Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Regelschule
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Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Regelschule Ein Projekt des Kinder- und Jugendhilfezentrums der Heimstiftung Karlsruhe in Kooperation mit der Elisabeth-Selbert-Schule, Karlsruhe Gefördert aus Mitteln des Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF 11 – 058) Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung Dr. Renate Breithecker, September 2014
Seit September 2010 werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) in Karlsruhe be- reits während der Inobhutnahme in einer Regelschule unterrichtet. Dies war möglich auf- grund der Förderung durch den Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF): In einer einjährigen Pilotphase (EFF-Projekt 10-525) konnte das Konzept zunächst getestet und dann in einer leicht modifizierten Form ab September 2011 über drei Schuljahre weiter realisiert werden. Auf dieses dreijährige EFF-Projekt 11-058, das mit dem Schuljahr 2013/14 im August 2014 endete, bezieht sich der hier vorgelegte Abschlussbericht. Bei einigen Datenreihen werden aber auch Ergebnisse des Vorgängerprojekts berücksichtigt, um einen umfassenden Über- blick über die Projektentwicklung zu geben und Vergleichsmöglichkeiten zu eröffnen. Da es sich um den Abschlussbericht für das Gesamtprojekt handelt, ist der Blick auf die Ge- samtdaten und die zentralen, jahresübergreifenden Ergebnisse gerichtet, ein besonderer Fokus liegt aber auf dem letzten Förderjahr und den hier zu beobachtenden Entwicklungen und Veränderungen. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die abschließenden Empfehlungen für die Fortführung dieses Projekts, aber auch generell für den Schulbesuch von jungen Flüchtlingen. Erfreulich ist – darauf soll schon an dieser Stelle hingewiesen werden – dass die Beschulung von UMF in Karlsruhe auch im kommenden Schuljahr fortgeführt werden wird. Der Bericht gliedert sich in vier Teile: Zunächst werden die Zielsetzungen detailliert vorge- stellt, der zweite Teil widmet sich der Projektumsetzung, der dritte Teil stellt die empirischen Ergebnisse der Projektbegleitung vor und im abschließenden vierten Teil werden die Ergeb- nisse zusammengefasst, Empfehlungen für dieses und vergleichbare Projekte zur Beschulung von UMF vorgestellt und auf den aktuellen Stand zur Fortführung in Karlsruhe eingegangen. 1. Zielsetzungen des Projekts Das Projekt wendet sich – wie der Name schon sagt – an unbegleitete minderjährige Flücht- linge zwischen 16 und 18 Jahren, die Inobhut genommen und in verschiedenen Aufnahme- gruppen des Kinder- und Jugendhilfezentrums (KJHZ) der Heimstiftung Karlsruhe betreut werden. Während für jüngere UMF die allgemeine Schulpflicht besteht, gilt diese nicht mehr für die Zielgruppe des Projekts. Allerdings besteht in Baden-Württemberg weiterhin Berufs- schulpflicht bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, so dass die jungen Flüchtlinge in einer be- rufsbildenden Schule – der Elisabeth-Selbert-Schule – unterrichtet werden. Während sich das Vorgängerprojekt nur an männliche UMF richtete, konnten ab 2011 auch weibliche UMF am Projekt teilnehmen. Angestrebt war die Beschulung von durchschnittlich 100 Teilneh- mer/innen pro Schuljahr. Die Zielsetzungen des Projekts sind: • die Beschulung der jungen Flüchtlinge während der Inobhutnahme (IO) in einer Regel- schule • der Erwerb grundlegender Deutschkenntnisse • die Alphabetisierung generell und/oder in lateinischer Schrift Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 2
• die Vorbereitung auf den weiteren Schulbesuch in Deutschland nach dem Transfer, dazu zählen insbesondere die Orientierung im deutschen Bildungssystem und die Vermittlung schulischer Grundkompetenzen (Lernen lernen, Regeln einhalten, gegenseitiger Respekt etc.) • die (Erst-) Orientierung in der deutschen Gesellschaft • die Strukturierung des Alltags, die Schaffung von Normalität und die Ermöglichung von positiven Erfahrungen und Erfolgserlebnissen für die UMF, die auch zu einer psychischen Stabilisierung beitragen können. Die Beschulung minderjähriger Flüchtlinge bereits während der Inobhutnahme stellt einen neuartigen Ansatz dar und wird wie auch das Vorgängerprojekt wissenschaftlich begleitet. Die über den gesamten Projektzeitraum durchgeführte wissenschaftliche Begleitung orien- tiert sich an den Zielsetzungen des Schulprojekts und überprüft, inwieweit diese realisiert werden. Zum einen werden die im Projektverlauf gesammelten Erfahrungen und Ergebnisse systematisch erfasst, ausgewertet, dokumentiert und für die Weiterentwicklung und be- darfsgerechte Anpassung des Angebots genutzt. Zum anderen können so die Karlsruher Er- gebnisse auch anderen Trägern zur Verfügung gestellt und in deren Projekten angewendet werden. Darüber hinaus gehörten die Erarbeitung von Empfehlungen auch für vergleichbare, zukünftige Projekte sowie die Veröffentlichung der Ergebnisse zu den Aufgaben der wissen- schaftlichen Begleitung. 2. Projektumsetzung In diesem Teil werden die zur Zielerreichung geplanten Aktivitäten, Maßnahmen und Umset- zungsschritte der tatsächlichen Projektdurchführung in den vergangenen drei Jahren gegen- übergestellt. Die vorgesehenen Maßnahmen und Umsetzungsschritte waren: 1. Es sollen zwei neue Klassen in der Elisabeth-Selbert-Schule (ESS) speziell zur Beschulung der UMF gebildet werden. 2. Die UMF werden auf der Basis einer speziell entwickelten Stundentafel regelmäßig ca. 30 Std./Woche beschult. 3. Die Klassen sollen ein unterschiedliches Leistungsniveau entsprechend den Vor- kenntnissen der jungen Flüchtlinge haben. 4. Eine Schulkoordinatorin übernimmt organisatorische, aber auch (sozial-) pädagogische Aufgaben. Sie unterstützt Schüler/innen während der Beschulung und steht den Lehrkräf- ten in pädagogischen, interkulturellen und organisatorischen Fragen zur Seite. 5. Da es sich um ein Kooperationsprojekt von Jugendhilfe und Schule handelt, sollen jährlich ca. vier Netzwerktreffen zwischen Lehrer/innen der ESS und den Mitarbeiter/innen des KJHZ stattfinden, um einen möglichst reibungslosen Ablauf und einen regelmäßigem Aus- tausch zu gewährleisten. Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 3
