Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen
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EINGEHENDE ANALYSE In Auftrag gegeben vom ENVI Ausschuss Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität Generaldirektion Interne Politikbereiche Autorinnen und Autoren: Frank VAN LANGEVELDE, Hugo René RIVERA MENDOZA, Kevin D. MATSON, Helen J. ESSER, Willem F. DE BOER, Stefan SCHINDLER. DE PE 658.217 – Dezember 2020
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen Abriss In den letzten Jahrzehnten hatten verschiedene tödliche Infektionskrankheiten einen zoonotischen Ursprung. Die Verbindungen zwischen Wirten, Vektoren, Parasiten und Krankheitserregern können durch eine Vielzahl von Faktoren wie biologische Vielfalt, Wildtiere und Landnutzung beeinflusst werden. Ein hohes Maß an biologischer Vielfalt kann eine potenzielle Quelle für die Übertragung von Krankheitserregern sein, aber auch der Verlust an biologischer Vielfalt kann die Übertragung fördern, indem die Anzahl der kompetenten Wirte für einen Krankheitserreger erhöht wird. Der Erhalt der biologischen Vielfalt verringert das Risiko von Zoonosen, wenn damit zusätzliche Lebensräume für Arten geboten werden, und so der potenzielle Kontakt zwischen Wildtieren, Nutztieren und Menschen verringert wird. Darüber hinaus ist eine Gesamtstrategie unter Einbeziehung von Wirt und Vektor eine praktikable Option. Weitere wichtige Maßnahmen sind die Einschränkung und hygienische Kontrolle des Handels mit Wildtieren unter Berücksichtigung der Bedürfnisse indigener Völker und lokaler Gemeinschaften. Jeder Fall erfordert eine Bewertung des besten Wegs zur Risikominderung unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf andere Ökosystemfunktionen oder -leistungen. Dieses Dokument wurde von der Abteilung für Politik, Wirtschaft und Lebensqualität im Auftrag des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) zur Verfügung gestellt.
Dieses Dokument wurde vom Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments in Auftrag gegeben. AUTORINNEN UND AUTOREN Frank VAN LANGEVELDE, Universität Wageningen, im Auftrag des Umweltbundesamtes Österreich Hugo René RIVERA MENDOZA, Umweltbundesamt Österreich Kevin D. MATSON, Universität Wageningen Helen J. ESSER, Universität Wageningen Willem F. DE BOER, Universität Wageningen Stefan SCHINDLER, Umweltbundesamt Österreich VERANTWORTLICHER REFERENT Christian KURRER EDITIONSASSISTENZ Catherine NAAS SPRACHFASSUNGEN DE Original: EN ÜBER DEN HERAUSGEBER Die Fachabteilungen liefern den internen und externen Sachverstand zur Unterstützung der Ausschüsse des Europäischen Parlaments und anderer parlamentarischer Gremien bei der Ausarbeitung der Gesetzgebung und Ausübung der demokratischen Kontrolle über die internen Politikbereiche der EU. Kontakt zur Fachabteilung oder zur Bestellung von E-Mail-Aktualisierungen: Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität Europäisches Parlament L-2929 Luxemburg E-Mail: Poldep-Economy-Science@ep.europa.eu Redaktionsschluss: Dezember 2020 Datum der Veröffentlichung: Dezember 2020 © Europäische Union, 2020 Dieses Dokument ist auch online über folgende Website abrufbar: http://www.europarl.europa.eu/supporting-analyses HAFTUNGSAUSSCHLUSS UND URHEBERRECHTSSCHUTZ Die hier vertretenen Auffassungen geben die Meinung der Verfasser wieder und entsprechen nicht unbedingt dem Standpunkt des Europäischen Parlaments. Nachdruck und Übersetzung – außer zu kommerziellen Zwecken – mit Quellenangabe sind gestattet, sofern das Europäische Parlament vorab unterrichtet und ihm ein Exemplar übermittelt wird. Für Zitierungszwecke sollte das Dokument folgendermaßen angegeben werden: Van Langevelde, F., Rivera Mendoza, H. R. et al. The link between biodiversity loss and the increasing spread of zoonotic diseases, Dokument für den Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität, Europäisches Parlament, Luxemburg, 2020. © Bilder unter Lizenz von Adobe Stock verwendet.
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen INHALT VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN 4 VERZEICHNIS DER INFO-BOXEN 4 VERZEICHNIS DER TABELLEN 4 EINLEITUNG 5 1. MIT ZOONOSEN VERBUNDENE RISIKEN 6 2. WICHTIGSTE WECHSELWIRKUNGEN ZWISCHEN BIOLOGISCHER VIELFALT UND ZOONOSEN 13 2.1. Wechselwirkungen in Gebieten mit begrenztem menschlichen Einfluss 14 2.1.1. Wildtiere in ihren natürlichen Lebensräumen 14 2.1.2. Fragmentierung und Verschlechterung natürlicher Lebensräume 15 2.1.3. Naturgebiete in menschlichen Siedlungen oder in ihrer unmittelbaren Nähe 16 2.2. Wechselwirkungen in Gebieten unter menschlichem Einfluss 18 2.3. Wechselwirkungen durch Wildtierjagd und Wildtierhandel 19 3. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND POLITISCHE OPTIONEN 21 3.1. Politische Optionen für Gebiete mit begrenztem menschlichem Einfluss 22 3.2. Politische Optionen für Gebiete unter menschlichem Einfluss 23 3.3. Politische Optionen im Zusammenhang mit der Wildtierjagd und dem Wildtierhandel 24 LITERATURVERZEICHNIS 26 3 PE 658.217
IPOL | Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN Abbildung1: Illustration des Verdünnungseffekts 15 VERZEICHNIS DER INFO-BOXEN Info-Box 1: Glossar 6 VERZEICHNIS DER TABELLEN Tabelle 1: Beispiele für Zoonosen, die außerhalb ihrer natürlichen Lebensräume gefunden wurden 8 Tabelle 2: Aufkommende Zoonosen und Mensch-Tier-Schnittstelle 10 Tabelle 3: Fälle von Exposition gegenüber Zoonosen in der Tierproduktion 10 PE 658.217 4
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen EINLEITUNG In den letzten Jahrzehnten hatten eine Vielzahl tödlicher Infektionskrankheiten, darunter die Infektion mit dem humanen Immunschwächevirus und das erworbene Immunschwäche-Syndrom (HIV/AIDS), die Vogelgrippe, Ebola, das Schwere Akute Respiratorische Syndrom (SARS) und zuletzt die Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19)1, zoonotische Ursprünge. Im Jahr 2020 wurde das weltweite Bewusstsein für die Risiken und dramatischen Folgen des Auftretens von Zoonosen durch die COVID-19-Pandemie geschärft. Die möglichen Ursachen für die Pandemie (einschließlich der direkten oder indirekten Rolle des Artenreichtums von Wildtieren und der Landnutzung) haben seit Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Sie wurden jedoch nur unter Experten diskutiert und standen nicht im Vordergrund allgemeiner und politischer Diskussionen. Die Reaktion auf die derzeitige akute Pandemie konzentrierte sich hauptsächlich auf die Eindämmung und Behandlung. Eindämmungsmaßnahmen haben laut dem jüngsten IPBES-Workshop-Bericht zu Biodiversität und Pandemien dramatische soziale und wirtschaftliche Auswirkungen auf die meisten Gesellschaften gezeigt. Wie in so vielen