Der Mehrwert des Interaction Design Werbung

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Der Mehrwert
des Interaction
Design in der
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Masterthesis im Studiengang: Gestaltung, Interaction Design
vorgelegt von: Ricardo Göldner, Matrikelnummer: 598208
am 18. Juli 2014 an der HAWK Hildesheim
Prüfer: Prof. Stefan Wölwer, Robert Jähnert                   1
Der Mehrwert des Interaction Design
in der Werbung

Masterthesis im Studiengang: Gestaltung, Interaction Design
vorgelegt von: Ricardo Göldner, Matrikelnummer: 598208
am 18. Juli 2014 an der HAWK Hildesheim
Prüfer: Prof. Stefan Wölwer, Robert Jähnert

                                                              2
Inhalt

		Vorwort – 4                                      2.2. 		   Interaktive Trends – 37
                                                   2.2.1.    Soziale Verflechtung – 37
1.		 Definitionen – 5                              2.2.2.    Point of Sale – 38
                                                   2.2.3.    Mobile – 39
1.1. 		   Interaktion – 5                          2.2.4.    Digital Out-of-Home – 42
1.2. 		   Design – 7                               2.2.5.    Geotargeting – 42
1.2.1.    Prozess – 8                              2.2.6.    Smart-TV – 43
1.2.2.    Form Follows Function – 9                2.2.7.    Wearables – 43
1.3. 		   Interaction Design – 10                  2.2.8.    Smart Car – 44
1.3.1.    Methoden im Interaction Design – 10      2.2.9.    Smart Home – 45
1.3.2.    Soziale Interaktionsgestaltung – 12      2.3.		    Social Media – 46
1.3.3.    Emotionale Interaktionsgestaltung – 12   2.3.1.    Kuration – 46
1.3.4.    User Interface Design – 13               2.3.2.    Leitmedium – 47
1.3.5.    User-Experience – 13                     2.3.3.    Qualität – 47
1.3.6.    Vier-Phasen-Prozess – 16                 2.3.4.    Virale Videos – 48
1.4.		    Service Design – 17                      2.3.5.    Interaktive Videos – 48
1.5. 		   Werbung – 20                             2.4.		    Multichannel – 49
1.5.1.    Werbeform – 21                           2.4.1.    Customer-Journey – 49
1.5.2.    Psychologische Werbeziele – 22           2.4.2.    Second Screen – 50
1.5.3.    Methoden in der Werbung – 23             2.4.3.    E-Mail – 50
1.5.4.    Digitale Werbung – 25                    2.4.4.    Touchpoints – 51
1.5.5.    Werbeagentur – 25
1.5.6.    Konsument – 26                           3.		 Moderne          Werbung – 52
1.6. 		   Emotion – 27
1.7. 		   Verführung – 28                          3.1.		 Das Unternehmen wird zum Medium – 52
                                                   3.2.		 Markenführung im 21. Jh. – 54
2.		 Digitale       Revolution – 30
                                                   4.		 Mehrwert       von Interaction Design
2.1.		    Digitale Trends – 31                     		        in der Werbung – 55
2.1.1.    Storytelling – 31
2.1.2.    Unternehmensphilosophie – 32             4.1.		 Fazit – 58
2.1.3.    Big Data – 33
2.1.4.    Echtzeit – 33                            5.		 Begriffserklärung – 59
2.1.5.    Zielperson – 34
2.1.6.    Personalisierung – 34                    6.		 Quellen – 62
                                                                                                 3
Vorwort

    Anfang des 20. Jh. entstand infolge des Computers und
 der Digitalisierung die Digitale Revolution. Im Vergleich zu
 der ­Industriellen Revolution, 200 Jahre zuvor spricht Kunst­
 historiker Heinrich Klotz von einer „Zweiten Moderne“ (Klotz,
1999, 22 – 24). Innerhalb von weniger als 10 Jahren geschah
ein Umbruch der Technik und (fast) allen Lebensbereichen.
Maschinen und Menschen leben so eng zusammen, wie noch
nie. Deshalb kommunizieren wir nicht mehr nur von Mensch
zu Mensch, sondern mit und über elektronische Geräte. Für die
reibungslose Kommunikation zwischen Mensch und ­Maschine
ist in den 1990er-Jahren die Designdisziplin „Interaction
­Design“ ­geschaffen worden. Was verbirgt sich hinter diesen
 Begriff ? Gibt es einen Zusammenhang zu dem, im selben Jahr
 veröffent­lichen ­Bestseller „Experience Economy“ (James / Pine,
1999)? Die Autoren stellen folgende Hypothese auf: „die Ver-
führung kann nur durch intelligent inszenierte Erlebniswelten,
welche alle fünf Sinne ansprechen, erfolgen.“

    In meiner Arbeit untersuche ich die Methoden und
­ irkungsweisen der Kommunikation zwischen Mensch und
W
­System. Ich untersuche, welche interaktiven Möglichkeiten die
 Werbebranche durch den technologischen Fortschritt gewin-
 nen kann und welche Konsequenzen diese Ergebnisse auf die
 Werbetreibende haben.

  Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht inwieweit Interaction
Design klassische Werbung ergänzt, unterstützt und zuneh-
mend im Zentrum der Werbeaktivitäten steht.

                                                                    4
1.		Definitionen
1. 1. Interaktion

                                                                                                                                          Claudio Baraldi, Giancarlo
   Um die Bezeichnung „Interaction Design“ zu definieren,             Gesamtsituation, das emergente System (Luhmann: 1984, 196   –       Corsi, Elena Esposito:
betrachte ich zunächst die zwei Begriffe „Interaction“ (zu            199; 2002, 292). Somit ist die Kommunikation eine Einheit, die      GLU: Glossar zu Niklas
                                                                                                                                          Luhmanns Theorie sozialer
Deutsch: Interaktion) und „Design“ separat voneinander.               Mitteilen, Informieren und Verstehen auf mehreren Seiten            Systeme, Frankfurt/Main,
                                                                      einschließt. Kommunikation beginnt deshalb logisch mit dem          Suhrkamp, 1997
    Interaktion beschreibt, ein „aufeinander bezogenes                Verstehen und nicht, wie oft angenommen wird, mit einer Mit-        Niklas Luhmann: Soziale
­ an­deln zweier oder mehrerer Personen“ sowie die „Wechsel­
H                                                                     teilung (ebenda, 195 – 199).                                        Systeme, Frankfurt/Main,
                                                                                                                                          Suhrkamp, 1984
beziehung zwischen Handlungspartnern“ (Duden, 1990, 350
– 354). Bei der sozialen Interaktion handeln Individuen e   ­ iner       Aufgrund dieser deutlichen Unterscheidung beschreibt Luh-        Niklas Luhmann: Die
                                                                                                                                          Wissenschaft der Gesell-
Gesellschaft oder einer Gruppe wechselseitig bedingt für              mann dieses Verstehen, innerhalb dem kommunizierenden               schaft, Aufl. 1, Berlin,
eine Abstimmung des Verhaltens oder für das konkrete Han-             System als etwas anderes als ein psychisches Verstehen. Eine        Suhrkamp, 1990
deln der Kooperations­    partner. Demzufolge ist Interaktion         Mitteilung und eine Information werden unterschieden und zu-        Niklas Luhmann: Einfüh-
ein ­Gesichtspunkt der sozialen Wechselwirkung. Das soziolo-          geschrieben. Verstehen heißt nicht, die Gefühle, Motivationen       rung in die Systemtheorie,
gische Verständnis von Kommunikation ergibt sich nicht aus            oder Gedanken des Anderen zu erfassen (Luhmann, 1990, 25).          Heidelberg, Carl-Auer-
                                                                                                                                          Systeme, 2002
sich heraus, sondern wird durch die Nutzung der Medien und
deren ökonomischen und technischen Voraussetzung ge­                     Luhmann bezieht sich mit der Dreiteilung auf die drei            Dr. Konrad Duden, Duden
                                                                                                                                          – Rechtschreibung der
steuert. In der Systemtheorie nach Niklas Luhmann entsteht ein        Funktionen des sprachlichen Zeichens im Organon-Modell              deutschen Sprache und
­Interaktionssystem aus dem aufeinander bezogenen ­Verhalten          Karl Bühlers sowie auf die Typologie der Sprechakte bei             der Fremdwörter, 19.
                                                                                                                                          Aufl., Bibliographisches
 von Anwesenden. Der Kommunikationsbegriff beschreibt in              Austin und Searle. Luhmann bezieht das, was Bühler als die          Institut & F. A. Brockhaus
 der soziologischen Systemtheorie u. a. die Kommunikation als         ­Darstellungsfunktion der Sprache bezeichnete, auf die Selek-       AG Mannheim, 1990

