Jenseits der Wahlen - Stiftung Wissenschaft und Politik

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Jenseits der Wahlen - Stiftung Wissenschaft und Politik
NR. 82 OKTOBER 2020                               Einleitung

Jenseits der Wahlen
Sieben Trends, die die Innen- und Außenpolitik der USA prägen werden
Marco Overhaus / Florian Böller / Laura von Daniels / Susanne Dröge / Gerlinde Groitl / Curd B. Knüpfer /
Christian Lammert / Sascha Lohmann / Stormy-Annika Mildner / Claudia Schmucker / David Sirakov /
Johannes Thimm / Darwin Veser / Lora Anne Viola

Viele politische Entscheidungsträger in Deutschland und anderen EU-Staaten dürften
darauf hoffen, dass die transatlantischen Beziehungen nach den bevorstehenden
US-Präsidentschaftswahlen am 3. November wieder in ruhigere Fahrwasser gelangen,
falls der Demokrat Joe Biden gewinnt. Allerdings wird der innen- und außenpoliti-
sche Handlungsspielraum des amerikanischen Präsidenten auch von langfristigen
und strukturellen Entwicklungen bestimmt, die über die nächsten (und übernächs-
ten) US-Wahlen hinauswirken. Sieben Trends sind in dieser Hinsicht besonders rele-
vant. Zusammen betrachtet verdeutlichen sie, dass außenpolitische Anforderungen
und innenpolitische Ressourcen in den USA zunehmend auseinanderklaffen.

Der Blick auf die USA ist oft verengt auf die             Die politische Polarisierung, die noch
aktuellen politischen Ereignisse und Bewer-            durch Umbrüche in der Medienlandschaft
tungen des gegenwärtigen US-Präsidenten                verstärkt wird, und die wachsende sozio-
und seiner Politik. Für Deutschland und die            ökonomische Ungleichheit in den USA
anderen europäischen Partner der USA ist               schwächen die innenpolitischen Voraus-
jedoch von nicht minder großer Bedeutung,              setzungen für eine international engagierte
welche strukturellen und längerfristigen               US-Außenpolitik. Auch die Folgen des
Entwicklungen hinter den aktuellen Er-                 Klimawandels bergen großes Potential für
eignissen stehen. Zu welchem außenpoliti-              eine Vertiefung des Risses, der die Gesell-
schen Partner werden die USA, auch los-                schaft in den USA durchzieht. Strukturelle
gelöst von der Frage, wer die bevorstehen-             Verschiebungen in der US-amerikanischen
den Präsidentschaftswahlen gewinnt?                    Wirtschaft befeuern nationalistische und
   Eine von der Stiftung Wissenschaft und              protektionistische Impulse in Washington.
Politik (SWP) initiierte Gruppe von Exper-             Der sich verschärfende Konflikt mit China
tinnen und Experten hat sieben Trends                  und das anhaltend hohe Gewaltniveau im
identifiziert, die die Innen- und Außen-               internationalen Umfeld lassen zugleich die
politik der USA in den nächsten fünf bis               außen- und sicherheitspolitischen Anforde-
zehn Jahren maßgeblich prägen werden.                  rungen an die USA weiter wachsen.
1.Trend: Zunehmende politische                  Legislative, sich zu verständigen und zu
                 und gesellschaftliche Polarisie-                kooperieren, wirkt sich mithin negativ auf
                 rung                                            die gesetzgeberische Arbeit im US-Kongress
                                                                 aus. Entsprechend sinkt die Problemlösungs-
                 Polarisierung bezeichnet das ideologische       fähigkeit gegenüber sozialen wie ökonomi-
                 Auseinanderdriften von Parteien und von         schen Herausforderungen.
                 gesellschaftlichen Gruppen. Die Bruchlinien        Die ideologische Polarisierung kommt
                 sind dabei in erster Linie durch innen- und     besonders deutlich bei innen- und gesell-
                 gesellschaftspolitische sowie durch welt-       schaftspolitischen Fragen zum Ausdruck,
                 anschauliche Konflikte definiert.               wie bei der Einwanderungs-, Wirtschafts-
                    Der Trend zur Polarisierung hat die          und Gesundheitspolitik und bei den Themen
                 Schwächung moderater und die gleichzeiti-       Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe.