6. Für alle beteiligten Fachkräfte sollen pro Schuljahr mindestens zwei geeignete Fort- bildungen angeboten werden. 7. Aufgrund des innovativen Charakters soll besonderer Wert auf Öffentlichkeitsarbeit und die Verbreitung der Ergebnisse gelegt werden. 8. Schließlich wird das Projekt über die gesamte Laufzeit wissenschaftlich begleitet und fach- lich beraten. Wie sah nun die konkrete Umsetzung dieser Ziele im Projektverlauf aus? Im Folgenden wird detailliert auf die vielfältigen Aktivitäten und Erfahrungen eingegangen. 2.1 Beschulung von jungen Flüchtlingen in der Elisabeth-Selbert-Schule Über die gesamte Projektlaufzeit wurden junge Flüchtlinge während der Inobhutnahme in zwei Regel-Klassen in der ESS unterrichtet – zunächst als „Berufsvorbereitungsjahr“ (BVJ), ab 2013 als „Vorqualifizierungsjahr - Arbeit - Beruf - ohne Deutschkenntnisse“ (VAB-O). Damit wurde ein neuer Weg beschritten: Zuvor konnten die UMF während der IO lediglich am Deutschunterricht in den Aufnahmegruppen oder im Menschenrechtszentrum teilnehmen. Nun stand allen im KJHZ betreuten UMF zwischen 16 und 18 Jahren das Angebot einer Re- gelbeschulung offen. Es wurde nur von einer sehr kleinen Zahl nicht genutzt, da ihre IO zu kurz war oder überwiegend in die Zeit der Sommerferien fiel. Ein Jugendlicher konnte wegen gesundheitlicher Einschränkungen nicht eingeschult werden. Einige UMF besuchten auch nach dem Ende der IO als sogenannte Gastschüler eine der beiden Klassen, da sie in Karlsru- he oder der näheren Umgebung blieben und zum Transferzeitpunkt keine andere Beschu- lungsmöglichkeit bestand. Die angestrebte Zahl von 100 beschulten UMF pro Schuljahr konnte nicht realisiert werden – sie lag im Durchschnitt bei 90 Schüler/innen. Dies ist auf die schwankende Zahl der Inobhutnahmen zurück zu führen, auf die das Projekt keinen Einfluss hatte. Zu den empirischen Ergebnissen im Einzelnen gibt Teil 4 detailliert Auskunft. Die beiden Klassen wurden über die gesamten vier Jahre von den gleichen Klassen- lehrerinnen geleitet, auch ein Teil der Fachlehrer/innen unterrichtete während des ge- samten Projektzeitraums in den UMF-Klassen. Sie konnten somit auf ihre jeweiligen Erfah- rungen zurückgreifen und den Unterricht entsprechend weiterentwickeln. In den Gesprä- chen mit den Lehrkräften wurde deutlich, dass diese Erfahrungen sehr wichtig waren und zu größerer Sicherheit führten, zudem konnten so die bereits entwickelten und erprobten Ma- terialien weiter eingesetzt werden. Dennoch mussten sich die Lehrkräfte aufgrund der sich immer wieder wandelnden Zusammensetzung der Klassen kontinuierlich neuen Herausfor- derungen stellen. 2.2 Entwicklung und Anpassung einer spezifischen Stundentafel In den beiden Klassen wurden die UMF regelmäßig ca. 30 Stunden pro Woche unterrichtet. Bezüglich des Unterrichtsangebots lagen die Schwerpunkte auf dem Erlernen der deutschen Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 4
Sprache sowie der Vermittlung kultureller und gesellschaftlicher Kenntnisse. Grundlage bil- dete eine speziell entwickelte Stundentafel, die im Projektverlauf immer wieder angepasst und kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Zu den Modifikationen zählten der Verzicht auf Englischunterricht ab dem Schuljahr 2011/12, da dieser sich für die Mehrheit der UMF auf- grund der nur sehr geringen Deutschkenntnisse und der oft fehlenden Alphabetisierung in lateinischer Schrift als zu schwierig erwies. Im Gegenzug gab es eine Ausweitung des Deutschunterrichts, der in einem geringen Umfang von der Schulkoordinatorin übernommen wurde, die eine spezielle Ausbildung zum Unterrichten von Deutsch als Fremdsprache be- sitzt. Schließlich wurde verstärkt praktischer Unterricht in den Bereichen Hauswirtschaft und Kochen gegeben. Besonders hervor zu heben ist das speziell für die UMF geschaffene Fach „Orientierung in der Gesellschaft“ (OiG), das entsprechend dem Bedarf und den Wünschen der Schüler/innen immer wieder aktualisiert wurde. Im Rahmen dieses Fachs konnten vielfältige Themen be- handelt werden, die den jungen Flüchtlingen die Orientierung im Alltag erleichtern sollen. Dazu zählten u.a. das Handy als Schuldenfalle, Gefahren im Internet, Lebensplanung, Schul- und Berufswegeplanung, Sitten und Gebräuche, Feste in Deutschland, Informationen zum deutschen Asylrecht und zum Asylverfahren, Präventivmaßnahme gesundheitliche Aufklä- rung, AIDS und Geschlechtskrankheiten in Kooperation mit dem Gesundheitsamt, Inserate richtig lesen und verstehen (speziell in Bezug auf Wohnungssuche) und die Orientierung im öffentlichen Raum. Vor dem Hintergrund kulturell erlernter Verhaltensweisen männlicher UMF wurde das Thema „Stalking“ behandelt, eine Mitarbeiterin der Kripo Karlsruhe infor- mierte die jungen Flüchtlinge über die rechtliche Lage in Deutschland. Ein besonderes Highlight bildeten die Verkehrserziehung und das Fahrradtraining, das aller- dings in den Wintermonaten nicht möglich war: Den jungen Flüchtlingen wurden die Ver- kehrszeichen und Verkehrsregeln erklärt und sie konnten auf dem Gelände der Verkehrs- schule Fahrrad fahren. Ein wichtiges „Nebenprodukt“ dieses Trainings war, dass die UMF (freundlichen) Kontakt zur Polizei hatten und dabei ein positives Bild der Ordnungshüter entwickeln konnten – eine durchaus ungewohnte Erfahrung für die Mehrheit der jungen Flüchtlinge. Ein weiteres Highlight bildete im Schuljahr 2011/12 eine Kooperation mit dem nahegelegenen Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM): Die Schüler/innen waren eingeladen, sich am Projekt „The Global Contemporary – Kunstwelten nach 1989“ zu beteili- gen. Eine Woche lang arbeiteten sie mit zwei Kunstvermittlern, um sich über Themen der Ausstellung in Verbindung mit eigenen Erfahrungen und Erlebnissen auszutauschen. Als Er- gebnis entstand ein Video, der unter http://www.global-contemporary.de/de/ kunstvermittlung/220-schnipp-g-schnapp zugänglich ist. Insgesamt konnten durch das Fach OiG viele Themen und Fragen der jungen Flüchtlinge aufgegriffen und behandelt und dadurch deren Orientierung im neuen Umfeld deutlich verbessert werden. Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 5
Große Bedeutung und positive Wirkung hatte die Einführung von regelmäßigen päda- gogischen Gesprächsrunden: Zunächst aus „der Not geboren“ – also dem Bedarf nach Aus- tausch und der Klärung von Fragen mit Hilfe von Dolmetschern geschuldet – fanden die „Teestunde“ und der „Große Tisch“ zunächst 14-tägig, seit dem Schuljahr 2012/13 dann wö- chentlich statt. Die pädagogischen Gesprächsrunden dienen vor allem der Konfliktvermei- dung, in dem sie einen Raum für regelmäßigen Austausch schaffen. Neben Klassenlehrerin, Schulkoordinatorin und Schüler/innen nehmen auch Dolmetscher/innen daran teil, um allen eine aktive Beteiligung zu ermöglichen. Entsprechend der Zusammensetzung der UMF- Gruppe waren zunächst nur Dolmetscher für Arabisch, Farsi/Dari, Französisch und Englisch, seit Herbst 2013 je nach Bedarf auch für Urdu, Somali, Kurdisch, Russisch und Albanisch an- wesend. In den pädagogischen Gesprächsrunden können alle Fragen und Probleme bespro- chen werden. Dieses Angebot erweist sich als guter Rahmen, um Konflikte zu vermeiden bzw. Probleme schnell auszuräumen. 