 Informationsübertragung. Luhmann beschreibt Kommunika-                tivität der Information, die Ausdrucksfunktion auf die Selekti-
 tion als eine Einheit dreier S­ elektionen: „Information, Mittei-     on der Mitteilung und die Appellfunktion auf die Erwartung,
 lung und Verstehen“ (Luhmann, 1984, 203). Diese drei Bereiche         dass verstanden wird und sich weitere Kommunikationen an-
 bilden ein soziales System – so lange wie die Kommunikation           schließen können („die E ­ rwartung einer Annahmeselektion“)
 stattfindet. Dadurch entsteht eine unbestimmte Menge von              (­Luhmann, 1984, 196 – 199; 2002, 292).
 Möglichkeiten.
                                                                      In diesem Zusammenhang verfügt die Kommunikation über
   Auf einer Seite erfolgt die Selektion der Mitteilung, dies führt   drei Merkmale: Anschluss, Auswahl und Fehlerkorrektur. Die
auf der anderen Seite zu der Selektion des Verstehens. Als se-        weitere Prüfung, Bestätigung oder Korrektur kann nur durch
lektive Unterscheidung von Verstehen und Mitteilung entsteht          sich selbst anschlussfähig bleiben (Luhmann, 1984, 195 – 199). In
im kommunizierenden System die Selektion der ­Information.            Form von wechselseitigen Erwartungen und durch unbestimmt
Wenn etwas verstanden wird, wird zugleich die Tatsache an-            vielen Möglichkeiten neuer Bezugspunkte schreitet eine Kom-
genommen, dass etwas mitgeteilt wurde. Die Kommunikation              munikation voran. Unterbrochen wird die Kommunikation,
führt so von dem Ausgangspunkt einzelner ­Selektionen zweier          wenn sich eine Selektion abgrenzen würde, z. B. wenn sie inad-
Seiten zu einer komplexeren, sich selbst stabilisierenden neue        äquat, falsch oder ungewollt eintritt.

                                                                                                                                                                       5
Zum Symbolischen Interaktionismus wurden 1981 von                         Dem zu urteilen „zeigt“ zum einen der Handelnde sich            Herbert Blumer:
                                                                                                                                             Symbolic Interaction:
­ erbert Blumer Grundannahmen aufgestellt (Blumer, 1969).
H                                                                      ­­
                                                                       selbst   die Gegenstände an, auf die er sein Handeln ausrichtet,      Perspective and Method,
Hierbei orientierte sich Blumer vor allem an den Überlegun-            er macht sich auf die Dinge selbst aufmerksam, die eine Bedeu-        Englewood Cliffs,
                                                                                                                                             New Jersey, 1969
gen von George Herbert Mead (1863 – 1931) zur stammes­                 tung für ihn haben; dieses „Anzeigen“ ist ein internalisierter
geschichtlichen (phylogenetischen) Bildung des Bewusstseins            ­sozialer Prozess, in dem der Handelnde mit sich selbst interagiert   Herbert Blumer: Der
und ­persönlichen (ontogenetischen) Entwicklung der Identität           (Kommunikationsprozess mit sich selbst) (ebenda, 103). Und zum       methodologische Stand-
                                                                                                                                             ort des symbolischen
unter Verwendung einer gemeinsamen Sprache: „           ­Logisches      ­anderen ist die Interpretation (der Bedeutung des Dinges) durch     In­teraktionismus, in:
Universum signifikanter Symbole“. Blumer war ein Schüler                 diesen Kommunikationsprozess ein formender, kein automati-          Arbeitsgruppe Bielefelder
                                                                                                                                             Soziologen (Hrsg.),
des Sozialphilosophen und frühen Sozialpsychologen George                scher Prozess: Der Handelnde „sucht [...] die Bedeutungen aus,      Alltagswissen, Interaktion
­Herbert Mead:		                                                         prüft sie, stellt sie zurück, ordnet sie neu und formt sie um“      und gesellschaftliche Wirk-
                                                                                                                                             lichkeit, Bd. 1, Reinbek bei
   . „Menschen handeln gegenüber Dingen auf der Grundlage                (ebenda).                                                           Hamburg, Rowohlt, 1973
 		 der Bedeutungen, die diese Dinge für sie besitzen.
   . Die Bedeutung der Dinge entsteht durch soziale Interaktion.               Durch den symbolischen Interaktionismus lassen sich kom-
   . Die Bedeutungen werden durch einen Prozess; „den inter-           plexe gesellschaftliche Vorgänge auf seine jeweils kleinste
 		 pretativen Prozess“ verändert, in dem selbstreflexive­­­­          Einheit, das Individuum herunterbrechen. Dabei ist immer
		 Individuen symbolisch vermittelt interagieren.                      der Verlauf eines Prozesses von gegenseitig interpretierenden
   . Menschen erschaffen die Erfahrungswelt in der sie leben.          ­Interaktionen das Ergebnis. In Bezug auf das menschliche Zu-
   . Die Bedeutungen dieser Welten sind das Ergebnis von Inter-         sammenleben ist die Interaktion eine Wechselbeziehung, wo-
		 aktionen und werden durch die von den Personen jeweils               bei sich mind. zwei Personen in ihrem Verhalten ­aufeinander
		 situativ eingebrachten selbstreflexiven Momente mitge-               ­beziehen. A reagiert mit dem, was er / sie sagt oder tut, auf
		staltet.                                                             B und B reagiert ebenso auf A (Duden, 1990, 350 – 354). Die
   . Die Interaktion der Personen mit sich selbst ist mit der sozia-     persönliche Begegnung von (mindestens) zwei Menschen
		 len Interaktion verwoben und beeinflusst sie ihrerseits.              gilt als Paradebeispiel einer Interaktionssituation. In der
   . Formierung und Auflösung, Konflikte und Verschmel­            -     ­Interaktion ­werden einerseits Erwartungen gefestigt, indem
		 zungen gemeinsamer Handlungen konstituieren das                        sie ­angenommen werden, worauf die Reaktion auf erwartende
		 soziale Leben der menschlichen Gesellschaft.                           Weise ­erfolgt. Anderseits kann die Erwartung auch abgelehnt
   . Ein komplexer Interpretationsprozess erzeugt und prägt die           werden, wodurch sich das Verhalten verändert, um andere
		 Bedeutung der Dinge für die Menschen.“ (ebenda)                        ­Erwartungen zu wecken oder diese nicht zu bedienen. D  ­ adurch
                                                                           beschreibt die Interaktion eine Handlungslinie, bestehend aus
    Diesen Ausarbeitungen zur Folge besteht, lt. Blumer die Ak-            der gegenseitigen aufeinanderfolgenden Abstimmung der Be-
tivität der Menschen darin, „ (...), dass sie einem stetigen Fluss         teiligten. Indessen ist der einzigartige Charakter der gemein-
von Situationen begegnen, in denen sie handeln müssen, und                 samen Handlung nur durch sich selbst induziert – unabhängig
dass ihr Handeln auf der Grundlage dessen aufgebaut ist, was               von dem was verknüpft wird.
sie wahrnehmen, wie sie das Wahrgenommene einschätzen
und interpretieren und welche Art geplanter Handlungslinien               Das gemeinsame Handeln, welches Blumer auch als das
sie entwerfen (...) “ (Blumer, 1973, 96). Außerdem hat Blumer          „verbundene Handeln der Gesamtheit“ beschreibt, ist somit
drei Prinzipien des Handelns entwickelt:                               immer die Gesamtheit der Verkettungen, also das aufeinander
                                                                       Abstimmen einzelner Handlungen der Individuen. ­Deshalb ist
  I. Menschen handeln Dingen gegenüber auf Grund der                   das Ergebnis dieser komplexen Verkettung eine fort­während
		 Bedeutung, die diese Dinge für sie haben.                           ablaufende, niemals abgeschlossene Entwicklung (Blumer,
  II. Diese Bedeutung entsteht in einem Interaktionsprozess.           1973, 103).
  III. Die Bedeutung wird von der Person in Auseinander­-
		 setzung mit den Dingen selbst interpretiert, daraufhin
		 entsprechend gehandhabt und geändert.

