Jenseits der Wahlen - Stiftung Wissenschaft und Politik
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NR. 82 OKTOBER 2020 Einleitung Jenseits der Wahlen Sieben Trends, die die Innen- und Außenpolitik der USA prägen werden Marco Overhaus / Florian Böller / Laura von Daniels / Susanne Dröge / Gerlinde Groitl / Curd B. Knüpfer / Christian Lammert / Sascha Lohmann / Stormy-Annika Mildner / Claudia Schmucker / David Sirakov / Johannes Thimm / Darwin Veser / Lora Anne Viola Viele politische Entscheidungsträger in Deutschland und anderen EU-Staaten dürften darauf hoffen, dass die transatlantischen Beziehungen nach den bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen am 3. November wieder in ruhigere Fahrwasser gelangen, falls der Demokrat Joe Biden gewinnt. Allerdings wird der innen- und außenpoliti- sche Handlungsspielraum des amerikanischen Präsidenten auch von langfristigen und strukturellen Entwicklungen bestimmt, die über die nächsten (und übernächs- ten) US-Wahlen hinauswirken. Sieben Trends sind in dieser Hinsicht besonders rele- vant. Zusammen betrachtet verdeutlichen sie, dass außenpolitische Anforderungen und innenpolitische Ressourcen in den USA zunehmend auseinanderklaffen. Der Blick auf die USA ist oft verengt auf die Die politische Polarisierung, die noch aktuellen politischen Ereignisse und Bewer- durch Umbrüche in der Medienlandschaft tungen des gegenwärtigen US-Präsidenten verstärkt wird, und die wachsende sozio- und seiner Politik. Für Deutschland und die ökonomische Ungleichheit in den USA anderen europäischen Partner der USA ist schwächen die innenpolitischen Voraus- jedoch von nicht minder großer Bedeutung, setzungen für eine international engagierte welche strukturellen und längerfristigen US-Außenpolitik. Auch die Folgen des Entwicklungen hinter den aktuellen Er- Klimawandels bergen großes Potential für eignissen stehen. Zu welchem außenpoliti- eine Vertiefung des Risses, der die Gesell- schen Partner werden die USA, auch los- schaft in den USA durchzieht. Strukturelle gelöst von der Frage, wer die bevorstehen- Verschiebungen in der US-amerikanischen den Präsidentschaftswahlen gewinnt? Wirtschaft befeuern nationalistische und Eine von der Stiftung Wissenschaft und protektionistische Impulse in Washington. Politik (SWP) initiierte Gruppe von Exper- Der sich verschärfende Konflikt mit China tinnen und Experten hat sieben Trends und das anhaltend hohe Gewaltniveau im identifiziert, die die Innen- und Außen- internationalen Umfeld lassen zugleich die politik der USA in den nächsten fünf bis außen- und sicherheitspolitischen Anforde- zehn Jahren maßgeblich prägen werden. rungen an die USA weiter wachsen.
1.Trend: Zunehmende politische Legislative, sich zu verständigen und zu und gesellschaftliche Polarisie- kooperieren, wirkt sich mithin negativ auf rung die gesetzgeberische Arbeit im US-Kongress aus. Entsprechend sinkt die Problemlösungs- Polarisierung bezeichnet das ideologische fähigkeit gegenüber sozialen wie ökonomi- Auseinanderdriften von Parteien und von schen Herausforderungen. gesellschaftlichen Gruppen. Die Bruchlinien Die ideologische Polarisierung kommt sind dabei in erster Linie durch innen- und besonders deutlich bei innen- und gesell- gesellschaftspolitische sowie durch welt- schaftspolitischen Fragen zum Ausdruck, anschauliche Konflikte definiert. wie bei der Einwanderungs-, Wirtschafts- Der Trend zur Polarisierung hat die und Gesundheitspolitik und bei den Themen Schwächung moderater und die gleichzeiti- Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe. ge Stärkung extremer Positionen zur Folge. Sie wirkt sich jedoch zusehends auch auf Diese Tendenz lässt sich in den USA zwar die US-Außenpolitik aus. So schwächt die bereits seit den 1960er Jahren beobachten. Polarisierung den »internationalistischen« In den letzten 25 Jahren wurde sie jedoch Grundkonsens, der dem weltpolitischen zu einem der prägendsten Phänomene der Führungsanspruch Amerikas in den vergan- US-amerikanischen Innenpolitik. Es ist da- genen sieben Dekaden zugrunde lag. Zudem von auszugehen, dass sich die Polarisierung begünstigt sie extremere Pendelschwünge ungeachtet des Ausgangs der Präsident- in den Grundzügen der amerikanischen schafts- und Kongresswahlen im November Außenpolitik, wenn es zu Machtwechseln 2020 zumindest fortsetzen wird. im Weißen Haus kommt. In letzter Kon- Welche Folgen dieser Trend hat, lässt sequenz trägt die Polarisierung somit im sich am ideologischen Abstand zwischen In- und Ausland zu einem Verlust des Ver- den Republikanern und Demokraten im trauens sowohl in die politischen Institu- Repräsentantenhaus und im Senat ermes- tionen der USA als auch in deren Rolle als sen: Die am weitesten »links« stehenden Weltmacht bei. Republikaner stehen noch immer weiter »rechts« als die konservativsten Demokraten – es gibt also mittlerweile keine Über- 2.Trend: Wachsende Ungleichheit schneidungen mehr. Während die ideo- und gesellschaftliche Spaltung logische Geschlossenheit der Parteien gleich geblieben ist oder zugenommen hat, haben Bestimmte politische Entscheidungen – sich die beiden Parteien zusehends von- unter anderem die Politik der Deregulie- einander entfernt. rung und Entstaatlichung während der Prä- Die Polarisierung führt auch dazu, dass sidentschaft von Ronald Reagan und die radikalere Fraktionen innerhalb der Par- Steuerreform unter Donald Trump – und teien stärker werden – eine Entwicklung, wirtschaftliche Schocks (beispielsweise die die bei den Republikanern stärker aus- Finanzkrise von 2007–2009) haben die Ein- geprägt ist als bei den Demokraten. Das kommens- und Wohlstandsungleichheit in Phänomen ist nicht nur auf die politischen den USA wachsen lassen. Sie haben zugleich Eliten beschränkt. Die Polarisierung ist in- zu einer Verringerung der sozialen Mobi- zwischen auch in der Bevölkerung nach- lität geführt. Für die kommenden Jahre ist weisbar, insbesondere bei politisch engagier- davon auszugehen, dass sich diese Prozesse ten Wählerinnen und Wählern. fortsetzen oder noch verstärken werden. Durch die Polarisierung wächst die Ge- Mögliche bzw. wahrscheinliche Kon- fahr einer Schwächung der für das System sequenzen dieser Entwicklung sind: eine der Checks and Balances elementaren Kom- Abnahme des Vertrauens in die politische promissbereitschaft – und damit auch der Handlungsfähigkeit des Staates; zunehmend amerikanischen Demokratie insgesamt. Die kontrovers geführte Auseinandersetzungen Unfähigkeit der Politiker in Exekutive und über politische und ökonomische Teilhabe; SWP-Aktuell 82 Oktober 2020 2
eine verschärfte Konkurrenz um begrenzte 3.Trend: Umbrüche in der staatliche Ressourcen und die Überforde- amerikanischen Medienlandschaft rung einzelstaatlicher Haushalte. Dies wie- derum könnte die Debatte in den USA über Die USA erleben einen massiven Umbruch den Föderalismus und über Ausgaben- ihrer Medienlandschaft. Dieser wird maß- prioritäten insgesamt anfachen. geblich von drei miteinander zusammen- Die Einkommens- und Wohlstands- hängenden Entwicklungen angetrieben, ungleichheit ist verbunden mit anderen nämlich der Digitalisierung, der Deregulie- gesellschaftlichen Spaltungstendenzen in rung und der Konsolidierung bzw. Konzen- Amerika. So ist nach dem gewaltsamen Tod trierung der Informationsinfrastrukturen in von George Floyd und anderer Afroameri- den USA. So hat die Deregulierung des kaner im Zuge von Polizeieinsätzen die Medienmarkts in den letzten Jahren das Debatte über strukturellen Rassismus in Aufkommen einiger weniger großer Kon- den USA sowohl im Land selbst als auch glomerate begünstigt, die die Branche