Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Regelschule

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Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Regelschule
Unbegleitete minderjährige
                           Flüchtlinge
                    in der Regelschule

       Ein Projekt des Kinder- und Jugendhilfezentrums
      der Heimstiftung Karlsruhe in Kooperation mit der
              Elisabeth-Selbert-Schule, Karlsruhe

  Gefördert aus Mitteln des Europäischen Flüchtlingsfonds
                       (EFF 11 – 058)

Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung
Dr. Renate Breithecker, September 2014
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Regelschule
Seit September 2010 werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) in Karlsruhe be-
reits während der Inobhutnahme in einer Regelschule unterrichtet. Dies war möglich auf-
grund der Förderung durch den Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF): In einer einjährigen
Pilotphase (EFF-Projekt 10-525) konnte das Konzept zunächst getestet und dann in einer
leicht modifizierten Form ab September 2011 über drei Schuljahre weiter realisiert werden.
Auf dieses dreijährige EFF-Projekt 11-058, das mit dem Schuljahr 2013/14 im August 2014
endete, bezieht sich der hier vorgelegte Abschlussbericht. Bei einigen Datenreihen werden
aber auch Ergebnisse des Vorgängerprojekts berücksichtigt, um einen umfassenden Über-
blick über die Projektentwicklung zu geben und Vergleichsmöglichkeiten zu eröffnen.
Da es sich um den Abschlussbericht für das Gesamtprojekt handelt, ist der Blick auf die Ge-
samtdaten und die zentralen, jahresübergreifenden Ergebnisse gerichtet, ein besonderer
Fokus liegt aber auf dem letzten Förderjahr und den hier zu beobachtenden Entwicklungen
und Veränderungen. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die abschließenden Empfehlungen
für die Fortführung dieses Projekts, aber auch generell für den Schulbesuch von jungen
Flüchtlingen. Erfreulich ist – darauf soll schon an dieser Stelle hingewiesen werden – dass die
Beschulung von UMF in Karlsruhe auch im kommenden Schuljahr fortgeführt werden wird.
Der Bericht gliedert sich in vier Teile: Zunächst werden die Zielsetzungen detailliert vorge-
stellt, der zweite Teil widmet sich der Projektumsetzung, der dritte Teil stellt die empirischen
Ergebnisse der Projektbegleitung vor und im abschließenden vierten Teil werden die Ergeb-
nisse zusammengefasst, Empfehlungen für dieses und vergleichbare Projekte zur Beschulung
von UMF vorgestellt und auf den aktuellen Stand zur Fortführung in Karlsruhe eingegangen.

1.     Zielsetzungen des Projekts
Das Projekt wendet sich – wie der Name schon sagt – an unbegleitete minderjährige Flücht-
linge zwischen 16 und 18 Jahren, die Inobhut genommen und in verschiedenen Aufnahme-
gruppen des Kinder- und Jugendhilfezentrums (KJHZ) der Heimstiftung Karlsruhe betreut
werden. Während für jüngere UMF die allgemeine Schulpflicht besteht, gilt diese nicht mehr
für die Zielgruppe des Projekts. Allerdings besteht in Baden-Württemberg weiterhin Berufs-
schulpflicht bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, so dass die jungen Flüchtlinge in einer be-
rufsbildenden Schule – der Elisabeth-Selbert-Schule – unterrichtet werden. Während sich
das Vorgängerprojekt nur an männliche UMF richtete, konnten ab 2011 auch weibliche UMF
am Projekt teilnehmen. Angestrebt war die Beschulung von durchschnittlich 100 Teilneh-
mer/innen pro Schuljahr.
Die Zielsetzungen des Projekts sind:
• die Beschulung der jungen Flüchtlinge während der Inobhutnahme (IO) in einer Regel-
  schule
• der Erwerb grundlegender Deutschkenntnisse
• die Alphabetisierung generell und/oder in lateinischer Schrift

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Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Regelschule
• die Vorbereitung auf den weiteren Schulbesuch in Deutschland nach dem Transfer, dazu
  zählen insbesondere die Orientierung im deutschen Bildungssystem und die Vermittlung
  schulischer Grundkompetenzen (Lernen lernen, Regeln einhalten, gegenseitiger Respekt
  etc.)
• die (Erst-) Orientierung in der deutschen Gesellschaft
• die Strukturierung des Alltags, die Schaffung von Normalität und die Ermöglichung von
  positiven Erfahrungen und Erfolgserlebnissen für die UMF, die auch zu einer psychischen
  Stabilisierung beitragen können.
Die Beschulung minderjähriger Flüchtlinge bereits während der Inobhutnahme stellt einen
neuartigen Ansatz dar und wird wie auch das Vorgängerprojekt wissenschaftlich begleitet.
Die über den gesamten Projektzeitraum durchgeführte wissenschaftliche Begleitung orien-
tiert sich an den Zielsetzungen des Schulprojekts und überprüft, inwieweit diese realisiert
werden. Zum einen werden die im Projektverlauf gesammelten Erfahrungen und Ergebnisse
systematisch erfasst, ausgewertet, dokumentiert und für die Weiterentwicklung und be-
darfsgerechte Anpassung des Angebots genutzt. Zum anderen können so die Karlsruher Er-
gebnisse auch anderen Trägern zur Verfügung gestellt und in deren Projekten angewendet
werden. Darüber hinaus gehörten die Erarbeitung von Empfehlungen auch für vergleichbare,
zukünftige Projekte sowie die Veröffentlichung der Ergebnisse zu den Aufgaben der wissen-
schaftlichen Begleitung.

2.     Projektumsetzung
In diesem Teil werden die zur Zielerreichung geplanten Aktivitäten, Maßnahmen und Umset-
zungsschritte der tatsächlichen Projektdurchführung in den vergangenen drei Jahren gegen-
übergestellt. Die vorgesehenen Maßnahmen und Umsetzungsschritte waren:
1. Es sollen zwei neue Klassen in der Elisabeth-Selbert-Schule (ESS) speziell zur Beschulung
   der UMF gebildet werden.
2. Die UMF werden auf der Basis einer speziell entwickelten Stundentafel regelmäßig ca. 30
   Std./Woche beschult.
3. Die Klassen sollen ein unterschiedliches Leistungsniveau entsprechend den Vor-
   kenntnissen der jungen Flüchtlinge haben.
4. Eine Schulkoordinatorin übernimmt organisatorische, aber auch (sozial-) pädagogische
   Aufgaben. Sie unterstützt Schüler/innen während der Beschulung und steht den Lehrkräf-
   ten in pädagogischen, interkulturellen und organisatorischen Fragen zur Seite.
5. Da es sich um ein Kooperationsprojekt von Jugendhilfe und Schule handelt, sollen jährlich
   ca. vier Netzwerktreffen zwischen Lehrer/innen der ESS und den Mitarbeiter/innen des
   KJHZ stattfinden, um einen möglichst reibungslosen Ablauf und einen regelmäßigem Aus-
   tausch zu gewährleisten.

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6. Für alle beteiligten Fachkräfte sollen pro Schuljahr mindestens zwei geeignete Fort-
   bildungen angeboten werden.
7. Aufgrund des innovativen Charakters soll besonderer Wert auf Öffentlichkeitsarbeit und
   die Verbreitung der Ergebnisse gelegt werden.
8. Schließlich wird das Projekt über die gesamte Laufzeit wissenschaftlich begleitet und fach-
   lich beraten.
Wie sah nun die konkrete Umsetzung dieser Ziele im Projektverlauf aus? Im Folgenden wird
detailliert auf die vielfältigen Aktivitäten und Erfahrungen eingegangen.

