Der Osten DER HAUPTSTADTBRIEF
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IKONE WUNDERWUMMSIS Günter Bannas über Leben Inge Kloepfer über und Sterben Petra Kellys politische Neologismen Seite 4 Seite 5 DER HAUPTSTADTBRIEF Herausgegeben von Ulrich Deppendorf und Ursula Münch Der Osten Über eine politische Himmelsrichtung Von Gabriel Kords Seite 2 15. Oktober 2022 | #41
15. Oktober 2022 Eckige Tische: Olaf Scholz beim Bürgerinnengespräch zum Tag der Deutschen Einheit in Erfurt Die Ostdeutschen als Avantgarde Die politische Grundstimmung in Westdeutschland nähert sich der in Ostdeutschland an. Darin liegt auch eine Chance Von Gabriel Kords W enn politische Nachrichten aus Auch in den vergangenen Wochen war chen auf diese Weise nur als kurzes Stroh- dem Osten Deutschlands in den dieser reflexhafte Umgang mit „Ost“-Nach- feuer die Runde. bundesweiten Medien eine Rol- richten zu erleben. Etwa, als die Nachricht Dabei hätte das, was Schneider in sei- le spielen, geschieht das meist mit einem seit die Runde machte, dass die AfD laut ak- nem Bericht mitzuteilen hatte, durchaus drei Jahrzehnten erprobten Dreiklang: Am tuellen Meinungsumfragen bei Wahlen eine nähere Betrachtung verdient. So ersten Tag macht die bloße Nachricht die in Brandenburg gegenwärtig die stärkste enthält das Papier alljährlich eine reprä- Titel: Shutterstock/dmnkandsk, S.2: picture alliance / Martin Schutt Runde, meistens garniert mit der ein oder Kraft würde. Oder als am Einheitsfeiertag sentative Umfrage unter Ost- und West- anderen Empörungswelle auf Twitter und über #100000 Menschen in ostdeutschen deutschen, die jenseits aller politischen Co. Am zweiten Tag folgen einige Leitartikel Städten auf die Straße gingen, um gegen die Beschönigungslyrik (Schneider: „Ost- und Kommentare zum Thema. Und wenn es deutsche Ukraine- und Energiepolitik zu deutschland ist im Aufwind!“) regelmäßig gut läuft, äußern sich am dritten Tag noch demonstrieren. Und auch der Bericht zum Auskunft darüber gibt, wie weit die poli- zwei oder drei Experten mit weiterführen- Stand der deutschen Einheit, dieses Jahr tischen Ansichten in Ost und West noch den Einordnungen. Spätestens danach ver- erstmals vorgetragen vom neuen Ost-Be- immer voneinander abweichen. Daran hat schwindet das Thema wieder in der Ver- auftragten der Bundesregierung, Carsten sich im Grundsatz zwar auch dieses Mal senkung. Schneider (SPD), machte vor wenigen Wo- nichts geändert: Im Osten haben die Men- 2
DER HAUPTSTADTBRIEF Ausgabe #41 schen relativ gesehen weniger Zutrauen in 1. Es gibt im Osten keine 2. Viele Medien hadern mit ihrer Rolle Demokratie und Meinungsfreiheit, auch „Meinungsführer“-Medien in Ostdeutschland die Zufriedenheit mit der Politik im Allge- Massenmedien haben in Ostdeutschland Und genau das führt zum zweiten, weitaus meinen ist dort weniger ausgeprägt. Oben- traditionell einen schwereren Stand als im größeren Problem: Die Massenmedien – sei- drein sind die Werte seit der Umfrage vor Westen, weil jenseits regionaler Titel eta- en es solche mit bundesweitem Anspruch zwei Jahren weiter gesunken. blierte Medienmarken fehlen und sich die oder ostdeutsche Regionalmedien – sind in Doch in diesem Jahr war den Zahlen großen, bundesweiten Titel dort nicht in den vergangenen Jahrzehnten in Ostdeutsch- auch eine andere Entwicklung zu entneh- derselben Weise etablieren konnten wie im land häufig daran