Sezession oder Solidarität - Einleitung - Stiftung Wissenschaft und Politik
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NR. 25 MAI 2018 Einleitung Sezession oder Solidarität Beides zusammen wird Katalonien nicht bekommen Sabine Riedel Seit der Verhaftung Carles Puigdemonts formiert sich eine Solidaritätsbewegung, die in dem katalanischen Ex-Regierungschef ein Opfer der Justiz sieht. Doch selbst wenn Deutschland eine Auslieferung verhindert, wird dies die Prozesse gegen die inhaftier- ten Regionalpolitiker in Madrid kaum beeinflussen. Die spanische Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten neben Rebellion auch die Veruntreuung von Geldern vor. Die Separatisten sollen Mittel aus dem Liquiditätsfonds für die autonomen Gemeinschaf- ten (FLA) für ihre Unabhängigkeitskampagne zweckentfremdet haben. Seit der Finanz- krise 2012 muss Madrid überschuldete Regionen mit Krediten stützen, darunter auch Katalonien. Jährlich erhält Barcelona zwischen 6,7 (2012) und 11,1 Milliarden Euro (2015). Diese finanzielle Abhängigkeit ist für Katalonien ein weiteres Motiv, die Selbst- ständigkeit anzustreben. Denn es verspricht sich davon einen direkten Zugang zur Europäischen Zentralbank (EZB). Deshalb sollten die Europäer darüber nachdenken, wem sie ihre Solidarität schenken. Ein katalanischer Staat würde mit einem Schul- denberg auf die Welt kommen, den letztlich die anderen spanischen Regionen und der europäische Steuerzahler zu schultern hätten. Am 27. Oktober 2017 hob die spanische 17 sogenannten autonomen Gemeinschaf- Zentralregierung nach Artikel 155 der Ver- ten in Spanien streben nach mehr finan- fassung die katalanische Autonomie auf. zieller Selbstverwaltung. Auch Madrid war klar, dass der Sezessions- Dieses konkrete Angebot kam zwar recht konflikt mit dieser Maßnahme nicht gelöst spät, doch Madrid streckte damit sozusagen werden kann. Vielmehr sollten Neuwahlen die Hand aus. Carles Puigdemont und seine allen Beteiligten die Chance geben, ihr abgesetzte Regionalregierung haben sie bis Gesicht zu wahren und zu einem Dialog zu- heute nicht ergriffen. Stattdessen unter- rückzufinden. Bereits am 10. Oktober 2017 schrieben sie am selben Tag eine Unabhän- hatte Ministerpräsident Mariano Rajoy der gigkeitserklärung für Katalonien. Sie Einsetzung einer Kommission zugestimmt, demonstrierten damit abermals ihre harte die der Sozialistenführer Pedro Sánchez Position, nur über eine Eigenstaatlichkeit vorgeschlagen hatte. Sie soll ein Konzept verhandeln zu wollen. Aus ihrer Sicht seien zur Änderung des spanischen Autonomien- bereits alle Brücken zur Zentralregierung systems erarbeiten. Denn auch andere der abgebrochen. Gespräche könnten nur noch
über Modalitäten der Sezession geführt zustand. Sie setzte die Autonomie vorüber- werden. Im Zuge solcher Verhandlungen gehend außer Kraft und suspendierte die soll in kürzester Zeit ein Wirtschaftsraum Regionalregierung. aufgeteilt werden, der über Jahrhunderte Puigdemont konnte sich der Verhaftung zusammengewachsen ist. entziehen, indem er sich zusammen mit einigen Ministern nach Belgien absetzte. Die einzigen Politiker, die die Geflüchteten Puigdemont im Brüsseler »Exil« mit offenen Armen empfingen, waren die Vertreter der Neuen Flämischen Allianz Bisher fehlen der katalanischen Regional- (N-VA). Denn auch sie streben die Unabhän- regierung sowohl die nötige gesetzliche gigkeit ihrer belgischen Region Flandern Grundlage als auch die demokratische Legi- an. Ihre spontane Solidarität mit den kata- timation für eine Sezession. Sie verlässt sich lanischen Separatisten gründet allerdings allein auf ihr Rechtsgefühl und auf die dif- auf einer langjährigen Zusammenarbeit. fuse Überzeugung, in Europa überwiege ein Gemeinsam mit der Republikanischen Lin- Gerechtigkeitsempfinden für ihre Unabhän- ken Kataloniens (ERC), der Partei des