anderen Fällen ist die Prävention eindeutig effizienter als die Behandlung, und die Bedingungen, die die Entstehung und Ausbreitung von Zoonosen begünstigen oder dazu beitragen, müssen besser verstanden werden, um sie zu verhindern. Mit dieser eingehenden Analyse soll das Europäische Parlament dabei unterstützt werden, zu verstehen, welche Maßnahmenbereiche zu einem geringeren Risiko für Zoonosen führen können. Hier wird daher ein Überblick über bestehende Bewertungen gegeben, mit dem die komplexen Zusammenhänge zwischen biologischer Vielfalt und Risiko für Zoonosen aufgezeigt werden, und es wird versucht, die folgenden Fragen zu beantworten: • Welche Risiken sind mit Zoonosen verbunden? • Welches sind die wichtigsten Wechselwirkungen zwischen biologischer Vielfalt und Zoonosen? • Welche Maßnahmenbereiche könnten zur Risikominderung beitragen? Insbesondere die Frage nach möglichen Maßnahmen ist aufgrund der Vielzahl von Wechselwirkungen komplex, da häufig positive und negative Auswirkungen auf das Risiko von Zoonosen und die biologische Vielfalt kombiniert werden. In dieser Studie liegt daher der Fokus darauf, einen Überblick über die Komplexität des Themas und mögliche Wege in mehreren Politikbereichen innerhalb und außerhalb des Gebiets der Europäischen Union zu geben. 1 Andersen et al. 2020, Wu et al. 2020. 5 PE 658.217
IPOL | Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität 1. MIT ZOONOSEN VERBUNDENE RISIKEN Zwischen 1940 und 2004 wurden weltweit 2 mehr als 300 Ereignisse neu auftretender Krankheiten beim Menschen identifiziert, entweder aufgrund von Krankheitserregern, die sich innerhalb derselben Wirtsart zu einem neuen Stamm entwickelt haben oder sich auf neue Wirtsarten umgestellt haben. Eine Vielzahl tödlicher Infektionskrankheiten wie HIV-AIDS, Vogelgrippe, Ebola, SARS und COVID-19 traten auf 3. Viele der Krankheitserreger, die diese Krankheiten verursachen, sprangen auf den Menschen über, nachdem der Mensch Eingriffe in Naturgebiete (Wälder, Feuchtgebiete) vorgenommen hatte, und verbreiteten sich rasch in andere Teile der Welt. Beispielsweise handelt es sich bei dem West-Nil-Fiebervirus, einem von Mücken übertragenen Flavivirus, um ein menschliches und aviäres Neuropathogen, das in Teilen Afrikas, Asiens, Europas und Australiens heimisch ist und in einem Übertragungszyklus zwischen Mücken–Vögel–Mücken in der Natur erhalten bleibt 4. Es wurde erstmals 1937 im Distrikt West-Nil in Uganda entdeckt. Info-Box 1: Glossar Endwirt: die menschliche Population, wenn ein Krankheitserreger von einer anderen Art auf den Menschen übertragen wird. Verdünnungseffekt: beschreibt eine Situation, in der eine höhere Artenvielfalt aufgrund der Verringerung der Krankheitserreger bei bestimmten Wirten zu einem geringeren Krankheitsrisiko führt. Ökosystemleistungen: die vielfältigen Vorteile, die die natürliche Umwelt und gesunde Ökosysteme für den Menschen bieten. Neu auftretende Seuchen: Krankheiten, die durch Krankheitserreger verursacht werden, die sich innerhalb derselben Wirtsart zu einem neuen Stamm entwickelt haben oder sich an neue Wirtsarten angepasst haben Fragmentierung des Lebensraums/Waldes: Der Prozess, der zu Diskontinuitäten im Lebensraum einer Art führt. Die Fragmentierung des Lebensraums resultiert häufig aus menschlichen Aktivitäten wie der Landumwandlung (Fahrig 2003). (Wildtiere–Nutztiere–Menschen) Schnittstellen: Gebiete mit einem höheren Potenzial für die Interaktion zwischen Wildtieren, Nutztieren und Menschen, das zum Überspringen von Zoonosen führen kann. Reservoirwirt: Nicht-menschliche Wirte für eine bestimmte Zoonose, die direkt oder indirekt über einen Vektor (z. B. eine Mücke) übertragen werden kann. (Reservoirwirt) Kompetenz: Das Potenzial einer Art, Krankheitserreger zu unterstützen und zu übertragen (Huang et al. 2013a). (Krankheitserreger) Überspringen: Tritt auf, wenn eine Reservoirwirtspopulation mit einer hohen Anzahl von Krankheitserregern mit einer neuartigen Wirtspopulation in Kontakt kommt. Der Erreger wird von der Reservoirpopulation übertragen und kann innerhalb der neuen Wirtspopulation übertragen werden. Rekombination: Bezieht sich auf den Austausch von genetischem Material zwischen verschiedenen Organismen, was zur Produktion von Nachkommen mit Kombinationen von Merkmalen führt, die sich von denen unterscheiden, die bei beiden Elternorganismen gefunden wurden. Die neuen Krankheitserreger können plötzlich sehr gefährlich für Menschen werden. Vektor: Art, die einen Krankheitserreger zwischen den Reservoirwirten und den Endwirten überträgt. Zoonose: Krankheit beim Menschen, die durch einen Krankheitserreger, der von einem Tier auf einen Menschen übergesprungen ist, verursacht wurde. Quelle: Ausarbeitung des Autors. 2 Jones et al. 2008. 3 Wang & Eaton 2007, Allen et al. 2017, Andersen et al. 2020, Wu et al. 2020. 4 Campbell et al. 2002. PE 658.217 6
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen Der Ausbruch von New York City im Jahr 1999 verursachte schätzungsweise 8 200 Infektionen beim Menschen, was zu ungefähr 1 700 Fällen von West-Nil-Fieber führte5, und war der Beginn einer großen Epidemie in Nordamerika. Das Virus erreichte 1999 die Westküste der USA. In den nächsten elf Jahren, zwischen 1999 und 2010, wurden 1,8 Millionen Menschen infiziert, mit 360 000 Erkrankungen, 12 852 gemeldeten Fällen von Enzephalitis/Meningitis und 1 308 Todesfällen 6. Zoonosen werden im Allgemeinen in drei Gruppen eingeteilt 7: • direkt übertragene Krankheiten, bei denen der Reservoirwirt (der durch den Krankheitserreger nicht wesentlich geschädigt wird) den Krankheitserreger direkt auf den endgültigen Wirt (einen daran erkrankenden Menschen) überträgt; • durch Vektoren übertragene Krankheiten (der Vektor überträgt den Erreger zwischen dem Reservoirwirt und dem Endwirt); und • durch Parasiten verursachte Krankheiten. Endwirte sind immer Menschen. Reservoirwirte sind oft: • Nagetiere, • Fledermäuse, • Fleischfresser, • Vögel, • Reptilien oder • Schnecken. Vektoren sind für gewöhnlich: • Mücken, • Sandfliegen, • Zecken, • Vögel, • Schnecken oder • kleine Säugetiere wie Nagetiere. Zu den beteiligten Krankheitserregern gehören: • Viren, • Bakterien und • Pilze. Parasiten umfassen: • Nematoden und • Protozoen (einzellige Organismen). Die Verbindungen zwischen Wirten, Vektoren, Parasiten und Krankheitserregern sind komplex und können durch Umweltbedingungen beeinflusst werden. „Spillover“ bzw. zoonotische Übersprünge 5 Petersen et al. 2007. 6 Kilpatrick 2011. 7 Huang et al. 2017; Rabitsch et al. 2017. 7 PE 658.217