2.1    Beschulung von jungen Flüchtlingen in der Elisabeth-Selbert-Schule
Über die gesamte Projektlaufzeit wurden junge Flüchtlinge während der Inobhutnahme in
zwei Regel-Klassen in der ESS unterrichtet – zunächst als „Berufsvorbereitungsjahr“ (BVJ), ab
2013 als „Vorqualifizierungsjahr - Arbeit - Beruf - ohne Deutschkenntnisse“ (VAB-O). Damit
wurde ein neuer Weg beschritten: Zuvor konnten die UMF während der IO lediglich am
Deutschunterricht in den Aufnahmegruppen oder im Menschenrechtszentrum teilnehmen.
Nun stand allen im KJHZ betreuten UMF zwischen 16 und 18 Jahren das Angebot einer Re-
gelbeschulung offen. Es wurde nur von einer sehr kleinen Zahl nicht genutzt, da ihre IO zu
kurz war oder überwiegend in die Zeit der Sommerferien fiel. Ein Jugendlicher konnte wegen
gesundheitlicher Einschränkungen nicht eingeschult werden. Einige UMF besuchten auch
nach dem Ende der IO als sogenannte Gastschüler eine der beiden Klassen, da sie in Karlsru-
he oder der näheren Umgebung blieben und zum Transferzeitpunkt keine andere Beschu-
lungsmöglichkeit bestand. Die angestrebte Zahl von 100 beschulten UMF pro Schuljahr
konnte nicht realisiert werden – sie lag im Durchschnitt bei 90 Schüler/innen. Dies ist auf die
schwankende Zahl der Inobhutnahmen zurück zu führen, auf die das Projekt keinen Einfluss
hatte. Zu den empirischen Ergebnissen im Einzelnen gibt Teil 4 detailliert Auskunft.
Die beiden Klassen wurden über die gesamten vier Jahre von den gleichen Klassen-
lehrerinnen geleitet, auch ein Teil der Fachlehrer/innen unterrichtete während des ge-
samten Projektzeitraums in den UMF-Klassen. Sie konnten somit auf ihre jeweiligen Erfah-
rungen zurückgreifen und den Unterricht entsprechend weiterentwickeln. In den Gesprä-
chen mit den Lehrkräften wurde deutlich, dass diese Erfahrungen sehr wichtig waren und zu
größerer Sicherheit führten, zudem konnten so die bereits entwickelten und erprobten Ma-
terialien weiter eingesetzt werden. Dennoch mussten sich die Lehrkräfte aufgrund der sich
immer wieder wandelnden Zusammensetzung der Klassen kontinuierlich neuen Herausfor-
derungen stellen.

2.2    Entwicklung und Anpassung einer spezifischen Stundentafel
In den beiden Klassen wurden die UMF regelmäßig ca. 30 Stunden pro Woche unterrichtet.
Bezüglich des Unterrichtsangebots lagen die Schwerpunkte auf dem Erlernen der deutschen

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Sprache sowie der Vermittlung kultureller und gesellschaftlicher Kenntnisse. Grundlage bil-
dete eine speziell entwickelte Stundentafel, die im Projektverlauf immer wieder angepasst
und kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Zu den Modifikationen zählten der Verzicht auf
Englischunterricht ab dem Schuljahr 2011/12, da dieser sich für die Mehrheit der UMF auf-
grund der nur sehr geringen Deutschkenntnisse und der oft fehlenden Alphabetisierung in
lateinischer Schrift als zu schwierig erwies. Im Gegenzug gab es eine Ausweitung des
Deutschunterrichts, der in einem geringen Umfang von der Schulkoordinatorin übernommen
wurde, die eine spezielle Ausbildung zum Unterrichten von Deutsch als Fremdsprache be-
sitzt. Schließlich wurde verstärkt praktischer Unterricht in den Bereichen Hauswirtschaft und
Kochen gegeben.
Besonders hervor zu heben ist das speziell für die UMF geschaffene Fach „Orientierung in
der Gesellschaft“ (OiG), das entsprechend dem Bedarf und den Wünschen der Schüler/innen
immer wieder aktualisiert wurde. Im Rahmen dieses Fachs konnten vielfältige Themen be-
handelt werden, die den jungen Flüchtlingen die Orientierung im Alltag erleichtern sollen.
Dazu zählten u.a. das Handy als Schuldenfalle, Gefahren im Internet, Lebensplanung, Schul-
und Berufswegeplanung, Sitten und Gebräuche, Feste in Deutschland, Informationen zum
deutschen Asylrecht und zum Asylverfahren, Präventivmaßnahme gesundheitliche Aufklä-
rung, AIDS und Geschlechtskrankheiten in Kooperation mit dem Gesundheitsamt, Inserate
richtig lesen und verstehen (speziell in Bezug auf Wohnungssuche) und die Orientierung im
öffentlichen Raum. Vor dem Hintergrund kulturell erlernter Verhaltensweisen männlicher
UMF wurde das Thema „Stalking“ behandelt, eine Mitarbeiterin der Kripo Karlsruhe infor-
mierte die jungen Flüchtlinge über die rechtliche Lage in Deutschland.
Ein besonderes Highlight bildeten die Verkehrserziehung und das Fahrradtraining, das aller-
dings in den Wintermonaten nicht möglich war: Den jungen Flüchtlingen wurden die Ver-
kehrszeichen und Verkehrsregeln erklärt und sie konnten auf dem Gelände der Verkehrs-
schule Fahrrad fahren. Ein wichtiges „Nebenprodukt“ dieses Trainings war, dass die UMF
(freundlichen) Kontakt zur Polizei hatten und dabei ein positives Bild der Ordnungshüter
entwickeln konnten – eine durchaus ungewohnte Erfahrung für die Mehrheit der jungen
Flüchtlinge. Ein weiteres Highlight bildete im Schuljahr 2011/12 eine Kooperation mit dem
nahegelegenen Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM): Die Schüler/innen waren
eingeladen, sich am Projekt „The Global Contemporary – Kunstwelten nach 1989“ zu beteili-
gen. Eine Woche lang arbeiteten sie mit zwei Kunstvermittlern, um sich über Themen der
Ausstellung in Verbindung mit eigenen Erfahrungen und Erlebnissen auszutauschen. Als Er-
gebnis entstand ein Video, der unter http://www.global-contemporary.de/de/
kunstvermittlung/220-schnipp-g-schnapp zugänglich ist. Insgesamt konnten durch das Fach
OiG viele Themen und Fragen der jungen Flüchtlinge aufgegriffen und behandelt und
dadurch deren Orientierung im neuen Umfeld deutlich verbessert werden.

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Große Bedeutung und positive Wirkung hatte die Einführung von regelmäßigen päda-
gogischen Gesprächsrunden: Zunächst aus „der Not geboren“ – also dem Bedarf nach Aus-
tausch und der Klärung von Fragen mit Hilfe von Dolmetschern geschuldet – fanden die
„Teestunde“ und der „Große Tisch“ zunächst 14-tägig, seit dem Schuljahr 2012/13 dann wö-
chentlich statt. Die pädagogischen Gesprächsrunden dienen vor allem der Konfliktvermei-
dung, in dem sie einen Raum für regelmäßigen Austausch schaffen. Neben Klassenlehrerin,
Schulkoordinatorin und Schüler/innen nehmen auch Dolmetscher/innen daran teil, um allen
eine aktive Beteiligung zu ermöglichen. Entsprechend der Zusammensetzung der UMF-
Gruppe waren zunächst nur Dolmetscher für Arabisch, Farsi/Dari, Französisch und Englisch,
seit Herbst 2013 je nach Bedarf auch für Urdu, Somali, Kurdisch, Russisch und Albanisch an-
wesend. In den pädagogischen Gesprächsrunden können alle Fragen und Probleme bespro-
chen werden. Dieses Angebot erweist sich als guter Rahmen, um Konflikte zu vermeiden
bzw. Probleme schnell auszuräumen.

