und 1574 zwei Weingartenhalden v o n           fest, es gebe bei ihnen nur » e i n sehr kleinen
                                     26
insgesamt 12 Hektar neu angelegt , und in Höfin-          ackherbaw unnd fruchtwachs, dergestallt über
gen rodete man 1573 5V4 Morgen (1,7 Hektar). Das          vier bey unns, die ihre fruchten nit all selbs zuo
Höfinger Fleckenbuch v o n 1593 nennt 73 Weingär-         ihrem haußbrauch uffwenden unnd zuverkhauf-
ten, die vor 18 Jahren noch Wüste und Egarten             fen haben, nit s e y e n « , deshalb stünden »narung
In das von Norden gesehene Ortsbüd
                                                         von EUingen („Ölttingen") in der
                                                         Forstkarte des Andreas Kieser von
                                                         1681 ist, rechts im Bild, auch der
                                                         große Eltinger Schafhof aufgenommen.

unnd hinbringen uff dem weinwachs fürnem-                Handel und Gewerbe
      30
lich«.
A u f den Feldern wurden die traditionellen Getrei-      D e m Austausch der ländlichen Produkte dienten
dearten Dinkel, R o g g e n und Hafer angebaut, gele-    die Wochenmärkte in Leonberg, die jeweils mitt-
gentlich auch Weizen und Gerste. G e g e n 1600          wochs stattfanden. Dagegen wurden auf den städ-
scheinen, dies legen zumindest die erhaltenen Ge-        tischen Jahrmärkten vor allem gewerbliche Pro-
                                31
bersheimer Nachlaßinventare nahe, in verstärk-           dukte feilgeboten. Im Gegensatz zu den benach-
tem Maße auch Hanffelder angelegt w o r d e n zu         barten Städten, wo bis zu vier Jahrmärkte (so in
sein. Für die Ernährung der Bevölkerung waren            Calw und Markgröningen) abgehalten wurden, be-
ferner das in den Gärten gezogene Kraut sowie die        saß L e o n b e r g nur einen einzigen Jahrmarkt. Die-
Erbsen wichtig. Häufig werden in den Gebershei-          ser fand in der R e g e l an Mariae Geburt, dem 8. Sep-
mer Nachlaßinventaren auch »Obstschnitz«, also           tember, statt, wurde gelegentlich aber auch auf
getrocknete Birnen und Ä p f e l , unter den Vorräten    einen Termin kurz nach Matthäi (21. September)
erwähnt.                                                 verschoben, wenn er nicht w e g e n einer gerade
An Tieren wurden Pferde, Kühe, Schweine, Scha-           grassierenden Seuche oder aus anderen Gründen
fe und Geißen sowie Geflügel gehalten. Der     32
                                                         ganz ausfiel. Über das Warenangebot liegen nur
Schafhaltung kam eine große Bedeutung zu. D i e          spärliche Informationen vor, gewisse Schlüsse las-
Schafe dienten vornehmlich der Wöllgewinnung,            sen sich daraus ziehen, w e r alles Standgeld zu
                                     33
wurden jedoch auch g e m o l k e n . D i e Pferchnut-    bezahlen hatte. Nach dem städtischen Eidbuch
zung, das heißt das Einpferchen einer Schafherde         aus der zweiten Hälfe des 16. Jahrhunderts waren
auf einem A c k e r über Nacht, war angesichts eines     dies Eisen- und Gewürzkrämer, gemeine Krämer,
allgemeinen Düngermangels wichtig für die Dün-           Schuhmacher, Ledergerber sowie Händler, die
gung der Äcker. A l s man gemäß der Landesord-           Geschirr und K ü b e l verkauften. 1630 boten nach
nung von 1552 in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-        Ausweis einer Standgeldliste Angehörige folgen-
hunderts Höchstzahlen ermittelte, w i e viele Scha-      der Berufe Waren feil: gemeine Krämer, Eisenkrä-
fe von den einzelnen Gemeinden auf ihrer Weide           mer, Gewürzkrämer, Puppenkrämer, Weißgerber,
gehalten werden könnten, ging man für Eltingen           Rotgerber, Kürschner, Schuhmacher, Gürtler,
von maximal 650 Schafen aus, für L e o n b e r g v o n   Säckler, Hafner, Kubier, Wannen- oder Siebma-
550, für Höfingen v o n 400 und für Gebersheim v o n     cher, Dreher, Löffelmacher, Spengler, Buchhänd-
250, während Warmbronn keine Schafe w e i d e n          ler, Schlosser, Waffenschmiede, Schaufelschmie-
               34
lassen durfte. Der in seinen Ausmaßen beein-             de, Messerschmiede, Zinngießer, Kupferschmie-
druckende Eltinger Schafhof im Westen des Dor-           de, Hutmacher, Barchetträger, Weber und Tuch-
fes ist deutlich auf den Kieserschen Ortsansichten       macher. Einzelne Wanderhändler kamen sogar aus
aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu           Savoyen und den Niederlanden. Ein Schweine-
sehen. 35
                                                         markt war v o m übrigen Marktgeschehen getrennt.
                                                         Dort wurden w o h l auch Ochsen und Kühe gehan-
                                                              36
                                                         delt.
An der 1514-1519 erbauten Kirche in Schwaigern befin-
                det sich eine Inschrift mit Namen und Meisterzeichen
                des Erbauers, des aus Leonberg stammenden Steinmet-
                                                          zen und Bild-
                                                          hauers Bern-
Allein schon w e g e n des Marktes war das Hand- hard Sporer.
