Mehr Geschlechtergerechtigkeit? Zur Frauenquote in Afrika
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Nummer 5 2012 ISSN 1862-3603 Mehr Geschlechtergerechtigkeit? Zur Frauenquote in Afrika Antonie Katharina Nord Die südafrikanische Innenministerin, Nkosazana Dlamini Zuma, ist am 16. Juli 2012 als erste Frau zur Kommissionsvorsitzenden der Afrikanischen Union gewählt worden. Die notwendige Zweidrittelmehrheit erreichte sie erst im vierten Wahlgang, was einen erbitterten Machtkampf hinter den Kulissen offenbart. Analyse Die in den vergangenen 50 Jahren vielerorts in Afrika südlich der Sahara eingeführten Genderquoten waren im Hinblick auf den Zugang von Frauen zu politischen Positio nen sehr erfolgreich. In Afrika wird jedoch debattiert, ob diese Quoten neben der rein zahlenmäßig stärkeren Repräsentation von Frauen auch zu mehr Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse und zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Machtverhält nisse zwischen Männern und Frauen geführt haben. Die Quotenergebnisse sind nominell eindrucksvoll: Waren im Jahr 1960 nur 1 Pro zent der politischen Vertreter Afrikas Frauen, lag ihr Anteil im Jahr 2009 bei fast 20 Prozent – nur geringfügig niedriger als in Europa. Dies zeigt aber nur einen allgemeinen Trend. Es gibt gravierende Unterschiede, nicht nur zwischen verschiedenen Ländern Afrikas, sondern auch innerhalb von Staaten. Selbst in Ländern, in denen Frauen große Fortschritte bei der politischen Re präsentation erzielen konnten, hat dies die gesellschaftliche Situation der Mehrheit der Frauen nicht verbessert (Südafrika), sondern nur zu einer Scheinbeteiligung von Frauen geführt, wie Feministinnen vor Ort kritisieren (Uganda). Allerdings haben die Quoten zumindest zu einer größeren Sichtbarkeit und partiell auch zu mehr Einfluss von Frauen in Politik und Gesellschaft Afrikas geführt. Zu dem beginnen sich in einigen Ländern patriarchalisch geprägte staatliche Institutio nen schrittweise zu verändern. Schlagwörter: Afrika, Südafrika, Uganda, Frauen, Genderpolitik, Politische Partizipation www.giga-hamburg.de/giga-focus
Frauenquoten in Afrika wana: „In einer der ältesten Demokratien Afrikas, Botswana, gibt es Widerstände gegen Quotenre- In 23 von insgesamt 49 Ländern Afrikas südlich gelungen seitens der politischen Parteien, unter der Sahara existieren Gender- oder Frauenquoten anderem deswegen, weil diese die Geschlechter- (Tabelle 1). Einige afrikanische Staaten gehören komposition in dem Mehrheitswahlsystem verän- international sogar zu den Spitzenreitern im Hin- dern würden, das heißt, einige Männer würden blick auf die politische Repräsentation von Frauen. ihre Sitze verlieren“ (Gouws und Hassim 2011: 4).2 So war Ruanda im Jahr 2008 das erste Land, in Zudem sind die Hürden, die Frauen überwin- dem mehr Frauen als Männer im Parlament ver- den müssen, um Wahlkreise direkt zu gewinnen, treten waren, und auch Südafrika zählt mit einem höher. Viele Frauen verfügen nicht über die finan- Frauenanteil von 45 Prozent im nationalen Parla- ziellen Mittel und Patronagenetzwerke ihrer männ- ment zu den weltweiten Vorreitern der politischen lichen Konkurrenten. In Mehrheitswahlsystemen Chancengleichheit für Frauen. dominiert daher der Quotentyp der sogenann- Bei den überall auf dem Kontinent eingeführten ten „reservierten Sitze“, wonach Frauen zusätz- Maßnahmen zur positiven Diskriminierung (Affir- lich zu den Wahlkreisabgeordneten Sitze im Par- mative Action-Instrumente) handelt es sich um ver- lament und/oder weiteren Institutionen erhalten. schiedene Typen von Quoten, die teilweise nur für Die reservierten Sitze verändern nicht das Macht- bestimmte Ebenen des politischen Systems gel- gefüge in den Wahlkreisen, sie sind daher poli- ten. Neben den freiwilligen Quoten, die von poli- tisch „kostengünstiger“. Welche Abgeordneten die