gescheitert, ihre Rolle in men, die nicht so sehr den Osten, sondern Westen. Die einstmals westdeutschen „Leit- diesem weitaus komplexeren Prozess ost- vielmehr den Westen betraf. Denn die medien“ haben im Osten nie den Einfluss er- deutscher Meinungsbildung zu finden. Zu Studie ergab, dass die westdeutschen Zu- reicht, den sie im Westen (noch) haben – was oft, geradezu regelmäßig, sind Medien mit friedenheitswerte schneller sinken als die dazu führt, dass die politische Meinungs- bundesweitem Sendungsanspruch der Ver- im Osten. Mit anderen Worten: Die west- bildung im Osten polyphoner, kleinteiliger suchung erlegen, ihre Beiträge gar nicht für deutsche Politikwahrnehmung nähert sich und weniger strukturiert vor sich geht. Das ein bundesweites, sondern bloß für ein west- der des Ostens an. Die Auffassung, dass ist für sich genommen keine schlechte Nach- deutsch sozialisiertes Publikum zu verfas- die freie Meinungsäußerung erodiert, und richt, außer vielleicht für die Vertreter jener sen. Heraus kamen dann Beiträge, die zwar die Unzufriedenheit mit der bundesrepu- „Leitmedien“. Denn eine vielseitige und dem Westen erklären wollten, was im Osten blikanischen Ausprägung unserer Demo- kleinteilige Informationskultur kann durch- passiert – aber dabei billigend in Kauf nah- kratie – solche Standpunkte galten in West- aus ihren Beitrag leisten zu einem lebendi- men, dass diese Beiträge für das ostdeutsche deutschland lange als nicht salonfähig, gen demokratischen Gemeinwohl. Publikum, das man eigentlich so gern er- werden inzwischen aber von einem großen Im Osten ist deshalb schon lange klar: reicht hätte, ungenießbar wurden. und immer größer werdenden Teil der Be- Politische Meinungsbildung muss nicht in Auch hierin liegt, genau wie beim ersten völkerung vertreten. erster Linie durch Massenmedien betrieben Problemkreis, eine Analogie zum Umgang Natürlich ist das zunächst alles andere werden. Seit gut einem Jahrzehnt zeigt sich mit Nutzergruppen, die sich heute bereitwil- als eine gute Nachricht – ganz besonders das auch im globalen Zusammenhang, näm- liger in Social Media informieren als in den nicht für all jene, die in diesem Land aktiv daran mitwirken, das demokratische Ge- meinwesen mit Leben zu füllen, seien es Massenmedien haben in Ostdeutschland traditionell nun Politiker, Verbandsvertreter oder Jour- nalisten. Doch wer dem Reflex widersteht, einen schwereren Stand als im Westen, weil jenseits die in diesem Stimmungsbild zum Aus- regionaler Titel etablierte Medienmarken fehlen und druck kommenden Meinungen eines gro- ßen Teils der Bevölkerung als dumm und sich die großen, bundesweiten Titel dort nicht in der- unpassend zu verdammen (was leider nach Bekanntgabe der Werte in vielen Gazetten selben Weise etablieren konnten wie im Westen. und natürlich auch auf Twitter umgehend geschah), dem ermöglicht die Entwicklung einen neuen Blick auf bisher speziell ost- lich am weltweit rapide steigenden Einfluss althergebrachten Massenmedien: Anstatt zu deutsche Besonderheiten der Politikwahr- von Meinungsbildung auf Social Media im versuchen, mit diesen Nutzergruppen im Di- nehmung, die jetzt offenbar auch im Westen Internet. Nach und nach vollzieht sich in alog zu bleiben, ziehen sich viele Beiträge in um sich greift. allen westlichen Demokratien eine Entwick- Massenmedien zu leichtfertig darauf zurück, Denn für die ostdeutsche Politik-Skepsis lung, die