2.3 Ausdifferenzierung der Klassen nach Leistungsniveau Ursprünglich von Beginn dieses Projekts an vorgesehen war die Ausdifferenzierung der bei- den Klassen entsprechend dem Leistungsniveau der jungen Flüchtlinge: Bereits das Pilotpro- jekt hatte deutlich gemacht, dass diese ganz unterschiedliche Vorkenntnisse mitbrachten und ihrerseits den Wunsch äußerten, in leistungshomogeneren Klassen unterrichtet zu wer- den, ein Anliegen, das auch von den Betreuer/innen der Aufnahmegruppen unterstützt wur- de. Um den tatsächlichen Bildungsstand zu erfassen, wurde 2012 ein Einstufungstest entwi- ckelt, intern abgestimmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt, der dann ab Herbst 2012 zum Einsatz kam. Der Test wird von den UMF vor Einschulung bearbeitet, auf dieser Grundlage werden dann die leistungsstärkeren UMF der VAB-O2, die leistungsschwächeren der VAB-O3 zugeordnet. Bei der Zuordnung werden aber auch andere Faktoren berücksichtigt: Die aktu- elle Belegung der Klassen, Angaben zum Schulbesuch im Herkunftsland, die Herkunft und da- mit die Sprachkenntnisse der jungen Flüchtlinge. Dies ist auch deshalb notwendig, weil es aufgrund neuer Herkunftsländer immer wieder Sprachen gab, für die noch keine Überset- zung vorliegt. Zudem können Analphabeten den Test nicht machen, sie werden immer der VAB-O3 zugeordnet. Die im Projekt gesammelten Erfahrungen machen zweierlei deutlich: Es gibt tatsächlich gro- ße Unterschiede in den Vorkenntnissen, die sich nicht immer mit den Angaben über den bis- herigen Schulbesuch decken, d.h. einige UMF mit längerem Schulbesuch erzielen nur wenige Punkte, während andere mit nur kurzem Schulbesuch im Herkunftsland z.T. eine hohe Punktzahl erreichen. Somit erweisen sich das Testverfahren und die Unterteilung der Klassen nach dem Leistungsniveau als durchaus sinnvoll. Der Alltag setzt diesem Vorhaben aber Grenzen: Werden neue UMF Inobhut genommen, sollen sie möglichst schnell eingeschult werden. Ist nun eine der Klassen voll belegt, kommt der Schüler in die andere Klasse – unge- achtet seiner Vorkenntnisse. Zudem wurden die Mädchen mit einer Ausnahme unabhängig Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 6
von ihren Bildungsstand im VAB-O2 unterrichtet. Dennoch waren im letzten Schuljahr die Unterschiede zwischen den Klassen deutlicher und im Alltag spürbar, worauf im vierten Teil noch ausführlich eingegangen wird. 2.4 Die Schulkoordinatorin Als zentral für das Gelingen des Projekts erwies sich die Schulkoordinatorin, die eine Brücke zwischen Schule und Aufnahmegruppen bildete. Zu ihren Aufgaben gehörte es, einen rei- bungslosen, organisatorischen Ablauf zu sichern. Sie gab Informationen und Dokumente wie Anmeldungen, Abmeldungen, Einstufungsbögen und Empfehlungsschreiben zwischen Schule und Aufnahmegruppen weiter, führte den Einstufungstest durch und sorgte in Rücksprache mit den Klassenlehrerinnen für die passende Zuordnung zu einer der beiden Klassen. Die Schulkoordinatorin stand als Ansprechpartnerin für die Schüler/innen bei Fragen und Prob- lemen zur Verfügung und dolmetschte vor allem während der ersten Zeit der Unterrichts- teilnahme sowie in Krisensituationen. Außerdem unterrichtete sie, wie oben schon erwähnt, jeweils zwei bis drei Wochenstunden „Deutsch als Fremdsprache“ in beiden Klassen. Von großer Bedeutung ist die interkulturelle Vermittlung zwischen den Lehrkräften, die mit der besonderen Situation und den kulturellen Hintergründen der UMF zunächst nicht vertraut waren, und den Schülern, die die hiesigen Abläufe, Verhaltensweisen und Erwartungen nicht kennen. Hier erwies es sich als besonders positiv, dass die Stelleninhaberin selbst als junger Flüchtling nach Deutschland kam und somit viele Erfahrungen mit den UMF teilt, ihre Situa- tion gut versteht und auch von den jungen Flüchtlingen als Vertrauensperson angenommen wurde. Zudem arbeitete sie über den gesamten Projektverlauf kontinuierlich im Projekt, gab in den Ferien regelmäßig in den Gruppen Unterricht, so dass diese für die UMF „traurige Zeit“ genutzt wurde. Schließlich unterstützte sie die wissenschaftliche Begleitung, etwa durch die Weitergabe von Daten und das Dolmetschen bei Interviews. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre machen deutlich, dass die Beschulung einer größe- ren Gruppe von UMF in einer Regelschule nur dann zu realisieren ist, wenn es eine solche koordinierende Person gibt, die neben organisatorischen auch pädagogische und sozialarbei- terische Aufgaben wahrnimmt bzw. wahrnehmen kann. Dass die Übernahme der vielfältigen Aufgaben im Rahmen des Projekts in hervorragender Weise gelingt, ist dabei auf das Enga- gement, die Persönlichkeit, die besonderen Fähigkeiten und die interkulturelle Kompetenz der Schulkoordinatorin zurückzuführen. 2.5 Projektorganisation – Kooperation von Schule und Jugendhilfe Mit der in Karlsruhe realisierten Beschulung von jungen Flüchtlingen betraten alle Beteilig- ten „Neuland“ – dies betraf auch die enge Kooperation von Jugendhilfe und Schule. Um die damit verbundenen Herausforderungen zu meistern und einen möglichst reibungslosen Ab- lauf zu gewährleisten, wurde von Beginn an Wert auf einen regelmäßigen Austausch sowohl auf organisatorischer wie auf inhaltlich-pädagogischer Ebene und auf die gemeinsame Fort- Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 7
bildung aller beteiligten Fachkräfte gelegt. Zu diesem Zweck wurden pro Schuljahr vier Netzwerktreffen, eine Auswertungsveranstaltung sowie zwei bis drei Fortbildungen durchge- führt. Im Projektverlauf kamen weitere Austauschmöglichkeiten hinzu, so konnten Betreu- er/innen im Unterricht hospitieren und Lehrkräfte besuchten die Aufnahmegruppen. Zudem wurden die Vormünder, die ja auch in Schulfragen zuständig sind, im Projektverlauf stärker einbezogen. Da die Beschulung der UMF ein Kooperationsprojekt zwischen dem KJHZ als Träger der Auf- nahmegruppen und der ESS als verantwortlicher Schule darstellt, gibt es immer wieder or- ganisatorische und inhaltliche Fragen zu klären. Dazu fanden im pro Halbjahr zwei sogenann- te Netzwerktreffen statt, die einen weitgehend reibungslosen Ablauf sicherten. Im Schuljahr 2012/13 nahmen erstmals auch Mitarbeiter/innen der Sozialen Dienste der Stadt Karlsruhe an einem Netzwerktreffen teil, da einige Vereinbarungen auch die Vormünder betrafen. Zu den Themen der Netzwerktreffen gehörten u.a. die Planung des jeweiligen Projektjahres zum Schuljahresbeginn, die Vorbereitung der Auftakt- bzw. Abschlussveranstaltungen sowie die Abstimmung der Themen und die Terminierung der Fortbildungsangebote. Ein weiteres Thema war der Austausch zwischen den beteiligten Institutionen und Fachkräften, dazu wurde die Möglichkeit von Projektbesuchen und Hospitationen vereinbart. In Bezug auf die UMF ging es u.a. um die Klärung der Frage, wie mit den jungen Flüchtlingen verfahren wird, die nach