Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit - Gemeinsame Leitlinien für curriculare Grundlagen - Sprachliche Bildung für neu ...

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Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit | 1

Deutsch als Zweitsprache im
Kontext von Mehrsprachigkeit –
Gemeinsame Leitlinien für
curriculare Grundlagen
   Sprachliche Bildung für neu zugewanderte
   Kinder und Jugendliche in Kitas und Schulen

Eine Initiative von:
Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit - Gemeinsame Leitlinien für curriculare Grundlagen - Sprachliche Bildung für neu ...
Transfer von Sprachbildung, Lese- und Schreibförderung
BiSS-Transfer ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der
­Kultusministerkonferenz (KMK) zum Transfer von Sprachbildung, Lese- und Schreibförderung in Schulen und Kitas.
 Sie knüpft an die Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS) an.

Das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln, das
DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation und das Institut zur Qualitätsentwicklung im
Bildungswesen (IQB) in Kooperation mit der Humboldt-Universität zu Berlin übernehmen als Trägerkonsortium die
Gesamtkoordi­nation, unterstützen die Länder beim Transfer und koordinieren das Forschungsnetzwerk zur Transfer-
forschung.
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Inhalt | 1

Inhalt
Über dieses Heft                                                    3

1. Ziele und Orientierung                                           4

2. Zielgruppen                                                      4

3. Kompetenzen der Lehrkräfte                                       5

4. Zweitspracherwerb und Sprachaneignung als Ausgangspunkte         6

5. Didaktische Prinzipien                                           7

6. Sprachdiagnostik                                                8

7. Schriftspracherwerb und Alphabetisierung                        11

8. Progression                                                     11

9. Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler               12

10. Mehrsprachigkeit                                               13

11. Einbindung in die Bildungsbiografie                            16

12. Strategien und Techniken                                       16

13. Demokratieerziehung im Kontext interkultureller Bildung        17

14. Schulorganisatorische Umsetzung                                17

15. Bildungssprache                                                18

16. Sprachunterricht und Fachunterricht                            19

17. Bezug zu den Bildungsstandards                                 20

18. Anbindung des Referenzrahmens                                  20

19. Bewertung und Beurteilung                                      20

20. Begleitung im Übergang                                         21

21. Elternpartizipation                                            22

Literacy und Bildung für die Unterstützung im Erwerb von Deutsch
als weitere Sprache im Elementarbereich                            23

Literatur                                                          28

Anhang                                                             29

Impressum                                                          33
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                                            Über dieses Heft
                                            Die Gemeinsamen Leitlinien bieten eine Orientierung für den Unterricht
                                            Deutsch als Zweitsprache. Sie dienen als Empfehlungen, sofern sie im
                                            Land nicht verbindlich beschlossen werden und füllen die Lücke, wenn
                                            kein landeseigener Lehrplan für Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht
                                            vorliegt. Weiterhin sollten sie für die zukünftige Entwicklung von Lehr-
                                            plänen für diesen Unterricht einen Rahmen bieten. Auch in der einzel-
                                            nen Schule können sie genutzt werden, um den Unterricht Deutsch als
                                            Zweitsprache zu planen und durchzuführen. Auf S. 23–27 sind zudem
                                            Leitlinien für die Bildungsarbeit mit neu zugewanderten Kindern für
                                            den Elementarbereich formuliert.

                                            Die Gemeinsamen Leitlinien wurden aus einem Grundverständnis einer
                                            inklusiv auf Teilhabe ausgerichteten Idee von Bildung entworfen. Sie
                                            sind das Ergebnis eines zweijährigen Erarbeitungsprozesses der Fach-
                                            gruppe „Sprachliche Bildung für neu zugewanderte Kinder und Jugend-
                                            liche“ im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Bildung durch Sprache
                                            und Schrift“ (BiSS).

                                                Mitglieder der BiSS-Fachgruppe „Sprachliche Bildung
                                                für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche“
                                                Philipp Steinle (Baden-Württemberg); Christa Kieferle, Christina
                                                Neugebauer (Bayern); Verena Balyos, Birgit Kölle (Berlin); Marion
                                                Gutzmann (Brandenburg); Joanna Ermonies-Jargielo (Bremen);
                                                Marika Schwaiger (Hamburg); Eva-Maria Jakob (Hessen); Ingrid
                                                Deserno-Grüttemeier, Helen Fürniß (Niedersachsen); Uta Bier-
                                                mann, Mostapha Boukllouâ, Tina Teepe (Nordrhein-Westfalen);
                                                Carmen Lutz, Marie-Luise Wieland-Neckenich (Rheinland-Pfalz);
                                                Klaus Schmitt, Severine Ternes (Saarland); Wiebke Saalmann
                                                (Sachsen); Grit Brandt, Stephanie Teumer (Sachsen-Anhalt); Uta
                                                Hartwig, ­Sabine Rutten (Schleswig-Holstein); Katrin Nowaczyk,
                                                Bettina Schultz (Thüringen)
                                                BiSS-Trägerkonsortium: Nora von Dewitz, Meng Li, Hans-Joachim
                                                Roth (Moderation)
Bild: BiSS-Trägerkonsortium/Annette Etges
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4 | Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit

   1. Ziele und Orientierung                                      sprachdidaktischen Konzepten und Ansätzen, die
                                                                  den spezifischen Förderbedarf berücksichtigen, wie
                                                                  z. B. Kinder mit Deutsch als Zweitsprache. Sprach-
   Die curricularen Grundlagen nennen die Ziele des Unter-
                                                                  förderung erfolgt oftmals, aber nicht zwingend, in
   richts im Zusammenhang mit den übergeordneten Zielen           der Kleingruppe und hat kompensatorische Ziele. In
   von Schule und Unterricht im jeweiligen Bundesland.            Abgrenzung zur Lese- und Schreibförderung wer-
   Insbesondere für den Unterricht in speziellen Lern-            den in der Sprachförderung allgemeine sprachliche
   gruppen für Deutsch als Zweitsprache bzw. in solchen           Fähigkeiten gefördert, etwa der Wortschatz oder
   mit einem hohen Anteil an solchen Lernenden ist das            die Grammatik. Diese Fähigkeiten werden sowohl
                                                                  im Mündlichen als auch im Schriftlichen benötigt.
   vorrangige Ziel die schnellstmögliche Selbstständig-
   keit und Partizipation der Schülerinnen und Schüler            Lese- und Schreibförderung bezeichnet in Ab-
   in Schule, Unterricht und Gesellschaft. Das bedeutet,          grenzung zur Sprachförderung die gezielte För-
                                                                  derung der handlungsbezogenen Fähigkeiten des
   den Unterricht so anzulegen und durchzuführen, dass
                                                                  Lesens und Schreibens.
   Sprachförderung schnellstmöglich in einen Prozess der
   durchgängigen Sprachbildung überführt wird.