IPOL | Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität (wenn ein Krankheitserreger einen neuen Wirt infiziert) oder „Spillbacks“ (wenn eine gebietsfremde Art in ein Ökosystem eingeführt wird und Wirt für einen heimischen Krankheitserreger wird) können verschiedene Kombinationen von Wechselwirkungen zwischen heimischen und nicht heimischen Organismen umfassen. Diese Dynamik wird häufig von Treibern des globalen Wandels gefördert, wie z. B. Klimawandel, Verschlechterung des Ökosystems oder sogar dessen Erholung8. Tabelle 1: Beispiele für Zoonosen, die außerhalb ihrer natürlichen Lebensräume gefunden wurden Beispiele für Beispiele für nicht Krankheit Erreger/Parasit Übertragung Reservoirwirts Ursprung heimische arten Vorkommen Afrikanischer Büffel, Großer Mycobacterium Aerosol- Afrikanische Rindertuberkulose Kudu, Rind, Weltweit bovis übertragung Länder Bison, Elch und Hirsch Menschen, Asien, Afrika, Chikungunya- Nagetiere, Chikungunya- Afrika-Asien Europa, Nord-, Mücken Vögel, andere Fieber Virus (Indien) Mittel- und kleine Südamerika Säugetiere Europa, Nord-, Menschen, Dengue-Fieber Dengue-Virus Mücken Tropische Zone Mittel- und Primaten Südamerika Hunde Dirofilaria Süd-Europa Herzwurmerkrankung Mücken (und andere Europa repens Afrika, Asien Fleischfresser) Sigmodontinae, Abrothrix longipilis, Nord-, Mittel- Europa, Nord-, Hantavirus- Aerosol- Anden-Virus Abrothrix und Mittel- und Lungensyndrom übertragung olivaceus, Südamerika Südamerika Loxodontomys micropus (Sub-) Tropische Europa, Nord-, Leishmania Hunde, Leishmaniose Sandfliegen Zone, Mittel- und spp. Nagetiere Süd-Europa Südamerika Weißfußmäuse, Streifen- Borrelia Lyme-Borreliose Zecken Backenhörnchen, Nordamerika Nord-Halbkugel burgdorferi Kurzschwanz- spitzmäuse 8 Rabitsch et al. 2017. PE 658.217 8
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen Beispiele für Beispiele für nicht Krankheit Erreger/Parasit Übertragung Reservoirwirts Ursprung heimische arten Vorkommen Tropische und Plasmodium Afrika; Malaria Mücken Menschen subtropische spp. (Süd-Europa) Gebiete Kleine Weltweit außer Pest Yersinia pestis Flöhe China Säugetiere Ozeanien Vogelarten, Menschen, Usutu-Fieber Usutu-Virus Mücken Pferde und Afrika Europa andere Säugetiere Vögel (z. B. Blauhäher, Afrika, Purpur-Grackel, Nord-, Mittel- Westasien und Hausgimpel, und West-Nil-Fieber West-Nil-Virus Mücken der Nahe Osten, Amerikaner- Südamerika, Australien, Teile krähe, Teile Europas Europas Haussperling, Wanderdrossel) Afrika, Mittel- Gelbfieber Affen, Gelbfieber Mücken Afrika und Virus Menschen Südamerika Afrika, Nord, Mittel- und Zikafieber Zikavirus Mücken Affen Afrika-Asien Südamerika, Asien und Pazifik Quelle: Rabitsch et al. (2017); States et al. (2014); Huang et al. (2013a); Piudo et al. (2011); Allan et al. (2009); Allan et al. (2003); https://www.who.int/; https://www.cdc.gov/ (beide abgerufen am 17.11.2020). Einige der wichtigsten in der wissenschaftlichen Literatur beschriebenen Reservoirwirte sind häufig anfällig in Bezug auf Treiber des Verlusts an biologischer Vielfalt, wie z. B. Landnutzungsänderungen. Nagetiere interagieren zum Beispiel eng mit Menschen und Nutztieren. Fleischfresser sind bei einer Verstädterung von besonderer Bedeutung, auch in Europa, wie dies bei Echinococcus multilocularis der Fall ist, einem Bandwurm, der bei Füchsen vorkommt. Nichtmenschliche Primaten sind in Afrika und Asien maßgeblich, während Fledermäuse besonders wichtig wegen ihrer Fähigkeit sind, große Entfernungen zurückzulegen, und wegen ihrer Neigung, engen Kontakt zu ihren Artgenossen zu halten. Auch Nutztiere können Reservoirwirte für mehrere in Tabelle 1 genannte Zoonosen sein 9. 9 White & Razgour 2020. 9 PE 658.217
IPOL | Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität Lebendtiermärkte, Wildtierjagd, intensive Wildtierhaltung (z. B. von Hirschen, Nagetieren, Zibetkatzen, Mangusten, Pelzsäugetieren, Straußen) und Haustiere sind die häufigsten Schnittstellen zwischen Tier und Mensch für aufkommende Zoonosen, was zu einer zoonotischen Übertragung auf den Menschen führt (Tabelle 2). Krankheitserreger können durch Verzehr, medizinische Verwendung, Umgang mit dem lebenden Tier oder Schlachtung und/oder Zubereitung des Fleisches zum Verkauf oder Verzehr übertragen werden. Tabelle 2: Aufkommende Zoonosen und Mensch-Tier-Schnittstelle Wahrscheinliche Schnittstelle zwischen Tier und Aufkommende Zoonosen Mensch Lebendtiermärkte SARS, COVID-19, Vogelgrippe Wildtierjagd HIV, Ebola Intensive Wildtierhaltung COVID-19, Tollwut, Vogelgrippe Haustiere equiner Morbillivirus, Nipah-Virus, Vogelgrippe Quelle: Magouras et al. (2020). Nutztiere sind ohne Zweifel die Tiere mit dem größten Kontakt zum Menschen und spielen daher eine besondere Rolle bei der Übertragung. Eine systematische Überprüfung10 ergab 16 Zoonosen, die über Nutztiere auf den Menschen übertragen werden (Tabelle 3). Die häufiger beobachteten Ereignisse waren das Methicillin-resistente Staphylococcus aureus, das Lungenentzündung, Hirnhautentzündung, Knochenmarkentzündung, Herzinnenhautentzündung, toxisches Schocksyndrom und verschiedene Formen der Vogelgrippe verursachen kann, sowie Coxiella brunetii, das in schweren Fällen eine Lungenentzündung oder Hepatitis verursachen kann. Am meisten exponiert waren Menschen, die in engem Kontakt oder in der Nähe der Reservoirwirte arbeiteten, oder Menschen, die in engem Kontakt mit Beschäftigten in der Land- und Viehwirtschaft standen11. Tabelle 3: Fälle von Exposition gegenüber Zoonosen in der Tierproduktion Krankheitserreger/Zoonose Beteiligte Tiere Infizierte Personen Verbraucher, Arbeiter in der Antibiotikaresistente Schweine Schweinezucht, Schlachthof- Escherichia coli Arbeiter Vogel-Metapneumovirus Truthühner Züchter und Verarbeiter Blastocystis Schweine Arbeiter in der Schweinezucht 10 Klous et al. 2016. 11 Klous et al. 2016 & ww.cdc.org, abgerufen am 22.11.2020. PE 658.217 10
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen Krankheitserreger/Zoonose Beteiligte Tiere Infizierte Personen Tierärzte, Schäfer, Brucella spp. Schafe, Ziegen Labortechniker Milcharbeiter, im Haushalt Campylobacter spp. Rinder lebende Kinder Chlamydophila psittaci Hühner, Truthühner Schlachthof-Arbeiter Landwirte, Tierärzte, Coxiella burnetii Rinder Besamungstechniker, Hufschneider Schüler und Lehrer, die auf Cryptosporidium parvum Rinder, Büffel einem Bauernhof campen Landarbeiter, Cryptosporidium parvum Rinder Haushaltsangehörige Bewohner in einem Gebiet mit ESBL-Enterobacteriaceae Geflügel hoher und niedriger Geflügeldichte Keulungspersonal, Reiniger, Truthühner, Legehennen, Biosicherheitsmanager, H5N1, H7N7 Vogelgrippe Masthähnchen, Geflügel Geflügelarbeiter, nicht exponierte Kontrollen Katzen, Hühner, Hirsche, Schweineschlächter, Hepatitis-E-Virus Ziegen, Pferde, Schweine, Fleischbeschauer Schafe MRSA (Methicillin-resistenter Arbeiter in der Schweinezucht, Schweine Staphylococcus aureus) Verarbeiter, Familie, Bewohner Menschen, die illegal Tiere Orfvirus Schafe, Ziegen schlachten Schweinegrippe Schweine Schweinezüchter Trichophyton verrucosum Rinder Rinderzüchter Quelle: Angelehnt an Klous et al. (2016). 11 PE 658.217
