Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung - 2020 30 Jahre VCÖ-Schriftenreihe Mobilität mit Zukunft
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mobilität mit zukunft Mobilitätsfaktoren Wohnen 2020-04 und Siedlungsentwicklung 2020 30 Jah VCÖ-Sc re hriftenre Mobilitä ihe t mit Zu kunft
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Mobilität mit Zukunft 4/2020 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung 3 Dank Impressum Publikationen des VCÖ dienen der fachlich VCÖ Als Autor zu zitieren: fundierten Aufbereitung beziehungsweise 1050 Wien VCÖ, Wien, Österreich Bräuhausgasse 7-9 Medieninhaber, Herausgeber Diskussion von Themen aus dem B ereich T +43-(0)1-893 26 97 und Verleger: Mobilität, Transport und Verkehr. Die Art der E vcoe@vcoe.at VCÖ, 1050 Wien Behandlung der Inhalte und die erarbeiteten www.vcoe.at ZVR-Zahl 674059554 Ergebnisse müssen nicht mit der M einung der VCÖ (Hrsg.): Titelbild: unterstützenden Institutionen und Personen „Mobilitätsfaktoren Wohnen Manuela Tippl übereinstimmen. und Siedlungsentwicklung“ Layout: VCÖ 2020 VCÖ-Schriftenreihe Druck: „Mobilität mit Z ukunft“ gugler GmbH, Gedankt sei allen, die die Herausgabe dieser 4/2020 Auf der Schön 2 Publikation finanziell unterstützt haben. Wien 2020 3390 Melk ISBN 978-3-903265-07-3 Erstellt durch Beiträge von: • Inhaltliche Mitarbeit • Inhaltliche Inputs • VCÖ-Redaktionsteam Arbeitshuber Gries Stefan Jürgen Weninger Andrea Schäfer Christian Juhasz Andreas Jany Andrea Beyer Hertel Felix Martina Schwendinger Reinwald Michael Florian Rasmussen Drlik Gratzer Ulla Stephanie Christian Franz Furchtlehner Gerald Degros Aglaee Wegener Jürgen Nowak Bittner Sandra Willi Irene Stude Beatrice Kozina Wagenleitner Monsberger Christian Markus Himmelbauer Viktoria Paul Bauer Regner Inserate: Sabine Karl Schwab Graz Köflacher Bahn Zöhrer Eva Edith Infineon Stark Bell Daniel Lampersberger Juliane Rhomberg Bau Paul Siemens Mobility Austria Preßmair Guntram
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Mobilität mit Zukunft 4/2020 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung 5 Vorwort Unsere Art zu wohnen nimmt vorweg, wie wir mobil sind. Selbst auf Energieeffizienz bedachte Haushalte lassen den Mobilitäts- bereich oft ausgeblendet. Und so entstehen ganze Siedlungen auf der „grünen Wiese“, oft sogar in Niedrigenergie- und Passiv-Bauweise. Doch dieses Eigenheim, weitab in der Region, verlangt nach dem Auto als Anbindung an soziale und gesell- schaftliche Einrichtungen. Und die anfangs oft selbst gewählte Auto-Abhängigkeit kann zur Kostenfalle werden. Im Gegensatz dazu ermöglicht die Wohnung im Ortskern oder in verdichteter Bauweise vielfältige, zeitsparende und kostengünstige tägliche Wege zu Fuß, per Fahrrad oder im Öffentlichen Verkehr. Gesetzlich unterstützt wird die Autoorientierung des Wohnens auch innerstädtisch. Der Zwang zur Errichtung von Pkw-Abstell- plätzen leitet sich aus Hitlers Reichsgaragenordnung ab und findet sich noch immer in den Bauordnungen der Bundesländer Österreichs. Diese überkommene Pkw-Orientierung geht inzwischen an der Lebensrealität vieler Menschen vorbei, verteuert Wohnbau enorm und » Die Pkw-Stellplatzverpflichtung braucht dringend den Ersatz durch zeitgemäße Mobilitätskon- verteuert den Wohnbau und ist zepte. Denn der Wunsch nach Auto-Besitz geht gerade mit der nicht mehr zeitgemäß. « Baby-Boomer-Generation in Pension. In Städten wie Wien fahren nicht einmal mehr zehn Prozent der Unter 30-jährigen mit dem Auto zur Arbeit oder Ausbildung. Immer mehr Gemeinden und Städte schaffen Platz auf der Straße und bieten ihren Bürgerinnen und Bürgern Aufenthaltsqualität außerhalb der eigenen vier Wände durch Bäume, Brunnen und freie Flächen vor dem Erdgeschoß für Bank, Tisch und gepflegtes Grün. Politik und Verwaltung sind im Angesicht der Klimakrise dringender denn je gefordert, nachhaltig enkeltauglich wirkende Rahmenbedingungen zu setzen. Baulandwidmungen sind unter die Lupe zu nehmen, die Wohnbauförderung sollte es nur dort geben, wo Wohnraum nahe an einem öffentlichen Verkehrsmit- tel geschaffen wird. Und nicht zuletzt braucht es einen Energie- ausweis, der auch die Mobilität und die Mobilitätskosten mit einbezieht. Wie es gelingen kann qualitätsvolles Wohnen in Kombination mit gesicherter Mobilität zu ermöglichen, zeigt die VCÖ-Publi- kation „Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung“. Willi Nowak VCÖ-Geschäftsführung
Elektrifizierung der GKB: Die Zukunft der öffentlichen Mobilität in der Weststeiermark VCÖ-Magazin – Fundierte Analysen, Interviews und Infografiken zum Thema Arbeitswege auf Klimakurs bringen. Jetzt kostenloses Exemplar downloaden: www.gkb.at www.vcoe.at Illustration: Manuela Tippl Wie Sie den VCÖ unterstützen können Mit Ihren Spenden machen Sie den VCÖ-Einsatz für nachhaltige Mobilität möglich. Mit jeder Spende tragen Sie das VCÖ-Engagement mit. „Unsere Ideen Mit Ihrer Patenschaft ab 150 Euro von heute sind fördern Sie regelmäßig Ihnen wichtige Mobilitätsthemen. Jährlich per Dauer- oder Einziehungsauftrag. die Basis der Mobilität von morgen!“ Mit Ihrer Zukunftspartnerschaft ab 1.500 Euro setzen Sie einen Baustein für eine Mobilität mit Zukunft. Den wichtigen VCÖ-Einsatz großzügig unterstützen. Mit Ihrem zinsenlosen Darlehen helfen Sie dem VCÖ, seine Projekte vorzufinanzieren. Ihr Geld kommt einem wichtigen gemeinnützigen Ziel zugute. Ihre Spende wirkt! Spenden für die VCÖ-Tätigkeit sind steuerlich absetzbar. Online spenden auf www.vcoe.at 05328 Spenden-Konto: Erste Bank, IBAN: AT11 2011 1822 5341 2200, BIC: GIBAATWWXXX
Mobilität mit Zukunft 4/2020 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung 7 Inhaltsverzeichnis Wohnen beeinflusst Klimabilanz der Mobilität stark 8 Kompakte Siedlungsstrukturen als Standard etablieren 13 Klimaverträgliche Flächengestaltung in der Stadt 18 Soziale Zusammenhänge von Wohnen und Mobilität 23 E-Mobilität im Wohnbau benötigt geeignete Infrastruktur 27 Die Mobilitätswende mit veränderten Richtlinien für den Wohnbau unterstützen 30 Fahrrad-Abstellanlagen im Wohnbau als Antrieb für mehr Radverkehr 34 Literatur, Quellen, Anmerkungen 38 VCÖ-Schriftenreihe Mobilität mit Zukunft 40