                 ge Stärkung extremer Positionen zur Folge.      Sie wirkt sich jedoch zusehends auch auf
                 Diese Tendenz lässt sich in den USA zwar        die US-Außenpolitik aus. So schwächt die
                 bereits seit den 1960er Jahren beobachten.      Polarisierung den »internationalistischen«
                 In den letzten 25 Jahren wurde sie jedoch       Grundkonsens, der dem weltpolitischen
                 zu einem der prägendsten Phänomene der          Führungsanspruch Amerikas in den vergan-
                 US-amerikanischen Innenpolitik. Es ist da-      genen sieben Dekaden zugrunde lag. Zudem
                 von auszugehen, dass sich die Polarisierung     begünstigt sie extremere Pendelschwünge
                 ungeachtet des Ausgangs der Präsident-          in den Grundzügen der amerikanischen
                 schafts- und Kongresswahlen im November         Außenpolitik, wenn es zu Machtwechseln
                 2020 zumindest fortsetzen wird.                 im Weißen Haus kommt. In letzter Kon-
                    Welche Folgen dieser Trend hat, lässt        sequenz trägt die Polarisierung somit im
                 sich am ideologischen Abstand zwischen          In- und Ausland zu einem Verlust des Ver-
                 den Republikanern und Demokraten im             trauens sowohl in die politischen Institu-
                 Repräsentantenhaus und im Senat ermes-          tionen der USA als auch in deren Rolle als
                 sen: Die am weitesten »links« stehenden         Weltmacht bei.
                 Republikaner stehen noch immer weiter
                 »rechts« als die konservativsten Demokraten
                 – es gibt also mittlerweile keine Über-         2.Trend: Wachsende Ungleichheit
                 schneidungen mehr. Während die ideo-            und gesellschaftliche Spaltung
                 logische Geschlossenheit der Parteien gleich
                 geblieben ist oder zugenommen hat, haben        Bestimmte politische Entscheidungen –
                 sich die beiden Parteien zusehends von-         unter anderem die Politik der Deregulie-
                 einander entfernt.                              rung und Entstaatlichung während der Prä-
                    Die Polarisierung führt auch dazu, dass      sidentschaft von Ronald Reagan und die
                 radikalere Fraktionen innerhalb der Par-        Steuerreform unter Donald Trump – und
                 teien stärker werden – eine Entwicklung,        wirtschaftliche Schocks (beispielsweise die
                 die bei den Republikanern stärker aus-          Finanzkrise von 2007–2009) haben die Ein-
                 geprägt ist als bei den Demokraten. Das         kommens- und Wohlstandsungleichheit in
                 Phänomen ist nicht nur auf die politischen      den USA wachsen lassen. Sie haben zugleich
                 Eliten beschränkt. Die Polarisierung ist in-    zu einer Verringerung der sozialen Mobi-
                 zwischen auch in der Bevölkerung nach-          lität geführt. Für die kommenden Jahre ist
                 weisbar, insbesondere bei politisch engagier-   davon auszugehen, dass sich diese Prozesse
                 ten Wählerinnen und Wählern.                    fortsetzen oder noch verstärken werden.
                    Durch die Polarisierung wächst die Ge-          Mögliche bzw. wahrscheinliche Kon-
                 fahr einer Schwächung der für das System        sequenzen dieser Entwicklung sind: eine
                 der Checks and Balances elementaren Kom-        Abnahme des Vertrauens in die politische
                 promissbereitschaft – und damit auch der        Handlungsfähigkeit des Staates; zunehmend
                 amerikanischen Demokratie insgesamt. Die        kontrovers geführte Auseinandersetzungen
                 Unfähigkeit der Politiker in Exekutive und      über politische und ökonomische Teilhabe;

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eine verschärfte Konkurrenz um begrenzte      3.Trend: Umbrüche in der
staatliche Ressourcen und die Überforde-      amerikanischen Medienlandschaft
rung einzelstaatlicher Haushalte. Dies wie-
derum könnte die Debatte in den USA über      Die USA erleben einen massiven Umbruch
den Föderalismus und über Ausgaben-           ihrer Medienlandschaft. Dieser wird maß-
prioritäten insgesamt anfachen.               geblich von drei miteinander zusammen-
   Die Einkommens- und Wohlstands-            hängenden Entwicklungen angetrieben,
ungleichheit ist verbunden mit anderen        nämlich der Digitalisierung, der Deregulie-
gesellschaftlichen Spaltungstendenzen in      rung und der Konsolidierung bzw. Konzen-
Amerika. So ist nach dem gewaltsamen Tod      trierung der Informationsinfrastrukturen in
von George Floyd und anderer Afroameri-       den USA. So hat die Deregulierung des
kaner im Zuge von Polizeieinsätzen die        Medienmarkts in den letzten Jahren das
Debatte über strukturellen Rassismus in       Aufkommen einiger weniger großer Kon-
den USA sowohl im Land selbst als auch        glomerate begünstigt, die die Branche
international heftig wiederaufgeflammt.       dominieren.