       Sprachliche Bildung, Sprachförderung,                  2. Zielgruppen
       Lese- und Schreibförderung
                                                              Curriculare Grundlagen beschreiben die folgenden Ziel-
       Förderung und Bildung stehen in einem komple-
                                                              gruppen des Unterrichts:
       mentären Verhältnis. Die Gemeinsamen Leitlinien
                                                              1. neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler, die
       orientieren sich an der BiSS-Expertise (vgl. Schnei-
       der et al., 2013, S. 23) und unterscheiden die            Deutsch als Zweitsprache erwerben und lernen
       folgenden Förderungsbereiche.                          2. in Deutschland mit mehreren Sprachen aufgewach-
       Sprachliche Bildung ist Aufgabe der Bildungs-
                                                                 sene Schülerinnen und Schüler mit Migrationshinter-
       institutionen für alle Kinder und Jugendlichen.           grund und geringen Kenntnissen des Deutschen, die
       Sie erfolgt alltagsintegriert, aber nicht beiläufig,      zur Erhöhung des Schulerfolgs gezielte Unterstützung
       sondern gezielt. Sprachliche Bildung bezeichnet           benötigen
       alle durch das Bildungssystem systematisch an-         3. in Deutschland mit mehreren Sprachen aufge-
       geregten Sprachentwicklungsprozesse und ist all-
                                                                 wachsene Schülerinnen und Schüler mit altersent-
       gemeine Aufgabe im Elementarbereich und in allen
                                                                 sprechender Sprachentwicklung im Deutschen und
       Schulstufen. Die Erzieherin bzw. der Erzieher oder
       die Lehrperson greift geeignete Situationen auf,          Unterstützungsbedarfen im Bereich der Bildungs-
       plant und gestaltet sprachlich bildende Kontexte          sprache
       und integriert sprachliche Förderstrategien in das
       Sprachangebot für alle Kinder und Jugendlichen.        Die Gemeinsamen Leitlinien für curriculare Grundlagen
       Sprachförderung bezeichnet in Abgrenzung zur           konzentrieren sich auf die erste Gruppe und nehmen
       sprachlichen Bildung gezielte Fördermaßnahmen,         gleichzeitig systematisch Bezug auf die zweite und dritte
       die sich insbesondere an Kinder und Jugendliche        Gruppe.
       mit zuwanderungsbedingt geringeren Kompe-
       tenzen in der deutschen Sprache richten. Der
       temporäre Unterstützungsbedarf wird diagnostisch
       ermittelt. Die Maßnahmen können in der Kinder-
       tageseinrichtung alltagsintegriert bzw. in der
       Schule unterrichtsintegriert oder additiv erfol-
       gen. Sprachförderung ist häufig ausgerichtet auf
       bestimmte Adressatengruppen und basiert auf
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                                                              fern als letzterer an die Sprachregion der Herkunft
Begriffsdefinitionen aus den ­
                                                              gekoppelt bleibt, die die Familie verlassen hat. Von
Feldern Zweitspracherwerb und
                                                              diesem Zeitpunkt an entwickeln sich Familien-
­Mehr­sprachigkeit                                            sprachen, anders als Herkunftssprachen, auch in
Für die curricularen Grundlagen wurden verschie-              unterschiedlichen Weisen eines Gemischt-Spre-
dene Begriffe aus den Feldern Zweitspracherwerb               chens, da sie keinerlei normativen Ordnungen, z. B.
und Mehrsprachigkeit verwendet, die unterschied-              durch ein nationales Schulsystem, mehr unterlie-
liche Schärfen und Unschärfen aufweisen.                      gen. Trotzdem werden die Begriffe häufig synonym
                                                              verwendet.
Traditionell unterscheidet man zwischen Erst-
sprache (auch L1 = language one/first language)               Sprachsoziologisch und -politisch findet man auch
und Zweitsprache (L2 = language two/second                    den Ausdruck Minderheitensprache, mit dem in
language); letzteres, wenn eine weitere Sprache               manchen Verfassungen für einige Sprachen auch
um das dritte Lebensjahr herum oder später in den             spezifische Rechte verbunden sind, der aber an-
lebensweltlichen Alltag eines Kindes tritt. Wächst            gesichts zahlenmäßiger Verteilungen in einigen
ein Kind schon vorher mit mehreren Sprachen auf,              stark von Einwanderung gekennzeichneten Städten
spricht man von doppeltem Erstspracherwerb.                   und Regionen wenig realistisch erscheint. Dem
                                                              entsprechend wird auch der Ausdruck Mehrheits­
Als Fremdsprachen gelten solche, die im Alltag                sprache nicht zur Verwendung von Zahlenverhält-
nicht oder nur wenig verwendet werden und über-               nissen, sondern von Machtverhältnissen im Sinne
wiegend in Bildungsinstitutionen erworben werden.             einer Lingua franca verwendet; diese Begriffe
Der Ausdruck Zielsprache stammt aus der Über-                 eignen sich somit nicht zur Verwendung in einem
setzungswissenschaft, in der zwischen Aus-                    Curriculum für Deutsch als Zweitsprache.
gangssprache (AS) und Zielsprache (ZS) auch                   Keiner dieser Begriffe deckt alle Bedeutungsfa-
im maschinellen Übersetzen unterschieden wird.                cetten ab und bei keinem entsprechen sich
Analog dazu fanden die Ausdrücke Eingang in die               wissenschaftliche und bildungspolitische Ver-
Fremdsprachendidaktik und somit auch in den Be-               wendungen. Alle haben ihre Verkürzungen. Daher
reich „Deutsch als Fremdsprache“ für Lernumge-                muss man sich im Rahmen der Entwicklung eines
bungen ohne lebensweltliche Anwendung. Für ein                Curriculums entscheiden und sollte definieren, wie
Deutsch-als-Zweitsprache-Curriculum erscheint                 man die gewählten Begriffe verwendet. Im vorlie-
der Ausdruck Zielsprache allerdings weniger ge-               genden Text werden die Begriffe Familiensprache,
eignet, da er im Kontext von Fremdsprachen und                Herkunftssprache sowie Zweitsprache synonym
Übersetzung verankert ist.                                    verwendet. Jede Begriffswahl ist ein Kompromiss,
Im Kontext der Arbeitseinwanderung in der zweiten             um den Erwerb und das Lernen des Deutschen im
Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich der Aus-                 Kontext von Mehrsprachigkeit zu bezeichnen.
druck Familiensprache entwickelt; er bezeich-
net die Herkunftssprachen, die in den Familien
verwendet werden. Im Gegensatz zu den oben
erläuterten Unterscheidungen ist hierbei aber nicht
der Erwerb, sondern der Gebrauch der Sprachen
                                                          3. K
                                                              ompetenzen der
begriffsbildend. Eingang in die Sprachwissenschaft           Lehrkräfte
fand er im Kontext mehrsprachigen Aufwachsens
(z. B. Oksaar, 2003). Ursprünglich stammt er
von einem österreichischen Statistiker aus dem            Curriculare Grundlagen konzentrieren sich auf den
19. Jahrhundert, der diesen damals gegenüber dem          Unterricht in Lerngruppen für Deutsch als Zweitsprache
der Muttersprache als Sprache der Mutter ab-              und schließen an bekannte und allgemeine Kompetenzen
grenzte. Heute wird der Ausdruck Familiensprache
                                                          von Lehrerinnen und Lehrern an. Sie richten sich dem-
als spezifische Form familiären Sprechens gegen
                                                          nach an professionell ausgebildete Lehrkräfte. Die Kom-
den Ausdruck Herkunftssprache abgegrenzt, inso-
                                                          petenzen von Lehrkräften für den Unterricht in Lern-
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6 | Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit

   gruppen für Deutsch als Zweitsprache im Kontext von       gegenüber den Herkunftssprachen und der jeweiligen
   Mehrsprachigkeit sind im Zusammenhang mit den für die     mehrsprachigen Praxis der Schülerinnen und Schüler
   Schülerinnen und Schüler anvisierten Kompetenzen zu       hat. Auf diese Weise kann sie den schulisch gesteuerten
   betrachten (vgl. Abschnitte 8 und 9, S. 11–13).           Erwerb an ungesteuerte Erwerbskontexte und Lerner-
                                                             fahrungen ankoppeln. Für die Befähigung zum Unterricht
       Notwendige Kompetenzen von                            in Lerngruppen für Deutsch als Zweitsprache im Kontext
       ­Lehrkräften                                          von Mehrsprachigkeit kann es von Vorteil sein, wenn
                                                             die Lehrkraft selbst mehrsprachig aufgewachsen ist, es
       DaZKom ist ein Erhebungsinstrument, welches für
                                                             ist aber keine Voraussetzung. Weiterhin bedarf es für
       den Fachunterricht relevante Kompetenzen ange-
                                                             diesen Unterricht einer Orientierung an einer differenz-
       hender Lehrkräfte im Bereich Deutsch als Zweit-
       sprache definiert. Das Strukturmodell bildet eine     offenen und sprachsensiblen Grundhaltung, die neben
       Rahmenkonzeption für die Deutsch-als-Zweitspra-       interkulturellen Kompetenzen und der Zielsetzung einer
       che-Kompetenz. Es wurde auf Basis einer Analyse       Partizipation in Bildung und Gesellschaft auch aus Be-
       von 60 Curricula deutscher Universitäten und          funden der Zweitspracherwerbsforschung hergeleitet ist.
       Institutionen entwickelt und mittels einer            Das entsprechende Wissen und die daraus resultierenden
       Befragung von Expertinnen und Experten der
                                                             Fertigkeiten sind Grundlagen, die in den weiteren Ab-
       größten universitären Standorte für Deutsch als
       Zweitsprache validiert (vgl. Ehmke et al., 2018;      schnitten vorgestellt werden.
       www.dazkom.de).
       Das europäische Kerncurriculum „Inclusive Aca-