8 Mobilität mit Zukunft 4/2020 Foto: privat Wohnen beeinflusst Klimabilanz der Mobilität stark Acht von zehn Wegen beginnen oder enden zu Hause. Die Wohnungs- und Siedlungspolitik ist damit ein wichtiger Hebel zum Erreichen der Klimaziele im Verkehr. Gemeinden haben es in der Hand, durch raumplanerische Vorgaben und neue Wohnformen den Verkehr zu reduzieren. Dem Wohnstandort kommt eine besondere Rolle Prozent mit dem Auto mit einem durchschnittli- Bauflächen und Straßen bei der Förderung von umwelt- und klimaverträg- chen Besetzungsgrad von nur 1,15 Personen98 sind für fast drei Viertel licher Mobilität zu, da rund 80 Prozent der Wege zurückgelegt.11 Nur knapp 50 Prozent der des Bodenverbrauchs zu Hause beginnen oder enden.11, 83 Mobile Bevölkerung Österreichs lebt an gut mit öffentli- in Österreich verant- wortlich. Nur durch Menschen in Österreich legen im Schnitt 3,3 chen Verkehrsmitteln versorgten Wohnstandor- kompaktes Bauen kann Wege an einem Werktag zurück. Außer in Wien ten.28 Beispielsweise in der Ostregion Niederös- der Bodenverbrauch reduziert werden. werden in Österreich diese Wege zu über 50 terreich, Wien und Burgenland wohnen zwar etwa 90 Prozent der Pendelnden maximal neun Kilometer vom nächsten Bahnhof entfernt, Jährlicher Bodenverbrauch soll bis zum dennoch benutzen 57 Prozent den Pkw für den Jahr 2030 um 80 Prozent reduziert werden Arbeitsweg.11 Im Jahr 2014 erklärten zwei Drittel aller Arbeitnehmenden in der Ostregion, dass sie Zuwachs des Bodenverbrauchs in Quadratkilometer pro Jahr die Bahn für den Arbeitsweg nutzen könnten, und fast zwei Drittel, nur drei Kilometer vom 26,1 5,3 Baufläche nächsten Bahnhof entfernt zu leben.34 Auch der Motorisierungsgrad ist in vielen Regionen Österreichs nach wie vor sehr hoch. Quelle: Umweltbundesamt 202096, 95 Grafik: VCÖ 2020 Während noch Anfang der 1990er-Jahre die 5,2 1,1 Straße Anzahl der Pkw pro 1.000 Personen in ländlichen Regionen niedriger war als in Städten, ist es heute restlicher umgekehrt. In Wien, Graz und Innsbruck ist der 12,7 2,6 Bodenverbrauch Motorisierungsgrad deutlich niedriger als im österreichischen Durchschnitt. Es ist absehbar, 44,0 km2 9,0 km2 Bodenverbrauch in Österreich dass ohne lenkende Maßnahmen alleine aufgrund Ist Jahr 2019 Ziel Jahr 2030 des Bevölkerungswachstums die Zahl der Autofahrten und damit die Verkehrsbelastungen
Mobilität mit Zukunft 4/2020 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung 9 weiter steigen. Der Verkehrssektor ist für fast ein relevant. Bedarfssysteme wie beispielsweise das Drittel der gesamten Treibhausgas-Emissionen Anrufsammeltaxi ISTmobil sind mögliche Österreichs verantwortlich. Seit dem Jahr 1990 Ansätze für die letzte Meile zu und von Bahnhof sind die CO2-Emissionen des Verkehrs um 75 und Haltestellen.33 Prozent auf über 24 Millionen Tonnen im Jahr 2019 gestiegen.98 Auch wenn vier von zehn Vier Übersiedlungen in einem Leben Pkw-Wegen kürzer sind als fünf Kilometer und Menschen in Österreich übersiedeln durch- sechs von zehn Autofahrten kürzer als zehn schnittlich vier Mal in ihrem Leben.55 Bei jedem Kilometer, ist die Nutzung des Fahrrads außer im Umzug werden Mobilitätsroutinen aufgebrochen. Bundesland Vorarlberg mit 16 Prozent öster- Zum Zeitpunkt des Wohnungswechsels sind reichweit relativ gering.98, 2 Personen besonders empfänglich für Neues. Wo Menschen wohnen und vor allem wie sie wohnen, Hohe Siedlungsdichte führt zu weniger Pkw beeinflusst das tägliche Mobilitätsverhalten. Die Die Siedlungsdichte, die Nutzungsdurchmischung, Ausstattung am Wohnort mit Mobilitätsangebo- das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln im ten ist dabei ein Faktor für Verhaltensänderun- Wohnumfeld sowie Restriktionen bei der Nutzung gen. Die Umfeldqualität ist für das Mobilitätsver- des Pkw spielen neben persönlichen Einstellungen halten der Wohnbevölkerung wesentlich.99 Dafür und Gewohnheiten für die Verkehrsmittelwahl sind generell übergeordnete Planungsinstrumente eine wesentliche Rolle. Je dichter besiedelt der wie Bebauungspläne oder Flächenwidmungen, in Raum ist, desto effektiver können öffentliche welchen Stellplatzverpflichtungen wie Ausgleichs- Verkehrsmittel eingesetzt werden: Gute Intervalle, abgaben festgelegt sind und die auf kommunaler das bedeutet etwa einen Fünf- bis Zehn-Minu- Ebene umgesetzt werden, verantwortlich.40 ten-Takt in urbanen Räumen und einen 30-Minu- ten-Takt in Regionen sowie ein dichtes Netz Teure Infrastruktur und hohe externe Kosten führen auch zu mehr Fahrgästen. Der Landbus durch Zersiedelung Der Flächenverbrauch Bregenzerwald beispielsweise zeigt wie auch in Je nach Wohnstandort fallen unterschiedliche des Verkehrs in Öster- ländlichen Regionen ein sehr gutes öffentliches Kosten für die Nutzenden aber auch für die reich ist seit dem Jahr 1990 um 457 Quadrat- Verkehrsangebot umgesetzt werden kann.64 Allgemeinheit an. Einen Teil der Fahrtkosten wie kilometer gestiegen, Neben Intervallen und dem Ausbaugrad des Tickets für Bus und Bahn im Öffentlichen wobei der Straßenver- kehr 96 Prozent der Ver- Öffentlichen Verkehrs sind auch Zugangswege Verkehr oder Fahrzeugkauf und Fahrzeugbetrieb kehrsfläche in Anspruch vom Wohnstandort zu Bahnhof und Haltestelle zahlen die Nutzenden, der Rest wird durch die nimmt. Verkehr benötigt Flächenverbrauch des Straßenverkehrs zu viel Fläche in Österreich stark gestiegen Sonstige Flächen (Betriebsflächen, Erholung, Schienenverkehrsanlagen Straßenverkehrsanlagen Friedhöfe, Abbauflächen) Bauflächen 2.500 2.075 km2 1.041 1.618 km2 Flächeninanspruchnahme in km² 18 % 2.000 4% 2.613 Quelle: Umweltbundesamt 202096, 95 Grafik: VCÖ 2020 Quelle: Umweltbundesamt 202096, 95 Grafik: VCÖ 2020 46 % 11 % Fläche in km2 1.500 + 28 % 2.075 5.729 = 457 km2 36 % 96 % 1.000 89 % Verkehrsflächen 500 entspricht in etwa 0 der Fläche Wiens Flächeninanspruchnahme in Österreich im Jahr 2019 1990 2019
10 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung Mobilität mit Zukunft 4/2020 maßgeblich zur Flächenversiegelung beiträgt. Beispiele der Mobilitätswende Im Gegensatz zum Pkw-Verkehr ist nachgewie- Verkehrsknotenpunkt Obersteiermark sen, dass Radfahren und Gehen Netto-Gewinne für die Gesamtgesellschaft bringen, da keine Luftschadstoffe und kein Lärm emittiert werden, kaum Unfallkosten entstehen, aktive Mobilität zur Gesundheit beiträgt und die Infrastruktur Foto: VCÖ Irene Bittner kostengünstig errichtet werden kann.69, 7 Ortsentwicklung statt Zersiedelung Da in den meisten Gemeinden Österreichs bei der Siedlungserweiterung immer noch Außen- vor Multimodaler Verkehrsknoten Trofaiach Innenentwicklung praktiziert wird, steigen der Bodenverbrauch und die Nutzung des Pkw Die Stadt Trofaiach ist ein zentraler Verkehrsknotenpunkt in der Obersteiermark weiterhin an.52, b Zersiedelung bedeutet nicht nur und zielt darauf ab, mit multimodalen Verkehrslösungen nicht nur den Öffent- einen verschwenderischen Zugriff auf den Boden, lichen Verkehr in, sondern auch rund um die Gemeinde klimaverträglicher zu sondern fördert auch die Abhängigkeit vom Auto. organisieren. Im Jahr 2017 wurden vor allem Bike-and-Ride sowie Park-and-Ride Da