Abschluss der Inobhutnahme in Karlsruhe oder der näheren Umgebung bleiben. In jedem der drei Projektjahre waren sechs dieser UMF weiter in der ESS beschult worden, dies führte einerseits zu zahlreichen Stoff-Wiederholungen für diese Gastschüler/innen, anderer- seits bestand die Gefahr, dass neu Inobhut genommene UMF nicht eingeschult werden könnten. Vor diesem Hintergrund wurde vereinbart, in die beiden Klassen ausschließlich UMF während der Inobhutnahme durch das KJHZ aufzunehmen und Gastschüler/innen nur dann zuzulassen, wenn ausreichend Plätze vorhanden waren und es keine alternative Be- schulungsmöglichkeit gab. Diese Diskussion rückte die Anschlussbeschulung der UMF nach der Inobhutnahme verstärkt in den Blick: Die ESS hatte für das Schuljahr 2012/13 eine BVJ-O (ohne Deutschkenntnisse) eingerichtet, die aber bereits Anfang Oktober voll belegt war. Damit hatten junge Flüchtlinge nach der Inobhutnahme keine Chance auf eine Beschulung, denn flexible Integrationsklassen fehlen bisher, sodass sie zur Überbrückung bis zum nächsten Schuljahr allenfalls Deutschkur- se besuchen können. Die Sicherstellung des weiteren Schulbesuchs im Anschluss an den Transfer war auch zum Ende des Projekts noch nicht befriedigend gelöst. Im letzten Projekt- jahr rückte dann die Fortführung der Beschulung von UMF nach dem Ende der EFF- Förderung im Mittelpunkt. Hier wurden gemeinsame Lösungsstrategien erarbeitet, die schließlich zum Erfolg führten: Auch im Schuljahr 2014/15 können UMF in zwei VAB-O Klas- sen in der ESS unterrichtet werden. Auf die Details zur Fortführung wird in vierten Teil ge- nauer eingegangen. Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 8
Anstelle der geplanten Abschlussveranstaltungen jeweils zum Schuljahresende fanden eine Halbzeitveranstaltung Anfang 2013 sowie eine Auftaktveranstaltung im Oktober 2013 statt, an der Lehrkräfte, Betreuer/innen aus den Aufnahmegruppen und Vormünder teilnahmen. Hintergrund waren personelle Veränderungen, die aufgrund der notwendigen Einarbeitung zu zeitlichen Verzögerungen führten. Im Rahmen der moderierten Veranstaltungen wurden jeweils die bisherigen Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung zum Projektverlauf vor- gestellt und diskutiert. Die Schulkoordinatorin berichtete über den Einstufungstest und des- sen Umsetzung. Zentrales Thema war jeweils die konkrete Zusammenarbeit und die Ausge- staltung des Projekts. Alle Teilnehmer/innen konnten offene Punkte benennen, für die im Rahmen der Veranstaltung nach Lösungen gesucht oder die als konkrete Arbeitsaufträge vergeben wurden. Dabei handelte es sich z.B. um Fragen der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Institutionen, die Möglichkeit von Zusatzangeboten parallel zur Beschulung, ins- besondere die individuelle Förderung von Analphabeten, und Themenvorschläge für die ge- planten Fortbildungen. Die Ergebnisse wurden als Bildprotokoll festgehalten und an alle Pro- jektbeteiligten im Anschluss vermailt. Um die beteiligten Fachkräfte mit der Situation der jungen Flüchtlinge und den daraus resul- tierenden besonderen Anforderungen noch besser vertraut zu machen, wurden in den ver- gangenen drei Jahren acht Fortbildungen angeboten: • Rechtliche Aspekte und Abläufe während und nach der Inobhutnahme von UMF: Dieses Angebot richtete sich ausschließlich an die Lehrkräfte und fand im März 2012 statt. Es wurde durchgeführt von Klaus Grabenbauer, Bereichsleiter Inobhutnahme des KJHZ. An der Weiterbildung nahmen ca. 10 Lehrer/innen, die Schulkoordinatorin sowie die wissen- schaftliche Begleitung teil. • Traumatisierung und Folgen: Dieses Angebot fand ebenfalls im März 2012 statt, unter den ca. 25 Teilnehmenden waren Lehrkräfte, Mitarbeiter/innen der Aufnahmegruppen sowie eine Mitarbeiterin des Sozialen Dienstes der Stadt Karlsruhe. Es wurde von Dr. Doris Breh und Andrea Thorwarth durchgeführt, beide sind als Psychologinnen am KJHZ tätig und be- treuen auch junge Flüchtlinge. • Interkulturelles Training: Diese zweitägige Fortbildungsveranstaltung richtete sich an Lehrkräfte und an Mitarbeiter/innen der Aufnahmegruppen und hatte das Ziel, für die be- sonderen Anforderungen in der Arbeit mit UMF zu sensibilisieren. Es wurde von Marlene Seckler von InterCultus im Mai 2012 mit knapp 20 Teilnehmer/innen durchgeführt. • Im Juni 2013 fand eine Fortbildung zum Thema „Interkulturelle Begegnung mit dem ‚Ara- bischen Raum‘: Grenzen und Möglichkeiten“ statt, Referentin war Yasemine Khaled, Dip- lomübersetzerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Mainz, es nahmen 20 Fachkräfte aus allen beteiligten Institutionen teil. • Im Juli 2013 führte Johannes Gross, Projektmanager am Institut für interkulturelle Ma- nagement- und Politikberatung (IMAP GmbH Düsseldorf) eine ganztägige Fortbildung zur Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 9
„Interkulturellen Kompetenz“ durch, an der 18 Fachkräfte teilnahmen. Dabei ging es an- hand theoretischer Ansätze und praktischer Übungen um den Kulturbegriff sowie um ver- schiedene Modelle und Merkmale von Kultur. • Zusätzlich gab für die beteiligten Lehrkräfte der ESS im April 2013 eine kürzere Informati- onsveranstaltung, in deren Rahmen Mitarbeiter/innen der Sozialen Dienste das Verfah- rens der „Altersfestsetzung“ bei UMF erläuterten. • Im Juli 2013 fand eine erste Schulung zum Thema „Deutsch als Fremdsprache“ statt, im dritten Projektjahr wurde eine entsprechende Fortbildungsreihe angeboten, die allerdings aufgrund personeller Probleme nur sehr unregelmäßig stattfand. • Da die im Juli 2013 durchgeführte Fortbildung zur „Interkulturellen Kompetenz“ des IMAP von allen Teilnehmer/innen sehr positiv aufgenommen wurde, konnte sie im letzten Pro- jektjahr fortgeführt werden: Im März 2014 fand die ganztägige Fortbildung „Interkulturel- les Konfliktmanagement“ statt, zu der wiederum alle beteiligten Fachkräfte eingeladen waren. Die insgesamt 17 Teilnehmer/innen wurden in Fragen des Verständnisses für kul- turelle Unterschiede sensibilisiert, um so mögliche Konflikte zu vermeiden oder zu ver- mindern, Spannungen zu lösen und somit alltägliche Situationen erfolgreich zu meistern. Neben den Fortbildungen galt dem Austausch und dem gegenseitigen Kennenlernen der beteiligten Institutionen und der Fachkräfte ein besonderes Augenmerk: Lehrkräfte konnten sich vor Ort über die Abläufe und das Leben in den Aufnahmegruppen im KJHZ informieren. Die Betreuer/innen und Vormünder hatten die Chance, im Unterricht zu hospitieren und somit einen Einblick in die Unterrichtsabläufe zu erhalten. Beide Angebote wurden im An- schluss an ein Netzwerktreffen ab Frühjahr 2013 realisiert, sie fanden großes Interesse und wurden bis zum Projektende fortgesetzt. Zudem wurde vor dem Hintergrund disziplinari- scher Probleme und