Der Ursprung der Seuchengottheit Gozu Tennō - Victoria Fichtberger 11774023 Jap. Seminar I (Gruppe 3): Krankheit und religiöse Erneuerung in Japan ...

Die Seite wird erstellt Amelie Neubauer
 
WEITER LESEN
Der Ursprung der Seuchengottheit
                    Gozu Tennō

Victoria Fichtberger 11774023
Jap. Seminar I (Gruppe 3): Krankheit und religiöse Erneuerung in Japan 150118-1 2020W
Dr. Bernhard Scheid
Zeichenanzahl: 26,164
                                          1
Inhaltsverzeichnis
1. Forschungsstand ...................................................................................................... 3
2. Die japanische Seuchengottheit Gozu Tennō .............................................................. 5
3. Ursprünge in Indien und Korea sowie Übermittlung nach Japan ................................. 7
   3.1. Spuren in Indien................................................................................................ 7
   3.2. Spuren in Korea ................................................................................................. 8
   3.3. Theorien möglicher Übermittlung eines Kultes um Gozu Tennō ........................... 9
4. Ursprünge in China sowie Übermittlung nach Japan ................................................. 10
5. Conclusio................................................................................................................ 13
6. Literatur- und Quellenverzeichnis ............................................................................ 14

                                                              2
1. Forschungsstand
Im Zuge der Verbreitung des Coronavirus in Japan erhalten Tempel und Schreine in Zeiten
von Unsicherheit und Krise wieder neue Aufmerksamkeit. Um dem verstärkten Interesse
der Gläubigen nachzukommen, ließ unter anderem der Yasaka-Schrein                             1
                                                                                                  in Kyoto
bereits im April zwei riesige Kränze aus Gras chinowa                            2
                                                                                     aufstellen, welche
normalerweise erst im Zuge des berühmten Gion Matsuri                           im Sommer errichtet
werden (Japan Times 2020).
      Das Gion Matsuri wird seit der Heian-Zeit zur Verehrung verschiedener Seuchengötter
(ekijin       ) veranstaltet, musste jedoch bedingt durch die gesundheitliche Notlage 2020
abgesagt werden (McLaughlin 2020:9). Das matsuri spielt eine wichtige Rolle im Gion-Kult,
da eine der bedeutsamsten Glaubensvorstellungen der Annahme entspringen, dass
Krankheit und vor allem weitreichende Seuchenepidemien von ekijin verursacht werden3
(McMullin 1988:271). Zu diesen Göttern zählt unter anderem Gozu Tennō
(McMullin 1988:277).
      Wo liegen die Ursprünge dieser Seuchengottheit, die anscheinend bis zur Meiji-Zeit
fester Bestandteil der religiösen Mythologie auf dem japanischen Archipel war? In meiner
Arbeit werde ich zunächst einen kurzen Überblick über die japanische Seuchengottheit
Gozu Tennō geben. Anschließend zeichne ich die Anfänge der möglichen Herkunft der
Seuchengottheit auf dem asiatischen Kontinent nach und beschreibe, wie sie Eingang in
Japan fand: Zuerst werde ich Theorien erklären, welche den Ursprung der Gottheit in
Indien und Korea vermuten und den Weg nach Japan verfolgen. Besondere
Aufmerksamkeit widme ich aber einer vor Kurzem erschienenen Studie, welche sich mit
möglichen Wurzeln des ekijin-Glaubens in der Übermittlung von chinesischen
Volksgottheiten nach Japan beschäftigt und seine Funktion in China und Entwicklung in
Japan genauer untersucht (vgl. Yamaguchi 2019).

1
    Früher vor allem als Gion-Schrein           (oder auch Gionsha         , Gozu Tennō-sha           ,
    Kanshin’in         ) bekannt, ab dem Jahr 1868 als „Yasaka-Schrein“ bezeichnet (Kubota 1974).
2
    Durch diese können Gläubige gehen, um Unreinheiten zu beseitigen und für Gesundheit zu beten. Dazu
    dienen z. B. Binsenkränze, wie in der Legende des Gion-Kultes erwähnt, siehe Kapitel 2 (Japan Times
    2020; für weitere Informationen vgl. Kokugakuin 2005).
3
    Neben Seuchengöttern können auch feindselige Seelen von Verstorbenen goryō          Unheil wie
    Krankheit, Erdbeben oder Totgeburt hervorrufen. Um deren Heimsuchung abzuwehren, werden goryō-e
            Rituale durchgeführt (McMullin 1988:271 273), zu den berühmtesten zählt das Gion Matsuri,
    welches auch als gion goryō-e            bekannt ist (Roemer 2007:186 187; Weiss 2020:184,260;
    McMullin 1988:271).

                                                    3
Es gibt nur wenige englischsprachige Forschungen, die sich explizit mit der Gottheit
Gozu Tennō auseinandersetzen. Eine davon analysiert anhand japanischer Schriften und
Ritualmanualen das Wesen der Seuchengottheit (Saitō 2012). Der kanadische
Wissenschaftler Neil McMullin publizierte 1988 einen ausführlichen Artikel, in dem er
unter anderem den Gion-Kult um Gozu Tennō und seinen möglichen Ursprüngen
ausgehend von Legenden, Ritualen und Symbolen im 9. und 10. Jahrhundert behandelt (vgl.
McMullin 1988). Auch wenn schon etwas älter, beschreibt der amerikanische
Anthropologe John Embree Phänomene der Verehrung eines „Godzu Tennō“ im
ländlichen Japan der 1930er Jahre (vgl. Embree 1939).
      Darüber hinaus wird Gozu Tennō des Öfteren in Bezug auf Talismane und Bilder als
Schutz gegen Krankheit erwähnt (Smits 2009:15; Groemer 1999:289). Als Beispiel für die
komplexe Verschmelzung von Shintoismus und Buddhismus in Japan wird Gozu Tennō als
Seuchengottheit angeführt (Rambelli 2006:318). Vereinzelt finden sich Publikationen, die
sich mit der Trennung des Synkretismus shinbutsu bunri                         4
                                                                                   beschäftigen (vgl. Weiss
2020:230–238; Miyake et al. 2009; Thal 2002). In der deutschsprachigen Forschung findet
sich nur ein älterer Artikel von Hartmut Rotermund über einen japanischen Bericht aus
dem Jahr 1586, in dem Gozu Tennō zwei Mal erwähnt wird (Rotermund 1970:147,165).
      In aktueller japanischsprachiger Literatur gilt vor allem der Wissenschaftler Suzuki
Kōtarō                   als Spezialist für Gozu Tennō; er publiziert unter anderem über die
Verehrung Gozu Tennōs im Onmyōdō                          5
                                                              (Suzuki 2018) und ist Autor der Monografie
Gozu tennō shinkō no chūsei                                   [Der Glaube an Gozu Tennō im Mittelalter]
(vgl. Suzuki 2019). Die Ursprungslegende6 der Seuchengottheit wird zudem in mehreren
Artikeln von anderen Wissenschaftlern thematisiert (vgl. Koike 2009, 2004; Nanri 1980).