international heftig wiederaufgeflammt. dominieren. Das Thema hat schon deshalb einen Bezug Das gilt nicht zuletzt auch für lokale zur wachsenden wirtschaftlichen und Medien, die in den USA weiterhin eine große sozialen Ungleichheit in den USA, weil Rolle bei der Informationsversorgung der Armut und Hautfarbe eng miteinander Bevölkerung spielen. Lokaler Journalismus verknüpft sind. wird zunehmend durch »Syndikationen« er- Die Corona-Pandemie wird die sozio- setzt, das heißt durch die Mehrfachverwen- ökonomische Ungleichheit auch in den dung medialer Inhalte (z.B. von den Firmen USA aller Voraussicht nach zusätzlich ver- Sinclair und Gannett). Damit einhergehend stärken. Sie könnte daher sogar zu einem werden Lokalredaktionen verkleinert. Wendepunkt in der innenpolitischen Dis- Durch die Digitalisierung wurde nicht kussion über die Kluft zwischen Arm und nur das Geschäftsmodell klassischer Print- Reich und Rassismus werden. Aber auch medien stark gestört bzw. zerstört. Auch dann, wenn es – den weiterhin bestehen- haben soziale Medien und digitale Platt- den institutionellen Beharrungskräften formen dadurch massiv an Bedeutung für zum Trotz – zu einer grundlegenden sozial- die politische Öffentlichkeit gewonnen. Die und gesellschaftspolitischen Kurskorrektur Betreiber digitaler Plattformen verstehen kommt: Es wäre mehr als ungewiss, ob dies sich nicht als Gatekeeper, die für die Qualität bereits in den kommenden fünf oder zehn der Inhalte einstehen, sondern als »Modera- Jahren zu einer Abschwächung der sozialen toren« für bestimmte politische Inhalte. Ungleichheit führen würde. Das Aufkommen großer Medienkonglo- In dem Maße, in dem die gesellschaft- merate begünstigt auch die Umstellung lichen Spannungen und Probleme in den von Informationsangeboten auf »Enter- USA zunehmen, schwinden auch die innen- tainment«-Formate und den Wandel des politischen Grundlagen und Ressourcen für Journalismus-Modells von »interner« hin zu die amerikanische Außen- und Sicherheits- »externer Diversität«. Damit ist die Reduzie- politik. Die Zustimmung der amerikani- rung der Vielfalt an Meinungen bzw. Grund- schen Bevölkerung zur Übernahme kosten- haltungen innerhalb einzelner Medien, trächtiger internationaler Verpflichtungen Medienunternehmen oder Plattformen und zu militärischen Interventionen war in gemeint, während gleichzeitig die poli- den USA nie bedingungslos. Sie hing auch tische Polarisierung zwischen den Medien- von dem glaubwürdigen Versprechen grö- (unternehmen) zunimmt. So kann ein aus- ßerer wirtschaftlicher Inklusivität und ländischer Zuschauer, der morgens CNN Chancengleichheit innerhalb der amerika- und nachmittags Fox News schaut, leicht nischen Gesellschaft ab. den Eindruck gewinnen, die Nachrichten stammten aus unterschiedlichen Welten. SWP-Aktuell 82 Oktober 2020 3
Vor dem Hintergrund der beschriebenen bedrohen zudem die Nationalparks, die Entwicklungen ist davon auszugehen, dass nicht nur eine natürliche Ressource und es in den USA zukünftig zwar mehr Nach- Erholungsraum sind, sondern auch Teil richten, aber weniger professionellen Jour- der amerikanischen Identität. nalismus geben wird. Die Klimapolitik hat im Hinblick auf die Während wir in den USA eine Konsoli- amerikanische Politik und Gesellschaft ein dierung der Informationsinfrastrukturen beträchtliches Spaltpotential. Obwohl unter- beobachten, fragmentiert die dortige schiedliche Behörden in den USA über de- Medienlandschaft zugleich in kleinteiligere taillierte Erkenntnisse über die Folgen des »Sub-Öffentlichkeiten«, ein Prozess, der Klimawandels verfügen, haben Experten- durch die Sozialen Medien noch verstärkt wissen und fundierte Analysen in der wird. Es kommt zur Herausbildung von Öffentlichkeit einen schweren Stand – sie Medien-Ökotopen, die eine bestimmte werden nicht umfassend