zeitweise größerer Spannungen und Konflikte in der Gruppe der be- schulten UMF ein verstärkter Austausch zwischen den Fachkräften angeregt. Der erste päda- gogische Erfahrungsaustausch im Januar 2014 stieß dann aber nur auf mäßiges Interesse seitens der Betreuer/innen der Aufnahmegruppen und damit nicht zur angestrebten ge- meinsamen Bearbeitung der Probleme. Dies führte zu erheblichen Irritationen und sollte in Zukunft unbedingt vermieden werden, d.h. die Beteiligung von Fachkräften beider Koopera- tionspartner muss sichergestellt werden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Kooperation der beteiligten Instituti- onen gut funktionierte, im Rahmen der regelmäßigen Treffen und Veranstaltungen konnten organisatorische und inhaltliche Fragen behandelt und Vereinbarungen getroffen werden. Die Treffen erwiesen sich auch deshalb als wichtig und notwendig, weil es im Projektverlauf zu zahlreichen personellen und organisatorischen Veränderungen vor allem im KJHZ kam. Dies führte auch dazu, dass die Schule im Zeitverlauf zunehmend einen aktiveren Part über- nahm – wie etwa die Durchführung von Veranstaltungen, die Fortschreibung der Angebote und der Stundentafel – während das KJHZ als Projektträger etwas in den Hintergrund rückte. Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 10
Insgesamt aber verlief die Zusammenarbeit der Projektträger gut und zum großen Vorteil für die jungen Flüchtlinge. 2.6 Öffentlichkeitsarbeit Während des gesamten Projektzeitraums wurde Wert auf eine umfassende Öffentlich- keitsarbeit gelegt, da dem Projekt aufgrund seines innovativen Charakters landes- und bun- desweit große Bedeutung zukommt und es eine Art „Leuchtturmfunktion“ innehat. Zu den entsprechenden Aktivitäten zählten die Vorstellung des Projekts im Rahmen Fachveranstal- tungen der IGfH, des KVJS, des B-UMF und der SOLID-Regionaltagung in Mannheim. Die Er- gebnisse wurden in Fachzeitschriften und Sammelbänden publiziert – z.B. ein Fachbeitrag in einem Reader zur Praxisforschung. Zudem stehen die Berichte der wissenschaftlichen Beglei- tung als Download zur Verfügung. Projektbeteiligte wurden zu Fachgesprächen und Exper- tenrunden des AFET und der IGfH eingeladen. Besonders hervorzuheben ist, dass die Herbst- tagung des Bundesverbands „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ (B-UMF) vom 17. bis 19. Oktober 2011 in Karlsruhe stattfand, in deren Rahmen auch das Schulprojekt präsentiert wurde. In Karlsruhe wurde das Projekt in politischen Gremien wie dem Migrationsbeirats vorgestellt, Karlsruher Stadträte nahmen an der Abschlussveranstaltung teil. Zudem kamen Freie Träger und Schulen nach Karlsruhe, um sich über das Projekt zu informieren und sich vor Ort ein Bild zu machen. So besuchte im Juli 2013 eine Gruppe von Lehrkräften aus Biber- ach die ESS, um sich über das spezielle Angebot für UMF zu informieren. Im Rahmen des Jubiläums und des Sommerfests des KJHZ im Juli 2013 wurde das Projekt ebenfalls präsen- tiert. Die zum Abschluss des Projekts im Juni 2014 durchgeführte Veranstaltung beleuchtete die Ergebnisse der vergangenen drei bzw. vier Jahre. Diskutiert wurde über die Fortführung der Beschulung und über eine Anschlussbeschulung nach dem Abschluss der Inobhutnahme und dem Transfer der UMF. Da die Tagung auf den Karlsruher Raum beschränkt war, konnte lei- der keine breitere Fachöffentlichkeit erreicht werden, die „Leuchtturm-Funktion“ hätte hier stärker betont werden können. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit wurde selbstverständlich immer auf die Unterstützung durch den Europäischen Flüchtlingsfonds verwiesen, ohne dessen Förderung die Durchfüh- rung des Projekts nicht möglich wäre. 2.7 Wissenschaftliche Begleitung Da es sich beim vorliegenden Projekt um einen bisher nicht erprobten Ansatz in der Beschu- lung von UMF handelte, fand über die Gesamtlaufzeit eine wissenschaftliche Begleitung und fachliche Beratung statt. Zentrale Aufgaben waren die kontinuierliche Überprüfung und Do- kumentation der Projektumsetzung in halbjährlich vorgelegten Berichten und der Präsenta- tion der Ergebnisse. Mit Hilfe systematisch eingesetzter empirischer Erhebungs- und Aus- Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 11
wertungsmethoden konnten detailliert Daten erfasst, ausgewertet und die so gewonnenen Ergebnisse regelmäßig an die Projektbeteiligten zurück gemeldet werden. Damit sollten die Weiterentwicklung und die bedarfsgerechte Anpassung der Angebote des Projekts unter- stützt, darüber hinaus aber auch Empfehlungen für zukünftige Projekte gewonnen werden. Die wissenschaftliche Begleitung orientierte sich an den Zielsetzungen des Projekts und frag- te, inwieweit deren Umsetzung gelingt, welche Maßnahmen ergriffen wurden und welche Wirkung, welchen Erfolg sie zeigten. Im ersten Schritt mussten Erhebungsinstrumente ent- wickelt werden, wobei nach Möglichkeit versucht wurde, keine Mehrbelastung für die Fach- kräfte zu erzeugen. Vielmehr wurden diese so gestaltet, dass die Datenerhebung eher zum „Zusatznutzen“ wurde – wie etwa beim „Aufnahmebogen“, der als Anmeldeformular für neue Schüler dient, aber auch die Basisdaten für die wissenschaftliche Begleitung liefert, oder beim „Empfehlungsbogen für die weitere Beschulung“, der als eine Art Zeugnis viele Informationen über den Erfolg der Beschulung enthält. Auf dieser Grundlage wurde dann die systematische Erhebung der Daten durchgeführt, deren Auswertung regelmäßig vorgelegt wurde und zur Praxisreflektion beitrug. Schwerpunkte der fachlichen Beratung bildeten die Vorbereitung und Durchführung der Fortbildungsangebote und anderer projektbezogener Veranstaltungen, vielfältige Aktivitäten im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und die Unterstützung der Projektsteuerung durch die Teil- nahme an Besprechungen und Netzwerktreffen. Wissenschaftliche Begleitung und fachliche Beratung trugen auch durch die Kontinuität der Arbeit zur Sicherung der hohen Qualität des Projekts bei. 2.8 Ergebnisse zur Projektumsetzung Abschließend lässt sich feststellen, dass die zur Zielerreichung geplanten Aktivitäten, Maß- nahmen und Umsetzungsschritte im Projektverlauf durchgehend realisiert werden konnten: Die UMF nahmen regelmäßig am Unterricht in der ESS teil, die eigens für diese Gruppe ent- wickelte Stundentafel wurde in den vergangenen Jahren kontinuierlich modifiziert, um den Bedarfen gerecht zu werden. Der speziell entwickelte Einstufungstest wurde eingesetzt, um den Bildungsstand von neuen UMF zu erfassen und sie einer der beiden Klassen zuzuordnen, er ist allerdings nur einer von mehreren Faktoren. Pädagogische Gesprächsrunden in den Klassen trugen dazu bei, dass Konflikte frühzeitig erkannt und bearbeitet wurden, diese er- wiesen sich gerade im letzten Schuljahr vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwi- schen den UMF als ausgesprochen wichtiges Instrument. Die Schulkoordinatorin erfüllte ihre Aufgaben hervorragend, sie war die notwendige „Klammer“ zwischen den Beteiligten und ihren unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen. Die Zusammenarbeit zwischen KJHZ und ESS, aber auch dem Sozialen Dienst und den Vormündern gelang insgesamt gut, auch wenn im vergangenen Schuljahr unterschiedliche Sichtweisen und Einschätzungen deutlich wurden und die Kommunikation nicht immer reibungslos funktionierte. Dies hing möglicherweise Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 12