                                              37
werk in der Stadt, in Leonberg, konzentriert. A u f
den Dörfern gab es zunächst lediglich die typi-
schen Dorfhandwerker w i e Schmiede, Zimmer-
leute oder Schuhmacher. Dagegen machten in
Leonberg die Handwerkerhaushalte knapp zwei
Fünftel der Gesamthaushalte aus. Allerdings
schrieben die Leonberger 1583, daß »hanndtie-
                                                          Grabstein
rungs- unnd handtwerckhsleuth biß daher zu ge- des 1564
ringem uffgang khomen seyen, dann ob sie w o l l - verstorbenen
was doch fürnemlich allein inns ambt - ann wha- Leonberger
                                                          Steinmetzen
ren unnd arbeitten vertreiben, geschieht es doch Martin Berwart
gemeinglich uff borg. Nachgeendts müessen sie in Brackenheim.
wein unnd anders an der bezahlung nemmen, den
wein aber fürtter ein jar ettlich mit grossen costen, nennen sind in diesem Zusammenhang die Stein-
bis sie dessen wider ehnwerden, ihnen selbs be- metzen Bernhard Sporer, Jeremias Schwartz und
hallten, dannenhero abermall dem stettlin ein Peter Pfänder sowie aus der Familie Berwart Sil-
                                 38
mercklicher abbruch entsteht.«                                                                      39
                                                         vester, Endris, Blasius und Martin B e r w a r t .
Die dominierende R o l l e des Weinbaus zeigt sich Erste Nachrichten über eine Organisation der
auch in der Struktur des städtischen Handwerks: Handwerker in L e o n b e r g liegen aus der zweiten
1568 gab es unter den 244 Leonberger Steuerhaus- Hälfte des 15. Jahrhunderts mit der Gründung
halten allein z w ö l f Küfer. Daneben finden wir einer religiösen Bruderschaft der Bäcker vor, die
neun Schneider, acht Weber, sieben Schreiner, je jedoch auch andere Mitglieder aufnahm. Im 16.
sechs Bäcker und Schuhmacher, fünf Maurer, je Jahrhundert sind (offensichtlich ortsübergreifen-
vier Schmiede und Metzger, drei Steinmetzen, drei de) Zünfte der Schneider, Schuhmacher, Weber,
Glaser, je zwei Hafner, Seiler, Dachdecker, Sattler, Schmiede, Wagner und Maurer genannt.
Scherer, Schlosser und Wagner. Je einmal vertre- Das städtische Handwerk hatte mit einer zuneh-
ten waren die Handwerksberufe eines Drehers, menden Konkurrenz der dörflichen Handwerker,
Färbers, Gipsers, Goldschmieds, Hutmachers, insbesondere der Landweber, zu kämpfen, o b w o h l
Zinngießers, Kürschners, Kupferschmieds, Mes- die Obrigkeit versuchte, durch Verordnungen das
serschmieds, Zieglers und Zimmermanns.                   G e w e r b e auf den Dörfern einzudämmen. So wur-
Ein für den Export bestimmter Wären arbeitendes de vorgeschrieben, daß Metzger sich in den Dör-
Handwerk, w i e es uns etwa in Calw oder Wildberg fern nur mit Genehmigung der Amtsstadt nieder-
in dieser Zeit begegnet, wo 1591 70 beziehungswei- lassen durften, Metzger in Dörfern, » w o v o n alter
se 72 Engelsaitweber belegt sind, gab es in L e o n - kein Metzger gehalten«, sollten abgeschafft wer-
berg nicht. Lediglich dem Steinmetzenhandwerk d e n . Dennoch waren zum Beispiel 1579 Metzger
                                                           40

kam eine gewisse überregionale Bedeutung zu. Zu in Ditzingen, Gerlingen, Heimerdingen, Heims-
heim, Mönsheim, Renningen und Rutesheim an-                           Verhältnis zwischen Meister und Gesellen nie!
sässig, bis zum Ende des Jahrhunderts kamen                           der Fall war. Damit war das Verlagswesen ein«
noch Metzger in Weilimdorf und H e m m i n g e n da-                  der entscheidenden Elemente bei der Herausbi
                                                                                                            45
zu. A l l e bedeutenden Amtsorte mit Ausnahme der                     dung des modernen Kapitalismus. Hinweise ai
L e o n b e r g unmittelbar benachbarten Dörfer hat-                  eine Ausbreitung des Verlagswesens im Leonbe
                                 41
ten also eigene M e t z g e r . M i t anderen Verordnun-              ger Raum konnten für die Zeit vor dem Dreißigjäl
gen wollte man die Verkaufsmöglichkeiten der                          rigen K r i e g allerdings nicht ermittelt werden.
Dorfhandwerker einschränken und das städtische                        Die meisten Handwerker, auch die in der Stad
Marktmonopol stärken. So wurde etwa den Dör-                          betrieben zusätzlich zu ihrem Gewerbe Landwir
fern, » s o nit eigen wochenmarckt v o n alter gehabt                 schaft, hatten zumindest einen Weinberg oder Ga:
oder sonst sondere freiheiten hatten«, verboten,                      ten. Angesichts der steigenden Agrarpreise, m
»furohin die wullin Tuch, Barchat und Gewürtz                         denen die Preise für ihre Gewerbeerzeugniss
feil zu h a b e n « , und Webermeister durften in den                 nicht Schritt hielten, waren viele interessier
                                                                                                     46
Dörfern ihre Tuche erst verkaufen, nachdem sie in                     Grundbesitz zu e r w e r b e n . Manche Handwerke
L e o n b e r g »besichtigt und v e r s i g e l t « w o r d e n wa-   gerade die wohlhabenden, machten auch Handel!
     42
r e n . Von Verstößen gegen diese landesherrlichen                    geschäfte. Die Metzger handelten mit Vieh, di
Verbote in Ditzingen und Gerlingen, wo sogar ein                      Bäcker mit Getreide und Mehl. Weit verbreitet Wc
Niederländer Tuche zum Verkauf anbot, ist j e d o c h                 auch der Weinhandel.
