Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen

 
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Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen
EINGEHENDE ANALYSE
In Auftrag gegeben vom ENVI Ausschuss

        Der Zusammenhang
      zwischen dem Verlust der
      biologischen Vielfalt und
         der zunehmenden
     Verbreitung von Zoonosen

                Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität
                        Generaldirektion Interne Politikbereiche
      Autorinnen und Autoren: Frank VAN LANGEVELDE, Hugo René RIVERA MENDOZA,
          Kevin D. MATSON, Helen J. ESSER, Willem F. DE BOER, Stefan SCHINDLER.   DE
                              PE 658.217 – Dezember 2020
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen
Der Zusammenhang
  zwischen dem Verlust der
biologischen Vielfalt und der
 zunehmenden Verbreitung
       von Zoonosen

 Abriss
 In den letzten Jahrzehnten hatten verschiedene tödliche
 Infektionskrankheiten einen zoonotischen Ursprung. Die
 Verbindungen zwischen Wirten, Vektoren, Parasiten und
 Krankheitserregern können durch eine Vielzahl von Faktoren wie
 biologische Vielfalt, Wildtiere und Landnutzung beeinflusst werden.
 Ein hohes Maß an biologischer Vielfalt kann eine potenzielle Quelle
 für die Übertragung von Krankheitserregern sein, aber auch der
 Verlust an biologischer Vielfalt kann die Übertragung fördern, indem
 die Anzahl der kompetenten Wirte für einen Krankheitserreger
 erhöht wird.
 Der Erhalt der biologischen Vielfalt verringert das Risiko von
 Zoonosen, wenn damit zusätzliche Lebensräume für Arten geboten
 werden, und so der potenzielle Kontakt zwischen Wildtieren,
 Nutztieren und Menschen verringert wird. Darüber hinaus ist eine
 Gesamtstrategie unter Einbeziehung von Wirt und Vektor eine
 praktikable Option.
 Weitere wichtige Maßnahmen sind die Einschränkung und
 hygienische Kontrolle des Handels mit Wildtieren unter
 Berücksichtigung der Bedürfnisse indigener Völker und lokaler
 Gemeinschaften.
 Jeder Fall erfordert eine Bewertung des besten Wegs zur
 Risikominderung unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf
 andere Ökosystemfunktionen oder -leistungen.
 Dieses Dokument wurde von der Abteilung für Politik, Wirtschaft
 und Lebensqualität im Auftrag des Ausschusses für Umweltfragen,
 öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) zur
 Verfügung gestellt.
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen
Dieses Dokument wurde vom Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und
Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments in Auftrag gegeben.

AUTORINNEN UND AUTOREN
Frank VAN LANGEVELDE, Universität Wageningen, im Auftrag des Umweltbundesamtes Österreich
Hugo René RIVERA MENDOZA, Umweltbundesamt Österreich
Kevin D. MATSON, Universität Wageningen
Helen J. ESSER, Universität Wageningen
Willem F. DE BOER, Universität Wageningen
Stefan SCHINDLER, Umweltbundesamt Österreich

VERANTWORTLICHER REFERENT
Christian KURRER

EDITIONSASSISTENZ
Catherine NAAS

SPRACHFASSUNGEN
DE
Original: EN

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Die Fachabteilungen liefern den internen und externen Sachverstand zur Unterstützung der
Ausschüsse des Europäischen Parlaments und anderer parlamentarischer Gremien bei der
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Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität
Europäisches Parlament
L-2929 Luxemburg
E-Mail: Poldep-Economy-Science@ep.europa.eu

Redaktionsschluss: Dezember 2020
Datum der Veröffentlichung: Dezember 2020
© Europäische Union, 2020

Dieses Dokument ist auch online über folgende Website abrufbar:
http://www.europarl.europa.eu/supporting-analyses

HAFTUNGSAUSSCHLUSS UND URHEBERRECHTSSCHUTZ
Die hier vertretenen Auffassungen geben die Meinung der Verfasser wieder und entsprechen nicht
unbedingt dem Standpunkt des Europäischen Parlaments.
Nachdruck und Übersetzung – außer zu kommerziellen Zwecken – mit Quellenangabe sind gestattet,
sofern das Europäische Parlament vorab unterrichtet und ihm ein Exemplar übermittelt wird.
Für Zitierungszwecke sollte das Dokument folgendermaßen angegeben werden: Van Langevelde, F.,
Rivera Mendoza, H. R. et al. The link between biodiversity loss and the increasing spread of zoonotic
diseases, Dokument für den Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und
Lebensmittelsicherheit, Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität, Europäisches
Parlament, Luxemburg, 2020.
© Bilder unter Lizenz von Adobe Stock verwendet.
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen

INHALT
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN                                                                                    4
VERZEICHNIS DER INFO-BOXEN                                                                                     4
VERZEICHNIS DER TABELLEN                                                                                       4
EINLEITUNG                                                                                                     5
1.   MIT ZOONOSEN VERBUNDENE RISIKEN                                                                           6
2.   WICHTIGSTE WECHSELWIRKUNGEN ZWISCHEN BIOLOGISCHER VIELFALT
     UND ZOONOSEN                                                                                            13
     2.1. Wechselwirkungen in Gebieten mit begrenztem menschlichen Einfluss                                   14
           2.1.1. Wildtiere in ihren natürlichen Lebensräumen                                                 14
           2.1.2. Fragmentierung und Verschlechterung natürlicher Lebensräume                                 15
           2.1.3. Naturgebiete in menschlichen Siedlungen oder in ihrer unmittelbaren Nähe                    16
     2.2. Wechselwirkungen in Gebieten unter menschlichem Einfluss                                            18
     2.3. Wechselwirkungen durch Wildtierjagd und Wildtierhandel                                              19
3.   SCHLUSSFOLGERUNGEN UND POLITISCHE OPTIONEN                                                              21
     3.1. Politische Optionen für Gebiete mit begrenztem menschlichem Einfluss                                22
     3.2. Politische Optionen für Gebiete unter menschlichem Einfluss                                         23
     3.3. Politische Optionen im Zusammenhang mit der Wildtierjagd und dem Wildtierhandel                     24
LITERATURVERZEICHNIS                                                                                         26

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VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
Abbildung1: Illustration des Verdünnungseffekts                                              15

VERZEICHNIS DER INFO-BOXEN
Info-Box 1: Glossar                                                                           6

VERZEICHNIS DER TABELLEN
Tabelle 1: Beispiele für Zoonosen, die außerhalb ihrer natürlichen Lebensräume gefunden wurden 8
Tabelle 2: Aufkommende Zoonosen und Mensch-Tier-Schnittstelle                                10
Tabelle 3: Fälle von Exposition gegenüber Zoonosen in der Tierproduktion                     10

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Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen

EINLEITUNG
In den letzten Jahrzehnten hatten eine
Vielzahl tödlicher Infektionskrankheiten,
darunter die Infektion mit dem humanen
Immunschwächevirus und das erworbene
Immunschwäche-Syndrom (HIV/AIDS), die
Vogelgrippe, Ebola, das Schwere Akute
Respiratorische Syndrom (SARS) und zuletzt
die Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19)1,
zoonotische Ursprünge.
Im Jahr 2020 wurde das weltweite
Bewusstsein für       die     Risiken und
dramatischen Folgen des Auftretens von
Zoonosen durch die COVID-19-Pandemie geschärft. Die möglichen Ursachen für die Pandemie
(einschließlich der direkten oder indirekten Rolle des Artenreichtums von Wildtieren und der
Landnutzung) haben seit Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Sie wurden jedoch nur unter Experten
diskutiert und standen nicht im Vordergrund allgemeiner und politischer Diskussionen.
Die Reaktion auf die derzeitige akute Pandemie konzentrierte sich hauptsächlich auf die Eindämmung
und Behandlung. Eindämmungsmaßnahmen haben laut dem jüngsten IPBES-Workshop-Bericht zu
Biodiversität und Pandemien dramatische soziale und wirtschaftliche Auswirkungen auf die meisten
Gesellschaften gezeigt. Wie in so vielen anderen Fällen ist die Prävention eindeutig effizienter als die
Behandlung, und die Bedingungen, die die Entstehung und Ausbreitung von Zoonosen begünstigen
oder dazu beitragen, müssen besser verstanden werden, um sie zu verhindern.
Mit dieser eingehenden Analyse soll das Europäische Parlament dabei unterstützt werden, zu
verstehen, welche Maßnahmenbereiche zu einem geringeren Risiko für Zoonosen führen können. Hier
wird daher ein Überblick über bestehende Bewertungen gegeben, mit dem die komplexen
Zusammenhänge zwischen biologischer Vielfalt und Risiko für Zoonosen aufgezeigt werden, und es
wird versucht, die folgenden Fragen zu beantworten:
     •    Welche Risiken sind mit Zoonosen verbunden?
     •    Welches sind die wichtigsten Wechselwirkungen zwischen biologischer Vielfalt und Zoonosen?
    •     Welche Maßnahmenbereiche könnten zur Risikominderung beitragen?
Insbesondere die Frage nach möglichen Maßnahmen ist aufgrund der Vielzahl von Wechselwirkungen
komplex, da häufig positive und negative Auswirkungen auf das Risiko von Zoonosen und die
biologische Vielfalt kombiniert werden. In dieser Studie liegt daher der Fokus darauf, einen Überblick
über die Komplexität des Themas und mögliche Wege in mehreren Politikbereichen innerhalb und
außerhalb des Gebiets der Europäischen Union zu geben.

