Wohnen - CURAVIVA Schweiz

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Wohnen - CURAVIVA Schweiz
Ausgabe 1–2 | 2020

                      Leaving Care
              Das neue Kompetenzzentrum bietet
                Wissen und Support – Seite 34

                                                      Fachzeitschrift Curaviva
                                                      Verband Heime & Institutionen Schweiz

                                                      Wohnen
                                                      Bedürfnisse und Angebote

2015201_curaviva_01-02-2020_01_Front_3475260.indd 1                                           06.02.20 15:26
Wohnen - CURAVIVA Schweiz
«Wohnformen, die vom
          Beziehungsumfeld ausgehen,
          befinden sich in der Mitte
          der Gesellschaft.»

              Elisabeth Seifert
              Chefredaktorin

          Liebe Leserin,
          lieber Leser
          Lassen Sie mich die Situation in einer mittelgrossen Deutsch-       ausgehend von den tatsächlichen Lebensbezügen und unter
          schweizer Gemeinde schildern, wie sie wohl auf manche Ge-           Einbezug des ganzen Beziehungsumfeldes bedarfsgerechte,
          meinde hierzulande zutrifft: Die Pflegeeinrichtung ist in die       flexible Wohnformen und weitere Dienstleistungen zu entwi-
          Jahre gekommen, Heimleitung und Trägerschaft müssen sich            ckeln.
          überlegen, wie es jetzt weitergehen soll. Lohnt es sich, das alte   Dieser Paradigmenwechsel zwingt alle Akteure einer Gemein-
          Gebäude abzureissen und ein neues zu bauen? Oder genügt es,         de oder Region dazu, sich an einen Tisch zu setzen, um den
          sich für eine Sanierung zu entscheiden? Ist es vielleicht sogar     Bedarf zu erheben. Etablierte Pflegeheime können in diesem
          angezeigt, künftig auf ein Heim im Dorf zu verzichten? Schon        Prozess daran beteiligt sein, innovative Wohn- und Lebens-
          heute fällt es nämlich nicht immer leicht, die Pflegeheimplät-      strukturen aufzubauen. Eindrücklich vor Augen führt dies
          ze zu belegen, zudem verlassen etliche Personen, die das Ren-       etwa der Burgerspittel im Berner Viererfeld, der wesentlich an
          tenalter erreicht haben, die Gemeinde.                              der Planung einer generationendurchmischten Siedlung mit
          Auch wenn es für einen solchen Wegzug unterschiedliche              neuen Wohn- und Betreuungsformen beteiligt ist (Seite 12).
          Gründe geben mag: Die Verantwortlichen kommen zum                   Wohnformen, die vom Beziehungsumfeld ausgehen, befinden
          Schluss, dass die bestehende Angebotsstruktur nicht mehr            sich in der Mitte der Gesellschaft. Dies gilt gleichermassen für
          den Bedürfnissen der älter werdenden Bewohnerinnen und              betagte Menschen, Personen mit Beeinträchtigung als auch
          Bewohner zu entsprechen scheint. Während vieler Jahre ge-           Kinder und Jugendliche. Egal in welcher Lebenssituation oder
          nügte die Perspektive, dereinst mit der Spitex oder im Heim         in welcher Lebensphase sich jemand befinden mag, es ent-
          betreut und gepflegt zu werden. Die neuen Seniorinnen und           spricht einem menschlichen Grundbedürfnis, am gesell-
          Senioren indes pflegen ihre Individualität und wollen auch          schaftlichen Leben teilzunehmen und das eigene Umfeld mit-
          nicht auf ihren eigenen Wohn- und Lebensstil verzichten,            zugestalten.    Seit   fünf   Jahren    bereits    leben   auf   dem
          wenn sie in späteren Jahren zunehmend auf Unterstützung             Hunziker-Areal in Zürich-Oerlikon, in einer Überbauung der
          angewiesen sind. Sie wollen ihre Leben bis ins hohe Alter           Wohnbaugenossenschaft «Mehr als Wohnen», Menschen mit
          selbst gestalten.                                                   Behinderung sowie Kinder und Jugendliche aus schwierigen
          Dieser gesellschaftliche Wandel bedeutet für die Leistungser-       Verhältnissen Tür an Tür mit Menschen unterschiedlichen Al-
          bringer der Langzeitpflege eine Herausforderung. Eine Her-          ters und mit verschiedenen Hintergründen (Seite 22). Dieses
          ausforderung, der Curaviva Schweiz mit der Weiterentwick-           selbstverständliche Neben- und Miteinander fördert das Ver-
          lung des Wohn- und Pflegemodells 2030 begegnet. «Wir                ständnis für die Vielfalt unserer Gesellschaft.      •
          denken im Modell nicht mehr von Institutionen und Organisa-
          tionen aus, sondern vom Menschen her», sagt Markus Leser
          im Interview mit der Fachzeitschrift (Seite 6). Er ist Leiter des
          Fachbereichs Menschen im Alter von Curaviva Schweiz und
          hat das Modell wesentlich geprägt. Die Unterstützungsleis-
                                                                              Titelbild: Die Puppenstube als Sinnbild dafür, unser Wohnen und Leben
          tungen müssen sich den Menschen anpassen und nicht umge-            gemäss unseren individuellen Bedürfnissen zu gestalten.
          kehrt. Entsprechend dem Sozialraumansatz geht es darum,                                                                  Foto: Alamy Stock

                                                                                                                            3      CURAVIVA 1–2 | 20

2015201_curaviva_01-02-2020_02-03_Editorial_3475466.indd 3                                                                                         06.02.20 15:26
Wohnen - CURAVIVA Schweiz
Viererfeld Bern                                       Tobias Fritschi/Matthias von Bergen                   Basale Stimulation

                                               12                                                     27                                                    44
              Inhaltsverzeichnis

          Wohnen                                                                                      Kinder & Jugendliche
          Vom Menschen her denken                                                             6      Kompetenzzentrum Leaving Care                                    34
          Das weiterentwickelte Wohn- und Pflegemodell 2030 von Curaviva                              Junge Menschen, die einen Teil ihres Lebens in einem Heim oder bei
          Schweiz öffnet sich für die ganze Vielfalt an Wohnformen – über die                         einer Pflegefamilie verbracht haben, brauchen beim Übergang in ein
          Institutionen hinaus.                                                                       selbstständiges Leben häufig Unterstützung.

          Für das ganze Leben                                                                12      Die Selbstbefähigung fördern                                                          38
          Auf dem Viererfeld in Bern ist eine generationendurchmischte                                Im Projekt Creating Futures entwickeln Jugendliche, Forschende
          Siedlung mit vielen unterschiedlichen Wohnkonzepten geplant.                                und Mitarbeitende von Heimen Empfehlungen dafür, wie Heime
                                                                                                      jungen Leuten beim Aufbau einer nachhaltigen Zukunft helfen.
          Ein Angebot, das sich an den Bedürfnissen orientiert                               16
          Das Alterszentrum St. Martin in Sursee LU hat über die Jahre                                Alter & Behinderung
          zahlreiche Dienstleistungen entwickelt: Betreutes Wohnen,                                   Betreuende Angehörige                                                                 41
          geschützte Wohngruppen und Pflegestudios.                                                   Ein Förderprogramm des Bundes zeigt auf, wie Fachpersonen
                                                                                                      Angehörige in ihrer Betreuungsarbeit unterstützen können.
          Wohnen wie alle                                                                    22
          Kinder und Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen mischen                                Basale Stimulation                                             44
          sich in einer Überbauung auf dem Zürcher Hunziker-Areal                                     Mit nonverbaler Kommunikation lassen sich schwer beeinträchtigte
          mit Kindern aus der Nachbarschaft.                                                          Menschen anregen. Der Dokumentarfilm «Das Leben spüren» legt
                                                                                                      das Potenzial basaler Stimulation offen.
          «Soziale Durchmischung in allen Lebensbereichen»                27
          Für Menschen mit Behinderung werde es künftig mehr Möglichkeiten                            Journal
          für die Teilhabe an Wohnen, Arbeit und Freizeit geben. Das sagen
                                                                                                      Lohrs Legislatur                                                                      47
          zwei Forscher der Berner Fachhochschule.
                                                                                                      Buchtipp                                                                              48
          Smart Home der Zukunft                                          32                         Carte Blanche                                                                         49
          Intelligente Systeme erleichtern Menschen, die auf Unterstützung                            Kurznachrichten                                                                       50
          angewiesen sind, den Alltag.
                                                                                                      Stelleninserate                                                            24, 36, 40