2.3    Ausdifferenzierung der Klassen nach Leistungsniveau
Ursprünglich von Beginn dieses Projekts an vorgesehen war die Ausdifferenzierung der bei-
den Klassen entsprechend dem Leistungsniveau der jungen Flüchtlinge: Bereits das Pilotpro-
jekt hatte deutlich gemacht, dass diese ganz unterschiedliche Vorkenntnisse mitbrachten
und ihrerseits den Wunsch äußerten, in leistungshomogeneren Klassen unterrichtet zu wer-
den, ein Anliegen, das auch von den Betreuer/innen der Aufnahmegruppen unterstützt wur-
de. Um den tatsächlichen Bildungsstand zu erfassen, wurde 2012 ein Einstufungstest entwi-
ckelt, intern abgestimmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt, der dann ab Herbst 2012 zum
Einsatz kam. Der Test wird von den UMF vor Einschulung bearbeitet, auf dieser Grundlage
werden dann die leistungsstärkeren UMF der VAB-O2, die leistungsschwächeren der VAB-O3
zugeordnet. Bei der Zuordnung werden aber auch andere Faktoren berücksichtigt: Die aktu-
elle Belegung der Klassen, Angaben zum Schulbesuch im Herkunftsland, die Herkunft und da-
mit die Sprachkenntnisse der jungen Flüchtlinge. Dies ist auch deshalb notwendig, weil es
aufgrund neuer Herkunftsländer immer wieder Sprachen gab, für die noch keine Überset-
zung vorliegt. Zudem können Analphabeten den Test nicht machen, sie werden immer der
VAB-O3 zugeordnet.
Die im Projekt gesammelten Erfahrungen machen zweierlei deutlich: Es gibt tatsächlich gro-
ße Unterschiede in den Vorkenntnissen, die sich nicht immer mit den Angaben über den bis-
herigen Schulbesuch decken, d.h. einige UMF mit längerem Schulbesuch erzielen nur wenige
Punkte, während andere mit nur kurzem Schulbesuch im Herkunftsland z.T. eine hohe
Punktzahl erreichen. Somit erweisen sich das Testverfahren und die Unterteilung der Klassen
nach dem Leistungsniveau als durchaus sinnvoll. Der Alltag setzt diesem Vorhaben aber
Grenzen: Werden neue UMF Inobhut genommen, sollen sie möglichst schnell eingeschult
werden. Ist nun eine der Klassen voll belegt, kommt der Schüler in die andere Klasse – unge-
achtet seiner Vorkenntnisse. Zudem wurden die Mädchen mit einer Ausnahme unabhängig

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von ihren Bildungsstand im VAB-O2 unterrichtet. Dennoch waren im letzten Schuljahr die
Unterschiede zwischen den Klassen deutlicher und im Alltag spürbar, worauf im vierten Teil
noch ausführlich eingegangen wird.

2.4    Die Schulkoordinatorin
Als zentral für das Gelingen des Projekts erwies sich die Schulkoordinatorin, die eine Brücke
zwischen Schule und Aufnahmegruppen bildete. Zu ihren Aufgaben gehörte es, einen rei-
bungslosen, organisatorischen Ablauf zu sichern. Sie gab Informationen und Dokumente wie
Anmeldungen, Abmeldungen, Einstufungsbögen und Empfehlungsschreiben zwischen Schule
und Aufnahmegruppen weiter, führte den Einstufungstest durch und sorgte in Rücksprache
mit den Klassenlehrerinnen für die passende Zuordnung zu einer der beiden Klassen. Die
Schulkoordinatorin stand als Ansprechpartnerin für die Schüler/innen bei Fragen und Prob-
lemen zur Verfügung und dolmetschte vor allem während der ersten Zeit der Unterrichts-
teilnahme sowie in Krisensituationen. Außerdem unterrichtete sie, wie oben schon erwähnt,
jeweils zwei bis drei Wochenstunden „Deutsch als Fremdsprache“ in beiden Klassen. Von
großer Bedeutung ist die interkulturelle Vermittlung zwischen den Lehrkräften, die mit der
besonderen Situation und den kulturellen Hintergründen der UMF zunächst nicht vertraut
waren, und den Schülern, die die hiesigen Abläufe, Verhaltensweisen und Erwartungen nicht
kennen. Hier erwies es sich als besonders positiv, dass die Stelleninhaberin selbst als junger
Flüchtling nach Deutschland kam und somit viele Erfahrungen mit den UMF teilt, ihre Situa-
tion gut versteht und auch von den jungen Flüchtlingen als Vertrauensperson angenommen
wurde. Zudem arbeitete sie über den gesamten Projektverlauf kontinuierlich im Projekt, gab
in den Ferien regelmäßig in den Gruppen Unterricht, so dass diese für die UMF „traurige
Zeit“ genutzt wurde. Schließlich unterstützte sie die wissenschaftliche Begleitung, etwa
durch die Weitergabe von Daten und das Dolmetschen bei Interviews.
Die Erfahrungen der vergangenen Jahre machen deutlich, dass die Beschulung einer größe-
ren Gruppe von UMF in einer Regelschule nur dann zu realisieren ist, wenn es eine solche
koordinierende Person gibt, die neben organisatorischen auch pädagogische und sozialarbei-
terische Aufgaben wahrnimmt bzw. wahrnehmen kann. Dass die Übernahme der vielfältigen
Aufgaben im Rahmen des Projekts in hervorragender Weise gelingt, ist dabei auf das Enga-
gement, die Persönlichkeit, die besonderen Fähigkeiten und die interkulturelle Kompetenz
der Schulkoordinatorin zurückzuführen.

2.5    Projektorganisation – Kooperation von Schule und Jugendhilfe
Mit der in Karlsruhe realisierten Beschulung von jungen Flüchtlingen betraten alle Beteilig-
ten „Neuland“ – dies betraf auch die enge Kooperation von Jugendhilfe und Schule. Um die
damit verbundenen Herausforderungen zu meistern und einen möglichst reibungslosen Ab-
lauf zu gewährleisten, wurde von Beginn an Wert auf einen regelmäßigen Austausch sowohl
auf organisatorischer wie auf inhaltlich-pädagogischer Ebene und auf die gemeinsame Fort-

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bildung aller beteiligten Fachkräfte gelegt. Zu diesem Zweck wurden pro Schuljahr vier
Netzwerktreffen, eine Auswertungsveranstaltung sowie zwei bis drei Fortbildungen durchge-
führt. Im Projektverlauf kamen weitere Austauschmöglichkeiten hinzu, so konnten Betreu-
er/innen im Unterricht hospitieren und Lehrkräfte besuchten die Aufnahmegruppen. Zudem
wurden die Vormünder, die ja auch in Schulfragen zuständig sind, im Projektverlauf stärker
einbezogen.
Da die Beschulung der UMF ein Kooperationsprojekt zwischen dem KJHZ als Träger der Auf-
nahmegruppen und der ESS als verantwortlicher Schule darstellt, gibt es immer wieder or-
ganisatorische und inhaltliche Fragen zu klären. Dazu fanden im pro Halbjahr zwei sogenann-
te Netzwerktreffen statt, die einen weitgehend reibungslosen Ablauf sicherten. Im Schuljahr
2012/13 nahmen erstmals auch Mitarbeiter/innen der Sozialen Dienste der Stadt Karlsruhe
an einem Netzwerktreffen teil, da einige Vereinbarungen auch die Vormünder betrafen.
Zu den Themen der Netzwerktreffen gehörten u.a. die Planung des jeweiligen Projektjahres
zum Schuljahresbeginn, die Vorbereitung der Auftakt- bzw. Abschlussveranstaltungen sowie
die Abstimmung der Themen und die Terminierung der Fortbildungsangebote. Ein weiteres
Thema war der Austausch zwischen den beteiligten Institutionen und Fachkräften, dazu
wurde die Möglichkeit von Projektbesuchen und Hospitationen vereinbart. In Bezug auf die
UMF ging es u.a. um die Klärung der Frage, wie mit den jungen Flüchtlingen verfahren wird,
die nach Abschluss der Inobhutnahme in Karlsruhe oder der näheren Umgebung bleiben. In
jedem der drei Projektjahre waren sechs dieser UMF weiter in der ESS beschult worden, dies
führte einerseits zu zahlreichen Stoff-Wiederholungen für diese Gastschüler/innen, anderer-
seits bestand die Gefahr, dass neu Inobhut genommene UMF nicht eingeschult werden
könnten. Vor diesem Hintergrund wurde vereinbart, in die beiden Klassen ausschließlich
UMF während der Inobhutnahme durch das KJHZ aufzunehmen und Gastschüler/innen nur
dann zuzulassen, wenn ausreichend Plätze vorhanden waren und es keine alternative Be-
schulungsmöglichkeit gab.
Diese Diskussion rückte die Anschlussbeschulung der UMF nach der Inobhutnahme verstärkt
in den Blick: Die ESS hatte für das Schuljahr 2012/13 eine BVJ-O (ohne Deutschkenntnisse)
eingerichtet, die aber bereits Anfang Oktober voll belegt war. Damit hatten junge Flüchtlinge
nach der Inobhutnahme keine Chance auf eine Beschulung, denn flexible Integrationsklassen
fehlen bisher, sodass sie zur Überbrückung bis zum nächsten Schuljahr allenfalls Deutschkur-
se besuchen können. Die Sicherstellung des weiteren Schulbesuchs im Anschluss an den
Transfer war auch zum Ende des Projekts noch nicht befriedigend gelöst. Im letzten Projekt-
jahr rückte dann die Fortführung der Beschulung von UMF nach dem Ende der EFF-
Förderung im Mittelpunkt. Hier wurden gemeinsame Lösungsstrategien erarbeitet, die
schließlich zum Erfolg führten: Auch im Schuljahr 2014/15 können UMF in zwei VAB-O Klas-
sen in der ESS unterrichtet werden. Auf die Details zur Fortführung wird in vierten Teil ge-
nauer eingegangen.