1
    Andersen et al. 2020, Wu et al. 2020.

                                                       5                                              PE 658.217
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1. MIT ZOONOSEN VERBUNDENE RISIKEN
Zwischen 1940 und 2004 wurden weltweit 2 mehr als 300 Ereignisse neu auftretender Krankheiten beim
Menschen identifiziert, entweder aufgrund von Krankheitserregern, die sich innerhalb derselben
Wirtsart zu einem neuen Stamm entwickelt haben oder sich auf neue Wirtsarten umgestellt haben.
Eine Vielzahl tödlicher Infektionskrankheiten wie HIV-AIDS, Vogelgrippe, Ebola, SARS und COVID-19
traten auf 3.
Viele der Krankheitserreger, die diese Krankheiten verursachen, sprangen auf den Menschen über,
nachdem der Mensch Eingriffe in Naturgebiete (Wälder, Feuchtgebiete) vorgenommen hatte, und
verbreiteten sich rasch in andere Teile der Welt.
Beispielsweise handelt es sich bei dem West-Nil-Fiebervirus, einem von Mücken übertragenen
Flavivirus, um ein menschliches und aviäres Neuropathogen, das in Teilen Afrikas, Asiens, Europas und
Australiens heimisch ist und in einem Übertragungszyklus zwischen Mücken–Vögel–Mücken in der
Natur erhalten bleibt 4. Es wurde erstmals 1937 im Distrikt West-Nil in Uganda entdeckt.
Info-Box 1: Glossar

    Endwirt: die menschliche Population, wenn ein Krankheitserreger von einer anderen Art auf den Menschen übertragen wird.

    Verdünnungseffekt: beschreibt eine Situation, in der eine höhere Artenvielfalt aufgrund der Verringerung der Krankheitserreger
    bei bestimmten Wirten zu einem geringeren Krankheitsrisiko führt.
    Ökosystemleistungen: die vielfältigen Vorteile, die die natürliche Umwelt und gesunde Ökosysteme für den Menschen bieten.

    Neu auftretende Seuchen: Krankheiten, die durch Krankheitserreger verursacht werden, die sich innerhalb derselben Wirtsart zu
    einem neuen Stamm entwickelt haben oder sich an neue Wirtsarten angepasst haben
    Fragmentierung des Lebensraums/Waldes: Der Prozess, der zu Diskontinuitäten im Lebensraum einer Art führt. Die
    Fragmentierung des Lebensraums resultiert häufig aus menschlichen Aktivitäten wie der Landumwandlung (Fahrig 2003).

    (Wildtiere–Nutztiere–Menschen) Schnittstellen: Gebiete mit einem höheren Potenzial für die Interaktion zwischen Wildtieren,
    Nutztieren und Menschen, das zum Überspringen von Zoonosen führen kann.

    Reservoirwirt: Nicht-menschliche Wirte für eine bestimmte Zoonose, die direkt oder indirekt über einen Vektor (z. B. eine Mücke)
    übertragen werden kann.
    (Reservoirwirt) Kompetenz: Das Potenzial einer Art, Krankheitserreger zu unterstützen und zu übertragen (Huang et al. 2013a).

    (Krankheitserreger) Überspringen: Tritt auf, wenn eine Reservoirwirtspopulation mit einer hohen Anzahl von Krankheitserregern
    mit einer neuartigen Wirtspopulation in Kontakt kommt. Der Erreger wird von der Reservoirpopulation übertragen und kann
    innerhalb der neuen Wirtspopulation übertragen werden.

    Rekombination: Bezieht sich auf den Austausch von genetischem Material zwischen verschiedenen Organismen, was zur Produktion
    von Nachkommen mit Kombinationen von Merkmalen führt, die sich von denen unterscheiden, die bei beiden Elternorganismen
    gefunden wurden. Die neuen Krankheitserreger können plötzlich sehr gefährlich für Menschen werden.
    Vektor: Art, die einen Krankheitserreger zwischen den Reservoirwirten und den Endwirten überträgt.

    Zoonose: Krankheit beim Menschen, die durch einen Krankheitserreger, der von einem Tier auf einen Menschen übergesprungen
    ist, verursacht wurde.

Quelle: Ausarbeitung des Autors.

2
     Jones et al. 2008.
3
     Wang & Eaton 2007, Allen et al. 2017, Andersen et al. 2020, Wu et al. 2020.
4
     Campbell et al. 2002.

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Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen

Der Ausbruch von New York City im Jahr 1999 verursachte schätzungsweise 8 200 Infektionen beim
Menschen, was zu ungefähr 1 700 Fällen von West-Nil-Fieber führte5, und war der Beginn einer großen
Epidemie in Nordamerika. Das Virus erreichte 1999 die Westküste der USA. In den nächsten elf Jahren,
zwischen 1999 und 2010, wurden 1,8 Millionen Menschen infiziert, mit 360 000 Erkrankungen, 12 852
gemeldeten Fällen von Enzephalitis/Meningitis und 1 308 Todesfällen 6.
Zoonosen werden im Allgemeinen in drei Gruppen eingeteilt 7:
   • direkt übertragene Krankheiten, bei denen der Reservoirwirt (der durch den Krankheitserreger
      nicht wesentlich geschädigt wird) den Krankheitserreger direkt auf den endgültigen Wirt
      (einen daran erkrankenden Menschen) überträgt;
      • durch Vektoren übertragene Krankheiten (der Vektor überträgt den Erreger zwischen dem
        Reservoirwirt und dem Endwirt); und
      • durch Parasiten verursachte Krankheiten.
Endwirte sind immer Menschen.
Reservoirwirte sind oft:
      • Nagetiere,
      • Fledermäuse,
      • Fleischfresser,
      • Vögel,
      • Reptilien oder
      • Schnecken.
Vektoren sind für gewöhnlich:
      • Mücken,
      • Sandfliegen,
      • Zecken,
      • Vögel,
      • Schnecken oder
      • kleine Säugetiere wie Nagetiere.
Zu den beteiligten Krankheitserregern gehören:
      • Viren,
      • Bakterien und
    • Pilze.
Parasiten umfassen:
      • Nematoden und
      • Protozoen (einzellige Organismen).
Die Verbindungen zwischen Wirten, Vektoren, Parasiten und Krankheitserregern sind komplex und
können durch Umweltbedingungen beeinflusst werden. „Spillover“ bzw. zoonotische Übersprünge

5
    Petersen et al. 2007.
6
    Kilpatrick 2011.
7
    Huang et al. 2017; Rabitsch et al. 2017.

                                                       7                                              PE 658.217
IPOL | Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität

 (wenn ein Krankheitserreger einen neuen Wirt infiziert) oder „Spillbacks“ (wenn eine gebietsfremde Art
 in ein Ökosystem eingeführt wird und Wirt für einen heimischen Krankheitserreger wird) können
 verschiedene Kombinationen von Wechselwirkungen zwischen heimischen und nicht heimischen
 Organismen umfassen. Diese Dynamik wird häufig von Treibern des globalen Wandels gefördert, wie
 z. B. Klimawandel, Verschlechterung des Ökosystems oder sogar dessen Erholung8.
 Tabelle 1: Beispiele für Zoonosen, die außerhalb ihrer natürlichen Lebensräume gefunden
           wurden
                                                                                                         Beispiele für
                                                                     Beispiele für
                                                                                                            nicht
       Krankheit              Erreger/Parasit   Übertragung         Reservoirwirts      Ursprung
                                                                                                          heimische
                                                                        arten
                                                                                                         Vorkommen
                                                                     Afrikanischer
                                                                    Büffel, Großer
                              Mycobacterium       Aerosol-                             Afrikanische
 Rindertuberkulose                                                    Kudu, Rind,                          Weltweit
                                  bovis         übertragung                               Länder
                                                                    Bison, Elch und
                                                                         Hirsch

                                                                     Menschen,
                                                                                                          Asien, Afrika,
      Chikungunya-                                                   Nagetiere,
                              Chikungunya-                                             Afrika-Asien      Europa, Nord-,
                                                   Mücken           Vögel, andere
         Fieber                   Virus                                                  (Indien)          Mittel- und
                                                                       kleine
                                                                                                          Südamerika
                                                                     Säugetiere

                                                                                                         Europa, Nord-,
                                                                      Menschen,
     Dengue-Fieber            Dengue-Virus         Mücken                             Tropische Zone      Mittel- und
                                                                       Primaten
                                                                                                          Südamerika

                                                                        Hunde
                                Dirofilaria                                            Süd-Europa
Herzwurmerkrankung                                 Mücken            (und andere                            Europa
                                 repens                                                Afrika, Asien
                                                                    Fleischfresser)

                                                                    Sigmodontinae,
                                                                       Abrothrix
                                                                       longipilis,     Nord-, Mittel-    Europa, Nord-,
       Hantavirus-                                Aerosol-
                               Anden-Virus                             Abrothrix           und            Mittel- und
     Lungensyndrom                              übertragung
                                                                       olivaceus,      Südamerika         Südamerika
                                                                     Loxodontomys
                                                                       micropus

                                                                                      (Sub-) Tropische   Europa, Nord-,
                                Leishmania                             Hunde,
      Leishmaniose                              Sandfliegen                                Zone,          Mittel- und
                                    spp.                              Nagetiere
                                                                                        Süd-Europa        Südamerika

                                                                    Weißfußmäuse,
                                                                       Streifen-
                                 Borrelia
     Lyme-Borreliose                               Zecken           Backenhörnchen,    Nordamerika       Nord-Halbkugel
                                burgdorferi
                                                                     Kurzschwanz-
                                                                      spitzmäuse

 8
      Rabitsch et al. 2017.

 PE 658.217                                                 8
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen

                                                                                                                         Beispiele für
                                                                           Beispiele für
                                                                                                                            nicht
      Krankheit              Erreger/Parasit        Übertragung           Reservoirwirts            Ursprung
                                                                                                                          heimische
                                                                              arten
                                                                                                                         Vorkommen
                                                                                                                         Tropische und
                               Plasmodium                                                            Afrika;
       Malaria                                          Mücken               Menschen                                     subtropische
                                   spp.                                                           (Süd-Europa)
                                                                                                                            Gebiete

                                                                               Kleine                                   Weltweit außer
         Pest                 Yersinia pestis             Flöhe                                        China
                                                                             Säugetiere                                   Ozeanien

                                                                             Vogelarten,
                                                                             Menschen,
     Usutu-Fieber              Usutu-Virus              Mücken               Pferde und                Afrika                Europa
                                                                               andere
                                                                             Säugetiere

                                                                            Vögel (z. B.
                                                                            Blauhäher,
                                                                                               Afrika,
                                                                          Purpur-Grackel,                                Nord-, Mittel-
                                                                                          Westasien und
                                                                           Hausgimpel,                                        und
    West-Nil-Fieber          West-Nil-Virus             Mücken                            der Nahe Osten,
                                                                           Amerikaner-                                   Südamerika,
                                                                                          Australien, Teile
                                                                              krähe,                                     Teile Europas
                                                                                              Europas
                                                                           Haussperling,
                                                                          Wanderdrossel)

                                                                                                                         Afrika, Mittel-
                                Gelbfieber                                    Affen,
      Gelbfieber                                        Mücken                                         Afrika                 und
                                  Virus                                      Menschen
                                                                                                                          Südamerika

                                                                                                                          Afrika, Nord,
                                                                                                                           Mittel- und
      Zikafieber                 Zikavirus              Mücken                  Affen              Afrika-Asien           Südamerika,
                                                                                                                           Asien und
                                                                                                                             Pazifik

Quelle: Rabitsch et al. (2017); States et al. (2014); Huang et al. (2013a); Piudo et al. (2011); Allan et al. (2009); Allan et al. (2003);
        https://www.who.int/; https://www.cdc.gov/ (beide abgerufen am 17.11.2020).

Einige der wichtigsten in der wissenschaftlichen Literatur beschriebenen Reservoirwirte sind häufig
anfällig in Bezug auf Treiber des Verlusts an biologischer Vielfalt, wie z. B. Landnutzungsänderungen.
Nagetiere interagieren zum Beispiel eng mit Menschen und Nutztieren. Fleischfresser sind bei einer
Verstädterung von besonderer Bedeutung, auch in Europa, wie dies bei Echinococcus multilocularis der
Fall ist, einem Bandwurm, der bei Füchsen vorkommt. Nichtmenschliche Primaten sind in Afrika und
Asien maßgeblich, während Fledermäuse besonders wichtig wegen ihrer Fähigkeit sind, große
Entfernungen zurückzulegen, und wegen ihrer Neigung, engen Kontakt zu ihren Artgenossen zu
halten. Auch Nutztiere können Reservoirwirte für mehrere in Tabelle 1 genannte Zoonosen sein 9.

9
     White & Razgour 2020.

                                                                  9                                                        PE 658.217
IPOL | Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität

Lebendtiermärkte, Wildtierjagd, intensive Wildtierhaltung (z. B. von Hirschen, Nagetieren, Zibetkatzen,
Mangusten, Pelzsäugetieren, Straußen) und Haustiere sind die häufigsten Schnittstellen zwischen Tier
und Mensch für aufkommende Zoonosen, was zu einer zoonotischen Übertragung auf den Menschen
führt (Tabelle 2). Krankheitserreger können durch Verzehr, medizinische Verwendung, Umgang mit
dem lebenden Tier oder Schlachtung und/oder Zubereitung des Fleisches zum Verkauf oder Verzehr
übertragen werden.
Tabelle 2: Aufkommende Zoonosen und Mensch-Tier-Schnittstelle

     Wahrscheinliche Schnittstelle zwischen Tier und
                                                                                  Aufkommende Zoonosen
                       Mensch

                       Lebendtiermärkte                                         SARS, COVID-19, Vogelgrippe

                           Wildtierjagd                                                   HIV, Ebola

                  Intensive Wildtierhaltung                                    COVID-19, Tollwut, Vogelgrippe

                             Haustiere                                  equiner Morbillivirus, Nipah-Virus, Vogelgrippe

Quelle: Magouras et al. (2020).