                                                             4. Zweitspracherwerb
       demic Language Teaching“ (IALT) – im Deutschen
       „Durchgängige Sprachförderung in der Bildungs-
       sprache“ – wurde im Rahmen eines EU-Projekts
       als kompetenzbasiertes europäisches Kerncur-
                                                                 und Sprachaneignung
       riculum für die Lehreraus- und -fortbildung mit
       sieben europäischen Ländern entwickelt, um einen
                                                                 als Ausgangspunkte
       curricularen Rahmen und konkrete Vorschläge für
       die Ausbildung von Lehrkräften und Lehramts-
                                                             Die vorliegenden curricularen Grundlagen orientieren
       studierenden bereitzustellen. Die zu erwerbenden      sich grundsätzlich am Zweitspracherwerb des Deutschen
       Kompetenzen sind auf drei Module zugeschnitten:       und den übergreifenden Erkenntnissen der internatio-
       1. Sprache, (Zweit-)Spracherwerb und Sprachan-        nalen Zweitspracherwerbsforschung. Diese Orientierung
       eignung in Kontexten institutioneller Bildung,        richtet sich schwerpunktmäßig auf das sprachliche
                                                             System sowie Erwerbsstadien und -bedingungen für
       2. Didaktik und Methodik des inklusiven bildungs-
       sprachlichen Lernens und Lehrens,                     sprachliche Mittel. Sie umfassen die folgenden für den
                                                             Zweitspracherwerb relevanten Themen:
       3. Bildungssprache und Schulorganisation
       (vgl. www.hf.uni-koeln.de/33737).
                                                             Zweitspracherwerbsforschung
   Die Kompetenzbeschreibungen umfassen neben der            ½   Besonderheiten der Aneignung des Deutschen als
   Beschreibung der üblichen Dimensionen des Wissens             Zweitsprache
   (Knowledge) und den Fertigkeiten (Skills) auch die Hal-   ½   Erwerbsmodelle der Sprachentwicklung, Erwerbs­
   tungen der Lehrkräfte (Attitudes).                            stadien und -stufen
                                                             ½   grammatische und syntaktische Phänomene wie
   Von hoher Bedeutung für den Erfolg des Unterrichts            Verbstellung, Nominal- und Adjektivflexion, Genus,
   ist, dass die Lehrkraft eine wertschätzende Einstellung       Kasusbildung, Satzbildung
Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit | 7

                                                                                                                         ette   Etges
                                                                                         Bild: BiSS-Trägerkonsortium/Ann

½   fortgeschrittener (Schrift-)Spracherwerb: syntak-          5. Didaktische Prinzipien
    tische Extension und Verdichtung, Orthografie als
    grammatische Markierung                                    In speziell zusammengesetzten Lerngruppen wie z. B.
½   Mündlichkeit und Schriftlichkeit                           Vorbereitungs- und Willkommensklassen sind die Unter-
                                                               schiede der Lernvoraussetzungen erfahrungsgemäß
Einflussfaktoren auf den Zweitspracherwerb                     größer als in anderen Lerngruppen, insbesondere den
                                                               Regelklassen, die ggf. schon über Jahre hinweg im So-
½   Lebensalter, Erwerbsalter, Bildungsbiografie               zialverbund gemeinsam lernen.
½   Kognition und Sprache, Arbeitsgedächtnis
½   Motivation und Interesse                                   Die Prinzipien der Planung und Durchführung eines
½   Qualität und Quantität des sprachlichen Inputs             Deutsch-als-Zweitsprache-Unterrichts im Kontext von
                                                               Mehrsprachigkeit unterscheiden sich in solchen Klas-
Sprachliches Handeln                                           sen grundsätzlich nicht von denen eines jeden ande-
                                                               ren Unterrichts. Lernziele werden kompetenzorientiert
½   Interaktion und Kommunikation                              formuliert; der Umgang mit sprachlichen Abweichungen
½   Code Switching, Code Mixing, Crossing                      erfolgt fehlertolerant; auch die Auswahl von Materialien,
½   sprachliche Register und Genres: Bildungssprache und       Methoden, Aufgaben orientiert sich an den vorhandenen
    Alltagssprache; Basic Interpersonal Communicative          sowie angezielten Kompetenzen (vgl. Abschnitte 8 und
    Skills & Cognitive Academic Language Proficiency           9, S. 11–13).
    (BICS & CALP)

Normabweichungen
½   Übergangsphänomene
½   produktive Fehler
½   Transfer, Interferenzen, Übergeneralisierung
8 | Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit

   Der Heterogenität wird mit einer weitgehenden Indivi-        Insofern setzt der Unterricht an der Lebenswelt der
   dualisierung und Binnendifferenzierung im Unterricht         Schülerinnen und Schüler an. Dem folgt nicht allein
   begegnet. Dazu weisen die curricularen Grundlagen            die Auswahl an Themen, sondern auch die Gestaltung
   u. U. exemplarisch Methoden und Felder zur konkreten         der individuellen Lernsituation unter Berücksichtigung
   Umsetzung aus (z. B. zur Diagnostik). G
                                         ­ egebenenfalls        ihrer außerschulischen Bedingungen (Lernmöglichkeiten,
   werden diese Hinweise gesondert in Form einer Handrei-       Unterstützung, Helfersysteme usw.).
   chung zusammengestellt.
                                                                Generell ist der Unterricht dem Prinzip der Gestaltung
   Auf der Ebene der Unterrichtsgestaltung wird nach            von Inklusion als Teilhabe verpflichtet. Das meint die
   dem Prinzip des Scaffolding gearbeitet: Das bedeutet         aktive Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern als
   eine methodische Anlage in Form eines „Gerüsts“ als          Subjekte ihrer Bildungsprozesse in das Schulleben bis hin
   Hilfsmittel zur sprachlichen Realisierung, das so viel       zu gesellschaftlicher Partizipation z. B. in gemeinwesen-
   Unterstützung gibt wie nötig, aber dann sukzessive mit       orientierten Projekten und Aktionen.
   steigenden Kompetenzen der Schülerinnen und ­Schüler
   wieder abgebaut wird und deren Selbstregulation aktiviert.   Weiterhin erfolgt die Organisation des Unterrichts
                                                                speziell für die Gruppe der neu Zugewanderten – so
   Der Bildungsprozess wird weiterhin im Hinblick auf die       weit möglich – im Hinblick auf eine Anbindung an den
   mitgebrachten Ressourcen der Schülerinnen und Schüler        ­Regelunterricht, insofern als additive Maßnahmen und
   geplant, organisiert und immer wieder angepasst. Dazu         äußere Differenzierung in größerem Umfang eine Rolle
   gehören gerade bei neu zugewanderten Kindern und              spielen.
   Jugendlichen auch verschiedene Sprachen, sowohl die
   der Herkunft als auch im Zuge der Migration erworbene.       Schließlich ist die Gestaltung der Übergänge zentrales
   Auch in dieser Hinsicht ist die Heterogenität groß: Indi-    Prinzip der curricularen Grundlagen. Das bedeutet, dass
   viduelle Kompetenzausprägungen variieren zwischen den        Übergänge – reguläre wie spezielle (z. B. der Wechsel
   mündlichen Kompetenzen von in keiner Sprache alpha-          von einer Vorbereitungs- in eine Regelklasse) – vorbe­
   betisierten Menschen und einem ausgebauten Repertoire        reitet und begleitet werden. Das umfasst die pädago-
   mehrsprachiger Menschen mit institutionell erworbenen        gisch-didaktische Dimension ebenso wie eine Auswei-
   Schulfremdsprachen.                                          sung der dazu notwendigen personellen und sächlichen
                                                                Ressourcen.
   Mehrsprachigkeit gilt prinzipiell als Ressource und als
   konstitutive Dimension der Ausrichtung des Unterrichts:
   Sie ist die Grundlage für die sprachlichen Aneignungs-
   und Lernprozesse im Deutschen (vgl. Abschnitt 10,            6. Sprachdiagnostik
   S. 13 ff).
                                                                Ausführungen zur Sprachdiagnostik sind konstitutive Be-
   Der Unterricht Deutsch als Zweitsprache erfordert            standteile der curricularen Grundlagen. Eine Feststellung
   Offen­heit für Diversität. Das umfasst auf der sprach-       der sprachlichen Kompetenzen ist die Voraussetzung für
   lichen Ebene eine Offenheit für kreative Lösungen der        die Planung von Bildungs- und Fördermaßnahmen, wenn
   Schülerinnen und Schüler und berücksichtigt ebenfalls        die individuelle Ausgangssituation von Schülerinnen und
   außersprachliche Aspekte wie z. B. Sozialisationserfah-      Schülern zum Ausgangspunkt genommen wird. Da ein
   rungen, Fluchtfolgen, Erfahrungen mit Schulsystemen          Zweitspracherwerb auch unter optimalen Bedingungen
   anderer Länder, familiäre und individuelle Lebenspers-       für die Erreichung eines bildungssprachlichen Niveaus
   pektiven und anderes mehr.                                   zwischen fünf und zehn Jahren Zeit benötigt, ist damit
Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit | 9