Das Thema hat schon deshalb einen Bezug          Das gilt nicht zuletzt auch für lokale
zur wachsenden wirtschaftlichen und           Medien, die in den USA weiterhin eine große
sozialen Ungleichheit in den USA, weil        Rolle bei der Informationsversorgung der
Armut und Hautfarbe eng miteinander           Bevölkerung spielen. Lokaler Journalismus
verknüpft sind.                               wird zunehmend durch »Syndikationen« er-
   Die Corona-Pandemie wird die sozio-        setzt, das heißt durch die Mehrfachverwen-
ökonomische Ungleichheit auch in den          dung medialer Inhalte (z.B. von den Firmen
USA aller Voraussicht nach zusätzlich ver-    Sinclair und Gannett). Damit einhergehend
stärken. Sie könnte daher sogar zu einem      werden Lokalredaktionen verkleinert.
Wendepunkt in der innenpolitischen Dis-          Durch die Digitalisierung wurde nicht
kussion über die Kluft zwischen Arm und       nur das Geschäftsmodell klassischer Print-
Reich und Rassismus werden. Aber auch         medien stark gestört bzw. zerstört. Auch
dann, wenn es – den weiterhin bestehen-       haben soziale Medien und digitale Platt-
den institutionellen Beharrungskräften        formen dadurch massiv an Bedeutung für
zum Trotz – zu einer grundlegenden sozial-    die politische Öffentlichkeit gewonnen. Die
und gesellschaftspolitischen Kurskorrektur    Betreiber digitaler Plattformen verstehen
kommt: Es wäre mehr als ungewiss, ob dies     sich nicht als Gatekeeper, die für die Qualität
bereits in den kommenden fünf oder zehn       der Inhalte einstehen, sondern als »Modera-
Jahren zu einer Abschwächung der sozialen     toren« für bestimmte politische Inhalte.
Ungleichheit führen würde.                       Das Aufkommen großer Medienkonglo-
   In dem Maße, in dem die gesellschaft-      merate begünstigt auch die Umstellung
lichen Spannungen und Probleme in den         von Informationsangeboten auf »Enter-
USA zunehmen, schwinden auch die innen-       tainment«-Formate und den Wandel des
politischen Grundlagen und Ressourcen für     Journalismus-Modells von »interner« hin zu
die amerikanische Außen- und Sicherheits-     »externer Diversität«. Damit ist die Reduzie-
politik. Die Zustimmung der amerikani-        rung der Vielfalt an Meinungen bzw. Grund-
schen Bevölkerung zur Übernahme kosten-       haltungen innerhalb einzelner Medien,
trächtiger internationaler Verpflichtungen    Medienunternehmen oder Plattformen
und zu militärischen Interventionen war in    gemeint, während gleichzeitig die poli-
den USA nie bedingungslos. Sie hing auch      tische Polarisierung zwischen den Medien-
von dem glaubwürdigen Versprechen grö-        (unternehmen) zunimmt. So kann ein aus-
ßerer wirtschaftlicher Inklusivität und       ländischer Zuschauer, der morgens CNN
Chancengleichheit innerhalb der amerika-      und nachmittags Fox News schaut, leicht
nischen Gesellschaft ab.                      den Eindruck gewinnen, die Nachrichten
                                              stammten aus unterschiedlichen Welten.

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Vor dem Hintergrund der beschriebenen         bedrohen zudem die Nationalparks, die
                 Entwicklungen ist davon auszugehen, dass         nicht nur eine natürliche Ressource und
                 es in den USA zukünftig zwar mehr Nach-          Erholungsraum sind, sondern auch Teil
                 richten, aber weniger professionellen Jour-      der amerikanischen Identität.
                 nalismus geben wird.                                Die Klimapolitik hat im Hinblick auf die
                    Während wir in den USA eine Konsoli-          amerikanische Politik und Gesellschaft ein
                 dierung der Informationsinfrastrukturen          beträchtliches Spaltpotential. Obwohl unter-
                 beobachten, fragmentiert die dortige             schiedliche Behörden in den USA über de-
                 Medienlandschaft zugleich in kleinteiligere      taillierte Erkenntnisse über die Folgen des
                 »Sub-Öffentlichkeiten«, ein Prozess, der         Klimawandels verfügen, haben Experten-
                 durch die Sozialen Medien noch verstärkt         wissen und fundierte Analysen in der
                 wird. Es kommt zur Herausbildung von             Öffentlichkeit einen schweren Stand – sie
                 Medien-Ökotopen, die eine bestimmte              werden nicht umfassend gesellschaftlich
                 politische Identität oder Meinung wider-         geteilt und lassen sich daher politisch leicht
                 spiegeln und verbreiten.                         neutralisieren. Leugner des menschen-
                    Die Trends der politischen Polarisierung,     gemachten Klimawandels finden sich vor
                 der gesellschaftlichen Spaltung und der          allem in den Reihen der Konservativen.