Nutztiere sind ohne Zweifel die Tiere mit dem größten Kontakt zum Menschen und spielen daher eine
besondere Rolle bei der Übertragung. Eine systematische Überprüfung10 ergab 16 Zoonosen, die über
Nutztiere auf den Menschen übertragen werden (Tabelle 3). Die häufiger beobachteten Ereignisse
waren das Methicillin-resistente Staphylococcus aureus, das Lungenentzündung, Hirnhautentzündung,
Knochenmarkentzündung, Herzinnenhautentzündung, toxisches Schocksyndrom und verschiedene
Formen der Vogelgrippe verursachen kann, sowie Coxiella brunetii, das in schweren Fällen eine
Lungenentzündung oder Hepatitis verursachen kann. Am meisten exponiert waren Menschen, die in
engem Kontakt oder in der Nähe der Reservoirwirte arbeiteten, oder Menschen, die in engem Kontakt
mit Beschäftigten in der Land- und Viehwirtschaft standen11.
Tabelle 3: Fälle von Exposition gegenüber Zoonosen in der Tierproduktion

      Krankheitserreger/Zoonose                            Beteiligte Tiere                   Infizierte Personen

                                                                                         Verbraucher, Arbeiter in der
         Antibiotikaresistente
                                                                 Schweine               Schweinezucht, Schlachthof-
            Escherichia coli
                                                                                                 Arbeiter

       Vogel-Metapneumovirus                                 Truthühner                    Züchter und Verarbeiter

                Blastocystis                                     Schweine               Arbeiter in der Schweinezucht

10
      Klous et al. 2016.
11
      Klous et al. 2016 & ww.cdc.org, abgerufen am 22.11.2020.

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Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen

   Krankheitserreger/Zoonose                     Beteiligte Tiere                  Infizierte Personen

                                                                                   Tierärzte, Schäfer,
            Brucella spp.                        Schafe, Ziegen
                                                                                    Labortechniker

                                                                               Milcharbeiter, im Haushalt
        Campylobacter spp.                           Rinder
                                                                                    lebende Kinder

      Chlamydophila psittaci                  Hühner, Truthühner                  Schlachthof-Arbeiter

                                                                                  Landwirte, Tierärzte,
           Coxiella burnetii                         Rinder                      Besamungstechniker,
                                                                                     Hufschneider

                                                                               Schüler und Lehrer, die auf
     Cryptosporidium parvum                      Rinder, Büffel
                                                                               einem Bauernhof campen

                                                                                    Landarbeiter,
     Cryptosporidium parvum                          Rinder
                                                                                 Haushaltsangehörige

                                                                            Bewohner in einem Gebiet mit
    ESBL-Enterobacteriaceae                         Geflügel                   hoher und niedriger
                                                                                 Geflügeldichte

                                                                              Keulungspersonal, Reiniger,
                                            Truthühner, Legehennen,             Biosicherheitsmanager,
    H5N1, H7N7 Vogelgrippe
                                            Masthähnchen, Geflügel              Geflügelarbeiter, nicht
                                                                                 exponierte Kontrollen

                                            Katzen, Hühner, Hirsche,
                                                                                  Schweineschlächter,
         Hepatitis-E-Virus                  Ziegen, Pferde, Schweine,
                                                                                   Fleischbeschauer
                                                      Schafe

  MRSA (Methicillin-resistenter                                             Arbeiter in der Schweinezucht,
                                                   Schweine
    Staphylococcus aureus)                                                  Verarbeiter, Familie, Bewohner

                                                                               Menschen, die illegal Tiere
               Orfvirus                          Schafe, Ziegen
                                                                                     schlachten

          Schweinegrippe                           Schweine                         Schweinezüchter

     Trichophyton verrucosum                         Rinder                          Rinderzüchter

Quelle: Angelehnt an Klous et al. (2016).

                                                      11                                             PE 658.217
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Die oben genannten Beispiele zeigen, wie durch internationale Reisen, Jagd und Handel mit Wildtieren,
eine intensivierte Tierproduktion oder einen intensivierten Kontakt zwischen Wildtieren und
Menschen zoonotische Krankheitserreger leicht über einen Vektor oder direkt von Reservoirwirten auf
den Menschen überspringen können. Kapitel 2 zielt darauf ab, verschiedene Arten von
Wechselwirkungen zwischen biologischer Vielfalt und Zoonosen aufzuzeigen.

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Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen

2. WICHTIGSTE WECHSELWIRKUNGEN ZWISCHEN BIOLOGISCHER
   VIELFALT UND ZOONOSEN
Die Vorstellung, dass sich die Vielfalt eines Ökosystems auf die Übertragung von Krankheitserregern
auswirkt, ist schon mehr als 60 Jahre alt. Im Jahr 1958 stellte Charles S. Elton fest, dass Ausbrüche (von
Infektionskrankheiten) am häufigsten auf kultiviertem oder bepflanztem Land auftreten, d. h. in
Lebensräumen und Gemeinschaften, die vom Menschen stark vereinfacht wurden. Das Verständnis,
wie die biologische Vielfalt die Übertragung von Krankheitserregern beeinflusst, ist seit langem eine
zentrale Frage in der Krankheitsökologie.
Intensivierter grenzüberschreitender Handel und internationale Reisen können als die wichtigsten
Treiber für das Auftreten von Zoonosen außerhalb ihrer natürlichen Umgebung identifiziert werden.
Zu den bekanntesten Beispielen für die Einschleppung eines Zoonosevektors in Europa gehört die
asiatische Tigermücke Aedes albopictus. Dieses Insekt ist eine aggressive, tagsüber stechende Mücke,
die weltweit aufgrund ihrer Relevanz für (unter anderem) Ausbrüche des West-Nil-Virus, des Dengue-
Virus und des Chikungunya-Virus als Bedrohung für die öffentliche Gesundheit in Erscheinung tritt 12.
Die Mücke wurde mit dem Handel mit gebrauchten Reifen und Zierpflanzen aus ihrer Heimat in
Ostasien eingeschleppt und hat sich in den letzten Jahrzehnten auf allen Kontinenten außer der
Antarktis etabliert, einschließlich Europa (1979), den Festlandstaaten der USA (1985) sowie Mittel- und
Südamerika (1980–1990er Jahre) 13. Der Klimawandel kann ein fördernder Faktor für die Etablierung
neuartiger Vektoren sein, beispielsweise bestimmter Mückenarten in europäischen Regionen mit
gemäßigtem Klima 14. Eine erhöhte Exposition von Menschen, Reservoirwirten wie Nagetieren oder
Nutztieren gegenüber Wildtieren aufgrund der Fragmentierung von Lebensräumen oder Entwaldung
in tropischen Gebieten erhöht das Risiko zoonotischer Übersprünge.
Es besteht jedoch noch kein eindeutiger Konsens darüber, wie sich die biologische Vielfalt auf
Infektionskrankheiten auswirkt. Dies hängt stark von der Art des Krankheitserregers und seiner
Übertragung ab. Bei direkt übertragenen Krankheiten wie HIV, Masern und humaner Tuberkulose hat
eine Veränderung der biologischen Vielfalt möglicherweise überhaupt keine Auswirkungen. Bei
Krankheitserregern wie dem West-Nil-Virus hingegen können Veränderungen der biologischen Vielfalt
Auswirkungen haben, da nicht nur Menschen oder Primaten, sondern auch mehrere Vogelarten mit
diesem Virus infiziert werden können. Dies gilt auch für das Hantavirus, mit dem nicht nur Menschen,
sondern auch mehrere Säugetiere infiziert werden können, und für Leptospirose, die durch
Exkremente von Ratten übertragen wird. Die Komplexität wird noch verstärkt, da Vektoren, die
regelmäßig mit mehreren Wirten interagieren, möglicherweise weniger von Änderungen der
biologischen Vielfalt beeinflusst werden als Vektoren mit einer begrenzten Anzahl von Wirten. Darüber
hinaus kann die genetische Verarmung von Wildtierpopulationen in geschädigten und fragmentierten
Lebensräumen eine geringe Immunität bedeuten und somit die Kompetenz für Krankheitserreger
erhöhen 15. Die Größe dieser Lebensräume für Wildtiere und ihre Nähe und Konnektivität zu
benachbarten Wildtiergebieten wirken sich auf die Vielfalt der Wirtsarten und das Auftreten

12
     Bonizzoni et al. 2013.
13
     Medlock et al. 2012; Bonizzoni et al. 2013.
14
     Schindler et al. 2018.
15
     Rohr et al. 2020.

                                                       13                                              PE 658.217
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kompetenter Wirte und Krankheitserreger aus. Dies erhöht auch das potenzielle Risiko eines
„Spillover“ 16.
Natürliche und anthropogene Ökosysteme und Prozesse darin sind sehr eng miteinander verbunden,
insbesondere in Bezug auf Zoonosen und deren Übertragung auf den Menschen. Um die
verschiedenen Zusammenhänge zu veranschaulichen, gliedern wir im Folgenden die relevanten
Prozesse in:
      i)   Prozesse, die hauptsächlich in natürlichen Gebieten mit begrenztem menschlichen Einfluss
           stattfinden (Kapitel 2.1.),
      ii) Prozesse, die hauptsächlich in Gebieten unter             anthropogenem Einfluss         wie
          landwirtschaftlichen Flächen auftreten (Kapitel 2.2.),
      iii) Prozesse in bestimmten Situationen, in denen Menschen in starken Kontakt mit Wildtieren
           kommen, z. B. im Wildtierhandel und auf sogenannten Wet Markets (Kapitel 2.3.).