auch mit einem reduzierten Austausch – neben der Auftaktveranstaltung gab es nur eine Fortbildung für alle Fachkräfte – sowie mit zahlreichen Personalwechseln im KJHZ zusam- men. Und so war der missglückte erste pädagogische Austausch sowohl Ausdruck wie auch Resultat einer nicht immer befriedigenden Kommunikation zwischen den beteiligten „Sys- temen“. Über das gesamte Projekt gesehen fanden aber wie geplant Netzwerktreffen, Auf- takt- und Fortbildungsveranstaltungen statt und stießen bei allen beteiligten Fachkräften auf reges Interesse, wurden Probleme gemeinsam angegangen und wichtige Themen in gemein- samen Fortbildungen behandelt. Auch bezüglich Öffentlichkeitsarbeit und wissenschaftliche Begleitung gelang die Umsetzung durchgängig. Insgesamt also lässt sich konstatieren, dass die vorgesehenen Aktivitäten, Maßnahmen und Umsetzungsschritte auch tatsächlich rea- lisiert und damit die angestrebten Ziele durchgängig erreicht werden konnten. 3. Die Beschulung junger Flüchtlinge: Empirische Ergebnisse der Projektbegleitung Im Kern des Projekts geht es darum, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen möglichst rasch nach der Inobhutnahme den Schulbesuch zu ermöglichen und damit einen positiven Beitrag zu ihrer Lebenssituation und ihrer Integration in die neue Gesellschaft zu leisten. Da bisherige Erfahrungen fehlten, stellten sich zu Projektbeginn viele Fragen: Welche UMF nehmen am Projekt teil, woher kommen sie und wie lange bleiben sie in einer der beiden Klassen? Mit welchen Vorkenntnissen, Wünschen und Hoffnungen kommen die jungen Flüchtlinge nach Deutschland, welche Erfahrungen mit Schule haben sie und was erwarten sie von der ESS? Was lernen sie während des Schulbesuchs, was würden sie gerne lernen, welche beruflichen und privaten Ziele verfolgen sie? Um Antworten auf diese Fragen zu fin- den, wurden in den vergangenen drei bzw. vier Jahren zahlreiche empirische Daten gesam- melt und ausgewertet. 3.1 Erhebungsinstrumente und Datenbasis Aufgrund der vielfältigen Zielsetzungen und den daraus resultierenden Fragestellungen wur- de ein breites Spektrum an Erhebungsmethoden und -instrumenten eingesetzt, die eine Vielzahl empirischer Ergebnisse erbrachten. Bevor diese im Einzelnen vorgestellt und disku- tiert werden, erfolgt zunächst ein Überblick über die Erhebungsinstrumente und ihren Ein- satz sowie die daraus resultierende Datenbasis. 1. Um erste Informationen über die neuen Schüler/innen zu erhalten, wurde durch den zu- ständigen Betreuer vor der Einschulung ein Aufnahmebogen ausgefüllt und an die Schule weitergegeben. Dieser Bogen enthält neben soziodemographischen Daten auch Informa- tionen zum bisherigen Schulbesuch und eine erste Einschätzung der Motivation sowie be- sondere Hinweise zum neuen Schüler. Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 13
2. Einstufungstests wurden ab dem Schuljahr 2012/13 durchgeführt, um den Kenntnisstand der UMF zu erfassen und sie der passenden Klasse zuzuordnen. 3. Kurzinterviews mit den beschulten UMF sollten Auskunft geben über ihre bisherige Bil- dungsbiographie, ihre Einschätzung des aktuellen Schulbesuchs und ihre Ziele in Deutsch- land. Während in den ersten Jahren relativ viele Kurzinterviews durchgeführt wurden, ging die Zahl im letzten Jahr deutlich zurück, da sich aufgrund der Herkunft die Verständigung erschwerte und Dolmetscher für Einzelinterviews nicht zur Verfügung standen. 4. Gruppendiskussionen gewannen im Gegenzug an Bedeutung – und wurden von allen Be- teiligten als sehr fruchtbare und informative Veranstaltungen wahrgenommen. Sie wur- den mit Unterstützung von vier Dolmetscher/innen (neben Farsi/Dari/ Englisch und Ara- bisch/Französisch kamen 2013/14 Kurdisch und Somali neu hinzu) durchgeführt, zudem halfen auch UMF mit Übersetzungen in Albanisch, Paschtu und Fula. Die Gruppendiskussi- onen konzentrierten sich auf drei Themenbereiche: Die Erfahrungen mit Schule im Her- kunftsland, das Erleben und die Beurteilung der Schule in Deutschland und die weiteren beruflichen wie privaten Ziele der UMF. Sie lieferten nicht nur der wissenschaftlichen Be- gleitung viele wichtige Informationen, auch die Schüler/innen selbst, die Klassenlehrerin- nen und die Schulkoordinatorin erfuhren viel Neues über die schulischen Erfahrungen, die Unterschiede zwischen dem Unterricht im Herkunftsland und in Deutschland sowie über die weitere Perspektive der (Mit-) Schüler/innen 5. Schließlich wurden Empfehlungsbögen für die weitere Beschulung entwickelt, im Projekt- verlauf modifiziert und vor allem um die Empfehlung für eine weiterführende Schulmaß- nahme nach dem Transfer ergänzt. Sie geben Auskunft über Arbeits-, Lern- und Sozialver- halten der Schüler/innen, gewähren einen Einblick in deren Fähigkeiten und die Ergebnis- se der Beschulung. Sie enthalten damit wichtige Informationen für die Folgeeinrichtung und die neue Schule. 6. Auf der Grundlage der Eintragungen in den beiden Klassenbüchern wurden durchgehend die Fehlzeiten der UMF ausgewertet. 7. Um die Einschätzungen und Erfahrungen der Lehrkräfte zu erfassen, wurde zu Pro- jektbeginn ein Leitfadeninterview mit den beiden Klassenlehrerinnen durchgeführt. Im weiteren Verlauf kam es zu regelmäßigen Gesprächen und zum Erfahrungsaustausch im Rahmen von Veranstaltungen, Fortbildungen und Besprechungen. 8. Gleichermaßen gab es Gespräche mit der Leitung und den Mitarbeiter/innen des KJHZ. Im Rahmen einer Gruppendiskussion wurden die Betreuer/innen der Aufnahmegruppen zu ihren Erfahrungen und Einschätzungen des Schulbesuchs gefragt. Auch die Zwischener- gebnisse wurden regelmäßig vorgestellt und diskutiert. Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 14