in- gigkeitsbewegung. Das Schweigen der EU- haftierten ehemaligen Finanz- und Wirt- Institutionen im Vorfeld des umstrittenen schaftsministers Oriol Junqueras, ist die Referendums vom 1. Oktober 2017 konnte N-VA Teil eines europaweiten Netzwerks in der Tat als eine verdeckte Solidarität separatistischer Parteien, das sich Euro- interpretiert werden. Erst zehn Tage später, päische Freie Allianz (EFA) nennt und der- am Tag der Unterzeichnung der Unabhän- zeit mit 11 Abgeordneten im EU-Parlament gigkeitserklärung, wendete sich EU-Rats- vertreten ist. präsident Donald Tusk an das katalanische So gewähren die EFA-Abgeordneten seit Parlament. Er forderte die Abgeordneten Ende Oktober 2017 Puigdemont und seinen auf, ihr Vorhaben aufzugeben und im Dia- Ministern nicht nur »Asyl«. Sie organisieren log mit Madrid eine verfassungskonforme von Brüssel aus auch den Widerstand gegen Lösung zu suchen. dessen Amtsenthebung. Dabei bedienen sie Es hatte den Anschein, als hätten diese sich einer Rhetorik, die das Vertrauen der klaren Worte den katalanischen Minister- europäischen Öffentlichkeit in das spani- präsidenten Puigdemont zum Nachdenken sche Justizsystem erschüttern soll. Das eine bewogen. Er zögerte, die Unabhängigkeit Mal bezeichnen sie Spanien als ein »neo- tatsächlich auszurufen. Denn er wusste um franquistisches« System und fordern den die drohenden rechtlichen Konsequenzen Ausschluss des Landes aus der EU (EFA, auf europäischer Ebene. Mit der Abspaltung 1.10.2017). Das andere Mal sprechen sie von von Spanien würde sich Katalonien unwei- einer »Erdoganisierung« (EFA, 24.3.2018). gerlich auch von der EU trennen. Deshalb Damit unterstellen sie Mariano Rajoy und haben die Separatisten die Unabhängig- seiner Minderheitsregierung eine Macht- keitserklärung auch bis heute nicht in Kraft fülle, die der des türkischen Staatspräsiden- gesetzt. Dahinter steht die Strategie, eine ten gleicht, und ziehen Parallelen zu dessen kritische Zuspitzung der Lage herbeizufüh- Kurdenpolitik. So fordert der Vorsitzende ren, um von der EU einen Sonderstatus für der EFA, der Korse François Alfonsi, eine Katalonien zu erwirken. Brüssel soll die Se- Intervention der EU. Der Europäische Rat zession hinnehmen, ohne dass der neu ent- müsse die laufenden Prozesse gegen die standene Staat die Union verlassen muss. inhaftierten katalanischen Politiker sofort Deshalb bekam Madrid von der katalani- stoppen, weil es sich um »politische Gefan- schen Führung keine Antwort auf die Frage, gene« handele. Er verlangt damit genau das, ob die Unabhängigkeit nun in Kraft gesetzt was er seinen Gegnern vorwirft: Er ruft zur wurde oder nicht. Nach 17 Tagen beendete politischen Einflussnahme auf laufende die spanische Regierung diesen Schwebe- Gerichtsverfahren auf, obwohl nur un- SWP-Aktuell 25 Mai 2018 2
abhängige Richter die erhobenen Vorwürfe denn auch Turull gehört zu den Angeklag- prüfen können. ten der Unabhängigkeitsbewegung. Seine Wäre Spanien seit Francos Tod im Jahre Verhaftung kurz nach der Abstimmungs- 1975 ein diktatorisches Regime geblieben, niederlage, quasi aus dem Parlament her- hätte es in Katalonien keine vorgezogenen aus, befeuerte den katalanischen Opfer- Parlamentswahlen gegeben. Die spanische mythos zusätzlich. Doch die CUP wollte der Regierung ließ die inhaftierten und vom Zentralregierung keinen Anlass bieten, Exil aus agierenden Politiker sogar wieder wegen dessen Wahl das Regionalparlament als Spitzenkandidaten zur Wahl antreten. sofort aufzulösen. Mit ihrem Boykott gegen Und das, obwohl diese ihre verfassungs- eine Regierungsbildung scheint sie die Stra- widrigen Ziele einer Abspaltung Katalo- tegie einer weiteren Verzögerung verfolgen niens nicht aufgegeben hatten. So konnten zu wollen. Denn mit dieser Abstimmung sie sich am Wahlabend des 21. Dezember begann die gesetzliche Frist von 60 Tagen. 