2.1.        Wechselwirkungen in Gebieten mit begrenztem menschlichen
            Einfluss
In diesem Kapitel werden Beispiele aus der wissenschaftlichen Literatur zu Zusammenhängen
zwischen der biologischen Vielfalt und dem Risiko von Zoonosen für den Menschen vorgestellt.

2.1.1.             Wildtiere in ihren natürlichen Lebensräumen
Die Auswirkungen der Artenvielfalt von Wildtieren auf die Übertragung von Krankheitserregern
können je nach Krankheitserreger und seinem natürlichen Vorkommen in Wildtieren variieren.
Wildtiere sind das Hauptreservoir für neu aufkommende Zoonosen und fungieren häufig als
Überträger des Krankheitserregers 17.
Ein hohes Maß an biologischer Vielfalt kann eine stärkere Übertragung von Krankheitserregern
bedeuten. Ein hohes Maß an biologischer Vielfalt kann eine große potenzielle Quelle für (neuartige)
Krankheitserreger darstellen und die Übertragung von Krankheitserregern fördern, beispielsweise
durch eine hohe Vielfalt und Häufigkeit von Vektoren (z. B. Zecken, Mücken). Dies ist als die Hypothese
bekannt, dass „Vielfalt erzeugt“. Im Allgemeinen weisen Länder mit hoher biologischer Vielfalt eine
hohe Krankheitslast auf 18, aber auch in gemäßigten Regionen kann die Etablierung invasiver
gebietsfremder Arten zu einem erhöhten Risiko führen, dass Zoonosen auf Nutztiere und Menschen
überspringen19.
Eine Verringerung der biologischen Vielfalt kann eine höhere oder niedrigere Übertragung von
Krankheitserregern bedeuten. Eine geringere Vielfalt bestimmter Arten kann jedoch auch die
Übertragung von Krankheitserregern fördern. Wenn ein Ökosystem beispielsweise Arten verliert, die
für einen bestimmten Krankheitserreger inkompetente oder suboptimale Wirte waren, treten die
verbleibenden kompetenten Wirte in höheren Dichten auf. Dies hängt mit dem sogenannten
„Verdünnungseffekt“ zusammen (siehe Abbildung 1 für eine Illustration).

16
     Hassell et al, 2017.
17
     Johnson & Thieltges 2010, Keesing et al. 2006, 2010.
18
     Wood et al. 2017.
19
     Rabitsch et al. 2017, Schindler et al. 2018.

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Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen

Abbildung1: Illustration des Verdünnungseffekts

Bemerkung:      In einem Gebiet mit zwei Arten (rechte Seite) mit einem kompetenten und inkompetenten empfänglichen Wirt
                (weiße Kreise und blaue Quadrate) hat das infizierte Tier (roter Kreis) eine geringere Wahrscheinlichkeit, einem
                kompetenten Wirt zu begegnen als in einem Gebiet mit nur kompetenten Wirten (linke Seite).

Quelle:         Ausarbeitung des Autors.

Wenn es weniger inkompetente Wirte gibt, kommt es häufiger zu einer Begegnung eines infizierten
Tieres oder eines infizierten Vektors mit einem empfänglichen Wirt, und daher breitet sich der
Krankheitserreger besser aus. Dies erhöht das Risiko eines Überspringens auf Nutztiere oder
Menschen 20.
In ähnlicher Weise endet die Übertragung, wenn viele kompetente Wirte verschwinden, während viele
inkompetente Wirte übrig bleiben, da Krankheitserreger eher in inkompetenten Wirten landen21.

2.1.2.            Fragmentierung und Verschlechterung natürlicher Lebensräume
                                                         Ungestörte Lebensräume weisen häufig
                                                         eine hohe Vielfalt an Tieren und
                                                         Krankheitserregern auf22. Die Entwaldung
                                                         und die Umwandlung von Naturgebieten
                                                         in von Menschen dominierte Gebiete
                                                         führen zu einem großen Verlust oder einer
                                                         Verschlechterung und Fragmentierung
                                                         von           Lebensräumen           und
                                                         Wildtierpopulationen . Die
                                                                               23
                                                                                           daraus
                                                         resultierenden       Überreste       von
                                                         Naturgebieten weisen ein erhöhtes Risiko
                                                         für Zoonosen auf. Ein Beispiel ist die
                                                         Ausbreitung der Lyme-Borreliose infolge
der wachsenden Populationen von Weißwedelhirschen und Weißfußmäusen in einer Landschaft ohne
große Raubtiere24. Fragmentierte Lebensräume können auch zu einer Zunahme der Wirtsbewegung
von Naturgebieten in Gebiete führen, die für Nutztiere und städtische Siedlungen genutzt werden25.
Der zunehmende Eingriff des Menschen in fragmentierte Naturgebiete (einschließlich der Beweidung

20
     Randolph and Dobson 2012, Huang et al. 2017.
21
     Keesing et al. 2010.
22
     Han et al. 2016, Mollentze & Streicker 2020.
23
     Fahrig 2003; Newbold et al. 2015.
24
     Allan et al. 2003.
25
     z. B. Suzán et al. 2008.

                                                             15                                                   PE 658.217
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durch Nutztiere) fördert höhere Kontaktraten zwischen Krankheitserregern und Vektoren mit
Haustieren und Menschen.
Es wird angenommen, dass die Ränder der verbleibenden Naturgebiete wichtige Startpunkte für
neuartige Viren sind, die auf den Menschen überspringen können26. Straßenlose Gebiete, die für die
Erhaltung der einheimischen Artenvielfalt von hoher Relevanz sind, indem sie Lebensraum für
lebensfähige Populationen sicherstellen und als Barriere gegen invasive gebietsfremde Arten und
andere menschliche Einflüsse dienen, sind daher auch für die Krankheitsbekämpfung von hoher
Bedeutung 27. Zum Beispiel nimmt die Länge der Ränder der verbleibenden Wälder zu, wenn Menschen
beginnen, Gebiete durch den Bau von Straßen zu entwickeln. An diesen Rändern kommen Menschen
und ihre Nutztiere eher mit Wildtieren in Kontakt, insbesondere in Gebieten mit einer Verringerung der
Waldfläche um mehr als 25 % 28. Der Straßenbau, die Erweiterung menschlicher Siedlungen sowie Vieh-
und Ackerland in der Nähe der verbleibenden Wälder haben zu einem zunehmenden Überspringen
von Krankheitserregern geführt. So sind beispielsweise Fledermäuse die wahrscheinlichen Reservoirs
von Ebola, Nipah, SARS und dem Virus hinter COVID-19. Flughunde ernähren sich eher in der Nähe
menschlicher Siedlungen, wenn ihre Waldlebensräume gestört sind. Dies war ein Schlüsselfaktor für
die Entstehung von Viren in Westafrika, Malaysia, Bangladesch und Australien 29. Ein weiteres Beispiel
im Zusammenhang mit Waldrändern ist die Mückengemeinschaft, die Überträger für viele Krankheiten
ist. Die Schaffung von Grasland für Nutztiere, die in Nachbarschaft zu Regenwäldern weiden, erhöht
das Risiko der Übertragung von Mücken auf Nutztiere 30. Dies gilt auch für ein erhöhtes Malariarisiko in
neu geschaffenen Waldrändern in Peru, für die amerikanische kutane Leishmaniose in Costa Rica und
für das Hantavirus in Panama 31.
Urbane Systeme können als Konglomerat verschiedener Gebiete angesehen werden, in denen
Menschen, Vektoren, Nutztiere und Wildtiere in unterschiedlichem Maße miteinander interagieren.
Diese Wechselwirkungsbereiche oder sogenannte Schnittstellen können z. B. Waldränder, Grenzen
zwischen Wildtiergebieten und Mülldeponien, Kläranlagen, Parks und grünen Erholungsgebieten usw.
sein. Sie implizieren nicht unbedingt das Überspringen von Krankheitserregern auf den Menschen.
Zusammen mit dem Wissen über die vorhandenen Populationen von Menschen, Wildtieren, Vektoren
und Nutztieren sowie deren Mobilität können solche Schnittstellen jedoch als Hinweise auf das Risiko
für Zoonosen dienen. Änderungen in der Landnutzung können zu einer uneinheitlicheren Struktur von
Lebensräumen für Wildtiere führen. Die Grenz- oder Übergangsbereiche zwischen diesen Gebieten
bieten ein größeres Potenzial für Wechselwirkungen zwischen Menschen, Vektoren, Wirten und
Krankheitserregern.