4
    In der Meiji-Zeit versuchte man, Buddhismus und Shintoismus gesetzlich voneinander zu trennen,
    welches jedoch durch die tiefe Verflechtung sehr schwierig umzusetzen war (Inoue 1998:11–12).
5
    Onmyōdō (der Weg von Ying und Yang) ist eine japanische Schule der Kosmologie und Wahrsagerei, die
    sich auf Basis der chinesischen Ying-Yang Lehre und der Fünf-Elemente-Lehre (Holz, Feuer, Erde, Metall,
    Wasser) entwickelt hat (vgl. Drakakis 2011).
6
    Auf Japanisch engi      : Der Begriff kann mehrere Bedeutungen haben wie gutes/schlechtes Omen (engi
    ga yoi/warui            /     ), die Herkunft oder den Ursprung von etwas andeuten oder erklärt als
    buddhistischer Begriff, dass alle Dinge durch Kausalität auftreten (Weblio 2021a). In dem Kontext um die
    Seuchengottheit Gozu Tennō ist es als die Herkunfts-/Ursprungsgeschichte von Gozu Tennō zu verstehen.

                                                      4
2. Die japanische Seuchengottheit Gozu Tennō
Gozu Tennō bedeutet wörtlich „der ochsenköpfige Himmelskönig“ und wurde
ursprünglich im Yasaka-Schrein in Kyoto verehrt (Rambelli/Teeuwen 2003:27), der
errichtet wurde, um der Ausbreitung von Epidemien vorzubeugen (Miyake et al. 2009:77).
      Er ist eine synkretische 7 japanische Gottheit, für die in der japanischen Geschichte
verschiedenen Namen bekannt sind und die zum Teil mit anderen Göttern verschmilzt: Oft
wird er mit Susanoo no Mikoto                          und Mutō Tenjin               identifiziert. Weitere
Namen sind Godō Daishin                                und Gotō Tennō                   . Im japanischen
Volkglauben Izanagi-ryū                            8
                                                       ist er als Tengeshō                  bekannt (Saitō
2012:284,289).
      Seine tiefe Verflechtung mit Susanoo ist im 15. Jahrhundert explizit in japanischer
Literatur beschrieben (Weiss 2020:185–192). Die Tatsache, dass Gozu Tennōs Ursprünge
unter anderem bis nach Indien reichen, führt in der Meiji-Zeit unter dem Gesetz shinbutsu
bunri-rei                 dazu, dass seine indischen und buddhistischen Konnotationen offiziell
negiert werden. Gozu Tennō wird als ein alternativer Name für Susanoo ersetzt (Weiss
2020:24) und Susanoo mit Dangun 단군, dem mythischen Gründer des ältesten
koreanischen Staates gleichgestellt. Auf diese Weise löscht der Yasaka-Schrein
buddhistische Einflüsse in seiner Geschichte und religiösen Mythologie und gründet sich
auf eine scheinbar rein shintoistische Mythenwelt (Weiss 2020:230–238).
      Die Verehrung des Gozu Tennō gründet sich auf den Mythos der Brüder Kotan Shōrai
             und Somin Shōrai                 , die einer himmlischen Gottheit begegnet und je nach
ihrem Verhalten mit Krankheit bestraft oder verschont worden sein sollen. Von dieser
Geschichte existieren mehrere Versionen, in denen die „himmlische Gottheit“ unter
anderem den Namen Mutō Tenjin (McMullin 1988:274; Weiss 2020:185–186) oder Susanoo
trägt (Florenz 1901:302–303; Weiss 2020:190–191). In einer Version wird Gozu Tennō als

7
    In Kontext des shinbutsu shūgō            (Vereinigung japanischer kami und Buddhismus)
    (Rambelli/Teeuwen 2003:1–53) und honji suijaku              (die Manifestation eines Buddhas in Form eines
    japanischen kami) zu deuten (Inoue 1998:5).
8
    In der Wissenschaft wird angenommen, dass der japanische Volksglaube Izanagi-ryū                   ein
    Synkretismus aus vielen verschiedenen Religionen ist, so unter anderem Onmyōdō             , sowie aus
    Elementen des esoterischen Buddhismus mikkyō            (Lehren des mikkyō werden im Geheimen oder
    implizit vermittelt und gelten als jenseits des Verständnisses gewöhnlicher Menschen, vgl. Nichiren
    Library 2021a, Umeno 2012:342–344).

                                                         5
Mutō Tenjin identifiziert, in einer anderen ist er Mutō Tenjins ältester Sohn (McMullin
1988:277). Eine deutsche Übersetzung der Geschichte ist hier verkürzt wiedergegeben:9
       Als einst vor Zeiten der Gott Take-araki1 [Mutōshin        ] des Nordmeeres zur
       Tochter des Gottes des Südmeeres zum Liebesgenuss ging, ging der Tag zur Rüste.
       Dort waren zwei Brüder Namens Sominshōrai und Kyotanshōrai.2 Der ältere Bruder
       Sominshōrai war äusserst arm, der jüngere Bruder Kyotanshōrai war reich begütert
       und hatte an die hundert Gebäude und Speicher. Bei diesem bat der Gott Take-araki
       um ein Nachtlager, aber jener gewährte es ihm nicht aus Geiz. Der ältere Bruder
       Sominshōrai aber gewährte es ihm. […] Nach einigen Jahren kam der Gott mit acht
       göttlichen Kindern4 wieder […] In dieser Nacht vertilgte der Gott alle Menschen,
       ausgenommen Somin […] und dann sprach der Gott zu ihm: "Ich bin der Gott Haya-
       susa no Wo.6 [anderer Name für Susanoo] Wenn in späterer Zeit einmal eine
       ansteckende Krankheit kommt, so soll man künden, dass man ein Nachkomme von
       Sominshōrai ist, und einen Binsenkranz [chinowa] um die Hüften binden. Wenn man
       meinem Wort gehorsam einen solchen umbinden lässt, so werden die Glieder der
       Familie des Betreffenden von der Krankheit verschont bleiben. (Florenz 1901:302–
       303)