                   43
1581 die R e d e .                                                    Der Wein war im 16. Jahrhundert der wichtigst
D i e Handwerker waren als selbständige Meister                       Ausfuhrartikel des Herzogtums Württemberg
für die Beschaffung ihrer Rohstoffe und den A b -                     Neckarwein, w i e der Württemberger Wein in de
satz ihrer Fertigprodukte selbst verantwortlich.                      Sprache der Zeitgenossen hieß, wurde bis nac
G e g e n Ende des 16. Jahrhunderts begann sich                       Österreich, Norddeutschland und in die Niedei
                                                                                         47
auch in Württemberg, genauer bei den Webern in                        lande exportiert. D o c h L e o n b e r g mußte 1583 au
den Städten Calw und Wildberg sowie in den Dör-                       d e m Landtag vorbringen, aufgrund der schlechte]
fern des nördlichen Schwarzwaldes und des Obe-                        Verkehrslage »haben wir zu unnsern weinen kei
ren Gäus, eine andere, eine frühkapitalistische                       nen anndern vertrieb, dann was beim zapffen uss
Form des Gewerbes durchzusetzen: das Verlags-                         geschenkht und bißweylen v o n württen im Hei
wesen. Die Weber arbeiteten nunmehr für Calwer                        renberger und Böblinger ambt unnd mherer theil
                                                                                                   4 8
Handelsherren, die als » V e r l e g e r « für den überre-            uff borg abgeholt w ü r d t « . Tatsächlich sind in dei
                                      44
gionalen Vertrieb sorgten. Häufig bezogen die                         Quellen Geschäfte Leonberger Weinhändler mi
Weber über den Verleger auch die Rohstoffe, das                       Abnehmern in Eltingen, Gerlingen, Sindelfinger
heißt die Wolle. Mit d e m Verlagswesen wurden                        Holzgerlingen, Hildrizhausen, Weil im Schön
erstmals in größerem Umfang Produktion und A b -                      buch, Aidlingen und Magstadt genannt, alles Orti
satz getrennt. Der Handwerker, der für einen Ver-                     in den Ä m t e r n Leonberg, Böblingen und Herren
leger arbeitete, wurde v o n diesem in einem Grade                    berg. Leonberger Wein wurde aber auch über di<
wirtschaftlich abhängig, w i e das bisher etwa beim                   Weinhandelsplätze U l m , Augsburg und Münchei
Der Wappenstein mit den drei würt-
                                                tembergischen Hirschstangen am
                                            Oberen Tor in Leonberg zeigte jedem
                                                  Eintretenden an, wem die Stadt
                                           gehörte (siehe Text Seite 92). Von 1519
                                             bis 1534 war der Wappenstein zuge-
                                                   mauert (siehe Seite 109). Heute
                                                  befindet er sich im Vorraum des
                                                                  Alten Rathauses.

                                      49
außerhalb des Landes exportiert. Eine relativ
wichtige Rolle spielte L e o n b e r g für Weinimporte,
es gehörte zu den württembergischen Städten, »us
denen die meiste wein über Rhein und us d e m
                                      50
Elsass ins land gebracht« w u r d e n .
Neben dem Weinhandel ist der Schaf- und Woll-
handel zu erwähnen, der v o n der Leonberger Kauf-
manns- und Beamtenfamilie Dreher betrieben
wurde. Die Schafe gingen an Schäfer im A m t L e -
onberg, im Zabergäu und im Kraichgau. D i e Schä-            ten, bestand. Landsknechte waren gesuchte Spe-
fer bezahlten nur in den wenigsten Fällen in bar,            zialisten, die entsprechend gut bezahlt wurden.
sondern gaben Wolle in Zahlung, die an die Weber             D i e Verdienstmöglichkeiten erhöhten sich für
in den benachbarten Städten, v o r allem in Calw             denjenigen, der zum Söldnerführer aufstieg. Söld-
                                                   51
und Wildberg, weiterverkauft w u r d e .         Dieser      nerführer waren nämlich nicht nur militärische
Schaf- und Wollhandel funktionierte also offen-              Befehlshaber, sondern besorgten als Unternehmer
sichtlich ähnlich w i e das Verlagswesen im gewerb-          in Sachen K r i e g für ihre Auftraggeber auch die
lichen Bereich. Der Schäfer verkaufte seine Wolle            Werbung und die Aufstellung der Truppen. Sie
nicht direkt an die Weber, sondern war, o b w o h l          waren häufig an den Waffenlieferungen für die
nach außen hin selbständig, v o n einem »Unterneh-           Knechte beteiligt, ja sie ermöglichten oft durch
m e r « abhängig, der ihm die Schafe stellte und die         Kredite ihren Auftraggebern erst die Aufstellung
Wolle abnahm. Damit zeigen sich hier erste »kapi-            v o n Truppen. Ein solcher Söldnerführer war Hein-
talistische« Ansätze auch bei der Agrarproduk-               rich Kepler, der Vater des Astronomen, der 1590
tion.                                                        als Hauptmann umkam.
                                                             So hatte man als Söldner durchaus die Möglichkeit
                                                             zu gewinnen, ja viel zu gewinnen, doch man konn-
Kriegsdienst   als   Erwerbsmöglichkeit                      te auch verlieren: Seuchen, Gefangennahme, Ver-
                                                             krüppelung oder der T o d drohten auf j e d e m Feld-
Nach Landwirtschaft, Handel und G e w e r b e muß            zug. Dennoch fanden sich, auch im Leonberger
zum Schluß noch ein letzter Wirtschaftszweig er-             Raum, immer wieder Männer aus allen Schichten,
wähnt werden, der im 16. Jahrhundert zu einer                die sich als Söldner anwerben ließen. Zu verlok-
                                              52
gewissen Blüte kam: der Kriegsdienst. Das Auf-               kend war die Aussicht auf das schnelle Geld, zu
kommen der Feuerwaffen und die zunehmende                    groß die Abenteuerlust v o n vielen, die - w i e es 1583
Bedeutung des Fußvolks gegenüber der Reiterei                über einen Heimerdinger hieß - »täglichs wa
hatten die Kriegführung verändert und ein »neues             kriegsgeschray vorhannden hinaußzuziehen ge-
                                                                              53
Heerwesen« gebracht. Rückgrat der Heere war                  sinnet« w a r e n .