man in Ostdeutschland (und übri- mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf diese und mitunter auch -Verdrossenheit gibt es gens auch in Osteuropa) in gewisser Weise Menschen zu zeigen – und nicht einmal zu gute Gründe, die sich nicht bloß am Um- schon vor dem Aufkommen der großen On- versuchen, herauszufinden, warum sie nach gang mit Politik und Politikern erklären line-Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Alternativen zu den althergebrachten Mas- lassen – sondern auch am Umgang mit Jour- Instagram kannte – hierzulande durch die senmedien suchen. nalismus und Journalisten. Es folgen des- Zugehörigkeit zu einer Art analogem so- Anstatt beispielsweise mit Formaten wie halb drei Schlaglichter auf die ostdeutsche zialen Netzwerk namens „ostdeutsche Her- „Faktenchecks“ oberlehrerhaft auf all jene Journalismus-Wahrnehmung – und eine kunft“. Die Gesprächsräume, die sich aus zu zeigen, die im Internet einer (mitunter nur Analogie auf ein übergeordnetes Phäno- dieser Zugehörigkeit ergaben, waren den vermeintlichen) Falschinformation auf den men, mit dem sich erklären lässt, weshalb großen Massenmedien nicht immer zugäng- Leim gegangen sind, müsste es also darum derselbe Trend nun auch in Westdeutsch- lich, mitunter nicht einmal bekannt, zum gehen, herauszufinden, wie Massenmedien land stattfindet. Teil sind sie es sogar bis heute nicht. mit dem Anspruch, die ganze Wirklichkeit
15. Oktober 2022 GÜNTER BANNAS AUS DEM BANNASKREIS ist Kolumnist des Hauptstadtbriefs. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Grüne Avantgarde Zum 30. Todestag Petra Kellys I hr Tod liegt im Dunkel. Vor dreißig Jah- ren, am 19. Oktober 1992, wurde Petra Kelly in ihrem Wohnhaus im Bonner Stadt- viel mehr, auch mehr als bloß Ikone oder Galionsfigur. Sie war – auch weltweit – das bekannteste Gesicht der Grünen. Sie des damals bedeutenden „Bundes- verbands Bürgerinitiativen Umwelt- schutz“ (BBU) und kandidierte 1979 teil Tannenbusch tot aufgefunden – er- mobilisierte gegen die Kernenergie und für die Vorläuferorganisation der Grü- schossen, neben dem ebenfalls toten Gert sprach auf den Anti-Raketen-Großkund- nen fürs Europa-Parlament. Bastian liegend, ihrem Lebensgefährten. gebungen in Bonn. Sie setzte sich für die Die Popularisierung von Zielen, das Nachbarn wurden aufmerksam, weil der Belange der Aborigines in Australien ein, Wahlkämpfen also auch, hatte sie in Briefkasten der beiden früheren Bundes- demonstrierte in Ost-Berlin mit einem Amerika gelernt. Viele Grüne bezeich- tagsabgeordneten überquoll. Nur der Her- dort verbotenen T-Shirt („Schwerter zu neten sie deshalb als „sozialisierte gang scheint geklärt. Umstände, Motive Pflugscharen“), forderte von Erich Ho- Amerikanerin“. 1983 Wahl in den Bun- und selbst der Zeitpunkt aber sind es nicht. necker die Einhaltung demokratischer destag. Mit den Bonner Männerdomä- Laut Staatsanwaltschaft und Polizei töte- Rechte, unterstützte die Solidarność- nen aber – damals auch bei den Grünen te Bastian erst Kelly und dann sich selbst. Gewerkschaft in Polen und thematisierte – kam sie nicht zurecht. Ihr Arbeits- Dritte seien nicht beteiligt gewesen, wes- in Gesprächen mit dem Dalai Lama die stil war selbstausbeuterisch. Frei von halb auch von „Doppelselbstmord“ ge- Unterdrückung Tibets durch China. Al- Zynismus wirkte ihre von Erregung sprochen wurde, einer These, der hernach les öffentlich, alles