Deutsch Probeklausur 2014 - Standardisierte kompetenzorientierte schriftliche Reifeprüfung / Reife- und Diplomprüfung

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Klasse/Jahrgang:

        Standardisierte kompetenzorientierte schriftliche
              Reifeprüfung / Reife- und Diplomprüfung

                                           Deutsch
                          Probeklausur 2014
Thema 1: Erwachsenwerden
Aufgabe 1

Nesthocker überfüllen Hotel Mama
Verfassen Sie einen Kommentar.

     Situation: Nachdem Sie maturiert haben, stellt sich die Frage, ob Sie weiterhin bei
     Ihren Eltern wohnen sollen oder nicht. Deshalb interessiert Sie der Bericht Nesthocker
     überfüllen Hotel Mama aus der Wiener Zeitung. Er bietet die Textgrundlage für einen
     Kommentar, den Sie für die Maturazeitung schreiben.

Lesen Sie Petra Tempfers Bericht Nesthocker überfüllen Hotel Mama aus der Tagezeitung Wiener
Zeitung vom 14. September 2010 (Textbeilage 1).

Verfassen Sie nun den Kommentar und bearbeiten Sie dabei die folgenden Arbeitsaufträge:

n	Benennen Sie die in der Textbeilage dargestellte Thematik.
n	Analysieren Sie die Gründe, die junge Erwachsene dazu bewegen, das Elternhaus nicht zu
   verlassen.
n	Bewerten Sie diese gesellschaftliche Entwicklung aus persönlicher Sicht.

Schreiben Sie zwischen 405 und 495 Wörter. Markieren Sie Absätze mittels Leerzeilen.

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Aufgabe 1/Textbeilage 1

Nesthocker überfüllen Hotel Mama
Immer mehr Nachwuchs zieht einfach nicht von zu Hause aus – unsicherer Arbeitsmarkt trägt Hauptschuld