gesellschaftlich politische Identität oder Meinung wider- geteilt und lassen sich daher politisch leicht spiegeln und verbreiten. neutralisieren. Leugner des menschen- Die Trends der politischen Polarisierung, gemachten Klimawandels finden sich vor der gesellschaftlichen Spaltung und der allem in den Reihen der Konservativen. Medienfragmentierung verstärken sich Einige US-Bundesstaaten implementieren gegenseitig. So hat der Umbruch der Medien- eigene klimapolitische Maßnahmen, andere landschaft ebenfalls weitreichende Kon- tun dies nicht. Die Kosten des Klimawandels sequenzen für die US-amerikanische Demo- sind in den USA aufgrund seines unter- kratie. Einerseits wächst mit der Digitalisie- schiedlichen regionalen Ausmaßes sehr un- rung die Vielfalt der Stimmen und Meinun- gleich verteilt. Für viele besonders betroffe- gen im öffentlichen Raum. Andererseits ne Bundestaaten ist zum Beispiel der Auf- steigt durch die Krise des professionellen wand für den Küstenschutz kaum aus eige- Journalismus die Gefahr, dass Wählerinnen ner Kraft zu decken. An diese Tatsache und Wähler nur noch sehr einseitig infor- knüpft sich dementsprechend eine Debatte miert werden oder komplett uninformiert zwischen den politischen Ebenen (Bund bleiben – nicht zuletzt wegen der sinken- und Bundesstaaten) über die Verteilung der den Qualität des Lokaljournalismus. Zudem Kosten. Klimapolitisch relevante Fragen wie verlieren die Medien als vierte Gewalt bzw. die Zukunft des »Fracking« oder des Kohle- als demokratierelevante Kontrollinstanz an abbaus haben erhebliches Konfliktpotential Glaubwürdigkeit. Die Verbreitung von Ver- auf lokaler Ebene. schwörungstheorien wird durch diese Ent- Auch außen- und sicherheitspolitisch wicklungen ebenfalls stark begünstigt. ergeben sich aus dem Klimawandel Kon- sequenzen. Einige davon werden erst lang- fristig (das heißt in mehr als zehn Jahren) 4.Trend: Steigende wirtschaft- voll durchschlagen. Aber bereits heute liche und politische Kosten des wirkt der Klimawandel als latenter Multi- Klimawandels plikator für zwischenstaatliche Konflikte. Mit Blick auf das Abschmelzen des Eises in Der Klimawandel führt auch in den USA zu der Arktis und der Antarktis ist mit einer einer Zunahme von Extremwetterlagen und Zunahme der internationalen Spannungen einer Häufung von Naturkatastrophen. Ein zu rechnen, wenn es um die Erschließung aktuelles Zeichen dafür sind die verheeren- und Sicherung neuer Ressourcenquellen den Waldbrände an der Westküste der USA, und Schifffahrtswege geht. aber auch abnorme Stürme und Dürren. Ein Anstieg der wirtschaftlichen, politi- Letztere haben schon heute negative Aus- schen und sicherheitspolitischen Kosten des wirkungen auf die Landwirtschaft, die Klimawandels könnte dazu führen, dass Lebensmittelversorgung und auf kritische dem Klimaschutz in den USA in Zukunft Infrastrukturen. Die extremen Wetterlagen wieder mehr Aufmerksamkeit zuteilwird. SWP-Aktuell 82 Oktober 2020 4
Präsidentschaftskandidat Joe Biden hat sich nicht über die notwendigen Mittel, ihn zu bereits recht klar zu einem solchen Rich- stoppen – wenn sie es denn wollte. Bislang tungswechsel bekannt. Sein Wahlsieg böte fehlen zudem politische Ansätze, diesen daher die Chance, dass die internationale Transformationsprozess konstruktiv zu be- Zusammenarbeit in der Klimapolitik unter gleiten, beispielsweise durch mehr Investi- Einschluss der USA wieder stärker an die tionen in Bildung. Zeit vor Beginn der Amtszeit Präsident Der strukturelle Wandel der US-Wirt- Trumps anknüpfen kann. schaft ist sowohl eine Folge der Globalisie- Welche Position die USA in den inter- rung (Stichwort »Outsourcing«) als auch der nationalen Klimaverhandlungen einneh- Automatisierung und Digitalisierung. Die men und wie innovativ US-Unternehmen USA verfügen im digitalen