IPOL | Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität Die oben genannten Beispiele zeigen, wie durch internationale Reisen, Jagd und Handel mit Wildtieren, eine intensivierte Tierproduktion oder einen intensivierten Kontakt zwischen Wildtieren und Menschen zoonotische Krankheitserreger leicht über einen Vektor oder direkt von Reservoirwirten auf den Menschen überspringen können. Kapitel 2 zielt darauf ab, verschiedene Arten von Wechselwirkungen zwischen biologischer Vielfalt und Zoonosen aufzuzeigen. PE 658.217 12
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen 2. WICHTIGSTE WECHSELWIRKUNGEN ZWISCHEN BIOLOGISCHER VIELFALT UND ZOONOSEN Die Vorstellung, dass sich die Vielfalt eines Ökosystems auf die Übertragung von Krankheitserregern auswirkt, ist schon mehr als 60 Jahre alt. Im Jahr 1958 stellte Charles S. Elton fest, dass Ausbrüche (von Infektionskrankheiten) am häufigsten auf kultiviertem oder bepflanztem Land auftreten, d. h. in Lebensräumen und Gemeinschaften, die vom Menschen stark vereinfacht wurden. Das Verständnis, wie die biologische Vielfalt die Übertragung von Krankheitserregern beeinflusst, ist seit langem eine zentrale Frage in der Krankheitsökologie. Intensivierter grenzüberschreitender Handel und internationale Reisen können als die wichtigsten Treiber für das Auftreten von Zoonosen außerhalb ihrer natürlichen Umgebung identifiziert werden. Zu den bekanntesten Beispielen für die Einschleppung eines Zoonosevektors in Europa gehört die asiatische Tigermücke Aedes albopictus. Dieses Insekt ist eine aggressive, tagsüber stechende Mücke, die weltweit aufgrund ihrer Relevanz für (unter anderem) Ausbrüche des West-Nil-Virus, des Dengue- Virus und des Chikungunya-Virus als Bedrohung für die öffentliche Gesundheit in Erscheinung tritt 12. Die Mücke wurde mit dem Handel mit gebrauchten Reifen und Zierpflanzen aus ihrer Heimat in Ostasien eingeschleppt und hat sich in den letzten Jahrzehnten auf allen Kontinenten außer der Antarktis etabliert, einschließlich Europa (1979), den Festlandstaaten der USA (1985) sowie Mittel- und Südamerika (1980–1990er Jahre) 13. Der Klimawandel kann ein fördernder Faktor für die Etablierung neuartiger Vektoren sein, beispielsweise bestimmter Mückenarten in europäischen Regionen mit gemäßigtem Klima 14. Eine erhöhte Exposition von Menschen, Reservoirwirten wie Nagetieren oder Nutztieren gegenüber Wildtieren aufgrund der Fragmentierung von Lebensräumen oder Entwaldung in tropischen Gebieten erhöht das Risiko zoonotischer Übersprünge. Es besteht jedoch noch kein eindeutiger Konsens darüber, wie sich die biologische Vielfalt auf Infektionskrankheiten auswirkt. Dies hängt stark von der Art des Krankheitserregers und seiner Übertragung ab. Bei direkt übertragenen Krankheiten wie HIV, Masern und humaner Tuberkulose hat eine Veränderung der biologischen Vielfalt möglicherweise überhaupt keine Auswirkungen. Bei Krankheitserregern wie dem West-Nil-Virus hingegen können Veränderungen der biologischen Vielfalt Auswirkungen haben, da nicht nur Menschen oder Primaten, sondern auch mehrere Vogelarten mit diesem Virus infiziert werden können. Dies gilt auch für das Hantavirus, mit dem nicht nur Menschen, sondern auch mehrere Säugetiere infiziert werden können, und für Leptospirose, die durch Exkremente von Ratten übertragen wird. Die Komplexität wird noch verstärkt, da Vektoren, die regelmäßig mit mehreren Wirten interagieren, möglicherweise weniger von Änderungen der biologischen Vielfalt beeinflusst werden als Vektoren mit einer begrenzten Anzahl von Wirten. Darüber hinaus kann die genetische Verarmung von Wildtierpopulationen in geschädigten und fragmentierten Lebensräumen eine geringe Immunität bedeuten und somit die Kompetenz für Krankheitserreger erhöhen 15. Die Größe dieser Lebensräume für Wildtiere und ihre Nähe und Konnektivität zu benachbarten Wildtiergebieten wirken sich auf die Vielfalt der Wirtsarten und das Auftreten 12 Bonizzoni et al. 2013. 13 Medlock et al. 2012; Bonizzoni et al. 2013. 14 Schindler et al. 2018. 15 Rohr et al. 2020. 13 PE 658.217
IPOL | Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität kompetenter Wirte und Krankheitserreger aus. Dies erhöht auch das potenzielle Risiko eines „Spillover“ 16. Natürliche und anthropogene Ökosysteme und Prozesse darin sind sehr eng miteinander verbunden, insbesondere in Bezug auf Zoonosen und deren Übertragung auf den Menschen. Um die verschiedenen Zusammenhänge zu veranschaulichen, gliedern wir im Folgenden die relevanten Prozesse in: i) Prozesse, die hauptsächlich in natürlichen Gebieten mit begrenztem menschlichen Einfluss stattfinden (Kapitel 2.1.), ii) Prozesse, die hauptsächlich in Gebieten unter anthropogenem Einfluss wie landwirtschaftlichen Flächen auftreten (Kapitel 2.2.), iii) Prozesse in bestimmten Situationen, in denen Menschen in starken Kontakt mit Wildtieren kommen, z. B. im Wildtierhandel und auf sogenannten Wet Markets (Kapitel 2.3.). 2.1. Wechselwirkungen in Gebieten mit begrenztem menschlichen Einfluss In diesem Kapitel werden Beispiele aus der wissenschaftlichen Literatur zu Zusammenhängen zwischen der biologischen Vielfalt und dem Risiko von Zoonosen für den Menschen vorgestellt. 2.1.1. Wildtiere in ihren natürlichen Lebensräumen Die Auswirkungen der Artenvielfalt von Wildtieren auf die Übertragung von Krankheitserregern können je nach Krankheitserreger und seinem natürlichen Vorkommen in Wildtieren variieren. Wildtiere sind das Hauptreservoir für neu aufkommende Zoonosen und fungieren häufig als Überträger des Krankheitserregers 17. Ein hohes Maß an biologischer Vielfalt kann eine stärkere Übertragung von Krankheitserregern bedeuten. Ein hohes Maß an biologischer Vielfalt kann eine große potenzielle Quelle für (neuartige) Krankheitserreger darstellen und die Übertragung von Krankheitserregern fördern, beispielsweise durch eine hohe Vielfalt und Häufigkeit von Vektoren (z. B. Zecken, Mücken). Dies ist als die Hypothese bekannt, dass „Vielfalt erzeugt“. Im Allgemeinen weisen Länder mit hoher biologischer Vielfalt eine hohe Krankheitslast auf 18, aber auch in gemäßigten Regionen kann die Etablierung invasiver gebietsfremder Arten zu einem erhöhten Risiko führen, dass Zoonosen auf Nutztiere und Menschen überspringen19. Eine Verringerung der biologischen Vielfalt kann eine höhere oder niedrigere Übertragung von Krankheitserregern bedeuten. Eine geringere Vielfalt bestimmter Arten kann jedoch auch die Übertragung von Krankheitserregern fördern. Wenn ein Ökosystem beispielsweise Arten verliert, die für einen bestimmten Krankheitserreger inkompetente oder suboptimale Wirte waren, treten die verbleibenden kompetenten Wirte in höheren Dichten auf. Dies hängt mit dem sogenannten „Verdünnungseffekt“ zusammen (siehe Abbildung 1 für eine Illustration). 16 Hassell et al, 2017. 17 Johnson & Thieltges 2010, Keesing et al. 2006, 2010. 18 Wood et al. 2017. 19 Rabitsch et al. 2017, Schindler et al. 2018. PE 658.217 14