                 Medienfragmentierung verstärken sich                Einige US-Bundesstaaten implementieren
                 gegenseitig. So hat der Umbruch der Medien-      eigene klimapolitische Maßnahmen, andere
                 landschaft ebenfalls weitreichende Kon-          tun dies nicht. Die Kosten des Klimawandels
                 sequenzen für die US-amerikanische Demo-         sind in den USA aufgrund seines unter-
                 kratie. Einerseits wächst mit der Digitalisie-   schiedlichen regionalen Ausmaßes sehr un-
                 rung die Vielfalt der Stimmen und Meinun-        gleich verteilt. Für viele besonders betroffe-
                 gen im öffentlichen Raum. Andererseits           ne Bundestaaten ist zum Beispiel der Auf-
                 steigt durch die Krise des professionellen       wand für den Küstenschutz kaum aus eige-
                 Journalismus die Gefahr, dass Wählerinnen        ner Kraft zu decken. An diese Tatsache
                 und Wähler nur noch sehr einseitig infor-        knüpft sich dementsprechend eine Debatte
                 miert werden oder komplett uninformiert          zwischen den politischen Ebenen (Bund
                 bleiben – nicht zuletzt wegen der sinken-        und Bundesstaaten) über die Verteilung der
                 den Qualität des Lokaljournalismus. Zudem        Kosten. Klimapolitisch relevante Fragen wie
                 verlieren die Medien als vierte Gewalt bzw.      die Zukunft des »Fracking« oder des Kohle-
                 als demokratierelevante Kontrollinstanz an       abbaus haben erhebliches Konfliktpotential
                 Glaubwürdigkeit. Die Verbreitung von Ver-        auf lokaler Ebene.
                 schwörungstheorien wird durch diese Ent-            Auch außen- und sicherheitspolitisch
                 wicklungen ebenfalls stark begünstigt.           ergeben sich aus dem Klimawandel Kon-
                                                                  sequenzen. Einige davon werden erst lang-
                                                                  fristig (das heißt in mehr als zehn Jahren)
                 4.Trend: Steigende wirtschaft-                   voll durchschlagen. Aber bereits heute
                 liche und politische Kosten des                  wirkt der Klimawandel als latenter Multi-
                 Klimawandels                                     plikator für zwischenstaatliche Konflikte.
                                                                  Mit Blick auf das Abschmelzen des Eises in
                 Der Klimawandel führt auch in den USA zu         der Arktis und der Antarktis ist mit einer
                 einer Zunahme von Extremwetterlagen und          Zunahme der internationalen Spannungen
                 einer Häufung von Naturkatastrophen. Ein         zu rechnen, wenn es um die Erschließung
                 aktuelles Zeichen dafür sind die verheeren-      und Sicherung neuer Ressourcenquellen
                 den Waldbrände an der Westküste der USA,         und Schifffahrtswege geht.
                 aber auch abnorme Stürme und Dürren.                Ein Anstieg der wirtschaftlichen, politi-
                 Letztere haben schon heute negative Aus-         schen und sicherheitspolitischen Kosten des
                 wirkungen auf die Landwirtschaft, die            Klimawandels könnte dazu führen, dass
                 Lebensmittelversorgung und auf kritische         dem Klimaschutz in den USA in Zukunft
                 Infrastrukturen. Die extremen Wetterlagen        wieder mehr Aufmerksamkeit zuteilwird.

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Präsidentschaftskandidat Joe Biden hat sich   nicht über die notwendigen Mittel, ihn zu
bereits recht klar zu einem solchen Rich-     stoppen – wenn sie es denn wollte. Bislang
tungswechsel bekannt. Sein Wahlsieg böte      fehlen zudem politische Ansätze, diesen
daher die Chance, dass die internationale     Transformationsprozess konstruktiv zu be-
Zusammenarbeit in der Klimapolitik unter      gleiten, beispielsweise durch mehr Investi-
Einschluss der USA wieder stärker an die      tionen in Bildung.