die Infrastrukturkosten mit der Bebauungsdich- Lösungen forciert. Um dieses Angebot zu attraktivieren, fährt vom multimodalen te sinken, können Innenentwicklung und Nachver- dichtungsmaßnahmen ein gutes Mittel sein, Flächen Knoten an der Trofaiacher Hauptstraße im 15-Minuten-Takt ein Solar-Bus nach effizienter zu nutzen. Reihenhäuser und Geschoß- Leoben. Dieser Knotenpunkt bietet neben einem modernen Bus-Terminal auch wohnbauten bedeuten im Gegensatz zum Einfami- überdachte Fahrrad-Abstellplätze sowie Abstellplätze für Pkw inklusive E-Ladesta- lienhaus geringere Infrastrukturkosten für Gemein- tionen. Der Knotenpunkt ist der Anfang eines umfassenderen Verkehrskonzeptes den und damit mehr Spielräume für andere und wird bis zum Jahr 2024 um ein Radroutennetz erweitert werden. Maßnahmen, die der Allgemeinheit dienen. Zielgerichtete Maßnahmen eines Moblitätsmanage- ments und ergänzende Angebote wie Car- oder Öffentliche Hand beigesteuert. Dagegen werden Bikesharing für mehrgeschoßige Wohnbauten die Bereitstellung und die Instandhaltung der helfen, die Abhängigkeit vom Pkw zu reduzieren.74 Infrastruktur im Allgemeinen, Unfallfolgekosten und Umweltkosten in die privaten Kosten nicht Hohe private Kosten für Mobilität eingerechnet, sondern fallen bei der Bevölkerung Nicht nur Gemeinden tragen hohe Mobilitäts- insgesamt und der Öffentlichen Hand als Kosten und Infrastrukturkosten. Die Bevölkerung an. Die Infrastrukturkosten – neben Straßen auch Österreichs gibt etwa 14 Prozent ihres Haus- die Bereitstellung von Leitungen und Wasseran- haltseinkommens für Mobilität aus.91 Damit schlüssen – sind bei weniger dichten Siedlungs- liegen diese Ausgaben nach dem Wohnen mit 23 formen besonders hoch.16 Die sogenannten Prozent des Haushaltseinkommens an zweiter externen Kosten des Verkehrs, wie beispielsweise Stelle. Die Ausgaben sind dabei ganz wesentlich Umwelt- und Gesundheitsschäden, gehen immer durch den Pkw-Besitz geprägt. Es gibt auch einen zu Lasten der Allgemeinheit und damit auch räumlichen Zusammenhang von Mobilitätsausga- künftiger Generationen. Denn der Pkw-Verkehr ben und Gemeindegröße sowie Wohnstandort. erfordert zwar Investitionen in die Infrastruktur So gibt es große Unterschiede zwischen unter- und deren Unterhalt, bringt aber Kommunen schiedlichen sozio-ökonomischen Gruppen und keine unmittelbare Einnahmen wie der Öffentli- Regionen. Auto-Haushalte mit geringerem che Verkehr.69 Gemeinden müssen nicht nur den Einkommen haben prozentuell deutlich höhere größten Anteil aller Straßen in Österreich Ausgaben für Mobilität. Die Steuerung der errichten und erhalten, sondern stellen auch viele, Siedlungsentwicklung in der Nähe von gut meist kostenlose Abstellflächen für Pkw im ausgebauten Infrastrukturen für den Öffentlichen öffentlichen Raum zur Verfügung, was die Verkehr und Radverkehr ist daher die Grundlage Kosten für die Allgemeinheit weiter erhöht und für leistbare Mobilität.38
Mobilität mit Zukunft 4/2020 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung 11 Sozialökologische Steuerreform Volkswirtschaftlich betrachtet sollten Ressourcen Beispiele der Mobilitätswende optimal eingesetzt werden. Externe Kosten und Lebendiges Ortszentrum statt Pkw Nutzen müssten dementsprechend internalisiert werden, das heißt den Verursachenden verrechnet werden. Welchen Gebietskörperschaften die Einnahmen zufließen, könnte über den Finanz- Foto: Fritz Hudribusch ausgleich geregelt werden, Rückflüsse an be- stimmte Gruppen wären über Fördermechanis- men abdeckbar. Wichtig für den effektiven Einsatz von Steuermitteln ist daher der Abbau von Ineffizienzen und mangelnder sozialer sowie ökologischer Treffsicherheit im Förder- und Umgestaltung Bugo-Platz Göfis in Vorarlberg Anreizsystem.38 Dazu zählen die Reform des Die Umgestaltung des zentralen Dorfplatzes, welcher bis dahin vorrangig als Ab- Pendelpauschales und der Wohnbauförderung nach sozialökologischen Kriterien beispielsweise stellplatz für Autos genutzt wurde, startete im Jahr 2014. Mit der Belebung des durch höhere Förderungen für Sanierungen, Ortszentrums wollte die Gemeinde Göfis in Vorarlberg verhindern, dass die Be- Innenentwicklung sowie eine Parkraumbewirt- wohnerinnen und Bewohner das gesellschaftliche Leben nur in den Nachbarge- schaftung. So könnten Rückflüsse über Bundes- meinden stattfinden lassen. So wurde das Ortszentrum zu einem Treffpunkt ohne mittel nach Vorbild der Schweizer Agglomerati- Konsumzwang, an dem ein Miteinander zwischen Jung und Alt, Kulturveranstal- onsprogramme geregelt werden. Kommunen tungen und Märkte stattfinden. Neben dem Bugo-Garten mit Spielplatz befinden erhalten dann ergänzende Fördermittel für sich ein Café und die Bücherei auf dem Platz, der zum Verweilen einlädt. Ziel war Infrastrukturen für Gehen und Radfahren oder Angebote im Öffentlichen Verkehr, wenn deren es den Ortskern bestmöglich zu beleben sowie die soziale und alltägliche Infra- zielgerichtete Wirkungen wie die Verlagerungen struktur in der Gemeinde aufrecht zu erhalten. vom Pkw auf andere Verkehrsmittel nachgewie- sen werden. Mit einer Zweckwidmung der eingenommenen Mittel ließen sich Maßnahmen scher Qualität umgesetzt. Ungelöst bleibt dabei Die Wohnflächen sind zur Steigerung der Angebotsqualität für Gehen, noch die Frage der Pkw-Abstellplätze, da diese in den vergangenen 30 Jahren um über ein Radfahren und Öffentlichen Verkehr – idealer- auch bei Nachverdichtung aufgrund der gesetzli- Drittel größer geworden, weise auf lokaler Ebene – mitfinanzieren oder chen Vorgaben errichtet werden müssen. Bei der die Bauflächen sind fast doppelt so stark Spielräume für gezielte Förderungen von einkom- Wohnbauförderung sollten künftig Nachverdich- gestiegen wie die Bevöl- mensschwachen Haushalten schaffen. tungen und kompaktes Bauen besonders hervor- kerungszahl. Sanierung, Nachnutzung und Nachverdichtung Vor allem in Ballungsräumen ist die Schaffung Flächenverbrauch steigt stärker als von neuem Wohnraum eine große Herausforde- Bevölkerungszahl rung. Städte setzen daher auf Innenentwicklung. Durchschnittliche +37 % Dabei spielt die Mobilisierung von Nachverdich- Wohn-Nutzfläche = 45,3 m² Quelle: Statistik Austria 202092, 86, UBA 202096, Grafik: VCÖ 2020 tungsreserven eine zentrale Rolle. Die Möglich- pro Person in m² +32 % Ausgangsbasis Jahr 1991 keiten der Mobilisierung bestehender Grund- Baufläche in km² stücks- oder Gebäudereserven beinhaltet große +26 % Potenziale, zum Beispiel in Salzburg.68 So Bevölkerung = 2.613 km² könnten in verschiedenen Siedlungsgebieten +18 % zwischen 25 und 80 Prozent zusätzliche Haushal- te durch Nachverdichtung untergebracht werden. +14 % = 8.877.637 Explizit müssen dabei Begrünungspotenziale +7 % Per- inkludiert werden, um Verdichtungsfolgen wie sonen Hitzeinseln hintanzuhalten. So werden geeignete 1991 2011 2019 Maßnahmen der Bepflanzung und architektoni-