2017 als Sieger präsentieren. Genauer be- Erst danach können Neuwahlen angesetzt trachtet hat das separatistische Lager zwei werden, falls bis dahin kein neuer Minister- Sitze verloren. Die Hardliner von der »Kan- präsident gewählt worden ist. didatur der nationalen Einheit« (kat. Can- Gleichzeitig mit der Verhaftung Turulls didatura d’Unitat Popular, CUP), einer stellte der Untersuchungsrichter des Ober- anarchistisch-nationalistisch ausgerichteten sten Spanischen Gerichtshofs, Pablo Llarena, Partei, büßten insgesamt sogar 6 ihrer zu- europäische Haftbefehle aus. Sie richteten vor 10 Sitze ein. Die eigentlichen Gewinner sich gegen sechs ehemalige katalanische an diesem Wahlabend war die Bürgerpartei Regierungsmitglieder, die sich in Belgien, Cuidadanos/Cuitadans. Ihre 36 Abgeordne- Großbritannien und der Schweiz aufhiel- ten kämpfen für den Verbleib Kataloniens ten, darunter auch Carles Puigdemont. Das in Spanien und für eine Reform des Auto- durchkreuzte allerdings die Pläne der CUP, nomiensystems (Riedel 2018, S. 1). einen »Rat der Republik« (kat. Consell de la Dennoch sind die verbliebenen 4 Abgeord- República) als »Exilregierung« ins Leben zu neten der CUP im Regionalparlament nach rufen (CUP 28.2.2018). Von der belgischen wie vor das Zünglein an der Waage. Schon Gemeinde Waterloo aus, einem Vorort von Anfang 2016 sorgten die CUP-Parlamenta- Brüssel, sollte Puigdemont als katalanischer rier dafür, dass Puigdemont Artur Mas als Präsident im Wartestand weiter um Akzep- Ministerpräsidenten ablöste. Bis heute hal- tanz für das Unabhängigkeitsprojekt werben. ten sie an ihrem Idol fest und wollen ihn Nachdem er am 25.3.2018 an der deutsch- unter allen Umständen wieder zum Regie- dänischen Grenze verhaftet worden ist, rungschef machen. Seitdem sich Anfang wird sich Puigdemont nun von Berlin statt Februar 2018 herausstellte, dass Puigdemont von Brüssel aus auf einen Wahlkampf vor- nicht in Abwesenheit gewählt werden bereiten. Unmittelbar nach seiner Haft- kann, verhindert die CUP erfolgreich die entlassung aus dem Gefängnis von Neu- Wahl eines Kompromisskandidaten aus münster rief er seine Mitstreiter in Barce- Puigdemonts Partei JxCat (Gemeinsam für lona dazu auf, Jordi Sànchez zum Minister- Katalonien). Im Gespräch dafür waren zu- präsidenten zu machen. Dieser Vorschlag nächst dessen Sprecherin Elsa Atardi und kann indes nicht ernst genommen werden. zuletzt der Sprecher der abgesetzten Regio- Schließlich sitzt auch Sànchez in Haft. Der nalregierung Jordi Turull. ehemalige Präsident der Katalanischen Nationalversammlung (ANC, kat. Assem- blea Nacional Catalana) ist zudem der ideo- Wahlkampf von Deutschland aus? logische Kopf und Organisator der Unabhän- gigkeitsbewegung. Seine Nominierung kann Die Entscheidung der CUP, Jordi Turull im daher nur als weitere Provokation an die ersten Wahlgang (22.3.2018) nicht zu unter- Adresse Madrids und als Versuch interpre- stützen ist zunächst schwer zu verstehen, tiert werden, Neuwahlen hinauszuzögern. SWP-Aktuell 25 Mai 2018 3
Deutschland wäre als politische Bühne der katalanischen Länder« (CUP 2018). In für einen Wahlkampf ohnehin besser geeig- dieser Formulierung wird der Status Katalo- net als Belgien. Denn in Brüssel steht der niens als eigene Nation als unstrittig unter- flämische Verbündete der katalanischen stellt und gegen die bestehenden national- Separatisten unter großem Druck. Die N-VA staatlichen bzw. regionalen Strukturen ist zurzeit die stärkste Partei im belgischen Spaniens in Stellung gebracht. Eine solche Parlament. Die von ihr geführte Mehrpar- Diskrepanz besteht allerdings nicht, weil teienkoalition könnte durch ein offenes sich die Katalanen seit rund 40 Jahren selbst Eintreten für die katalanischen Unabhän- verwalten. Ihre Regionalregierung trägt gigkeitsforderungen auseinanderbrechen einen Großteil der