Zeit vor Beginn der Amtszeit Präsident            Der strukturelle Wandel der US-Wirt-
Trumps anknüpfen kann.                        schaft ist sowohl eine Folge der Globalisie-
   Welche Position die USA in den inter-      rung (Stichwort »Outsourcing«) als auch der
nationalen Klimaverhandlungen einneh-         Automatisierung und Digitalisierung. Die
men und wie innovativ US-Unternehmen          USA verfügen im digitalen Bereich über
bei klimarelevanten Technologien (z.B.        eine hohe Innovationskraft und einen kom-
Energiegewinnung, Mobilität oder Climate      petitiven Vorteil gegenüber anderen Län-
Engineering) agieren werden, hängt aller-     dern. Es ist davon auszugehen, dass dieser
dings stark von den nationalen Rahmen-        Vorteil in den kommenden Jahren bestehen
bedingungen ab. Wie diese– etwa mit           bleibt – auch wenn der Technologie-
Blick auf Regulierungen – unter einer         wettbewerb international zunimmt und
Biden-Administration konkret gestaltet        andere Staaten, nicht zuletzt China, hier
werden, bleibt abzuwarten.                    aufholen.
   Bereits heute zeichnet sich ab, dass die       Allerdings wird der digitale Sektor – be-
USA auf globaler Ebene weiterhin mit meh-     günstigt durch den zurückhaltenden Ein-
reren Stimmen sprechen werden. Dazu           satz kartellrechtlicher Instrumente – von
gehören neben der Regierung in Washing-       wenigen großen Konzernen dominiert.
ton auch die engagierten Bundesstaaten,       Durch diese Monopolisierung leidet der
Städte und Unternehmen und die Klima-         Wettbewerb, und auch die Innovationsfähig-
schutzbewegung. Darüber hinaus ist zu         keit bei digitalen Dienstleistungen wird da-
erwarten, dass – ob mit oder ohne eine        durch begrenzt.
Rückkehr der USA in das Pariser Klima-            Im verarbeitenden Gewerbe in den USA
abkommen – die US-Regierung ihren eige-       ist seit Jahrzehnten ein Abbau von Arbeits-
nen Vorstellungen über den Umgang mit         plätzen zu beobachten. Der Aufstieg Chinas
den Klimafolgen und dem Klimaschutz           zum führenden Industrieproduzenten und
Vorrang geben wird.                           Exporteur hat diesen strukturellen Wandel
   Daraus könnten technologische Ansätze      in der amerikanischen Wirtschaft zusätz-
hervorgehen und wirtschaftliche Interessen    lich vorangetrieben (siehe Hilpert 2020).
erwachsen, die nicht automatisch im Ein-          Die Veränderungen haben unmittelbare
klang mit den klimapolitischen Prioritäten    politische Folgen in den USA. Die Verluste
europäischer und anderer internationaler      an Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen
Partner stehen.                               trafen in erster Linie den sogenannten
                                              »Rust Belt«, also die stark industriell ge-
                                              prägten Bundesstaaten wie beispielsweise
5.Trend: Restrukturierung der                 Pennsylvania, Michigan und Ohio. Dort
US-Wirtschaft                                 führten die beschriebenen Umstrukturie-
                                              rungen zu besonders krassen sozialen
Die Wirtschaft der USA befindet sich in       Verwerfungen. Die meisten Bundesstaaten
einem fundamentalen Strukturwandel:           im Rust-Belt wurden bei den letzten Präsi-
Während der Anteil des verarbeitenden         dentschaftswahlen 2016 von Donald Trump
Gewerbes an der Wirtschaftsleistung der       gewonnen.
USA sinkt, wird der Dienstleistungs- bzw.         An dem Bedeutungsverlust des verarbei-
Digitalsektor immer wichtiger. Dieser Trend   tenden Gewerbes werden allerdings weder
wird sich auch in den nächsten Jahren fort-   die wirtschaftlichen Stützungsmaßnahmen
setzen. Die Politik in den USA verfügt auch   während der Corona-Pandemie noch eine

                                                                                              SWP-Aktuell 82
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                                                                                                          5
strategische und wirtschaftliche Entkopp-          Sowohl unter einem demokratischen als
                 lung von China, wie sie von Teilen der          auch unter einem republikanischen Präsi-
                 Trump-Administration anvisiert wird, etwas      denten werden sich die amerikanisch-chine-
                 Grundsätzliches ändern.                         sischen Friktionen voraussichtlich verschär-
                     Auch wenn die Politik den wirtschaft-       fen und die partielle Entkopplung von Hoch-
                 lichen Strukturwandel nicht aufhalten kann,     technologiebereichen fortsetzen, wenn-
                 so ist doch zu erwarten, dass die nächste       gleich mit unterschiedlich hoher Intensität.