12 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung Mobilität mit Zukunft 4/2020 Zahl an Pkw-Abstellplätzen besteht Potenzial. In Beispiele der Mobilitätswende dicht bebauten, urbanen Gebieten, wo das Mobilitätskonzept für Stadterweiterung Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln und Fahrradinfrastruktur sehr gut ist und auch angenommen wird, ist hingegen der Leerstand in Tiefgaragen in den letzten Jahren ein weiteres Problem.a Ober- wie unterirdische Garagenbauten Foto: Heiko Kienleitner tragen wesentlich zur Versiegelung der Grund- stücksflächen bei. Beispielsweise kann ein städti- sches Grundstück oberirdisch zu 40 Prozent mit einem Wohngebäude versiegelt sein. Die dazuge- hörige Tiefgarage hingegen versiegelt die Fläche Stadtteilentwicklung Reininghaus-Gründe in Graz unterirdisch bis zu 90 Prozent.50 Das erschwert das Regenwassermanagement zur Bewässerung Durch die nachhaltige Stadtteilentwicklung auf den Reininghaus-Gründen entsteht der klimatisch wichtigen grünen Infrastrukturen ein neues urbanes Zentrums im Westen von Graz. Auf dem ehemaligen Areal der an der Oberfläche. Maßnahmen zur Förderung Brauerei Reininghaus entsteht seit dem Jahr 2019 ein Stadtteil mit vielfältigen Nut- aktiver Mobilität, des Öffentlichen Verkehrs sowie zungsmöglichkeiten. Der Rahmenplan für diese Stadtteilentwicklung verfolgt neben Sharing-Angeboten können Pkw-Abstellplätze der Schaffung von Wohnraum mit qualitativ hochwertigen Freiflächen und einer gu- ersetzen. Mit Ausnahme von Wien und Vorarlberg reagieren die Bauordnungen und die gesetzlich ten Nachbarschaft insbesondere auch ein zukunftsorientiertes Mobilitätskonzept. verankerte Verpflichtung zur Errichtung von Neben einer optimalen Anbindung an Straßenbahn- und Buslinien gibt es auch Pkw-Abstellplätzen darauf jedoch noch nicht. zwei tim-Knotenpunkte, an denen diverse Sharing-Fahrzeuge zum Verleih angebo- Politisches Umdenken, weg von der gesetzlichen ten werden. Für jede Wohnung wird zudem ein Jahr lang eine Öffi-Karte zur Verfü- Stellplatzverpflichtung hin zu einer Mobilitätsga- gung gestellt. Gleichzeitig wird das Radwegenetz in den nächsten Jahren weiter rantie, ist dringend notwendig. ausgebaut und optimal in das Stadtgefüge eingeflochten. gehoben werden. Das Nachverdichtungsprojekt Friedrich-Inhauser-Straße in der Stadt Salzburg zeigt beispielsweise Potenziale zeilenförmiger Wohnen und Mobilität Wohnbauten mit geringeren Dichten, wie sie zahlreich in den 1960er- bis 1970er-Jahren gemeinsam denken errichtet wurden.26 • Dem Wohnstandort kommt eine besondere Rolle bei der Förderung von umwelt- und klimaver- Wohnen trägt zum Klimaschutz im Verkehr bei träglicher Mobilität zu, da acht von zehn Alltags- Private Haushalte und Verkehr sind für mehr als wegen zu Hause beginnen oder enden. die Hälfte des Energiebedarfs in Österreich • Ein vielfältiges Mobilitätsangebot ist beim Wohn- verantwortlich.10 Die Verkehrsinfrastruktur bau viel stärker zu berücksichtigen. beanspruchte im Jahr 2019 österreichweit bereits • In Österreich ist eine Reform von Pendelpau- 2.075 Quadratkilometer.96 Vor allem in Städten ist schale und Wohnbauförderung nach sozialökolo- der Platz knapp. Zukünftig müssen ein gutes gischen Kriterien überfällig. Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln, eine Reduktion des Flächenverbrauchs und die • Nachverdichtungsmaßnahmen haben großes Schaffung von multimodalen Mobilitätsknoten im Potenzial. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen, Vordergrund stehen. Durch eine effizientere wie Verpflichtungen zur Errichtung von Pkw-Ab- Flächennutzung im Wohnbau mit weniger stellplätzen, sind dabei zu adaptieren. Pkw-Abstellplätzen ergeben sich neue Spielräu- • Österreich braucht treffsichere Förderprogram- me. Bei Nachverdichtungen in Siedlungsgebieten me, die abgestimmte Maßnahmen von Sied- mit geringeren Siedlungsdichten und einer hohen lungs- und Verkehrsentwicklung unterstützen.
Mobilität mit Zukunft 4/2020 13 privat Schoenen Foto: Daniel Kompakte Siedlungsstrukturen als Standard etablieren Ein wesentlicher Grund dafür, dass der Autoverkehr in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen hat, ist die noch immer voranschreitende Zersiedelung. Die Siedlungspolitik verpflichtet nicht zu kompaktem Bauen nahe dem Öffentlichen Verkehr. Umso wichtiger ist es, bundesweit einheitliche Standards in der Raumordnung herzustellen. Der Verkehrsaufwand ist in den vergangenen In Städten werden kürzere durchschnittliche Jahren stark gestiegen. Im Jahr 1995 wurden in Tagesweglängen, beispielsweise in Wien 28 km, Österreich in Schnitt 206 Millionen Personenkilo- als in peripheren Regionen mit rund 41 Kilome- Haushalte in weniger meter pro Tag zurückgelegt, im Jahr 2014 waren ter zurückgelegt. dicht besiedelten Regio- nen besitzen im Durch- es bereits 273 Millionen Personenkilometer und Das Verkehrsaufkommen und damit das schnitt mehr Pkw. Dich- für das Jahr 2019 ist bereits von täglich rund 300 Mobilitätsverhalten hat mit der Siedlungsentwick- te Besiedlungsstrukturen sind ein wichtiger Faktor, Millionen Personenkilometer auszugehen.11 Auch lung und Siedlungsdichte zu tun. Ungünstige um klimaverträglicheren der Modal Split hat sich verändert: Der Pkw war Planung von Siedlungsstrukturen an peripheren Verkehr zu ermöglichen. im Jahr 1995 etwa bei der Hälfte aller Wege das Hauptverkehrsmittel, im Jahr 2014 waren es bereits 57 Prozent und ist seither nicht gesun- Motorisierungsgrad niedriger bei ken.11 Der Autoverkehr hat stark zugenommen. höherer Besiedlungsdichte Die Anzahl der Pkw pro 1.000 Einwohnerinnen Anzahl Pkw pro 1.000 Einwohnenden in Österreich im Jahr 2019 und Einwohner ist von 452 Pkw im Jahr 1995 700 auf 566 Anfang 2020 gestiegen. Grundsätzlich 600 gilt je zentraler der Wohnstandort, umso geringer 500 Quelle: Statistik Austria 202087, 88, 90 Grafik: VCÖ 2020 der Motorisierungsgrad. In dünn besiedelten 667 400 603 585 584 483 Bezirken wie Waidhofen an der Thaya, Zwettl, 300 Horn, Gmünd, Güssing, Jennersdorf, Südoststei- 200 ermark und Hartberg-Fürstenfeld liegt der 100 Motorisierungsgrad bereits bei über 700 Pkw pro 0 1.000 Personen.88 Massiv gestiegen ist die Anzahl 0 0 00 00 00 25 50 2.0 0 0 1. 2. der Zweit- und Drittautos der Haushalte, die sich bis bis bis bis er 0 üb 25 00 0 von rund 706.000 im Jahr 2000 auf rund 1,6 50 1.0 Besiedlungsdichte (Einwohnende pro Quadratkilometer Dauersiedlungsraum) Millionen im Jahr 2018 mehr als verdoppelt hat.