                                                   FSC Zertifikat

              Impressum: Redaktion: Elisabeth Seifert (esf), Chefredaktorin; Urs Tremp (ut); Claudia Weiss (cw); Anne-Marie Nicole (amn) • Korrektorat: Beat Zaugg • Herausgeber:
              CURAVIVA – Verband Heime und Institutionen Schweiz, 91. Jahrgang • Adresse: Hauptsitz CURAVIVA Schweiz, Zieglerstrasse 53, 3000 Bern 14 • Briefadresse: Postfach,
              3000 Bern 14 • Telefon Hauptnummer: 031 385 33 33, Telefax: 031 385 33 34, E-Mail: info@curaviva.ch, Internet: www.fachzeitschrift.curaviva.ch • Geschäfts-/Stelleninserate:
              Zürichsee Werbe AG, Fachmedien, Laubisrütistrasse 44, 8712 Stäfa, Telefon: 044 928 56 53, E-Mail: markus.haas@fachmedien.ch • Stellenvermittlung: Telefon 031 385 33
              63, E-Mail: stellen@curaviva.ch, www.sozjobs.ch • Satz und Druck: AST & FISCHER AG, Digital Media and Print, Seftigenstrasse 310, 3084 Wabern, Telefon: 031 963 11 11,
              Telefax: 031 963 11 10, Layout: Felicia Jung • Abonnemente: Natascha Schoch, Telefon: 041 419 01 60, Telefax: 041 419 01 62, E-Mail: n.schoch@curaviva.ch • Bestellung von
                              Einzelnummern: Telefon: 031 385 33 33, E-Mail: info@curaviva.ch • Bezugspreise 2014: Jahres­abonnement Fr. 125.–, Einzelnummer Fr. 15.–, inkl. Porto und
                              MwSt.; Ausland, inkl. Porto: Jahresabonnement Fr. 150.–, Einzelnummer keine Lieferung • Erscheinungsweise: 10×, monatlich, Januar/Februar Winterausgabe,
              Publikation2018 Juli/August Sommerausgabe • Auflage (deutsch): Druckauflage 4000 Ex., WEMF/SW-Beglaubigung 2017: 2848 Ex. (Total verkaufte Auflage 2777 Ex., Total
                              Gratisauflage 71 Ex.), Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach Absprache mit der Redaktion und mit vollständiger Quellenangabe.             ISSN 1663-6058
                 FOKUSSIERT
                 KOMPETENT
                 TRANSPARENT

                                                                                                                                                                5       CURAVIVA 1–2 | 20

2015201_curaviva_01-02-2020_04-05_Inhaltsverzeichnis_3475691.indd 5                                                                                                                          06.02.20 15:25
Wohnen - CURAVIVA Schweiz
Wohnen

          Das Wohn- und Pflegemodell 2030 von Curaviva Schweiz ist der Vielfalt verpflichtet

          «Wir betrachten den alten Menschen in
          seinem ganzen Beziehungsumfeld»

                                                                                      Kann man sagen, dass sich das Wohnen im Alter nicht
          Neben der Anpassung der Pflegeeinrichtungen                                 grundsätzlich vom Wohnen der jüngeren Generationen
          brauche es neue Wohn- und Lebensstrukturen,                                 unterscheidet?
          sagt Markus Leser, der Leiter des Fachbereichs                              Der Mensch wohnt immer in einer bestimmten Form, ob er 20,
          Menschen im Alter von Curaviva Schweiz. Er                                  50 oder 70 und älter ist. Das Wohnen im Alter ist einfach eine
          erläutert das Wohn- und Pflegemodells 2030 –                                Fortsetzung von dem, was vorher schon war. Deshalb bin ich
          und seine Weiterentwicklung.                                                heute nicht mehr so sicher, ob es überhaupt noch sinnvoll ist,
                                                                                      vom «Wohnen im Alter» zu reden. Der Trend hin zu immer
           Interview: Elisabeth Seifert
                                                                                      vielfältigeren Wohnformen und Lebensstilen über alle Gene-
                                                                                      rationen hinweg wird weiter zunehmen. Das bedeutet eine
          Sie beschäftigen sich seit Jahren mit dem Wohnen und der                    Herausforderung für unsere Branche. Wir müssen auf all diese
          Pflege betagter Menschen: Welches sind die Bedürfnisse –                    Bedürfnisse reagieren.
          heute und in Zukunft?
          Markus Leser: Die Bedürfnisse der älter werdenden Menschen                  Wie ist es möglich in diesen vielfältigen Wohnsettings die
          werden immer individueller, vielfältiger und komplexer. Die                 nötige Begleitung, Betreuung oder Pflege sicherzustellen?
          ins Alter kommende Generation der Babyboomer hat während                    Das starre System, das wir immer noch in den Köpfen haben,
          Jahrzehnten eigene Lebensstile entwickelt. Dies spiegelt sich               hier ambulante Pflege und Betreuung über die Spitex und dort
                                                    in     immer    vielfältigeren    stationäre Pflege in einer Pflegeinstitution, ist nicht mehr zeit-
                                                    Wohnformen und Dienstleis-        gemäss und greift viel zu kurz. Damit hat man nämlich grund-
             «Ich bin nicht so                      tungsangeboten wider. Es          sätzlich nur zwei Wohnformen im Sinn, jene in den ange-
            sicher, ob es noch                      gibt nichts, was es nicht gibt:   stammten vier Wänden und jene in der Pflegeeinrichtung. Wir
              sinnvoll ist, von                     Dazu gehört zum Beispiel das      müssen Pflege, Betreuung und Begleitung unabhängiger von
            einem ‹Wohnen im                        Altwerden auf einem Cam-          einem bestimmten Wohnsetting denken. Oder anders ausge-
             Alter› zu reden.»                      pingplatz. Viele bevorzugen       drückt, Begleitung, Betreuung und Pflege muss an die spezifi-
                                                    ihre      angestammten    vier    sche, individuelle Lebens- und Wohnsituation angepasst wer-
                                                    Wände. Vor allem in Städten       den können. Man spricht heute von intermediären Wohn- und
          und Agglomerationen gibt es einen Trend hin zu gemeinschaft-                Betreuungsformen, die zwischen dem ambulanten und statio-
          lichen Wohnformen, etwa in Alterswohn- und Altershausge-                    nären Bereich liegen. Als Folge davon werden immer mehr An-
          meinschaften. Über alle Altersgruppen hinweg werden Mehr-                   bieter aus dem ambulanten und stationären Bereich zusam-
          generationenhäuser und Clusterwohnungen beliebter. Ab                       menarbeiten müssen.
          einem gewissen Betreuungs- und Pflegebedarf bevorzugen
          manche das Wohnen mit Dienstleistungen oder das Betreute                    Sprechen Sie hier vor allem das Betreute Wohnen an?
          Wohnen. Bei einem hohen Pflegebedarf gibt es neben den                      Das Betreute Wohnen ist eine spezifische Kategorie innerhalb
          Pflegeinstitutionen auch ein Angebot an Pflegewohngruppen                   der intermediären Wohn- und Betreuungsformen, vor allem

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Wohnen - CURAVIVA Schweiz
dann, wenn man damit ein bestimmtes Wohnsetting verbindet.           Als Antwort auf die vielfältigen Herausforderungen an die
          Es gibt ja mittlerweile ein recht grosses Angebot an sogenannt       Branche hat Curaviva Schweiz vor rund vier Jahren das
          Betreuten Wohnungen. Gemeinsam mit Spitex Schweiz, Sene-             Wohn- und Pflegemodell 2030 (WOPM) entwickelt…
          suisse und Pro Senectute Schweiz hat Curaviva Schweiz im             In diesem Modell verstehen
          letzten Jahr ein Vier-Stufen-Modell für betreutes Wohnen ent-        wir Pflegeinstitutionen nicht
          wickelt. Betreutes Wohnen lässt sich grundsätzlich auch un-          mehr in erster Linie als gros­         «Wir denken im
          abhängig von einem bestimmten Wohnsetting verstehen und              se Gebäude, sondern als               Modell nicht mehr
          meint dann einfach eine Betreuungs- und Pflegeleistung, die          Dienstleistungsunterneh-              von Institutionen
          in irgendeinem Wohnsetting erbracht werden kann. Zum Bei-            men, die älteren Menschen             aus, sondern vom
          spiel auch innerhalb einer Hausgemeinschaft oder eines Mehr-         ein selbstbestimmtes Leben             Menschen her.»
          generationenhauses.                                                  in ihrem bevorzugten Wohn-
                                                                                                  umfeld    er-
                                                                                                  möglichen. Mit dem WOPM unterstützen wir
                                                                                                  als Verband den Wandel von der stationären
                                                                                                  Pflege und Betreuung hin zu einer integrierten
                                                                                                  Versorgung, die den alten Menschen aus einer
                                                                                                  ganzheitlichen Perspektive heraus unter-
                                                                                                  stützt. In Zusammenarbeit mit weiteren Ak-
                                                                                                  teuren stellen die Pflegeeinrichtungen die
                                                                                                  medizinische Grundversorgung sicher, sorgen
                                                                                                  für begleitende Dienstleistungen und Freizeit-
                                                                                                  angebote. Ambulante und stationäre Pflege-
                                                                                                  formen werden ergänzt durch betreutes Woh-
                                                                                                  nen in dafür geeigneten Appartements und
                                                                                                  Siedlungen.