                 US-Administration in den kommenden                 Denn auch Trumps Herausforderer Joe
                 Jahren vermehrt Maßnahmen ergreifen             Biden betont, er wolle »tough with China«
                 wird, die das verarbeitende Gewerbe in den      sein. Auch Biden beklagt den Diebstahl von
                 USA stützen bzw. fördern sollen. Denkbare       Technologie und geistigem Eigentum durch
                 Varianten einer solchen politischen Gegen-      China und dessen aggressives außenpoliti-
                 reaktion sind die gezielte Verhängung von       sches Verhalten. Der Anti-China-Konsens
                 Schutzzöllen für Warenimporte und gesetz-       hat sich auf beiden Seiten des politischen
                 geberische Schritte, die auf eine Renationa-    Spektrums sowohl in den außenpolitischen
                 lisierung von – insbesondere kritischen         Eliten als auch in Teilen der US-amerika-
                 bzw. sicherheitsrelevanten – Industrien         nischen Bevölkerung weiter verfestigt.
                 hinauslaufen.                                   Aktuelle Meinungsumfragen belegen, dass
                     Insgesamt ist somit zu erwarten, dass die   dieser Trend durch die Corona-Pandemie
                 Wirtschaftspolitik der USA weiterhin von        noch verstärkt wird. Abweichende Stim-
                 nationalistischen und protektionistischen       men, die vor einer Überhöhung der »chine-
                 Tendenzen durchzogen sein wird. Auf der         sischen Bedrohung« in den USA warnen,
                 internationalen Ebene ist mit einer Zu-         bleiben in der Minderheit.
                 nahme von Handelskonflikten vor allem              Die USA werden die internationale Poli-
                 mit China zu rechnen. Im Falle einer zwei-      tik zunehmend exklusiv durch das »China-
                 ten Amtszeit von Trump dürfte auch die EU       Prisma« wahrnehmen – mit der möglichen
                 handelspolitisch im Visier Washingtons          Folge, dass sich die Rivalität mit Peking so-
                 bleiben und ein Rückzug der USA aus wei-        gar zum organisierenden Prinzip der ameri-
                 teren globalen Organisationen, wie bei-         kanischen Außenpolitik entwickelt.
                 spielsweise der Welthandelsorganisation            Der Umgang mit China wird sich in er-
                 (WTO), wäre nicht auszuschließen.               heblichem Maße auf die Ausgestaltung der
                                                                 transatlantischen Beziehungen auswirken.
                                                                 Die USA und die meisten EU-Staaten sind
                 6.Trend: Die strategische Rivalität             sich einig in ihrer grundsätzlichen Kritik an
                 zwischen den USA und China                      China und fordern gleiche Marktzugangs-
                                                                 und Wettbewerbsbedingungen von Peking.
                 Angesichts des militärischen und wirtschaft-    Die USA setzen dabei jedoch anders als
                 lichen Erstarkens Chinas und des zuneh-         Europa vorrangig auf restriktive Handels-
                 menden sino-amerikanischen Antagonis-           instrumente wie Zölle, Exportkontrollen,
                 mus stellt sich für die USA die Frage nach      Lieferboykotte und Investitionsbeschrän-
                 dem »richtigen« Mischungsverhältnis             kungen. Ein weiterer Unterschied liegt zu-
                 zwischen konfrontativen und kooperativen        dem darin, dass die EU nach wie vor auf
                 Ansätzen im Verhältnis zu Peking. Neben         institutionalisierte Streitbeilegung setzt,
                 dem wirtschaftlichen und technologischen        während die USA einen bilateralen, trans-
                 Wettbewerb verstärkt sich auch das Sicher-      aktionalen Ansatz gewählt haben.
                 heitsdilemma, in dem sich beide Staaten            Schließlich sieht sich Washington viel
                 befinden. Die nukleare Rüstungskonkur-          mehr als Europa in einem scharfen Konkur-
                 renz wird ebenso wie die militärische           renzkampf mit China in der Frage, wer in
                 Dimension des Cyber- und Weltraums an           Zukunft essenzielle digitale Netzwerke poli-
                 Bedeutung gewinnen.                             tisch und wirtschaftlich dominieren wird.

SWP-Aktuell 82
Oktober 2020

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Die USA haben, was den strategischen             Konflikte werden zudem immer mehr in
Ansatz gegenüber China betrifft, die klare       neuen Modi – etwa in Form einer »hybri-
Erwartung, dass die EU und ihre Mitglied-        den« bzw. »asymmetrischen« Kriegsführung
staaten sich der amerikanischen Sichtweise       – ausgetragen. Dabei werden auch nicht-
anschließen. Es ist davon auszugehen, dass       militärische Mittel, wie beispielsweise Wirt-
Amerika auch unter der nächsten US-Admi-         schaftssanktionen und der Cyberraum, rele-
nistration entsprechend Druck ausüben            vanter. Zugleich bleibt der internationale
wird. Europa wird daher gezwungen sein,          staatsgefährdende Terrorismus eine Gefahr,
seine wirtschaftlichen und geopolitischen        die weltweit Konflikte anheizt. Vieles deu-
Interessen noch mehr abzuwägen.                  tet darüber hinaus darauf hin, dass die
                                                 politischen und wirtschaftlichen Folgen der
                                                 Corona-Pandemie ebenfalls als Konflikt-
7.Trend: Das anhaltend hohe                      treiber wirken.