                                                                                                                                                                            6
1. 2. Design

    Design geht sprachgeschicht­lich von dem italienischen Be-                        mehr ­sinnlose Produkte auf den Markt bringen ließen. E ­ benso       Beat Schneider: Design
                                                                                                                                                            – eine Einführung, Basel,
griff „disegno“ hervor, zu Deutsch: Zeichnung (Hauffe, 1995, 10).                     kann die angebliche „Reduktion auf das Wesentliche“ eine              Birkhäuser, 2005
Im Englischen und Französischen wird Design mit den Wörtern                           Trieb­feder der Überflussgesellschaft sein“ erklärt Mateo Kries,
                                                                                      im Interview von Silke Hohmann, Monopol-Magazin für Kunst             Thomas Hauffe
„Gestaltung“ oder „Entwurf“ übersetzt. Im Gegensatz zu dem
                                                                                                                                                            Schnellkurs Design,
italienischen „disegno“ und spanischen „  ­ diseño“, welches nicht                    und Leben, am 20.05.2010 1.                                           Köln, Dumont, 1995
nur gestalterische Aspekte berücksichtigt, ­sondern auch einen
                                                                                                                                                            Uta Brandes, Michael
technische bis konzeptionelle Anteile der „Gestaltung“ berück-                           Im Gegensatz zu eindeutigen Wissenschaften ist der Begriff         Erlhoff, Nadine Schem-
sichtigt. Demzufolge bedeutet Design im ursprünglichen Sinne                          Design schematisch. Es kann die Perspektive, das Tätigkeits-          mann: Designtheorie und
                                                                                                                                                            Designforschung. Design
sowohl Gestaltung, als auch ein zugehöriger, ­kontrollierter                          feld oder die Disziplin nicht auf einen anerkannten Nenner            studieren. UTB,
Vorgang (Schneider, 2005, 12 – 16). Deutschland trat Anfang des                       ­gebracht werden. Zudem bildet die Theorie und Praxis bisher          Paderborn, Fink, 2009

19. Jh. zum ersten Mal mit der Begriffsform von Design in Kon-                         keine Übereinstimmung. Ein praktisch agierender Designer             Drosdowski, Günther:
takt. Der französische Begriff „Dessin“ ­ersetzte die deutsche                         arbeitet zwar frei von der Theorie, hält sich aber trotzdem          Etymologie. Herkunfts-
                                                                                                                                                            wörterbuch der deutschen
Bezeichnung für Mustermacher. Die e    ­ nglische Form „Design“                        an – auf Erfahrungen beruhenden Erkenntnissen, Konzepten             Sprache; Die Geschichte
existierte seit den 1960er-Jahren. Dieser wurde ausschließlich                         und teils logischen Systemen. Hinzu kommt ein aus der Praxis         der deutschen Wörter
                                                                                                                                                            und der Fremdwörter
in der Fachwelt angewandt und stand für den Prozess der be-                            ­wichtiges und nicht wegzudenkendes Element: die ­Intuition.         von ihrem Ursprung bis
wussten Gestaltung. Vorher (bis 1945) wurden Begriffe, wie                            Also ein passiven Sinn von Eingebung – ohne bewusste Schluss-         zur Gegenwart, Band7,
                                                                                                                                                            Mannheim, Dudenverlag,
z. B. industrielle Formgebung oder Produkt­gestaltung genutzt                         folgerung bzw. ohne Gebrauch des Verstandes – die Fähigkeit,          1997
(Hauffe, 1995, 11).                                                                   Einsichten in Sachverhalte, Sichtweisen, Gesetzmäßigkeiten
					                                                                                 oder die subjektive Stimmigkeit von Entscheidungen zu erlan-          Andreas Dorschel
                                                                                                                                                            Gestaltung – Zur Ästhetik
 Heute wird Design als Sammelbegriff für alle bewusst                                 gen (Drosdowski, 1997, 310.)                                          des Brauchbaren, Heidel-
                                                                                                                                                            berg, Universitätsverlag
gestalteten Eigenschaften eines realen oder virtuellen Ob-                                                                                                  C. Winter, 2002
jektes, einer Dienstleistung oder Marke. Zudem wird es                                    Die Theorie hingegen entwickelt Modelle, um die Design­
­meistens als Zusatzleistung aufgefasst, welche hauptsächlich                         praxis zu deuten. Daraus folgt, dass Design mit Hilfe der
 ­Produkte verschönert oder ansprechender hervorbringen soll                          ­theoretischen Methoden meist praktischer ausgearbeitet wird.
  (­Brandes / ­Erlhoff / Schemmann, 2009, 21 – 23).                                    Beziehe ich diese Erkenntnisse auf den Menschen, orientiert
                                                                                       sich Design am Mensch und seiner Umwelt. Design passt sich
   Seit den 1980er-Jahren verbreitete sich das Wort welt-                              dabei vor allem den vielseitigen Bedürfnissen seiner Zielgruppe
weit in allen Lebensbereichen. Demzufolge ungenauer und                                an. Deshalb ist Design in erster Linie zweckorientiert (­Dorschel,
missverständlicher wurde die Definition von Design. Kunst­                             2002, 21 – 23).
historiker und Chefkurator des Vitra Design Museums Mateo
Kries ­bezeichnet die 1980er-Jahre als Inflation für den Begriff
Design. „(…) nicht zuletzt, weil sich die Formel „Design“ her-
vorragend als Marketingargument eigne, mit der sich immer

1 http://www.monopol-magazin.de/artikel/20101636/Inflation-der-Gestaltung-In-Total-
Design-sehnt-sich-Mateo-Kries-nach-echter-Reduktion-auf-das-Wesentliche.html,
                                                                                                                                                                                        7
Zugriff am 1.6.2014
1. 2. 1. Prozess                                                                  Design ist interdisziplinär                                             Gui Bonsiepe: Erziehung
                                                                                                                                                          zur visuellen Gestaltung.
                                                                                                                                                          In: Zeitschrift der Hoch-
    Die erste Phase im Designprozess ist die Analyse zur                               Für die meisten Designergebnisse ist ein vielseitiges              schule für Gestaltung.
                                                                                                                                                          Heft Ulm 12/13, Ulm,
Problem­ erkennung. Hierbei werden Besonderheiten festge-                          ­ issen notwendig, welches aus designtheoretischer Sicht
                                                                                   W
                                                                                                                                                          HfG, 1964,
legt und daraus die Aufgabe abgeleitet. Über Stimmungsbilder                       nicht s­ pezifisch für das Design ist. Aus diesem Grund arbeiten
(­Moodboards) und erste Studien über die aktuelle Situation                        ­Designer oft in der Praxis als Team mit diversen Fachkräften          Willard Van Orman
                                                                                                                                                          Quine: Theorien und
(„Ist“-Zustand) wird eine Anforderungsliste erstellt („Pflichten-                   zusammen, ­beispielsweise mit Technikern, Ingenieuren oder            Dinge, übersetzt von
heft“) (Bonsiepe, 1964, 17 – 24).                                                   Marktstrategen, damit das Konzept in der Realität Bestand hat.        Joachim Schulte,
                                                                                                                                                          Frankfurt, 1985
                                                                                    Hier zeigt sich, dass die Designpraxis vielfältigstes Wissen un-
    Die zweite Phase widmet sich dem Konzept, welches verschie-                     terschiedlichster Herkunft nutzt (Heufler, 2004, 41). Prof. Dr. Sa-   Charlotte, Peter Fiell:
                                                                                                                                                          Design des 20. Jahr-
dene Lösungsvarianten vorschlägt. Dabei prüft der D
                                                  ­ esigner die                    bine ­Foraita1 (­Foraita, 2005, 185) schlussfolgert: „Der ­Designer    hunderts. Taschen-
Methoden, welche zur Zielerreichung als ­geeignet erscheinen                       entwickelt also nicht mehr nur einen Gegenstand an sich,               buch, Köln 2002