                                                                                                  In den letzten Monaten haben Sie eine zweite
                                                                                                  Version dieses Modells entwickelt – weshalb?
                                                                                                  Bei dieser zweiten Version des WOPM handelt
                                                                                                  sich nicht um etwas grundsätzlich Neues, son-
                                                                                                  dern um eine Weiterentwicklung. Unsere ers-
                                                                                                  te Version vermittelt eine noch recht starre
                                                                                                  Vorstellung von Wohn- und Betreuungsfor-
                                                                                                  men, die der immer vielfältiger werdenden
                                                                                                  Realität nicht wirklich gerecht wird: In der
                                                                                                  Mitte steht das Gesundheitszentrum, das al-
                                                                                                  lerhand Dienstleistungen zur Verfügung stellt,
                                                                                                  rundherum befinden sich die angestammten
                                                                                                  Wohnungen, Appartements für Betreutes
                                                                                                  Wohnen und spezialisierte Pflegeeinrichtun-
                                                                                                  gen. In meinen Referaten habe ich festgestellt,
                                                                                                  dass wir mit solchen Vorstellungen, wo be-
                                                                                                  stimmte Gebäude eine Rolle spielen, die Ver-
                                                                                                  antwortlichen auf die Fährte des Bauens lo-
                                                                                                  cken. Die Leute wollen gerne bauen und
                                                                                                  gestalten, spezialisierte Pflegeeinrichtungen
                                                                                                  etwa oder Siedlungen mit betreuten Wohnun-
                                                                                                  gen. Das Bauen kann aber nicht das vorrangi-
                                                                                                  ge Ziel sein.

                                                                                                  Wodurch ist die zweite Version des WOPM
                                                                                                  gekennzeichnet?
                                                                                                  Mit dem weiterentwickelten Modell stellen wir
                                                                                                  den Menschen und seine Bedürfnisse noch
                                                                                                  konsequenter ins Zentrum. Wir denken im Mo-
                                                                                                  dell nicht mehr von Institutionen und Organi-
          Markus Leser, 61, ist promovierter Gerontologe. Er leitet den Fachbereich               sationen aus, sondern vom Menschen her. Da-
          Menschen im Alter von Curaviva Schweiz.                       Foto: Martina Valentin   durch lösen wir uns von bestimmten starren         >>

                                                                                                                           7    CURAVIVA 1–2 | 20

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Wohnen - CURAVIVA Schweiz
Wohnformen im Alter

             Individuell und gemeinschaftlich
Wohnen

             Zwischen dem Wohnen im angestammten                                  schen WG neben dem Wohn- und Esszimmer auch auf das
             Zuhause und dem Pflegeheim wird die Vielfalt                         Bad zutrifft, haben in einer Clusterwohnung die Bewohner
             an Wohnformen immer grösser. Das betreute                            neben ein oder zwei privaten Zimmern auch ein eigenes
             Wohnen ist nur eine davon. An Bedeutung                              Bad und eine Kochgelegenheit. Die Clusterwohnung ist
             gewinnt das generationenübergreifend                                 eine Wohnform, die Kleinstwohnung und Wohngemein-
             konzipierte Wohnen.                                                  schaft miteinander kombiniert.
                                                                                ■	Generationenwohnen: Menschen in unterschiedlichen
             ■	Angestammtes Wohnen: Viele älter werdenden Menschen               Lebensphasen und Familienkonstellationen leben in ei-
                haben den Wunsch, möglichst lange in der Wohnung zu               nem Haus oder einer Siedlung zusammen. Die verschie-
                bleiben, wo sie einen grösseren Teil ihres Lebens verbracht       denen Generationen unterstützen und ergänzen sich
                haben. Ermöglicht wird dies vor allem durch eine hinder-          gegenseitig. Für das intergenerationelle Miteinander
                nisfreie Bauweise sowie die Möglichkeit, rasch individu-          braucht es ein Konzept. Eine Mehrheit der älteren Men-
                elle Anpassungen vorzunehmen. Zudem braucht es un-                schen bevorzugt das generationengemischte Wohnen im
                terstützende Strukturen durch die ambulante Pflege und            Unterschied zum altershomogenen Wohnen. Das Mehr-
                Betreuung (Spitex), soziale Netze (Angehörige, Freunde,           generationenhaus ist eine Variation der Altershausge-
                Nachbarn) sowie ein Angebot an öffentlichen Dienstleis-           meinschaft.
                tungen.                                                         ■	Seniorenresidenz: Die Bewohner haben eine eigene kleine
             ■	Wohnen mit Dienstleistungen/Betreutes Wohnen: Die Be-             Wohnung inklusive Bad und Küche, wohnen aber mit an-
                wohnerinnen und Bewohner verfügen über eine private               deren alten Personen in einer Institution zusammen, die
                Wohnung. Neben einem schwellenlosen Zugang oder einem             ein breites Angebot an hotelähnlichen Dienstleistungen
                Notrufsystem zeichnen sich diese Wohnungen durch den              zur Verfügung stellt. Viele Residenzen verfügen über eine
                Zugang zu Dienstleistungen aus, die wahlweise in Anspruch         Pflegeabteilung. Angesprochen sind ältere Menschen aus
                genommen werden können, hauswirtschaftliche Dienste,              dem oberen Einkommenssegment.
                Pflege und Betreuung sowie Angebote der Alltagsgestaltung.      ■	P flegeinstitution/Pflegezentrum: Diese Wohnform richtet
                Diese Wohnform ist vor allem für Menschen im vierten Le-          sich an Menschen, die eine relativ umfassende Pflege und
                bensalter (80 plus) attraktiv, die aufgrund funktionaler Ein-     Betreuung benötigen. Dazu gehören standardgemäss
                schränkungen auf solche Dienstleistungen angewiesen               Dienstleistungen, die alle Lebensbedürfnisse abdecken.
                sind. Menschen mit tiefem Einkommen bleiben Betreute              In den letzten Jahrzehnten hat sich das Selbstverständnis
                Wohnformen oft verwehrt, weil die höheren Miet- und               von Pflegeheimen stark gewandelt. Die Heime verstehen
                Dienstleistungskosten nicht über die EL zur AHV finanziert        sich vielfach als Familien- und Hausgemeinschaft, wich-
                werden können. Nach dem Nationalrat hat im Dezember               tig ist die dezentrale Organisation in kleineren Wohnge-
                auch der Ständerat eine Motion angenommen, die das än-            meinschaften. Viele Heime bieten pflegerische Dienstleis-
                dern will. Es besteht keine verbindliche Definition für Be-       tungen ausserhalb der eigenen Institution an. Immer
                treutes Wohnen. Im Frühling 2019 haben Curaviva Schweiz,          wichtiger wird auch der Austausch zwischen dem Heim
                Senesuisse, Pro Senectute Schweiz und Spitex Schweiz ein          und der Öffentlichkeit.
                Vier-Stufen-Modell für Betreutes Wohnen vorgelegt.              ■	P flegewohngruppe: Diese Wohnform ist eine Kombination
             ■	Altershausgemeinschaft: Die Bewohnerinnen und Bewoh-              der Modelle Wohngemeinschaft und Pflegeheim. Die Al-
                ner haben ihre eigene Wohnung. Das Zusammenleben mit              terswohngemeinschaft für Menschen, die Pflege und Be-
                anderen älteren Personen geht über ein unverbindliches            treuung brauchen, wird durch professionelle Fachperso-
                nachbarschaftliches Miteinander hinaus. Die Hausge-               nen geleitet. Pflegewohngruppen können Teil eines
                meinschaft wird von den Beteiligten selbst organisiert            Pflegeheims sein. Während diese Wohn- und Pflegeform
                und verfügt über gemeinsam benutzbare Räume. Hausge-              in Fachkreisen häufig diskutiert wird, ist sie in der allge-
                meinschaftliche Wohnformen sind akzeptierter als Al-              meinen Bevölkerung noch wenig angekommen.
                terswohngemeinschaften im engeren Sinn, generell inte-
                ressiert sich nur eine Minderheit der heute älteren
                Bevölkerung für das gemeinschaftliche Wohnen. In Frage          Quellenhinweise: Age Report IV (2019), Wohnen in den
                kommen solche Wohnformen vor allem für das dritte Le-           späten Lebensjahren – Grundlagen und regionale Unter-
                bensalter.                                                      schiede, hg. von François Höpflinger, Valérie Hugentobler,
             ■	Alterswohngemeinschaft/Alterscluster: Die Bewohnerin-           Dario Spini. Seismo Verlag. Curaviva Schweiz (2014),
                nen und Bewohner haben eigene private Räume, sie teilen         Wohnformen im Alter – Eine terminologische Klärung.
                aber zentrale Lebensräume. Während dies bei der klassi-