Gozu Tennō ist in seinem Wesen eine ambivalente Seuchengottheit, die Krankheit und
Epidemien verbreiten kann und zum Teil selbst als Krankheit aufgefasst wird, die vom
Körper eines Menschen entfernt werden muss (Saitō 2012:291–293). Jedoch kann er auch
vor Krankheit wie Pocken schützen (Lin 2003:70) und goryō verbannen (Rambelli/Teeuwen
2003:27). In die Welt der kalendarischen Kommentare rekichū                             10
                                                                                             ist er als eine
schützende und glücksbringende Gottheit eingegliedert (Saitō 2012:284–285).
    Die erste Erwähnung seines Namens findet sich im Geschichtswerk Honchō seiki
     , welches etwa 1150 verfasst wurde. Dort heißt es, dass im Jahr 1070 ein Feuer im Gion-
Schrein ausbrach und die Beine von Gozu Tennō beschädigte                       11
                                                                                     (Yamaguchi 2019:12;
Weiss 2020:188).

9
   Dieser frühe Beleg der Erzählung findet sich im Bingo fudoki             (Chronik der Provinz Bingo     ,
   heutige Lage entspricht dem östlichen Teil der Präfektur Hiroshima) und ist vermutlich in der Nara-Zeit
   entstanden (McMullin 1988:274; Weiss 2020:185). Der Text ist jedoch nur aus dem Shaku nihongi
   (1274 1301) bekannt (Wikipedia 2018).
10
   Entspricht dem deutschen Wort „Almanach“. Der Duden bezeichnet Almanach als eine mit einem
   Kalender verbundene bebilderte Sammlung von Texten. Die Herkunft des Wortes ist nicht genau geklärt,
   es wird aber auf das lateinische Wort "alachmanur", welches astronomisches Jahrbuch bedeutet,
   zurückgeführt (Duden 2020). Das japanische rekichū ist diesem Begriff in seiner Bedeutung ähnlich,
   generell werden in einem rekichū unter anderem astronomische Angelegenheiten und jährliche
   Ereignisse wie Daten und Wochentage beschrieben sowie glücksverheißende bzw. unglücksverheißende
   Zeiten (Datum und Uhrzeit) und Richtungen angemerkt (Weblio 2021b; Wikipedia 2020).
11
   Gozu Tennō o-ashi shōzon                   , tennō ist hier unüblicherweise mit dem Zeichen für
   „Kaiser“ geschrieben.

                                                     6
Statuen Gozu Tennōs hatten früher die Form eines Kriegsherrn mit drei oder vier
Gesichtern und Furcht einflößendem Aussehen (vermutlich auf chinesische Vorstellungen
zurückzuführen), die Variante mit Ochsenkopf entwickelte sich erst später (Yamaguchi
2019:13). Sein Aussehen ist jedoch stark von seiner Darstellung in den japanischen
Ritualmanualen (saimon           12
                                      ) der jeweiligen Schreine, in denen er verehrt wird, abhängig.
Beispielsweise hat die Gozu Tennō-Statue des Tsushima-Schreins                        in der Präfektur
Aichi ein Pferdegesicht und Vogelfüße (Tsushima Bunka 2013).

3. Ursprünge in Indien und Korea sowie Übermittlung nach Japan
Eine Vielzahl an Spuren und Indizien auf mögliche Ursprünge Gozu Tennōs finden sich in
Indien und Korea und werden im Folgenden getrennt behandelt. Zudem wird der Frage
nachgegangen, wie die Vorstellung dieses Seuchengottes nach Japan fand.

3.1. Spuren in Indien
In der Literatur über Gozu Tennō gilt allgemein der Konsens, dass er ursprünglich aus
Indien kam und unter dem sanskritischen Namen Gośīrṣa गोशीर्ष13 (Rodsshinto 2021) das
palastartige Anwesen Jetavana जेतवन14 beschützte (Yamaguchi 2019:2; Miyake et al. 2009:77;
Rambelli 2006:318; Rambelli/Teeuwen 2003:27; Rotermund 1970:165; Embree 1939:67). Der
Name dieses Anwesens wird als Gion Shōja                     auf Japanisch übersetzt. Gozu Tennō
und Gion sind demnach durch die gleiche buddhistische Erzählung miteinander
verbunden (McMullin 1988:277).
     Interessant sind die geografischen Indizien in Indien, die in der Bedeutung der
Schriftzeichen gozu          (Ochsenkopf) kumulieren: Das traditionelle Heim der indischen
Schutzgottheit befand sich auf einem heiligen indischen Berg, der angeblich wie ein
Ochsenkopf geformt war und dementsprechend als Ochsenkopfberg (auf Japanisch
gozusan          ) bezeichnet wurde (McMullin 1988:277).

12
   Saimon hat eine ähnliche Bedeutung wie engi, es handelt sich um Texte mit mythischen Erzählungen oder
   Ursprungsgeschichten, welche in Ritualen verwendet werden (Saitō 2012:280).
13
   Go bedeutet „Ochse“ und śīrṣa „Kopf“ (Wisdomlib 2021b).
14
   Liegt im heutigen Bundesstaat Uttar Pradesh in Nordindien (Wisdomlib 2021a).

                                                    7
Eine Legende besagt, dass auf diesem Berg indisches Sandelholz (auf Sanskrit gośīrṣa
candana गोशीर्ष चन्दना15, auf Japanisch gozu sendan                   ) wuchs. Es wird angenommen,
dass der Name des Holzes von der Form des Berges herrührte. Das Holz war rötlicher Farbe
und besaß medizinische Eigenschaften (Nichiren Library 2021b), weiterverarbeitend
wurde es als fiebersenkendes Mittel eingesetzt (McMullin 1988:277; Weiss 2020:231).
Zudem wurde ihm ein unvergleichlicher Duft zugeschrieben (Nichiren Library 2021b),
weswegen es angeblich auch als Material für feinsten Weihrauch verwendet wurde
(Rodsshinto 2021).