Niveau gewaltsamer Konflikte als                    Das anhaltend hohe Konfliktniveau be-
Problem (auch) für die Führungs-                 einflusst unmittelbar auch die außen- und
macht USA                                        sicherheitspolitischen Prioritäten und
                                                 Handlungsmöglichkeiten der USA. Zum
Das internationale Umfeld ist weiterhin          einen verstärkt es die in Washington vor-
durch ein hohes Konfliktniveau gekenn-           handenen Bedrohungswahrnehmungen,
zeichnet. Damit gemeint sind zwischen-           etwa mit Blick auf China oder den inter-
staatliche, innerstaatliche und internatio-      nationalen Terrorismus. Zudem erhöht sich
nalisierte Konflikte, die entweder gewalt-       dadurch die Nachfrage nach Sicherheit im
sam ausgetragen werden oder die das              Rahmen der US-geführten Bündnissysteme
Potential dazu haben. Viele der bereits ge-      in Europa, dem Mittleren Osten und im
waltsam ausgetragenen Konflikte, beispiels-      Indopazifik. Schließlich betrifft die Gewalt
weise in Syrien, Afghanistan, Libyen,            auch unmittelbar Länder und Regionen, in
Nigeria oder dem Jemen, entfalten eine           denen die USA bislang sicherheitspolitisch
regionale oder gar überregionale Wirkung.        und militärisch engagiert sind – und aus
   Die Ursachen für die Gewalt sind fall-        denen sie sich zurückziehen wollen.
spezifisch und vielfältig. Eine wesentliche         Angesichts begrenzter – und durch die
Rolle spielen jedoch häufig die zunehmen-        Folgen von Corona weiter schwindender –
de Fragmentierung des internationalen            finanzieller Ressourcen und einer Erosion
Systems, das verstärkte Auftreten nicht-         der militärischen Überlegenheit der USA
staatlicher Gewaltakteure und die Fragilität     steigt in Washington der Druck, im Hin-
von Staatlichkeit weltweit. Die Intensivie-      blick auf sicherheitspolitische und mili-
rung bewaffneter Auseinandersetzungen,           tärische Interventionen in Zukunft noch
an denen Regional- bzw. Großmächte wie           selektiver vorzugehen und stärker Priori-
die USA, China, Russland, Indien, Iran,          täten zu setzen.
Saudi-Arabien oder die Türkei beteiligt
sind, lässt erwarten, dass die Internationali-
sierung von Konflikten weiter zunehmen           Ausblick:
wird. Diese Entwicklung war bereits in den       Die USA bleiben nach den Wahlen
vergangenen Jahren in Libyen, Syrien und         ein schwieriger Partner
im Jemen zu beobachten.
   Darüber hinaus schwächen zwischen-            So mächtig US-amerikanische Präsidenten
staatliche Rivalitäten jene multilateralen       auch sein mögen – ihr Handlungsspiel-
Organisationen, die eigentlich zur Ent-          raum wird von langfristigen Entwicklungen
schärfung oder gar Lösung gewaltsamer            geprägt, die weit über die nächsten Wahlen
Konfrontationen beitragen sollen. Das gilt       hinauswirken. Die jeweiligen Amtsinhaber
nicht zuletzt für den Sicherheitsrat der         im Weißen Haus können sich diese Ent-
Vereinten Nationen.                              wicklungen für ihre politischen Ziele nutz-

                                                                                                 SWP-Aktuell 82
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bar machen und sie gegebenenfalls verstär-                       Innenpolitische Probleme und schwindende
                               ken oder ihnen entgegenwirken. So hat die                        Ressourcen könnten dazu beitragen, dass
                               politische und gesellschaftliche Spaltung                        Washington in Zukunft (noch) selektiver
                               Amerikas Donald Trump vermutlich den                             auswählt, wie und wo es sich außen- und
                               Weg ins Weiße Haus geebnet und sich an-                          sicherheitspolitisch engagiert. Das wird
                               schließend in den vier Jahren seiner Präsi-                      eher im Indopazifik sein als in Europa,
                               dentschaft weiter vertieft. Weder hat Trump                      Afrika oder im Mittleren Osten. Deutsch-
                               jedoch die Polarisierung geschaffen noch                         land und seine europäischen Partner müss-
                               könnte ein Amtsnachfolger Biden sie in vier                      ten dann ihrerseits entscheiden, wo und
                               Jahren wieder rückgängig machen.                                 wie sie sich engagieren wollen und können.