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Anstelle der geplanten Abschlussveranstaltungen jeweils zum Schuljahresende fanden eine
Halbzeitveranstaltung Anfang 2013 sowie eine Auftaktveranstaltung im Oktober 2013 statt,
an der Lehrkräfte, Betreuer/innen aus den Aufnahmegruppen und Vormünder teilnahmen.
Hintergrund waren personelle Veränderungen, die aufgrund der notwendigen Einarbeitung
zu zeitlichen Verzögerungen führten. Im Rahmen der moderierten Veranstaltungen wurden
jeweils die bisherigen Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung zum Projektverlauf vor-
gestellt und diskutiert. Die Schulkoordinatorin berichtete über den Einstufungstest und des-
sen Umsetzung. Zentrales Thema war jeweils die konkrete Zusammenarbeit und die Ausge-
staltung des Projekts. Alle Teilnehmer/innen konnten offene Punkte benennen, für die im
Rahmen der Veranstaltung nach Lösungen gesucht oder die als konkrete Arbeitsaufträge
vergeben wurden. Dabei handelte es sich z.B. um Fragen der Zusammenarbeit zwischen den
beteiligten Institutionen, die Möglichkeit von Zusatzangeboten parallel zur Beschulung, ins-
besondere die individuelle Förderung von Analphabeten, und Themenvorschläge für die ge-
planten Fortbildungen. Die Ergebnisse wurden als Bildprotokoll festgehalten und an alle Pro-
jektbeteiligten im Anschluss vermailt.

Um die beteiligten Fachkräfte mit der Situation der jungen Flüchtlinge und den daraus resul-
tierenden besonderen Anforderungen noch besser vertraut zu machen, wurden in den ver-
gangenen drei Jahren acht Fortbildungen angeboten:
• Rechtliche Aspekte und Abläufe während und nach der Inobhutnahme von UMF: Dieses
  Angebot richtete sich ausschließlich an die Lehrkräfte und fand im März 2012 statt. Es
  wurde durchgeführt von Klaus Grabenbauer, Bereichsleiter Inobhutnahme des KJHZ. An
  der Weiterbildung nahmen ca. 10 Lehrer/innen, die Schulkoordinatorin sowie die wissen-
  schaftliche Begleitung teil.
• Traumatisierung und Folgen: Dieses Angebot fand ebenfalls im März 2012 statt, unter den
  ca. 25 Teilnehmenden waren Lehrkräfte, Mitarbeiter/innen der Aufnahmegruppen sowie
  eine Mitarbeiterin des Sozialen Dienstes der Stadt Karlsruhe. Es wurde von Dr. Doris Breh
  und Andrea Thorwarth durchgeführt, beide sind als Psychologinnen am KJHZ tätig und be-
  treuen auch junge Flüchtlinge.
• Interkulturelles Training: Diese zweitägige Fortbildungsveranstaltung richtete sich an
  Lehrkräfte und an Mitarbeiter/innen der Aufnahmegruppen und hatte das Ziel, für die be-
  sonderen Anforderungen in der Arbeit mit UMF zu sensibilisieren. Es wurde von Marlene
  Seckler von InterCultus im Mai 2012 mit knapp 20 Teilnehmer/innen durchgeführt.
• Im Juni 2013 fand eine Fortbildung zum Thema „Interkulturelle Begegnung mit dem ‚Ara-
  bischen Raum‘: Grenzen und Möglichkeiten“ statt, Referentin war Yasemine Khaled, Dip-
  lomübersetzerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Mainz, es nahmen
  20 Fachkräfte aus allen beteiligten Institutionen teil.
• Im Juli 2013 führte Johannes Gross, Projektmanager am Institut für interkulturelle Ma-
  nagement- und Politikberatung (IMAP GmbH Düsseldorf) eine ganztägige Fortbildung zur

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„Interkulturellen Kompetenz“ durch, an der 18 Fachkräfte teilnahmen. Dabei ging es an-
  hand theoretischer Ansätze und praktischer Übungen um den Kulturbegriff sowie um ver-
  schiedene Modelle und Merkmale von Kultur.
• Zusätzlich gab für die beteiligten Lehrkräfte der ESS im April 2013 eine kürzere Informati-
  onsveranstaltung, in deren Rahmen Mitarbeiter/innen der Sozialen Dienste das Verfah-
  rens der „Altersfestsetzung“ bei UMF erläuterten.
• Im Juli 2013 fand eine erste Schulung zum Thema „Deutsch als Fremdsprache“ statt, im
  dritten Projektjahr wurde eine entsprechende Fortbildungsreihe angeboten, die allerdings
  aufgrund personeller Probleme nur sehr unregelmäßig stattfand.
• Da die im Juli 2013 durchgeführte Fortbildung zur „Interkulturellen Kompetenz“ des IMAP
  von allen Teilnehmer/innen sehr positiv aufgenommen wurde, konnte sie im letzten Pro-
  jektjahr fortgeführt werden: Im März 2014 fand die ganztägige Fortbildung „Interkulturel-
  les Konfliktmanagement“ statt, zu der wiederum alle beteiligten Fachkräfte eingeladen
  waren. Die insgesamt 17 Teilnehmer/innen wurden in Fragen des Verständnisses für kul-
  turelle Unterschiede sensibilisiert, um so mögliche Konflikte zu vermeiden oder zu ver-
  mindern, Spannungen zu lösen und somit alltägliche Situationen erfolgreich zu meistern.
Neben den Fortbildungen galt dem Austausch und dem gegenseitigen Kennenlernen der
beteiligten Institutionen und der Fachkräfte ein besonderes Augenmerk: Lehrkräfte konnten
sich vor Ort über die Abläufe und das Leben in den Aufnahmegruppen im KJHZ informieren.
Die Betreuer/innen und Vormünder hatten die Chance, im Unterricht zu hospitieren und
somit einen Einblick in die Unterrichtsabläufe zu erhalten. Beide Angebote wurden im An-
schluss an ein Netzwerktreffen ab Frühjahr 2013 realisiert, sie fanden großes Interesse und
wurden bis zum Projektende fortgesetzt. Zudem wurde vor dem Hintergrund disziplinari-
scher Probleme und zeitweise größerer Spannungen und Konflikte in der Gruppe der be-
schulten UMF ein verstärkter Austausch zwischen den Fachkräften angeregt. Der erste päda-
gogische Erfahrungsaustausch im Januar 2014 stieß dann aber nur auf mäßiges Interesse
seitens der Betreuer/innen der Aufnahmegruppen und damit nicht zur angestrebten ge-
meinsamen Bearbeitung der Probleme. Dies führte zu erheblichen Irritationen und sollte in
Zukunft unbedingt vermieden werden, d.h. die Beteiligung von Fachkräften beider Koopera-
tionspartner muss sichergestellt werden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Kooperation der beteiligten Instituti-
onen gut funktionierte, im Rahmen der regelmäßigen Treffen und Veranstaltungen konnten
organisatorische und inhaltliche Fragen behandelt und Vereinbarungen getroffen werden.
Die Treffen erwiesen sich auch deshalb als wichtig und notwendig, weil es im Projektverlauf
zu zahlreichen personellen und organisatorischen Veränderungen vor allem im KJHZ kam.
Dies führte auch dazu, dass die Schule im Zeitverlauf zunehmend einen aktiveren Part über-
nahm – wie etwa die Durchführung von Veranstaltungen, die Fortschreibung der Angebote
und der Stundentafel – während das KJHZ als Projektträger etwas in den Hintergrund rückte.