Bereich über bei klimarelevanten Technologien (z.B. eine hohe Innovationskraft und einen kom- Energiegewinnung, Mobilität oder Climate petitiven Vorteil gegenüber anderen Län- Engineering) agieren werden, hängt aller- dern. Es ist davon auszugehen, dass dieser dings stark von den nationalen Rahmen- Vorteil in den kommenden Jahren bestehen bedingungen ab. Wie diese– etwa mit bleibt – auch wenn der Technologie- Blick auf Regulierungen – unter einer wettbewerb international zunimmt und Biden-Administration konkret gestaltet andere Staaten, nicht zuletzt China, hier werden, bleibt abzuwarten. aufholen. Bereits heute zeichnet sich ab, dass die Allerdings wird der digitale Sektor – be- USA auf globaler Ebene weiterhin mit meh- günstigt durch den zurückhaltenden Ein- reren Stimmen sprechen werden. Dazu satz kartellrechtlicher Instrumente – von gehören neben der Regierung in Washing- wenigen großen Konzernen dominiert. ton auch die engagierten Bundesstaaten, Durch diese Monopolisierung leidet der Städte und Unternehmen und die Klima- Wettbewerb, und auch die Innovationsfähig- schutzbewegung. Darüber hinaus ist zu keit bei digitalen Dienstleistungen wird da- erwarten, dass – ob mit oder ohne eine durch begrenzt. Rückkehr der USA in das Pariser Klima- Im verarbeitenden Gewerbe in den USA abkommen – die US-Regierung ihren eige- ist seit Jahrzehnten ein Abbau von Arbeits- nen Vorstellungen über den Umgang mit plätzen zu beobachten. Der Aufstieg Chinas den Klimafolgen und dem Klimaschutz zum führenden Industrieproduzenten und Vorrang geben wird. Exporteur hat diesen strukturellen Wandel Daraus könnten technologische Ansätze in der amerikanischen Wirtschaft zusätz- hervorgehen und wirtschaftliche Interessen lich vorangetrieben (siehe Hilpert 2020). erwachsen, die nicht automatisch im Ein- Die Veränderungen haben unmittelbare klang mit den klimapolitischen Prioritäten politische Folgen in den USA. Die Verluste europäischer und anderer internationaler an Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen Partner stehen. trafen in erster Linie den sogenannten »Rust Belt«, also die stark industriell ge- prägten Bundesstaaten wie beispielsweise 5.Trend: Restrukturierung der Pennsylvania, Michigan und Ohio. Dort US-Wirtschaft führten die beschriebenen Umstrukturie- rungen zu besonders krassen sozialen Die Wirtschaft der USA befindet sich in Verwerfungen. Die meisten Bundesstaaten einem fundamentalen Strukturwandel: im Rust-Belt wurden bei den letzten Präsi- Während der Anteil des verarbeitenden dentschaftswahlen 2016 von Donald Trump Gewerbes an der Wirtschaftsleistung der gewonnen. USA sinkt, wird der Dienstleistungs- bzw. An dem Bedeutungsverlust des verarbei- Digitalsektor immer wichtiger. Dieser Trend tenden Gewerbes werden allerdings weder wird sich auch in den nächsten Jahren fort- die wirtschaftlichen Stützungsmaßnahmen setzen. Die Politik in den USA verfügt auch während der Corona-Pandemie noch eine SWP-Aktuell 82 Oktober 2020 5
strategische und wirtschaftliche Entkopp- Sowohl unter einem demokratischen als lung von China, wie sie von Teilen der auch unter einem republikanischen Präsi- Trump-Administration anvisiert wird, etwas denten werden sich die amerikanisch-chine- Grundsätzliches ändern. sischen Friktionen voraussichtlich verschär- Auch wenn die Politik den wirtschaft- fen und die partielle Entkopplung von Hoch- lichen Strukturwandel nicht aufhalten kann, technologiebereichen fortsetzen, wenn- so ist doch zu erwarten, dass die nächste gleich mit unterschiedlich hoher Intensität. US-Administration in den kommenden Denn auch Trumps Herausforderer Joe Jahren vermehrt Maßnahmen ergreifen Biden betont, er wolle »tough with China« wird, die das verarbeitende Gewerbe in den sein. Auch Biden beklagt den Diebstahl von USA stützen bzw. fördern