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Wohnen - CURAVIVA Schweiz
Vorstellungen und öffnen uns für die Vielfalt. Der Mensch muss     Angebot zu entwickeln. Bei diesen Angeboten stehen aber
          im Mittelpunkt stehen. Das sagen zwar alle, aber wenn man          eben nicht Gebäude im Vordergrund. Die Dienstleister sind
          genau hinschaut, denken und handeln manche Akteure aus             vielmehr gefordert, den Lebens- und Sozialraum der vulne-
          ihrer organisationalen Logik heraus. Das trifft auf die Politik    rablen alten Menschen in einem ganzheitlichen Sinn zu ge-
          und die Finanzierer zu, aber auch auf Fachkreise und Träger-       stalten. Neben bedarfsgerechten und flexiblen Wohnformen
          schaften. Die Qualitätsdiskussion in der Alterspflege zum Bei-     kann es sich hier um bestimmte Dienstleistungen handeln,
          spiel wird stark aus Sicht des KVG geführt, das lediglich einen    Pflege- und Betreuungsleistungen und auch ein Angebot zur
          medizinischen und auf Krankheiten fixierten Blick erlaubt.         Alltagsgestaltung. Grundlage für den Angebotsmix muss da-
                                                                             bei eine Analyse des Sozialraums sein, mit der erhoben wird,
          Wie spiegelt sich diese ganzheitliche Sicht                                         welcher Bedarf tatsächlich besteht. Es ver-
          des Menschen in der neuen Version des                                               steht sich von selbst, dass ein solch bedarfs-
          WOPM?                                                 «Leistungserbringer           gerechter Angebotsmix nur dank der Zusam-
          Wir betrachten den alten Menschen in sei-            müssen den Lebens-             menarbeit der Anbieter, also einer guten
          nem Beziehungsumfeld. Betagte Männer und             raum der Betagten in           Beziehung unter den Leistungserbringern,
          Frauen sind Teil der Gemeinschaft, eingebet-         einem ganzheitlichen           gelingen kann.
          tet in vielfältige generationenübergreifende            Sinn gestalten.»
          Beziehungen, seien dies Angehörige, Nach-                                           Neben den Leistungserbringern schreiben Sie
          barn, Freunde oder Freiwillige. Damit verbun-                                       dem umgebenden Umfeld, den Bezugsperso-
          den ist auch der längst überfällige Paradigmenwechsel vom          nen, eine wichtige Rolle zu – vor allem aus finanziellen
          überholten Defizitmodell hin zu einem Verständnis des Alters       Gründen?
          als eine Lebensphase mit bestimmten Bedürfnissen und Mög-          Wenn wir den Menschen und seine tatsächlichen Lebensbezü-
          lichkeiten wie jede andere auch. In der neuen Version des          ge ins Zentrum stellen, dann ist es selbstverständlich, Perso-
          WOPM wollen wir ausgehend von den tatsächlichen Lebens-            nen, die im Leben der vulnerablen Menschen eine Rolle spielen,
          bezügen unterstützende Beziehungen gestalten. Diese Bezie-         mitzudenken. Eine ganzheitliche Betreuung ist anders gar nicht
          hungsgestaltung spielt sich auf der Ebene der Leistungserbrin-     realisierbar. Betagte Menschen wollen am gesellschaftlichen
          ger und der Ebene der Bezugspersonen ab. Diese Ebenen              Leben teilnehmen und ihren Teil dazu beitragen. Der finanzi-
          umschliessen den vulnerablen alten Menschen in der Mitte.          elle Aspekt spielt aber sicher auch eine Rolle. Hinzu kommt,
                                                                             dass der sich abzeichnende Fachkräftemangel den Einbezug
          Können Sie die Beziehungsgestaltung auf diesen beiden              der Zivilgesellschaft weiterhin erfordert. Das Zusammenspiel
          Ebenen näher erläutern?                                            zwischen den unterschiedlichen Bezugspersonen sowie den
          Auf der Seite der Leistungserbringer muss es darum gehen,          Bezugspersonen und den Dienstleistern muss natürlich gestal-
          mit Blick auf die vulnerablen Menschen ein bedarfsgerechtes        tet und moderiert werden.

                                                                             Ist der Eindruck richtig, dass mit der Weiterentwicklung des
             Von der Gesundheitsförderung                                    WOPM die stationären Einrichtungen etwas aus dem Blickfeld
                                                                             geraten?
             Schweiz unterstützt                                             Ich würde es etwas anders formulieren: Mit dem Blick auf den
             Gesundheitsförderung Schweiz fördert von Januar 2020            Lebensraum der älteren Menschen wird die Form des Ange-
             bis 2023 ein Projekt von Curaviva Schweiz, das auf die Ver-     bots, ob stationär, ambulant oder eine Zwischenform, zweit-
             breitung einer koordinierten und sozialraumorientierten         rangig. Auch mit der neuen Version des WOPM begleiten wir            >>
             Versorgung zielt, wie sie dem Wohn- und Pflegemodell
             2030 (WOPM) von Curaviva Schweiz inhärent ist. Im Rah-           

             men des Projekts werden praxisrelevante Instrumente er-
             arbeitet, welche den verschiedenen Akteuren aus dem
             Gesundheits- und Sozialwesen bei der Umsetzung einer
             Versorgungspraxis gemäss der Vision des WOPM eine Un-
             terstützung bieten. Dazu werden erstmals lokale und regi-
             onale Umsetzungsbeispiele aus der ganzen Schweiz syste-
             matisch analysiert. Das Projekt wird vom Fachbereich
             Menschen im Alter und der Stabsstelle Forschungskoope-
             rationen von Curaviva Schweiz geleitet. Projektpartner aus
             der Praxis sind bislang das Alterszentrum Lindenhof in
             Oftringen (AG), der Parco San Rocco in Morbio Inferiore
             (TI) sowie das Gesundheitsnetz Sense (FR). Forschungs-
             partner sind das Institut et Haute École de la Sante La Sour-
             ce in Lausanne, die Hochschule für Angewandte Wissen-
             schaften St. Gallen sowie Gerontologie.ch.

                                                                                                                       9     CURAVIVA 1–2 | 20

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Wohnen - CURAVIVA Schweiz
Nachbarschaft                   Freiwillige             Angehörige

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                                   Wohnen
                                                                                                      Angebote                                              Trend der Branche entgegen?
             Sozialraum

                                                                                                                                           Sozialraum
                                                                                                                                                            In gemeinschaftlich organi-
                                                                                                                                                            sierten Wohnformen können
                                                                                                                                                            die Bedürfnisse von Men-
                                                                                                                                                            schen mit Unterstützungsbe-
                                                                                                           Alltags-
Wohnen

                            Dienstleistungen                                                                                                                darf besser gedeckt werden.
                                                                                                          gestaltung
                                                                                                                                                            Da braucht es dann womög-
                                                                                                                                                            lich über einen längeren Zeit-
                                                        Leistungserbringer / Anbieter                                                                       raum hinweg gar keine oder
                                                                                                                                                            weniger professionelle Unter-
                                 Zentrum                                                                      Netzwerk                                      stützung. Mit der Weiterent-
                            «Alles aus einer Hand»                                                        «Leistungsvereinbarung»
                                                                                                                                                  3
                                                                                                                                                            wicklung des WOPM wollen
                                                                                                                                                        3
                                                                                                                                                            wir genau diese Entwicklung
            Wohn- und Pflegemodell (Version 2019): Die Begleitung und Unterstützung wird vom                                                                beeinflussen. Für das Genera-
            ­Menschen her gedacht.                                                                           Illustrationen: Curaviva Schweiz              tionenprojekt Viererfeld in
                                                                                                                                                            Bern zum Beispiel, das derzeit
                                                                                                                                                            in der Projektphase steckt,
                                                                                                                                                            hat Curaviva Schweiz die so-
                                                                                 Spezialisierte Pflegeangebote
                                                                                                                                                            zialräumliche Analyse miter-
             Wohnen 80+ in Appartements
             2- bis 3-Zimmer-Wohnungen, diverse                                                                                                             stellt. Das Viererfeld will
             Kategorien (auch «EL-fähig»)
             • Service à la carte                                                                                                                           Menschen ein Zuhause bie-
             • Betreuung und Begleitung              Pflege und         Pflege und        Pflege und         Pflege und          Pflege und
             • Pflege bis zum Lebensende             Betreuung:         Betreuung:        Betreuung:         Betreuung:          Betreuung:                 ten, die gemeinschaftlich
                                                     Demenz             Palliative Care   Gerontopsych.      AÜP                 Akutspital
                                                                                                                                                            wohnen wollen. Als Student
                                                                                                                                                            zieht man dorthin, weil man
                                                                                                                                                            älteren Menschen helfen will
                                                            Gesundheitszentrum                                                                              und dafür einen günstigeren
                                                      • Drehscheibe                                                                                         Mietzins erhält. Neben der Be-
                                                      • Pflege und Betreuung
                                                        (ambulant und stationär)                                                                            reitschaft der Menschen zum
                                                      • Verpflegung und Hauswirtschaft
                                                      • Service à la carte                                                                                  gemeinschaftlichen Wohnen
                                                      • Therapieangebote
                                                      • Medizinische Grundversorgung
                                                                                                                                                            braucht es ein Konzept, um
              Angestammte Wohnungen
                                                        (Gruppenpraxen, Apotheke)                         Quartierzentrum mit Freizeitangeboten             die Generationen zusammen-
                                                      • Tages- und Nachtangebote                          • Kultur
                                                      • Transportservice                                  • Wellness                                        zubringen und das gemeinsa-
                                                                                                          • Fitness
                                                                                                          • Öffentlicher Bereich: Restaurant,               me Leben zu moderieren. Auf
                                                                                                            Café, Bar usw.
                                                                                                          • Ferien                                          der anderen Seite gibt es aber
                                                                                                                                                            auch immer mehr individuel-
                                                                                                                                                            le Wohnformen, die den ge-
            Wohn- und Pflegemodell (Version 2016): Im Zentrum steht die Organisation, die Dienst­                                                           meinschaftlich orientierten
            leistungen für die Betagten zur Verfügung stellt.                                                                                               möglicherweise auch entge-
                                                                                                                                                            genstehen.