medienwirksam. Die und Empörung geprägte Rhetorik als widersprochen wurde. Petra Kelly sei nicht Einhaltung der Menschenrechte war ihr Fremdkörper. Kelly hielt Distanz zu lebensmüde gewesen, sie habe viele Pläne wichtiger als bedingungsloser Pazifis- „Realos“ und „Fundis“ – vernachlässig- gehabt und Reisen vorbereitet. Abschieds- mus. So gesehen ist die Außenpolitik An- te also Grundprinzipien von Macht und briefe gab es auch nicht. Manche hängen nalena Baerbocks (Stichworte: Russland, Politik: das Klüngeln und das Knüpfen gar – unbewiesen – der Spekulation von China) eine verpuppte Wiederkehr des von Netzwerken. Ihre Bekanntheit lief der Beteiligung fremder Geheimdienste an. Engagements ihrer Vorfahrin. dem antiautoritären Impetus der Grü- Also Mord und Selbsttötung? Kelly, 1947 im schwäbischen Günz- nen zuwider und weckte auch den ganz „Eine tödliche Liebe“ lautet der Titel burg geboren, wuchs familienbedingt in gewöhnlichen Neid innerparteilicher einer Schrift, die Alice Schwarzer ein Jahr den Vereinigten Staaten auf. Schule und Konkurrenten. Für die Europawahl später veröffentlichte. Höchst umstritten Hochschule schloss sie mit besten Zeug- 1989 und die Bundestagswahl 1990 war es damals, dass beider, der grün-femi- nissen ab. In Washington wurde sie als wurde sie nicht wieder aufgestellt. nistischen Umwelt- und Friedensaktivistin Studentensprecherin bekannt, auch in Ein Versuch, nochmals Parteispreche- und dem zum Friedensfreund gewordenen dortigen Zeitungen wie der *Washington rin zu werden, scheiterte. Die Partei- Ex-General, gleichermaßen gedacht wurde. Post*. Sie engagierte sich im Wahlkampf- gründerin wurde nicht mehr gelitten. Kellys Tod wurde auf den 1. Oktober 1992 team des Präsidentschaftskandidaten Ro- Ihre Bedeutung für das Entstehen der datiert. Sie war 44 Jahre alt. bert Kennedy. Zurück in Europa war sie Grünen, mithin für die politische Ent- Petra Kelly war Gründungsmitglied bis 1982 als Verwaltungsrätin der Euro- wicklung und die Zeitgeschichte der der Grünen. Doch davon gab es viele. Sie päischen Kommission in Brüssel. Wegen Bundesrepublik Deutschland, wurde war auch nicht nur – neben zwei anderen Willy Brandt trat sie in die SPD ein und unterschätzt – und wird sie bis heute. – erste „Sprecherin“ (heute: Vorsitzende) wegen Helmut Schmidt öffentlichkeits- Im November wäre sie 75 Jahre alt ge- der neu entstandenen Partei. Kelly war wirksam wieder aus. Sie war Sprecherin worden. 4
DER HAUPTSTADTBRIEF Ausgabe #41 INGE KLOEPFER AUF DEN ZWEITEN BLICK ist freie Journalistin sowie Buch- und Filmautorin. Sie schreibt u.a. für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und veröffentlichte bisher zahlreiche Bücher und mehrere Filme. Gute-Rouladen-Gesetze W ummern findet man und Wumme (feminin), nur Wumms steht defi- nitiv nicht im Duden. Nun ist aber genau gekleckert, sondern geklotzt, versprach er kraftmeierisch. Inzwischen hat er den Dop- pel-Wumms verkündet und meint damit einen fisch wie das oder der Wumms ist die politi- sche Maßnahme: Begünstigt wird nicht etwa nach Einkommens- und Vermögensverhält- dieses Wumms-Wort in aller Munde, seit 200 Milliarden Euro teuren Schutzschild für nissen, sondern so wie in früheren Wumms- es – dank der Wortfindungskünste des Bevölkerung und Wirtschaft vor den explo- Phasen jeder und jede, auch jene, die es nicht Bundeskanzlers – zum Inbegriff gera- dierenden Gaspreisen. Im