nun nicht mehr die Reiterei, sondern die Fußtrup-
pe, die aus Landsknechten, also aus Berufssolda-
Verfassung und Verwaltung                                  berger lokalhistorischen Forschung war es lange
                                                           Zeit umstritten, ob die Marktbrunnenfigur den da-
                                                           mals regierenden Herzog Christoph von Württem-
                                                                                  3
                                                           berg darstellen sollte oder nur einen Herold, einen
                                                                                      4
Landesherrliches    Regiment                               Wappner des H e r z o g s . Für die letztere Deutung
                                                           spricht, daß in den Stadtrechnungen die Markt-
Den Fremden, die nach L e o n b e r g kamen, etwa um       brunnenfigur tatsächlich als » w ä p n e r « bezeichnet
                                                                 5
den Markt zu besuchen, wurde gleich beim Betre-            w i r d . Zu beachten ist aber, daß für den mittelalter-
ten der Stadt durch Wappen über den Toren ange-            lichen und frühneuzeitlichen Menschen viele Din-
zeigt, daß die Stadt d e m Grafen beziehungsweise          ge auch S y m b o l e waren. So ist die Marktbrunnen-
(seit 1495) dem Herzog v o n Württemberg gehörte.          figur eben nicht nur ein schlichter Wappner, son-
Der Wappenstein mit den drei württembergischen             dern zugleich S y m b o l des Landesherrn, Symbol
Hirschstangen, der das Obere Tor zierte, ist bis           der Herrschaft des Herzogs v o n Württemberg über
heute erhalten, und aus d e m Jahr 1486 ist überlie-       die Stadt Leonberg. Jedoch stellt die Figur nicht
fert, daß man an einen Torturm das gräfliche und           einen bestimmten Herzog dar, sondern symboli-
städtische Wappen malen ließ.     1
                                                           siert idealtypisch den Herzog schlechthin als Inha-
Das Wappen des Landesherrn findet sich zusam-              ber der landesherrlichen Gewalt. Die Herrscherge-
men mit dem Stadtwappen auch auf d e m Schild              walt ist bildlich durch das Zepter ausgedrückt, das
der 1566 auf Kosten der Stadt errichteten Markt-           die Figur in der Rechten hält, während die Ordens-
brunnenfigur. Diese, ein Werk des Tübinger Bild-           kette um den Hals ein Hinweis auf die sozial her-
hauers Leonhard Baumhauer, stellt einen Gehar-             ausgehobene Stellung ist, indem sie die Zugehö-
nischten in voller Rüstung dar, der in der gepan-          rigkeit zu einer jener exklusiven Rittergesellschaf-
zerten rechten Hand ein Zepter hält, während er            ten anzeigt, die dem A d e l , vor allem den Fürsten,
sich mit der Linken auf den Schild stützt. Brun-           vorbehalten waren.
nen, bei denen auf einer Säule die Figur eines             Ein weiteres S y m b o l der landesherrlichen Macht,
Gerüsteten mit dem Wappen des Landesherrn                  S y m b o l der Präsenz des Landesherrn, ist das L e -
oder - bei Reichsstädten - d e m der Stadtgemeinde         onberger Schloß, das Herzog Christoph 1560 bis
beziehungsweise dem des Reiches steht, sind im             1565 an der Stelle der mittelalterlichen Stadtburg
16. Jahrhundert beinahe im gesamten deutschen              errichten ließ. 1609 wurde das Schloß Witwensitz
Sprachraum mit Ausnahme Norddeutschlands er-               der Herzogin Sibylla, der W i t w e Herzog Fried-
richtet worden, unter anderem in den württem-              richs. Damit erhielt L e o n b e r g vorübergehend den
bergischen Städten Wildbad, Balingen, Ebingen,             Glanz einer kleinen Residenz. Sibylla ließ einen
Bietigheim, Wildberg, Rosenfeld und Markgrönin-            überdachten Gang v o m Schloß zur Kirche bauen
gen. Aufgabe all dieser Brunnen war es, dem Volk           und v o n Heinrich Schickhardt einen Pomeran-
inmitten des Marktplatzes, des wirtschaftlichen            zengarten anlegen.
Mittelpunktes der Stadt, deutlich sichtbar vor A u -       Das Leonberger Schloß gehört zu den Renais-
                                        2
gen zu führen, w e r hier der Herr war. In der L e o n -   sanceschlössern, die die württembergischen Her-
Die Leonberger Marktbrunnenfigur
                     von 1566 zeigt einen Wappner als
                         Symbol der landesfürstlichen
                           Herrschaft (Text Seite 92).
                       Die Steinplastik ist eine Kopie.
                               Das Original steht aus
                          konservatorischen Gründen
                           im alten Eltinger Rathaus.

zöge im 16. Jahrhundert in beinahe allen ihren
Amtsstädten planten und größtenteils auch aus-
führen ließen. Diese Schlösser sind - so Hans-
Martin Maurer - » S y m b o l der politischen Samm-
lung des aufstrebenden jungen Staates der Neu-
     6
z e i t « , bildete sich doch in den anderthalb Jahr-
hunderten zwischen 1470 und 1618 der frühmoder-
ne Staat heraus. Aus d e m Konglomerat v o n Graf-
schaften, Herrschaften und Gütern, die dem Gra-
fen von Württemberg gehörten und die allein
durch die Person des Grafen zusammengehalten
wurden, wurde das Land Württemberg, wurde ein
weitgehend geschlossener Territorialstaat.
Mit der Erhebung Württembergs zum Herzogtum
1495 wurden die verschiedenen Teile des Landes -
so der Herzogsbrief - „vereinigt und also sament-
lich zu einem hertzogthumb geordnet", also zu
einer rechtlichen Einheit zusammengefaßt.
Ein im gesamten Herzogtum geltendes, römisch-
rechtlich ausgerichtetes Landrecht, das 1555 unter
Herzog Christoph eingeführt wurde, trat in den
Bereichen des Privatrechts, insbesondere des Erb-
rechts, und der Zivilgerichtsbarkeit an die Stelle        Der Herzog erließ eine Vielzahl v o n Ordnungen
des »alten H e r k o m m e n s « . Herzog Christoph ge-   und Reglementierungen, mit denen im Sinne der
lang es auch, die Maße und Gewichte im Land zu            »guten p o l i c e y « , das heißt eines guten Regiments,
vereinheitlichen. Das bisher im Leonberger Raum           die Verwaltung und das Wirtschaftsleben geregelt
gebräuchliche sogenannte » L e o n b e r g e r M e ß «    wurden, die aber auch den Untertanen Vorschrif-
wurde abgeschafft.                                        ten für ihr sittliches und religiöses L e b e n machten
In Stuttgart entstanden mit dem für die innere            und damit in deren individuelle Lebenssphäre ein-
Verwaltung zuständigen Oberrat, mit dem für Kir-          griffen. So wurden Höchstbeträge für Hochzeits-
chen- und Schulangelegenheiten zuständigen Kir-           und Taufgeschenke vorgeschrieben, das Gotteslä-
chenrat und mit der für das Finanzwesen zuständi-         stern und Zutrinken verboten, Fastnachtsmum-
gen Rentkammer leistungsfähige Zentralbehör-              merei und Maskeraden untersagt, der L u x u s in der
den, in denen studierte Juristen saßen. Einzelne          Kleidung eingeschränkt und festgelegt, bei wel-
Landesherren faßten ihre engsten politischen Räte         chen Anlässen das Tanzen erlaubt beziehungswei-
ebenfalls in einem K o l l e g i u m zusammen, dem        se verboten sein sollte.