14 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung Mobilität mit Zukunft 4/2020 Städte und Gemeinden in Ballungsräumen sind gut an den Öffentlichen Fast die Hälfte der Gemeinden Österreichs ist unzureichend mit Verkehr angebunden. Vor allem im ländlichen Öffentlichem Verkehr versorgt Raum gibt es oft nur ei- Erschließung mit Öffentlichem Verkehr im Jahr 2019 (ÖV-Güteklassen, ÖROK) Quelle: ÖROK AustriaTech 202056, Hiess 201728, BEV 20206 Grafik: VCÖ 2020 ne Basiserschließung. sehr gut (A, B) gut (C, D) schlecht (E-G, ohne Güteklasse) 46 404 19 46 19 % Anteil Gemeinden 20 in Prozent 954 Anzahl Gemeinden 38 60 29 46 % Anteil Gemeinden 9 738 34 33 42 46 22 35 % 45 15 16 Raumordnung vermeidet Verkehr ÖV-Güteklasse Qualitätsbeschreibung Die gesetzliche Regelung der Raum- sowie A höchstrangige ÖV-Erschließung Bauordnung in Österreich liegt aufgrund der B hochrangige ÖV-Erschließung föderalen Staatsstruktur auf der Ebene der C sehr gute ÖV-Erschließung Bundesländer. Grundsätzlich sollten Fragen D gute ÖV-Erschließung der Bauordnung, Raumplanung sowie der E sehr gute Basiserschließung räumlichen Entwicklung als gemeinsame Aufgabe von Bund, Bundesländern, Städten F gute Basiserschließung und Gemeinden festgelegt werden. Die G Basiserschließung übergeordnete Institution Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) ist mit der Standorten mit schlechter Anbindung an den bundesweiten räumlich-strategischen Entwick- Öffentlichen Verkehr verursachen zusätzliche lung befasst, die jedoch nur Empfehlungscha- einmalige wie längerfristige Infrastrukturkosten rakter aufweist.22, 23 Hinsichtlich der Raumord- für Ver- und Entsorgungsanlagen, für Straßenbau nungsgesetze wird seitens der Bundesländer und -erhaltung sowie Kosten für die Einrichtung vermehrt versucht, diese Planungsgrundsätze und den Betrieb des Öffentlichen Verkehrs. zumindest ansatzweise umzusetzen. Eine Wesentliche Aufgaben der Siedlungsentwick- erfolgreiche operative Umsetzung von Sied- lung in Bezug auf Wohnen und Mobilität sind: lungsentwicklung erfordert aber eine Mehrebe- 1. Die Vermeidung von Zersiedelung mit den nen-Strategie mit einem durchgängig konsisten- daraus resultierenden Nachteilen des erhöhten ten Regelsystem. Verkehrsaufkommens, des Leerstands in den Derzeit weisen die meisten Raumordnungsge- Ortskernen und der höheren Umwelt- und setze keine ausreichenden inhaltlichen Konkreti- Gesundheitskosten für die Allgemeinheit.j sierungen und zu geringe Verbindlichkeit auf. 2. Wirksame Mittel gegen die Klimakrise bei- Aufsichtsbehörden der Gemeindeplanung haben spielsweise durch Vermeidung von Zusatzverkeh- im Genehmigungsverfahren von Örtlichen ren sowie energieeffiziente Raum- und Siedlungs- Entwicklungskonzepten (ÖEK) und Flächenwid- strukturen zu entwickeln. mungsplänen kaum eine Handhabe. Durch die 3. Eine wachsende Flächeninanspruchnahme für Novellierung des Burgenländischen Raumpla- Wohnen, Verkehr, Versorgung, Erholung und nungsgesetzes wurde seit dem Jahr 2019 das Freizeit vermeiden auch bei Bevölkerungswachs- ÖEK als verpflichtendes kommunales Planungs- tum in den Zentralräumen. instrument eingeführt.14 Es sieht unter anderem
Mobilität mit Zukunft 4/2020 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung 15 eine verstärkte Einbindung der Bevölkerung, der Nachbargemeinden sowie der Regionalverbände Beispiele der Mobilitätswende vor. Bei der Entwicklung wie Erweiterung von Superblocks für Wien Siedlungsstrukturen ist darauf zu achten, dass Wohnen, Arbeiten und Freizeitgestaltung möglichst engräumig funktional verbunden werden. Das verhindert erhöhtes Verkehrsauf- Foto: SUPERBE-Team2 kommen und vermehrten Energiebedarf. Kompakte Siedlungsstrukturen im fußläufigen Einzugsbereich von Haltestellen des Öffentli- chen Verkehrs sind eine wesentliche Vorausset- zung, damit hohe Fahrgastzahlen und hohe Wirtschaftlichkeit erreicht werden können. Forschungsprojekt SUPERBE Wesentliche räumliche Ziele sind auch polyzent- Das Forschungsprojekt SUPERBE untersucht, für welche Stadtteile in Wien der rische Strukturen und die Stützung von Klein- und Mittelzentren unter anderem durch eine gute Superblock-Ansatz umgesetzt werden kann. Dieses Konzept zielt darauf ab, Erreichbarkeit durch den Öffentlichen Verkehr. Häuserblocks, die in fußläufiger Erreichbarkeit liegen, zusammenzuschließen Auch eine fußläufige Erreichbarkeit etwa von und in diesem zusammenhängenden Gebiet verkehrsberuhigende Maßnahmen Arbeit, Einkauf, Schule und Gesundheitsversor- durchzuführen. Durch die Verlagerung des Kfz-Verkehrs auf die Hauptver- gung wären mitzudenken. Bezogen auf die kehrsadern entsteht ein lebenswertes Wohnumfeld mit hochwertigen, öffentli- ausreichende Erschließung mit Öffentlichem chen Freiräumen. Radfahren und Gehen haben Vorrang. Nachhaltige Mobilität Verkehr wird diese in den neun Raumordnungs- verringert Energiebedarf und Emissionen. Das Wohnumfeld wird klimaverträg- gesetzen nur sehr allgemein als „Abdeckung der Verkehrsbedürfnisse“ umschrieben. Im Raum- licher gestaltet und grüne Infrastruktur ausgeweitet, wodurch das Stadtklima ordnungsgesetz der Steiermark wird immerhin positiv beeinflusst sowie urbane Hitzeinseln reduziert werden. auf die Kosten zur Aufrechterhaltung des Öffentlichen Verkehrs hingewiesen.93 In den Landesgesetzen des Burgenlands und Kärntens die Straßen durch den Pkw-Verkehr stark kommt der Begriff „Öffentlicher Verkehr“ überlastet sind. explizit nicht vor. Einen qualitativ hochwertigen dichten Öffentli- chen Verkehr zur Verfügung zu stellen, ist in Stadt-Land-Gefälle in der Mobilität dünn besiedelten ländlichen Gebieten eine große Der Öffentliche Verkehr als Hauptverkehrsmit- Herausforderung. Weitläufigkeit sowie geringe tel hat in Österreich zwischen den Jahren 1995 Bevölkerungsdichte machen einen wirtschaftli- und 2014 leicht zugenommen von 17 auf 18 chen Betrieb schwierig. Zum größten Teil Prozent.11 Die mit der Bahn in Österreich beschränkt sich das Angebot auf den Schulver- gefahrenen Kilometern sind zwischen den kehr. Beispielsweise verkehren im niederösterrei- Jahren 2014 und 2019 um elf Prozent auf 13,4 chischen Bezirk Waidhofen an der Thaya von 29 Milliarden Personenkilometer gestiegen.67 Im öffentlichen Buslinien mehr als die Hälfte (55 ländlichen Raum weist der Linienbus-Verkehr Prozent) nur an Schultagen, nur zwei Linien stagnierende beziehungsweise rückläufige weisen einen Taktverkehr auf.44 Generell stellt Zahlen auf. Vor allem nicht-wahlfrei Nutzende, sich das Fahrplanangebot im ländlichen Raum sogenannte „captive riders“, nehmen den eher bedarfs- als angebotsorientiert dar. Etwas Öffentlichen Verkehr in ländlichen Regionen in günstiger sieht die Situation bei Regionalbahnen Anspruch. Erfahrungsgemäß entwickelt sich aus, jedoch bedienen diese die Region zumeist der Öffentliche Verkehr, Bahn wie Bus, entlang nur in einem kleinen Bereich. Je nach Umsteigesi- von Hauptverkehrsachsen hingegen sehr tuation oder Durchbindung zur Hauptstrecke zufriedenstellend. Dies trifft bei umsteigefreien kommen hier Park-and-Ride, Bike-and-Ride Direkt-Linienverkehren um die Ballungszentren sowie Bedarfssysteme wie Anrufsammeltaxi besonders zu, also auch in Bereichen, in denen (AST) oder Rufbusse zum Tragen.e, f