3.2. Spuren in Korea
Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, ist die Legende des armen und des reichen Bruders das
Herzstück des Gion-Kultes. In der frühesten Version der Geschichte hat die
Seuchengottheit den Namen Mutō Tenjin                        . Mutō ist ein interessanter Name, da er
angeblich nicht japanischen Ursprungs ist und weder in indischen noch chinesischen
Quellen vorkommt. Laut McMullin wurde er vom koreanischen Wort mudang 무당 (auf
Japanisch mutō oder muta ausgesprochen) abgeleitet. Mudang bezeichnet koreanische
Schamaninnen, welche in Ritualen durch Musik und Tanz Kontakt mit den Göttern
aufnahmen. In Trance konnten sie Namen von Gottheiten und verstorbener Geister
identifizieren, die Krankheiten verursachen. 16 Einst war die Vorstellung verbreitet, dass
besonders Musik und Tanz wirksam seien, um krankmachende Gottheiten und
verstorbene Geister zu besänftigen, weswegen sie integrale Bestandteile des goryō-Rituals17
waren (McMullin 1988:276).
     Wie in Indien spielen auch in Korea Berge und Hügel im Kontext um die
Seuchengottheit eine große Rolle. Der Begriff muta/mutō soll in früheren Zeiten Berge mit
trapezförmigem Aussehen gekennzeichnet haben. Eine Theorie besagt, dass Mutō eine
Gottheit sei, welche auf trapezförmigen Hügeln wohne, da man im frühen Korea und Japan

15
   Candana ist die pflanzliche Bezeichnung für indisches Sandelholz (lat. Santalum album), gośīrṣa zählt auch
   als Synonym von candana (Wisdomlib 2021b).
16
   Für mehr Informationen vgl. Britannica 2021a
17
   Unter anderem tanzten Töchter aristokratischer Familien in diesen Ritualen zu koreanischer oder
   chinesischer Musik, die von Hofmusikern gespielt wurde. Zusätzlich brachte das Volk Musiker mit, die
   mit lärmenden Instrumenten wie Glocken und Trommeln laute und erotische Musik erzeugten (McMullin
   1988:289).

                                                      8
glaubte, dass Berge und Hügel Wohnorte der Götter wären.18 Das kultische Zentrum in Gion
in Kyoto liegt am Fuße eines trapezförmigen Hügels und dies könnte erklären, warum hier
Mutō verehrt wurde (McMullin 1988:276).
       Im frühen koreanischen Königreich Silla befand sich ebenfalls ein kultisches Zentrum
in der Nähe eines Hügels mit Trapezform. Dieser spielt eine wichtige Rolle in der
japanischen Mythologie um Susanoo (vgl. Weiss 2020) und wurde auf Japanisch soshimori
               genannt. Laut dem japanischen Wissenschaftler Kubota Osamu
bedeutet soshi „Ochse“ und mori „Kopf“ 19 . Der Name des Zentrums war demnach
„Ochsenkopfberg“. In damaligen Zeiten war es zudem üblich, Rinder für gute Ernte und
Vorbeugung gegen Krankheit zu opfern und soshimori war einer der wichtigsten kultischen
Plätze dieser Praxis (McMullin 1988:276). Zu dieser Theorie wendet Weiss ein, dass sie
ihren Eingang in die westliche Wissenschaft durch die unkritische Übernahme McMullins
fand (Weiss 2020:242–243).
       Ausgehend von diesen Bedeutungen sind Mutō und Gozu miteinander verbunden, da
der Name gozu dieselbe Bedeutung („Ochsenkopf“) in sich trägt wie der Name des Hügels
soshimori in Silla, auf dem Mutō wohnte. Offenbart wurden zwei ehemals unterschiedliche
Gottheiten aufgrund Ähnlichkeiten im Namen und Funktion miteinander verschmolzen.
Im Fall von Mutō und Gozu wurden zwei Gottheiten, die unter verschiedenen Namen
bekannt waren, im Laufe der Zeit zu einer einzigen Gottheit verbunden, für die jedoch
mehrere Namen verwendet werden (McMullin 1988:277).

3.3. Theorien möglicher Übermittlung eines Kultes um Gozu Tennō
Wann genau sich ein Kult um verschiedene ekijin bildete und sich mit Ursachen von
Seuchen und ihrer Vorbeugung widmete, wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert. Die
genaue zeitliche Verortung im kultischen Zentrum Gion sind ebenso umstritten wie die
Frage der treibenden Interessensgruppen hinter dem Kult (McMullin 1988:281).
       Die früheste Version der Legende taucht in der Chronik der Provinz Bingo (östlicher
Teil der Präfektur Hiroshima) auf. Es wird vermutet, dass Menschen mit koreanischen
Vorfahren sich in und um Bingo niederließen und Rituale gegen die Abwehr von

18
     Für mehr Informationen vgl. Suzuki 2016; Grapard 1982; Naumann 1963
19
     In Vernetzung Susanoos mit der koreanischen Halbinsel wurde bereits 1863 behauptet, dass soshimori die
     phonetische Repräsentation des koranischen Wortes für „Ochsenkopf“ darstellt (Weiss 2020:234–235).

                                                       9
Krankheiten praktizierten, die vermutlich Vorläufer des Gion-Kultes sind. Auch soll das
Seefahrervolk Hata (auf Altkoreanisch „Meer“20), welches vor der Nara-Zeit von Korea nach
Japan kam, Gozu Tennō in einem Kult verehrt haben (McMullin 1988:281).

4. Ursprünge in China sowie Übermittlung nach Japan
Vorläufer dieser Gottheit existierten auch in China. Der japanische Wissenschaftler
Yamaguchi Kenji                    erläutert in seiner aktuellen Publikation eine spannende
Theorie über einen möglichen Ursprung Gozu Tennōs. In der Frühzeit wurde Gozu Tennō
auch als Gotō Tennō                    bezeichnet und dieser Name wird auf die chinesische
Volksgottheit Godō Daishin                              zurückgeführt. Seine Hypothese beruht
hauptsächlich auf der ähnlichen Natur und Funktion der verschiedenen Gottheiten und
den Ähnlichkeiten in der Lesung der Schriftzeichen für gotō                           und gozu
(Yamaguchi 2019:3).
     Hintergrund ist die Entdeckung von schriftlichen Schwüren kishōmon                            21
                                                                                                        auf
Holztafeln mokkan          , die jüngst gefunden wurden.22 Diese kishōmon sind generell in drei
Abschnitte unterteilt: Zuerst werden die Götter aufgeführt, die herabgerufen werden sollen
(kamibun        ), gefolgt von dem Versprechen (kakugen               ) und der Bestrafung (batsumon
     ). Die Zusammensetzung der Gottheiten, die im ersten Teil erwähnt werden, ist höchst
interessant. Unter den aufgezählten Gottheiten wird auf einem mokkan sowohl Godō
Daishin als auch Gion Gotō Tennō                        erwähnt. Godō Daishin ist ein chinesischer
Volksgott, der kaum in der japanischen Literatur vorkommt, aber eine wichtige Rolle in
den Riten des König Enma enmatenhō                             23
                                                                    spielt. Zudem lässt sich durch