Hofrat oder (später) dem Geheimen Rat.                    Damit »ain ordnungliche pollicey erhallten, ge-
mainer nutz gefordert w e r d « , schrieb Herzog Chri-   den Landtagen, wo dem Landesherrn also seine
stoph den Pfarrern des Landes 1558 verbindlich           Bezirksbeamten als Verhandlungspartner gegen-
die Führung v o n Kirchenbüchern vor. Bereits            übersaßen. Seit Anfang des 16. Jahrhunderts wur-
1551, also sieben Jahre bevor der Herzog die Perso-      de das A m t des Vogts zusätzlich aufgewertet, da
nenstandsführung durch die Kirche landesweit             dieser nunmehr auch die Aufgaben des Kellers
                                                                     9
anordnete, hatte der Eltinger Pfarrer Georg Fieß         wahrnahm.
ein Tauf- und Ehebuch angelegt. Fieß hatte diese         Während sich die Amtsbezirke v o n Vogt und Kel-
Einrichtung wohl in einer Reichsstadt (wahr-             ler deckten, hatte der dritte landesherrliche Beam-
scheinlich Straßburg, wo er 1544 als Schüler im          te, der in L e o n b e r g saß, der Forstmeister, einen
Haus eines Diakons gewohnt hatte) gesehen und            bedeutend größeren Sprengel. Ihm oblag nämlich
von dort übernommen. D i e Eltinger Kirchenbü-           die Aufsicht über den Wald und die Jagd im Be-
                                                     7
cher sind damit die ältesten in ganz Württemberg.        reich des sogenannten Leonberger Forsts. Dieser
                                                         war kurz v o r der Mitte des 15. Jahrhunderts gebil-
                                                         det w o r d e n und umfaßte v o m Neckar bis über die
                                                                                                              10
Vogt, Keller, Forstmeister                               Würm das Gebiet zwischen Nesenbach und Enz.
                                                         W i e der Keller war auch der Forstmeister (bis auf
Einheitliche Verwaltungsstrukturen auf der Be-           eine Ausnahme im 16. Jahrhundert) immer nicht-
zirksebene waren bereits im Spätmittelalter mit          adliger Herkunft.
den Ämtern oder Vogteien geschaffen worden, an           Da es keine Trennung zwischen Amts- und Privat-
deren Spitze als Vertreter des Landesherrn jeweils       v e r m ö g e n gab, mußten die Amtsinhaber mit ihrem
ein adliger oder bürgerlicher Vogt stand, der zu-        Privatvermögen für etwaige Verluste bei der
gleich Vorsteher der Amtsstadt war, und in denen         Amtsführung haften können. D i e nichtadligen lan-
jeweils ein (immer nichtadliger) Keller die herr-        desherrlichen Bezirksbeamten stammten deshalb
schaftlichen Einkünfte in Stadt und A m t einzuzie-      aus wenigen wohlhabenden, um nicht zu sagen
hen und zu verwalten hatte.                              reichen Familien, die untereinander verwandt und
Seit dem 14. Jahrhundert ist L e o n b e r g als Sitz    verschwägert waren, den sogenannten Vogtsfami-
eines Vogts genannt. Das A m t L e o n b e r g umfaßte   lien. Eine solche typische Vogtsfamilie war etwa
im 16. Jahrhundert außer der Amtsstadt die Stadt         die in Eltingen und Leonberg begüterte Familie
Heimsheim und die Dörfer Ditzingen, Eltingen,            Schertlin: Aberlin Schertlin, 1470 mit ungefähr
Gebersheim, Gerlingen, Heimerdingen, Höfingen,           6000 Gulden Vermögen bei weitem der reichste
Mönsheim, Münklingen, Renningen, Rutesheim,              Mann Leonbergs, war Keller in Leonberg; von sei-
Warmbronn und Weilimdorf, außerdem die würt-             nen Söhnen waren zwei V ö g t e in Calw beziehungs-
tembergischen Anteile an H e m m i n g e n und           weise Leonberg, ein dritter Schultheiß in Vaihin-
               8
Hirschlanden. Soweit die V ö g t e nichtadlig waren,     gen an der Enz und ein weiterer, Heinrich, der die
waren sie nicht nur landesherrliche Beamte, son-         geistliche Laufbahn eingeschlagen hatte, Speyrer
                                                                         11
dern bis 1629 vertraten sie zusammen mit A b g e -       Weihbischof.
sandten der Amtsstadt ihren Amtsbezirk auch auf          Einen Einschnitt für die Bezirksverwaltung brach-
Herzog Ulrich von Württemberg (1487 - 1550).

                                                              amtenstellen angewiesen, verfügten doch nur die-
                                                              se über den für die Amtsführung notwendigen
                                                              finanziellen Rückhalt und über eine entsprechen-
                                                              de Vorbildung. Ulrich versuchte deshalb die
                                                              Macht der V ö g t e einzuschränken, indem er eine
                                                              Institution ausbaute, die es schon vorher verein-
                                                              zelt gegeben hatte: das A m t des Obervogts. Das
                                                              L e o n b e r g e r Vögtamt wurde nunmehr ständig und
                                                              durchgängig aufgeteilt in einen (in der R e g e l ) adli-
                                                              gen Obervogt und einen bürgerlichen Untervogt.