16 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung Mobilität mit Zukunft 4/2020 Fahrräder sowie E-Fahrräder eine größere Rolle Beispiele der Mobilitätswende spielen. Allerdings bedingt dies gesicherte Mobilitätsszenarien vorab simulieren Abstellmöglichkeiten möglichst mit Ladestatio- nen bei den Haltestellen. Generell ist das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel ein wesentlicher Hoff- nungsträger auch für periphere Regionen. Auch E-Fahrräder sind für kurze Strecken eine gute Foto: Serjoscha Düring Alternative. Neben bewusstseinsbildenden Maßnahmen ist der umfassende Ausbau der Infrastruktur von zentraler Bedeutung. Derzeit fehlen häufig gute Wegenetze und Radwege außerorts entlang von Hauptverkehrsachsen. Digitale Planungsplattform InFraReD Wichtig ist zudem, dass Hauptstraßen für Radfahrende einfach und sicher gequert werden Die digitale Planungsplattform InFraReD simuliert mit Hilfe von Künstlicher Intel- können, die Radwege gut beschildert sind und es ligenz, Big Data und Augmented Reality die Mobilität in der Stadtplanung. Die von dort, wo nötig eine Beleuchtung gibt. Auch in die AustriaTech entwickelte Plattform ermöglicht bereits im Planungsprozess das Fahrbahn integrierte seitliche Radschutzstreifen Durchspielen verschiedener Erreichbarkeits- und Mobilitätsszenarien, wodurch in und eine mittige Kernfahrbahn für Kfz ähnlich der Umsetzung das beste Modell realisiert werden kann. Dieses soll den Bewoh- wie in Frankreich könnten eine Lösung sein.19 nerinnen und Bewohnern erlauben, in 15 Minuten alle wichtigen Erledigungen Vernetzung als Hebel für Mobilitätswende durchzuführen. Durch diese ganzheitliche Mobilitätsplanung soll aufgezeigt wer- Siedlungsentwicklung bedarf einer guten Pla- den, dass die alltäglichen Wege einfach und schnell, zu Fuß oder mit dem Rad nung. Ein gutes Beispiel für Förderung kompak- zurückgelegt werden können. Mit dieser Plattform wird auf eine nachhaltige Pla- ter Siedlungsstrukturen ist das Rheintal in nung und Entwicklung der Stadt fokussiert. Vorarlberg.105 In den letzten 50 Jahren hat das Rheintal einen massiven Wandel durchlebt. Eine Region aus ursprünglich 29 Gemeinden ist im Laufe der Zeit zu einem vernetzten Lebensraum Im Jahr 1991 gab es in Multimodale Infrastrukturen umsetzen zusammengewachsen. Aus den verstreuten vielen Regionen weniger Bei der Verkehrsmittelwahl spielt die Erreichbar- Dörfern und kleinen Städten der 1960er-Jahre hat Autos als in den Städten. Dieses Verhältnis hat keit der Haltestellen eine entscheidende Rolle. In sich ein geschlossenes Siedlungsband von sich umgedreht, heute ist der Regel gelten rund 500 Meter für die fußläufi- Feldkirch bis Bregenz entwickelt. Diese zusam- der Motorisierungsgrad in den meisten Städten ge Entfernung als noch akzeptabel.108 Zur mengewachsene Region aus einzelnen Gemein- niedriger als am Land. Ausweitung dieser Akzeptanzgrenze könnten den wird heute von rund 240.000 Menschen als Ganzes genutzt. Während sich in anderen Regionen sämtliche wichtige Einrichtungen in Früher in einigen Städten mehr Pkw einem Zentrum ballen, sind sie im Rheintal auf als in ländlichen Regionen verschiedene Standorte verteilt. Diese polyzentri- Quelle: Statistik Austria 202089, Statistisches Zentralamt 199258 Grafik: VCÖ 2020 Motorisierung (Pkw pro 1.000 Einwohnende) sche Grundstruktur bringt Größenvorteile und Synergien. So ist in den Bereichen Wirtschaft, Jahr 1991 Kultur, Bildung, Freizeit, Konsum und Verwal- Jahr 2019 Linz St.Pölten Wien tung ein Angebot entstanden, wie es sonst nur in Eisenstadt Großstädten zu finden ist. Voraussetzung ist, dass 658 alle Gemeinden des Rheintals gemeinsam planen, 567 587 515 364 370 434 386 422 393 422 477 hinsichtlich der besten Standorte für Schulen, Bregenz Innsbruck Salzburg Graz Kindergärten, Einkaufs- und Freizeitmöglichkei- Klagenfurt ten sowie mit guter Anbindung an den Öffentli- Bundesland chen Verkehr. Obwohl Nutzungswünsche, Landeshauptstadt Raumansprüche und Mobilität der Bewohnerin- nen und Bewohner des Rheintals stetig wachsen,
Mobilität mit Zukunft 4/2020 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung 17 wird versucht nur innerhalb bestehender Bebau- ungsgrenzen neue Siedlungen zu errichten. Der Beispiele der Mobilitätswende strenge Schutz von Grünzonen war dazu eine Öffi-Tickets als Mobilitätsstartpaket wesentliche Voraussetzung. Das könnte Vorbild- wirkung für andere Regionen in Österreich haben. Ziel von kompakten Siedlungsstrukturen sollte sein, dass sich auch vermehrt Betriebe in Foto: Fritz Hudribusch der Nachbarschaft ansiedeln, wodurch für die Bevölkerung Wohnen und Arbeiten wieder näher zusammenrücken. Dadurch kann unnötiger Verkehr vermieden und eine Verringerung der täglichen Wegstrecken erzielt werden. Vor allem in dünn besiedelten, peripheren Regionen sollen Wohnanlage in Wiener Neudorf in Zukunft Raum- und Siedlungsentwicklung Am Areal des ehemaligen Versteigerungshauses wurde im Jahr 2019 mit der Er- dahingehend erfolgen, dass wirtschaftlich Wiener Neudorf Bahnstraße 1 / Wiener Straße 17 - Schaubild attraktive Standorte für Betriebsansiedlungen richtung einer neuen Wohnanlage begonnen. Die Haltestelle der Badener Bahn liegt Konzept vom 08.03.2018 entstehen können und zur Schaffung regionaler in fußläufiger Entfernung und die Wohnanlage wird an das Radwegenetz angebun- Arbeitsplätze beitragen. den. Neben einem intelligenten Mobilitätskonzept für über 100 neue Wohnungen, stehen mit insgesamt 400.000 Euro jährlich 600 Euro pro Person und 1.200 Euro Wohnbau nahe am Öffentlichen Verkehr pro Wohneinheit für Öffi-Jahreskarten zur Verfügung. Das Wohnquartier verfügt zu- Im