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen Abbildung1: Illustration des Verdünnungseffekts Bemerkung: In einem Gebiet mit zwei Arten (rechte Seite) mit einem kompetenten und inkompetenten empfänglichen Wirt (weiße Kreise und blaue Quadrate) hat das infizierte Tier (roter Kreis) eine geringere Wahrscheinlichkeit, einem kompetenten Wirt zu begegnen als in einem Gebiet mit nur kompetenten Wirten (linke Seite). Quelle: Ausarbeitung des Autors. Wenn es weniger inkompetente Wirte gibt, kommt es häufiger zu einer Begegnung eines infizierten Tieres oder eines infizierten Vektors mit einem empfänglichen Wirt, und daher breitet sich der Krankheitserreger besser aus. Dies erhöht das Risiko eines Überspringens auf Nutztiere oder Menschen 20. In ähnlicher Weise endet die Übertragung, wenn viele kompetente Wirte verschwinden, während viele inkompetente Wirte übrig bleiben, da Krankheitserreger eher in inkompetenten Wirten landen21. 2.1.2. Fragmentierung und Verschlechterung natürlicher Lebensräume Ungestörte Lebensräume weisen häufig eine hohe Vielfalt an Tieren und Krankheitserregern auf22. Die Entwaldung und die Umwandlung von Naturgebieten in von Menschen dominierte Gebiete führen zu einem großen Verlust oder einer Verschlechterung und Fragmentierung von Lebensräumen und Wildtierpopulationen . Die 23 daraus resultierenden Überreste von Naturgebieten weisen ein erhöhtes Risiko für Zoonosen auf. Ein Beispiel ist die Ausbreitung der Lyme-Borreliose infolge der wachsenden Populationen von Weißwedelhirschen und Weißfußmäusen in einer Landschaft ohne große Raubtiere24. Fragmentierte Lebensräume können auch zu einer Zunahme der Wirtsbewegung von Naturgebieten in Gebiete führen, die für Nutztiere und städtische Siedlungen genutzt werden25. Der zunehmende Eingriff des Menschen in fragmentierte Naturgebiete (einschließlich der Beweidung 20 Randolph and Dobson 2012, Huang et al. 2017. 21 Keesing et al. 2010. 22 Han et al. 2016, Mollentze & Streicker 2020. 23 Fahrig 2003; Newbold et al. 2015. 24 Allan et al. 2003. 25 z. B. Suzán et al. 2008. 15 PE 658.217
IPOL | Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität durch Nutztiere) fördert höhere Kontaktraten zwischen Krankheitserregern und Vektoren mit Haustieren und Menschen. Es wird angenommen, dass die Ränder der verbleibenden Naturgebiete wichtige Startpunkte für neuartige Viren sind, die auf den Menschen überspringen können26. Straßenlose Gebiete, die für die Erhaltung der einheimischen Artenvielfalt von hoher Relevanz sind, indem sie Lebensraum für lebensfähige Populationen sicherstellen und als Barriere gegen invasive gebietsfremde Arten und andere menschliche Einflüsse dienen, sind daher auch für die Krankheitsbekämpfung von hoher Bedeutung 27. Zum Beispiel nimmt die Länge der Ränder der verbleibenden Wälder zu, wenn Menschen beginnen, Gebiete durch den Bau von Straßen zu entwickeln. An diesen Rändern kommen Menschen und ihre Nutztiere eher mit Wildtieren in Kontakt, insbesondere in Gebieten mit einer Verringerung der Waldfläche um mehr als 25 % 28. Der Straßenbau, die Erweiterung menschlicher Siedlungen sowie Vieh- und Ackerland in der Nähe der verbleibenden Wälder haben zu einem zunehmenden Überspringen von Krankheitserregern geführt. So sind beispielsweise Fledermäuse die wahrscheinlichen Reservoirs von Ebola, Nipah, SARS und dem Virus hinter COVID-19. Flughunde ernähren sich eher in der Nähe menschlicher Siedlungen, wenn ihre Waldlebensräume gestört sind. Dies war ein Schlüsselfaktor für die Entstehung von Viren in Westafrika, Malaysia, Bangladesch und Australien 29. Ein weiteres Beispiel im Zusammenhang mit Waldrändern ist die Mückengemeinschaft, die Überträger für viele Krankheiten ist. Die Schaffung von Grasland für Nutztiere, die in Nachbarschaft zu Regenwäldern weiden, erhöht das Risiko der Übertragung von Mücken auf Nutztiere 30. Dies gilt auch für ein erhöhtes Malariarisiko in neu geschaffenen Waldrändern in Peru, für die amerikanische kutane Leishmaniose in Costa Rica und für das Hantavirus in Panama 31. Urbane Systeme können als Konglomerat verschiedener Gebiete angesehen werden, in denen Menschen, Vektoren, Nutztiere und Wildtiere in unterschiedlichem Maße miteinander interagieren. Diese Wechselwirkungsbereiche oder sogenannte Schnittstellen können z. B. Waldränder, Grenzen zwischen Wildtiergebieten und Mülldeponien, Kläranlagen, Parks und grünen Erholungsgebieten usw. sein. Sie implizieren nicht unbedingt das Überspringen von Krankheitserregern auf den Menschen. Zusammen mit dem Wissen über die vorhandenen Populationen von Menschen, Wildtieren, Vektoren und Nutztieren sowie deren Mobilität können solche Schnittstellen jedoch als Hinweise auf das Risiko für Zoonosen dienen. Änderungen in der Landnutzung können zu einer uneinheitlicheren Struktur von Lebensräumen für Wildtiere führen. Die Grenz- oder Übergangsbereiche zwischen diesen Gebieten bieten ein größeres Potenzial für Wechselwirkungen zwischen Menschen, Vektoren, Wirten und Krankheitserregern. 2.1.3. Naturgebiete in menschlichen Siedlungen oder in ihrer unmittelbaren Nähe Ein Beispiel für die Nähe von Gebieten mit hoher Dichte an Wildtieren und hoher Dichte an Menschen sind Seen und Feuchtgebiete, in denen eine Vielzahl von Wasservögeln leben. Seen und Feuchtgebiete liefern häufig Ökosystemleistungen wie Wasser für die Bevölkerung oder die Landwirtschaft. Die Bereitstellung solcher Ökosystemleistungen fördert tendenziell die Entwicklung von Städten und 26 Dobson et al. 2020. 27 Siehe: Die Roadless Area Initiative, die 2007 vom Policy Committee der europäischen Sektion der Society of Conservation Biology (SCB) ins Leben gerufen wurde, www.roadless.online/roadless-areas 28 Faust et al. 2018. 29 Plowright et al. 2011, Pulliam et al. 2012, Olivero et al. 2017. 30 Steiger et al. 2012. 31 Gottwalt 2013. PE 658.217 16