zu rechnen, dass sich auch in der Zeit nach dem Über-          Für die Diagnostik werden zwei Wege beschritten: Zum
gang die Kompetenzen in der deutschen Sprache und in           einen wird eine standardisierte und instrumenten-
den Sachfächern unterschiedlich entwickeln (z. B. BiSS-        gestützte Diagnostik durchgeführt. Dazu haben einige
Trägerkonsortium, 2020).                                       Länder eigene Verfahren entwickelt, andere nutzen
                                                               verfügbare Verfahren. Sofern kein spezifisches Verfahren
Die auf die sprachliche Bildung bezogene Diagnostik            vorgegeben ist, entscheiden die jeweiligen Fach- und
richtet sich prinzipiell an den individuellen Erwerbs- und     Lehrkräfte gemeinsam mit der Schul- bzw. Einrich-
Lernstadien aus und bietet zugleich Möglichkeiten, Lern-       tungsleitung, welche Verfahren zur Dokumentation von
stände innerhalb einer Gruppe wie auch der individuellen       Entwicklungsverläufen und zur Lernbegleitung eingesetzt
Entwicklung zu vergleichen.                                    werden und wie häufig dies der Fall sein sollte.

Sprachdiagnostik versteht sich nicht nur als differen-             Tool-Datenbank von BiSS-Transfer
zielle Diagnostik, für die Spezialisten verantwortlich sind.
Sie wird lernbegleitend von einer jeden Lehrkraft durch-           Für die Sprachdiagnostik im engeren Sinne steht
                                                                   in BiSS-Transfer die Tool-Datenbank des Träger-
geführt, um einen fachlich fundierten Überblick über
                                                                   konsortiums zur Verfügung, in der einschlägige
den Stand der Sprachentwicklung von Schülerinnen und               Verfahren dargestellt sind (vgl. www.biss-­
Schülern zu erreichen; darin ist die Schriftentwicklung            sprachbildung.de/angebote-fuer-die-praxis/
eingeschlossen. Dementsprechend benötigen Lehrkräfte               tool-dokumentation/). Eine gesonderte Rubrik für
drei diagnostische Teilkompetenzen:                                neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler gibt
a. einen „diagnostischen Blick“ im Alltag, der im direkten         einen Überblick über die derzeit in den Ländern
                                                                   speziell für diese Zielgruppe eingesetzten Verfah-
   Umgang mit den Schülerinnen und Schülern sprach-
                                                                   ren (vgl. www.biss-sprachbildung.de/angebote-
   liches Können, Schwierigkeiten und Leerstellen wie
                                                                   fuer-die-praxis/tool-dokumentation/fachgruppe-
   auch Strategien erkennen lässt und eine der Situation           neu-zugewanderte-diagnostik-tools/).
   adäquate Reaktion ermöglicht
b. die Befähigung, mit gängigen sprachdiagnostischen
   Verfahren umgehen und auf dieser Grundlage eine             Zum anderen werden individuell vertiefende Analysen
   differenzierte Förderung im Entwicklungsverlauf             durchgeführt, zu denen zunächst der diagnostische Blick
   durchführen zu können                                       der Fachkräfte für Sprachbildung herangezogen wird (a)
c. Wissen über weitergehende Verfahren, die die                sowie ggf. zusätzliche und vertiefende Verfahren zu ein-
   Hinzuziehung spezieller und externer Expertise zur          zelnen Teilbereichen der Sprachentwicklung eingesetzt
   Sprachentwicklung und -förderung (Psycholinguistik,         werden (b, c).
   Logopädie, Sprachtherapie) sowie ggf. auch weiter-
   gehende psychologische Entwicklungs- und Lern­              Sprachdiagnostik soll nicht dazu dienen, Leistungen
   diagnostik erfordern                                        punktuell zu bewerten; sie dient der Feststellung der
                                                               sprachlichen Kompetenzen für das Lernen. Weiterhin
    Erwerb eines „diagnostischen Blicks“
    Einen „diagnostischen Blick“ erwirbt man am bes-
    ten über den systematischen Einsatz sprachdia-
    gnostischer Instrumente und den Austausch mit
    Kolleginnen und Kollegen sowie Personen weiterer
    Expertise.
10 | Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit

    ist sie darauf ausgerichtet, sprachliche Kompetenzen       zusätzlich eine Diagnostik zu fachlichen Entwicklun-
    kontinuierlich zu entwickeln; dem entspricht ein lernbe-   gen einbezogen. Dazu arbeiten die Lehrkräfte mit den
    gleitender Einsatz diagnostischer Instrumente. Ergeb-      Kolleginnen und Kollegen aus den Unterrichtsfächern
    nisse der Sprachdiagnostik gehen nicht in die Benotung     sowie denjenigen mit herkunfts- oder fremdsprachlichen
    sprachlicher und fachlicher Leistungen ein.                Kompetenzen zusammen und entscheiden gemeinsam
                                                               über das Vorgehen und den Einsatz von Verfahren zur
    Neben der sprachbezogenen Diagnostik, die in der Zu-       Beobachtung und Entwicklung fachlicher Leistungen.
    ständigkeit der Fachkräfte für Zweitsprache liegt, wird

                                    ette   Etges
    Bild: BiSS-Trägerkonsortium/Ann
Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit | 11