Tab. 1: Erhebungsinstrumente 2010/11 2011/12 2012/13 2013/14 Aufnahmebögen 90 89 90 88 Einstufungstests - - 49 54 Kurzinterviews 23 16 14 3 Gruppendiskussionen Keine 3 6 8 Empfehlungsbogen 45 60 50 68 Klassenbücher Fortlaufend Fortlaufend Fortlaufend Fortlaufend Daneben finden der regelmäßige Austausch mit der Schulkoordinatorin und den Lehrkräften, die Ergebnisse der Netzwerktreffen, der Auftaktveranstaltung und der Fortbildungen Ein- gang in den vorliegenden Bericht. Tab. 1 gibt einen Überblick über den Einsatz der Erhe- bungsinstrumente und die Datenbasis der Auswertung. 3.2 Die Projektteilnehmer/innen und die Dauer des Schulbesuchs Im Rahmen dieses Projekts konnten 251 junge Flüchtlinge die Elisabeth-Selbert-Schule besu- chen, hinzukommen weitere 84 UMF aus dem Vorgängerprojekt. Dabei ist zu beachten, dass einige Schüler/innen nach den Sommerferien erneut eingeschult wurden, so dass die Summe der Jahreszahlen mit 265 bzw. 357 höher liegt. Auf diesen Jahresdaten basieren in der Regel die Berechnungen, da es meist um schuljahrbezogene Aussagen geht. Tab. 2: Entwicklung der Schülerzahlen 2010 – 2014 Darunter Aus Vorjahr Darunter Einschulungen Gesamt Mädchen übernommen Mädchen 1. HJ 2010/11 56 1 2. HJ 2010/11 36 7 1. HJ 2011/12 62 5 8 3 2. HJ 2011/12 24 3 1. HJ 2012/13 55 10 6 0 2. HJ 2012/13 36 2 1. HJ 2013/14 55 4 8 2 2. HJ 2013/14 33 5 Gesamt 357 37 22 5 Der Anteil der weiblichen UMF war gering und variierte deutlich im Projektverlauf. Dennoch wird in diesem Bericht immer wieder auf Genderaspekte eingegangen, da es z.T. auffällige Unterschiede gab und die Situation der jungen weiblichen Flüchtlinge besonders beachtet Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 15
werden sollte. Die nachfolgende Grafik zeigt die doch erheblichen Schwankungen in der Zahl der Einschulung pro Halbjahr und damit auch der Inobhutnahmen durch das KJHZ. Abb. 1: Einschulungen insgesamt und von Mädchen 2010 – 2014 (N = 335) 60 50 40 30 20 10 0 1. HJ 2. HJ 1. HJ 2. HJ 1. HJ 2. HJ 1. HJ 2. HJ 2010/11 2010/11 2011/12 2011/12 2012/13 2012/13 2013/14 2013/14 Gesamt Mädchen Von wenigen Ausnahmen abgesehen nehmen am Unterricht in der ESS 16- und 17-jährige UMF teil, jüngere Flüchtlinge besuchen i.d.R. die Karlsruher Schulen mit Integrationsklassen. Das Durchschnittsalter der beschulten UMF lag bei 16,8 Jahren, hier zeigten sich im Projekt- verlauf nur geringe Variationen, auch zwischen weiblichen und männlichen UMF bestehen hier kaum Unterschiede – die Mädchen sind tendenziell etwas jünger. Zwischen Inobhutnahme und Einschulung besteht eine nur geringe Wartezeit: Meist können die jungen Flüchtlinge bereits zwei bis drei Wochen nach ihrer Inobhutnahme die ESS besu- chen. Nur in Ausnahmefällen – etwa einer Erkrankung – und aufgrund von Ferienzeiten ver- längert sich die Wartezeit. Dagegen lag sie im Pilotprojekt noch bei 6,5 Wochen. Die Auf- nahmegruppen, die Schule und die Schulkoordinatorin sind gut auf die Abläufe eingestellt, so dass alles routiniert und reibungslos abläuft. Und die UMF freuen sich mehrheitlich auf die Einschulung, sind motiviert und interessiert Tab. 3: Dauer von Inobhutnahme, Wartezeit und Schulbesuch Dauer - in Wartezeit bis Inobhutnahme Schulbesuch Wochen Einschulung 2010/11 14,3 6,5 11,2 2011/12 15,6 2,6 11,9 2012/13 16,4 2,1 12,1 2013/14 14,2 2,3 9,7 Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 16
Die UMF kommen aus allen Aufnahmegruppen des KJHZ, die Dauer ihrer Inobhutnahme vari- ierte in den vergangenen Jahren deutlich zwischen 14,2 und 16,4 Wochen. Dies wirkt sich auch auf die Dauer des Schulbesuchs aus: Besuchten die UMF in den ersten beiden Projekt- jahren die Schule für durchschnittlich 12 Wochen, so ging dieser im letzten Jahr auf knapp 10 Wochen zurück. Damit steht deutlich weniger Zeit für die Beschulung zur Verfügung, was sich auf Lernfortschritte und die Einschätzung zum weiteren Schulbesuch auswirken dürfte. Über den gesamten Projektverlauf sind dabei erhebliche Unterschiede in der Dauer des Schulbesuchs zwischen den UMF zu beobachten: Während einige nur für wenige Tage die Schule besuchen, nehmen andere bis zu acht Monate am Unterricht teil. Die Ursachen dafür sind vielfältig: In Einzelfällen erweist sich der Transfer als schwierig, weil keine passende Ein- richtung gefunden wird. In anderen Fällen findet rasch eine Familienzusammenführung statt, ein Mädchen weigert sich nach wenigen Tagen, eine Klasse mit ausschließlich männlichen UMF zu besuchen, einige Schüler wurden aufgrund disziplinarischer Probleme vom Unter- richt ausgeschlossen und andere waren nach kurzer IO abgängig. Die unterschiedliche Dauer des Schulbesuchs stellt besondere Anforderungen an die Unterrichtsgestaltung, da jeweils der aktuelle Stand der beschulten UMF berücksichtigt werden muss, um Überforderung und Langeweile gleichermaßen zu vermeiden. 3.3 Herkunft der UMF Die jungen Flüchtlinge, die im Rahmen der beiden Projekte an der ESS unterrichtet wurden, stammen aus 41 verschiedenen Ländern und drei Kontinenten. Dabei konnten im Zeitverlauf deutliche Verschiebungen beobachtet werden, die zeitlich verzögert die jeweils aktuellen Krisen und Kriege widerspiegeln: Kam zunächst die Mehrzahl der UMF aus Afghanistan und dem Irak, so ging ihr Anteil in den beiden Folgejahren kontinuierlich zurück und stieg im letz- ten Jahr wieder leicht an. Aus diesen beiden Ländern stammen aber absolut die meisten der beschulten UMF: 65 aus Afghanistan und 43 aus dem Irak. Eine gegenläufige Entwicklung ist für Pakistan, das mit 28 UMF an dritter Stelle liegt, zu beobachten: Nach einem deutlichen Anstieg der Neuaufnahmen in 2012/13 war im vergangenen Jahr wieder ein Rückgang zu beobachten. Einen Anstieg verzeichnen aktuell syrischer UMF (21), hier ist mit einer weite- ren Zunahme zu rechnen. Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 17
Abb. 2: Die häufigsten Herkunftsländer im Zeitverlauf 40 35 30 25 20 15 10 5 0 2010/11 2011/12 2012/13 2013/14 Afghanistan Irak Pakistan Gambia Somalia Syrien Stabil hoch war der Zustrom aus dem Maghreb (39 UMF), während es in Bezug auf die übri- gen 20 afrikanischen Herkunftsländer vor allem 2012/13 einen deutlichen Anstieg gab, der im letzten Schuljahr aber wieder etwas abflachte. Unter den afrikanischen Herkunftsländern sind Gambia (27 UMF) und Somalia (23 UMF) stark vertreten, während aus den übrigen Län- dern nur maximal sieben junge Flüchtlinge stammen. Nur sehr wenige UMF kommen aus Osteuropa – und hier vor allem aus dem Kosovo sowie aus anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien und der UdSSR. Abb. 3: Herkunft der beschulten UMF im Zeitverlauf (N = 335) 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% Afghanistan Irak Restl. Asien Nordafrika Restl. Afrika Europa 2010/11 2011/12 2012/13 2013/14 Auch wenn nur 32 weibliche UMF beschult wurden, lohnt sich doch ein Blick auf ihre Her- kunftsländer: Anders als die männlichen Flüchtlinge stammen die Mädchen überwiegend aus Afrika (16), nur eines allerdings aus Nordafrika, gefolgt von Irakerinnen (7). Geht man davon Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 18