                                                              Letzterer führte die laufenden Geschäfte, während
                                                              der Obervogt Repräsentativaufgaben wahrnahm,
                                                              zu militärischen und diplomatischen Sonderauf-
                                                              gaben herangezogen wurde und vor allem den Un-
ten die Regierungsjahre Herzog Ulrichs (1498-                 tervogt politisch und überhaupt in seiner Amts-
1550). V i e l e V ö g t e opponierten schon bald g e g e n   führung überwachen sollte, denn die Untervögte
das verschwenderische, autokratische, Recht und               würden, so eine Landesordnung v o n 1536, »zu Zei-
Gesetz mißachtende und unbeherrschte Regiment                 ten durch die finger sehen, diejenen, so inen ge-
des jungen Herzogs, was ihre führenden K ö p f e ,            freündt oder anhengig nit straffen, w i t w e n und
der Cannstatter Vogt Konrad Vaut und die Brüder               weisen bey irem rechten nit handthaben und un-
                                                                                      12
Sebastian und Konrad Breuning, V ö g t e zu Weins-            billich b e s c h w e r e n « .
berg und Tübingen, mit d e m L e b e n bezahlen muß-          Mit der Institutionalisierung des Obervogtamts
ten. Als Ulrich 1519 mitten im Frieden die Reichs-            schuf Herzog Ulrich nicht nur ein Kontrollorgan
stadt Reutlingen überfiel und sie seinem Territo-             für die bürgerlichen V ö g t e , gleichzeitig gelang es
rium angliederte, wurde er v o n den im Schwäbi-              ihm damit, den A d e l , der sich in den Jahrzehnten
schen Bund zusammengeschlossenen benachbar-                   zuvor der württembergischen Landeshoheit hatte
ten Territorialherren und Reichsstädten vertrie-              entziehen können, durch Versorgungsstellen an
ben, sein Herzogtum kam unter österreichische                 sich zu binden, die dieser umgekehrt zur wirt-
Herrschaft. D i e Angehörigen der Vogtsfamilien               schaftlichen und politischen Existenzsicherung
                                                                        13
waren größtenteils Parteigänger der neuen Her-                brauchte.
ren. Viele v o n ihnen verließen deshalb 1534, als            Eine weitere gezielte Maßnahme zur Kontrolle der
Ulrich sein L a n d zurückeroberte, aus A n g s t v o r       bürgerlichen Bezirksbeamten war die personelle
Racheakten des Herzogs das Land. G e g e n diejeni-           Trennung zwischen Untervogt- und Kelleramt, ei-
gen, die blieben, ging Ulrich gleich nach seiner              ne Maßnahme, die nach d e m T o d Herzog Ulrichs
Rückkehr energisch vor. Dennoch blieb der Her-                allerdings wieder rückgängig gemacht w u r d e .     14

zog letztendlich auf die Angehörigen der alten                Im Rahmen der v o n Herzog Ulrich 1534 eingeführ-
Vogtsfamilien bei der Besetzung der Bezirksbe-                ten Reformation wurde das Kirchengut eingezo-
Unten: Der Galgenberg auf dem Längenbühl, Hinrich-
                                                            tungsstätte des Leonberger Hochgerichts (Ausschnitt
                                                            aus der Forstkarte des Andreas Kieser von 1682). Auch
                                                            in den Forstkarten von Georg Gadner aus dem Jahr
                                                            1592 (siehe Buchanfang) ist dieser Platz gekennzeich-
                                                            net. Die dunkle Markierung ist die Straße von Eltin-
                                                            gen nach Renningen. Die Galgen standen nördlich der
                                                            Straße; die Kieserschen Karten sind von Norden her
                                                            gezeichnet, Süden ist deshalb oben.

gen und amtsweise zentral verwaltet. Damit war              peinlichen Urteilsbuch des Stadtgerichts sind im-
zunächst ein Mitglied des Leonberger Stadtge-               merhin 27 Todesurteile überliefert. Die Hinrich-
richts, Simon Weinmann, betraut, später der K e l -         tungsstätte befand sich ursprünglich vor dem Obe-
ler. Ab 1551 wurde diese Aufgabe v o n einem eige-          ren Tor, seit dem 16. Jahrhundert war es der »Gal-
                                                                                               17
nen landesherrlichen Beamten, dem Geistlichen               g e n b e r g « auf dem Längenbühl.
                                15
Verwalter, w a h r g e n o m m e n .                        N e b e n d e m herrschaftlichen Gericht gab es in El-
                                                            tingen ein Gemeindegericht, das schon auf Seite 47
                                                            erwähnte »Birengericht« (Birnengericht). Wie der
Gericht und Rat                                             N a m e sagt, war der Schutz und die Verteilung des
                                                            wilden Obstes seine Hauptaufgabe, aber auch Ver-
Noch im 15. Jahrhundert war es den württem-                 gehen im Zusammenhang mit der Bestellung der
bergischen Landesherren gelungen, eine einheitli-           Ä c k e r und Weingärten wurden v o n ihm geahndet.
che Gerichtsorganisation mit einem geregelten In-           Gebildet wurde es, wenn wir die Zusammenset-
                           16
stanzenzug aufzubauen. Unterste Instanz waren               zung der Renninger und Flachter Birengerichte
die Dorfgerichte, zuständig für die niedere und             auf Eltingen übertragen dürfen, von den Bauern,
zivile Gerichtsbarkeit. G e g e n ihre zivilgerichtli-      die einen Pflug besaßen. Es tagte sonntags vor
chen Entscheidungen waren Appellationen an das              oder nach der Predigt unter freiem Himmel. Von
Leonberger Stadtgericht zulässig, das zugleich              der Obrigkeit wurde diese dorfgenossenschaftli-
Erstinstanz für die Stadtbewohner war. Von dort             che Einrichtung nicht gern gesehen, gegen Ende
                                                                                                    18
konnte man an das Tübinger Stadtgericht als                 des 17. Jahrhunderts sogar verboten.