(Quine, 1985, 24). Hier werden einzelne Funktionen gegliedert,                     sondern vor allem die damit verbundenen Handlungs­abläufe              Bernhard E. Bürdek:
übergeordnete Lösungen gesucht und einzelne Abschnitte                             und ­ berücksichtigt dabei die Bezüge, die der ­       Gegenstand      Design – Geschichte,
                                                                                                                                                          Theorie und Praxis der
betrachtet. Zu den einzelnen Teilen und dem großen Ganzen                         zu anderen Gegenständen aufweist, seinen Handlungs- und                 Produktgestaltung, 3.
werden verschiedene Varianten ausgearbeitet. Anschließend                         ­Umgebungskontext.“                                                     Neuaufl., Basel,
                                                                                                                                                          Birkhäuser, 2005
werden diese in (meist kleineren) Teams ­bewertet, um sich für
einen Aufbau zu entscheiden. Das Konzept ­beschreibt einen                        Theoretische Grenzen des Designs                                        Gerhard Heufler:
                                                                                                                                                          Design-Basics.
Entwurfsplan und die mögliche Vorgehensweise. (Fiell C./ Fiell                                                                                            Von der Idee zum
P., Köln 2002, 28 – 32).                                                             Im Wesentlichen ist sich die Literatur darüber einig, dass           Produkt, Niggli Ag,
                                                                                                                                                          Sulgen, 2004
                                                                                  sich Design am Menschen orientiert und mit Hilfe von inno-
    In der dritten Phase entsteht der Entwurf, zur Problem­                       vativen Konzepten, Systemen und Objekten einen Einfluss auf
 lösung. Dafür werden als Erstes Skizzen angefertigt, s­päter                     den Menschen ausübt. Die Theorien unterscheiden sich aber,
­detailliert und ggf. maßstabsgetreu gezeichnet. Falls ein ­Modell                ab wann in der Praxis und im Alltag von Design gesprochen
 benötigt wird, wird dieses gebaut. Anschließend ­werden die                      werden kann.
 Entwürfe ebenfalls in (meist kleinen) Teams bewertet, um sich
 für einen finalen Entwurf zu entscheiden (Bürdek, 2005, 34).                          In der Literatur sind eine Vielzahl von Diskussionen, ab wann
                                                                                   von Design gesprochen werden kann, zu beobachten. Zum Teil
   Zuletzt, in der vierten Phase, wird der Entwurf in die ­Umwelt                  wird anhand von quantitativer Vervielfältigung ­entschieden,
implementiert: er wird beispielsweise in industrieller Serien-                    ob bei einem zwei- oder dreidimensionalen P     ­ rodukt Design vor-
produktion hergestellt, vermarktet und verkauft. Dafür wird                       handen ist oder nicht. Somit werden Einzelstücke immer w     ­ ieder
das große Ganze optimiert und „feingeschliffen“, von Teams                        als Kunsthandwerk gesehen. Sinnvoller wäre aber m            ­ einer
bewertet und korrigiert. Anschließend werden Hinweise für                         ­Meinung nach, eine Definition über i­ndividuelle ­prozessuale
die Produktion, Vorgaben für die Technik und betriebswirt-                         Aspekte, wie z. B. Idee, Entwicklung, Perspektive und Wirkung.
schaftlichen Bestimmungen herausgearbeitet (Fiell, Köln 2002,                      Zum anderen gibt es Hinweise, ­Design an ­formaler und funk-
28 – 32).		                                                                        tionaler Qualität fest zu machen. Hierbei gibt es verschiedene
		                                                                                 Designstufen, in Bezug auf Innovation, technischer ­Qualität
                                                                                   und formaler Höhe. Demzufolge gewinnen hier neuartige
                                                                                   moderne Objekte, gegenüber traditionellen Objekten, wie
                                                                                   ­
                                                                                   z. B. Eichenholzmöbel. Desweiteren gibt es Theorien darüber,
                                                                                   ob die Designer eine besondere Gabe haben, kreativ zu den-
                                                                                   ken, unkonventionelle Wege einzuschlagen und Probleme zu
                                                                                   lösen. Allgemein und wenig elitär gilt, dass jeder Mensch ein
                                                                                   Designer ist. Dementsprechend wäre Design eine fundamenta-
                                                                                   le Kompetenz des menschlichen Handelns und Schaffens.
1   Prof. Dr. Sabine Foraita an der HAWK Hildesheim für „Designwissenschaft und
    Designtheorie“
                                                                                                                                                                                      8
1. 2. 2. Form Follows Function                                            Robert McCarter: Frank
                                                                                                                                                                  Lloyd Wright, Schweden,
                                                                                                                                                                  Random House, 2010
     Die Problematik der Definition, was gutes Design ist, ist in der                          Einer der bekanntesten Gestaltungsleitsätze im Design ist:
                                                                                                                                                                  Louis Sullivan: The tall
 Theorie bisher noch nicht eindeutig beschrieben. Im Gegensatz                          form follows function (zu Deutsch wörtlich: [Die] Form folgt
                                                                                                                                                                  office building artistically
 zur Wirtschaft, wo Unternehmen oder Institutionen ­gegründet                           [aus der] Funktion). Demzufolge leitet sich die Form bzw.                 considered, Lippincott’s
 werden, um unter eigenen Kriterien der ­Gesellschaft zu sagen,                         Gestaltung aus der Funktion bzw. aus dem Nutzungszweck
                                                                                        ­                                                                         Magazine, März 1896

 was gutes Design ist – mittels einem D   ­ esign-Award. Demnach                        ab. Das erste Mal wurde dieser Leitsatz vom amerikanischen                Moggridge: Designing
 ist es entscheidend welcher Award – also welches Unternehmen                           Bildhauer Horatio Greenough erwähnt (McCarter, 2010, 14).                 Interactions, West Sussex,
                                                                                                                                                                  The MIT University Press
 oder Institution den höchsten Einfluss auf den Designmarkt                               Anschließend hat Louis Sullivan, einer der ersten Hochhaus­             Group Ltd, 2006
 hat. Salopp ausgedrückt, ­entscheiden hier ­führende Kräfte des                          architekten diesen Terminus aufgegriffen. Seine Fassaden
 ­Wirtschaftsmarktes über die Design­qualität. Der iF Design Award                        ­waren teilweise vollständig ornamentiert worden. „Es ist das
  hat beispielsweise für die Design­  disziplin „­Communication“                           Gesetz aller organischen und anorganischen, aller physischen
  folgende Bewertungs­   kriterien: Ziel­ gruppenansprache und                             und ­metaphysischen, aller menschlichen und übermensch­lichen
­Inhalt, ­Usability ­(Benutzerfreundlichkeit, ­Navigation, Funk-                           Dinge, aller echten Manifestationen des Kopfes, des Herzens
  tion), „Look and Feel“ (Ästhetik, Screendesign, Animation),                              und der Seele, dass das Leben in seinem Ausdruck erkennbar
  Uniqueness (Kreativität, Originalität, Innovation), Materialaus-                         ist, dass die Form immer der Funktion folgt.“ (aus Sullivans
  wahl und Ausführung, Wirtschaftlichkeit, Kundenrelevanz 1.                               Aufsatz: „The tall office building artistically considered“, veröf-
                                                                                           fentlicht 1896 [Sullivan,1896, 111], hier zitiert er seinen P
                                                                                                                                                       ­ artner
                                                                                           Dankmar Adler, der ihn von Henri Labrouste übernommen
                                                                                           hatte). Desweiteren erwähnt Sullivan diesen Gestaltungleit-
                                                                                           satz ein zweites Mal: „Whether it be the sweeping eagle in
                                                                                           his flight, or the open apple-blossom, the toiling work-horse,
                                                                                           the blithe swan, the branching oak, the winding stream at its
                                                                                           base, the drifting clouds, over all the coursing sun, form ever
                                                                                           follows function, and this is the law. Where function does not
                                                                                           change form does not change.“ (ebenda; Übersetzung Sullivan
                                                                                         1896: „Ob es der gravitätische Adler in seinem Flug oder die
                                                                                         ­geöffnete Apfelblüte, das sich abplagende Arbeitspferd, der
                                                                                          anmutige Schwan, die sich abzweigende Eiche, der sich schlän-
                                                                                          gelnde Strom an seiner Quelle, die treibenden Wolken, die
                                                                                          überall scheinende Sonne, die Form folgt immer der ­Funktion,
                                                                                          und das ist das Gesetz.“). Diese Definitionen wurden in der
                                                                                        Geschichte oft falsch verstanden. Sullivans Aussage zur ­Folge
                                                                                        ist auch Zierrat ein funktionales Element. Auf Grund dessen
                                                                                        beinhaltet das Gestaltungsparadigma „Funktion“ neben der
                                                                                        rein funktionalen ebenso die ästhetischen und symbolischen
                                                                                        ­Aspekte.

                                                                                           Demzufolge ist Design meiner Meinung nach definitiv
                                                                                        zweckorientiert. Das Grundprinzip lautet form follows f­ unktion
                                                                                        und orientiert sich an dem Benutzer und seiner Umwelt. Durch
                                                                                        diesen Entwicklungsprozess, bestehend aus interdisziplinären
                                                                                        Fachbereichen, löst Design Probleme des Menschens, wodurch
                                                                                        bei deren Nutzern ein postives Gefühl hervorgerufen wird.

1 iF Design Award, URL: http://www.ifdesign.de/awards_disziplinen_kategorien_index_d,
Zugriff am 01.06.2014
                                                                                                                                                                                                 9
1. 3. Interaction Design