7. Schriftspracherwerb                                        Erfahrungen grundlegend. Vorhandene Sprachkenntnis-

    und Alphabetisierung                                       se und Sprachlernerfahrungen werden auf diese Weise
                                                               systematisch als Lerngegenstand in den Unterricht ein-
                                                               bezogen.
Die curricularen Grundlagen gehen auf die Themen
­„Alphabetisierung“ und „Literalität“ gesondert ein. Das           Besonderheiten älterer und junger
 liegt darin begründet, dass ein Teil der neu zugewan-             Lernender
 derten Kinder und Jugendlichen – insbesondere bei
                                                                   Bei jüngeren Kindern ist zu berücksichtigen, dass
     fluchtbedingter Zuwanderung – über keine oder nur
                                                                   sich die phonologische Bewusstheit – ebenso wie
     geringe Schriftkenntnisse verfügt.
                                                                   die kognitive Repräsentation – in der Entwicklung
                                                                   befindet; auch in der Erstsprache. Das wirkt sich
   Für Schülerinnen und Schüler, die in keiner Sprache             insbesondere auf die Laut-Buchstaben-Zuordnung
   alphabetisiert sind, werden sinnvollerweise spezielle           aus. In der Arbeit mit Lauttabellen ist dann zu
   Angebote zur Alphabetisierung bereitgestellt (wie               berücksichtigen, dass Schülerinnen und Schüler
   Unterricht in Alphabetisierungsklassen oder, sofern             ggf. die Laute ihrer jeweiligen Erstsprache im Kopf
                                                                   haben und bewusst umdenken müssen, was aber
    diese nicht vorgesehen sind, zusätzliche Förde-
                                                                   genau diejenige Repräsentationsfähigkeit wie auch
    rung – entweder individuell oder in Kleingruppen).             Sprachkompetenz im Deutschen voraussetzt, die
    Die curricularen Grundlagen berücksichtigen die                gerade mit der Lauttabelle erst erworben werden
     Herausforderung der Bildungssprache bereits in                soll.
     der Alphabetisierungsphase, z. B. durch eine frühe            Bei älteren Lernerinnen und Lernern jenseits des
     fachliche Ausrichtung von Lerninhalten.                       Jugendalters sind andere Lernprozesse zu erwar-
                                                                   ten als bei jungen Schülerinnen und Schülern; die­-
     Weiterhin befassen sich die curricularen Grund-               se gleichen weitgehend denen von Erwachsenen.
     lagen mit der Besonderheit der Mehrschriftigkeit              Sie sind hoch ökonomisch, d. h., es wird nur das
                                                                   gelernt, was wirklich in der Kommunikation ge-
     und des Zweitschrifterwerbs, der – je nach System
                                                                   braucht wird. Von daher ist es von großer Bedeu-
     der Erstschrift – unterschiedliche Bedingungen                tung, für Sprachanlässe zu sorgen, die über den
      bereithält. Das können gut zu nutzende Ressour-              Kernbestand der deutschen Sprache als Basis-
      cen sein wie z. B., dass in arabischsprachigen               varietät hinausgehen. Das funktioniert sehr gut
      Schulsystemen Schülerinnen und Schülern auf-                 über eine frühe fachliche Orientierung und lebens-
      grund der dortigen Diglossiesituation von Anfang             weltlich aktuelle Themen im Unterricht. Gerade bei
                                                                   älteren Lernenden werden unterstützende digitale
       an die Lautschrift lernen und daher über ein In­
                                                                   Materialien (z. B. im Internet) und insbesondere
       strument verfügen, die deutsche Sprache aufzu-
                                                                   das Schreiben auf der Tastatur einbezogen und im
       schreiben, auch wenn sie die lateinische Schrift            Unterricht genutzt (Übersetzungen, herkunfts-
       noch nicht beherrschen. Eine solche Kompe-                  sprachliche Lauttabellen, Sprachlernportale usw.).
       tenz ist eine wertvolle Hilfe im Schrifterwerb
        des Deutschen wie auch im weiteren Erwerb
        von Fremdsprachen. Andere Schülerinnen und
        Schüler, die noch keine kognitive Repräsentation       8. Progression
        eines Zeichensystems aufgebaut haben, werden
         zunächst an die Literalität herangeführt.             Curriculare Grundlagen betonen den individuellen
                                                               Sprachstand und dessen Entwicklung, an dem sich der
Zur Alphabetisierung der schriftunkundigen Schülerinnen        Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht orientieren sollte.
und Schüler ist ein Rückgriff auf ihre erstsprachlichen        Damit ist keinesfalls ausgeschlossen, eine Progression
12 | Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit

    zur grundlegenden Strukturierung des Lernens in der          Hörverstehen und Zuhören, Leseverstehen und Lesen,
    Planung zugrunde zu legen. Von Bedeutung ist es, eine        Schreiben sowie Sprechen. Diese sprachliche Handlungs-
    solche Progression im Bereich der Grammatik nicht            kompetenz umfasst nicht nur, dass man über sprachliche
    an der eines Schulbuchs auszurichten, sondern an der         Mittel verfügt, sondern auch in der Lage ist, adäquate
    ­natürlichen Progression des Zweitspracherwerbs.             Mittel im Hinblick auf ihre Angemessenheit in sprach-
                                                                 lichen Bildungskontexten (Gespräch, E-Mail-Austausch,
    Beispielsweise ist es nicht sinnvoll, ein Vergangenheits-    Prüfung, Vortrag usw.) wie auch fachliche Register (vgl.
    tempus systematisch einzuführen, solange das Präsens         Abschnitt 15, S. 18–19) auszuwählen.
    noch nicht grundlegend gefestigt ist. Ebenso wenig wird
    es erfolgreich sein, das Perfekt systematisch zu erarbei-    Alltagssprache und Bildungssprache werden nicht als
    ten, solange das Prinzip der Verbalklammer nicht an den      parallele oder alternative Register des Sprechens und
    einfacher zu erwerbenden Modalverbgefügen verfügbar          Schreibens, sondern als Kontinuum betrachtet. Sprechen
    gemacht wurde.                                               und Schreiben bedeuten immer auch Wahl und Entschei-
                                                                 dung für eine konkrete Weise der Formulierung. Am An-
    Die Progression kann von außersprachlichen Anforde-          fang des Lernprozesses wird die Alltagssprache dominie-
    rungen durchbrochen werden: Bei älteren Schülerinnen         ren, gleichzeitig werden in dieser Phase die Grundlagen
    und Schülern scheint es aber auch aufgrund der über-         für bildungssprachliche Kompetenzen auf- und aus-
    greifenden Lernanforderungen – z. B. im Kontext der          gebaut. Im weiteren Verlauf steht dann die Ausbildung
    Berufsausbildung bzw. -orientierung – sinnvoll, die für      mündlicher und schriftlicher Sprachhandlungsfähigkeit
    die Bewältigung elementarer Sprachhandlungen not-            im Mittelpunkt, wobei ein besonderes Gewicht darauf
    wendigen sprachlichen Mittel bereits früh und zum Teil       liegt, bildungssprachliche Kompetenzen auszubauen.
    parallel zu entfalten. Das bedeutet z. B., das Perfekt als   Diese Kompetenz ist eingebettet in soziokulturelles
    Vergangenheitsform früh einzuführen, um Zeitverhält-         Wissen sowie Strategien zum Erwerb dieses Wissens und
    nisse zu markieren, aber zunächst auch Abweichungen          seiner sprachlichen Verwendung.
    von der korrekten syntaktischen Struktur der Klammer-
    bildung zu tolerieren und die systematische Einübung         Die curricularen Grundlagen verwenden ein Kompetenz-
    zurückzustellen.                                             modell (vgl. Abb. 1), das auf der einen Seite zwischen
                                                                 Wissen, Fähigkeiten und Haltung unterscheidet und auf
                                                                 der anderen Seite die folgenden Dimensionen berück-
                                                                 sichtigt:
    9. Kompetenzentwicklung                                     ½  eine funktionale Dimension der Zielerreichung mittels

        der Schülerinnen und                                        Sprache
                                                                    eine normative Dimension des interkulturellen Dialogs
        Schüler
                                                                 ½

                                                                 ½  eine methodische Dimension als Können

    Die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und                Kompetenzentwicklung bezieht sich sowohl inhaltlich
    Schüler ist ein umfassender Prozess und nicht nur im         auf die Erweiterung von Wissensbeständen als auch auf
    Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht im Kontext von           den Prozess der Entwicklung in den genannten Berei-
    Mehrsprachigkeit von Bedeutung. Der Deutsch-als-             chen.
    Zweitsprache-Unterricht begreift sich daher als Be-
    standteil einer allgemeinen Kompetenzentwicklung im          Als weitere Kompetenzdimension tritt die Sprachmittlung
    Rahmen schulischer Bildung. Die Kompetenzentwicklung         hinzu. Schülerinnen und Schüler werden von Anfang an
    zielt auf sprachliche Bildungsfähigkeit in den Bereichen     nicht nur im Hinblick daraufhin unterrichtet, dass sie
Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit | 13

                                                                      Themen

                                                                                         meth
                                                sen                                          odis
                                          l: Wis                                                 ch:
                                         a                                                             Fä
                                     tion                                                                hig
                                    k
                             n

                                                                                                             ke
                           fu

                                                                                                               ite
                                                   sprechen                                    lesen

                                                                                                                  n
                                                              sprachliche Mittel

                                                    hören                                  schreiben

                            St
                                 rat                                                                             x   te
                                     e   gie                  n o r m a ti v : H a l t u n g                nt e
                                               n                                                       Ko