Verantwortung für die und das Land in eine Regierungskrise stür- soziale und wirtschaftliche Entwicklung zen. In Deutschland dagegen haben die Kataloniens. Dies zeigt sich sogar beim The- Parteien des EFA-Netzwerks bislang kaum ma Einsparungen. Seit dem spanischen Kri- Einfluss: Sowohl die Bayernpartei, Die Frie- senjahr 2012 muss der katalanische Finanz- sen als auch der Südschleswigsche Wähler- und Wirtschaftsminister bei den Ausgaben verband (SSW) liegen bei Wahlen stets den Rotstift ansetzen. So erklärte Oriol unter der 5-Prozent-Hürde. Deshalb sind sie Junqueras von der Republikanischen Lin- nur durch Ausnahmeklauseln in den Land- ken (ERC) unlängst auf einem Wirtschafts- tagen vertreten. Ihre offenen oder verdeck- kongress, dass die Regionalregierung Ein- ten Forderungen nach Eigenstaatlichkeit sparungen in Höhe von 3,91 Milliarden (Bayernpartei, 3.10.2017) werden entweder Euro erreicht habe, ein Rekordergebnis im gar nicht wahrgenommen oder aber als innerspanischen Vergleich (Ara, 30.5.2017). nicht relevant eingeschätzt. Denn der deut- Weil das Bündnis der drei separatisti- sche Föderalismus bietet den Regionen und schen Parteien, die noch immer einen ge- Kommunen bereits eine ganze Reihe von eigneten Ministerpräsidenten suchen, das politischen Mitspracherechten. gesamte politische Spektrum abbildet, fällt Das heißt aber andererseits, dass die deut- es ihm schwer, die Zentralregierung in kon- sche Bevölkerung der regionalen Selbst- kreten Politikfeldern wie der Finanzpolitik verwaltung einen hohen Stellenwert bei- zu kritisieren. Deshalb enthalten die Forde- misst und sensibel auf zentral- oder bundes- rungen der Separatisten nach Unabhängig- staatliche Alleingänge reagiert. Doch dies keit kaum Sachargumente. Stattdessen be- allein erklärt nicht die breite Sympathie für tonen die Verfechter der Eigenstaatlichkeit den katalanischen Separatismus, die in den die politische »Legitimität« ihrer Regional- Medien sichtbar wird. Die Katalanen ver- regierung. Auf der anderen Seite lässt sich fügen neben den Basken über mehr Auto- Madrid nicht von seinem Kurs abbringen, nomierechte als alle übrigen Regionen den Separatismus mit allen juristischen Spaniens. Der Mythos von einer spanischen Mitteln in seine Schranken zu weisen. Es Vorherrschaft lässt sich daher gerade nicht besteht somit auf der »Legalität« politischer mit Verweis auf das Autonomiestatut unter- Entscheidungen im Rahmen der geltenden mauern. Vielmehr speist er sich aus einer Verfassung. Dies erklärt zum Teil, warum prinzipiellen Staatsfeindlichkeit. Die zen- sich der Sezessionskonflikt von der politi- tralstaatlichen Institutionen werden nicht schen auf die juristische Ebene verschoben als legitimiert betrachtet, sondern als ein hat. Da diese Schauplatzverlagerung jenen Instrument der Unterdrückung. in die Hände spielt, die den Gesamtstaat er- halten wollen, sprechen die separatistischen Parteien anklagend von einer »Vergerichtli- »Vergerichtlichung« des chung der Politik« (span. »judicialización de Konflikts? la política«, La Vanguardia, 18.10.2016). Diese Kritik verschleiert die Tatsache, In diesem Sinne spricht die CUP auch von dass auch die Unabhängigkeitsbewegung einer »nationalen und sozialen Befreiung selbst den Weg einer »Vergerichtlichung« SWP-Aktuell 25 Mai 2018 4