Regierungsprogramm von Österreichs dem über ein Sharing-Angebot mit fünf Carsharing-Autos und zehn Elektro-Fahrrä- aktueller Bundesregierung63 wird vorgeschlagen, dern. Aufgrund des Mobilitätskonzeptes ist es möglich, weniger Pkw-Stellplätze, Investitionsanreize für Sanierungen und Neubau insbesondere auch durch Abschluss eines neuen überdurchschnittlich viele Radabstellplätze, eine persönliche Mobilitätsberatung so- Finanzausgleichs ab dem Jahr 2022 zu setzen, wie eine Fahrrad-Werkstatt zu errichten und somit dem Pkw-Verkehr eine unterge- wobei klimaverträgliche Maßnahmen in allen ordnete Rolle zuzuschreiben. neun Bauordnungen Österreichs verankert werden sollen und Wohnbauförderung nur noch nach umweltschonenden Kriterien, die es auch im Bereich Mobilität zu definieren gilt, vergeben werden darf. Zudem soll die Bundesfinanzie- rung von Infrastruktur für Radverkehr und Öffentlichen Verkehr ausgebaut werden, um zielgerichtete Mobilitätsformen zu unterstützen. In der Schweiz wird dies längst systematisch getan. Mit dem Bundes-Programm „Agglomera- tionsverkehr“ profitieren Städte und Ballungs- Kompakt bauen nahe am Öffentlichen Verkehr räume, indem sich der Bund finanziell an • Klare, möglichst bundesweit einheitliche Vorgaben zur Erschließung mit Verkehrsprojekten beteiligt – allerdings nur Öffentlichem Verkehr entlang der ÖV-Güteklassen der ÖROK in den Raum- dann, wenn die Verkehrs- und die Siedlungsent- ordnungsgesetzen in Bezug auf Baulandwidmungsverfahren verankern. wicklung wirkungsvoll aufeinander abgestimmt • Kriterium der Erschließung mit Öffentlichem Verkehr in den Gemeinde- sind.8 Die Förderungen des Schweizer Bundes Finanzausgleich aufnehmen. kommen den Gemeinden zugute, sofern eine • Bedingungen für Wohnbauförderung an die Erschließung mit Öffentlichem Siedlungsentwicklung nach innen geplant ist und Verkehr knüpfen. das Verkehrs- • Finanzielle Förderungen von Gemeinden (auch) für Verkehrsmaßnahmen angebot nachweislich dort ausgebaut wird, wo zur kleinräumigen Feinerschließung. tatsächlich Bedarf besteht. Finanziell gefördert • Neben Mikro-ÖV-Konzepten in der „Fläche“ verstärkt auch das Alltagsrad- werden daher insbesondere Maßnahmen im Radverkehr, beim Gehen und im Öffentlichen fahren fördern. Verkehr.49
18 Mobilität mit Zukunft 4/2020 Foto: Johannes Hloch Klimaverträgliche Flächengestaltung in der Stadt Das Bevölkerungswachstum in Städten bedeutet in Zeiten der Klimaerhitzung eine zunehmende Herausforderung zur Schaffung kühlender grün-blauer Infrastrukturen bei gleichzeitig hohen Bebauungsdichten. Straßenräume haben besonders hohes Innovationspotenzial für Klimaanpassungsstrategien durch Entsiegelung und Begrünung. Die dichtest bewohnten Die Klimaerhitzung macht uns in Städten bereits Tagen auf und geben die Wärme bis in die Bezirke Wiens verfügen heute gehörig zu schaffen. Dichte Gebäudestruk- Abendstunden ab. Solche urbanen Hitzeinseln über einen geringen Grün- flächenanteil und turen, überwiegend versiegelte Oberflächen und sind gerade für vulnerable Bevölkerungsgruppen etwas weniger Straßen- wenig Grün fördern die Bildung von Hitzein- wie ältere Menschen oder Kinder, sowie für bäume, die zur Abküh- lung des Mikroklimas seln.111 Gebäude, Fahrzeuge, Straßen und Städterinnen und Städter, die über keinen Zugang beitragen. versiegelte Oberflächen heizen sich an heißen zu grünen Naherholungsgebieten verfügen, in hohem Maße gesundheitsbelastend oder sogar gesundheitsgefährdend. Bis zum Jahr 1990 betrug Viel Verkehrsfläche, wenig Grün der 30-Jahres-Durchschnitt in Wien rund zehn in dicht bewohnten Bezirken Wiens Hitzetage mit über 30 Grad Celsius Lufttempera- tur pro Jahr. Bis zum Jahr 2010 waren es im 60 Grünflächen 30-Jahresschnitt bereits 15 Hitzetage pro Jahr. Im Verkehrsfläche Jahr 2019 wurden allein im Juni zwölf Hitzetage Anzahl Straßenbäume pro Hektar Flächenanteile in Prozent und 50 Straßenbäume gezählt und im gesamten Jahr 38 Tage.84 Vor 40 allem Wohngebiete in dicht bebauten Stadtteilen oder entlang von stark frequentierten Ausfalls- 30 straßen sind in der Hitzekarte der Stadt Wien mit einem hohen Anteil an vulnerablen Gruppen, die Quelle: Stadt Wien 202081 Grafik: VCÖ 2020 20 besonders von Hitze betroffen sind, ausgewie- 10 sen.85 0 Neben den Städten leiden aber auch die Einwohnerinnen und Einwohner pro Quadratkilometer Regionen an den steigenden Temperaturen unter bis 5.000 5.000 bis 10.000 10.000 bis 20.000 über 20.000 der zunehmenden Unbeständigkeit des Klimas, Bezirke 11, 13, 14, 19, 1, 2, 10, 17, 18 3, 4, 9, 12, 5, 6, 7, 8 21, 22, 23 15, 16, 20 unter jahreszeitlichen Verschiebungen und unter der Zunahme von Extremwetterereignissen.13 Es
Mobilität mit Zukunft 4/2020 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung 19 wird wärmer und trockener sowie Starkregener- eignisse nehmen zu. Beispiele der Mobilitätswende Grün-blaue Infrastruktur stärken Städte benötigen in der Klimakrise mehr blaue Foto: cuulbox, 3zu0 Landschaftsarchitektur und grüne Infrastruktur Hitzeperioden, zu wenig und punktuell viel zu viel Wasser – das ist für die Planung von Außen- anlagen mit vegetativen Oberflächen, die kühlend auf das Mikroklima als Klimaanpassungsstrategie einwirken sollen, keine leichte Aufgabe. Jede Grünanlage ist ein eigenes kleines Ökosystem, sie ist aber auch Teil eines stadtweiten übergeordne- ten Grün- und Naturverbundes und Teil des Das Schwammstadt-Prinzip für Straßenbäume systemischen Wasserhaushalts einer Stadt. Je Beim Schwammstadt-Prinzip ist der technische Aufbau des Unterbaus so gestal- umfassender die blau-grüne Infrastruktur einer Stadt, also Grün- und Wasserflächen, in ihrer tet, dass große Wassermengen bei Starkregen gespeichert und bei Hitzeperioden Gesamtheit konzipiert ist, desto effektiver wirken abgegeben werden. Die Mischung im Boden aus Splitt, Pflanzkohle, Kompost und sie als Klimapuffer gegen den urbanen Hitzein- weiteren Substanzen bietet ausreichend Wurzelraum für die Speicherung von sel-Effekt. Bei Grünflächen kommt hinzu, dass Wasser, Luft und Nährstoffen. Zusätzlich bieten die Strukturen im Untergrund sie nur durch ausreichende Bewässerung einen ausreichend Stabilität für die Funktionen der Straßenräume. So sorgt das kühlenden Effekt erzielen – eine besondere Schwammstadt-Prinzip für eine längere Lebensdauer von Bäumen, die als Schat- Herausforderung für dicht bebaute Stadtteile. tenspender kühlend auf das Mikroklima wirken. In Österreich wurde das Prinzip Herkömmliche