Abb. 1: Kompetenzmodell (eigene Darstellung)

ihre eigene Sprachkompetenz erweitern; sie lernen auch,                        Für den Aufbau und die Entwicklung von Sprachkompe-
andere bei der Kommunikation zu unterstützen.                                  tenz gehört neben den sprachlichen Mitteln im engeren
                                                                               Sinne und der Registerkompetenz auch die Untersu-
                                                                               chung von Sprache – als Unterrichtsinhalt wie als er-
    Sprachmittlung
                                                                               worbene Fähigkeit – sowie die Sprachreflexion (Language
    Sprachmittlung heißt, in einfachen und aus-                                Awareness).
    gewählten Alltagssituationen sprachlich weniger
    Kompetenten zu helfen (Lernende untereinander                              Für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler be-
    oder in der Peergroup) und in Alltagssituationen
                                                                               steht ein eigenständiges Kompetenzfeld, das im
    sinngemäß zu übertragen sowie in einfachen wie
    auch komplexeren sprachlichen Situationen zu
                                                                               ­Unterricht explizit Berücksichtigung findet: die Orien-
    moderieren.                                                                 tierung und das Zurechtfinden in der Schule. Beide
                                                                                erleichtern den Kompetenzaufbau als Ganzes und sind
    Sprachmittlung schult die Fähigkeit, Texte zu
    produzieren, und vertieft das Sprachgefühl. Es                              gleichzeitig ein wichtiger Baustein gesellschaftlicher
    bildet die Fähigkeit, sprachliche Erscheinungen                             Partizipation.
    in Herkunfts-, Zweit- und Fremdsprachen zu
    vergleichen, lässt entdecken, dass es in unter-
    schiedlichen sprachlich-kulturellen Kontexten
    unterschiedliche partner- und situationsbezogene
    Regeln gibt, und befähigt dazu, außerhalb des
                                                                               10. Mehrsprachigkeit
    Deutsch-als-Zweitsprache-Unterrichts Kommuni-
    kationsmöglichkeiten zu nutzen.                                            Mehrsprachigkeit ist Ressource und Prinzip des Unter-
                                                                               richts Deutsch als Zweitsprache. Individuelle Mehr-
14 | Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit

    sprachigkeit ist eine lebensweltliche Voraussetzung           ½   Die bilingualen Schülerinnen und Schüler können
    der Schülerinnen und Schüler sowie ein Leitziel einer             selbst als Expertinnen und Experten ihrer Sprachen
    europäischen Bildungsidee, dass alle Schülerinnen und             einbezogen werden, z. B. durch die Methode „Trans-
    Schüler nach Durchlaufen eines Bildungssystems in der             languaging“.
    Lage sind, sich in mindestens drei Sprachen kommuni-
    kativ bewegen zu können und dabei über europäische                 Translanguaging
    Sprachen hinausgehen. Für den Unterricht Deutsch als
    Zweitsprache ist die Mehrsprachigkeit eine Ressource,              Translanguaging bezeichnet allgemein den kom-
                                                                       plexen Sprachgebrauch mehrsprachiger Menschen,
    auch weil eine Reihe von Schülerinnen und Schülern
                                                                       z. B. Wechseln und Mischen von Sprachen. Dabei
    mit einer bereits aufgebauten Mehrsprachigkeit nach                werden die Mittel unterschiedlicher Sprachen
    Deutschland kommen.                                                kompetent und in Abhängigkeit vom situativen
                                                                       Kontext zielführend in das Sprechen integriert.
    Mehrsprachigkeit als Unterrichtsprinzip beinhaltet auf             In der Sprachdidaktik bezeichnet Translanguaging
    der Ebene der Haltungen die Anerkennung und Wert-                  die systematische Einbeziehung eines solchen
    schätzung der Herkunftssprachen neu ­zugewanderter                 Sprachgebrauchs in den Unterricht mit dem Ziel
    Schülerinnen und Schüler und auf der Ebene der                     eines effektiveren sprachlichen und fachlichen
    ­Didaktik die Einbeziehung mehrsprachiger Arrange-                 Lernens. In klar definierten Phasen des Unterrichts
                                                                       wird den Schülerinnen und Schülern ermöglicht,
     ments (wie z. B. Elemente des bilingualen Lernens oder
                                                                       sich in den ihnen gemeinsam zur Verfügung ste-
     ­Translanguaging).                                                henden Sprachen, z. B. über die Inhalte von Texten,
                                                                       zu verständigen oder durchzuführende Experi-
    Einbeziehung der Mehrsprachigkeit meint nicht, dass                mente zu besprechen. Dabei erfolgt häufig ein
    alle Lehrkräfte selbst mehrsprachigen Unterricht erteilen          systematischer Wechsel, z. B.:
    können müssen. Der Fokus des Unterrichts Deutsch als               1. Erarbeitung des Gegenstands in der Herkunfts-
    Zweitsprache liegt auf der Vermittlung des Erwerbs der                sprache
    deutschen Sprache. Allerdings sollten bilinguale Schulen           2. schriftliche Zusammenfassung dessen im Deut-
    und Klassen – sofern sie bestehen – in die Beschulung                 schen für die Präsentation vor der Klasse
    von neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern ein-
                                                                       3. Überarbeitung im Deutschen
    bezogen werden, da sie einen einfacheren Einstieg und
                                                                       4. Sammeln von Anwendungsbeispielen im Alltag
    eine klar geregelte Nutzung mitgebrachter Sprachen als
                                                                          in der Herkunftssprache
    Ressourcen im Prozess des Deutschlernens bieten kön-
    nen. Die Befunde aus der internationalen und nationalen            Sprachmischungen gelten im Unterricht als ange-
                                                                       messen, wenn Schülerinnen und Schüler sich den
    Forschung dazu sind eindeutig.
                                                                       Gegenstand des Unterrichts erschließen. Trans-
                                                                       languaging-Strategien ermöglichen es darüber hi-
    Maßgeblich für die Einbeziehung von Elementen                      naus, Mehrsprachigkeit in Lerngruppen, in denen
    ­bilingualen Lernens oder des Translanguaging sind die             die sprachliche Vielfalt groß ist, systematisch und
     bestehenden Ressourcen auf Seiten der Schulorganisa-              regulär zu berücksichtigen und einzubeziehen.
     tion und der beteiligten Personen. Es gibt verschiedene           Voraussetzung ist, dass für die Herkunftsspra-
                                                                       chen jeweils mindestens zwei Sprecherinnen bzw.
     Möglichkeiten:
                                                                       Sprecher vorhanden sind.
    ½    Sind die Lehrkräfte selbst bilingual, kann sprach-
         vergleichender Unterricht auch von einer Lehrkraft
         angeboten werden.                                        Mehrsprachigkeit als Prinzip wird auch im Deutschunter-
    ½    Sind die Lehrkräfte nicht bilingual, kann Teamteaching   richt und im Unterricht der anderen Fächer realisiert, so
         eingerichtet werden.                                     z. B., wenn Lehrkräfte ihr Wissen über Systeme gespro-
Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit | 15

chener und geschriebener Sprachen
ihrer Schülerinnen und Schüler berück-
sichtigen, etwa für die Analyse und die
Bewertung ihrer sprachlichen Produk-
tionen sowie für deren Unterstützung.

Im Kontext von Mehrsprachigkeit
werden auch vorhandene individuel-
le mehrsprachige Erfahrungen und
fremdsprachliche Kompetenzen von
Schülerinnen und Schülern einbe-
zogen. Als Brückensprachen können
insbesondere Englisch und Franzö-
sisch, aber z. B. auch Spanisch und
Portugiesisch verwendet werden. Das
hängt von den Sprachkompetenzen
der Schülerinnen und Schüler ab.
Eine Zusammenarbeit mit Lehrkräften
für die Fremdsprachen bietet sich
insbesondere in der weiterführenden
Schule an.