eingeschlagen hat. Die Anfänge dieser Stra- in nur einer Lesung durchbringen. Die Op- tegie lassen sich bis zum ehemaligen kata- position wurde damit faktisch ausgeschaltet lanischen Ministerpräsidenten Artur Mas (EiTB, 26.4.2017). Sie muss sich nun auf zurückverfolgen. Im Herbst 2012 löste Mas den Rückhalt des spanischen Verfassungs- vorzeitig das Regionalparlament auf, um die gerichts verlassen, wenn sie ihre demokra- Neuwahlen zu einem Plebiszit zu machen. tischen Mitspracherechte verteidigen will. Er versprach, Katalonien bis zum Jahre Doch auch außerhalb des Parlaments wächst 2020 in die Unabhängigkeit zu führen. Nach der Widerstand einer bisher schweigenden seiner Wiederwahl gründete er Anfang Mehrheit gegen eine Unabhängigkeit. Im 2013 einen 15-köpfigen juristischen Beirat Jahre 2014 haben sich verschiedene Orga- (kat. Consell Assessor per a la Transició nisationen zur »Katalanischen Zivilgesell- Nacional, CATN), der die Aufgabe hatte, die schaft« (SCC) zusammengeschlossen, um Übertragung zentralstaatlicher Kompeten- den Befürwortern eines Verbleibs Katalo- zen auf die Region vorzubereiten. Damit niens bei Spanien eine parteiungebundene sollte ein Rechtsrahmen für das anvisierte Stimme zu geben (Societat Civil Catalana). Unabhängigkeitsreferendum geschaffen werden. Dies gelang jedoch nicht, so dass die als verfassungswidrig eingestufte Ab- Katalonien: Boykott statt Dialog stimmung vom 9. November 2014 zu einer nicht bindenden Volksbefragung umdekla- So fällt der Vorwurf der Separatisten an die riert wurde (Riedel 2014, S. 11). Adresse Madrids, den Konflikt um Katalo- Als Anfang 2016 Carles Puigdemont zum nien zu »vergerichtlichen«, auf sie selbst Ministerpräsidenten gewählt wurde, über- zurück. Darüber hinaus soll dieser Begriff nahm er die Strategie seines Vorgängers. von der Tatsache ablenken, dass sie diejeni- Erklärtes Ziel war nun, die regionale Gesetz- gen Akteure sind, die in diesem Streit demo- gebungskompetenz zu nutzen, um quasi- kratische Werte missachten, sobald diese staatliche Parallelstrukturen zu schaffen. In ihrem Ziel einer Sezession Kataloniens im einem Interview erklärte Puigdemont (Die Wege stehen. Deshalb haben sie mit ihren Welt, 5.6.2016): Forderungen weder die notwendige »Lega- lität« noch – im Rahmen eines demokrati- »Wir haben uns von Spanien emanzi- schen Rechtssystems – die erforderliche piert und machen unsere eigenen Ge- politische »Legitimität« auf ihrer Seite. setze. Wir sind dabei, die Strukturen des Diese Einschätzung trifft auch auf die neuen Staats aufzubauen, wir müssen ja Vorbereitung und Durchführung des Un- juristische Sicherheit haben, die inter- abhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober nationalen Verträge berücksichtigen, das 2017 zu. Nur mit Unterstützung der CUP sind mehr als 3000 Vereinbarungen, die konnte die Regierung Puigdemont Anfang auch für uns gelten.« September ein Referendumsgesetz ver- abschieden. Dafür reichte ihr eine knappe In der Folge sollten »Entkoppelungsgesetze« Mehrheit in einer einzigen Parlamentssit- verabschiedet werden, auf deren Basis neue zung. Dem Autonomiestatut zufolge wäre Strukturen, zum Beispiel für eine eigene dafür mindestens ein Quorum von zwei Sozialversicherung und ein katalanisches Dritteln der Abgeordneten notwendig ge- Außenministerium, geschaffen werden soll- wesen (Statut vom 19.7.2006, Artikel 222). ten. Wegen der knappen Mehrheitsverhält- Auch das Abstimmungsergebnis erscheint nisse bedurfte es dafür einer Änderung der zweifelhaft. Es wurde weder von unabhän- Geschäftsordnung des katalanischen Par- gigen Beobachtern geprüft oder bestätigt, laments. noch reichen 90 Prozent Zustimmung bei Seitdem diese Parlamentsreform am einer Wahlbeteiligung von nur 42,3 Pro- 26. April 2017 verabschiedet wurde, kann zent aus, um die Unabhängigkeitserklärung die Regionalregierung ihre Gesetzesentwürfe vom 10. Oktober 2018 zu legitimieren. SWP-Aktuell 25 Mai 2018 5