ersten Durchgang nötig haben. Emotion schlägt Präzision. dezu ausufernder sozialdemokratischer sollte Wumms eigentlich nur den durch staat- Zurück zum Begriff: Im europäischen Entlastungspolitik geworden ist. liche Ausgabenfreude befeuerten Energie- Ausland wurde das Wort – glücklicherwei- Politikführung mit kurzen, kräftigen level einer wirtschaftlichen Erholung nach se – bisher nicht übernommen. Man hatte Ausdrücken, die Emotionen wecken der Pandemie beschreiben, hatte aber auch bei der Hartnäckigkeit, mit der der Kanzler und darüber etwas bewirken sollen, hat schon ein Preisschild: 170 Milliarden Euro. sich dieses Onomatopoetikums bedient, es immer gegeben. Der frühere Bundes- Fangen wir aber noch einmal von vorne fast befürchten müssen, dass sich analog präsident Roman Herzog hoffte, dass an: Wumms ist zunächst einmal ein Onoma- zur German Angst alsbald schon ein German ein Ruck durchs Land gehen werde, und topoetikum, ein lautmalerisches Wort der Wumms seinen Weg in den angelsächsischen hat dem in seiner Ruck-Rede Ausdruck Comic-Diktion, das verwendet wird, wenn Sprachraum bahnt. Dass dem bisher nicht so verliehen. Bundeskanzler Gerhard etwas explodiert oder eine Person zu Boden ist, mag damit zusammenhängen, dass Angst Schröder ging als Basta-Kanzler in die geht. Scholz also scheint an Emotionen ge- ein fest definierter Begriff, Wumms dagegen Geschichte ein, weil er mit dem italieni- legen, weniger dagegen an Genauigkeit. Das erstens einer so ernsten Situation wie der schen Zweisilber im Jahr 2000 eine De- zeigt sich jetzt wieder: Für die Verteilung energiepolitischen Lage vor allem Deutsch- batte über die Einführung der Riester- der mit dem Doppel-Wumms in Aussicht ge- lands nicht angemessen ist und zweitens in Rente beenden wollte. stellten Milliarden hat er noch kein präzises das Repertoire eines an der Sache und nicht Scholz aber übertrifft sie alle. Schon Konzept. Ein Vorgehen übrigens, das jedes an Effekten orientierten Bundeskanzlers ga- als Finanzminister versuchte mit dem verantwortliche Politikhandeln auf den rantiert nicht gehört. Wort Wumms in Verbindung mit üppigen Kopf stellt. Inzwischen wissen wir immer- Während die Politik mit ihrer Gaskom- Entlastungsmaßnahmen in der Pande- hin, dass zunächst einmal der Staat alle Gas- mission noch am Konkreten bastelt, machen mie bei der Bevölkerung zu punkten. Zu- abschlagszahlungen des Monats Dezember sich die ersten Händler das politische Neu- vor hatte er die Bazooka ausgepackt, um übernimmt, bis dann im Frühjahr ein Me- deutsch bereits zunutze. Bei Möbel Höffner der Wirtschaft vor den Folgen des ersten chanismus erarbeitet ist, nach dem das Geld geht es – ähnlich pauschal wie in der Politik Corona-Jahres mit Krediten in unbe- verteilt werden soll, ob es nun im Einzelfall – mit Wumms in die Herbstsaison: „30 Pro- grenzter Höhe zu helfen. Es werde nicht gebraucht wird oder nicht. Denn so unspezi- zent auf alles!