          natürlich die Institutionen in ihrer Weiterentwicklung. Ge-                                     Mit dem konsequenten Fokus auf den Menschen richtet die
          fragt ist aber nicht einfach eine Anpassung bestehender Hei-                                    neue Version des WOPM den Blick nicht nur über die Instituti-
          me, vielmehr braucht es neue Wohn- und Lebensstrukturen.                                        onen hinaus, sondern spricht ganz verschiedene Arten von
          Die Aufgabe der Institutionen kann dann auch darin bestehen,                                    Menschen mit Unterstützungsbedarf an. Längst nicht nur
          in diesem ganzen Prozess als Gestalter und Moderator mitzu-                                     betagte Menschen…
          wirken.                                                                                         Wenn man von den Menschen her denkt, dann kann man nie-
                                                                                                          manden ausschliessen. Es sind alle eingeschlossen, Menschen
          Denken Sie bei solchen neuen Wohn- und Lebensstrukturen                                         mit und ohne Unterstützungsbedarf. Die Idee der Beziehungs-
          an den Trend hin zu gemeinschaftlichen Wohnformen?                                              gestaltung, die hinter der Weiterentwicklung des Wohn- und
          Namentlich in den grösseren Städten entscheiden sich heute                                      Pflegemodells steht, lässt sich auf alle Menschen ausdehnen.
          etliche Familien oder Alleinstehende unterschiedlichen Alters                                   Das Viererfeld Bern zum Beispiel gestaltet Beziehungen für
          für das gemeinschaftliche Wohnen, etwa in Mehrgeneratio-                                        das ganze Leben, das betrifft dann natürlich auch alle vulne-
          nenhäusern oder in Clusterwohnungen. Diese Wohnformen                                           rablen Menschen. Die Aufgabe von Curaviva Schweiz besteht
          sind dadurch gekennzeichnet, dass der private Rückzugsbe-                                       aber vor allem in der Beziehungsgestaltung für vulnerable
          reich im Vergleich zum gemeinschaftlich genutzten Wohn-                                         Menschen. Dabei kann es sich neben betagten Menschen auch
          raum kleiner wird. Dieser Trend kommt unserer Branche sehr                                      um Frauen und Männer mit Behinderung handeln, um Perso-
          entgegen, sollte aber auch nicht überbewertet werden.                                           nen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Suchter-

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2015201_curaviva_01-02-2020_06-11_Wohnmodell_3475964.indd 10                                                                                                                            06.02.20 15:25
Wohnen - CURAVIVA Schweiz
krankungen. Es stellt sich natürlich immer die Frage, wann        bieter, ausgehend von den tatsächlichen Lebensbezügen der
          Vulnerabilität beginnt.                                           Betagten, ihr Angebot bedarfsgerecht entwickeln. In den kom-
                                                                            menden Monaten werden wir einen detaillierten Kriterienkata-
          Entwickeln Sie die Vision einer inklusiven Gesellschaft?          log erarbeiten, der Pflegeeinrichtungen dabei behilflich ist, in
          Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass zu un-     Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren Beziehungen für vul-
          serer Gesellschaft alle Arten von Menschen gehören. Ganz ent-     nerable ältere Personen zu gestalten. Was den umfassenden
          sprechend denkt unser auf den Sozialraum hin ausgerichtetes       Blick auf alle vulnerablen Menschen betrifft: Hier stehen wir
          Wohn- und Pflegemodell alle Menschen mit, die in einer be-        noch ganz am Anfang. Das Ziel muss aber sein, das Wohn- und
          stimmten Region leben. Das Modell ist der Idee der Caring Com-    Pflegemodell neben den Betagten für weitere vulnerable Grup-
          munity verpflichtet. Man könnte auch sagen, dass es sich um       pen anzupassen.
          ein Modell für die Caring Community handelt. Die Idee einer
          Gemeinschaft, die aufeinander achtet, ist die Antwort auf die     Auch wenn man sich vorerst «nur» auf die Unterstützung
          Globalisierung und eine damit einhergehende Anonymität. Wir       Betagter konzentriert: Eine der grossen Herausforderungen ist
          erleben derzeit ein wachsendes Bedürfnis, in überschaubaren       sicher die Zusammenarbeit der Akteure.
          Räumen Menschen zusammenzubringen. Aus der Sicht von Cu-          Damit der Prozess gelingt, braucht es eine bestimmte Haltung:
          raviva Schweiz ist mir aber vor allem wichtig,                                     Die Akteure, auch die Institutionen, dürfen
          dass wir die Unterstützung vulnerabler Men-                                        nicht in erster Linie ihre eigenen Interessen im
          schen nicht nur aus der Optik der Leistungser-         «Der Trend hin zu           Sinn haben und zum Beispiel unbedingt ein
          bringer sehen, sondern auch die Zivilgesell-          gemeinschaftlichen           Gebäude bauen wollen. Sie müssen sich viel-
          schaft mit einbeziehen.                              Wohnformen kommt              mehr im Interesse der Betagten zur Gestaltung
                                                               unserer Branche sehr          eines übergeordneten Sozialraums bekennen.
          Wie lässt sich eine solche recht idealistische           entgegen.»                Die integrierte Versorgung kann nur erfolg-
          gesellschaftspolitische Vision umsetzen?                                           reich umgesetzt werden, wenn die Akteure
          In einem ersten Schritt muss man alle Akteure                                      bereit sind, zu kooperieren, und zum Bespiel in
          einer bestimmten Region an einen Tisch bringen. Dabei kann es     Netzwerken zusammenarbeiten. Alleingänge und «Gärtliden-
          sich um ein städtisches Quartier oder eine Gemeinde handeln,      ken» dienen kaum den Interessen der Betagten.
          aber auch um eine Versorgungsregion oder eine Talschaft. Ein-
          geladen werden dazu ambulante und stationäre Leistungser-         Welche Botschaft richten Sie an die Adresse von Gesellschaft
          bringer, Nachbarschaftsorganisationen, Freiwillige und Ange-      und Politik?
          hörigenorganisationen. Sie alle tauschen sich darüber aus, ob     Wir müssen als Gesellschaft verstehen lernen, dass vulnerable
          und inwiefern sie in einem gemeinsamen Prozess Beziehungen        Menschen genauso zur Gemeinschaft gehören wie alle anderen
          für vulnerable Gruppen gestalten wollen. Sobald sie die Art der   auch. Sie sind keine Sonderfälle. An dieser Grundhaltung müs-
          Zusammenarbeit vertraglich geregelt haben, machen sie sich an     sen wir als Gesellschaft arbeiten. Mit unserem Wohn- und Pfle-
          die eigentliche Arbeit und eruieren die für eine bestimmte Re-    gemodell möchten wir diesen gesellschaftlichen Prozess beein-
          gion nötigen respektive bedarfsgerechten Angebote.                flussen. Vulnerable Menschen gehören in die Mitte der
                                                                            Gesellschaft und nicht an den Rand. Und was die Politik betrifft:
          Sehen Sie in verschiedenen Regionen in der Schweiz Ansätze,       Die integrierte Versorgung gelingt nur mit einer einheitlichen
          die in diese Richtung gehen?                                      Finanzierung und harmonisierten Vergütungen ambulanter und
          Im Bereich der Begleitung, Betreuung und Pflege von betagten      stationärer Angeboten. Weiter müssen die Bemessung von Er-
          Menschen gibt es bereits viele gute Beispiele, wie Leistungsan-   gänzungsleistungen auch neuen Wohnformen entsprechen.         •
          