       „Interaction Design“ beschreibt grundsätzlich einen Ent-        1. 3. 1. Methoden im Interaction Design                               Moggridge: Designing
                                                                                                                                             Interactions, West Sussex,
   wicklungsprozess einer Funktion oder eines Systems, inklusive                                                                             The MIT University Press
   deren Gestaltung. Der Ursprung von Interaction ­Design liegt           Interaction Designer entwickeln immer individuelle benutz-         Group Ltd, 2006
in der Informatikbranche, der Human Computer ­Interaction              erzentrierte Lösungen. Dafür habe sie gewisse Methoden. Ein
(HCI) sowie in der Ergonomie und der Psychologie, der                  wichtiger Bestandteil ist es frühe Prototypen (z. B. ­Simulationen,
­Human Factors. Interaction Design ging als eigenständige              interaktive Demos oder Bedienteile) zu ­entwickeln. Um damit
 ­Disziplin aus der grafischen Bedienoberfläche (Graphical User        ihr Konzept mit Hilfe von Benutzern auf ihre Anwendbarkeit
  ­Interface: GUI ) hervor. Bis sich dieser Arbeitsbereich als eine    zu überprüfen. Für den Interaction Designprozess gibt es auf­
   eigenständige Design­
   ­                      disziplin herauskristallisiert hat, haben    einanderfolgende Prozessphasen, welche je nach Benutzer-
   z. B. ­Produktdesigner, wie Dieter Rams, Ex-Chefdesigner von        Feedback und Häufigkeit der Iterationsstufen variieren ­können.
   Braun, bereits seit den 50er Jahren Interaktionen bei ihren
   Produkten (wie Taschenradio, Fernseher oder Plattenspieler)         I. Research
   selber gestaltet – ohne diese Tätigkeit dabei als Interaction De-
   sign zu bezeichnen. Weil sich die Technologie kontinuierlich           Um benutzerzentrierte Lösungen entwickeln zu können,
   schnell weiterentwickelte und die Kommunikations­        systeme    müssen Interactiondesigner ihre Benutzer erforschen und
   immer komplexer wurden, stiegen demzufolge auch deren               ihr Umfeld erkunden. Dafür sind folgende Vorgehensweisen
   Anforderungen, wodurch die Entstehung einer darauf speziali-        möglich: Fragebögen, Gespräche, Alltags-Analysen und ver-
                                                                       ­
   sierten Designdisziplin notwendig wurde.                            gleichbare Anwendungen oder Produkte. Die Recherche ergibt
                                                                       die Voraussetzung für eine benutzerzentrierte Designlösung
     Bill Moggridge und Bill Verplank waren die ersten, wel-           einer Problemstellung.
  che den Begriff „Interaction Design“ aufführten (IBM,
  2008 / ­Verplank, 2014). Verplank bezeichnete Interaction            II. Conception
­Design als Adaption des Begriffes „User Interface Design“. Für
 ­Moggridge dagegen war es eine Verbesserung von „soft-face“,               Nach der Recherche entwickeln Interaction Designer,
  einem Begriff, den er 1984 für die Gestaltung von Produkten          I­deen und erste Konzepte für z. B. neue Software-Anwendun-
  mit integrierter Software nutzte (Moggridge, 2006). 1989 würde        gen, Endgeräte, Services und Systeme. Diese Phase ­benötigt
  der erste Master-Studiengang für Interaktionsprozesse geschaf-        mehrere Durchgänge von Kreativitätstechniken, wie z. B.
                                                                        ­
  fen. Gillian Crampton-Smith etablierte am Royal College of Art,       ­„Brainstorming“, „Semantische Intuition“, sowie „Methode
  London den Studiengang „computer-related design“, welcher              635“ und ­weitere. D
                                                                                            ­ arauf folgen Diskussionen und Verbesse-
  anschließend als „design interactions“ bekannt wurde. Zudem            rungsvorschläge. Meist ­geschieht diese Kreativphase in kleinen
  entstand 2001 in Italien das „Institute Ivrea“, eine Hochschule        Teams. Um die Voraussetzungen und mögliche Einschränkun-
  die sich ausschließlich mit Interaction Design beschäftigte. Das       gen verstehen zu können, erstellen Interaction Designer ver-
  populärste Produkt ist der Mikrocontroller „Arduino“. In den         schiedene fiktive Benutzerprofile (Personas) mit jeweils einem
  letzten zehn Jahren wurden immer mehr Interaction Design-            passenden Szenarium. Anschließend werden Anwendungs-
  Studiengänge weltweit verzeichnet. Somit bekommt der Be-             fälle (Use Cases) definiert, wofür die geeignetsten Personas
  griff eine fortführend weitreichendere Bedeutung.                    genutzt werden. Um den zukünftigen Interaktionsablauf des                                          10
Nutzers mit der Anwendung oder dem Gerät zu verstehen,            V. Interface Design
können die Abläufe einerseits als Mock-ups festgehalten oder
zum ­anderen als Animation greifbar gemacht werden.                   Interface Design ist die grafische Oberflächengestaltung
						                                                            des Dialoges zwischen Mensch und Maschine. Auch hier wird
    Nachdem die Analyse der Benutzeranforderungen ausführ-        ­großen Wert auf eine benutzerzentrierte Gestaltung gelegt
lich mit allen Problemstellungen zusammengefasst wurden,           (User Experience). Eine Interface Gestaltung ist i. d. R. nur
wird ein Vision Statement verfasst. Darin werden alle derzeiti-   möglich, wenn eine Ein- oder Ausgabe mit Hilfe einer visuellen
gen und zukünftigen Projektziele definiert.                       Oberfläche geschieht.

III. Creation                                                     VI. Implementation

    Darauf aufbauend wird eine klare Problemstellung be-             Die Umsetzung erfolgt meistens durch Programmierer,
schrieben. Der Interaction Designer entwirft erste Prototypen     ­ edientechniker oder Elektroingenieure. Dabei müssen Inter-
                                                                  M
(z. B. Screenflows oder Papierprototypen) mit verschiedenen       action Designer weiter integriert bleiben, um die Richtigkeit
Variationen. Die geeignetesten Ergebnisse mit den meisten         der Konzeption zu überwachen. Es ist möglich, dass sich während
­erfüllten Anforderungen, werden in einer Lösung neu ange-        der Umsetzung noch Änderungen ergeben. Wichtig ist, dass der
 wendet. Zur Visualisierung der Zusammenhänge werden Tools,       Interaction Designer über jede Änderung informiert
 wie Hierarchische Modelle oder Klassendiagramme genutzt.         wird.

IV. Prototyping                                                   VII. Testing

   Zur Überprüfung eignen sich fol­gende Techniken:                  Bevor das System, Produkt oder Gerät für deren Zielgruppe
                                                                  freigegeben wird, findet eine weitere Testrunde statt (Usabili-
   . Aufgabe und ihre Funktion des Produktes projizieren;         ty- und Bug-Testing). Der Interaction Designer muss auch hier
   . „Look and Feel“ erlebbar werden zu lassen;                   den Prozess kontrollieren, um relevante Veränderungen vorzu­
   . Realisierbarkeit der Anwendung.                              nehmen.

   Prototypen können eine horizontale oder vertikale Navi-
gation beinhalten. Wobei die Horizontale die Funktionsviel-
falt aufzeigt und die Vertikale die Anwendungstiefe. Bei dem
Prototyping ist die Gestaltung noch nicht wesentlich, deshalb
können Prototypen unterschiedlich detailliert ausgestaltet
­
sein: ­physisch, digital, skizzenhaft oder äußerst detailliert.

                                                                                                                                    11
1.3.2. Soziale Interaktionsgestaltung                              1.3.3. Emotionale Interaktionsgestaltung                           Helen Sharp, Yvonne
                                                                                                                                      Rogers, & Jenny Preece:
                                                                                                                                      Interaction Design
     Social Interaction Design (SxD), als Schwerpunkt der              Für den Interaction Designer liegt der Fokus des ­gesamten     – beyond human-
                                                                                                                                      computer interaction,
I­nteraktionsgestaltung, beschäftigt sich zum Einen mit der        Designprozesses immer auf der benutzerfreundlichen
                                                                                                                                      3. Aufl., West Sussex,
 ­Interaktion zwischen Mensch und Maschine und zum Anderen         ­Anwendbarkeit (Usability). Mindestens genauso viel Wert muss      John Wiley & Sons, 2011
  mit der Interaktion von den Nutzern untereinander. Aufgrund       der Designer aber auch auf die Emotionen legen, d. h. nicht
                                                                                                                                      John J. McCarthy und
  der Digitalisierung, besonders der sozialen Vernetzung, nimmt     nur die rationale Anwendbarkeit ist entscheidend, ­   sondern     Peter Wright: technology
  die Soziale Interaktionsgestaltung zu. Menschen können ­heute,    die Benutzerfreundlichkeit von Produkten, welche durch            as experience framework,
                                                                                                                                      West Sussex, John Wiley
  mit Hilfe von z. B. mobilen Endgeräten, Navigations­  geräten     emotionale Aspekte entscheidend beeinflusst wird (Sharp /         & Sons, 2007
oder Spielkonsolen, jederzeit und überall mit anderen Perso-       Rogers / Preece, 2011, 181 – 217).
                                                                                                                                      Charles Eames und Ray
nen weltweit kommunizieren. Für den Interaction ­      Designer                                                                       Eames: Die Welt von
stellt sich dadurch die zwischenmenschliche Kommunikation               Die Voraussetzung für eine positive emotionale Wahr-          Charles und Ray Eames,
                                                                                                                                      Berlin, Ernst & Sohn, 1997
als Herausforderung dar.                                           nehmung ist die Usability (McCarthy, Wright, 2007). D    ­ arauf
                                                                   aufbauend kann das Interface Design mit positiven, ­
                                                                   ­                                                          moti­
                                                                                                                                  -
    Daraus ergibt sich ein neues Kapitel für die Theorie der       vierenden, assistierenden, lernenden, kreativen, sozialen und
r­ationalen Entscheidung von den Kognitionswissenschaften          überzeugende Elementen. Hier kommt es auf die Details an.
 und der Soziologie, Psychologie und Anthropologie. Bisher ist     Für ein ausdrucksstarkes Interface Design haben sich z. B.
 der Zusammenhang der sozial-vernetzten Technologien noch          dynamische Icons, Animationen und Audioeinblendungen
 unzureichend beschrieben.                                         bewährt. Nur wenn diese Details, dem Nutzer seine Inter­
                                                                   aktionen nachvollziehbarer gestaltet, wird das System, Gerät
                                                                   oder Service, ­begehrenswert erscheinen. Zusätzlich haben die
                                                                   ­Designparameter wie z. B. Schriftart, Farbigkeit, Form, Größe
                                                                    oder ­Helligkeit. einen großen Einfluss darauf, ob das Produkt
                                                                    ­emotional positiv wahrgenommen wird. Der Designer Charles
                                                                     Eames führt hierzu auf: „The details are not the details, the
                                                                     details are the design“ (Eames C./Eames R., 1997).