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen erhöht das Kontaktpotential zwischen Menschen und z. B. wandernden Wasservögeln. Es ist bekannt, dass wandernde Wasservögel mehrere Krankheitserreger transportieren können, einschließlich der Vogelgrippe, die von Wildvögeln stammt und über Geflügel auf den Menschen übertragen wurde32. Seen und Feuchtgebiete sind auch für Vektoren wie Mücken von entscheidender Bedeutung und gelten daher als Gebiete mit hohem Risiko für die Übertragung von Krankheitserregern. Aus diesem Grund wurde das Austrocknen von Feuchtgebieten jahrhundertelang als angemessene Reaktion auf die Gefahr von Zoonosen angesehen, bis die damit verbundenen Leistungen dieser Ökosysteme wie Wasserversorgung, Klimaschutz und -anpassung, Erhaltung der biologischen Vielfalt, Erholungszwecke usw. in den letzten Jahrzehnten besser erkannt wurde. Auch andere Arten von Ökosystemen weisen verschiedene Artengemeinschaften in der Nähe dicht besiedelter Gebiete auf, z. B. Überreste von Naturgebieten und Grünflächen, die Teil von Städten sind oder sich in ihrer Nähe befinden. In einigen Fällen besteht ein mangelndes Verständnis dafür, ob Wildtiere, die in diesen Gebieten leben, sicher mit Menschen zusammenleben können. Diese Gebiete werden auch für Wildtiere immer wichtiger, da kleiner werdende Naturgebiete vielen Arten keinen ausreichenden Lebensraum mehr bieten und einige Beeinträchtigungen der biologischen Vielfalt – wie die direkte Verfolgung – im städtischen Kontext geringer sind. Einige Arten fühlen sich aufgrund des Überflusses an Nahrungsmitteln und des Vorhandenseins von Schutzstrukturen zu stadtnahen und städtischen Gebieten hingezogen. In Europa und anderen Gebieten mit gemäßigtem Klima besiedeln neben Ratten, Mäusen und Katzen zunehmend Kojoten, Füchse und Wildschweine städtische Gebiete und dienen als Reservoirwirte für Zoonosen. So zeigten beispielsweise etwa 8 % der in Estland gemeldeten Rotfüchse Symptome von Sarkoptesräude, einer Krankheit, die auch Haustiere, insbesondere Hunde, befällt 33. In den größten städtischen Gebieten war der Anteil der mit Räude infizierten Füchse höher. Es war bekannt, dass neben Räude ein erheblicher Teil der Rotfüchse in Estland mit dem lebensbedrohlichen Bandwurm Echinococcus multilocularis infiziert war, dem Erreger der alveolären Echinokokkose. Daher können Stadtfüchse eine Quelle schwerer Infektionskrankheiten für Haustiere und Menschen darstellen. Wildschweine haben sich aufgrund des Klimawandels und weniger strenger Winter in nördliche Regionen gewagt und waren an der Übertragung von durch Lebensmittel übertragenen Zoonosen wie Brucellose 34, Salmonellose, Tuberkulose, Yersiniose, Toxoplasmose, Trichinellose und Hepatitis E beteiligt. Es wurde berichtet, dass Exkrementproben von Kojoten (Canis latrans) in stadtnahen Gebieten in Manitoba (Kanada) die Bandwürmer E. multilocularis und E. canadensis enthalten, die den Menschen befallen können. E. multilocularis kann beispielsweise bei Menschen zu einer Erkrankung mit schlechter Genesungsprognose führen. Obwohl der Bandwurm keine Hunde infiziert hatte, wurde das Risiko als hoch genug angesehen, um eine stärkere Überwachung des Bandwurms und gegebenenfalls sanitäre Maßnahmen zu empfehlen 35. Ein ähnlicher Fall bezieht sich auf ein höheres Auftreten von mit Lyme-Borreliose infizierten Zecken in Grünflächen im städtischen Kontext, während das Risiko in ländlichen Gebieten geringer zu sein scheint 36. 32 Bi et al. 2016, Li et al. 2017. 33 Plumer et al. 2014. 34 Fredriksson-Ahomaa 2019. 35 Tse et al. 2019. 36 Diuk-Waser et al. 2020. 17 PE 658.217
IPOL | Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität 2.2. Wechselwirkungen in Gebieten unter menschlichem Einfluss Etwa die Hälfte der seit 1940 beim Menschen aufgetretenen Zoonosen resultierte aus Änderungen der Landnutzung, insbesondere aus der Rodung von Land für die Pflanzen- und Tierproduktion, die Menschen und Nutztiere in die Nähe der Wälder bringen 37. Die Tierproduktion und -zucht ist einer der Haupttreiber für Landnutzungsänderungen weltweit, da Wälder gerodet werden, um Platz für den Anbau von Pflanzen und Weideflächen zu schaffen, womit die steigende Nachfrage nach Fleisch befriedigt werden soll 38. Diese menschlichen Aktivitäten haben die Kontaktraten zwischen Menschen und Wildtieren in Kulturland neben Gebieten mit hoher biologischer Vielfalt erhöht und können ein entscheidender Faktor sein, der ein Überspringen von Erregern verursacht. Landnutzungsänderungen können zu einer lokalen Verringerung der biologischen Vielfalt mit dem Verlust von Tierarten führen, die inkompetente Wirte sind, so dass kompetente Wirtsarten verbleiben, die die Übertragung eines bestimmten Krankheitserregers auf den Menschen erleichtern (wie oben beschrieben 39). In der Regel sind kompetente Wirtsarten in vom Menschen veränderten Landschaften vorherrschend und häufiger anzutreffen als in ungestörten Naturgebieten, da sie widerstandsfähiger gegenüber menschlichen Veränderungen ihrer Ökosysteme sind. Das Ausmaß dieses Effekts ist am stärksten bei Nagetier-, Fledermaus- und Sperlingsvogelarten, die Wirte für viele Krankheitserreger sind. Dies unterstreicht die globale Bedeutung dieser Artengruppen als Reservoir für Zoonosen. Nutztiere spielen eine besonders wichtige Rolle bei der Ausbreitung von Zoonosen, da sie häufig als Schnittstelle fungieren, die das Überspringen von Krankheitserregern auf den Menschen fördert40. Dieser Übertragungsweg wird durch die hohe Anzahl von Viren veranschaulicht, die Haustiere mit Menschen teilen 41. Krankheiten wie Diphtherie, Masern, Mumps, Rotavirus, Pocken und Influenza A haben ihren Ursprung in Haustieren 42. Zu den Arten, die an Übertragungen beteiligt sind, gehören nach einem aktuellen Bericht 43 hauptsächlich Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde, Geflügel, aber auch Katzen und Hunde. Zu den besonders gefährdeten Berufen zählen Tierärzte, Keulungspersonal, Schlachthofarbeiter und Landwirte. Übertragungen können jedoch auch bei kurzen Besuchen auftreten, beispielsweise wenn Anwohner landwirtschaftliche Produkte kaufen44. Hochproduktive Nutztierrassen mit relativ geringer genetischer Vielfalt machen diese weniger widerstandsfähig gegen Umweltveränderungen und Krankheitserreger45. Wenn hohe Dichten des Nutztierbestands zusammen mit Stressbedingungen auftreten, sind diese Tiere möglicherweise anfälliger für Infektionen 46, wodurch Voraussetzungen für das Auftreten und die Ausbreitung von Zoonosen geschaffen werden. Ein gutes Beispiel ist das Nipah-Virus, das erstmals von Flughunden auf Hausschweine in Malaysia übertragen wurde. Die hohe Bestandsdichte von Schweinen in landwirtschaftlichen Betrieben einerseits sowie die Flughunde andererseits, die weiter in landwirtschaftliche Gebiete und menschliche Siedlungen vordrangen, erleichterten anschließend die 37 Keesing et al. 2010. 38 Machovina et al. 2015. 39 Siehe auch Gibb et al. 2020. 40 Kingsley 2018. 41 Wells et al. 2020. 42 Wolfe et al. 2007. 43 Klous et al. 2016. 44 Klous et al. 2016. 45 Jones et al. 2013. 46 Mourkas et al. 2020. PE 658.217 18