sollen. Denkbare Technologie und geistigem Eigentum durch Varianten einer solchen politischen Gegen- China und dessen aggressives außenpoliti- reaktion sind die gezielte Verhängung von sches Verhalten. Der Anti-China-Konsens Schutzzöllen für Warenimporte und gesetz- hat sich auf beiden Seiten des politischen geberische Schritte, die auf eine Renationa- Spektrums sowohl in den außenpolitischen lisierung von – insbesondere kritischen Eliten als auch in Teilen der US-amerika- bzw. sicherheitsrelevanten – Industrien nischen Bevölkerung weiter verfestigt. hinauslaufen. Aktuelle Meinungsumfragen belegen, dass Insgesamt ist somit zu erwarten, dass die dieser Trend durch die Corona-Pandemie Wirtschaftspolitik der USA weiterhin von noch verstärkt wird. Abweichende Stim- nationalistischen und protektionistischen men, die vor einer Überhöhung der »chine- Tendenzen durchzogen sein wird. Auf der sischen Bedrohung« in den USA warnen, internationalen Ebene ist mit einer Zu- bleiben in der Minderheit. nahme von Handelskonflikten vor allem Die USA werden die internationale Poli- mit China zu rechnen. Im Falle einer zwei- tik zunehmend exklusiv durch das »China- ten Amtszeit von Trump dürfte auch die EU Prisma« wahrnehmen – mit der möglichen handelspolitisch im Visier Washingtons Folge, dass sich die Rivalität mit Peking so- bleiben und ein Rückzug der USA aus wei- gar zum organisierenden Prinzip der ameri- teren globalen Organisationen, wie bei- kanischen Außenpolitik entwickelt. spielsweise der Welthandelsorganisation Der Umgang mit China wird sich in er- (WTO), wäre nicht auszuschließen. heblichem Maße auf die Ausgestaltung der transatlantischen Beziehungen auswirken. Die USA und die meisten EU-Staaten sind 6.Trend: Die strategische Rivalität sich einig in ihrer grundsätzlichen Kritik an zwischen den USA und China China und fordern gleiche Marktzugangs- und Wettbewerbsbedingungen von Peking. Angesichts des militärischen und wirtschaft- Die USA setzen dabei jedoch anders als lichen Erstarkens Chinas und des zuneh- Europa vorrangig auf restriktive Handels- menden sino-amerikanischen Antagonis- instrumente wie Zölle, Exportkontrollen, mus stellt sich für die USA die Frage nach Lieferboykotte und Investitionsbeschrän- dem »richtigen« Mischungsverhältnis kungen. Ein weiterer Unterschied liegt zu- zwischen konfrontativen und kooperativen dem darin, dass die EU nach wie vor auf Ansätzen im Verhältnis zu Peking. Neben institutionalisierte Streitbeilegung setzt, dem wirtschaftlichen und technologischen während die USA einen bilateralen, trans- Wettbewerb verstärkt sich auch das Sicher- aktionalen Ansatz gewählt haben. heitsdilemma, in dem sich beide Staaten Schließlich sieht sich Washington viel befinden. Die nukleare Rüstungskonkur- mehr als Europa in einem scharfen Konkur- renz wird ebenso wie die militärische renzkampf mit China in der Frage, wer in Dimension des Cyber- und Weltraums an Zukunft essenzielle digitale Netzwerke poli- Bedeutung gewinnen. tisch und wirtschaftlich dominieren wird. SWP-Aktuell 82 Oktober 2020 6
Die USA haben, was den strategischen Konflikte werden zudem immer mehr in Ansatz gegenüber China betrifft, die klare neuen Modi – etwa in Form einer »hybri- Erwartung, dass die EU und ihre Mitglied- den« bzw. »asymmetrischen« Kriegsführung staaten sich der amerikanischen Sichtweise – ausgetragen. Dabei werden auch nicht- anschließen. Es ist davon auszugehen, dass militärische Mittel, wie beispielsweise Wirt- Amerika auch unter der nächsten US-Admi- schaftssanktionen und der Cyberraum, rele- nistration entsprechend Druck ausüben vanter. Zugleich bleibt der internationale wird. Europa wird daher gezwungen sein, staatsgefährdende Terrorismus eine Gefahr, seine wirtschaftlichen und geopolitischen die weltweit Konflikte anheizt. Vieles deu- Interessen