                                                                                                                                                                   12
1.3.4. User Interface Design                                           1.3.5. User Experience                                             Donald A. Norman:
                                                                                                                                          Aufmerksamkeit und
                                                                                                                                          Gedächtnis: eine Einfüh-
     Oft verbindet die Literatur das Interaction Design mit dem           Die „User Experience“ priorisiert die Benutzerfreundlich-       rung in die menschliche
                                                                                                                                          Informationsverarbeitung,
„User Interface Design“. Dieses setzt sich mit der Entwicklung         keit. Trotzdem ist das Produkt nicht allein emotional an­
                                                                                                                                          Weinheim, Basel,
des Dialoges zwischen Mensch und Maschine ausein­             ander.   sprechend, wenn die Usability-Anforderungen befolgt w   ­ urden.   Beltz, 1973
Wenn in einem Dialog eine grafische Benutzeroberfläche                 Donald A. Norman, Professor für Informatik und Gründer der
                                                                                                                                          Rainer Dorau: Emotio-
­(Interface) integriert ist, wird diese von dem Interaction- oder      Firma ­Nielsen Norman Group, hat, den Begriff User-Experi-         nales Interaktionsdesign,
 Interface Designer gestaltet. Demzufolge kann Interfacedesign         ence geprägt. Er wollte sich von dem Begriff „Usability“ lösen.    Heidelberg, Springer,
                                                                                                                                          2011
 ein Teil des Interaction Designs sein. Im Gegensatz zur v­ isuellen   „User Experience“ ist eine übergeordnete Bezeichnung für die
 ist u. a. auch eine auditive oder haptische Eingabe möglich.          Gesamtheit aller Erfahrungen, die ein Nutzer mit einer Inter­
 Hierfür gibt es i. d. R. keine Interfacegestaltung. Während des       aktion macht. (Norman, 1973). Eine Interaktion soll nicht nur
 gesamten Interactiondesignprozesses wird großer Wert auf              fehlerfrei ans Ziel führen – sie muss begeistern. Somit wird aus
 eine benutzerzentrierte Gestaltung gelegt (User Experience).          der grauen Usability der bunte „Joy of Use“ (Dorau, 2011, 17).

   Interaktivität muss nicht ausschließlich digital sein. Inter­          Ein Interactionsdesigner muss schon in frühen Phasen er­
action Designer können ebenso Lösungen für Dienstleister und           kennen, ob das Design funktioniert und die Anforderungen
Abläufe entwickeln.                                                    an ein emotionales Interaktionsdesign erfüllt. Die Heraus­
                                                                       forderung ist, dass der Designer nicht die Emotionen einstel-
                                                                       len kann, sondern lediglich am Design Stellschrauben drehen
                                                                       kann, um anschließend die gewünschte emotionale Wirkung
                                                                       zu erhalten. Die methodische Vorgehensweise für eine gute
                                                                       Usability und User-Experience sind folgende drei Punkte
                                                                       (Dorau, 2011, 17):

                                                                         I. Im Erscheinungsbild der Anwendugen ist der Anspruch an
                                                                       		 eine gute Ästhetik zu erfüllen (ebenda). Hierbei ist zu be-
                                                                       		 achten, dass Ästhetik nicht allein visuell sein muss, auch
                                                                       		 das auditive Design und die Haptik kann hierbei eine Rolle
                                                                       		 spielen. Die Ästhetik für einen Interaktionsdesigner ist ge-
                                                                       		 nerell Design für die Sinne. (vgl. Punkt 1.3.5.,
                                                                       		I. Erscheinungsbild, 14)
                                                                         II. Dem Anwender ein positives Bedienerlebnis zu verschaf-
                                                                       		fen (ebenda). (vgl. Punkt 1.3.5., II. Bedienerlebnis, 14)
                                                                         III. Das Verständnis der Anwendung bestmöglich zu fördern
                                                                       		(ebenda) (vgl. Punkt 1.3.5., III. Verständnis, 15)
                                                                                                                                                                      13
I. Das Erscheinungsbild:                                           II. Das Bedienerlebnis:

     Ein attraktives Erscheinungsbild erhöht die Aufmerksam-       „Das Bedienerlebnis [User Experience] bezieht sich hauptsäch-
keit des Nutzers und sein Interesse, sich mit dem Interface        lich auf den Akt der Interaktion und auf die Wirkung auf den
­auseinander zu setzen. Unbewusst schließt der User vom ­ersten    Nutzer“, beschreibt Rainer Dorau, Senior-Informationsdesigner
 Eindruck auf die gesamte Anwendung. Hierbei gelten die            bei macio GmbH (2011, 20). Die User Experience entscheidet, ob
 ­gleichen Gesetze, welche seit der Erfindung des Buch­druckes     das Versprechen eines guten Interaktionsdesigns, welches von
  entwickelt worden. Gestaltungsregeln für Layout, Farb­gebung,    dem Erscheinungsbild ausgelöst wird, eingehalten wird. Denn
  Typografie etc. haben bei Bildschirmanwendungen nicht an         User Experience lässt sich nicht auf den ersten Blick bewerten,
  Bedeutung verloren. Deren Ziel ist das optimale Erfassen von     sondern wirkt erst während seiner aktiven Nutzung. Ziel ist es
  Informationen und eine bestmögliche Lesbarkeit. Bei Bild­        bei dem Nutzer eine positive Grundstimmung hervorzurufen.
  schirmanwendungen kommt lediglich die Einschränkung der
  Monitorwiedergabe oder die mit der erzeugenden Software              Die Basis für das Bedienerlebnis ist eine gute Rechen­
  erreichbare Renderingqualität hinzu. Somit hat jedes Medium      leistung. Mit langen Wartezeiten, ruckelnden Animationen
  in der technischen Reproduktion ihre Besonderheit.               und ­verspäteten Rückmeldungen ist eine schlechte Stimmung
                                                                   bei dem Nutzer vorprogrammiert. Mit einer performanten
    Ebenso sollte die Stilistik an der Zielgruppe und der Zweck-   Darstellung von Prozessen und Zuständen und eine instan-
bestimmung der Anwendung angepasst sein. Wenn Dinge                te Rückmeldung der Benutzereingaben verbindet der Nutzer
­fotorealistisch oder ikonografisch dargestellt werden, wird das   ein technisch zuverlässiges System. Das schafft Vertrauen in
 Erscheinungsbild auch unterschiedlich wahrgenommen, z. B.         Funktions­tüchtigkeit und Robustheit des Systems. Der Nutzer
 seriös oder verspielt.                                            muss das Gefühl bekommen, dass sich das Produkt und des-
                                                                   sen Interface gut anfühlen. Rainer Dorau erklärt: „Neben der
   Wenn Musik oder Klänge mit der visuellen Darstellung            ­technischen Zuverlässigkeit ist auch die logische Zuverlässig-
­ ombiniert wird, müssen diese auch auf ästhetischen Gesichts-
k                                                                   keit von großer Bedeutung. Das System muss sich erwartungs­
punkten ausgewählt oder komponiert werden. Die Klang­               konform verhalten, der Benutzer muss das Gefühl haben, dass
ästhetik muss zur visuellen Erscheinung passen.                     es das tut, was von ihm verlangt wird. Das Vertrauen in die
                                                                    Zuverlässigkeit des Systems ist eine der wichtigsten Vorausset-
   Innerhalb der ästhetischen Kategorie spielt, bei einer           zungen für ein positives Bedienerlebnis.“
­hysischen Bedienung, die Haptik eine bedeutende Rolle:
p
Form, Größe, Gewicht, Material, Temperatur und die Ober­               Ein wichtiger Bestandteil des Sicherheitskonzepts ist das
fläche haben großen Einfluss, ob die Berührung als angenehm        Fehlbedienungs­risiko. Nutzer wissen zwar, dass der Computer
empfunden wird oder nicht. Die Oberflächensensibilität der         kein Mensch ist, trotzdem verlangen sie von Anwendungen ein
menschlichen Haut empfindet Temperatur, Schmerz und me-            menschenähnliches Verhalten. Weil Computer nur stur nach
chanische Reize. Der mechanische Sinn teilt sich in: Berührung,    vorprogrammierten Algorithmen handeln, ist es oft der ­Nutzer,
Vibration, Druck, Spannung und Kitzel (Dorau, 2011, 20).           der die Fehler bei der Bedienung macht. Es ist grundsätzlich
                                                                   nicht schlimm und allgemein menschlich, Fehler zu m   ­ achen.
                                                                   Deshalb müssen Interaktionsdesigner dieses Fehlerbedienungs-
                                                                   risiko in ihrer Arbeit berücksichtigen. Die beste Reaktion auf
                                                                   Fehler zu reagieren ist, dem User die Chance auf Korrektur zu
                                                                   geben und ihm ggf. eine Hilfestellung anzubieten.