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Insgesamt aber verlief die Zusammenarbeit der Projektträger gut und zum großen Vorteil für
die jungen Flüchtlinge.

2.6    Öffentlichkeitsarbeit
Während des gesamten Projektzeitraums wurde Wert auf eine umfassende Öffentlich-
keitsarbeit gelegt, da dem Projekt aufgrund seines innovativen Charakters landes- und bun-
desweit große Bedeutung zukommt und es eine Art „Leuchtturmfunktion“ innehat. Zu den
entsprechenden Aktivitäten zählten die Vorstellung des Projekts im Rahmen Fachveranstal-
tungen der IGfH, des KVJS, des B-UMF und der SOLID-Regionaltagung in Mannheim. Die Er-
gebnisse wurden in Fachzeitschriften und Sammelbänden publiziert – z.B. ein Fachbeitrag in
einem Reader zur Praxisforschung. Zudem stehen die Berichte der wissenschaftlichen Beglei-
tung als Download zur Verfügung. Projektbeteiligte wurden zu Fachgesprächen und Exper-
tenrunden des AFET und der IGfH eingeladen. Besonders hervorzuheben ist, dass die Herbst-
tagung des Bundesverbands „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ (B-UMF) vom 17. bis
19. Oktober 2011 in Karlsruhe stattfand, in deren Rahmen auch das Schulprojekt präsentiert
wurde. In Karlsruhe wurde das Projekt in politischen Gremien wie dem Migrationsbeirats
vorgestellt, Karlsruher Stadträte nahmen an der Abschlussveranstaltung teil. Zudem kamen
Freie Träger und Schulen nach Karlsruhe, um sich über das Projekt zu informieren und sich
vor Ort ein Bild zu machen. So besuchte im Juli 2013 eine Gruppe von Lehrkräften aus Biber-
ach die ESS, um sich über das spezielle Angebot für UMF zu informieren. Im Rahmen des
Jubiläums und des Sommerfests des KJHZ im Juli 2013 wurde das Projekt ebenfalls präsen-
tiert.
Die zum Abschluss des Projekts im Juni 2014 durchgeführte Veranstaltung beleuchtete die
Ergebnisse der vergangenen drei bzw. vier Jahre. Diskutiert wurde über die Fortführung der
Beschulung und über eine Anschlussbeschulung nach dem Abschluss der Inobhutnahme und
dem Transfer der UMF. Da die Tagung auf den Karlsruher Raum beschränkt war, konnte lei-
der keine breitere Fachöffentlichkeit erreicht werden, die „Leuchtturm-Funktion“ hätte hier
stärker betont werden können.
Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit wurde selbstverständlich immer auf die Unterstützung
durch den Europäischen Flüchtlingsfonds verwiesen, ohne dessen Förderung die Durchfüh-
rung des Projekts nicht möglich wäre.

2.7    Wissenschaftliche Begleitung
Da es sich beim vorliegenden Projekt um einen bisher nicht erprobten Ansatz in der Beschu-
lung von UMF handelte, fand über die Gesamtlaufzeit eine wissenschaftliche Begleitung und
fachliche Beratung statt. Zentrale Aufgaben waren die kontinuierliche Überprüfung und Do-
kumentation der Projektumsetzung in halbjährlich vorgelegten Berichten und der Präsenta-
tion der Ergebnisse. Mit Hilfe systematisch eingesetzter empirischer Erhebungs- und Aus-

Abschlussbericht – EFF 11-058                                                       Seite 11
wertungsmethoden konnten detailliert Daten erfasst, ausgewertet und die so gewonnenen
Ergebnisse regelmäßig an die Projektbeteiligten zurück gemeldet werden. Damit sollten die
Weiterentwicklung und die bedarfsgerechte Anpassung der Angebote des Projekts unter-
stützt, darüber hinaus aber auch Empfehlungen für zukünftige Projekte gewonnen werden.
Die wissenschaftliche Begleitung orientierte sich an den Zielsetzungen des Projekts und frag-
te, inwieweit deren Umsetzung gelingt, welche Maßnahmen ergriffen wurden und welche
Wirkung, welchen Erfolg sie zeigten. Im ersten Schritt mussten Erhebungsinstrumente ent-
wickelt werden, wobei nach Möglichkeit versucht wurde, keine Mehrbelastung für die Fach-
kräfte zu erzeugen. Vielmehr wurden diese so gestaltet, dass die Datenerhebung eher zum
„Zusatznutzen“ wurde – wie etwa beim „Aufnahmebogen“, der als Anmeldeformular für
neue Schüler dient, aber auch die Basisdaten für die wissenschaftliche Begleitung liefert,
oder beim „Empfehlungsbogen für die weitere Beschulung“, der als eine Art Zeugnis viele
Informationen über den Erfolg der Beschulung enthält. Auf dieser Grundlage wurde dann die
systematische Erhebung der Daten durchgeführt, deren Auswertung regelmäßig vorgelegt
wurde und zur Praxisreflektion beitrug.
Schwerpunkte der fachlichen Beratung bildeten die Vorbereitung und Durchführung der
Fortbildungsangebote und anderer projektbezogener Veranstaltungen, vielfältige Aktivitäten
im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und die Unterstützung der Projektsteuerung durch die Teil-
nahme an Besprechungen und Netzwerktreffen. Wissenschaftliche Begleitung und fachliche
Beratung trugen auch durch die Kontinuität der Arbeit zur Sicherung der hohen Qualität des
Projekts bei.

2.8    Ergebnisse zur Projektumsetzung
Abschließend lässt sich feststellen, dass die zur Zielerreichung geplanten Aktivitäten, Maß-
nahmen und Umsetzungsschritte im Projektverlauf durchgehend realisiert werden konnten:
Die UMF nahmen regelmäßig am Unterricht in der ESS teil, die eigens für diese Gruppe ent-
wickelte Stundentafel wurde in den vergangenen Jahren kontinuierlich modifiziert, um den
Bedarfen gerecht zu werden. Der speziell entwickelte Einstufungstest wurde eingesetzt, um
den Bildungsstand von neuen UMF zu erfassen und sie einer der beiden Klassen zuzuordnen,
er ist allerdings nur einer von mehreren Faktoren. Pädagogische Gesprächsrunden in den
Klassen trugen dazu bei, dass Konflikte frühzeitig erkannt und bearbeitet wurden, diese er-
wiesen sich gerade im letzten Schuljahr vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwi-
schen den UMF als ausgesprochen wichtiges Instrument. Die Schulkoordinatorin erfüllte ihre
Aufgaben hervorragend, sie war die notwendige „Klammer“ zwischen den Beteiligten und
ihren unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen. Die Zusammenarbeit zwischen KJHZ und
ESS, aber auch dem Sozialen Dienst und den Vormündern gelang insgesamt gut, auch wenn
im vergangenen Schuljahr unterschiedliche Sichtweisen und Einschätzungen deutlich wurden
und die Kommunikation nicht immer reibungslos funktionierte. Dies hing möglicherweise

Abschlussbericht – EFF 11-058                                                         Seite 12
auch mit einem reduzierten Austausch – neben der Auftaktveranstaltung gab es nur eine
Fortbildung für alle Fachkräfte – sowie mit zahlreichen Personalwechseln im KJHZ zusam-
men. Und so war der missglückte erste pädagogische Austausch sowohl Ausdruck wie auch
Resultat einer nicht immer befriedigenden Kommunikation zwischen den beteiligten „Sys-
temen“. Über das gesamte Projekt gesehen fanden aber wie geplant Netzwerktreffen, Auf-
takt- und Fortbildungsveranstaltungen statt und stießen bei allen beteiligten Fachkräften auf
reges Interesse, wurden Probleme gemeinsam angegangen und wichtige Themen in gemein-
samen Fortbildungen behandelt. Auch bezüglich Öffentlichkeitsarbeit und wissenschaftliche
Begleitung gelang die Umsetzung durchgängig. Insgesamt also lässt sich konstatieren, dass
die vorgesehenen Aktivitäten, Maßnahmen und Umsetzungsschritte auch tatsächlich rea-
lisiert und damit die angestrebten Ziele durchgängig erreicht werden konnten.