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen Etablierung einer Übertragung von Schwein zu Schwein, woraufhin der Erreger von Schweinen auf Menschen übersprang47. Belege für einen Zusammenhang zwischen der Ausweitung der Landwirtschaft und Zoonosen wurden für viele Zoonosen gefunden, darunter Lyme-Borreliose, Hantavirus, Gelbfieber und Malaria. Das Überspringen auf und die Anpassung von Krankheitserregern an neue Wirte kann aufgrund der Ansiedlung von Menschen und Tieren in früheren natürlichen Ökosystemen und der Schaffung von Übergangszonen zwischen diesen beiden Arten von Ökosystemen auftreten. Manchmal haben sich Vektoren wie bestimmte Mückenarten an Bewässerungskanäle für die Landwirtschaft angepasst und breiten sich daher tief in vom Menschen besiedelte Gebiete aus 48. 2.3. Wechselwirkungen durch Wildtierjagd und Wildtierhandel Praktiken im Zusammenhang mit der Entwaldung und der Tierhaltung sowie der Jagd und dem Handel mit Wildtieren sind Risikofaktoren für aufkommende Zoonosen, da Menschen in engen Kontakt mit Wildtieren kommen, die Träger der Erreger sein können, die diese Krankheiten verursachen. Dies gilt jedoch nicht unbedingt für den regulierten Handel mit Wildtieren in gemäßigten Klimazonen in Europa. Der regulierte Handel kann in Anbetracht dessen, dass nicht genügend natürliche Raubtiere vorhanden sind, als Steuerungselement fungieren, um bestimmte Wildtierpopulationen zu reduzieren. Die lokale und globale Nachfrage nach Wildtieren führt dazu, dass Menschen in Wälder eindringen, um Wildtiere zu jagen und zu sammeln, die anschließend in vielen Fällen auf Märkten in städtischen und ländlichen Gebieten zum Verkauf angeboten werden49. Wildtiermärkte (oder sogenannte Wet Markets) und der legale und illegale Handel mit Wildtieren bringen lebende und tote Wildtiere in engen Kontakt mit Jägern, Händlern und Verbrauchern und erleichtern so die Übertragung von Krankheitserregern von Wildtieren auf Menschen. Auf diesen Märkten werden Tiere vieler Arten in hoher Dichte zusammengehalten, oft unter schlechten hygienischen Bedingungen, mit einem hohen Risiko, dass sich Körperflüssigkeiten vermischen. Diese Märkte führen auch zu hohem Stress für die Tiere, was ihr Immunsystem schwächt. Obwohl die genaue Quelle und der Infektionsweg umstritten ist, scheint COVID-19 das Ergebnis einer zoonotischen Übertragung von einem ursprünglichen Wildtierwirt gewesen zu sein, möglicherweise über einen tierischen Zwischenwirt, der in engen Kontakt mit Menschen kam 50. Die unmittelbare Nähe verschiedener Wild- und Haustiere unter Bedingungen, wie sie auf Wet Markets zu finden sind, kann die Rekombination von weiter entfernten Coronaviren und neu auftretenden Viren mit Kombinationen von Merkmalen ermöglichen, die sich von denen der beiden Elternviren unterscheiden 51. Diese neuen Krankheitserreger können plötzlich sehr gefährlich für Menschen werden. Es bleibt die Frage, ob neuartige Krankheitserreger entstehen, weil Wild- und Haustiere auf Wet Markets eng beieinander gehalten werden oder weil auf diesen Märkten insgesamt schlechte hygienische Bedingungen herrschen. Der Handel mit Wildtieren könnte einer der Schlüsselfaktoren für das Auftreten der COVID-19- Pandemie gewesen sein. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass das Bewusstsein der Verbraucher für das Risiko einer Zoonose in allen Fällen zu einem geringeren Verbrauch führt. Ein Beispiel für einen erhöhten Verbrauch sind Ölprodukte von Wildtieren wie Robbenöl, die traditionell 47 Epstein et al. 2006, siehe auch Kapitel 3. 48 Jones et al. 2013. 49 Dobson et al. 2020. 50 Andersen et al. 2020, Wu et al. 2020. 51 Li et al. 2020, Petrovan et al. 2020. 19 PE 658.217
IPOL | Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität mit gesundheitlichen Vorteilen verbunden werden und in Gebieten wie Dagestan (Russland) am Kaspischen Meer einen Anstieg des Verbrauchs verzeichnet haben52. Ein ähnlicher Effekt der COVID-19-Pandemie wurde in Afrika beobachtet, wo Gebiete unter Naturschutz, die eine Lebensgrundlage für lokale Gemeinschaften sind, die pflanzliche und tierische Ressourcen gewinnen, aufgrund wirtschaftlicher Belastungen stärker genutzt werden. Gleichzeitig standen aufgrund geringerer öffentlicher Ausgaben und internationaler Hilfe sowie des schwächelnden Tourismus erheblich weniger Mittel für den Naturschutz zur Verfügung. Andererseits haben Länder wie Gabun den Verzehr von Fledermäusen und Schuppentieren als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie verboten, und eine geringere Nachfrage auf den asiatischen Märkten könnte den Export bestimmter Wildtierarten verringern53. Während der COVID-19-Krise wurde von vielen Interessengruppen ein allgemeines Verbot des Handels mit Wildtieren befürwortet. Ein generelles Verbot der Jagd und des Handels mit Wildtieren würde sich allerdings negativ auf die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika auswirken, insbesondere auf indigene Völker und lokale Gemeinschaften. Eine nachhaltigere Option unter Berücksichtigung von Gesundheit, biologischer Vielfalt und sozioökonomischen Vorteilen könnte darin bestehen, die Überwachung und Durchsetzung eines Verbots des nicht nachhaltigen Handels mit Wildtieren außerhalb lokaler Gemeinschaften und des transnationalen Handels mit Wildtieren zu verstärken54. Nicht alle diese Formen des nicht nachhaltigen Handels sind illegal. Eine große Anzahl von Wildtieren wird gemäß den geltenden Rechtsvorschriften weltweit jährlich importiert. Ein weiterer Faktor, der berücksichtigt werden muss, ist die Praxis einer legalen intensiven Wildtierhaltung. Zu den gezüchteten Säugetieren zählen Hirsche, Nagetiere, Zibetkatzen und Pelzsäugetiere, manchmal unter Bedingungen, die ein geschwächtes Immunsystem und die Übertragung von Zoonosen fördern. Beispiele hierfür sind die Vogelgrippe in Straußenfarmen in Südafrika, Tollwut in Kudu-Farmen in Namibia und zuletzt das Auftreten von (potenziell mutiertem) SARS-CoV-2 in Nerzfarmen in Dänemark, den Niederlanden und Belgien 55. 52 Svolkinas 2020. 53 Lindsey at al. 2020. 54 Borzée et al. 2020. 55 Magouras et al. 2020. PE 658.217 20
Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und der zunehmenden Verbreitung von Zoonosen 3. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND POLITISCHE OPTIONEN Es gibt keinen Standardansatz für die Bewertung der Auswirkungen auf das Risiko von Zoonosen, die durch Veränderungen des Zustands der biologischen Vielfalt verursacht werden. Es scheint Konsens darüber zu bestehen, dass die Beziehungen zwischen biologischer Vielfalt und Zoonosen unter anderem je nach Übertragungsart, Wahrscheinlichkeit der Interaktion zwischen Wirten, Krankheitserregern und/oder Vektoren sehr unterschiedlich sind. Jeder Fall würde gesonderte Betrachtung erfordern, um zu bewerten, wie das Risiko am besten verringert werden kann, und es muss sorgfältig darauf geachtet werden, dass eine Vielzahl anderer Faktoren berücksichtigt werden, einschließlich der Auswirkungen auf indigene Völker und lokale Gemeinschaften in Hotspots für biologische Vielfalt, auf Treibhausgasemissionen, auf Grün- und Erholungsgebiete im städtischen Kontext oder auf andere Ökosystemfunktionen oder -leistungen. Eine Möglichkeit, das Risiko von Pandemien durch das Überspringen von Zoonosen zu bewerten, besteht in der Bewertung der Virusvielfalt bei tierischen Wirten. Dies basiert auf der Beobachtung, dass COVID-19, SARS-CoV, MERS-CoV 56 und Ebola neben anderen Zoonosen von Tieren auf Menschen übergesprungen sind. Viren zirkulieren jedoch ständig zwischen verschiedenen tierischen Wirten und Menschen, ohne eine Übertragung zu weiteren Menschen zu bewirken. Daher reicht das Virusmonitoring allein möglicherweise nicht aus und sollte durch die Bewertung der Wechselwirkungen zwischen Mensch und Tier ergänzt werden. Dies kann ein Monitoring von Krankheitsüberträgern wie Mücken und Zecken oder eine Bewertung der Fragmentierung von Tierlebensräumen und der Nähe zu landwirtschaftlichen Flächen und menschlichen Wohnstätten in Hotspots der biologischen Vielfalt umfassen57. Wilkinson et al. (2020) entwickelten ein Modell, das die Beziehung zwischen Arten und den von ihnen bewohnten Gebieten nutzt und mit dem das Risiko für den Menschen, abhängig von der Bevölkerungszahl, an bestimmten neuartigen Zoonosen zu erkranken, vorausgesagt werden kann. Auf ihre Ergebnisse stützen sich andere Studien, in denen darauf hingewiesen wird, dass das Risiko für neuartige Zoonosen mit dem Verlust der biologischen Vielfalt steigt, bis ein mittleres Maß an Verlust der biologischen Vielfalt erreicht ist. Es gibt jedoch empirische Belege für die Vorteile der Förderung eines größeren Anteils nicht kompetenter Wirte in einem bestimmten Bereich anstelle des Managements kompetenter Wirte. Dies gilt insbesondere für Zoonosen mit mehreren Wirten, die von mehreren Vektoren übertragen werden 58. In bestimmten Fällen, z. B. bei Wildtieren in der Nähe von städtischen Gebieten in Europa, könnte das Management von Reservoirwirten (z. B. Verringerung des Risikos einer Interaktion mit Fleischfressern oder Wildtieren) oder die Impfung von Reservoirwirten die Option der Wahl sein 59. In den folgenden Kapiteln sollen einige Beispiele für derzeit vorgeschlagene politische Optionen aufgeführt werden, nachdem die in Kapitel 2 vorgeschlagenen Zusammenhänge unterschieden wurden. Einige dieser Optionen wurden auch in dem kürzlich veröffentlichten Workshop-Bericht zu 56 Middle East respiratory syndrome (MERS). 57 Bloomfield 2020. 58 Bayliss et al. 2017; Rabitsch et al. 2017. 59 Rohr et al. 2020. 21 PE 658.217
IPOL | Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität Biodiversität und Pandemien identifiziert, der von der Zwischenstaatlichen Plattform für Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen (IPBES) erstellt wurde 60. 3.1. Politische Optionen für Gebiete mit begrenztem menschlichem Einfluss Der Erhalt der biologischen Vielfalt kann eine besonders gute Wahl für die Risikominderung sein, wenn die Wirtsdiversität das Risiko eines Überspringens verringert und das Management von kompetenten Wirten wie Nagetieren schwierig ist 61. Insbesondere in Gebieten höchster Diversität könnten sich die Erhaltungsbemühungen auf potenzielle „Hotspots“ von Wildtierpathogenen konzentrieren. Typische Beispiele sind tropische Wälder und Feuchtgebiete. Die Erfassung und Erkundung nicht nur von Krankheitserregern, sondern auch von Vektoren und Reservoirwirten kann die Identifizierung dieser Gebiete erleichtern. Die hohe Anzahl potenzieller Zoonosen in Gebieten höchster Diversität kann jedoch ein begrenzender Faktor für diesen Ansatz sein. Mit Pufferzonen um natürliche Gebiete mit einer großen Vielfalt an Krankheitserregern, Wirten und Vektoren herum würde der Kontakt zwischen Wildtieren, Nutztieren und Menschen verringert werden und dazu beigetragen werden, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens neuer Krankheitserreger zu verringern. Der Zusammenhang zwischen der Entwaldung und dem Auftreten von (neuartigen) Krankheitserregern legt nahe, dass große Anstrengungen unternommen werden sollten, um intakte Waldbestände in tropischen Ländern zu erhalten62. Eine derzeit diskutierte politische Option betrifft eine nachhaltige EU-Handelspolitik und die Initiative des Europäischen Parlaments, rechtsverbindliche Instrumente zur Sicherstellung eines entwaldungsfreien Handels zu ermöglichen, um die Auswirkungen der EU als Verbraucher von Gütern und Materialien, die Wälder betreffen, weltweit anzugehen. Die Entwicklungszusammenarbeit kann neu ausgerichtet werden, um nicht nur ehrgeizige Maßnahmen zu finanzieren, die die Gefahr von Zoonosen verringern können, sondern auch den Entwicklungsländern die technischen Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, um einen transformativen Wandel ihrer Volkswirtschaften zu ermöglichen und internationale und EU-Umwelt- und Sozialstandards zu erfüllen, insbesondere im Zusammenhang mit entwaldungsfreien und landneutralen Lieferketten. Wenn der Verlust der biologischen Vielfalt durch die Einrichtung und Erweiterung von Schutzgebietsnetzen verringert werden soll, sollte berücksichtigt werden, dass Schutzgebiete, die weiter von den Zentren der menschlichen Bevölkerung entfernt sind, besser für die Prävention von Zoonosen geeignet sind. In ähnlicher Weise gehen von großen und gut verbundenen Schutzgebieten geringere Risiken für das Auftreten von Krankheiten aus als von kleineren, die in vom Menschen geprägten Landschaften verstreut liegen. Das Risiko eines Überspringens könnte verringert werden, wenn die biologische Vielfalt in Gebieten gefördert wird, die von menschlichen Siedlungen entfernt sind, oder wenn Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass Wildtiere in Gebieten von ausreichender Größe leben, die angemessen miteinander verbunden und so weit wie möglich von menschlichen Siedlungen und Nutztieren entfernt sind. Dies gilt zum Beispiel für Wildtiere in Regionen 60 IPBES Workshop on Biodiversity and Pandemics - Workshop Report, 2020 (IPBES-Workshop zu Biodiversität und Pandemien – Workshop- Bericht, 2020), https://ipbes.net/sites/default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics%20Report_0.pdf 61 Rohr et al. 2020. 62 Dobson et al 2020. PE 658.217 22
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