20
   „Meer“ bedeutet im modernen Koreanisch bada 바다, eine linguistische Ähnlichkeit ist nicht von der
   Hand zu weisen Wiktionary 2021).
21
   Kishōmon ist ein schriftlicher Schwur an die Götter und besagt, dass bei Brechung des Eides die Person
   durch die magische Kraft der Götter oder des Buddhas bestraft wird (Yamaguchi 2019:4).
22
   Im Zuge einer Ausgrabung von 2006 bis 2009 im Norden des Biwa-Sees der Präfektur Shiga wurden in den
   Hafenruinen Shiozu neben Tongefäßen und Tintensteinen ungefähr 300 mokkan gefunden, von denen auf
   den meisten kishōmon geschrieben sind (Yamaguchi 2019:3).
23
   Ursprünglich der hinduistische Gott des Todes Yama यम (Nichiren Libray 2021b), in China als
   Yanluowang (yánluó           ) bezeichnet. Einer der 10 Richtergötter (auch als Höllengötter jūō
   bekannt, vgl. Weblio 2021c), die Menschen aufgrund ihrer Taten in ihrer Lebenszeit beurteilt und
   dementsprechend bestraft (Britannica 2021b). In Japan nahm er im Laufe der Jahrhunderte noch weitere
   Funktionen an (vgl. Chusid 2019).

                                                   10
Untersuchung der kishōmon feststellen, dass als Alternative für Godō unter anderem die
Gottheit Taizan-fukun               24
                                         angerufen werden kann (Yamaguchi 2019:3–5).
     Laut chinesischen Ritualmanualen25 der Tang-Zeit existierte die Vorstellung, dass es im
Hof von König Enma einen Speer mit einem Banner gibt, auf dem ein Menschenkopf
abgebildet ist. Indem Enma das Feuerlicht sieht, das aus seinem Mund kommt oder sich
eine weiße Lotusblume öffnet, kann er beurteilen, ob es sich um einen guten oder
schlechten Menschen handelt. Taizan-fukun und Godō Daishin verwenden dann die
Ergebnisse des Urteils des Königs, um die endgültige Entscheidung über die Person zu
treffen und eine Strafe wie beispielsweise Tod durch Krankheit auszuführen. Obwohl Godō
Daishin unter König Enma steht, trifft er die endgültige Entscheidung über Leben und Tod
eines Menschen, weswegen er für die damaligen Menschen wie ein stellvertretender
Vollstrecker des Urteils des Königs Enma gewirkt haben muss (Yamaguchi 2019:10).
     In einem anderen Ritualbuch aus der Zeit des Kaisers Tang Xuanzong                       (685–762)
werden Opfer im Kontext von Epidemien (ekibyō                    ) beschrieben. In einer Textstelle
wird ein tapferer Dämonenkönig beschrieben, der hinter dem Berg lebt, auf dem Taizan-
fukun wohnt. Yamaguchi nimmt an, dass dies Godō Daishin ist. In China war ähnlich wie
in Japan die Ansicht verbreitet, dass Seuchen von Dämonen und bösen Geistern verursacht
werden, weswegen Godō als Befehlshaber der Dämonen aufgefasst wurde (Yamaguchi
2019:12–13).
     Godō Daishin taucht vor allem in japanischen buddhistischen Schriften zwischen dem
9. und 14. Jahrhundert auf, wobei er besonders häufig im 12. Jahrhundert erwähnt wird. In
diesen Texten wird er als Familienmitglied von König Enma aufgefasst und kommt in
Passagen vor, in denen Rituale und Praktiken von Enma beschrieben werden. Die
Datierung der ausgegrabenen mokkan auf den Zeitraum von 1137 bis 119126 bestätigt die

24
   Auf Chinesisch Dongyue Dadi            , diese Gottheit wohnt auf dem Berg Tai in China (Nikaidō
   2015:64). Im Buddhismus zählt er als ein Begleiter von König Enma, welcher die guten und schlechten
   Taten von Menschen aufzeichnet (Weblio 2021d). In Japan wurde zudem während der Heian-Zeit das
   gleichnamige Ritual taizan-fukun sai             überaus beliebt: Es handelte sich um eine Anrufung an
   Taizan-fukun und andere Gottheiten, die mit dem Reich der Toten verbunden waren, um die
   Lebensspanne des Bittstellers zu verlängern, Reichtum und Ehre zu bringen und Unglück abzuwenden
   (Shigeta 2013:93–94).
25
   Das Ritual des Königs Enma ist in einem Abschnitt der buddhistischen Enzyklopädie Mochizuki Bukkyō
   daijiten                beschrieben, welches in Zeiten von Seuchen und anderer Krankheiten ausgeführt
   werden soll.
26
   Vgl. Yamaguchi 2019:4

                                                   11
aktive Ausübung des Rituals und häufige Verwendung des Namens Godō Daishin. Godō
Daishin wurde insofern in Japan vermutlich als eine Gottheit eingeführt, die mit Ritualen
für Enma in Verbindung steht (Yamaguchi 2019:9–10).
     Besonders beliebt war das Ritual in der japanischen Aristokratie vom 11. bis 13.
Jahrhundert. Beamten brachten unter anderem Opfer dar, um Sicherheit und Schutz vor
Unglück zu erbitten. In einem Dokument aus der Sammlung Fukuchiin-ke monjo
      aus dem Jahr 1167 wird die Macht des König Enmas erwähnt, der wie bei Gozu Tennō
eine Ambivalenz in seinem Wesen zeigt: Er kann nämlich auch Krankheiten beseitigen,
den Körper schützen, sowie Groll und Dämonen zerstören. In späteren Zeiten wurden
Riten des Königs Enma jedoch als eine geheime Methode angesehen und Godō Daishin
verschwindet folglich aus buddhistischen Schriften. Als Ersatz dafür scheint Gozu Tennō
erwähnt zu werden (Yamaguchi 2019:11–12).
     Yamaguchi erklärt zu diesem Prozess seine These: König Enma ist der fünfte der 10
Höllenkönige. Der zehnte ist die Gottheit Godō Chakravartin (godō tenrinō                                  )27,
von der angenommen wird, dass er Godō Daishin darstellt.28 Godō Chakravartin spielt eine
Rolle in den Riten des tenbōrinhō                   , welche ebenfalls vom 11. bis zum Ende des 13.
                                                   29