                                                                                                                   11       CURAVIVA 1–2 | 20

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Wohnen - CURAVIVA Schweiz
Wohnen

          Viererfeld Bern: «Wohnraum für alle – fürs ganze Leben» geplant

          Generationen leben miteinander
          statt nebeneinander

                                                                           Dienstleistungen wie Inhouse-Spitex, 24-Stunden-Notfall-Pfle-
          Am Rand der Stadt Bern entsteht in den nächsten                  gedienst, Mahlzeiten, Reinigung, Wäscheversorgung und ei-
          Jahren die neue Überbauung Viererfeld. Diese                     nem vielfältigen Aktivitäten- und Veranstaltungsangebot.
          bietet die Chance, eine generationendurchmischte                 Auch Wohnen mit Pflege im Einzelzimmer, in der Wohnge-
          Siedlung mit neuen Wohn- und Betreuungsformen                    meinschaft oder für Menschen mit Demenz, Ferien und Kurz-
          samt allen nötigen Einrichtungen wie einer                       aufenthalte stehen zur Verfügung. «Angebote für Rehabilitati-
          Siedlungsassistenz zu planen. Von Grund auf.                     on sind bei uns ebenfalls vorhanden.»
                                                                           Diese Angebote möchte Haeni noch weiter ausbauen und rings
           Von Claudia Weiss
                                                                           um den bestehenden Burgerspittel weitere und neue, altersge-
                                                                           rechte Wohnformen anbieten. Die Serviceleistungen sollen
          Am Anfang stand die Vision: Einmal eine Mustersiedlung «für      modular abrufbar sein. Diese Wohnungen, das ist ihm wichtig,
          das ganze Leben» von Grund auf planen – sozusagen ein wei-       müssten mit Ergänzungsleistungen finanzierbar sein. «Und
          terentwickeltes Wohn- und Pflegemodell 2030 in echt: Ein Mo-     zugleich müssen wir sicherstellen, dass die Betreuung alter
          dell, in dem betagte Männer und Frauen Teil der Gemeinschaft     Menschen auch in Zukunft gewährleistet ist.»
          sind, eingebettet in vielfältige generationenübergreifende Be-
          ziehungen. Im Viererfeld Bern liegt diese Chance bereit: Auf     Von Anfang an die richtigen Kooperationen und Netzwerke
          dem grossen Feld am Rand des Länggassquartiers und dem           Mit der geplanten Überbauung sieht Eduard Haeni die Chance
          daneben liegenden Mittelfeld entsteht in den                                     auf eine «optimale Wohnsituation» näherrü-
          nächsten Jahren eine Überbauung mit rund                                         cken: Ein Quartier, in dem ein Dorfcharakter
          1200 Wohnungen.                                      Ein Quartier, in dem        entstehen kann mit Alt und Jung, mit Famili-
          Eduard Haeni, Direktor des Burgerspittels im          ein Dorfcharakter          en, Studentinnen und Studenten, mit Wohn-
          Viererfeld, war einer der Ersten, der die Ohren      entstehen kann mit          genossenschaften für Menschen mit oder
          spitzte, als das Stimmvolk der Überbauung des         Alt und Jung, mit          ohne Beeinträchtigung. Und in dem gleich-
          Vierer- und Mittelfelds zustimmte: Schon seit        Familien und WGs.           zeitig die Gelegenheit besteht, von Anfang an
          einer Weile hegte er Pläne für neue Wohn- und                                    die richtigen Kooperationen und Netzwerke
          Dienstleistungsangebote aus einer Hand rund                                      zu gründen, um dieses Ziel zu erreichen. «Ein
          um den Burgerspittel. Die geplante Siedlung grenzt an die Al-    Leuchtturmprojekt könnte das werden», meint Haeni.
          tersinstitution an und bietet eine gute Gelegenheit, ein gene-   Die Vorzeichen jedenfalls sind vielversprechend, denn bereits
          rationendurchmischtes Quartier entstehen zu lassen. «Ich         haben sich wichtige Akteure zusammengetan und eine Inte-
          setze mich mit allen Mitteln ein, dass alte Menschen nicht auf   ressengemeinschaft aus drei Organisationen gegründet: Mit
          dem Abstellgleis landen, sondern mittendrin leben können»,       dabei ist der Förderverein Generationenwohnen Bern-Solo-
          sagt Haeni. «Sie sollen Teil eines Ganzen sein.»                 thurn, der gemeinschaftliche und generationenübergreifende
          Bereits heute bietet der Burgerspittel im Viererfeld neben       Wohnprojekte fördern will. Ausserdem ist der Burgerspittel
          125 Pflegeplätzen auch betreute Seniorenwohnungen an mit         dabei, Direktor Eduard Haeni tritt zum einen als Experte mit

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Das Viererfeld heute: Rechts im Bild der Burgerspittel im Viererfeld. Ausgehend von dort könnten dereinst verschiedene
              Wohnformen koordiniert werden. In einem neuen Annexbau könnte ein Therapie- und Medizinzentrum entstehen.                            Foto: Stadt Bern

          Alltagswissen aus dem Alterswohnen auf und ist gleichzeitig                             werbe- und Dienstleistungsbetriebe geplant: «Wir wollen un-
          beim Förderverein aktiv. Er war es auch, der als dritten Teil-                          ter einem Dach wohnen, arbeiten, produzieren, verkaufen,
          nehmer Curaviva Schweiz dazuholte, vertre-                                                               werkeln, gärtnern und feiern», heisst es im
          ten durch Markus Leser, den Verfasser des                                                                Projektbeschrieb.
          Wohn- und Pflegemodells 2030.                                         Nebst verschiedenen
                                                                                Wohnungen gehören                  Wichtig ist ein guter Wohnungsmix
          Erfahrungen aus anderen Projekten                                      auch Aussenräume                  Aus dem Projekt Warmbächli beziehungs-
          Last but not least sollte ein erfahrener Sozi-                         und formelle Treff-               weise der Siedlung Holliger kann Fanghänel
          alraumplaner mitdenken, und dafür zog die                                 punkte dazu.                   etliche Erfahrungen in die Planung des Vie­
          Interessengemeinschaft Ilja Fanghänel bei.                                                               rerfelds einfliessen lassen: Das Warmbächli
          Fanghänel begleitet unter anderem das Pro-                                                               ist schon so weit gediehen, dass diesen Früh-
          jekt der Genossenschaft Warmbächli in der Siedlung Holliger                             ling die Ausschreibung der Wohnungen erfolgt. Um zu zeigen,
          in Bern: Dort entsteht sozialer Wohnraum für rund 200 Men-                              welche Voraussetzungen im Viererfeld für die optimale Pla-
          schen, «eine Hausgemeinschaft, in der alle Altersgruppen und                            nung einer Siedlung mit g
                                                                                                                          ­ enossenschaftlichen und gemein-
          Menschen mit unterschiedlichem kulturellem und sozialem                                 schaftlichen Generationenprojekten nötig wären, hat die
          Hintergrund» vertreten sind. Ausserdem sind Flächen für Ge-                             Interessengemeinschaft einen 47-seitigen «Bericht mit Emp-
                                                                                                  fehlungen und Angeboten an die Stadt Bern» in Auftrag ge-
                                                                                                  geben und der Stadt eingereicht.
                                                                                                  «Wichtig ist beispielsweise ein guter Wohnungsmix innerhalb
                                                                                                  der einzelnen Häuser sowie in der ganzen Siedlung», erklärt
                                                                                                  Ilja Fanghänel. «Dieser erlaubt eine grosse Vielfalt von Wohn-
                                                                                                  konzepten.» Anderthalb-Zimmer-Wohnungen müssten ebenso
                                                                                                  im selben Haus vorhanden sein wie grössere Wohnungen bis
                                                                                                  hin zu Fünfeinhalb-Zimmer-Wohnungen oder Grosswohnun-
                                                                                                  gen für Wohngemeinschaften und Kleingenerationenprojekte.
                                                                                                  Auch Clusterwohnungen mit Gemeinschaftsräumen seien
                                                                                                  denkbar, wie sie beispielsweise im Zürcher Hunziker-Areal an-
                                                                                                  geboten werden (siehe Bericht Seite 22). «Es wird sich erst noch
                                                                                                  zeigen, welche Wohnprojekte im Viererfeld entstehen werden.»
                                                                                                  Nebst den verschiedenartigen Wohnungen gehören gemäss
                                                                                                  Fanghänel auch Gemeinschaftsräume, Aussenräume und in-
                                                                                                  formelle Treffpunkte zu einer gemeinschaftlichen Siedlung.
          Das Viererfeld und das angrenzende Mittelfeld in Zukunft.                               Idealerweise fänden im Quartier auch kleine Läden, ein Café
                             Foto: Visualisierung Städtebau/Stadtteilpark: Siegerprojekt VIF_2   und Kleingewerbe wie beispielsweise ein Coiffeursalon Platz,               >>