Stadtstrukturen machen urbane Agglomerationen nicht nur zu beträchtlichen Mit- das erste Mal im Jahr 2017 in Graz umgesetzt. Es folgten im Frühjahr 2019 Möd- verursachern der Klimaerhitzung, Städte mit ling und im Jahr 2020 Wien. hohen Bebauungs- und Versiegelungsgraden und veralteten, auf den Autoverkehr basierenden Mobilitätssystemen verlieren in der Klimakrise und seiner Wasserspeicher- und Wasserableit- In Kopenhagen und Rotterdam sind fast 50 auch erheblich an Lebensqualität. Beispielsweise funktion wird in der Klimakrise zunehmend zum Prozent des Straßen- schwankt in Wien der Grünanteil je nach Lage in Problem. Denn versiegelte Oberflächen heizen profils in dicht bebauten Wohnvierteln aktiver der Stadt. Innerstädtische Bezirke verfügen über sich nicht nur stärker auf, sie erzwingen auch das Mobilität vorbehalten, in zwei bis 15 Prozent Grünanteil, westliche Abfließen von Regenwasser in den Kanal und Wien etwa 30 Prozent. Stadtteile am Rande des Wienerwaldes erreichen bis zu 70 Prozent Grünanteil.81 Stadträumliche Klimaanpassungsstrategien sind als lokale Wiens Nebenstraßen haben wenig Lösungen notwendig, um unsere Lebensräume Platz für aktive Mobilität und wenige Straßenbäume grüner und dadurch kühler und biodiverser zu Anteil Geh- und Radwege, Fahrbahn, ruhender Verkehr, Straßenbegleitgrün machen. Anteil Straßen mit Alleebäumen P Oberflächen entsiegeln, begrünen, aufhellen 48 % 37 % 15 % Österreichs Landeshauptstädte und deren Rotterdam 8 von 10 Quelle: Furchtlehner & Licka 201921 Grafik: VCÖ 2020 Umlandgemeinden verzeichnen wachsende Bevölkerungszahlen. Das Bevölkerungswachstum 46 % 38 % 16 % Kopenhagen 5 von 10 geht mit einer kontinuierlichen Flächenausdeh- nung sowie mit einer Verdichtung der Bestands- 36 % 39 % 21 % 4 % stadt einher. Beides hat eine Zunahme an München 5 von 10 versiegelten Flächen zur Folge, also die zuneh- mende Bedeckung von gewachsenen Böden mit 30 % 40 % 28 % 2% Wien 3 von 10 wasserundurchlässigen Belägen oder mit Gebäu- Fallstudie, Boku Wien, von Straßenprofilen in dicht bebauten, innerstädtischen Wohnbezirken den. Doch gerade diese Zerstörung des Bodens
20 Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung Mobilität mit Zukunft 4/2020 somit die Entnahme aus dem lokalen Wasser- Grüne Stadtteile als Klimapuffer kreislauf. Das wiederum macht das Leben für Ein Beispiel, das den Anspruch der Klimaanpas- Pflanzen in einer trocken-heißen Beton- und sung zu erfüllen versucht, ist in Wien die Asphaltlandschaft zunehmend prekär. Um der „Biotope City“ am Wienerberg, die bis zum Jahr enormen Flächenversiegelung und dem Zurück- 2021 in Wien-Favoriten auf einem etwa fünf drängen von Naturräumen und Pflanzen entge- Hektar großen ehemaligen Betriebsareal entsteht. genzuwirken, braucht es ein grundsätzliches Das neue Stadtquartier wurde zu einem Teil Umdenken in der Baukultur, die grüner und Stadtnatur mit wichtigen lokalen wie regionalen somit nachhaltiger werden muss. Eine nachhaltige mikroklimatischen und ökologischen Effekten. Baukultur schließt auch die Unterstützung und Bauplatzübergreifende grüne Außenanlagen und Berücksichtigung der Mobilitätswende mit ein. weitreichende Maßnahmen zur Gebäudebegrü- Denn die Schaffung von Platz für klimaverträgli- nung sind ebenso Teil des Gesamtkonzeptes, wie che und gesunde Mobilität anstelle des Pkw-Ver- ein Areal-umfassendes Regenwassermanagement, kehrs ist vor allem auch eine stadtplanerische das Wasser nicht ableitet, sondern auf dem Aufgabe. Grundstück belässt. Um möglichst großzügige Im „Urban Heat Islands Strategieplan Wien“ Freiflächen und einen hohen Anteil an unversie- werden Möglichkeiten zur Abkühlung städtischer gelten, aufnahmefähigen Oberflächen zu ermögli- Hitzeinseln aufgezeigt, wie Aufhellen von chen, musste dicht und kompakt gebaut werden. Oberflächenmaterialien, zunehmende Begrünung Die Förderung von zeitgemäßen, städtischen und Bewässerung des Außenraums von Gebäu- Mobilitätsformen wird berücksichtigt. Dafür den, Vernetzung von Freiräumen zur Schaffung wurde eine entsprechende Infrastruktur für von Freiluftschneisen oder Anpassung von Gehen und Radfahren und gemeinschaftlich Siedlungsstrukturen.82 Im Programm „Infrastruk- betriebene Mobilitätsangebote vorgesehen. Die turelle Anpassungen an den Klimawandel“ soll Freiflächen der Biotope City sind autofrei Asphalt verursacht der Strategieplan umgesetzt werden. Das bereits konzeptioniert, die Zufahrt erfolgt zu Garagen mehr Treibhaus- angelaufene Programm koordiniert die vielen Ma- am Grundstücksrand. Bus- und Straßenbahnver- gas-Emissionen als die meisten versickerungs- gistratsabteilungen, die mit der Thematik befasst bindungen sind in Gehdistanz, die Verlängerung fähigen Oberflächen. sind (Umweltschutz, Wasser, Mobilität, Wohn- der U-Bahn-Linie U2 zum Wienerberg ist Die Werte umfassen den bauförderung etc.) und evaluiert Umsetzungen in geplant. gesamten Lebenszyklus von Produktion, Trans- Hinblick auf eine klimasensible Planung. Auch in Wohnungsneubau verursacht viel zusätzlichen port der Rohmaterialien, der Stadt Graz wurden ein Klimaanpassungsstra- Verkehr. Deshalb wurde bereits in der Bauphase Herstellung, Nutzung bis zu Recycling oder tegieplan im Jahr 2016 erarbeitet.73 In Linz und der Biotope City auf Nachhaltigkeit geachtet. Das Entsorgung. Innsbruck sind ähnliche Strategien angekündigt. ist bei Bauprojekten wichtig, weil der Wohnungs- Entsiegelte Oberflächen sind klimaverträglicher als Asphalt Oberflächen- Anwendungs- Treibhausgas-Emission, gesamter Versickerungsvermö- befestigung beispiele Lebenszyklus des Belags in Ton- gen in Liter pro Sekunde nen-CO2-Äquivalente pro 200 m2 und Hektar Foto: Greenpass 2019 Kalkschotterdecke Pkw-Abstellplatz 11,4 (Rang 1) 100-1.000 (Rang 1) Quelle: Land NÖ 202042, Stadt Wien 201179 Grafik: VCÖ 2020 Fußweg, Drainasphalt 12,6 (Rang 2) 100-400 (Rang 3) Pkw-Abstellplatz bei ≤ 5 % Fugenbreite: Betonsickerpflaster Pkw-Abstellplatz 15,4 (Rang 3) 8-20 (Rang 6) Rasengittersteine Pkw-Abstellplatz 16,9 (Rang 4) 50-1.600 (Rang 2) Betonsteine Fußgängerzone bei 5-10 % Fugenbreite: 25,7 (Rang 5) ungebunden Pkw-Abstellplatz 20-220 (Rang 5) Foto: Greenpass 2019 Asphaltbeton auf Gehsteig, Fahrbahn, nicht wasserdurchlässig 27,6 (Rang 6) Bitukies Pkw-Abstellplatz (Rang 7) Natursteinplatten Fußgängerzone, 28,3 (Rang 7) bei 10-35 % Rasenfugen: 20°C ungebunden Pkw-Abstellplatz 50-800 (Rang 4) 50°C
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