Auch wenn die drei separatistischen Einen Rückschlag erfuhr die Kommission Parteien ihre Dialogbereitschaft beteuern, Ende März 2018, als Albert Rivera, der Vor- so diktierten sie seit Herbst 2012 die Bedin- sitzende von Cuidadanos, die Mitarbeit sei- gungen: Ihnen geht es nicht mehr um den ner Partei aufkündigte. Er wirft den Sozia- Ausbau ihrer Autonomierechte, sondern listen vor, Konzessionen an den katalani- um die Modalitäten einer Sezession. Sie schen Nationalismus zu machen. Diese woll- verlangen von der Zentralregierung einen ten aus der spanischen Nation eine »Nation Dialog, der die verfassungsmäßige Ordnung der Nationen« machen (Diario de Ibiza, in Frage stellen würde. Dazu hat Rajoy aber 20.3.2018). Den Sozialisten zufolge soll den vom Wähler kein Mandat. Madrid kann der Katalanen der Status als eigene Nation katalanischen Regionalregierung nur anbie- neben der spanischen zuerkannt werden. ten, gemeinsam mit den übrigen 16 auto- Rivera befürchtet, dass damit die Spanier nomen Gemeinschaften Spaniens über eine als politische Wertegemeinschaft in sprach- Finanzreform zu verhandeln. Dies hat die lich-kulturell differenzierte Gruppen auf- Zentralregierung auch tatsächlich getan, geteilt werden. In der Tat würde dies eine und zwar im Rahmen der Konferenz der ethnisch-nationalistische Umdeutung des Präsidenten (span. Conferencia de Presiden- politischen Nationsbegriffs zur Folge haben tes) der autonomen Gemeinschaften. Auf und den Streit um die bestehenden Regio- ihrer Jahreskonferenz Mitte Januar 2017 nalgrenzen und die Anerkennung von beschlossen die Präsidenten der Regionen Amtssprachen weiter anfachen (Riedel nach langen harten Verhandlungen mit der 2018, S. 7). Zentralregierung ein »neues Modell der re- gionalen Finanzierung« (El País, 17.1.2017). Die Ministerpräsidenten Kataloniens und Die Eigennützigkeit der Basken des Baskenlandes, Carles Puigdemont und Íñigo Urkullu, hatten sich jedoch diesen Schließlich wird die Arbeit der Gebiets- Gesprächen verweigert und das Treffen kommission von einem weiteren Konflikt boykottiert. überschattet, nämlich vom Streit über den Katalanen und Basken haben sich bisher neuen Staatshaushalt 2018. Ministerpräsi- auch einer Mitarbeit in der parlamentari- dent Rajoy steht einer Minderheitsregierung schen Kommission entzogen, die derzeit das vor und muss Kompromisse schließen. Doch spanische Autonomiensystem überprüft und in diesem Jahr kann er nicht mehr mit der Reformvorschläge erarbeitet. So kam das Unterstützung der fünf Abgeordneten der erste Treffen dieser sogenannten Gebiets- Baskischen Nationalpartei (span. Partido kommission (span. comisión territorial) Nacionalista Vasco, PNV) rechnen. Diese Mitte November 2017 ohne die 17 Abgeord- solidarisieren sich mit den katalanischen neten der katalanischen Separatisten im Separatisten und fordern die Wiedereinset- spanischen Parlament zustande. Zwar zung des Autonomiestatuts (El Mundo, könnte in der Kommission am Ende den- 2.4.2018). Sie könnten nur durch politische noch jene Zweidrittelmehrheit zustande Zugeständnisse umgestimmt werden. kommen, die nötig ist, um eine neue Bei genauerer Betrachtung steht hinter Finanzordnung zwischen Madrid und den der Parteinahme der Basken für die ab- Regionen durch das spanische Parlament zu gesetzte katalanische Regionalregierung bringen. Doch schlagen in einer solch an- keine Solidarität im Sinne einer politischen gespannten Lage parteipolitische Meinungs- und wirtschaftlichen Verbundenheit beider verschiedenheiten rasch negativ zu Buche. Regionen. Es geht den Basken hauptsäch- So betrachten die Sozialisten dieses Projekt lich um den eigenen finanziellen Vorteil. als Chance für eine viel grundsätzlichere Und dieser könnte für sie letztlich größer Verfassungsreform, während die regieren- sein, wenn sie im Windschatten des kata- den Konservativen die Hoffnungen darauf lanischen Separatismus ebenfalls den Weg eher dämpfen. in die Eigenstaatlichkeit finden. Schon im SWP-Aktuell 25 Mai 2018 6