Obergericht und an das Hofgericht in Tübingen als           D i e herrschaftlichen Gerichte waren nicht nur In-
letzte Instanz appellieren. D e m Leonberger Stadt-         stitutionen der Rechtsprechung, sondern auch der
gericht oblag außerdem die niedere Gerichtsbar-
keit in der Stadt, und schließlich übte es die hohe
Gerichtsbarkeit aus, das heißt, v o r ihm wurden die
peinlichen Sachen verhandelt, also solche Strafge-
richtsfälle, in denen es um L e i b und L e b e n für den
Angeklagten ging. In dieser Eigenschaft als Hoch-
gericht umfaßte der Sprengel des Leonberger Ge-
richts zunächst die Stadt L e o n b e r g und die Amts-
dörfer, doch konnte es im 16. Jahrhundert auch die
Heimsheimer Hochgerichtsfälle an sich ziehen
und seine Zuständigkeit außerdem auf das K l o -
steramt Merklingen ausdehnen.
Gegen hochgerichtliche Entscheidungen gab es
keine Berufungsmöglichkeiten, o b w o h l sehr harte
Strafen verhängt wurden. Im ältesten erhaltenen
Das zwischen 1462 und 1482 erbaute
                                                            Alte Rathaus in Leonberg beherrscht
                                                            noch heute den Marktplatz.

                                                            R e g e l auch den Schultheißen oder Vogt stellten,
                                                            gewährleistet.
                                                            Gericht und Rat traten auf den Rathäusern zusam-
                                                            men, die im späten 15. und 16. Jahrhundert allent-
                                                            halben gebaut wurden. Das L e o n b e r g e r Rathaus
                                                            entstand zwischen 1462 und 1482 und löste ein
                                                            älteres »Bürgerhaus« (wohl das heutige Gebäude
                                                            Marktplatz Nr. 3) ab. Um 1580 wurde es durch
                                                            einen Anbau im Renaissancestil erweitert. Es war
                                                            ein multifunktionales Gebäude, besaß es doch ne-
                                                            ben einer großen und kleinen Ratsstube auch ei-
                                                            nen Tanzboden, und im offenen Erdgeschoß hat-
Gemeindeselbstverwaltung. Da sie j e d o c h als ob-        ten die Bäcker und Metzger ihre Verkaufsstände.
rigkeitliche Organe galten, wurden in den Gemein-           Im Renaissanceanbau schließlich befanden sich
den für Angelegenheiten der Selbstverwaltung zu-            zwei A r c h i v g e w ö l b e sowie das »Narrenhäuslein«,
sätzlich Vertreter der » g e m e i n e n « Bürgerschaft     ein Gefängnis, in das Übeltäter zur Sühnung klei-
hinzugezogen, die sich bald zu einem eigenen Gre-           nerer Vergehen für ein, zwei Tage gesteckt wur-
                                                                 21
mium konstituierten, zum Rat oder, so die ur-               d e n . In Eltingen, Gebersheim und H ö l i n g e n wer-
sprüngliche Bezeichnung auf den Dörfern, Zusatz.            den Rathäuser in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
                                                                                22
In Leonberg ist der Rat erstmals 1502 genannt, er           hunderts erwähnt , das Warmbronner allerdings
                                                                                         23
                                         19
bestand dort aus acht M i t g l i e d e r n . In Eltingen   erst im 17. Jahrhundert. Im Höfinger Rathaus
gab es 1514 einen Zusatz, das Gremium „der vier-            wurde auch Schule gehalten, und im Gebershei-
                                                                                                               24
unndzwaintzig", 1617 neben d e m zwölfköpfigen              mer befand sich im Erdgeschoß die K e l t e r .
Gericht einen sechsköpfigen Rat, der in jener Zeit
                                        20
auch für Renningen überliefert ist.
Die Mitglieder v o n Gericht und Rat wurden nicht           Gemeindeämter     und    -dienste
von den Bürgern gewählt, sondern durch kompli-
zierte jährliche Besetzungsverfahren bestimmt.              Für die Gemeindeverwaltung gab es eine Vielzahl
Das Leonberger Verfahren ist überliefert. Danach            v o n Ämtern, deren Inhaber, meistens Mitglieder
wählte der Vogt beim sogenannten Vogtgericht im             des Gerichts oder des Rats j ä h r l i c h bestätigt wer-
September jeweils den ersten Richter, danach der            den mußten. Wichtigstes A m t war dasjenige, das
Vogt und der erste Richter den zweiten Richter,             mit der Führung der Gemeinderechnung betraut
diese drei dann den dritten Richter und so fort, bis        war. Dieses A m t wurde deshalb (soweit sich dies
es zwölf Richter waren. Diese wählten dann den              feststellen läßt) v o n zwei Personen, je einer aus
Rat. Damit war eine Honoratiorenherrschaft weni-            d e m Gericht und d e m Rat, wahrgenommen, die in
ger einflußreicher Familien, die untereinander              der Stadt Bürgermeister genannt wurden, in den
verwandt und verschwägert waren und die in der              Dörfern ursprünglich Heimbürgen, seit dem 16.
Titelblatt der Leonberger Bürgermei-
                                                          sterrechnung (Stadtrechnung) von
                                                          1596/97 mit Nennung der die Rech-
                                                          nung führenden damaligen Bürger-
                                                          meister Claus Koch, Michael Beck
                                                          und Jacob Mochel. Seit 1582 gab es in
                                                          Leonberg drei Bürgermeister.

                                                          dig war (siehe Seite 111). An weiteren Ämtern seien
                                                          die Steuersetzer genannt, welche die Höhe der
                                                          Steuer festlegten, die die einzelnen Bürger zu zah-
                                                          len hatten, und die Untergänger, die bei Grenz-
                                                          streitigkeiten im Ort oder auf dem Feld aufgrund
                                                          eigenen Augenscheins zu entscheiden hatten und
                                                          baupolizeiliche Aufgaben wahrnahmen. In Leon-
                                                          berg, der Stadt, gab es außerdem eine ganze Reihe
                                                          v o n Ämtern, die der Gewerbeaufsicht dienten: die
                                                          Tuchsiegier, die Fleischschätzer, die Brotbeseher
                                                          und die Lederschauer.