Jahrhunderts in Japan praktiziert wurden. Als geheimes Ritual wurde es unter anderem für
Schutz und Sicherheit des damaligen Kyoto vor Rebellen durchgeführt (Yamaguchi
2019:15). Die japanische Version Godō Chakravartins bzw. Godō Daishins wäre laut
Yamaguchi Gotō Tennō (Yamaguchi 2019:13).
     In der Heian-Zeit wurde durch Rituale der Seuchengötter (ekijin saishi                           ) Godō
Daishin als Seuchengottheit (also als Gion-Gottheit) verehrt. Zu Ende dieser Zeit wurden
König Enmas Riten und tenbōrinhō neu eingeführt und durch die Ausübung vervielfachte
sich Godō Daishins göttliche Autorität. In diesen esoterischen Ritualen erfuhr er besondere

27
   Im Gegensatz zu König Enma (bzw. Yama) eine eher unbekannte Gottheit. Auf Chinesisch zhuǎn lún wáng
          , auf Sanskrit chakravartin rājā चक्रवर्तषन् राजा (Xiong 2017:76; Wisdomlib 2021c,d). In der
   chinesischen Mythologie dreht er als letzter Höllengott das Rad der Seelenwanderung, welches Tote zu
   ihren neuen Existenzen führt: Entweder als Götter, Menschen auf der Erde oder in der Hölle, gute oder
   böse Dämonen, oder Tiere (Britannica 2021b).
28
   Wie Godō Chakravartin als Godō Dashin identifiziert wurde, ist umstritten.
29
   Basierend auf dem buddhistischen Text tenboringyō                  , welcher die ersten Lehren Buddhas nach
   seiner Erleuchtung enthält (Weblio 2021e). Eine wörtliche deutsche Übersetzung wäre „das Rad des
   Dharma in Bewegung setzen“, Dharma bedeutet im Buddhismus Doktrin bzw. universale Wahrheit
   (Britannica 2021c). In diesen Ritualen soll ein Speer mit Banner als Ritualinstrument aus indischem
   Sandelholz gefertigt werden, heutzutage wird in Japan Goldbronze/Kupfer verwendet (Yamaguchi
   2019:13–14,16).

                                                        12
Geheimhaltung und konnte als Gottheit nicht mehr so einfach der Öffentlichkeit ausgesetzt
werden. Die esoterischen Mönche waren der Meinung, dass sie die Statue des Godō Daishin
verbergen mussten, weswegen sie sich gezwungen sahen, die Statue des Godō Daishins,
der bereits als Gion-Gottheit verehrt wurde, tief im Tempel zu verstecken. Um zu
verschleiern, dass die ursprüngliche Gottheit Godō Daishin war, wurde als Ersatz Gotō
Tennō gewählt, welcher später von Gozu Tennō abgelöst wurde (Yamaguchi 2019:17–18).
       Es wird angenommen, dass Gotō Tennō als Bezeichnung weit verbreitet war30, bevor
Gozu Tennō eingeführt wurde. Der Wechsel von gotō                           zu gozu          führt Yamaguchi
auf die starke Ähnlichkeit von godō                 und gotō         zurück (Yamaguchi 2019:17–18). Die
Entdeckung des Namens auf den mokkan ermöglichen somit einen kurzen Einblick in eine
denkbare Entwicklungsgeschichte der Seuchengottheit Gozu Tennō (Yamaguchi 2019:13).

5. Conclusio
Innerhalb der Theorien über den Ursprung Gozu Tennōs sind wiederkehrende Elemente
nicht zu übersehen: Auffallend ist indisches Sandelholz, dessen sanskritische Bezeichnung
ebenfalls Gozu Tennōs Namen in Sanskrit darstellt, zudem wurden früher in China und
Japan Speere mit Banner als Ritualinstrumente aus diesem Holz gefertigt.
       Auch spielen Berge und Hügel auf dem asiatischen Kontinent und dem japanischen
Archipel als Wohnorte der Götter eine wichtige Rolle. Ihr trapezförmiges Aussehen wurde
damals offensichtlich mit der Form eines Ochsenkopf gleichgesetzt, was sich in Indien
unter anderem in der Bezeichnung der Pflanze (gośīrṣa candana) widerspiegelt, die auf dem
Berg der Schutzgottheit Gośīrṣa wuchs. Auch der Berg „Ochsenkopf“ (soshimori) als ein
Wohnort von Mutō und das nahegelegene kultische Zentrum in Silla in Korea weisen
Ähnlichkeiten zur Verortung des Gion-Kultes am Rande eines trapezförmigen Berges in
Kyoto in Japan auf.
       Die Göttervorfahren von Gozu Tennō verbindet ihre Macht über Seuche, Krankheit und
möglichen Tod. In Ritualen (mit mudang, im enmatenhō, tenbōrinhō und goryō-e) wird
versucht, solche Seuchengötter zu besänftigen, um statt Unheil Schutz und Sicherheit zu
erhalten.

30
     Der Name gotō taucht unter anderem in einen Artikel aus dem Jahr 1220 in folgender Form auf: gotō
     tengyoku          , tennō ist hier mit dem Zeichen für „Ball“ geschrieben. Bis heute gibt es in Japan einige
     Schreine, welche früher Gotō Tennō genannt wurden (Yamaguchi 2019:13).