3.     Die Beschulung junger Flüchtlinge:
       Empirische Ergebnisse der Projektbegleitung
Im Kern des Projekts geht es darum, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen möglichst
rasch nach der Inobhutnahme den Schulbesuch zu ermöglichen und damit einen positiven
Beitrag zu ihrer Lebenssituation und ihrer Integration in die neue Gesellschaft zu leisten. Da
bisherige Erfahrungen fehlten, stellten sich zu Projektbeginn viele Fragen: Welche UMF
nehmen am Projekt teil, woher kommen sie und wie lange bleiben sie in einer der beiden
Klassen? Mit welchen Vorkenntnissen, Wünschen und Hoffnungen kommen die jungen
Flüchtlinge nach Deutschland, welche Erfahrungen mit Schule haben sie und was erwarten
sie von der ESS? Was lernen sie während des Schulbesuchs, was würden sie gerne lernen,
welche beruflichen und privaten Ziele verfolgen sie? Um Antworten auf diese Fragen zu fin-
den, wurden in den vergangenen drei bzw. vier Jahren zahlreiche empirische Daten gesam-
melt und ausgewertet.

3.1    Erhebungsinstrumente und Datenbasis
Aufgrund der vielfältigen Zielsetzungen und den daraus resultierenden Fragestellungen wur-
de ein breites Spektrum an Erhebungsmethoden und -instrumenten eingesetzt, die eine
Vielzahl empirischer Ergebnisse erbrachten. Bevor diese im Einzelnen vorgestellt und disku-
tiert werden, erfolgt zunächst ein Überblick über die Erhebungsinstrumente und ihren Ein-
satz sowie die daraus resultierende Datenbasis.
1. Um erste Informationen über die neuen Schüler/innen zu erhalten, wurde durch den zu-
   ständigen Betreuer vor der Einschulung ein Aufnahmebogen ausgefüllt und an die Schule
   weitergegeben. Dieser Bogen enthält neben soziodemographischen Daten auch Informa-
   tionen zum bisherigen Schulbesuch und eine erste Einschätzung der Motivation sowie be-
   sondere Hinweise zum neuen Schüler.

Abschlussbericht – EFF 11-058                                                          Seite 13
2. Einstufungstests wurden ab dem Schuljahr 2012/13 durchgeführt, um den Kenntnisstand
   der UMF zu erfassen und sie der passenden Klasse zuzuordnen.
3. Kurzinterviews mit den beschulten UMF sollten Auskunft geben über ihre bisherige Bil-
   dungsbiographie, ihre Einschätzung des aktuellen Schulbesuchs und ihre Ziele in Deutsch-
   land. Während in den ersten Jahren relativ viele Kurzinterviews durchgeführt wurden, ging
   die Zahl im letzten Jahr deutlich zurück, da sich aufgrund der Herkunft die Verständigung
   erschwerte und Dolmetscher für Einzelinterviews nicht zur Verfügung standen.
4. Gruppendiskussionen gewannen im Gegenzug an Bedeutung – und wurden von allen Be-
   teiligten als sehr fruchtbare und informative Veranstaltungen wahrgenommen. Sie wur-
   den mit Unterstützung von vier Dolmetscher/innen (neben Farsi/Dari/ Englisch und Ara-
   bisch/Französisch kamen 2013/14 Kurdisch und Somali neu hinzu) durchgeführt, zudem
   halfen auch UMF mit Übersetzungen in Albanisch, Paschtu und Fula. Die Gruppendiskussi-
   onen konzentrierten sich auf drei Themenbereiche: Die Erfahrungen mit Schule im Her-
   kunftsland, das Erleben und die Beurteilung der Schule in Deutschland und die weiteren
   beruflichen wie privaten Ziele der UMF. Sie lieferten nicht nur der wissenschaftlichen Be-
   gleitung viele wichtige Informationen, auch die Schüler/innen selbst, die Klassenlehrerin-
   nen und die Schulkoordinatorin erfuhren viel Neues über die schulischen Erfahrungen, die
   Unterschiede zwischen dem Unterricht im Herkunftsland und in Deutschland sowie über
   die weitere Perspektive der (Mit-) Schüler/innen
5. Schließlich wurden Empfehlungsbögen für die weitere Beschulung entwickelt, im Projekt-
   verlauf modifiziert und vor allem um die Empfehlung für eine weiterführende Schulmaß-
   nahme nach dem Transfer ergänzt. Sie geben Auskunft über Arbeits-, Lern- und Sozialver-
   halten der Schüler/innen, gewähren einen Einblick in deren Fähigkeiten und die Ergebnis-
   se der Beschulung. Sie enthalten damit wichtige Informationen für die Folgeeinrichtung
   und die neue Schule.
6. Auf der Grundlage der Eintragungen in den beiden Klassenbüchern wurden durchgehend
   die Fehlzeiten der UMF ausgewertet.
7. Um die Einschätzungen und Erfahrungen der Lehrkräfte zu erfassen, wurde zu Pro-
   jektbeginn ein Leitfadeninterview mit den beiden Klassenlehrerinnen durchgeführt. Im
   weiteren Verlauf kam es zu regelmäßigen Gesprächen und zum Erfahrungsaustausch im
   Rahmen von Veranstaltungen, Fortbildungen und Besprechungen.
8. Gleichermaßen gab es Gespräche mit der Leitung und den Mitarbeiter/innen des KJHZ. Im
   Rahmen einer Gruppendiskussion wurden die Betreuer/innen der Aufnahmegruppen zu
   ihren Erfahrungen und Einschätzungen des Schulbesuchs gefragt. Auch die Zwischener-
   gebnisse wurden regelmäßig vorgestellt und diskutiert.

Abschlussbericht – EFF 11-058                                                         Seite 14
Tab. 1: Erhebungsinstrumente

                                2010/11          2011/12           2012/13       2013/14

 Aufnahmebögen                    90                89               90             88

 Einstufungstests                  -                 -               49             54

 Kurzinterviews                   23                16               14             3
 Gruppendiskussionen             Keine              3                6              8
 Empfehlungsbogen                 45                60               50             68
 Klassenbücher                Fortlaufend       Fortlaufend   Fortlaufend       Fortlaufend

Daneben finden der regelmäßige Austausch mit der Schulkoordinatorin und den Lehrkräften,
die Ergebnisse der Netzwerktreffen, der Auftaktveranstaltung und der Fortbildungen Ein-
gang in den vorliegenden Bericht. Tab. 1 gibt einen Überblick über den Einsatz der Erhe-
bungsinstrumente und die Datenbasis der Auswertung.

3.2    Die Projektteilnehmer/innen und die Dauer des Schulbesuchs
Im Rahmen dieses Projekts konnten 251 junge Flüchtlinge die Elisabeth-Selbert-Schule besu-
chen, hinzukommen weitere 84 UMF aus dem Vorgängerprojekt. Dabei ist zu beachten, dass
einige Schüler/innen nach den Sommerferien erneut eingeschult wurden, so dass die Summe
der Jahreszahlen mit 265 bzw. 357 höher liegt. Auf diesen Jahresdaten basieren in der Regel
die Berechnungen, da es meist um schuljahrbezogene Aussagen geht.