2.1.3.              Naturgebiete in menschlichen Siedlungen oder in ihrer unmittelbaren Nähe
Ein Beispiel für die Nähe von Gebieten mit hoher Dichte an Wildtieren und hoher Dichte an Menschen
sind Seen und Feuchtgebiete, in denen eine Vielzahl von Wasservögeln leben. Seen und Feuchtgebiete
liefern häufig Ökosystemleistungen wie Wasser für die Bevölkerung oder die Landwirtschaft. Die
Bereitstellung solcher Ökosystemleistungen fördert tendenziell die Entwicklung von Städten und

26
     Dobson et al. 2020.
27
     Siehe: Die Roadless Area Initiative, die 2007 vom Policy Committee der europäischen Sektion der Society of Conservation Biology (SCB)
     ins Leben gerufen wurde, www.roadless.online/roadless-areas
28
     Faust et al. 2018.
29
     Plowright et al. 2011, Pulliam et al. 2012, Olivero et al. 2017.
30
     Steiger et al. 2012.
31
     Gottwalt 2013.

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Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen

erhöht das Kontaktpotential zwischen Menschen und z. B. wandernden Wasservögeln. Es ist bekannt,
dass wandernde Wasservögel mehrere Krankheitserreger transportieren können, einschließlich der
Vogelgrippe, die von Wildvögeln stammt und über Geflügel auf den Menschen übertragen wurde32.
Seen und Feuchtgebiete sind auch für Vektoren wie Mücken von entscheidender Bedeutung und
gelten daher als Gebiete mit hohem Risiko für die Übertragung von Krankheitserregern. Aus diesem
Grund wurde das Austrocknen von Feuchtgebieten jahrhundertelang als angemessene Reaktion auf
die Gefahr von Zoonosen angesehen, bis die damit verbundenen Leistungen dieser Ökosysteme wie
Wasserversorgung, Klimaschutz und -anpassung, Erhaltung der biologischen Vielfalt, Erholungszwecke
usw. in den letzten Jahrzehnten besser erkannt wurde.
Auch andere Arten von Ökosystemen weisen verschiedene Artengemeinschaften in der Nähe dicht
besiedelter Gebiete auf, z. B. Überreste von Naturgebieten und Grünflächen, die Teil von Städten sind
oder sich in ihrer Nähe befinden. In einigen Fällen besteht ein mangelndes Verständnis dafür, ob
Wildtiere, die in diesen Gebieten leben, sicher mit Menschen zusammenleben können. Diese Gebiete
werden auch für Wildtiere immer wichtiger, da kleiner werdende Naturgebiete vielen Arten keinen
ausreichenden Lebensraum mehr bieten und einige Beeinträchtigungen der biologischen Vielfalt – wie
die direkte Verfolgung – im städtischen Kontext geringer sind. Einige Arten fühlen sich aufgrund des
Überflusses an Nahrungsmitteln und des Vorhandenseins von Schutzstrukturen zu stadtnahen und
städtischen Gebieten hingezogen.
In Europa und anderen Gebieten mit gemäßigtem Klima besiedeln neben Ratten, Mäusen und Katzen
zunehmend Kojoten, Füchse und Wildschweine städtische Gebiete und dienen als Reservoirwirte für
Zoonosen. So zeigten beispielsweise etwa 8 % der in Estland gemeldeten Rotfüchse Symptome von
Sarkoptesräude, einer Krankheit, die auch Haustiere, insbesondere Hunde, befällt 33. In den größten
städtischen Gebieten war der Anteil der mit Räude infizierten Füchse höher. Es war bekannt, dass
neben Räude ein erheblicher Teil der Rotfüchse in Estland mit dem lebensbedrohlichen Bandwurm
Echinococcus multilocularis infiziert war, dem Erreger der alveolären Echinokokkose. Daher können
Stadtfüchse eine Quelle schwerer Infektionskrankheiten für Haustiere und Menschen darstellen.
Wildschweine haben sich aufgrund des Klimawandels und weniger strenger Winter in nördliche
Regionen gewagt und waren an der Übertragung von durch Lebensmittel übertragenen Zoonosen wie
Brucellose 34, Salmonellose, Tuberkulose, Yersiniose, Toxoplasmose, Trichinellose und Hepatitis E
beteiligt.
Es wurde berichtet, dass Exkrementproben von Kojoten (Canis latrans) in stadtnahen Gebieten in
Manitoba (Kanada) die Bandwürmer E. multilocularis und E. canadensis enthalten, die den Menschen
befallen können. E. multilocularis kann beispielsweise bei Menschen zu einer Erkrankung mit
schlechter Genesungsprognose führen. Obwohl der Bandwurm keine Hunde infiziert hatte, wurde das
Risiko als hoch genug angesehen, um eine stärkere Überwachung des Bandwurms und gegebenenfalls
sanitäre Maßnahmen zu empfehlen 35. Ein ähnlicher Fall bezieht sich auf ein höheres Auftreten von mit
Lyme-Borreliose infizierten Zecken in Grünflächen im städtischen Kontext, während das Risiko in
ländlichen Gebieten geringer zu sein scheint 36.

32
     Bi et al. 2016, Li et al. 2017.
33
     Plumer et al. 2014.
34
     Fredriksson-Ahomaa 2019.
35
     Tse et al. 2019.
36
     Diuk-Waser et al. 2020.

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2.2.        Wechselwirkungen in Gebieten unter menschlichem Einfluss
Etwa die Hälfte der seit 1940 beim Menschen aufgetretenen Zoonosen resultierte aus Änderungen der
Landnutzung, insbesondere aus der Rodung von Land für die Pflanzen- und Tierproduktion, die
Menschen und Nutztiere in die Nähe der Wälder bringen 37. Die Tierproduktion und -zucht ist einer der
Haupttreiber für Landnutzungsänderungen weltweit, da Wälder gerodet werden, um Platz für den
Anbau von Pflanzen und Weideflächen zu schaffen, womit die steigende Nachfrage nach Fleisch
befriedigt werden soll 38. Diese menschlichen Aktivitäten haben die Kontaktraten zwischen Menschen
und Wildtieren in Kulturland neben Gebieten mit hoher biologischer Vielfalt erhöht und können ein
entscheidender Faktor sein, der ein Überspringen von Erregern verursacht.
Landnutzungsänderungen können zu einer lokalen Verringerung der biologischen Vielfalt mit dem
Verlust von Tierarten führen, die inkompetente Wirte sind, so dass kompetente Wirtsarten verbleiben,
die die Übertragung eines bestimmten Krankheitserregers auf den Menschen erleichtern (wie oben
beschrieben 39). In der Regel sind kompetente Wirtsarten in vom Menschen veränderten Landschaften
vorherrschend und häufiger anzutreffen als in ungestörten Naturgebieten, da sie widerstandsfähiger
gegenüber menschlichen Veränderungen ihrer Ökosysteme sind. Das Ausmaß dieses Effekts ist am
stärksten bei Nagetier-, Fledermaus- und Sperlingsvogelarten, die Wirte für viele Krankheitserreger
sind. Dies unterstreicht die globale Bedeutung dieser Artengruppen als Reservoir für Zoonosen.
Nutztiere spielen eine besonders wichtige Rolle bei der Ausbreitung von Zoonosen, da sie häufig als
Schnittstelle fungieren, die das Überspringen von Krankheitserregern auf den Menschen fördert40.
Dieser Übertragungsweg wird durch die hohe Anzahl von Viren veranschaulicht, die Haustiere mit
Menschen teilen 41. Krankheiten wie Diphtherie, Masern, Mumps, Rotavirus, Pocken und Influenza A
haben ihren Ursprung in Haustieren 42. Zu den Arten, die an Übertragungen beteiligt sind, gehören
nach einem aktuellen Bericht 43 hauptsächlich Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde, Geflügel, aber
auch Katzen und Hunde. Zu den besonders gefährdeten Berufen zählen Tierärzte, Keulungspersonal,
Schlachthofarbeiter und Landwirte. Übertragungen können jedoch auch bei kurzen Besuchen
auftreten, beispielsweise wenn Anwohner landwirtschaftliche Produkte kaufen44.
Hochproduktive Nutztierrassen mit relativ geringer genetischer Vielfalt machen diese weniger
widerstandsfähig gegen Umweltveränderungen und Krankheitserreger45. Wenn hohe Dichten des
Nutztierbestands zusammen mit Stressbedingungen auftreten, sind diese Tiere möglicherweise
anfälliger für Infektionen 46, wodurch Voraussetzungen für das Auftreten und die Ausbreitung von
Zoonosen geschaffen werden. Ein gutes Beispiel ist das Nipah-Virus, das erstmals von Flughunden auf
Hausschweine in Malaysia übertragen wurde. Die hohe Bestandsdichte von Schweinen in
landwirtschaftlichen Betrieben einerseits sowie die Flughunde andererseits, die weiter in
landwirtschaftliche Gebiete und menschliche Siedlungen vordrangen, erleichterten anschließend die