                                                         13
Alle erwähnten Theorien über die Übermittlung nach Japan und Etablierung eines
Kultes um die Gottheit Gozu Tennō sowie seine Entstehung in Japan haben sicher einen
wahren Kern. Zusammengefasst wäre diese Entwicklung nachvollziehbar: Vermutlich
wurde bereits in der Nara-Zeit ein Gozu Tennō mit koreanischen Einflüssen in der Provinz
Bingo verehrt, bevor Godō Daishin zu Beginn der Heian-Zeit nach Japan im sino-
buddhistischen Ritualwesen des Königs Enma übermittelt wurde und sein Name in
Schriften auftaucht. Die Ritualpraxis hat ihren Höhepunkt zu Ende der Heian-Zeit im 12.
Jahrhundert, danach verschwindet der Name Godō Daishin aus japanischen Schriften und
der Name Gozu Tennō setzt sich für diese Gion-Gottheit durch. Die Theorie von Yamaguchi
kann nur bedingt plausibel erscheinen, da die erste Erwähnung Gozu Tennōs in Bezug auf
einen Brand im Jahr 1070 belegt ist.
    Wahrscheinlicher ist, dass Ende des 13. Jahrhunderts auf eine bereits existierende
Gottheit mit ähnlicher Funktion und Wesen zurückgegriffen wurde und Godō Daishin über
Gotō Tennō mit Gozu Tennō (nach altbewährter japanischer Methode) miteinander
verschmolzen wurde. Dieser Prozess mag von Interessensgruppen aktiv mitbestimmt
worden sein, es ist aber eher davon auszugehen, dass über mehrere Jahrhunderte hinweg
mehrere Schreibweisen und Namen der Gion-Gottheit im Umlauf waren.
    Durch mögliche weitere Ausgrabungen und Entdeckung wertvoller Fundstücke und
historischer Schriften in der Zukunft wird es eventuell möglich sein, tiefergehende
Untersuchungen über diesen japanischen ekijin durchzuführen, welcher indische,
koreanische und chinesische Eigenschaften in sich vereint, und den Nebel um seinen
Ursprung weiter zu lichten.

6. Literatur- und Quellenverzeichnis
Britannica
2021a „Mudang“, Britannica. https://www.britannica.com/topic/mudang (14.02.2021).
2021b „Shiwang“, Britannica. https://www.britannica.com/topic/Shiwang#ref142720 (14.02.2021).
2021c „Dharma“, Britannica. https://www.britannica.com/topic/dharma-religious-concept
      (14.02.2021).
Chusid, Miriam
2019 „Constructing the afterlife, reenvisioning salvation“, Archives of Asian art 69/1, 21–53.

                                                  14
Drakakis, Athanasios
2011 „Onmyōdō and esoteric Buddhism.“, Stephen F. Teiser et al. (Hg.): Esoteric Buddhism and the
     Tantras in East Asia (=Handbook of Oriental Studies; 4). Leiden: Brill, 683–690.
Duden
2020 „Almanach, der“, Duden 2020. https://www.duden.de/rechtschreibung/Almanach
     (14.02.2021).
Embree, John
1939 „Notes on the Indian god Gavagrīva (Godzu Tennō) in contemporary Japan“, Journal of the
     American Oriental Society 59/1, 67–70.
Florenz, Karl
1901 Nihongi: Japanische Mythologie. (Mittheilungen d. Dt. Ges. f. Natur- und Völkerkunde
     Ostasiens, IV.) Tokyo: Hobunsha.
Grapard, Allan
1982 „Flying mountains and walkers of emptiness: Toward a definition of sacred space in
     Japanese religion.“ History of Religions 21/3, 195–221.
Groemer, Gerald
1999 „The arts of the Gannin“, Asian Folklore Studies 58/2, 275–320.
Inoue, Nobutaka
1998 „Perspectives toward understanding the concept of kami.“, Inoue Nobutaka (Hg.), Kami
     (=Contemporary Papers on Japanese Religion; 4). Tokyo: Institute for Japanese Culture and
     Classics, Kokugakuin University, 1–19.
Kokugakuin
2005 „Chinowa“, Kokugakuin.
     http://eos.kokugakuin.ac.jp/modules/xwords/entry.php?entryID=301 (14.02.2021).
Japan Times
2020 „Looking for solace in Japanese mythology during a pandemic”, Japan Times 11. April.
     https://www.japantimes.co.jp/news/2020/04/11/national/history/mythology-amabie-
     coronavirus/ (14.02.2021).

Koike, Junichi
2004 „Gozu tennō engi no tenkai: Onmyōdō no minzoku-shō toshite“                        :
                    [Die Entwicklung des engi von Gozu Tennō: Als ein folkloristischer Aspekt
     des Onmyōdō], Shūkyō kenkyū           77/4, 1168–1169.
2009 „Kawamura minato, ‚gozu tennō to somin shōrai densetsu - kesareta kotogamitachi‘
       ,                          -                - [Kawamura Minato, „Gozu Tennō und
     die Somin Shōrai-Legende – verschwundene Götter“] Shūkyō kenkyū          83/1, S. 210
     215.
Kubota, Osamu
1974 Yasakajinja no kenkyū                  [Forschung zum Yasaka-Schrein]. Kyoto: Shintō
     Shigakkai           会.

                                                 15
Lin, Irene H.
2003 „From thunder child to Dharma-protector: Dōjō hōshi and the Buddhist appropriation of
      Japanese local deities“, Fabio Rambelli und Mark Teeuwen (Hg.): Buddhas and Kami in
      Japan. Honji Suijaku as a combinatory paradigm. London: RoutledgeCurzon, 54–76.

Miyake, Hitoshi, Gaynor Sekimori und Yamamoto Miyabi
2009 „Japanese mountain religion: Shrines, temples and the development of Shugendō“, Cahiers
     d'Extrême-Asie 18/1, 73–88.

McLaughlin, Levi
2020 „Japanese religious responses to COVID-19: A preliminary report“, The Asia-Pacific Journal
     9/3, 1–23.

McMullin, Neil
1988 „On placating the gods and pacifying the populace: The case of the Gion "Goryō" cult“,
     History of Religions 27/3, 270–293.

Nanri, Michiko
1980 „‚Hoki naiden nōto: Gozu tennō engi setsuwa to no kanren kara“                    :
                                [Anmerkungen zum „Hoki naiden“: In Bezug auf das engi von
     Gozu Tennō], Fukuoka joshi tandai kiyō                 19, 119–128.
Naumann, Nelly
1963 „Yama no Kami - Die japanische Berggottheit: Teil I: Grundvorstellungen.“ Asian Folklore
     Studies 22, 133–366.
Nichiren Library
2021a „Esoteric buddhism“, Nichiren Library.
       https://www.nichirenlibrary.org/en/dic/Content/E/87 (14.02.2021).
2021b „Ox-head sandalwood“, Nichiren Library.
      https://www.nichirenlibrary.org/en/dic/Content/O/59 (14.02.2021).