tischen Parteien eingeführt wurden, sind in den reservierten Sitze besetzen, wird in einigen Län- letzten Jahren auch immer mehr gesetzliche Quo- dern durch Wahlen bestimmt (zum Beispiel seit ten verankert worden. In einigen Ländern existie- 2005 in Uganda), in anderen werden sie vom Präsi- ren parallel unterschiedliche Quotentypen. So gibt denten oder einer Kommission ernannt (beispiels- es in Südafrika eine gesetzliche Quote auf der loka- weise bis 2010 in Kenia), was erhebliche Legitima- len Ebene sowie eine freiwillige Quote von 50 Pro- tionsprobleme verursachen kann. zent innerhalb des regierenden African National Insgesamt sind die Quoten eine wichtige Congress (ANC) für alle politischen Ämter.1 Voraussetzung für den Zugang von Frauen zu In Afrika spiegelt sich der weltweite Trend politischen Ämtern; ohne Quoten hätten viele wider, dass in Verhältniswahlsystemen durch- Frauen den Sprung in die politische Arena nicht schnittlich mehr Frauen den Sprung in die Politik geschafft. Dies zeigt sich in Ländern ohne formale schaffen als in Mehrheitswahlsystemen (Tabelle 1). Quoten, beispielsweise in Nigeria. Hier kämpft Dies hängt damit zusammen, dass in Verhältnis- eine starke Frauenbewegung seit Jahrzehnten für wahlsystemen die Einführung einer Frauenquote mehr politische Beteiligung von Frauen.3 Dennoch einfacher zu realisieren ist: Hier bestimmen in der hat der Frauenanteil im Parlament nach den letz- Regel die Parteien die Zusammensetzung der Wahl- ten Wahlen im Jahr 2011 sogar leicht abgenom- listen und die Platzierung der Kandidaten. Wenn men und verharrt mit 19 von 360 Mitgliedern auf der politische Wille zur Einführung der Quote an niedrigem Niveau. In einigen Regionen Nigerias der Parteispitze existiert, kann diese – vor allem in klagen Frauen, die dennoch in die Politik gehen, eher hierarchisch organisierten Parteien, wie etwa über Anfeindungen und Behinderungen, bis hin dem südafrikanischen ANC – schnell eingeführt zur Androhung körperlicher Gewalt.4 werden, auch wenn sie bei Teilen der Parteibasis Trotz des numerischen Erfolgs der Frauenquote oder in ländlichen Regionen (noch) auf Ablehnung stellen afrikanische Feministinnen in jüngerer Zeit stößt. In Mehrheitswahlsystemen, in denen Kan- vermehrt die Frage, inwiefern die stärkere Reprä- didaten und Kandidatinnen direkt im Wahlkreis sentation von Frauen in der Politik auch zu einer gegeneinander antreten, sind die Widerstände Verbesserung der Lebensrealität der Masse der gegen eine Quote häufig größer, weil sie für viele Frauen geführt hat. Welchen Einfluss haben Frauen Abgeordnete einen unmittelbaren Machtverlust bedeutet. So schreiben Gouws und Hassim zu Bots- 2 Übersetzung dieses und der folgenden Zitate durch die Auto- rin. 3 Zu den Erfolgen und Herausforderungen der nigerianischen 1 Der ANC hatte vor den ersten freien Wahlen 1994 zunächst Frauenbewegung vgl. Ekine und Okon 2011. eine Frauenquote von 30 Prozent für alle politischen Ämter 4 So zum Beispiel die Abgeordnete Hajiya Najatu Muhammed eingeführt, diese wurde vor den letzten Parlaments- und Prä- aus Kano, Nigeria, in einem Videointerview, Heinrich-Böll- sidentschaftswahlen im Jahr 2009 auf 50 Prozent erhöht. Stiftung 2011. GIGA Focus Afrika 5/2012 -2-
Tabelle 1: Länder mit Frauenquoten in Afrika südlich der Sahara Land (und praktiziertes Anteil der Frauen Quotentyp(en) Wahlsystem)* im Parlament Angola (VW) Gesetzliche Quote/Nationales Parlament (30%) 39% Botswana (MW) Freiwillige Quote/Oppositionsparteien 8% Burkina Faso (VW) Gesetzliche Quote (30% der Listenkandidaten)/ 15% Nationales Parlament und auf subnationaler Ebene Burundi (VW) Gesetzliche Quote (30%)/Nationales Parlament 32% Kamerun Freiwillige Quote auf Parteiebene (25% bis 30%) 14% (Gemischtes System) Elfenbeinküste (MW) Freiwillige Quote auf Parteiebene (30%) 11% Djibouti Gesetzliche Quote (10%)/Nationales Parlament 14% (Gemischtes System) Eritrea Gesetzliche Quote (30%)/Nationales Parlament 22% (Keine Wahlen auf nationaler Ebene) Kenia (MW) Gesetzliche Quote von 6 reservierten Sitzen für Frauen im Parla- 10% ment plus freiwillige Quoten auf Parteiebene. Nach Verfassungs- änderung (2010): Maximal zwei Drittel der gewählten Abgeord neten dürfen dasselbe Geschlecht haben (Wahlen 2012). Lesotho Gesetzliche Quote (30%) auf subnationaler Ebene 24% (Gemischtes System) Mali (MW) Freiwillige Quote (30%) auf Parteiebene 10% Mosambik (VW) Freiwillige Quote (40%) auf Parteiebene 39% Namibia (VW) Gesetzliche Quote auf subnationaler Ebene (abhängig von 24% Gemeinderatsgröße), freiwillige Quote auf Parteiebene auf subnationaler Ebene (50%) Niger (VW) Gesetzliche Quote (10%)/Nationales Parlament 13% Freiwillige Quoten auf Parteiebene Ruanda (VW) Gesetzliche Quote (30%)/Nationales Parlament 56% Gesetzliche Quote (30%) auf subnationaler Ebene Senegal Gesetzliche Quote (50%)/Nationales Parlament 43% (Gemischtes System) Gesetzliche Quote (50%) auf subnationaler Ebene Sierra Leone (MW) Gesetzliche Quote auf subnationaler Ebene 13% Somalia Gesetzliche Quote (12%)/Nationales Parlament 7% (Keine Wahlen auf nationaler Ebene) Südafrika (VW) Freiwillige Quote auf Parteiebene (50%) 45% Gesetzliche Quote auf subnationaler Ebene (50%) Südsudan Gesetzliche Quote (25%)/Nationales Parlament 27% (Gemischtes System) Tansania (MW) Gesetzliche Quote (30%)/Nationales Parlament 36% Gesetzliche Quoten auf subnationaler Ebene Uganda (MW) Gesetzliche Quote (mindestens eine Frau pro Distrikt des 35% Landes)/Nationales Parlament, gesetzliche Quote auf subnationaler Ebene Simbabwe (MW) Freiwillige Quote auf Parteiebene, nicht vollständig 15% implementiert * MW: Mehrheitswahlsystem (vereinfacht), VW: Verhältniswahlsystem (vereinfacht). Quelle: The Quota Project: Global Database of Quotas for Women (bearbeitet/ergänzt durch die Autorin), online: (20. Juni 2012). GIGA Focus Afrika 5/2012 -3-
in der Politik in afrikanischen Staaten? Können sie Nähe und Abhängigkeit der weiblichen Abgeord- Themen setzen und Politik gestalten, die zu einer neten von der regierenden Partei hat sich negativ Stärkung von Frauen an der Basis führt? Diese auf ihre politische Handlungsfähigkeit ausgewirkt, Fragen werden im Folgenden an den Beispielen wie das folgende Beispiel zeigt: Uganda und Südafrika erörtert. Bei der Landrechtsreform von 1998 setzten sich ugandische Frauen dafür ein, dass Eheleute gemein- sam Land besitzen können, was ihrer Ansicht nach Uganda: Scheinbeteiligung oder zu einer größeren ökonomischen Unabhängigkeit Machtverschiebung? von Frauen geführt hätte. Die sogenannte „Gemein- schaftseigentümerklausel“ (Co-Ownership Clause) Nach der Machtübernahme des National Resis entwickelte einen hohen Symbolwert für die Frau- tance Movement (NRM) unter Yoweri Museveni enbewegung. Diese Klausel, die im ersten Gesetz- im Jahr 1986 wurde in Uganda eine Frauenquote entwurf des neuen Landgesetzes (Land Act) noch eingeführt, die im Laufe der folgenden Jahrzehnte enthalten war, „verschwand“ aber aus dem schließ- schrittweise ausgeweitet wurde. Zunächst wurde lich verabschiedeten Gesetzestext – ugandische lediglich auf lokaler Ebene das Amt der sogenann- Frauenrechtlerinnen sprachen daher in den fol- ten Frauensekretärin (Secretary for Women) einge- genden Jahren von der „verlorenen Klausel“. richtet, was bald von ugandischen Feministinnen Dadurch verstärkte sich der Eindruck, dass sich als nicht ausreichend kritisiert wurde. Diese Posi- viele weibliche (und männliche) Mitglieder des Par- tion, die landesweit in allen Gemeinderäten ein- laments zu wenig für die Interessen der Frauen im geführt wurde, führte nach dem Urteil der ugan- Land einsetzen und eine zu große Nähe zur Regie- dischen Juristin und Soziologin Sylvia Tamale in rung