“ abzubilden, in die Lage geraten konnten, dass in den bundesweiten Massenmedien oft nur in den Massenmedien stattfinden zu lassen, in den Internet-Netzwerken mitunter alter- am Rande eine Rolle. Heute müssen sich die wurden derartige Fragestellen dort mitunter native Wirklichkeiten und Wahrheiten auf- Verantwortlichen mitunter schon fragen, recht schnell in die Ecke der „Querdenker“ tauchen, die eben nicht schon allein deshalb ob man die Diskussionen in den Medien da- abgeschoben. Völlig unabhängig von den in- falsch sind, weil sie nicht in den Massenme- mals wirklich breit genug geführt hat, denn haltlichen Fragestellungen: Diese partielle dien auftauchen. Die Berichterstattung über die weitere Entwicklung hat oftmals gezeigt, Diskursverweigerung hat der Reputation der das Coronavirus war hierfür ein Lehrbei- dass die Dinge längst nicht so klar waren, wie Massenmedien geschadet. Ganz besonders spiel: Ob über Sinnhaftigkeit von Lockdowns, sie damals von vielen dargestellt wurden. Auf in Ostdeutschland, wo diese Medien nie die mögliche Folgen der Corona-Impfung oder Social Media gab es diese Diskussionen aber. Wirkmacht entfalten konnten, die sie in West- den Nutzen einer Impfpflicht –all das spielte Doch anstatt zu versuchen, die Debatten auch deutschland (noch) haben. 5
15. Oktober 2022 «Nicht mit uns! - Wir frieren nicht für Profite!», gehen durch Erfurt im September. Zu der Protest-Veranstaltung hatte ein Bündnis von Gewerkschaften, Sozialverbänden und anderen Organisationen aufgerufen. 3. Im Osten ist die Bereitschaft größer, Zwischentöne zu achten und im Zweifel Auch dieser dritte Aspekt lässt sich auf Nachrichten und (vermeintliche) nicht alles für bare Münze zu nehmen, was den Umgang mit den neuen Formen di- Wahrheiten zu hinterfragen dort zu lesen, zu hören und zu sehen war. gitaler Meinungsbildung in Social Media Was wiederum nahtlos zum dritten, ver- Es ist nur naheliegend, dass man damit im übertragen: Die Skepsis gegenüber „etab- mutlich größten Problem führt: Die Medien- Jahr 1990 nicht plötzlich aufhörte; zumal die lierter“ Berichterstattung ist eine glückli- wahrnehmung in Ostdeutschland ist gene- Wiedervereinigung von Anfang an geprägt che Chance, diese Berichterstattung besser, rell skeptischer; die Bereitschaft, nicht nur war von so manchen Merkwürdigkeiten präziser und wahrhaftiger zu machen. Ja, journalistische Meinungsbeiträge, sondern und Unerklärlichkeiten, die dem Publikum es hält mitunter auf, sogar die Sachverhal- sogar Nachrichten zu hinterfragen, ist deut- in Westdeutschland vielleicht einleuchten te, die man selbst gern als allgemeingül- lich größer. Man kann das sonderbar finden, mochten – in Ostdeutschland aber nicht. tig betrachten würde, immer wieder aufs wenn man – wie im Westen – lange gewohnt Dennoch empfinden viele journalistische Neue zu begründen und zu validieren. Und war, dass das Publikum zumindest das jour- Kollegen die Skepsis, die ihnen bis heute im es nervt, dass man berechtigte kritische nalistische Grundrauschen weitgehend un- Osten entgegenschlägt, als kränkend oder Rückfragen zunächst einmal aufwendig hinterfragt als „wahr“ akzeptiert. Man kann ehrverletzend. Dafür besteht jedoch eigent- von echtem Unfug und Dummfug, den es es aber auch genießen, dass das Publikum lich kein Anlass: Die Skepsis des ostdeut- im Internet zweifellos ebenfalls in Massen kritische Fragen stellt und immer wieder schen Publikums ist vielmehr eine große gibt, trennen muss. Aber all das dient letzt- einfordert, dass vermeintliche Wahrheiten Bereicherung für die eigene Arbeit; hilft sie lich vor allem der Qualitätssicherung der auch als solche belegt werden. Dass diese doch dabei, den eigenen Blick zu schärfen eigenen Arbeit. Bereitschaft im Osten höher ist, liegt in der und kritische Fragen auch dort zu stellen, Was für den Journalismus gilt, gilt ge- Photo: picture