                                                                                                                                        13       CURAVIVA 1–2 | 20

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die das Quartierleben fördern, sagt Fanghänel. «Und je nach      Quartierarbeit, weil diese Quartiergestaltung von der Stadt er-
          Zusammensetzung der Bewohnerinnen und Bewohner ist eine          wünscht ist», sagt Sozialraumplaner Fanghänel.
          Siedlungsassistenz nötig, jemand, der das Zusammenleben          Der Ort für diese Drehscheibe bietet sich in diesem Fall bereits
          moderiert und begleitet.»                                                         an: Burgerspittel-Direktor Eduard Haeni
                                                                                            möchte diese gerne gleich im Alterszentrum
          Drehscheibe mit Siedlungsassistenz                      «Eine solche              ansiedeln, «eine Anlaufstelle für alle Fragen
Wohnen

          Beim Aufbau einer Drehscheibe mit Siedlungs­          Wohnform müsste             rund um das Wohnen im Vierer- und Mittel-
          assistenz, bei der die verschiedenen Angebote          aus einer Hand             feld», wie er sagt: Dorthin könnte ein Jugend-
          koordiniert werden, und beim Suchen von Sy-            koordiniert und            licher sich wenden, wenn er auf dem geplan-
          nergien, beispielsweise mit der lokalen Kirch-        betreut werden.»            ten Pump Track Rad fahren möchte, oder die
          gemeinde, der Jugendarbeit oder Quartierver-                                      Familie, die ein generationenübergreifendes
          einen, bietet die Interessengemeinschaft ihre                                     Wohnen sucht, aber auch die 80-jährige Seni-
          Unterstützung an. Finanziert würde die Drehscheibe voraus-       orin, die Unterstützung braucht. «Wir könnten all unser Wissen
          sichtlich mit den Mieten beziehungsweise durch Beiträge der      nutzen», sagt Haeni.
          jeweiligen Bauträger (Modelle siehe auch Kasten Seite 15).       Er weiss auch schon, wo diese Drehscheibe Platz fände: Die
          «Denkbar ist auch eine Unterstützung durch die städtische        Stadt Bern hat im Rahmen der geplanten Überbauung in ihren
                                                                           städtebaulichen Richtlinien für das Mittelfeld einen Anbau an
                                                                           den Burgerspittel skizziert. Der Burgerspittel bietet sich an,
              «Verbindliches                                               diesen Annexbau zu planen, zu finanzieren und zu betreiben.
                                                                           «Darin kann nebst der Siedlungsassistenz gleichzeitig ein Ge-
              Generationenwohnen»                                          sundheitszentrum mit Praxen und medizinischen Dienstleis-
              Zum verbindlichen Generationenwohnen gehören gemäss          tungen eingerichtet werden mit Physiotherapie, Logopädie und
              Förderverein Generationenwohnen Bern-Solothurn folgen-       anderen Therapieangeboten», erklärt Haeni. Auch ein Kinder-
              de Faktoren:                                                 hort und Einkaufsmöglichkeiten fänden darin Platz.
              ■ gesteuerte altersmässige und soziale Durchmischung
              ■ verbindliche, organisierte Nachbarschaftshilfe innerhalb   Zahlbare Wohnungen mit zubuchbaren Dienstleistungen
                 und zwischen Generationen                                 Ausserdem möchte der Burgerspittel in diesem Gebäude ein
              ■ Aufbau eines sozialen Netzwerkes                           «Wohnen mit Services» anbieten, zahlbare Wohnungen für alle
              ■ Autonomie und Partizipation der Bewohnenden                mit einzeln dazubuchbaren Dienstleistungen. Und «Studenten-
              ■ Wohnformen, die Begegnungen fördern, aber auch Rück-       wohnen für Hilfe», in dem Studenten beispielsweise für eine
                 zugsmöglichkeiten bieten                                  Wohnung nur 700 statt 1000 Franken Miete bezahlen und die
              ■ Gemeinschaftsräume für unterschiedliche Bedürfnisse        restlichen 300 Franken in Form von Betreuungszeit leisten.
              ■ hindernisfreie Ausgestaltung der Wohnungen und der         «Eine solche Wohnform dürfte allerdings nicht einfach von den
                 Umgebung                                                  einzelnen Liegenschaftsverwaltern nach ihrem eigenen Gusto
              ■ preisgünstige Wohnungen                                    gehandhabt werden», sagt Haeni. «Sie müsste gesamthaft ko-
              ■ Einbindung ins Quartier und guter Anschluss an den öf-     ordiniert und betreut werden – solche Angebote müssen aus
                 fentlichen Verkehr                                        einer Hand kommen.» Eben beispielsweise vom Burgerspittel
              ■ Vernetzung mit Unterstützungs- und Pflegeangeboten in      ausgehend.
                 der Nachbarschaft                                         Damit die Pläne gelingen können, braucht es eine Stadtregie-
              Die von der Interessengemeinschaft in Auftrag gegebene       rung, die das Konzept mitträgt. «Glücklicherweise passt unser
              Studie geht der Frage nach, welche Aspekte bei der Planung   Konzept bestens zur Wohnstrategie 2018 der Stadt unter dem
              und beim Betrieb eines gemeinschaftlich orientierten         Motto ‹Wohnstadt der Vielfalt›, die erklärtermassen auch in die
              Mehrgenerationenprojekts erfolgversprechend sind. Sie        Richtung soziales und generationenübergreifendes Wohnen
              stützt sich auf Forschung ab und berücksichtigt Erfahrun-    geht», sagt Sozialraumplaner Ilja Fanghänel. In der städtischen
              gen aus der Planung der Genossenschaft Warmbächli und        Wohnstrategie steht als Massnahme unter anderem konkret,
              anderen genossenschaftlichen Planungsprozessen.              dass «innovative, integrative Wohnformen wie Generationen-
                                                                           wohnen» realisiert werden sollen.
                                                                           Auf dem Viererfeld sollen deshalb 50 Prozent, auf dem angren-
              www.generationenwohnen-beso.ch > Aktuell > Bericht           zenden Mittelfeld mindestens 50 Prozent gemeinnützige Bau-
              zum Herunterladen «Wohnen im Viererfeld – fürs ganze         trägerschaften zum Zug kommen. Eine Bauträgerschaft, die
              Leben! Voraussetzungen einer sozialräumlichen Areal-         in der ersten Bauetappe die Hälfte der ersten 300 Wohnungen
              entwicklung für alle Generationen»                           realisieren kann, ist voraussichtlich die Hauptstadt-Genos-
              www.burgerspittel.ch/angebot/der-burgerspittel-im-           senschaft: Sie wurde 2018 von rund 30 Berner Wohnbauge-
              viererfeld                                                   nossenschaften gegründet und wird sich nach Abschluss der
              www.hauptstadt-genossenschaft.ch                             Reservationsvereinbarung mit der Stadt für Einzelpersonen
              www.warmbaechli.ch und www.holliger-bern.ch                  öffnen.
                                                                           Ilja Fanghänel ist zugleich stellvertretender Geschäftsführer
                                                                           der Hauptstadt-Genossenschaft. Und auch in dieser Rolle