Generell sind außerdem die fremd-
sprachliche sowie die herkunfts-
sprachliche Kompetenz bereits
von Anfang an als Wert an sich
zu fördern und auszubauen, damit
diese nicht – wie häufig zu beob-
achten – zugunsten eines forcierten
Auf- und Ausbaus der deutschen
Sprache vernachlässigt werden. Im
Hinblick auf die Herkunftssprachen
bestehen allerdings zumindest in
                                                                                         Bild: BiSS-Trägerkonsortium/Ann
der Mündlichkeit häufig bessere                                                                                          ette   Etges

Möglichkeiten, sie zu stabilisieren und weiter auszu-
bauen, wenn das nicht nur im herkunftssprachlichen             und Schülern je nach Möglichkeiten gefördert werden
Unterricht, sondern auch in der Familie unterstützt wird       (z. B. im herkunftssprachlichen Unterricht). Beim Über-
sowie wenn Peergroup-Kontakte bestehen.                        gang aus einer Vorbereitungsklasse in eine Regelklasse
                                                               ist das gesondert zu regeln. Weiterhin sind Regelungen
Die vorliegenden curricularen Grundlagen sehen vor, die        zu treffen, wie der Sprachstand festgestellt werden
Herkunfts- und Fremdsprachen als Lernressource zu              soll und welche Bedingungen gültig sein sollten, um die
nutzen. Im Unterricht sollte die Herkunftssprache als          jeweiligen Herkunftssprachen als Fremdsprachen anzu-
Bestandteil der Kompetenzentwicklung von Schülerinnen          erkennen.
16 | Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit

    11. E
         inbindung in die                                      Arbeitstechniken für Sprachlern­
        ­Bildungsbiografie                                      strategien
                                                                Für den Einsatz von Sprachlernstrategien lernen
                                                                die Schülerinnen und Schüler konkrete Arbeits-
    Im Rahmen der Individualisierung von Bildungsprozes-
                                                                techniken selbstständig und situationsgerecht
    sen findet die Bildungsbiografie der Schülerinnen und
                                                                anzuwenden sowie gezielt zu erweitern. Bei diesen
    Schüler spezifische Berücksichtigung. Der Unterricht        Techniken handelt es sich überwiegend um Tech-
    Deutsch als Zweitsprache bietet ihnen die Möglichkeit,      niken der Beschaffung, Überprüfung, Verarbeitung
    den Erwerb der deutschen Sprache als Bestandteil ihrer      und Aufbereitung von Informationen. Dazu gehören
    Sprachlernbiografie zu begreifen und auf diese Weise an     z. B. folgende Techniken:
    ihre gesamte Lernentwicklung anzuknüpfen. Sie erfahren      ½   Lese- und Schreibtechniken
    auf diese Weise die Gleichwertigkeit der Herkunfts-         ½   Recherchetechniken
    sprachen, der deutschen Sprache wie auch der Fremd­         ½   Präsentationstechniken
    sprachen.                                                   Diese Techniken erfordern folgende Handlungen:
                                                                ½   Clustern
    Ein Instrument dafür ist das Sprachenportfolio, das für
                                                                ½   Markieren
    Schülerinnen und Schüler ab dem Grundschulalter ein-
                                                                ½   Zuordnen
    setzbar ist und die persönliche Dokumentation von
                                                                ½   Argumentieren
    Sprachlernerfahrungen wie konkreten sprachlichen Teil-
    kompetenzen erlaubt. Es erleichtert den Schülerinnen und
                                                                ½   Exzerpieren

    Schülern auch die Steuerung von Sprachlern­prozessen.       ½   Referieren
                                                                ½   Texterschließung
                                                                ½   Zitieren
                                                                Ferner lassen sich sprachlernspezifische und über-
    12. S trategien und                                        greifende Techniken unterscheiden. Unter sprach-

         ­Techniken                                             lernspezifischen Arbeitstechniken versteht man
                                                                solche, die in unmittelbarem Bezug zum Prozess
                                                                des Sprachlernens stehen, z. B.:

    Das Kompetenzmodell (vgl. Abb. 1, S. 13) umfasst            ½   themenspezifische Wörter mit passenden
                                                                    Liedern oder Reimen lernen
    bereits die Einbindung von Sprachlernstrategien. Diese
    umfassen neben explizit sprachbezogenen Strategien
                                                                ½   Verben mit Bewegungen verbinden

    für Verstehen, Lesen und Schreiben auch kognitive und       Übergreifende Arbeitstechniken bezeichnen Me-
    metakognitive Strategien – Erarbeitung, Strukturierung      thoden und Verfahrensweisen, die Schülerinnen
                                                                und Schüler für das Lernen in allen Fächern ein-
    und Nutzung sowie Kontrolle, Regulation und Planung –,
                                                                setzen können, z. B.:
    die das Lernen im Ganzen betreffen und sich unmittelbar
                                                                ½   Bilder als Gedächtnisstütze für das selbststän-
    auch auf Sprachlernprozesse auswirken:
                                                                    dige Lernen nutzen (graphic organizer)
    ½  Elaborationsstrategien (Fragen stellen, Notizen
                                                                ½   digitale Medien für das selbstständige Lernen
       machen, reformulieren, Memotechniken, wieder-
                                                                    nutzen
       holen, ...)
                                                                Im Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht setzen
    ½  Organisationsstrategien (zusammenfassen, visuali­
                                                                die Schülerinnen und Schüler sowohl sprachlern-
       sieren, ...)
                                                                spezifische als auch übergreifende Arbeitstech­
    ½  Selbstregulationsstrategien, Selbstkontrolle (planen,    niken ein.
       überwachen, bewerten, ...)
Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit | 17

Neben die Strategien treten spezifische A
                                        ­ rbeitstechniken.      tung auf ein diskriminierungsfreies Handeln der Lehr-
Auch für diese lassen sich wieder in sprachlernspezifi-         kräfte.
sche und übergreifende unterscheiden.
                                                                Für die schulorganisatorische Umsetzung des Unterrichts
                                                                Deutsch als Zweitsprache gelten die Bedingungen der
                                                                Bundesländer bzw. der zuständigen Schulaufsichtsbehör-
13. Demokratieerziehung                                        den. Eine umstandslose Einbeziehung von Schülerinnen

     im Kontext inter­                                          und Schülern in Regelklassen ohne spezifische Unter-
                                                                stützung ist nicht vorgesehen. Spezifische sprachbilden-
    kultureller Bildung                                         de Unterstützung im Deutschen benötigen Schülerinnen
                                                                und Schüler in Vorbereitungsklassen (parallele Modelle),
Die genannte normative Dimension des Lehrens und Ler-           ebenso in integrierten Modellen im Regelunterricht und
nens im Unterricht Deutsch als Zweitsprache im Kontext          in einer Mischform (teilintegrierte Modelle). Neben der
von Mehrsprachigkeit umfasst den Aspekt der Demo-               Förderung im Klassenverband wird auch auf Möglich-
kratiepädagogik. Diese vermittelt Demokratie als Auf-           keiten der Einzel- und Kleingruppenförderung zurück-
gabe, die nicht allein über Wahlen verläuft. Sie begreift       gegriffen.
Demokratie vielmehr als Lebensform und als politische
Gestaltung der gemeinsamen Welt als gesellschaftliches          Vorbereitungsklassen bieten oft den Vorteil fachkun-
Miteinander. Schule und Unterricht werden als Anwen-            dig ausgebildeter und erfahrener Lehrkräfte sowie eine
dungsfelder demokratischer Partizipation begriffen.             sozial-emotional stabilisierende Lerngruppe, in der sich
                                                                alle in einer ähnlichen Ausgangssituation und Heraus-
Demokratieerziehung für neu zugewanderte Schülerin-             forderung befinden. Integrative Regelklassen bieten den
nen und Schüler beschränkt sich daher nicht auf die             Vorteil früher Inklusion, früher fachlicher Anbindung und
Vermittlung von Elementen der Demokratie als Themen             die sozial-emotional stabilisierende Option, den Klassen-
und Gegenstände auch des Sprachunterrichts, sondern             verband nicht wechseln zu müssen. Häufige Wechsel,
beschreitet vor allem zu Beginn einen handlungsorien-           gerade für Schülerinnen und Schüler mit Fluchthinter-
tierten Weg, der eine direkte Anwendung im schulischen          grund, werden vermieden.
Alltag zulässt (z. B. Schülervertretung, Klassensprecher-
wahl, Konfliktmediation usw.).                                  Sofern die Wahl einer Schulzuweisung besteht, wird von
                                                                den individuellen Voraussetzungen der Schülerinnen
                                                                und Schüler ausgehend entschieden. In diesen Ent-
                                                                scheidungsprozessen sind die Schülerinnen und Schüler
14. Schulorganisatorische                                      selbst und ihre Eltern bzw. Sorgeberechtigten beteiligt.