alliance/dpa | Bodo Schackow Natur der Sache: Dort gab es bis 1989 eine wo man einen Zusammenhang vielleicht gar nauso auch für die Politik: Wer dort nicht uniforme, staatlich gelenkte Medienland- nicht mehr von sich aus hinterfragt hätte. dazu bereit ist, die eigenen Grundsätze zu schaft, in der veröffentlichte und öffentlich erklären, transparent zu machen und zuzu- wahrgenommene Fakten einander mitunter lassen, dass sie hinterfragt werden, muss diametral widersprachen. Die Bevölkerung Gabriel Kords ist Chefredakteur des stärker als im Westen mit der Missgunst war es gewohnt, auch bei Nachrichten auf in Neubrandenburg ercheinenden Nordkuriers. seiner Wähler rechnen. So erklärt sich die 6
DER HAUPTSTADTBRIEF Ausgabe #41 höhere ostdeutsche Wechselbereitschaft bei politischen Wahlen, keineswegs nur Was für den Journalismus gilt, gilt genauso zu beobachten beim immer wieder auf- auch für die Politik: Wer dort nicht dazu bereit ist, brandenden Zuspruch für Parteien wie die AfD, sondern zuletzt etwa beim beinahe die eigenen Grundsätze zu erklären, transparent zu flächendeckenden Wahlerfolg der SPD in den ostdeutschen Bundesländern bei machen und zuzulassen, dass sie hinterfragt werden, der Bundestagswahl 2021. So erklärt sich muss stärker als im Westen mit der Missgunst aber auch, weshalb in den vergangenen Jahren vor allem die Grünen im Osten ihre seiner Wähler rechnen. Schwierigkeiten hatten: Weil Vertreter dieser Partei es lange gewohnt waren, dass sie ihre wichtigsten politischen Ziele (wie IMPRESSUM Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Inter- liche Allgemeingültigkeiten zu postulieren Der Hauptstadtbrief ist eine wöchentliche Publikation von PrinzMedien nationalität) in den Massenmedien kaum und unhinterfragt stehen zu lassen, mag Verleger: Detlef Prinz erklären oder gar rechtfertigen mussten, den demokratischen Meinungsbildungs- Herausgegeben von Ulrich Deppendorf und Prof. Dr. Ursula Münch weil sie bei den dortigen Autoren und Mo- prozess zwar komplizierter und langsamer Chefredakteur: Lutz Lichtenberger, V.i.S.d.P. deratoren als allgemein anerkannt und ak- machen. Es kann aber dazu beitragen, ihn Kolumnen: Günter Bannas, Inge Kloepfer, Anne Wizorek zeptiert galten. gründlicher und wahrhaftiger zu machen Layout: Gordon Martin In Ostdeutschland mit seiner histori- – und es kann dabei helfen, die politischen HSB-Icon [Quadriga]: Shutterstock.de/AVA Bitter schen Prägung verfing so etwas schon frü- Unterschiede zwischen Ost und West zu Hauptstadtbrief Berlin Verlagsgesellschaft mbH Tempelhofer Ufer 23-24 • 10963 Berlin her nicht. Dass es dank der Diversifizierung überwinden, die im Jahr 34 nach der Wie- Tel. 030/21 50 54 00 der politischen Meinungsbildung durch dervereinigung eigentlich schon viel wei- info@derhauptstadtbrief.de www.derhauptstadtbrief.de Redaktionsschluss 13. Oktober 2022 Social Media und Co. zunehmend auch in ter abgebaut sein müssten, als sie es tat- © Der Hauptstadtbrief 2022 Westdeutschland schwer wird, vermeint- sächlich sind. Schützen Sie Journalistinnen und Journalisten in der Ukraine K E I N E F R E I H E I T O H N E P R ES S E F R E I H E I T © Mikhail Palinchak, n-ost Russlands Angriff auf die Ukraine ist auch ein Angriff auf die Pressefreiheit. Die Kämpfe bringen Kriegsreporterinnen und Journalisten in der Ukraine in Lebensgefahr. Reporter ohne Grenzen unternimmt alles, um bedrohten Medienschaffenden zu helfen. Spenden Sie jetzt für unsere Hilfsaktion: reporter-ohne-grenzen.de/hilfe-fuer-die-ukraine Spendenkonto: Reporter ohne Grenzen e.V. / IBAN: DE26100900005667777080 / BIC: BEVODEBB / Stichwort: Ukraine