Tab. 2: Entwicklung der Schülerzahlen 2010 – 2014
                                         Darunter         Aus Vorjahr        Darunter
Einschulungen         Gesamt             Mädchen         übernommen          Mädchen
1. HJ 2010/11           56                  1
2. HJ 2010/11            36                 7
1. HJ 2011/12            62                 5                 8                 3
2. HJ 2011/12            24                  3
1. HJ 2012/13            55                 10                6                 0
2. HJ 2012/13            36                  2
1. HJ 2013/14            55                  4                8                 2
2. HJ 2013/14            33                  5
Gesamt                   357                37                22                5

Der Anteil der weiblichen UMF war gering und variierte deutlich im Projektverlauf. Dennoch
wird in diesem Bericht immer wieder auf Genderaspekte eingegangen, da es z.T. auffällige
Unterschiede gab und die Situation der jungen weiblichen Flüchtlinge besonders beachtet

Abschlussbericht – EFF 11-058                                                                 Seite 15
werden sollte. Die nachfolgende Grafik zeigt die doch erheblichen Schwankungen in der Zahl
der Einschulung pro Halbjahr und damit auch der Inobhutnahmen durch das KJHZ.

Abb. 1: Einschulungen insgesamt und von Mädchen 2010 – 2014 (N = 335)

  60

  50

  40

  30

  20

  10

   0
         1. HJ     2. HJ     1. HJ     2. HJ     1. HJ     2. HJ     1. HJ     2. HJ
        2010/11   2010/11   2011/12   2011/12   2012/13   2012/13   2013/14   2013/14
                                      Gesamt       Mädchen

Von wenigen Ausnahmen abgesehen nehmen am Unterricht in der ESS 16- und 17-jährige
UMF teil, jüngere Flüchtlinge besuchen i.d.R. die Karlsruher Schulen mit Integrationsklassen.
Das Durchschnittsalter der beschulten UMF lag bei 16,8 Jahren, hier zeigten sich im Projekt-
verlauf nur geringe Variationen, auch zwischen weiblichen und männlichen UMF bestehen
hier kaum Unterschiede – die Mädchen sind tendenziell etwas jünger.
Zwischen Inobhutnahme und Einschulung besteht eine nur geringe Wartezeit: Meist können
die jungen Flüchtlinge bereits zwei bis drei Wochen nach ihrer Inobhutnahme die ESS besu-
chen. Nur in Ausnahmefällen – etwa einer Erkrankung – und aufgrund von Ferienzeiten ver-
längert sich die Wartezeit. Dagegen lag sie im Pilotprojekt noch bei 6,5 Wochen. Die Auf-
nahmegruppen, die Schule und die Schulkoordinatorin sind gut auf die Abläufe eingestellt,
so dass alles routiniert und reibungslos abläuft. Und die UMF freuen sich mehrheitlich auf
die Einschulung, sind motiviert und interessiert

Tab. 3: Dauer von Inobhutnahme, Wartezeit und Schulbesuch
Dauer - in                                 Wartezeit bis
                      Inobhutnahme                             Schulbesuch
Wochen                                     Einschulung
2010/11                     14,3                 6,5                11,2
2011/12                     15,6                 2,6                11,9
2012/13                     16,4                 2,1                12,1
2013/14                     14,2                 2,3                9,7

Abschlussbericht – EFF 11-058                                                           Seite 16
Die UMF kommen aus allen Aufnahmegruppen des KJHZ, die Dauer ihrer Inobhutnahme vari-
ierte in den vergangenen Jahren deutlich zwischen 14,2 und 16,4 Wochen. Dies wirkt sich
auch auf die Dauer des Schulbesuchs aus: Besuchten die UMF in den ersten beiden Projekt-
jahren die Schule für durchschnittlich 12 Wochen, so ging dieser im letzten Jahr auf knapp 10
Wochen zurück. Damit steht deutlich weniger Zeit für die Beschulung zur Verfügung, was
sich auf Lernfortschritte und die Einschätzung zum weiteren Schulbesuch auswirken dürfte.
Über den gesamten Projektverlauf sind dabei erhebliche Unterschiede in der Dauer des
Schulbesuchs zwischen den UMF zu beobachten: Während einige nur für wenige Tage die
Schule besuchen, nehmen andere bis zu acht Monate am Unterricht teil. Die Ursachen dafür
sind vielfältig: In Einzelfällen erweist sich der Transfer als schwierig, weil keine passende Ein-
richtung gefunden wird. In anderen Fällen findet rasch eine Familienzusammenführung statt,
ein Mädchen weigert sich nach wenigen Tagen, eine Klasse mit ausschließlich männlichen
UMF zu besuchen, einige Schüler wurden aufgrund disziplinarischer Probleme vom Unter-
richt ausgeschlossen und andere waren nach kurzer IO abgängig. Die unterschiedliche Dauer
des Schulbesuchs stellt besondere Anforderungen an die Unterrichtsgestaltung, da jeweils
der aktuelle Stand der beschulten UMF berücksichtigt werden muss, um Überforderung und
Langeweile gleichermaßen zu vermeiden.

3.3    Herkunft der UMF
Die jungen Flüchtlinge, die im Rahmen der beiden Projekte an der ESS unterrichtet wurden,
stammen aus 41 verschiedenen Ländern und drei Kontinenten. Dabei konnten im Zeitverlauf
deutliche Verschiebungen beobachtet werden, die zeitlich verzögert die jeweils aktuellen
Krisen und Kriege widerspiegeln: Kam zunächst die Mehrzahl der UMF aus Afghanistan und
dem Irak, so ging ihr Anteil in den beiden Folgejahren kontinuierlich zurück und stieg im letz-
ten Jahr wieder leicht an. Aus diesen beiden Ländern stammen aber absolut die meisten der
beschulten UMF: 65 aus Afghanistan und 43 aus dem Irak. Eine gegenläufige Entwicklung ist
für Pakistan, das mit 28 UMF an dritter Stelle liegt, zu beobachten: Nach einem deutlichen
Anstieg der Neuaufnahmen in 2012/13 war im vergangenen Jahr wieder ein Rückgang zu
beobachten. Einen Anstieg verzeichnen aktuell syrischer UMF (21), hier ist mit einer weite-
ren Zunahme zu rechnen.

Abschlussbericht – EFF 11-058                                                             Seite 17
Abb. 2: Die häufigsten Herkunftsländer im Zeitverlauf
 40
 35
 30
 25
 20
 15
 10
  5
  0
            2010/11                     2011/12               2012/13                  2013/14

            Afghanistan          Irak        Pakistan         Gambia         Somalia        Syrien

Stabil hoch war der Zustrom aus dem Maghreb (39 UMF), während es in Bezug auf die übri-
gen 20 afrikanischen Herkunftsländer vor allem 2012/13 einen deutlichen Anstieg gab, der
im letzten Schuljahr aber wieder etwas abflachte. Unter den afrikanischen Herkunftsländern
sind Gambia (27 UMF) und Somalia (23 UMF) stark vertreten, während aus den übrigen Län-
dern nur maximal sieben junge Flüchtlinge stammen. Nur sehr wenige UMF kommen aus
Osteuropa – und hier vor allem aus dem Kosovo sowie aus anderen Nachfolgestaaten des
ehemaligen Jugoslawien und der UdSSR.

Abb. 3: Herkunft der beschulten UMF im Zeitverlauf (N = 335)

40%

35%

30%

25%

20%

15%

10%

 5%

 0%
       Afghanistan        Irak          Restl. Asien    Nordafrika   Restl. Afrika     Europa

                      2010/11            2011/12         2012/13        2013/14

Auch wenn nur 32 weibliche UMF beschult wurden, lohnt sich doch ein Blick auf ihre Her-
kunftsländer: Anders als die männlichen Flüchtlinge stammen die Mädchen überwiegend aus
Afrika (16), nur eines allerdings aus Nordafrika, gefolgt von Irakerinnen (7). Geht man davon

Abschlussbericht – EFF 11-058                                                                        Seite 18
aus, dass Krisen, Terror und (Bürger-)Kriege junge Menschen gleichermaßen treffen, stellt
sich die Frage, warum gerade aus Afghanistan und anderen muslimischen Ländern nur weni-
ge Mädchen alleine nach Deutschland gelangen. Neben der Herkunft weist denn auch die
Religionszugehörigkeit eine genderspezifische Verteilung auf: Während drei Viertel der
männlichen UMF Muslime sind, gehört nur gut die Hälfte der Mädchen (54,1%) dieser Religi-
on an. Dagegen sind Mädchen sehr viel häufiger Christen als Jungen (29,7% zu 7,8%), ebenso
ist der Anteil der weiblichen UMF an den Yeziden (10,8% zu 8,8%) und den Hindus (5,4% zu
1,6%) etwas höher. Dies deutet darauf hin, dass der kulturell-religiöse Hintergrund im Her-
kunftsland, aber auch die Erwartungen an das Aufnahmeland Einfluss darauf haben, ob
Mädchen alleine nach Europa flüchten.