                                                                      Demzufolge muss auch das Wording fokussiert werden.
                                                                   Imperative Ermahnungen und Ausrufezeichen gehören der
                                                                   Vergangenheit an. Das Wording einer Anwendung sollte
                                                                   freundlich, aber bestimmt sein und nie maßregelnd oder be-
                                                                   vormundend klingen (Dorau, 2011, 21).
                                                                                                                                      14
III. Das Verstehen

   Verstehen bedeutet nach Wilhelm Dilthey, Theologe und                 Donald A. Norman, Professor für Informatik, beschreibt           Friedrich Lenger:
                                                                                                                                          Werner Sombart
Philosoph, aus äußerlich gegebenen, sinnlich wahrnehmbaren            in seinem Buch Emotional Design: „Why we love (or hate)             1863 – 1941, 3. Aufl.,
Zeichen ein „Inneres“, Psychisches zu erkennen (Dilthey, 1938,        everyday things“ (New York, Basic Books, 2003, 98) die Stel-        München, Beck, 2012
212 – 213). Das inhaltliche Begreifen eines Sachverhalts, das         lung der Form in den Dienst der Funktion als Selbstbeschrei-
                                                                                                                                          Marcus du Sautoy: Die
nicht nur in der bloßen Kenntnisnahme besteht, sondern vor            bungsfähig: „Ein Türgriff muss aussehen wie ein Griff.“             Musik der Primzahlen: Auf
allem durch eine intellektuelle Erfassung des Zusammenhangs,          Wenn er das nicht tut, löst er Unverständnis aus und spricht        den Spuren des größten
                                                                                                                                          Rätsels der Mathematik,
in dem der Sachverhalt steht. Nach Werner Sombart, Soziologe­         nicht zu dem Nutzer. Somit muss auch der Button aussehen,           München, C. H. Beck,
und Volkswirt, beruht das Verstehen auf der Identität des             wie ein Button. Der ­Nutzer muss sehen, dass dieser Button          2004

Menschen­geistes. Das Verstehen setzt Intelligenz bzw. Geist          zum anfassen da ist. Eine Ausnahme besteht während der              Karl R. Popper, Miller, A
voraus (Lenger, 2012, 171 – 174).                                     Gesten­ steuerung. ­Gestische ­Interfaces vertrauen auf eine        proof of the impossibility
                                                                                                                                          of inductive probability,
                                                                      Experimentier­freudigkeit der ­Nutzer. Demzufolge ist es hier-      in: Nature 302, 1983
    Der Begriff des Verstehens spielt in der Philosophie und der      bei noch ­ wichtiger ­Fehlbedienungen abzusichern. Geeignet
Hermeneutik eine wichtige Rolle. Z.B. ist der Ausruf Heureka          sind dafür auch V ­ orabvisualisierungen. Rainer Dorau (2011,
nach einer von Plutarch und Vitruv überlieferten Anekdote             23) rät: „Um eine für alle Bediener verständliche Visualisierung
berühmt geworden. Demzufolge soll Archimedes von Syrakus,             zu finden, muss sich der Interaktionsdesigner in die Situation
ein griechischer Mathematiker, nachdem er in der Bade­wanne           des Anwenders hineinversetzen und antisipieren, was dieser
das Archimedische Prinzip entdeckt hatte, unbekleidet und             zu verstehen in der Lage ist und was nicht. […] Alle Design-
laut „Heureka!“ rufend durch die Stadt gelaufen sein (Kluge,          entscheidungen unterliegen der Maßgabe: Ist die Information,
Seebold, 2002, 410). Seitdem wird Heureka als freudiger Ausruf        die der An­wender zur Bedienung benötigt, zur rechten Zeit im
nach gelungener Lösung einer schwierigen Aufgabe verwen-              Interface präsent, und ist das Mittel der Darstellung geeignet,
det und steht auch als Synonym für eine plötzliche Erkennt-           verstanden zu werden? […] Ein gutes Informationsdesign wird
nis. Ebenso hat der berühmten Mathematiker Carl Friedrich             vom Bediener als klare, unmissverständliche Benutzerführung
Gauß dieses Motto verwendet. Als er 1796 entdeckte, dass sich         wahrgenommen.“
jede positive ganze Zahl als Summe von drei Dreieckszahlen
­darstellen lässt, schrieb er die folgende Zeile in sein Notizbuch:      Inwieweit das Interface verstanden wird, ist abhängig
 „EYPHKA! num = Δ + Δ + Δ“ (Sautoy, 2004, 71).                        von ­ Erfahrungen und dem Wissensstand des Nutzers. Ein
                                                                      Interaktion­designer kann nicht wissen, was die Anwender den-
    Demzufolge löst eine per Geistesblitz gewonnene Erkennt-          ken. Aber Designer wissen, wie sie denken. Menschen ziehen
nis Glücksgefühle aus. Neben dem praktischen Nutzen etwas             Schlüsse aus ihren Handlungen und den Rückmeldungen des
schlauer geworden zu sein, werden eine Menge ­Emotionen               Systems. Von persönlichen Erfahrungen und kulturellen Hin-
­erlebt. User-Interfaces sind logische Gebilde. Ein Nutzer will       tergründen weitgehend unabhängig sind logische Schluss-
 sich nicht nur an deren Ästhetik erfreuen. Wenn mit der              folgerungen, wie z. B. die Induktion und Deduktion. Indukti-
 Anwendung ein praktischer Nutzen verbunden ist, will der
 ­                                                                    on bedeutet den abstrahierenden Schluss aus beobachteten
 ­Bediener die logisch-funktionalen Zusammenhänge verstehen.          Phänomenen auf eine allgemeinere Erkenntnis, z. B. einen
  Damit er das nicht durch Ausprobieren erfahren muss, soll er        allgemeinen Begriff oder ein Naturgesetz. Der Ausdruck wird
  durch gutes Informationsdesign angeleitet werden.                   als Gegenbegriff zu Deduktion verwendet. Eine Deduktion
                                                                      schließt aus gegebenen Voraussetzungen auf einen speziellen
    Da Interface selbst erklärend sein muss, wird es zu ei-           Fall (Popper / Miller, 1983, 687 – 688). Diese Schlussfolgerungs-
ner F­ ormulierungsaufgabe, welche sprachliche und grafische          mechanismen erfolgen während des Verstehungsprozesses.
­Komponenten, sowie deren Verhalten mit einschließt. Nach             Dadurch schlussfolgern die Nutzer gewisse Regeln und Gesetz-
 dem Designprinzip: „form follows function“ (vgl. Punkt 1. 2. 2.      mäßigkeiten. Hat der User gelernt, wie ein Button aussieht und
 Form Follows Function, 9)

                                                                                                                                                                       15
funktioniert, wird er diese ­Erkenntnis auf alle gleichaussehen-    		   Wünsche, welche das Leben schöner machen und damit                Wilhelm Dilthey:
                                                                                                                                           Pädagogik: Geschichte
den Elemente übertragen. Rainer Dorau (2011, 25) fässt zusam-       		   die Welt verbessern. Bill Verplank schreibt hier-                 und Grundlinie des
men: „Was gleich aussieht, verhält sich gleich. Hier schließt der   		   zu: „These are brilliant concepts, the ideals that we             Systems, Leipzig, B.G.
                                                                    		   have for making the world wonderful.“ (ebenda)                    Teubner, 1938
­Bediener vom E­ inzelfall auf eine allgemein gültige Gesetzmä-
 ßigkeit (Induktion­) und ­ wendet diese Gesetzmäßigkeit wie-                                                                              Donald A. Norman:
derum auf andere Einzelfälle an (Deduktion).“ Demzufolge               II. „Meaning – metaphors and scenarios“                             Aufmerksamkeit und
                                                                                                                                           Gedächtnis: eine Einfüh-
geht eine Ausschluss­formulierung hervor: Elemente, die unter-      		    Um ein Problem und deren Lösung zu beschreiben, kön-             rung in die menschliche
schiedlich aussehen, erwartet, dass sie sich auch unterschiedlich   		    nen lange Erklärungen formuliert werden. Bill Verplank           Informationsverarbeitung,
                                                                                                                                           Weinheim, Basel, Beltz,
verhalten. Innerhalb des Interaktionsdesigns bedeutet das, dass     		    bevorzugt hierfür eine einfache Metaphor. Nur ein Bild           1973
bestimmte logische Funktionen nur eine einzige Visualisierung       		    oder ein Satz soll den gesamten Prozess erklären. Da-
                                                                                                                                           Rainer Dorau: Emotio-
erhalten und diese nicht anders verwendet werden darf.              		    durch wird die Konzeptentwicklung unterstützt und                nales Interaktionsdesign,
                                                                    		    überprüft (ebenda).                                              Heidelberg, Springer,
                                                                                                                                           2011
   Damit der User das Interface verstehen kann, muss der
Inter­actionsdesigner sich der Orientierung widmen. Ansons-            III.„Modes – models and tasks“                                      Moggridge: Designing
                                                                                                                                           Interactions, West Sussex,
ten läuft der Nutzer die Gefahr, sich in dem großen Bauwerk         		    Um ein Konzept zu entwickeln, muss der User analysiert           The MIT University Press
des Systems zu verlaufen. Der Nutzer muss dabei nicht die ge-       		    und verstanden werden. Die jeweilige Methode ist abhän-          Group Ltd, 2006
samte Informations­architektur erfassen, sondern sich lediglich     		    gig von der einzelnen Aufgabe und deren Ziel. Hierbei wird
ziel­
    sicher in der Navigationsstruktur bewegen. Demzufolge           		    die Aufgabe daran definiert, wie der Weg von einer Metho-
müssen Mittel zur Orientierung bereitgestellt werden. Dabei         		    de oder Modell zur anderen bzw. von einer Sphäre in die
stehen drei Fragen im Mittelpunkt (ebenda), wie z. B. „Wo bin       		    andere ist. Bill Verplank beschreibt (ebenda): „How they can
ich?“, „Wie bin ich hierhergekommen?“, „Wie komme ich hier          		    move from one mode or model to another, or from one en-
weg?“. Für jede der drei Fragen muss im Interface ein Aus-          		    vironment to another, will then define the tasks.“ Dieses
drucksmittel zur Verfügung gestellt werden.                         		    tiefgreifende Verständnis darüber, was eine Person macht,
                                                                    		    gibt Auskunft darüber, was die Aufgabe benötigt.