37
     Keesing et al. 2010.
38
     Machovina et al. 2015.
39
     Siehe auch Gibb et al. 2020.
40
     Kingsley 2018.
41
     Wells et al. 2020.
42
     Wolfe et al. 2007.
43
     Klous et al. 2016.
44
     Klous et al. 2016.
45
     Jones et al. 2013.
46
     Mourkas et al. 2020.

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Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen

Etablierung einer Übertragung von Schwein zu Schwein, woraufhin der Erreger von Schweinen auf
Menschen übersprang47.
Belege für einen Zusammenhang zwischen der Ausweitung der Landwirtschaft und Zoonosen wurden
für viele Zoonosen gefunden, darunter Lyme-Borreliose, Hantavirus, Gelbfieber und Malaria. Das
Überspringen auf und die Anpassung von Krankheitserregern an neue Wirte kann aufgrund der
Ansiedlung von Menschen und Tieren in früheren natürlichen Ökosystemen und der Schaffung von
Übergangszonen zwischen diesen beiden Arten von Ökosystemen auftreten. Manchmal haben sich
Vektoren wie bestimmte Mückenarten an Bewässerungskanäle für die Landwirtschaft angepasst und
breiten sich daher tief in vom Menschen besiedelte Gebiete aus 48.

2.3.         Wechselwirkungen durch Wildtierjagd und Wildtierhandel
Praktiken im Zusammenhang mit der Entwaldung und der Tierhaltung sowie der Jagd und dem Handel
mit Wildtieren sind Risikofaktoren für aufkommende Zoonosen, da Menschen in engen Kontakt mit
Wildtieren kommen, die Träger der Erreger sein können, die diese Krankheiten verursachen. Dies gilt
jedoch nicht unbedingt für den regulierten Handel mit Wildtieren in gemäßigten Klimazonen in
Europa. Der regulierte Handel kann in Anbetracht dessen, dass nicht genügend natürliche Raubtiere
vorhanden sind, als Steuerungselement fungieren, um bestimmte Wildtierpopulationen zu reduzieren.
Die lokale und globale Nachfrage nach Wildtieren führt dazu, dass Menschen in Wälder eindringen, um
Wildtiere zu jagen und zu sammeln, die anschließend in vielen Fällen auf Märkten in städtischen und
ländlichen Gebieten zum Verkauf angeboten werden49. Wildtiermärkte (oder sogenannte Wet Markets)
und der legale und illegale Handel mit Wildtieren bringen lebende und tote Wildtiere in engen Kontakt
mit Jägern, Händlern und Verbrauchern und erleichtern so die Übertragung von Krankheitserregern
von Wildtieren auf Menschen. Auf diesen Märkten werden Tiere vieler Arten in hoher Dichte
zusammengehalten, oft unter schlechten hygienischen Bedingungen, mit einem hohen Risiko, dass
sich Körperflüssigkeiten vermischen. Diese Märkte führen auch zu hohem Stress für die Tiere, was ihr
Immunsystem schwächt. Obwohl die genaue Quelle und der Infektionsweg umstritten ist, scheint
COVID-19 das Ergebnis einer zoonotischen Übertragung von einem ursprünglichen Wildtierwirt
gewesen zu sein, möglicherweise über einen tierischen Zwischenwirt, der in engen Kontakt mit
Menschen kam 50. Die unmittelbare Nähe verschiedener Wild- und Haustiere unter Bedingungen, wie
sie auf Wet Markets zu finden sind, kann die Rekombination von weiter entfernten Coronaviren und
neu auftretenden Viren mit Kombinationen von Merkmalen ermöglichen, die sich von denen der
beiden Elternviren unterscheiden 51. Diese neuen Krankheitserreger können plötzlich sehr gefährlich
für Menschen werden. Es bleibt die Frage, ob neuartige Krankheitserreger entstehen, weil Wild- und
Haustiere auf Wet Markets eng beieinander gehalten werden oder weil auf diesen Märkten insgesamt
schlechte hygienische Bedingungen herrschen.
Der Handel mit Wildtieren könnte einer der Schlüsselfaktoren für das Auftreten der COVID-19-
Pandemie gewesen sein. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass das Bewusstsein der
Verbraucher für das Risiko einer Zoonose in allen Fällen zu einem geringeren Verbrauch führt. Ein
Beispiel für einen erhöhten Verbrauch sind Ölprodukte von Wildtieren wie Robbenöl, die traditionell

47
     Epstein et al. 2006, siehe auch Kapitel 3.
48
     Jones et al. 2013.
49
     Dobson et al. 2020.
50
     Andersen et al. 2020, Wu et al. 2020.
51
     Li et al. 2020, Petrovan et al. 2020.

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mit gesundheitlichen Vorteilen verbunden werden und in Gebieten wie Dagestan (Russland) am
Kaspischen Meer einen Anstieg des Verbrauchs verzeichnet haben52.
Ein ähnlicher Effekt der COVID-19-Pandemie wurde in Afrika beobachtet, wo Gebiete unter
Naturschutz, die eine Lebensgrundlage für lokale Gemeinschaften sind, die pflanzliche und tierische
Ressourcen gewinnen, aufgrund wirtschaftlicher Belastungen stärker genutzt werden. Gleichzeitig
standen aufgrund geringerer öffentlicher Ausgaben und internationaler Hilfe sowie des
schwächelnden Tourismus erheblich weniger Mittel für den Naturschutz zur Verfügung. Andererseits
haben Länder wie Gabun den Verzehr von Fledermäusen und Schuppentieren als Reaktion auf die
COVID-19-Pandemie verboten, und eine geringere Nachfrage auf den asiatischen Märkten könnte den
Export bestimmter Wildtierarten verringern53.
Während der COVID-19-Krise wurde von vielen Interessengruppen ein allgemeines Verbot des Handels
mit Wildtieren befürwortet. Ein generelles Verbot der Jagd und des Handels mit Wildtieren würde sich
allerdings negativ auf die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen in Asien, Afrika und
Lateinamerika auswirken, insbesondere auf indigene Völker und lokale Gemeinschaften. Eine
nachhaltigere Option unter Berücksichtigung von Gesundheit, biologischer Vielfalt und
sozioökonomischen Vorteilen könnte darin bestehen, die Überwachung und Durchsetzung eines
Verbots des nicht nachhaltigen Handels mit Wildtieren außerhalb lokaler Gemeinschaften und des
transnationalen Handels mit Wildtieren zu verstärken54. Nicht alle diese Formen des nicht nachhaltigen
Handels sind illegal. Eine große Anzahl von Wildtieren wird gemäß den geltenden Rechtsvorschriften
weltweit jährlich importiert.
Ein weiterer Faktor, der berücksichtigt werden muss, ist die Praxis einer legalen intensiven
Wildtierhaltung. Zu den gezüchteten Säugetieren zählen Hirsche, Nagetiere, Zibetkatzen und
Pelzsäugetiere, manchmal unter Bedingungen, die ein geschwächtes Immunsystem und die
Übertragung von Zoonosen fördern. Beispiele hierfür sind die Vogelgrippe in Straußenfarmen in
Südafrika, Tollwut in Kudu-Farmen in Namibia und zuletzt das Auftreten von (potenziell mutiertem)
SARS-CoV-2 in Nerzfarmen in Dänemark, den Niederlanden und Belgien 55.