entwickelt haben. „Die Rolle, die das NRM den meisten Fällen nicht zu stärkerer politischer übernommen hat, macht die Parlamentarierinnen Beteiligung von Frauen. Die Frauen wurden viel- abhängig vom gegenwärtigen Regime, was ihre mehr auf ihre traditionell fürsorgende Rolle redu- Loyalität sicherstellt. Einer allgemein vertretenen ziert „und es wurde von ihnen erwartet, den ande- Auffassung zufolge könnten die für Frauen reser- ren Ratsmitgliedern Tee zu servieren oder son- vierten Sitze leicht wegfallen, sollte das System, aus stige Aspekte der Gemeinderatsarbeit zu überneh- welchem Grund auch immer, kollabieren. Weil die men, die wenig mit lokaler Politik zu tun hatten“ Frauen vom Regime abhängig sind, könnte man (Tamale 2004: 38). behaupten, sie selbst fielen einer Bevormundung Im Jahr 1989 wurde eine Quote auf Parlament- durch das NRM zum Opfer“ (Nordstoga Hanssen sebene eingeführt. Durch 39 zusätzlich geschaffene 2005: 6). Noch deutlicher sind die Feministinnen Sitze in der Nationalversammlung erhielt jeder Amanda Gouws und Shireen Hassim in ihrem Distrikt des Landes einen reservierten Sitz für eine Urteil, wenn sie schreiben, dass Museveni mit weibliche Abgeordnete. Außerdem wurden reser- der Einführung der reservierten Sitze für Frauen vierte Sitze für Vertreter der Jugend, der Arbei- einen „verlässlichen Block“ an Unterstützerinnen ter, der Armee sowie für Menschen mit Behinde- der NRM-Regierung kreiert habe, zum Nachteil rung eingerichtet. Dies sollte den inklusiven Cha- der Opposition: „In entscheidenden Momenten rakter des ugandischen Einparteiensystems unter- hat dieser abhängige Block weiblicher Abgeordne- streichen. Anders als die Wahlkreisabgeordneten ter still zugeschaut, wie Museveni die Opposition wurden die Abgeordneten mit reservierten Sit- gegen das National Resistance Movement unter- zen (Affirmative Action Legislators) jedoch nicht von drückt hat“ (Gouws und Hassim 2011: 5). der wahlberechtigten Bevölkerung gewählt, son- Auch mit der Wiedereinführung des Mehrpar- dern von einem sogenannten Wahlgremium (Elec- teiensystems im Jahr 2005 wurde – entgegen den toral College), das sich mehrheitlich aus männ- Erwartungen einiger Abgeordneter – das Prinzip lichen Gemeinderatsmitgliedern (Local Councilors) der reservierten Sitze für marginalisierte Grup- zusammensetzte. Anstelle von Vertreterinnen der pen der ugandischen Gesellschaft beibehalten. So ugandischen Frauenbewegung – die sich unter setzt sich das gegenwärtige Parlament (Wahlen anderem mit der Forderung nach einer Begren- 2011) aus 238 direkt gewählten Abgeordneten der zung der Amtszeit des Präsidenten hervorgetan Wahlkreise zusammen; davon sind drei weiblich. hatte – wurden passende Kandidatinnen von Mit- Dazu kommen 112 reservierte Sitze für Vertrete- gliedern des NRM ausgewählt. Die so geschaffene rinnen von Frauen, die auf Extralisten pro Distrikt GIGA Focus Afrika 5/2012 -4-
gewählt wurden, sowie 25 reservierte Sitze für Ver- Kadaga zur ersten Parlamentssprecherin des Lan- treter der Gruppen Jugend, Militär, Arbeiter und des (2011). Diese Wahl einer bekennenden Frauen- Behinderte. rechtlerin wurde von Zivilgesellschaft und Oppo- Obwohl das umstrittene Electoral College seit sition als Durchbruch für die Frauenbewegung der Verfassungsänderung von 2005 nicht mehr gewertet. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob existiert, wird das ugandische sogenannte Add-on- diese Wahl auch eine gesellschaftliche Machtver- Quotensystem5 nach wie vor als defizitär beschrie- schiebung für die Masse der ugandischen Frauen ben. So kommt die amerikanische Autorin Cris zur Folge haben wird. tina Costantini nach einer Umfrage unter weib- lichen Abgeordneten in Uganda zu dem Schluss: „Das System der ‚positiven Diskriminierung‘ hat Südafrika: Vormacht der Traditionalisten? vielen Frauen in Uganda die Möglichkeit eröffnet, bei Wahlen auf nationaler Ebene zu kandidieren, Südafrikas Erfolgsgeschichte im Hinblick auf die und darüber hinaus sichert es ihnen einen signifi- politische Repräsentation von Frauen ist eng mit kanten Anteil der Stimmen im Parlament. Dennoch der Rolle von Frauen in der Antiapartheidbewe begrenzen Fehler in Entwurf und Umsetzung des gung und im Befreiungskampf des ANC ver- Systems den Einfluss, den weibliche Politikerinnen knüpft. Das Engagement von Frauen gegen den im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen ausü- Apartheidstaat, zum Beispiel bei der Organisie- ben können“ (Costantini 2009). Da die weiblichen rung von Kampagnen und Massendemonstrati- Distriktabgeordneten finanziell und personell ver- onen gegen die rassistischen Passgesetze, hat ihre hältnismäßig schlechter ausgestattet sind als die Position innerhalb des ANC im Laufe der Jahr- Wahlkreisabgeordneten, hat ihr Ansehen in der zehnte gestärkt. Trotz interner Widerstände – Fra- Bevölkerung gelitten. Costantini führt das unter gen der Geschlechtergerechtigkeit waren lange anderem darauf zurück, dass die Wählerinnen dem Kampf gegen die Rassentrennung unterge- und Wähler schlechteren Zugang zu den Distrikt ordnet – waren die ANC Women’s League und die abgeordneten haben, da die Distrikte bei ähnlicher südafrikanische Frauenbewegung insgesamt wäh- Personalausstattung wesentlich größer sind als die rend der Verhandlungen zu einer demokratischen Wahlkreise. Auch die Finanzmittel, die Abgeord- Verfassung in der Durchsetzung ihrer politischen nete für Entwicklungsinitiativen in ihren Wahl- Forderungen außerordentlich erfolgreich. kreisen erhalten, sind pro Kopf deutlich höher als Zwei Faktoren spielten für diese Verhandlungs- die für die Repräsentantinnen der Distrikte. Neben stärke eine Rolle: Zum einen hatte die Women’s der Tatsache, dass viele Politikerinnen in Uganda League den Rückhalt der damaligen ANC-Füh- bisher zu wenig in der Lage waren, die Interessen rung auf nationaler Ebene, die deren Forderungen der ugandischen Frauen unabhängig von Partei- auch gegen Vertreter der weitaus konservativeren interessen zu vertreten, bewirkt die Ausgestaltung ANC-Basis unterstützte. Zum anderen bestand der Quote daher eine institutionelle Benachteili- über die von der Women’s League mitgegründete gung der weiblichen Distriktabgeordneten. Women’s National Coalition (WNC) eine enge Alli- Dennoch hat die Quote in Uganda nicht nur vie- anz zwischen ANC-Frauen und der Zivilgesell- len Frauen den Zugang zur Politik ermöglicht, son- schaft. In der Women’s National Coalition waren dern hatte nach Ansicht von Sylvia Tamale auch ein über 100 Frauenorganisationen vertreten; sie initi- schrittweises Aufbrechen von Machtstrukturen zur ierte Debatten über die Benachteiligung und Dis- Folge (Tamale 2004: 39), ein Prozess, der im gün- kriminierung von Frauen in Südafrika sowie über stigen Fall durch die Wiedereinführung des Mehr- Instrumente, diese zu überwinden. „In dieser Zeit parteiensystems und die Demokratisierung des hat die ANC-Frauenliga ihr Verständnis der struk- politischen Systems beschleunigt wird. Ein Zei- turellen und komplexen Natur der Geschlechter- chen dafür, dass sich die traditionell patriarchal unterdrückung vertieft und die Notwendigkeit und hierarchisch geprägten Institutionen Ugandas erkannt, dass spezielle Maßnahmen, wie positive langsam verändern, ist die Wahl von Rebecca Diskriminierung und Quotensysteme, eingeführt werden müssen“ (Myakayaka-Mazini 2004: 58). 5 Dieser Begriff drückt aus, dass die Vertreterinnen der Frauen Die breite Unterstützung der ANC-Frauen zusätzlich zu den Wahlkreisabgeordneten gewählt werden; es durch die Zivilgesellschaft und ihre fundierte handelt sich also um eine Aufstockung der Anzahl der Abge- inhaltliche Auseinandersetzung mit Genderfra- ordneten. GIGA Focus Afrika 5/2012 -5-