     Umsetzung                                                  Eine ausschlaggebende Stimme haben idealerweise die
                                                                Fachlehrkräfte für Deutsch als Zweitsprache, die auch
                                                                die initiale Diagnostik durchführen; das umfasst auch die
Curriculare Grundlagen bedienen notwendige personelle           Empfehlung einer Schulform. Die Lehrkräfte der anderen
und sächliche Ressourcen und Kapazitäten. Sie benennen          Unterrichtsfächer werden nach Notwendigkeit einbezo-
explizit konkrete Maßnahmen und ihre Zeiträume. Sie             gen; ggf. werden ihre Positionen über die Fachkräfte für
benennen auch, wie das Deutschlernen im Kontext von             Deutsch als Zweitsprache in die Gespräche eingebracht.
Mehrsprachigkeit in Schulorganisation und Schulent­
wicklung eingebunden werden kann, in Anknüpfung an              Gegebenenfalls außerhalb der Schule stattfindende För-
die interkulturelle Öffnung von Schulen und die Ausrich-        derung wird im Rahmen der kontinuierlichen Gespräche
18 | Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit

    mit Eltern oder Unterstützungspersonen bzw. Vormün-        Bei älteren Schülerinnen und Schülern, die bereits über
    dern (bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen)       sichere alltags- und bildungssprachliche Kompetenzen in
    einbezogen.                                                ihren Erstsprachen verfügen, werden die entsprechenden
                                                               Kompetenzen im Deutschen integriert auf- und aus-
    Generell wird in allen Beschulungsmodellen zwischen        gebaut. Ähnliches gilt für die Fachsprachen der anderen
    zwei Phasen unterschieden: einer Basisphase und einer      Unterrichtsfächer.
    Auf- oder Ausbauphase. Auf dieser Grundlage werden
    die konkreten Bildungsangebote und Fördermaßnahmen             Bildungssprache
    organisiert.
                                                                   Der Begriff Bildungssprache greift auf Konzepte
                                                                   wie die „cognitive academic proficiency“ von Jim
    Vor dem Übergang in eine Regelklasse erhalten die
                                                                   Cummins (2000) und die „dekontextualisierte
    Schülerinnen und Schüler in einzelnen Fächern die              Sprache“ bei Basil Bernstein (1990) und Michael
    Möglichkeit, im Unterricht zu hospitieren, insofern            Halliday (2004) zurück und wurde bereits von
    die Schulen nicht ein differenziertes Übergangssystem          Jürgen Habermas (1977) verwendet (vgl. Roth,
    installiert haben, das den Besuch einzelner Unterrichts-       2015). Damit bezeichnete er das sprachliche Re-
    fächer bereits während der Teilnahme an einer Vorberei-        gister, das in der Schulbildung ein Orientierungs-
                                                                   wissen verschafft. Bildungssprache unterscheidet
    tungsklasse ermöglicht.
                                                                   sich von der Umgangs- oder Alltagssprache durch
                                                                   eine hohe Nähe zur Schriftlichkeit und Besonder-
                                                                   heiten in Wortschatz, Grammatik und Textförmig-
                                                                   keit. Sie weist häufig Merkmale wie die folgenden
    15. Bildungssprache                                            auf:
                                                                   Distanz
    Curriculare Grundlagen berücksichtigen die Herausforde-        ½   unpersönliche Formulierungen mit „man“
    rung der Bildungssprache in Abhängigkeit vom Lebens-           ½   und/oder im Passiv
    alter sowie vom Erwerbsalter, was die Kontaktdauer zur         ½   fachspezifische Verwendung von Alltagsbegrif-
    deutschen Sprache beinhaltet. Je höher das Erwerbsalter            fen (Erdumlaufbahn)
    ist – sprich der Beginn des Erwerbs der deutschen Spra-        Verdichtung
    che –, desto dringender und herausfordernder ist diese         ½   Nominalisierungen (Das Vorherrschen von ...)
    Leistung, sowohl für die Schülerinnen und Schüler als          ½   ausgebaute Nominalphrasen statt Nebensätzen
    auch für die Lehrkräfte.                                           (Bei überraschend einsetzendem Regen ...)
                                                                   ½   Partizipialkonstruktionen (Frisch gewählt begab
    Für den Aufbau der Bildungssprache sind die schuli-                sich die neue Regierung zügig an die Arbeit.)
    schen Vorerfahrungen der Schülerinnen und Schüler als          ½   häufig eine hohe Anzahl von Komposita
    je individuelle Ausgangslage von vorrangiger Bedeutung.            (Arbeitspensum, Wetterfront)
    Jene, die bereits längere Schulzeiten absolviert haben,        ½   verkürzte Bedingungssätze (Weht an der Nord-
    verfügen zumindest intuitiv über die Unterscheidung von            seeküste ein starker Wind, spricht man von
    Alltags- und Bildungssprache. Gerade Schülerinnen und              Sturm.)
    Schüler aus arabischsprachigen Schulsystemen kennen            ½   Funktionsverbgefüge (Das Gesetz tritt zum
                                                                       1. Januar in Kraft.)
    das gut, weil das Standardarabisch der Schule sich von
    den jeweiligen Regionalsprachen aufgrund der Diglossie-
    situation deutlich unterscheidet. Es handelt sich lingu-   Die Absprachen unter den Lehrkräften erfolgen zur
    istisch um verschiedene Sprachen und nicht „nur“ um        grammatischen und sprachdidaktischen Terminologie, zu
    Register.                                                  Themen und Unterrichtsmaterialien sowie zur sprach-
Deutsch als Zweitsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit | 19

lichen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler in             16. S prachunterricht und
Deutsch als Zweitsprache. Möglichkeiten für wechselsei-
tige Hospitationen und (partielles) Teamteaching werden
                                                                    Fachunterricht
in Absprache mit der Schulleitung eingesetzt. In Fragen
der grammatischen Terminologie, die über die Fächer            Für einen integrierenden Verlauf der sprachlichen Bil-
hinweg einheitlich ist, sollte der Lehrkraft für Deutsch       dung wird von Anfang an auf eine Kooperation aller be-
als Zweitsprache die Entscheidung zukommen. Für die            teiligten Lehrkräfte gesetzt. Alle Lehrkräfte müssen sich
den Fachunterricht betreffenden Fragen entscheiden die         ihrer sprachlichen Bildungsaufgabe bewusst sein, sie als
Fachlehrkräfte.                                                Teil ihrer Arbeit verstehen, annehmen und als sprach-
                                                               liche Didaktisierung ihres Fachunterrichts umsetzen. Das
Die Entwicklung der Bildungssprache wird anhand der            bedeutet, dass der Unterricht in Deutsch als Zweitspra-
Fortschritte der Schülerinnen und Schüler regelmäßig           che auch fachorientiert und der Unterricht in den an-
dokumentiert (vgl. die Tool-Datenbank von BiSS-Transfer        deren Fächern sprachsensibel ausgerichtet wird. Für die
www.biss-sprachbildung.de/angebote-fuer-die-praxis/            Ausgestaltung eines fachorientierten Sprachunterrichts
tool-dokumentation/). Dazu werden die einschlägigen            gibt es genauso wenig ein einheitliches Konzept wie für
Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) be-             den sprachsensiblen Fachunterricht. Die Ausarbeitung
rücksichtigt (vgl. Interkulturelle Bildung und Erziehung
in der Schule, 2013; Bildungssprachliche Kompetenzen                                                                   nnette Etge
                                                                                                                                   s
                                                                                                      rägerkonsortium/A
in der deutschen Sprache stärken, 2019).                                                  Bild: BiSS-T
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