52
     Svolkinas 2020.
53
     Lindsey at al. 2020.
54
     Borzée et al. 2020.
55
     Magouras et al. 2020.

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Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen

3. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND POLITISCHE OPTIONEN
Es gibt keinen Standardansatz für die Bewertung der Auswirkungen auf das Risiko von Zoonosen, die
durch Veränderungen des Zustands der biologischen Vielfalt verursacht werden. Es scheint Konsens
darüber zu bestehen, dass die Beziehungen zwischen biologischer Vielfalt und Zoonosen unter
anderem je nach Übertragungsart, Wahrscheinlichkeit der Interaktion zwischen Wirten,
Krankheitserregern und/oder Vektoren sehr unterschiedlich sind. Jeder Fall würde gesonderte
Betrachtung erfordern, um zu bewerten, wie das Risiko am besten verringert werden kann, und es muss
sorgfältig darauf geachtet werden, dass eine Vielzahl anderer Faktoren berücksichtigt werden,
einschließlich der Auswirkungen auf indigene Völker und lokale Gemeinschaften in Hotspots für
biologische Vielfalt, auf Treibhausgasemissionen, auf Grün- und Erholungsgebiete im städtischen
Kontext oder auf andere Ökosystemfunktionen oder -leistungen.
Eine Möglichkeit, das Risiko von Pandemien durch das Überspringen von Zoonosen zu bewerten,
besteht in der Bewertung der Virusvielfalt bei tierischen Wirten. Dies basiert auf der Beobachtung, dass
COVID-19, SARS-CoV, MERS-CoV 56 und Ebola neben anderen Zoonosen von Tieren auf Menschen
übergesprungen sind. Viren zirkulieren jedoch ständig zwischen verschiedenen tierischen Wirten und
Menschen, ohne eine Übertragung zu weiteren Menschen zu bewirken. Daher reicht das
Virusmonitoring allein möglicherweise nicht aus und sollte durch die Bewertung der
Wechselwirkungen zwischen Mensch und Tier ergänzt werden. Dies kann ein Monitoring von
Krankheitsüberträgern wie Mücken und Zecken oder eine Bewertung der Fragmentierung von
Tierlebensräumen und der Nähe zu landwirtschaftlichen Flächen und menschlichen Wohnstätten in
Hotspots der biologischen Vielfalt umfassen57.
Wilkinson et al. (2020) entwickelten ein Modell, das die Beziehung zwischen Arten und den von ihnen
bewohnten Gebieten nutzt und mit dem das Risiko für den Menschen, abhängig von der
Bevölkerungszahl, an bestimmten neuartigen Zoonosen zu erkranken, vorausgesagt werden kann. Auf
ihre Ergebnisse stützen sich andere Studien, in denen darauf hingewiesen wird, dass das Risiko für
neuartige Zoonosen mit dem Verlust der biologischen Vielfalt steigt, bis ein mittleres Maß an Verlust
der biologischen Vielfalt erreicht ist.
Es gibt jedoch empirische Belege für die Vorteile der Förderung eines größeren Anteils nicht
kompetenter Wirte in einem bestimmten Bereich anstelle des Managements kompetenter Wirte. Dies
gilt insbesondere für Zoonosen mit mehreren Wirten, die von mehreren Vektoren übertragen
werden 58. In bestimmten Fällen, z. B. bei Wildtieren in der Nähe von städtischen Gebieten in Europa,
könnte das Management von Reservoirwirten (z. B. Verringerung des Risikos einer Interaktion mit
Fleischfressern oder Wildtieren) oder die Impfung von Reservoirwirten die Option der Wahl sein 59.
In den folgenden Kapiteln sollen einige Beispiele für derzeit vorgeschlagene politische Optionen
aufgeführt werden, nachdem die in Kapitel 2 vorgeschlagenen Zusammenhänge unterschieden
wurden. Einige dieser Optionen wurden auch in dem kürzlich veröffentlichten Workshop-Bericht zu

56
     Middle East respiratory syndrome (MERS).
57
     Bloomfield 2020.
58
     Bayliss et al. 2017; Rabitsch et al. 2017.
59
     Rohr et al. 2020.

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Biodiversität und Pandemien identifiziert, der von der Zwischenstaatlichen Plattform für Biodiversität
und Ökosystemdienstleistungen (IPBES) erstellt wurde 60.

3.1.        Politische Optionen für Gebiete mit begrenztem menschlichem
            Einfluss
Der Erhalt der biologischen Vielfalt kann eine besonders gute Wahl für die Risikominderung sein, wenn
die Wirtsdiversität das Risiko eines Überspringens verringert und das Management von kompetenten
Wirten wie Nagetieren schwierig ist 61. Insbesondere in Gebieten höchster Diversität könnten sich die
Erhaltungsbemühungen auf potenzielle „Hotspots“ von Wildtierpathogenen konzentrieren. Typische
Beispiele sind tropische Wälder und Feuchtgebiete. Die Erfassung und Erkundung nicht nur von
Krankheitserregern, sondern auch von Vektoren und Reservoirwirten kann die Identifizierung dieser
Gebiete erleichtern. Die hohe Anzahl potenzieller Zoonosen in Gebieten höchster Diversität kann
jedoch ein begrenzender Faktor für diesen Ansatz sein.
Mit Pufferzonen um natürliche Gebiete mit einer großen Vielfalt an Krankheitserregern, Wirten und
Vektoren herum würde der Kontakt zwischen Wildtieren, Nutztieren und Menschen verringert werden
und dazu beigetragen werden, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens neuer Krankheitserreger zu
verringern. Der Zusammenhang zwischen der Entwaldung und dem Auftreten von (neuartigen)
Krankheitserregern legt nahe, dass große Anstrengungen unternommen werden sollten, um intakte
Waldbestände in tropischen Ländern zu erhalten62.
Eine derzeit diskutierte politische Option betrifft eine nachhaltige EU-Handelspolitik und die Initiative
des Europäischen Parlaments, rechtsverbindliche Instrumente zur Sicherstellung eines
entwaldungsfreien Handels zu ermöglichen, um die Auswirkungen der EU als Verbraucher von Gütern
und Materialien, die Wälder betreffen, weltweit anzugehen.
Die Entwicklungszusammenarbeit kann neu ausgerichtet werden, um nicht nur ehrgeizige
Maßnahmen zu finanzieren, die die Gefahr von Zoonosen verringern können, sondern auch den
Entwicklungsländern die technischen Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, um einen transformativen
Wandel ihrer Volkswirtschaften zu ermöglichen und internationale und EU-Umwelt- und
Sozialstandards zu erfüllen, insbesondere im Zusammenhang mit entwaldungsfreien und
landneutralen Lieferketten.
Wenn der Verlust der biologischen Vielfalt durch die Einrichtung und Erweiterung von
Schutzgebietsnetzen verringert werden soll, sollte berücksichtigt werden, dass Schutzgebiete, die
weiter von den Zentren der menschlichen Bevölkerung entfernt sind, besser für die Prävention von
Zoonosen geeignet sind. In ähnlicher Weise gehen von großen und gut verbundenen Schutzgebieten
geringere Risiken für das Auftreten von Krankheiten aus als von kleineren, die in vom Menschen
geprägten Landschaften verstreut liegen. Das Risiko eines Überspringens könnte verringert werden,
wenn die biologische Vielfalt in Gebieten gefördert wird, die von menschlichen Siedlungen entfernt
sind, oder wenn Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass Wildtiere in Gebieten von
ausreichender Größe leben, die angemessen miteinander verbunden und so weit wie möglich von
menschlichen Siedlungen und Nutztieren entfernt sind. Dies gilt zum Beispiel für Wildtiere in Regionen

60
     IPBES Workshop on Biodiversity and Pandemics - Workshop Report, 2020 (IPBES-Workshop zu Biodiversität und Pandemien – Workshop-
     Bericht, 2020), https://ipbes.net/sites/default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics%20Report_0.pdf
61
     Rohr et al. 2020.
62
     Dobson et al 2020.

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