gen machten sie zu einer politischen Kraft, die im Eindämmung der Diskriminierung von Frauen Postapartheid-Südafrika nicht ignoriert werden verbessert, es hat außerdem in zahlreichen öffentli- konnte. Die Einführung einer 30-Prozent-Quote chen Anhörungen Frauen aus der Zivilgesellschaft innerhalb des ANC vor den ersten freien Wahlen und von der Graswurzelebene in seine Arbeit ein- Südafrikas im Jahr 1994 ist ein Erfolg der südafri- bezogen, was der Arbeit der Politikerinnen einen kanischen Frauen und hat die politische Landschaft starken Rückhalt verschaffte. des Landes nachhaltig verändert. Heute sind nicht Diese Erfolgsgeschichte setzte sich jedoch in nur 45 Prozent der Parlamentsabgeordneten des den folgenden Jahren nicht fort. Die zunehmend Landes weiblich, auch das südafrikanische Kabi- hierarchischen und zentralistischen Tendenzen nett besteht zu 40 Prozent aus Frauen. Es existiert innerhalb des ANC seit Beginn des neuen Jahrtau- zudem eine ausgefeilte National Gender Machinery sends hatten eine Schwächung des Parlaments zur (NGM), bestehend aus unterschiedlichen Institutio Folge, wovon auch die mit Genderfragen befassten nen auf nationaler und regionaler Ebene.6 Ausschüsse betroffen waren. Nach dem Rückzug Fast 20 Jahre seit der Einführung der Quote seiner charismatischen Ausschussvorsitzenden, und dem anschließenden Aufbau der NGM wer- die ihr Abgeordnetenmandat aus Protest gegen den die Leistungen der ANC-Regierung für die die Aidspolitik der Regierung Thabo Mbeki nie- Frauen Südafrikas allerdings von vielen Feminis dergelegt hatte, verlor insbesondere das JMC an tinnen negativ beurteilt. Während Politikerinnen politischer Durchsetzungskraft. in der Anfangszeit der jungen Demokratie wich- Heute kritisieren Feministinnen in Südafrika, tige Erfolge für Frauen erringen konnten, gelten dass es beispielsweise keine adäquate Reaktion die sogenannten Femocrats, also Feministinnen in von Parlament und Regierung auf die nach wie vor der staatlichen Verwaltung, heute als weitgehend hohe Gewaltrate gegen Frauen im Land gibt. Die machtlos und abgekoppelt von den Lebensreali- Frage etwa, warum es trotz fortschrittlicher Gesetz- täten der südafrikanischen Frauen. Diese Entwick- gebung im Bereich sexueller Gewalt nur in weniger lung lässt sich an der Rolle verdeutlichen, die das als 10 Prozent der angezeigten Vergewaltigungen südafrikanische Parlament im Hinblick auf die zu einer Verurteilung des Täters kommt, bleibt auf Verbesserung der Situation von Frauen spielt und politischer Ebene weitgehend unbeantwortet. Ein gespielt hat. gängiger Vorwurf lautet, das Parlament habe sich In den ersten Jahren der südafrikanischen zu einem zahnlosen Tiger entwickelt, nehme seine Demokratie wurden vom sogenannten Joint Moni- Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive nicht toring Committee on the Improvement of the ausreichend wahr und habe sich immer mehr von Quality of Life and Status of Women (JMC), dem seinem emanzipatorischen Ursprung entfernt. Das damals wichtigsten parlamentarischen Ausschuss schließt die Genderstrukturen innerhalb des Par- für Genderfragen, entscheidende Gesetzesnovel- laments ein, die von Feministinnen als schwach, len auf den Weg gebracht. Dazu zählt etwa das schlecht ausgestattet und mehr auf Parteiinteressen Gesetz gegen häusliche Gewalt (Domestic Violence als auf die Interessen der Wählerinnen und Wäh- Act) von 1998, das einen wichtigen Meilenstein im ler ausgerichtet beschrieben werden (Vetten und Kampf gegen die weit verbreitete geschlechterba- Watson 2011). sierte häusliche Gewalt darstellt, oder das Gesetz Der Graben, der sich bereits während der zur Anerkennung von traditionellen (nicht offizi- Mbeki-Ära zwischen Frauenbewegung und ANC- ell registrierten) Eheschließungen (Recognition of Elite aufgetan hatte, wurde unter Präsident