noch mehr abzuwägen. tet darüber hinaus darauf hin, dass die politischen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ebenfalls als Konflikt- 7.Trend: Das anhaltend hohe treiber wirken. Niveau gewaltsamer Konflikte als Das anhaltend hohe Konfliktniveau be- Problem (auch) für die Führungs- einflusst unmittelbar auch die außen- und macht USA sicherheitspolitischen Prioritäten und Handlungsmöglichkeiten der USA. Zum Das internationale Umfeld ist weiterhin einen verstärkt es die in Washington vor- durch ein hohes Konfliktniveau gekenn- handenen Bedrohungswahrnehmungen, zeichnet. Damit gemeint sind zwischen- etwa mit Blick auf China oder den inter- staatliche, innerstaatliche und internatio- nationalen Terrorismus. Zudem erhöht sich nalisierte Konflikte, die entweder gewalt- dadurch die Nachfrage nach Sicherheit im sam ausgetragen werden oder die das Rahmen der US-geführten Bündnissysteme Potential dazu haben. Viele der bereits ge- in Europa, dem Mittleren Osten und im waltsam ausgetragenen Konflikte, beispiels- Indopazifik. Schließlich betrifft die Gewalt weise in Syrien, Afghanistan, Libyen, auch unmittelbar Länder und Regionen, in Nigeria oder dem Jemen, entfalten eine denen die USA bislang sicherheitspolitisch regionale oder gar überregionale Wirkung. und militärisch engagiert sind – und aus Die Ursachen für die Gewalt sind fall- denen sie sich zurückziehen wollen. spezifisch und vielfältig. Eine wesentliche Angesichts begrenzter – und durch die Rolle spielen jedoch häufig die zunehmen- Folgen von Corona weiter schwindender – de Fragmentierung des internationalen finanzieller Ressourcen und einer Erosion Systems, das verstärkte Auftreten nicht- der militärischen Überlegenheit der USA staatlicher Gewaltakteure und die Fragilität steigt in Washington der Druck, im Hin- von Staatlichkeit weltweit. Die Intensivie- blick auf sicherheitspolitische und mili- rung bewaffneter Auseinandersetzungen, tärische Interventionen in Zukunft noch an denen Regional- bzw. Großmächte wie selektiver vorzugehen und stärker Priori- die USA, China, Russland, Indien, Iran, täten zu setzen. Saudi-Arabien oder die Türkei beteiligt sind, lässt erwarten, dass die Internationali- sierung von Konflikten weiter zunehmen Ausblick: wird. Diese Entwicklung war bereits in den Die USA bleiben nach den Wahlen vergangenen Jahren in Libyen, Syrien und ein schwieriger Partner im Jemen zu beobachten. Darüber hinaus schwächen zwischen- So mächtig US-amerikanische Präsidenten staatliche Rivalitäten jene multilateralen auch sein mögen – ihr Handlungsspiel- Organisationen, die eigentlich zur Ent- raum wird von langfristigen Entwicklungen schärfung oder gar Lösung gewaltsamer geprägt, die weit über die nächsten Wahlen Konfrontationen beitragen sollen. Das gilt hinauswirken. Die jeweiligen Amtsinhaber nicht zuletzt für den Sicherheitsrat der im Weißen Haus können sich diese Ent- Vereinten Nationen. wicklungen für ihre politischen Ziele nutz- SWP-Aktuell 82 Oktober 2020 7
bar machen und sie gegebenenfalls verstär- Innenpolitische Probleme und schwindende ken oder ihnen entgegenwirken. So hat die Ressourcen könnten dazu beitragen, dass politische und gesellschaftliche Spaltung Washington in Zukunft (noch) selektiver Amerikas Donald Trump vermutlich den auswählt, wie und wo es sich außen- und Weg ins Weiße Haus geebnet und sich an- sicherheitspolitisch engagiert. Das wird schließend in den vier Jahren seiner Präsi- eher im Indopazifik sein als in Europa, dentschaft weiter vertieft. Weder hat Trump Afrika oder im Mittleren Osten. Deutsch- jedoch die Polarisierung geschaffen noch land und seine europäischen Partner müss- könnte ein Amtsnachfolger Biden sie in vier ten dann ihrerseits entscheiden, wo und Jahren wieder rückgängig machen. wie sie sich engagieren wollen und können. © Stiftung