Jahr 2003 hatte der damalige baskische Ministerpräsident Juan José Ibarretxe ein Abbildung 1 politisches Konzept vorgelegt, um das Bas- kenland zu einem unabhängigen Staat zu Zahlungen aus dem Liquiditätsfonds der machen. In einem ersten Schritt forderte autonomen Regionen Spaniens (FLA) an die PNV die Anerkennung der Basken als Katalonien (2012–2017, in Mio. Euro) eigenständige Nation (El País, 19.12.2003). Diese Agenda übernahmen die Katalanen nur drei Jahre später, indem sie dem Zen- tralstaat ein neues Autonomiestatut vor- legten und sich darin als eigene Nation be- zeichneten (Statut, 19.7.2006, Präambel). Diese und andere Änderungen stellten sich später als verfassungswidrig heraus. Auch beim Thema finanzielle Selbst- verwaltung schaut Barcelona auf das baski- sche Vorbild. Denn das Baskenland und Navarra konnten sich im Zuge der Demokra- tisierung nach 1975 Privilegien gegenüber den anderen spanischen Regionen sichern. Ihre Autonomien basieren auf Gewohn- Quelle: Eigene Zusammenstellung auf der Basis von heitsrechten (Foralrechten), zu denen auch »Fondo de Liquidez Autonómica« [Regionaler Liquidi- eine eigene Finanz- und Steuerhoheit zählt. tätsfonds], Wikipedia, ; Los expertos Gemeinschaften die eingenommenen Steu- urgen al Estado a cortar el grifo de liquidez a las comu- ern zunächst an den Zentralstaat abführen, nidades [Experten fordern den Staat auf, die Liquidität bevor sie im Rahmen eines regionalen der Gemeinden zu reduzieren], in: El País, 3.2.2018, (Zugriff jew. am 27.4.2018). Diese Sonderstellung ist der Grund dafür, warum die baskische und die katalanische Regionalregierung kaum Interesse an zeigen gerade die Brexit-Verhandlungen, einem landesweiten Reformprojekt zeigen. dass eine wirtschaftliche Trennung weitaus Denn sie fürchten, nach einer Veränderung teurer werden kann als anfangs dargestellt. dieses asymmetrischen Autonomiensystems Dabei geht es hier »nur« um den Austritt schlechter dazustehen als zuvor. Dabei gibt des Vereinigten Königreichs aus dem euro- es föderale Modelle, die zeigen, dass es unter päischen Binnenmarkt. Im Falle Katalo- dem Dach einer gemeinsamen spanischen niens soll ein Wirtschaftsraum aufgeteilt Nation sehr wohl Lösungen geben könnte, werden, der über Jahrhunderte zusammen- bei denen alle gewinnen (Riedel 2016). gewachsen ist. Die enge Verflechtung der autonomen Gemeinschaften Spaniens kommt besonders Europäische Solidarität mit wem? deutlich beim regionalen Finanzausgleich zum Ausdruck. Weil sich die Regionen bis- Eine Reform des spanischen Autonomien- lang auf keine gemeinsame Reform einigen systems steht somit zurzeit noch in den konnten, gilt bis heute das System aus dem Sternen. Allerdings gibt es hierzu keine Jahre 2009. Danach fließt die Hälfte der sinnvolle Alternative. Denn eine Sezession erhobenen Steuern, so zum Beispiel aus der Kataloniens oder des Baskenlands würde für Einkommens- und Mehrwertsteuer, in die alle einen großen wirtschaftlichen Schaden Regionen zurück. Damit werden die öffent- verursachen. Dieses Problem wird von den lichen Dienstleistungen wie das Bildungs-, Befürwortern gern heruntergespielt. Doch Gesundheits- und Sozialsystem finanziert. SWP-Aktuell 25 Mai 2018 7
Da der Mittelbedarf der Regionen aber weit inlandsprodukts steigen. Die bescheidenen größer ist, haben sich die autonomen Ge- Erfolge der Sparpolitik der letzten Jahre wür- meinschaften bei privaten Geldgebern ver- den zunichte gemacht (WiWo, 9.9.2017). schuldet. Das funktionierte allerdings nur Um einen Rückfall in eine Wirtschafts- und bis zum Krisenjahr 2012, als die Finanz- Finanzkrise zu vermeiden, wären weitere märkte den Geldhahn zudrehten. Seitdem Kürzungen von Löhnen und Sozialleistun- leihen sich die Gemeinschaften die notwen- gen erforderlich. Schließlich wäre auch der digen Finanzmittel vom Zentralstaat, der sie europäische Steuerzahler in der Pflicht, die zu niedrigen Zinssätzen weiterreicht. Die Risiken neuer EZB-Kredite zu tragen. Spä- Gesamtsumme dieser Kredite ist in den letz- testens an diesem Punkt würde sich die © Stiftung Wissenschaft ten sechs Jahren auf rund 232 Milliarden Solidarität der