© Stiftung Wissenschaft           Die Gesamtschau der sieben hier be-                              Die Aussicht auf eine Entschärfung der
und Politik, 2020              schriebenen Trends zeigt, dass die Kluft                         gegenwärtigen transatlantischen Spannun-
Alle Rechte vorbehalten        zwischen den außenpolitischen Ambitio-                           gen mag sich eher mit einem Wahlsieg Joe
                               nen der USA bzw. Anforderungen an sie                            Bidens bieten als mit vier weiteren Jahren
Das Aktuell gibt die Auf-
                               und den innenpolitischen Grundlagen, um                          Trump. Ein kurzer Blick auf drei aus deut-
fassung der Autoren und
Autorinnen wieder.             diesen Ambitionen gerecht zu werden,                             scher und europäischer Sicht besonders
                               größer wird. Die sich vertiefende politische                     relevante Themenfelder – der Umgang mit
In der Online-Version dieser   und gesellschaftliche Spaltung in Amerika                        China, die internationale Klima- und die
Publikation sind Verweise      und die wachsende soziale und ökonomi-                           Handelspolitik – verdeutlicht jedoch, dass
auf SWP-Schriften und
                               sche Ungleichheit untergraben die Funda-                         die USA auch unter einer Biden-Adminis-
wichtige Quellen anklickbar.
                               mente der Demokratie in den USA. Damit                           tration aller Voraussicht nach ein schwieri-
SWP-Aktuells werden intern     werden zukünftige US-Administrationen                            ger Bündnispartner bleiben werden.
einem Begutachtungsverfah-     ihre politische Aufmerksamkeit und finan-
ren, einem Faktencheck und     zielle Ressourcen verstärkt der Bewältigung
einem Lektorat unterzogen.     der innenpolitischen Probleme widmen
Weitere Informationen
                               müssen. Zugleich besteht die Gefahr, dass
zur Qualitätssicherung der
SWP finden Sie auf der SWP-    der Rückhalt in der amerikanischen Öffent-
Website unter https://www.     lichkeit für außenpolitisches Engagement
swp-berlin.org/ueber-uns/      der USA weiter schwindet. Die wirtschaft-
qualitaetssicherung/           lichen und politischen Folgen der Corona-
                               Pandemie dürften diese Trends beschleu-
SWP
Stiftung Wissenschaft und
                               nigen.
Politik                           Dessen ungeachtet sehen sich die USA
Deutsches Institut für         weiterhin als eine globale Führungsmacht,
Internationale Politik und     die in strategischen Weltregionen Bündnis-
Sicherheit                     se unterhält, dort Einfluss nehmen will und
                               sich der Herausforderung insbesondere
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin                   durch China mit aller Kraft entgegenstemmt.
Telefon +49 30 880 07-0
Fax +49 30 880 07-100          Dr. Marco Overhaus leitet die Expertengruppe USA und ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Amerika der SWP.
www.swp-berlin.org             Dr. Florian Böller ist Junior-Professor an der TU Kaiserslautern. Dr. Gerlinde Groitl ist Politikwissenschaftlerin an der Uni-
swp@swp-berlin.org             versität Regensburg. Dr. Stormy-Annika Mildner ist Abteilungsleiterin für Außenwirtschaftspolitik beim Bundesverband der
                               Deutschen Industrie (BDI). Dr. Claudia Schmucker ist Leiterin des Programms Globalisierung und Weltwirtschaft bei der
ISSN 1611-6364                 Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Dr. David Sirakov ist Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-
doi: 10.18449/2020A82          Pfalz. Dr. Christian Lammert ist Professor, Dr. Curd Knüpfer ist Junior-Professor und Dr. Lora Anne Viola ist Professorin
                               am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin. Dr. Laura von Daniels ist Leiterin,
                               Dr. Sascha Lohmann und Dr. Johannes Thimm sind Wissenschaftler und Darwin Veser ist studentische Hilfskraft in der
                               Forschungsgruppe Amerika der SWP. Dr. Susanne Dröge ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen der
                               SWP.

                               Das Aktuell basiert auf den bisherigen Ergebnissen der Expertengruppe USA, spiegelt jedoch nicht den Konsens aller Mit-
                               glieder der Gruppe wider. Das Projekt wird finanziell gefördert vom Auswärtigen Amt. Nähere Informationen sind zu
                               finden unter: https://www.swp-berlin.org/projekte/expertengruppe-usa/

      SWP-Aktuell 82
      Oktober 2020

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