Wissenschaft Die Gesamtschau der sieben hier be- Die Aussicht auf eine Entschärfung der und Politik, 2020 schriebenen Trends zeigt, dass die Kluft gegenwärtigen transatlantischen Spannun- Alle Rechte vorbehalten zwischen den außenpolitischen Ambitio- gen mag sich eher mit einem Wahlsieg Joe nen der USA bzw. Anforderungen an sie Bidens bieten als mit vier weiteren Jahren Das Aktuell gibt die Auf- und den innenpolitischen Grundlagen, um Trump. Ein kurzer Blick auf drei aus deut- fassung der Autoren und Autorinnen wieder. diesen Ambitionen gerecht zu werden, scher und europäischer Sicht besonders größer wird. Die sich vertiefende politische relevante Themenfelder – der Umgang mit In der Online-Version dieser und gesellschaftliche Spaltung in Amerika China, die internationale Klima- und die Publikation sind Verweise und die wachsende soziale und ökonomi- Handelspolitik – verdeutlicht jedoch, dass auf SWP-Schriften und sche Ungleichheit untergraben die Funda- die USA auch unter einer Biden-Adminis- wichtige Quellen anklickbar. mente der Demokratie in den USA. Damit tration aller Voraussicht nach ein schwieri- SWP-Aktuells werden intern werden zukünftige US-Administrationen ger Bündnispartner bleiben werden. einem Begutachtungsverfah- ihre politische Aufmerksamkeit und finan- ren, einem Faktencheck und zielle Ressourcen verstärkt der Bewältigung einem Lektorat unterzogen. der innenpolitischen Probleme widmen Weitere Informationen müssen. Zugleich besteht die Gefahr, dass zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP- der Rückhalt in der amerikanischen Öffent- Website unter https://www. lichkeit für außenpolitisches Engagement swp-berlin.org/ueber-uns/ der USA weiter schwindet. Die wirtschaft- qualitaetssicherung/ lichen und politischen Folgen der Corona- Pandemie dürften diese Trends beschleu- SWP Stiftung Wissenschaft und nigen. Politik Dessen ungeachtet sehen sich die USA Deutsches Institut für weiterhin als eine globale Führungsmacht, Internationale Politik und die in strategischen Weltregionen Bündnis- Sicherheit se unterhält, dort Einfluss nehmen will und sich der Herausforderung insbesondere Ludwigkirchplatz 3–4 10719 Berlin durch China mit aller Kraft entgegenstemmt. Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 Dr. Marco Overhaus leitet die Expertengruppe USA und ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Amerika der SWP. www.swp-berlin.org Dr. Florian Böller ist Junior-Professor an der TU Kaiserslautern. Dr. Gerlinde Groitl ist Politikwissenschaftlerin an der Uni- swp@swp-berlin.org versität Regensburg. Dr. Stormy-Annika Mildner ist Abteilungsleiterin für Außenwirtschaftspolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Dr. Claudia Schmucker ist Leiterin des Programms Globalisierung und Weltwirtschaft bei der ISSN 1611-6364 Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Dr. David Sirakov ist Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland- doi: 10.18449/2020A82 Pfalz. Dr. Christian Lammert ist Professor, Dr. Curd Knüpfer ist Junior-Professor und Dr. Lora Anne Viola ist Professorin am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin. Dr. Laura von Daniels ist Leiterin, Dr. Sascha Lohmann und Dr. Johannes Thimm sind Wissenschaftler und Darwin Veser ist studentische Hilfskraft in der Forschungsgruppe Amerika der SWP. Dr. Susanne Dröge ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen der SWP. Das Aktuell basiert auf den bisherigen Ergebnissen der Expertengruppe USA, spiegelt jedoch nicht den Konsens aller Mit- glieder der Gruppe wider. Das Projekt wird finanziell gefördert vom Auswärtigen Amt. Nähere Informationen sind zu finden unter: https://www.swp-berlin.org/projekte/expertengruppe-usa/ SWP-Aktuell 82 Oktober 2020 8
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