                                                                       IV. „Mapping – displays and controls“
1. 3. 6. Vier-Phasen-Prozess                                        		    Abschließend wird meistens eine Darstellung und deren
                                                                    		    Bedienung entwickelt (abhängig von den Prozesspunkten
   Bill Verplank bezeichnet Interaction Design als ein Vier-        		    I. – III.). Diese Darstellung ist die Präsentation von Dingen,
Phasen-Prozess (Moggridge (2006, 130 – 134). Als erstes wird        		    welche die Interaction Designer verhüllen. Trotzdem muss
der Designer durch ein Problem oder eine Idee angeregt, eine        		    es möglich sein, die gesamte Bedienung in der Abbildung
Lösung zu kreieren. Dazu wird eine Metaphor (bildlicher Aus-        		    aufzuzeigen. Solche Darstellungen können bei Arbeiten
druck) gesucht, die das Problem und deren Lösung darstellt.         		    mit dem Computer sehr komplex werden. Vor allem, wenn
Anschließend werden Szenarien entwickelt, welche die Aufga-         		    der Computer für einen Moment Elemente neu belegen
ben im einzelnen beschreiben. Zudem wird ein Konzept ent-           		    kann, welche außergewöhnliche Aktionen hervorrufen,
wickelt, welche alle Aufgaben verknüpft und die Methoden            		    wie beispielsweise alles auswählen oder alles löschen zu
beschreibt. Abschließend wird entschieden welche Darstellung        		    können (ebenda).
sinnvoll ist und wie deren Bedienung erfolgt.
                                                                        Schlussfolgernd hat beim Interaction Design die höchste
 I. „Motivation – errors and ideas“                                 ­ riorität der Nutzer und sein Verstehen. Wenn die Interaktion
                                                                    P
		Lt. Bill Verplank sollte Design aus einem verstandenden           eine Lösung hervorruft, die nachvollziehbar (für deren ­Nutzer)
		    Problem und einem Wunschbild entstehen. Diese Proble-         ist und mit Interface Design verknüpft wird, sind ­     meines
		    me können im Alltag zu genügend beobachtet werden.            Erachtens, sehr gute Voraussetzungen, geschaffen positive
                                                                    ­
		    Als weitere Anregung gelten allgemein gute Ideen und          Emotionen auszulösen.

                                                                                                                                                                        16
1. 4. Service Design

   Im Rahmen meiner Ausarbeitung zu „Interaction ­Design“                In meiner Arbeit beschränke ich mich bei dem Service D  ­ esign   Stauss B., International
                                                                                                                                           Service Research: Status
habe ich Ähnlichkeiten sowie Überschneidungen zum „Service           rein auf die Dienstleistung. Service Design is kein ­separates Feld   Quo, Developments,
Design“ festgestellt. Diese ebenso junge Design­disziplin wurde      für sich, sondern eine übergreifender Prozess. Zusammen­fassend       and Consequences for
                                                                                                                                           the Emerging Services
1991 erstmals an der Köln International School of Design (KISD)      ist Service Design eine Produktsprache. „Zur Produktsprache
                                                                                                                                           ­Science, in: Stauss, B.
gelehrt (KISD, 2014). Darauffolgend ­wurde 2004 in Zusammen-         gehören sehr verschiedene Ausdrucksformen wie z. B. Dimen-             et al. (Hrsg.): Services
arbeit verschiedener Hochschulen und ­      einer Agentur (KISD,     sion, Form, physikalische Oberflächen­     struktur, Bewegung,         Science: Fundamentals,
                                                                                                                                            Challenges and Future
Carnegie Mellon University, ­Universität ­Linköping, Poliecnico di   ­Materialbeschaffenheit, Art und Weise der Funktions­erfüllung,        Development, Berlin:
Milano, Domus Acadamy und die Agentur Spirit of Creation) das         Farben und grafische Gestaltung der O    ­ berfläche, Geräusche       Springer, 2008

„internationale Service Design Network“ gegründet, welches            und Töne, Geschmack, Geruch, ­       Temperatur, ­    Verpackung,    Spath, D., Ganz, W.,
heute weltweit Designexperten und ­-Beratungsunternehmen              Widerstandsfähigkeit gegenüber Außeneinflüssen. Alle diese
                                                                      ­                                                                    Meiren T., Bienzeisler  B.:
                                                                                                                                           Service Engineering –
sowie Service-Design-­Akademiker und -Fachleute miteinander           Informationen wirken – positiv oder negativ – in starkem Maße        A Transdisciplinary
verbindet. 2009 führte eine zweite deutsche Hochschule diesen         auf den potentiellen Käufer ein.“ (Ellinger, 1966, zitiert nach      ­Approach in Service
                                                                                                                                            Research, in: Stauss, B.
Studiengang ein – die M­ acromedia Hochschule für Medien und          Bürdek, 2005, 285).                                                   et al. (Hrsg.): Services
Kommunikation.                                                                                                                              Science: Fundamentals,
                                                                                                                                            Challenges and Future
                                                                          Diese von Ellinger beschriebenen Sinneseindrücke, sind            Development, Berlin,
    In der deutschsprachigen Literatur findet sich noch keine        vor allem auf die Reize handfester Produkte ausgelegt. Bei             Springer, 2008
allgemein akzeptierte Definition über Service Design. In Bezug       ­genauer Betrachtung können aber Parallelen von ­tangiblen            Bürdeck, B. E.: Design:
auf das Dienstleistungsmarketing findet sich dieser Begriff oft       zu intangiblen Produkten gezogen werden. Beispiels­      weise       Geschichte, Theorie und
                                                                                                                                           Praxis der Produktgestal-
in der Management- und Marketingforschung wieder (Stauss,             betrachte ich die Dienstleistung „Bildung“ an einer ­
                                                                      ­                                                      Schule.       tung, 3. vollständig über-
2008, 58). Hierbei wird vor allem auf Qualität und Kunden­            Die Oberflächenstruktur der Tools für die Wissensübertragung         arbeitete und erweiterte
                                                                                                                                           Aufl., Basel: Birkhäuser,
orientierung fokussiert. Desweiteren findet sich Service D
                                                         ­ esign      ist u. a. die Tafel und die dazugehörige Kreide. Wenn die            2005
ebenso unter einer anderen – thematisch eng verbundenen               Kreide lautstark an der Tafel kratzt, löst es einen ­negativen
                                                                                                                                           Mager, B. und Gais, M.:
Disziplin im ingenieurwissenschaftlichen Bereich wieder –
­                                                                     Eindruck über diese Dienstleistung aus. Ebenso kann die
                                                                                                                                           Service Design. Stuttgart:
„Service Engineering“, welche sich mit der Entwicklung und            Verpackung des zu übermittelten Wissens zum einen aus
                                                                      ­                                                                    UTB, 2009
dem Design von neuen Dienstleistungen befasst (Spath u. a.,           „bunten“ ­
                                                                      ­            anschaulichen Beispielen oder aus langweiliger
2008, 46). Thematisch startete Service Engineering mit einer          „grauer“ Theorie bestehen. Wie wichtig dabei die Temperatur
Prozess­beschreibung in Analogie zu Produkt- und Software­            ist, wird spätestens gemerkt, wenn der Raum gelüftet werden
entwicklung. Deren interdisziplinäre Themenschwer­       punkte       muss. Anhand dieser alltagsnahen Beispiele lässt sich Design
sind laut Spath (ebenda, 47) die Gestaltung von Dienstleistungs-      mit der Formgebung von Dienstleistungen identifizieren. Die
arbeit, Kundeninteraktion und emotionale Aspekte von Dienst-          Gestaltung der Dienstleistungsprozesse und ihrer materiellen
leistungen.                                                           Bestandteile ist nun Gegenstand des Service Design. Und die-
                                                                      se Gestaltung hat Funktionalität sowie Emotionalität zum Ziel
                                                                      (Mager / Gais, 2009, 43).

                                                                                                                                                                         17
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