Nikaidō, Yoshihiro
2015 Asian Folk Religion and Cultural Interaction (=Global East Asia; 2). Göttingen: Vandenhoeck &
     Ruprecht.

Rambelli, Fabio
2006 „Re-positioning the gods: "Medieval Shintō" and the origins of non-Buddhist discourses on
     the Kami“, Cahiers d'Extrême-Asie 16/1, 305–325.

Rambelli, Fabio und Mark Teeuwen (Hg.)
2003 „Introduction: Combinatory religion and the Honji Suijaku paradigm in pre-modern Japan“,
     Fabio Rambelli und Mark Teeuwen (Hg.): Buddhas and Kami in Japan. Honji Suijaku as a
     combinatory paradigm. London: RoutledgeCurzon, 1–53.
Rodsshinto
2021 „Gozu-Tennō“, Rodsshinto. https://www.rodsshinto.com/gozu-tenno (14.02.2021).

Roemer, Michael K.
2007 „Ritual participation and social support in a major Japanese festival.“, Journal for the
     Scientific Study of Religion 46/2, 185–200.

                                                 16
Rotermund, Hartmut
1970 „Ein Japan-Bericht aus dem Jahre 1586.“ Oriens Extremus 17/1, 145–177.
Saitō, Hideki
2012 „The worship of Gozu Tennō and the ritual world of the Izanagi-ryū“, Cahiers d'Extrême-Asie
      21/1, 277–301.
Shigeta, Shinichi
2013 „A Portrait of Abe no Seimei.“ Japanese Journal of Religious Studies 40/1, 77–97.

Smits, Gregory
2009 „Warding off calamity in Japan: A comparison of the 1855 catfish prints and the 1862
     measles prints“, East Asian Science, Technology, and Medicine 30, 9–31.

Suzuki, Kōtarō   ,
2018 „Onmyōdō ni okeru gozu tennō shinkō: ‚Chūsei shinwa‘ toshite no „hoki naiden
                     :                                    [Der Glaube an Gozu Tennō im
     Onmyōdō: „Hoki naiden“ als „mittelalterliche Mythologie“], Kyōto minzoku gakkai kaishi
                 36, 85–104.
2019 Gozu tennō shinkō no chūsei                       [Der Glaube an Gozu Tennō im Mittelalter].
     Kyoto: Hōzōkan         .
Suzuki, Masanobu
2016 Clans and religion in ancient Japan: The mythology of Mt. Miwa. London, New York:
     Routledge.
Thal, Sarah
2002 „Redefining the gods: Politics and survival in the creation of modern Kami“, Japanese Journal
      of Religious Studies 29/3, 397–404.
Tsushima Bunka
2013 „Mokuzō gozu tennō-izō                [Gozu Tennō-Statue aus Holz], Tsushima Bunka.
     http://www.tsushima-bunka.jp/map/choukoku/map000229.html (14.02.2021).
Umeno, Mitsuoki
2012 „The origins of the Izanagi-ryū ritual techniques: On the basis of the Izanagi
     saimon.“ Cahiers d'Extrême-Asie 21/1, 341–385.
Weblio
2021a „En-gi     - (     ) [u. a. Vorzeichen;Ursprung], Weblio.
       https://www.weblio.jp/content/%E7%B8%81%E8%B5%B7 (14.02.2021).
2021b „Reki-chū    -       (    ) [Almanach]“, Weblio.
      https://www.weblio.jp/content/%E6%9A%A6%E6%B3%A8 (14.02.2021).

2021c „Jū-ō            (         )(   ) [10 Höllengötter], Weblio.
      https://www.weblio.jp/content/%E5%8D%81%E7%8E%8B (14.02.2021).
2021d „Taizan-fukun          -      (     ) [Taizan-fukun]“, Weblio.
      https://www.weblio.jp/content/%E6%B3%B0%E5%B1%B1%E5%BA%9C%E5%90%9B
      (14.02.2021).

                                                 17
2021e „Tenboringyō          ” [das Rad des Dharma in Bewegung setzen], Weblio.
      https://www.weblio.jp/content/%E8%BB%A2%E6%B3%95%E8%BC%AA%E7%B5%8C
      (14.02.2021).
Weiss, David
2020 The shady little brother of the sun goddess: Susanoo and the close other in Japan’s cultural
     memory. Zur Publikation vorgelegtes Manuskript, Diss. Universität Tübingen 2016.
Wikipedia
2018 „Bingo no kuni fudoki             “, Wikipedia.
     https://ja.wikipedia.org/wiki/%E5%82%99%E5%BE%8C%E5%9B%BD%E9%A2%A8%E5%9C
     %9F%E8%A8%98 (14.02.2021).

2020 „Rekichū      “, Wikipedia. https://ja.wikipedia.org/wiki/%E6%9A%A6%E6%B3%A8
     (14.02.2021).
Wiktionary
2021 „Bada 바다 [Meer]”, Wiktionary. https://en.wiktionary.org/wiki/%EB%B0%94%EB%8B%A4
     (14.02.2021)
Wisdomlib
2021a „Jetavana“, Wisdomlib. https://www.wisdomlib.org/definition/jetavana (14.02.2021).
2021b „Goshirsha“, Wisdomlib. https://www.wisdomlib.org/definition/goshirsha (14.02.2021).
2021c „Cakravartin“, Wisdomlib. https://www.wisdomlib.org/definition/cakravartin (14.02.2021).
2021d „Raja“, Wisdomlib. https://www.wisdomlib.org/definition/raja (14.02.2021).
Xiong, Victor Cunrui
2017 Historical dictionary of medieval China. (Historical Dictionaries of Ancient Civilizations and
     Historical Eras) 2. Auflage. Lanham: Rowman & Littlefield [12009].
Yamaguchi, Kenji     ,
2019 „Gozu tennō tanjō no nazo o toku kagi: Shiotsukō iseki kishōmon-satsu ni shirusareta
                           :                                 [Der Schlüssel zur Lösung des
     Rätsels um die Geburt von Gozu Tennō: Geschrieben in den kishōmon der Shiozu
     Hafenruinen], Himoji shiryō kenkyū                  17, 1–20.

                                                    18
Sie können auch lesen