15. Oktober 2022 Ausgabe #41 POSTSKRIPTUM Von Lutz Lichtenberger Außer Kontrolle W ir leben in einer gespalteten Gesellschaft – mit dieser Aussage liegt der Zeit- geistbeobachter, die Volkswirtin oder De- kernig geben wollte in CDU und CSU, warnte vor der „Sozialdemokratisierung der Union“ – und betrieb doch genauso, dass auch bei Ist wieder mal das Internet schuld? Soziale Medien duzen jeden User schneller weg, als Kanye West seine Tweets löschen kann. Wo monstrierende (dafür, dagegen oder beides den Bürgerlichen das Du ungeschützt um alle alle zu kennen glauben, „die da oben“ zugleich) selten ganz falsch. Die Politik muss sich griff. Dereinst glaubte die zweite Reihe mal nicht so tun sollen, als ob sie etwas vor der Spaltung warnen – es darf nicht sein, der Partei, sie sei oben angekommen, wenn Besseres seien, und man den Sinn „flacher dass– und schafft ganze Schichten ab (Mit- sie der Kanzlerin die Kumpelanrede ab- Hierarchien“ missversteht – gehen der telstand für alle), erfindet diverse Deckel, gerungen hatte, dabei hatte Angela Merkel Sicherheitsabstand, Rücksicht und Nach- die auch mal atmen können oder zitiert Lied- doch gerade dafür nicht viel übrig. Dass in sicht verloren, und es herrscht das Gefühl, zeilen englischer Fußballclubs: You’ll never der Union, im vorigen Jahrtausend, das Sie von allem betroffen zu sein. Dabei findet ge- walk alone! noch die Fülle des Wohllauts ausmachte, sellschaftliche Entfaltung in der Tiefe des Dabei liegt doch just dort der Dackel ver- nannte Merkel selbst einmal als einen der Raumes statt, in der man nicht fortwährend graben. Die sich bemüht antispießig dün- wichtigen Gründe, sich nach der Wende für danach fahnden muss, ob man möglicher- kenden Spießer des Anti-Wokismus, die die Partei entschieden zu haben. Zu ihrer weise beleidigt wurde. Einem Raum, in dem alles, was ihnen nicht passt, als übergriffig wichtigsten Mitarbeiterin Beate Baumann Menschen im besten Sinne eine Rolle ein- abtun, befördern mit der Durchsetzung des sagt sie bis heute Sie. Als Horst (Seehofer) nehmen können, damit sie nicht mit ihrer denglischen Duzertums in Deutschland und Guido (Westerwelle) sich 2013 zum Ab- ganzen Persönlichkeit auf dem Spiel stehen. doch erst die eigentliche Spaltung. Oder, wie schluss der schwarz-gelben Koalitionsver- Sie werden entlastet, indem sie sich gegen- die Historikerin Andrea Löw es während handlungen zum Du bekannten, markierte seitig auf – freundliche – Distanz halten ihres Forschungsaufenthalts in den USA er- dies wohl die Vollendung der einst von Hel- dürfen. fuhr: „Duzing is out of control in Germany.“ mut Kohl angekündigten „geistig-morali- Man könnte es altmodisch Bürgerlichkeit, Einst war es ein Spontispruch: „Bei so viel schen Wende“, die offensichtlich auf Privat- Respekt oder, wenn Sie wollen, auch Freiheit Sympathie sag ich nicht gerne Sie!“ Wer sich fernsehen und Formverlust gemünzt war. nennen. WERDEN SIE ZUKUNFTSSTIFTER! Junge Menschen wollen ihren eigenen Weg gehen. Helfen Sie ihnen dabei, die ersten Stufen zu erklimmen und werden Sie Teil der SOS-Stiftungsfamilie! Mehr Infos unter www.sos-kinderdorf-stiftung.de
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