Jacob Customary Marriages Act), ebenfalls von 1998. Das Zuma immer offenkundiger. Das Verhalten der JMC, geleitet von der bekannten südafrikanischen ANC Women’s League, die sich für Jacob Zuma als Genderaktivistin Pregs Govender, hat nicht nur in neuen Präsidenten des ANC und später des Landes kurzer Zeit die rechtlichen Voraussetzungen zur aussprach, obwohl er Angeklagter in einem Ver- gewaltigungsprozess war und bekannt für diskri- minierende Äußerungen gegen Frauen, zeigt den 6 Dazu zählen die Commission for Gender Equality, die soge- nannten Gender Focal Points in den Ministerien, ein 2009 ein- Grad der politischen Kooptation der „Staatsfemi- geführtes Ministerium für Frauen, Kinder und Menschen mit nistinnen“ (State Feminists). Behinderung (vorher gab es das Office of the Status of Women im Präsidialamt und auf Provinzebene), einen Women’s Das Beispiel Südafrika zeigt: In einem Kontext, Caucus und eine Women’s Empowerment Unit im Parlament in dem die Diskriminierung von Frauen ein weit sowie verschiedene parlamentarische Ausschüsse auf nationa- verbreitetes gesellschaftliches Phänomen ist, kön- ler und regionaler Ebene. GIGA Focus Afrika 5/2012 -6-
nen selbst ausgefeilte Instrumente und Strategien mehr auf die Frauenorganisationen beschränkt, son- zur Herstellung von mehr Geschlechtergerech- dern ist Teil des politischen Mainstreams geworden. tigkeit weitgehend wirkungslos werden, wenn Dies gibt Anlass zu der Hoffnung, dass die Quote bestimmte Voraussetzungen nicht oder nicht mehr in immer mehr Ländern nicht nur den Zugang von gegeben sind. Frauen in die Politik ermöglicht, sondern ihnen In Südafrika hat sich mit der Machtübernahme auch Handlungsspielräume für eine Stärkung der Jacob Zumas nicht nur ein sogenannter „Traditio- Rolle der Frau in der Gesellschaft eröffnet. nalist“ durchgesetzt, der den politischen Diskurs um das Thema Frauenrechte um Jahre zurückge- worfen hat, sondern durch Zumas personalpoli- Literatur tische Entscheidungen hat sich die Anzahl der stra- tegischen Verbündeten der Frauenbewegung in Heinrich-Böll-Stiftung (2011), Hajiya Najatu Muham- den staatlichen Institutionen auch deutlich verrin- med in einem Videointerview, online: Entwicklungen dazu geführt, dass der Einfluss von (21. Juni 2012). Genderaktivistinnen in der südafrikanischen Poli- Costantini, Cristina (2009), Misrepresentation: Fla- tik immer weiter zurückgegangen ist. wed Affirmative Action in Uganda’s National Par- liament, in: Broad Recognition: A Feminist Magazine at Yale, Dezember, online: (21. Juni 2012). quoten in Afrika südlich der Sahara – wie auch in Ekine, Sokari, und Emem Okon (2011), Building anderen Weltregionen – nicht per se zu einer ech- Alliances in the Women’s Movement: The Chal- ten Machtbeteiligung und Schaffung von Entschei- lenges of Feminist Mobilisation in Nigeria (Con- dungsspielräumen von Frauen führen. Damit die versation), in: Heinrich-Böll-Stiftung, The Power Quote zu einem wirksamen geschlechterpoli- to Participate: Building Feminist Political Influence tischen Instrument werden kann, müssen verschie- in Africa, Perspectives 2/2011, Kapstadt: Heinrich- dene Voraussetzungen erfüllt sein: Böll-Stiftung, 4-7. 1. Ein gewisser Grad an politischer Mobilisierung Gouws, Amanda, und Shireen Hassim (2011), The von Frauen beziehungsweise Genderaktivistin Power to Change: Women’s Participation and Repre- nen (und -aktivisten) innerhalb der Zivilgesell- sentation in Africa, Background Paper Prepared schaft sowie an der Basis der Gesellschaft, for HBS Engendering Leadership Project, Kap- 2. die Existenz von strategischen Verbündeten in der stadt: Heinrich-Böll-Stiftung. staatlichen Bürokratie beziehungsweise auf ver- Myakayaka-Mazini, Mavivi (2004), Political Party schiedenen Ebenen des politischen Systems und Quotas in South Africa, in: Julie Ballington (Hrsg.), 3. eine