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Age-Dossier über Alters­siedlungen mit Kontakt­personen vor Ort
              Das aktuelle Age-Dossier 2020 zeigt anhand von ausgewählten         vor Ort ausfüllen kann.» In den Projektbeispielen habe man
              Projektbeispielen auf, welche Möglichkeiten Planer und Trä-         die passenden Leute gefunden.
              gerschaften haben, wenn sie ein Wohnangebot mit Kontakt-            Im Age-Dossier sind diese porträtiert: die Hauswarte mit
              person vor Ort entwickeln wollen. Die Age Stiftung schreibt         ­Sozialkompetenz, die Verwalterinnen, die im Siedlungsbüro
              in ihrer Medienmitteilung: «Der Blick in die Praxis macht deut-     oder an der Rezeption arbeiten, sowie die Pflegefachfrau der
              lich, wie die Kontaktpersonen in Alterssiedlungen konkret           Spitex, die dreimal in der Woche im Gemeinschaftsraum an-
              arbeiten.» Für das Heft seien zahlreiche Interviews mit Kon-        zutreffen ist. «Sie alle füllen ihre Rolle als Kontaktperson un-
              taktpersonen vor Ort und mit Wohnbauträgern geführt wor-            terschiedlich aus.» Sie sehen sich als Beraterin, Ersatzschwie-
              den. «Auch wenn sich ihre Rahmenbedingungen unterschei-             gertochter, Dienstleisterin, selten jedoch als Betreuerin.
              den, verfolgen alle dasselbe Ziel: Die Bewohnerinnen und            Gemeinsam jedoch sei ihnen die Achtung der Selbstbestim-
              Bewohner sollen in ihrer autonomen Lebensführung gestärkt           mung von Bewohnerinnen und Bewohnern.
              werden. Dafür wird ihnen eine Ansprechperson zur Seite ge-
              stellt, die nicht nur punktuelle Unterstützung bietet, sondern
              auch für gute Nachbarschaftspflege sorgt.»                          Das Age-Dossier 2020 kann kostenlos bestellt oder herunter-
                                                                                  geladen werden: age-stiftung.ch/publikationen
              Kleiner Aufwand, grosse Wirkung
              Dank einer Kontaktperson vor Ort könne «schon mit wenig
              Aufwand viel erreicht werden». In den von der Age Stiftung
              untersuchten Wohnprojekten wohnt man weder im Heim noch             Studie «Zuhause alt werden – Chancen, Herausforderungen
              in einer WG, sondern «autonom und normal». Die Bewohne-             und Handlungsmöglichkeiten für Wohnungsanbieter» des
              rinnen und Bewohner haben die Unterstützung durch die               ETH Wohnforums. Download unter: age-stiftung.ch/
              Nachbarn und die Kontaktperson als Teil ihrer selbstbestimm-        wohnforum2020. Kontakt: Eveline Althaus, ETH Wohnforum,
              ten Lebensführung in ihren Alltag integriert, und die gegen-        Telefon 044 633 46 60, althaus@arch.ethz.ch
              seitige Achtsamkeit vermittelt ihnen grosse Sicherheit.
              Trotz den guten Erfahrungen sei unter den Wohnbauträgern
              Skepsis spürbar, heisst es in der Medienmitteilung: «Die An-
              wesenheitszeit in der Siedlung muss finanziert werden. Das          Studie «Berufsfeld Community – Lernen durch Explorieren
              gelingt durch eine kluge Organisation.» Auch kleinere Sied-         und Vernetzen» des Instituts für Soziale Arbeit und Räume
              lungen könnten sich jedoch ein solches Angebot durchaus             der FHS St. Gallen (IFSAR-FHS). Download unter: age-stif-
              leisten: Die Beispiele im Heft zeigen, dass die Rechnung auf-       tung.ch/berufsfeld. Kontakt: Nicola Hilti, Institut IFSAR-FHS,
              geht. «Damit das gelingt, braucht es in erster Linie die richtige   Telefon 071 226 18 92, nicola.hilti@fhsg.ch
              Person, welche die herausfordernde Rolle als Kontaktperson

          kann er seine Ideen eingeben: «Die gemeinnützigen Wohn-                 realisiert werden, sagt Sozialraumplaner Fanghänel, sei noch
          bauträgerschaften sollen mit der Vereinbarung möglichst früh            nicht garantiert: Die Masterplanung der Stadt wird erst diesen
          in das Arealmanagement mit einbezogen werden und ihr gros­              Frühling veröffentlicht, und erst nach der Abstimmung im
          ses Know-how einbringen können», heisst es von Seiten der               Herbst über die Abgabe des Landes im Baurecht an Dritte kön-
          Stadt Bern. Kürzlich wurde bekannt, wer die anderen Inves-              nen Parzellen reserviert werden.
          toren für die erste Etappe sind: die Pensionskasse der Berner
          Kantonalbank, die Personalvorsorgekasse der                                              Parzellenvergabe an Bedingungen knüpfen
          Stadt Bern und die Schweizerische Mobiliar                                               Bis dahin hofft Fanghänel, dass die Stadt an
          Asset Management AG.                                     Welche Vorschläge               ihren guten Absichten festhält und die Bauträ-
          Sie alle werden mitwirken, ebenso die Bur-                 dann tatsächlich              ger, vor allem auch die nicht gemeinnützigen,
          gergemeinde Bern, Trägerin des Burgerspit-                realisiert werden,             in die Pflicht nimmt. «Sie muss die Parzellen-
          tels: «Als benachbarte Grundeigentümerin                 zeigt sich nach der             vergabe an Bedingungen knüpfen, damit die
          wird die Burgergemeinde Bern über die                       Abstimmung.                  Idee von preisgünstigem und gemeinschaftli-
          nächsten Jahre in jedem Fall eine wichtige                                               chem Wohnraum sich bis zuletzt durchsetzt
          Partnerin für die Entwicklung im Viererfeld/                                             und nicht letztlich doch ein Luxusquartier
          Mittelfeld sein», lässt der Berner Gemeinderat in einer Me-             entsteht.» Denn auf dem Viererfeldareal könnte tatsächlich in
          dienmitteilung verlauten. «Überdies hat sie durch ihre Mitar-           bisher einzigartiger Grösse gelingen, was die Interessenge-
          beit bei einer Studie zum Generationen-Wohnen bereits wert-             meinschaft anstrebt: «Wohnraum für alle – fürs ganze Leben.»
          volle Vorarbeiten geleistet.»                                           Die Nachfrage nach diesen Wohnungen, das weiss Ilja Fanghä-
          Welche und wie viele von den Vorschlägen dann tatsächlich               nel schon heute, wird riesig sein.   •

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Wohnen

          «Alles aus einer Hand» kann auch aus einer bestehenden Institution wachsen

          «Manchmal muss man
          einfach etwas wagen»

                                                                           haperte, und suchte unkompliziert nach Lösungen. «Dafür
          Betreutes Wohnen mit Spitex-Dienstleistungen,                    musste ich lernen hinzustehen und gut zu argumentieren.»
          geschützte Wohngruppen und betreute Wohn-                        Zum ersten Mal tat sie das, als ihr die ungünstige Situation mit
          gruppen, Pflegestudios und Pflegeabteilungen:                    den beiden nebenan liegenden Wohnhäusern (siehe Abbildung
          Im Alterszentrum St. Martin in Sursee LU wird                    Häuser 3 und 7) auffiel: Die Alterswohnungen wurden damals
          das «Wohn- und Pflegemodell 2030» eigentlich                     von der lokalen Spitex betreut, für Notfälle jedoch war das
          schon seit rund 20 Jahren gelebt.                                St. Martin zuständig. «Das bedeutete unter Umständen, dass wir
                                                                           notfallmässig zu Frau Müller
           Von Claudia Weiss
                                                                           eilen mussten, die blutend am
                                                                           Boden lag, ohne dass wir eine
          Wenn Franziska Kägi das Alterszentrum St. Martin in Sursee       Ahnung hatten von ihrem All-
          mit seinen verschiedenen Wohnangeboten vorstellt, blitzen        gemeinzustand, weder wuss-
          ihre Augen auf. Und mit ihrer Begeisterung steckt die Pflege-    ten, wer ihr Hausarzt war
          dienstleiterin nicht nur mögliche Bewohnerinnen und Bewoh-       noch welche Medikamente
          ner an, sondern auch künftige Mitarbeitende. «Viel Betreutes     sie üblicherweise zu sich
          Wohnen, weniger Pflegeplätze – wenn ich von unseren Wohn-        nahm.»
          formen erzähle, die wir ja selber für uns auch wählen würden,    Ein   unbefriedigender    Zu-
          nimmt es allen den Ärmel hinein.»                                stand.   Pflegedienstleiterin
          Am Anfang war das St. Martin ein ganz normales Pflegeheim        Kägi sprach den Zentrumslei-
          mit drei Abteilungen und rund 70 Betten. Genau 50 Jahre ist      ter Urs Arnold darauf an, und
          es her, seit die ersten Bewohnerinnen und Bewohner einzo-        gemeinsam fanden sie eine
          gen, vor Kurzem fand die grosse Jubiläumsfeier statt.            Idee zur Lösung – und den
          Vor knapp einem Vierteljahrhundert begann dann der Wandel        Rückhalt der Gemeinde: «Wir
          zum Alterszentrum – nicht mit grossen Projektplänen und          einigten uns mit der Spitex
          viel Brimborium, sondern flies­send, immer aus den anste-        und richteten in den beiden
          henden Bedürfnissen heraus wachsend. Mittlerweile ist, an-       Häusern ein Betreutes Woh-
          gelehnt an das Curaviva-Wohn- und Pflegemodell 2030, sogar       nen ein.» Das neue Angebot
          ein «Wohn- und Pflegemodell Sursee 2030» entstanden. Viele       heisst seither «Ambulante
          der Veränderungen wurden massgeblich angeregt durch Fran-        Pflegeleistungen im Betreu-
          ziska Kägi, die heute 57-jährige Pflegedienstleiterin mit der    ten Wohnen» und bedeutet,
          kecken Kurzhaarfrisur und Energie für zwei, die vor 26 Jahren    dass nicht mehr die Mitarbei-
          neu in dieser Funktion eingestellt worden war. Sie lacht. «Da-   terinnen der lokalen Spitex
          mals war ich so schüchtern, man glaubt es kaum.» Aber sie        die Bewohnerinnen und Be-          «Wohn- und Pflegemodell Sursee 		           2
          wuchs rasch in ihre neue Rolle hinein, stellte fest, wo etwas    wohnern der inzwischen über        Dörfli im Städtli, in dem Menschen 		       m

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