aus, dass Krisen, Terror und (Bürger-)Kriege junge Menschen gleichermaßen treffen, stellt sich die Frage, warum gerade aus Afghanistan und anderen muslimischen Ländern nur weni- ge Mädchen alleine nach Deutschland gelangen. Neben der Herkunft weist denn auch die Religionszugehörigkeit eine genderspezifische Verteilung auf: Während drei Viertel der männlichen UMF Muslime sind, gehört nur gut die Hälfte der Mädchen (54,1%) dieser Religi- on an. Dagegen sind Mädchen sehr viel häufiger Christen als Jungen (29,7% zu 7,8%), ebenso ist der Anteil der weiblichen UMF an den Yeziden (10,8% zu 8,8%) und den Hindus (5,4% zu 1,6%) etwas höher. Dies deutet darauf hin, dass der kulturell-religiöse Hintergrund im Her- kunftsland, aber auch die Erwartungen an das Aufnahmeland Einfluss darauf haben, ob Mädchen alleine nach Europa flüchten. Tab. 4: Herkunft nach Geschlecht (N = 335) Weibliche UMF Männliche UMF Afghanistan 12,5% 20,1% Irak 21,9% 11,9% Restl. Asien 12,5% 25,7% Nordafrika 3,1% 12,5% Restl. Afrika 46,9% 24,1% Europa 3,1% 5,6% 100,0% 100,0% Unter den jungen Flüchtlingen überwiegen die Muslime, ihr Anteil ist von 68,5% konti- nuierlich angestiegen und lag im letzten Schuljahr bei 79,5%. Yeziden waren zunächst mit 15,2% die zweitgrößte Gruppe, ihr Anteil ging zwischenzeitlich auf 2,2% zurück und stieg im letzten Jahr wieder deutlich an. Christen machen im Schnitt etwa 10% der UMF aus, ihr An- teil weist nur geringe Schwankungen auf. Daneben sind vereinzelt Mitglieder anderer Religi- onsgemeinschaften vertreten wie Hinduismus, Sikh oder Judentum. Entsprechend der unterschiedlichen Herkunft ergeben sich auch vielfältige Sprach- kenntnisse: Die jungen Flüchtlinge sind mit insgesamt 45 Muttersprachen aufgewachsen, die zudem noch verschiedene regionale Dialekte aufweisen. Bezogen auf die einzelnen Schuljah- re waren jeweils zwischen 25 und 30 verschiedene Sprachen vertreten. Dabei kamen jedes Jahr zwischen 6 und 8 neue Sprachen hinzu, im Gegenzug fielen 5 bis 10 Sprachen weg – also ein kontinuierlicher Wandel, der immer wieder neue Dolmetscher erforderlich machte. Während die UMF aus dem arabischen Sprachraum, Pakistan, Gambia und Somalia in den Aufnahmegruppen und den VAB-O-Klassen auf andere Muttersprachler/innen treffen, mit denen sie reden und sich austauschen können, trifft dies für die vielen „Einzelkämpfer“ aus afrikanischen und asiatischen Ländern nur selten zu und schafft für sie ein gewisses Risiko der Isolation. Allerdings verfügen gerade afrikanische UMF vor dem Hintergrund der Koloni- algeschichte ihrer Länder oft über gute Fremdsprachenkenntnisse, die die Verständigung Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 19
erleichtern – dazu zählen Englisch, Französisch, Portugiesisch und Spanisch, die häufig eine zweite Muttersprache und die offizielle Amtssprache bilden, die auch in der Schule zu Hause gesprochen wird. Ähnlich sprechen pakistanische bzw. indische UMF Punjabi und Urdu, was die Verständigung untereinander vereinfacht, und irakische und syrische UMF beherrschen meist neben ihrem kurdischen Dialekt auch Arabisch. Dennoch gibt es immer wieder junge Flüchtlinge, die sich mit keinem anderen UMF muttersprachlich verständigen können und die entsprechend größere Probleme im Unterricht haben. Abb. 4: Muttersprachen der beschulten Flüchtlinge (N = 265) 50% 40% 30% 20% 10% 0% Farsi, Dari, Kurdisch Arabisch Afrikanische Asiatische Europäische Pashtu Sprachen Sprachen Sprachen 2011/12 2012/13 2013/14 Über die gesamte Projektlaufzeit sahen sich die Lehrkräfte stark gemischten Gruppen von Schüler/innen gegenüber, die sich hinsichtlich ihrer Muttersprachen, ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Hintergründe, ihrer Religionszugehörigkeit und ihrer Migrationsgründe unterscheiden. Eine weitere große Herausforderung bedeutete der kontinuierliche Wandel in der Zusammensetzung der Klassen – neue Herkunftsländer und neue Sprachen, andere Erfahrungen und damit neue Erwartungen gerade auch mit dem bzw. an das Bildungssys- tem. Entsprechend erforderte der Wechsel in den Herkunftsländern immer wieder eine Neuorientierung der Projektbeteiligten. 3.4 Bildungsstand und Schulbesuch im Herkunftsland Um den Unterricht für die Schüler/innen angemessen gestalten zu können, sind deren Vor- kenntnisse und Schulerfahrungen zu berücksichtigen. Erste Hinweise, worauf sich die Lehr- kräfte einstellen müssen, geben Anmeldebogen und Einstufungstest. Und die machen deut- lich, dass die Schüler/innen mit sehr unterschiedlichen Vorkenntnissen eingeschult werden: Während ein Teil der UMF mit guten bis sehr guten Bildungsvoraussetzungen in Deutschland ankommt, einige auch einen Schulabschluss oder zumindest einen Teilabschluss vorweisen können, gibt es eine relevante – und gerade im letzten Schuljahr wieder stark gestiegene – Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 20
Zahl von Schüler/innen ohne jeden Schulbesuch im Herkunftsland (19 männliche und 5 weib- liche UMF)). Hinzu kommen 16 junge Flüchtlinge, darunter ein Mädchen, die ausschließlich eine Koranschule besucht haben. Für beide Gruppen, die pro Schuljahr zwischen 8% und 16% der Schüler ausmachen, ist i.d.R. eine Alphabetisierung erforderlich. Gerade im letzten Schul- jahr zeigte sich eine deutliche Spaltung: Einerseits gab es eine wachsende Zahl von UMF (16%), die bisher keine allgemeinbildende Schule besucht hatten, andererseits einen Anstieg von jungen Flüchtlingen mit langem Schulbesuch (mind. neun Jahre, 35%) und mit Schulab- schluss (10%). Der oft kurze Schulbesuch ist auch eine Folge der Krisensituation im Heimatland: Krieg, Bür- gerkrieg, religiöse und ethnische Konflikte führen zur Schließung von Schulen, bestimmten Gruppen wird der Zugang verwehrt, die Schulen werden zerstört, die Schulwege sind unsi- cher, den Eltern fehlt das Geld oder die Kinder werden zu Hause gebraucht, um die alltägli- chen Arbeiten wie Wasser holen, kochen und Tiere hüten zu verrichten. Wirft man einen genderspezifischen Blick auf die Daten, so fällt gerade bei den Mädchen eine deutliche Spal- tung auf: Auf der einen Seite hat ein knappes Fünftel keine allgemeinbildende Schule be- sucht, auf der anderen Seite mehr als ein Drittel mindestens neun Jahre – dies stellt sich bei den Jungen sehr viel gemischter dar. Abb. 5: Schulbesuch im Herkunftsland (N = 357) Kein Schulbesuch Koranschule bis 4 J. bis 6 J. bis 8 J. bis 10 J. länger 0,0% 5,0% 10,0% 15,0% 20,0% 25,0% 30,0% 35,0% 2010/11 2011/12 2012/13 2013/14 Die Dauer des Schulbesuchs gibt nur unzureichend Auskunft über den tatsächlichen Bil- dungsstand, dazu müssten auch Qualität, Dauer und Kontinuität des Unterrichts herangezo- gen werden. So sind fünf Jahre Schulbesuch in einer staatlichen Schule in Afghanistan oder Gambia, die im Zwei- bzw. Drei-Schicht-System unterrichten, keineswegs mit fünf Jahren Abschlussbericht – EFF 11-058 Seite 21
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