demokratische Ordnung sowie weitgehend The Implementation of Quotas: African Experiences, funktionsfähige politische Institutionen (vgl. Johannesburg: International Institute for Democ- Vetten und Watson 2011: 16). racy and Electoral Assistance, 58-60. Vor allem in autoritären oder semiautoritären Regi- Nordstoga Hanssen, Kari (2005), Towards Multiparty men, in denen das Parlament über geringen poli- System in Uganda: The Effect on Female Representa- tischen Einfluss verfügt und die Zivilgesellschaft tion in Politics, Bergen: Chr. Michelsen Institute. sich nicht frei entfalten kann, kann eine Gender- Tamale, Sylvia (2004), Introducing Quotas: Dis- quote allein nicht zu einer Veränderung gesell- course and Legal Reform in Uganda, in: Julie Bal- schaftlicher Machtverhältnisse führen. lington (Hrsg.), The Implementation of Quotas: Afri- In vielen Ländern Afrikas hat sich der gesell- can Experiences, Johannesburg: International Insti- schaftliche Druck „von unten“ in den letzten Jah- tute for Democracy and Electoral Assistance, 38-45. ren jedoch deutlich erhöht. Die Forderung nach Vetten, Lisa, und Joy Watson (2011), Engendering Chancengleichheit für die Geschlechter und nach the Parliamentary Agenda: Strategic Opportunity or Beendigung der Diskriminierung von Frauen und Waste of Feminist Energy?, GAP Policy brief #3, gesellschaftlichen Minderheiten bleibt längst nicht Kapstadt: TLA Centre. GIGA Focus Afrika 5/2012 -7-
Die Autorin Dr. Antonie Katharina Nord ist Politikwissenschaftlerin und leitete von 2006 bis 2011 das Regionalbüro „Südliches Afrika“ der Heinrich-Böll-Stiftung in Kapstadt, Südafrika. E-Mail: GIGA-Forschung zum Thema Im GIGA Forschungsschwerpunkt 3 „Sozioökonomische Herausforderungen in der Globalisierung“ un- tersucht Lena Giesbert, M.A., im Forschungsprojekt „Determinanten der Nachfrage nach Mikroversiche- rungen in Ghana“ (gefördert durch die DZ Bank-Stiftung) unter anderem, in welcher Weise der Abschluss von Mikro- und anderen Versicherungen von geschlechterspezifischen Determinanten beeinflusst wird. GIGA-Publikationen zum Thema Giesbert, Lena (2012), Gender Difference in the Uptake of Life Microinsurance and Other Types of Insurance in Southern Ghana, GIGA Working Papers (im Erscheinen), online: . Der GIGA Focus ist eine Open-Access-Publikation. Sie kann kostenfrei im Netz gelesen und heruntergeladen werden unter und darf gemäß den Be dingungen der Creative-Commons-Lizenz Attribution-No Derivative Works 3.0 frei vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zu gänglich gemacht werden. Dies umfasst insbesondere: korrekte Angabe der Erstveröffentli chung als GIGA Focus, keine Bearbeitung oder Kürzung. Das GIGA German Institute of Global and Area Studies – Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg gibt Focus-Reihen zu Afrika, Asien, Lateinamerika, Nahost und zu globalen Fragen heraus, die jeweils monatlich erscheinen. Ausgewählte Texte werden in der GIGA Focus International Edition auf Englisch veröffentlicht. Der GIGA Focus Afrika wird vom GIGA Institut für Afrika-Studien redaktionell gestaltet. Die vertretenen Auffassun gen stellen die der Autoren und nicht unbedingt die des Instituts dar. Die Autoren sind für den Inhalt ihrer Beiträge verantwortlich. Irrtümer und Auslassungen bleiben vorbehalten. Das GIGA und die Autoren haften nicht für Richtig keit und Vollständigkeit oder für Konsequenzen, die sich aus der Nutzung der bereitgestellten Informationen er geben. Auf die Nennung der weiblichen Form von Personen und Funktionen wird ausschließlich aus Gründen der Lesefreundlichkeit verzichtet. Redaktion: Gero Erdmann; Gesamtverantwortliche der Reihe: André Bank und Hanspeter Mattes Lektorat: Ellen Baumann; Kontakt: ; GIGA, Neuer Jungfernstieg 21, 20354 Hamburg www.giga-hamburg.de/giga-focus
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