Tab. 4: Herkunft nach Geschlecht (N = 335)
                     Weibliche UMF   Männliche UMF
Afghanistan               12,5%          20,1%
Irak                      21,9%          11,9%
Restl. Asien              12,5%          25,7%
Nordafrika                 3,1%          12,5%
Restl. Afrika             46,9%          24,1%
Europa                     3,1%          5,6%
                          100,0%        100,0%

Unter den jungen Flüchtlingen überwiegen die Muslime, ihr Anteil ist von 68,5% konti-
nuierlich angestiegen und lag im letzten Schuljahr bei 79,5%. Yeziden waren zunächst mit
15,2% die zweitgrößte Gruppe, ihr Anteil ging zwischenzeitlich auf 2,2% zurück und stieg im
letzten Jahr wieder deutlich an. Christen machen im Schnitt etwa 10% der UMF aus, ihr An-
teil weist nur geringe Schwankungen auf. Daneben sind vereinzelt Mitglieder anderer Religi-
onsgemeinschaften vertreten wie Hinduismus, Sikh oder Judentum.
Entsprechend der unterschiedlichen Herkunft ergeben sich auch vielfältige Sprach-
kenntnisse: Die jungen Flüchtlinge sind mit insgesamt 45 Muttersprachen aufgewachsen, die
zudem noch verschiedene regionale Dialekte aufweisen. Bezogen auf die einzelnen Schuljah-
re waren jeweils zwischen 25 und 30 verschiedene Sprachen vertreten. Dabei kamen jedes
Jahr zwischen 6 und 8 neue Sprachen hinzu, im Gegenzug fielen 5 bis 10 Sprachen weg – also
ein kontinuierlicher Wandel, der immer wieder neue Dolmetscher erforderlich machte.
Während die UMF aus dem arabischen Sprachraum, Pakistan, Gambia und Somalia in den
Aufnahmegruppen und den VAB-O-Klassen auf andere Muttersprachler/innen treffen, mit
denen sie reden und sich austauschen können, trifft dies für die vielen „Einzelkämpfer“ aus
afrikanischen und asiatischen Ländern nur selten zu und schafft für sie ein gewisses Risiko
der Isolation. Allerdings verfügen gerade afrikanische UMF vor dem Hintergrund der Koloni-
algeschichte ihrer Länder oft über gute Fremdsprachenkenntnisse, die die Verständigung

Abschlussbericht – EFF 11-058                                                       Seite 19
erleichtern – dazu zählen Englisch, Französisch, Portugiesisch und Spanisch, die häufig eine
zweite Muttersprache und die offizielle Amtssprache bilden, die auch in der Schule zu Hause
gesprochen wird. Ähnlich sprechen pakistanische bzw. indische UMF Punjabi und Urdu, was
die Verständigung untereinander vereinfacht, und irakische und syrische UMF beherrschen
meist neben ihrem kurdischen Dialekt auch Arabisch. Dennoch gibt es immer wieder junge
Flüchtlinge, die sich mit keinem anderen UMF muttersprachlich verständigen können und
die entsprechend größere Probleme im Unterricht haben.

Abb. 4: Muttersprachen der beschulten Flüchtlinge (N = 265)

 50%

 40%

 30%

 20%

 10%

  0%
         Farsi, Dari,     Kurdisch        Arabisch     Afrikanische   Asiatische   Europäische
           Pashtu                                      Sprachen       Sprachen     Sprachen
                                2011/12    2012/13   2013/14

Über die gesamte Projektlaufzeit sahen sich die Lehrkräfte stark gemischten Gruppen von
Schüler/innen gegenüber, die sich hinsichtlich ihrer Muttersprachen, ihrer kulturellen und
gesellschaftlichen Hintergründe, ihrer Religionszugehörigkeit und ihrer Migrationsgründe
unterscheiden. Eine weitere große Herausforderung bedeutete der kontinuierliche Wandel
in der Zusammensetzung der Klassen – neue Herkunftsländer und neue Sprachen, andere
Erfahrungen und damit neue Erwartungen gerade auch mit dem bzw. an das Bildungssys-
tem. Entsprechend erforderte der Wechsel in den Herkunftsländern immer wieder eine
Neuorientierung der Projektbeteiligten.

3.4    Bildungsstand und Schulbesuch im Herkunftsland
Um den Unterricht für die Schüler/innen angemessen gestalten zu können, sind deren Vor-
kenntnisse und Schulerfahrungen zu berücksichtigen. Erste Hinweise, worauf sich die Lehr-
kräfte einstellen müssen, geben Anmeldebogen und Einstufungstest. Und die machen deut-
lich, dass die Schüler/innen mit sehr unterschiedlichen Vorkenntnissen eingeschult werden:
Während ein Teil der UMF mit guten bis sehr guten Bildungsvoraussetzungen in Deutschland
ankommt, einige auch einen Schulabschluss oder zumindest einen Teilabschluss vorweisen
können, gibt es eine relevante – und gerade im letzten Schuljahr wieder stark gestiegene –

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Zahl von Schüler/innen ohne jeden Schulbesuch im Herkunftsland (19 männliche und 5 weib-
liche UMF)). Hinzu kommen 16 junge Flüchtlinge, darunter ein Mädchen, die ausschließlich
eine Koranschule besucht haben. Für beide Gruppen, die pro Schuljahr zwischen 8% und 16%
der Schüler ausmachen, ist i.d.R. eine Alphabetisierung erforderlich. Gerade im letzten Schul-
jahr zeigte sich eine deutliche Spaltung: Einerseits gab es eine wachsende Zahl von UMF
(16%), die bisher keine allgemeinbildende Schule besucht hatten, andererseits einen Anstieg
von jungen Flüchtlingen mit langem Schulbesuch (mind. neun Jahre, 35%) und mit Schulab-
schluss (10%).
Der oft kurze Schulbesuch ist auch eine Folge der Krisensituation im Heimatland: Krieg, Bür-
gerkrieg, religiöse und ethnische Konflikte führen zur Schließung von Schulen, bestimmten
Gruppen wird der Zugang verwehrt, die Schulen werden zerstört, die Schulwege sind unsi-
cher, den Eltern fehlt das Geld oder die Kinder werden zu Hause gebraucht, um die alltägli-
chen Arbeiten wie Wasser holen, kochen und Tiere hüten zu verrichten. Wirft man einen
genderspezifischen Blick auf die Daten, so fällt gerade bei den Mädchen eine deutliche Spal-
tung auf: Auf der einen Seite hat ein knappes Fünftel keine allgemeinbildende Schule be-
sucht, auf der anderen Seite mehr als ein Drittel mindestens neun Jahre – dies stellt sich bei
den Jungen sehr viel gemischter dar.

Abb. 5: Schulbesuch im Herkunftsland (N = 357)

 Kein Schulbesuch

     Koranschule

          bis 4 J.

          bis 6 J.

          bis 8 J.

         bis 10 J.

           länger

                 0,0%     5,0%        10,0%     15,0%   20,0%     25,0%   30,0%   35,0%

                                2010/11       2011/12   2012/13       2013/14

Die Dauer des Schulbesuchs gibt nur unzureichend Auskunft über den tatsächlichen Bil-
dungsstand, dazu müssten auch Qualität, Dauer und Kontinuität des Unterrichts herangezo-
gen werden. So sind fünf Jahre Schulbesuch in einer staatlichen Schule in Afghanistan oder
Gambia, die im Zwei- bzw. Drei-Schicht-System unterrichten, keineswegs mit fünf Jahren

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