                                                          Da es sich bei den Mitgliedern des Gerichts und
                                                          des Rats sowie bei den übrigen Inhabern v o n Ge-
                                                          meindeämtern um ehrenamtliche Funktionsträ-
                                                          ger handelte, konnten diese Ä m t e r nur v o n Leuten
                                                          übernommen werden, die » a b k ö m m l i c h « waren,
                                                          das heißt die über ein gewisses Vermögen ver-
Jahrhundert nach städtischem Vorbild auch Bür-            fügten.
germeister. Die beiden Bürgermeister oder Heim-           Einziger hauptberuflicher Amtsträger auf Ge-
bürgen sollten sich gegenseitig kontrollieren. In         meindeebene war der Stadtschreiber in Leonberg,
der Stadt standen die Bürgermeister nach d e m            der zusammen mit seinen Gehilfen auch die anfal-
Vogt an der Spitze der Ämterhierarchie mit Wei-           lende Schreibarbeit für die Dörfer erledigte. Erst
sungsbefugnis gegenüber den städtischen Be-               1618 wurde dafür eigens ein Amtsschreiber ange-
diensteten. Ihre besondere Stellung k o m m t auch        stellt. Der Stadtschreiber brauchte als einziger in
in der offiziellen Titulatur des Stadtmagistrats          der gemeindlichen Selbstverwaltung eine speziel-
zum Ausdruck, die »Vogt, Bürgermeister, Gericht           le Verwaltungsausbildung und war bei praktisch
und Rat der Stadt L e o n b e r g « lautete. Jedes Jahr   allen wichtigen Vorgängen und Entscheidungen
wählte der Rat einen, seit 1582 zwei Bürgermeister        als Protokollant und Schreiber dabei.
aus dem Kreis der Richter und das Gericht einen           N e b e n den Gemeindeämtern gab es eine Vielzahl
                                                     25
Bürgermeister aus dem Kreis der Ratsmitglieder.           v o n nachgeordneten Gemeindediensten, angefan-
Ein rechnungführendes A m t in der Gemeindever-           gen beim Mesner bis hin zu den Hirten.
waltung war auch das des Heiligenpflegers, das            Im 16. Jahrhundert setzte sich zunehmend die
heißt des Kirchenpflegers, das es in jeder Gemein-        Schriftlichkeit auch in der Gemeindeverwaltung
de gab. In Leonberg gab es zusätzlich den Spital-         durch. D i e bisher mündlich weitergegebenen Ge-
pfleger, der das Vermögen des 1485 gegründeten            meindesatzungen wurden aufgezeichnet, so 1582
Spitals verwaltete, und den Heckenpfleger, der für        in L e o n b e r g in einem Statutenbuch, so 1593 in
eine Stiftung des Priesters Albrecht H e c k zustän-      Höfingen in einem sogenannten Fleckenlager-
26
buch. Auch Eltingen und Warmbronn legten in                   Ein figürliches Grabmal konnten sich nur die Wohlha-
dieser Zeit Fleckenlagerbücher an, die heute j e -             benden leisten, wobei es bei der Darstellung weniger
                                                              auf Ähnlichkeit als auf eine prächtige Ausstattung
doch nicht mehr erhalten sind. D i e Rechnungsfüh-            ankam. Der Leonberger Steinmetz Jeremias Schwartz
rung hatte nun schriftlich zu erfolgen. A u c h in d e m      fertigte das Epitaph des Burkhard Stickel, Obervogt in
zu den »geringsten fleckhen« des A m t s L e o n b e r g      Leonberg von 1592 bis 1613, in der Schorndorfer Stadt-
                                                              kirche (links); an der Leonberger Stadtkirche sind die
zählenden Wärmbronn, wo man noch zu Beginn                    Epitaphien des 1607 verstorbenen Ratsverwandten
der 1580er Jahre nur mit Hölzern abrechnete, soll-            Johann Sebastian Besserer (Mitte) und dessen Vaters,
ten die Rechnungen »hinfüro« schriftlich geführt              des 1593 verstorbenen Bürgermeisters Sebastian
           27                                                 Besserer, (rechts) angebracht.
werden.

                                                              ment Sebastian Besserers, eines der reichsten Bür-
                                                              ger Leonbergs im 16. Jahrhundert, heißt es klipp
Soziale Schichten und Gruppen                                 und klar: »Wurde aber ain khind nit volgen, sonn-
                                                              der one vorwissen unnd rath« der Eltern heiraten,
                                                                                                                       1
                                                              sollte es keinen Anspruch auf eine Mitgift haben.
                                                              Wirtschaftliche Erwägungen spielten auch eine
Haushalt und Familie                                          wichtige Rolle, wenn die W i t w e eines Handwerks-
                                                              meisters einen Gesellen heiratete, um den Betrieb
Kleinste Einheit des sozialen Zusammenlebens                  ihres verstorbenen Mannes weiterzuführen, oder
war die Familie, der Haushalt. Ein eigener Haus-              wenn ein Witwer zur Versorgung der Kinder und
halt wurde begründet durch die Heirat. Soweit die             zur Führung des Haushaltes seine M a g d heiratete.
finanziellen Verhältnisse es zuließen, brachte der            A u f diese Weise konnte es sehr große Altersunter-
Mann ein Pferd, die Frau eine »bereite bettstatt«,            schiede zwischen den Ehepartnern geben.
also ein Bett und Bettzeug, und eine K u h mit in die         Z u m Haushalt gehörte auch das Gesinde, die
Ehe. Wesentliche Faktoren bei der Partnerwahl                 Knechte, M ä g d e , Handwerksgesellen, und zum
waren die Höhe und A r t der Mitgift, die soziale             Haushalt konnten auch Verwandte gehören, etwa
Herkunft des Partners, einfach Fragen w i e : Bringt          Pflegekinder, der Großvater oder die Großmutter.
die Frau eine Kuh mit in die Ehe? L i e g e n die Ä c k e r   Der Haushalt war partriarchalisch organisiert; zu-
der künftigen Frau bei den eigenen? Aus welcher               mindest rechtlich stand ihm, soweit es sich nicht
Familie kommt der Mann? Dabei beanspruchten                   um einen Witwenhaushalt handelte, der Mann vor.
die Eltern natürlich ein Mitspracherecht. Im Testa-           Die Rechtsfähigkeit weiblicher Haushaltsvorstän-
Sie können auch lesen