Unionsbürger erschöpfen. und Politik, 2018 Euro angewachsen. Allein auf Katalonien Deshalb sollten Europapolitiker den Kata- Alle Rechte vorbehalten entfallen 70,9 Milliarden, was einem Anteil lanen deutlich machen, dass sie als Mitglied an der Gesamtsumme von 30 Prozent ent- der Eurozone eine große Verantwortung Das Aktuell gibt die spricht (El País, 17.2.2018). Dieser ist höher tragen und zuerst zur Solidarität auf natio- Auffassung der Autorin wieder. als der Beitrag Kataloniens zum spanischen naler Ebene verpflichtet sind, bevor sie Soli- Bruttoinlandsprodukt, der sich auf 19 Pro- darität von Europa erwarten können. In der Online-Version dieser zent beläuft (IfW 2017, S. 15). Abbildung 1 Publikation sind Verweise zeigt den jährlichen Bedarf Kataloniens an auf SWP-Schriften und Finanzmitteln aus dem Regionalen Liqui- Weitere Literatur wichtige Quellen anklickbar. ditätsfonds (FLA), der für 2018 auf rund SWP-Aktuells werden intern 9,4 Milliarden Euro geschätzt wird. Paluzie i Hernández, Elisenda, »Das Poten- einem Begutachtungsverfah- Im Falle einer Sezession würde der neue tial eines eigenständigen Kataloniens«, ren, einem Faktencheck und katalanische Staat mit einem hohen Schul- in: Krystyna Schreiber (Hg.), Die Überset- einem Lektorat unterzogen. denberg auf die Welt kommen. Er wäre zung der Unabhängigkeit. Wie die Katalanen Weitere Informationen dann statt auf nationale Hilfe ganz und gar es erklären, wie wir es verstehen, Dresden zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP- auf externe Geldgeber angewiesen. Geht es 2015, S. 185–202. Website unter https://www. nach den Vorstellungen der Unabhängig- Riedel, Sabine, »Katalonien im Brennglas swp-berlin.org/ueber-uns/ keitsbewegung, soll Katalonien möglichst der EU-Krisen. Das Patt nach den Regio- qualitaetssicherung/ über einen Sonderstatus in der EU bleiben nalwahlen vom 21.12.2017 ist ein Signal und von der EZB mit Krediten versorgt an Europas Reformer«, in: Forschungs- SWP Stiftung Wissenschaft und werden (Paluzie i Hernández 2015, S. 199). horizonte Politik & Kultur (online), 1/2018. Politik Die Separatisten hoffen also auf die Solida- Riedel, Sabine, »Separatismus: Katalonien Deutsches Institut für rität der übrigen EU-Mitglieder und darauf, ist nur der Anfang… Steigendes Konflikt- Internationale Politik und dass der EU-Vertrag und die Maastricht- potential von Unabhängigkeitsbewegun- Sicherheit Kriterien zur Begrenzung der öffentlichen gen in der Europäischen Union«, in: Schulden kreativ interpretiert werden. Forschungshorizonte Politik & Kultur (online), Ludwigkirchplatz 3–4 10719 Berlin Selbst wenn Katalonien auf eine solche 8/2017 Telefon +49 30 880 07-0 europäische Unterstützung hoffen könnte, Riedel, Sabine, Föderalismus statt Separatismus. Fax +49 30 880 07-100 würde eine Trennung von Madrid nicht ein- Politische Instrumente zur Lösung von Sezes- www.swp-berlin.org vernehmlich verlaufen, sondern von einem sionskonflikten in Europa, Berlin: Stiftung swp@swp-berlin.org Streit über die Aufteilung der gesamtspani- Wissenschaft und Politik, April 2016 ISSN 1611-6364 schen Schulden begleitet werden. Sollte (SWP-Studie 5/2016). sich Katalonien einer solchen Übernahme Riedel, Sabine, Die Befragung zur Unabhängig- von Schuldenverpflichtungen entziehen, keit Kataloniens (9.11.2014). Ergebnisse, Hin- was der ehemalige Finanz- und Wirtschafts- tergründe und Herausforderungen für Europa, minister Oriol Junqueras bereits angedroht Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, hat, würde die Staatsverschuldung Spaniens November 2014 (SWP-Arbeitspapier, von derzeit 100 auf 124 Prozent des Brutto- FG Globale Fragen, November 2014). Prof. Dr. Sabine Riedel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Globale Fragen SWP-Aktuell 25 Mai 2018 8
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