Von Petra Tempfer                     Papa“, meint die Entwicklungs-       Bundes- und nicht wie bisher auf
                                      psychologin Christiane Papaste-      Landesebene. Erst im Vorjahr ist
n	
  Gut zwei Drittel der 20- bis        fanou dazu. Bereits mit Beginn       das Österreichische Institut für
  24-Jährigen leben bei den El-       der 80er stieg das Auszugsalter      Jugendforschung in Wien-Leo-
  tern.                               der Kinder in den USA deutlich       poldstadt nach 50-jährigem Be-
n	
  Forderung nach mehr Geld            an. Derzeitiger Spitzenreiter ist    stehen geschlossen worden. Biffl
  für die Jugendforschung.            Italien, wo noch 30 Prozent der      beklagt, dass nun zu wenig Gelder
n	
  Vorprogrammierter Genera-           30-Jährigen den Komfort im Ho-       in die Jugendforschung fließen.
  tionenkonflikt.                     tel Mama genießen.                   „Die Jugendforschung ist gut auf-
                                      Als Ursache führt Papastefanou       gestellt. Es gibt keinen Mangel
Wien. „Die Wäsche liegt gebügelt      neben der Verdrängung autori-        an Expertise, weil sich ein brei-
im Schrank, der Kühlschrank ist       tärer Erziehungsstile die voran-     tes Spektrum an Anbietern von
immer voll“, zählt Florian P. die     schreitende Bildungsexpansion        grundlagen- und anwendungs-
Vorzüge auf, die sein Leben zu        an. Immer längere Ausbildungs-       orientierter Forschung entwickelt
Hause bei den Eltern mit sich         zeiten und oft anfänglich befris-    hat“, kontert Volker Hollenstein,
bringt. Kinder wissen diesen          tete Arbeitsverhältnisse würden      ein Sprecher des Büros von Wirt-
Komfort oft nicht zu schätzen –       die ökonomische Abhängigkeit         schafts- und Familienminister
Florian P. schon. Ist er doch seit    von den Eltern verlängern. „Nicht    Reinhold Mitterlehner. Überdies
nunmehr 24 Jahren noch nicht aus      die Bequemlichkeit, sondern          könne jeder Jugendforscher Pro-
seinem Kinderzimmer ausgezogen        die Unsicherheit am Arbeits-         jektförderungen beantragen.
und geht jeden Tag nach dem ge-       markt trägt die Hauptschuld          In den Zeiten der allgemeinen
meinsamen Frühstück in die nahe       am      steigenden    Nesthocker-    Desorientierung und wirtschaft-
Schule, um hier zu unterrichten.      Trend“, pflichtet ihr Wirtschafts-   lichen Rezession bietet jedenfalls
Florian P. ist bei weitem kein        forscherin Gudrun Biffl bei.         häufig die Familie einen wichti-
Einzelfall mehr. Vielmehr ist ein     „Durch diese unstabilen Arbeits-     gen emotionalen Rückhalt – das
klarer Trend zum Nesthocker zu        markt-Perspektiven fürchten vie-     Dasein als Nesthocker bringt
erkennen, wie aus der Statistik       le Junge, sich eine Wohnung auf      aber auch Nachteile mit sich. Der
Austria hervorgeht. Demnach           Dauer nicht leisten zu können“,      Wunsch nach Selbständigkeit ist
lebten im Vorjahr 67,5 Prozent        fährt sie fort. Laut Papastefanou    bei Spätausziehenden laut Papas-
der männlichen und 50,9 Prozent       war jeder fünfte Nesthocker be-      tefanou weniger stark ausgeprägt,
der weiblichen 20- bis 24-Jährigen    reits ausgezogen und kehrte nach     sie gelten als „unvollständig abge-
bei den Eltern, was 61,3 Prozent      plötzlicher Arbeitslosigkeit ins     löst“. Die Fragen „Wo gehst Du
dieser Altersgruppe entspricht.       Elternhaus zurück.                   hin?“ oder „Mit wem triffst Du
1971 waren es noch 41,7 Prozent.                                           Dich?“ rutschen Müttern ganz
„Während es junge Menschen in         Lösungswege finden                   von alleine über die Lippen. „Bei-
den 70er-Jahren früh in die Un-       Um dieses wachsende Dilem-           de Seiten laufen Gefahr, typischen
abhängigkeit zog, froh, endlich       ma der heutigen Jugend besser        Eltern-Kind-Mustern verhaftet
der häuslichen Kontrolle zu ent-      beleuchten zu können und Lö-         zu bleiben, die nicht altersange-
fliehen, lebt heute ein beträchtli-   sungswege zu finden, muss laut       messen sind.“
cher Teil junger Menschen glück-      Biffl verstärkt Jugendforschung
lich und zufrieden bei Mama und       betrieben werden – und zwar auf
                                                                                                                 2
Ohne Eltern ganz allein                bracht. Erst wenn diese alt und               teres Problem. „Falls meine Eltern
Obwohl die Nesthocker dabei            vielleicht zum Pflegefall werden,             sterben, stehe ich völlig alleine
nicht generalisiert werden dürften     wendet sich das Blatt. Wenn dann              da“, ist sich etwa Florian P. be-
und sich nicht alle stets bedienen     ein Kind noch immer zu Hause                  wusst. Sein Kinderzimmer will er
ließen, würden von den Eltern          wohnt und keine Familie gegrün-               daher so bald wie möglich gegen
immense Arbeitsleistungen er-          det hat, erwächst daraus ein wei-             ein eigenes Zuhause tauschen. n

                              Quelle: http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/panorama/chronik/225093_Nesthocker-ueberfuellen-
                                                                                                 Hotel-Mama.html [05.02.2014]

                                                                                                                                 3
Thema 1: Erwachsenwerden
Aufgabe 2

Margret Steenfatt: Im Spiegel
Verfassen Sie eine Textinterpretation.

     Situation: Im Rahmen der schriftlichen Reife- und Diplomprüfung in Deutsch sollen Sie
     Ihre Fähigkeit, literarische Texte zu interpretieren, unter Beweis stellen.

Lesen Sie die Kurzgeschichte Im Spiegel (1984) von Margret Steenfatt (Textbeilage 1).

Verfassen Sie nun die Textinterpretation und bearbeiten Sie dabei die folgenden Arbeitsaufträge:

n	Geben Sie die Situation wieder, in der sich der junge Mann, Achim, befindet.
n	Untersuchen Sie den Text hinsichtlich der sprachlichen Mittel, mit denen diese Situation dar-
   gestellt wird.
n	Deuten Sie Achims Verhalten, indem Sie dabei vor allem den Schluss des Textes beachten.

Schreiben Sie zwischen 405 und 495 Wörter. Markieren Sie Absätze mittels Leerzeilen.

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Aufgabe 2/Textbeilage 1

Margret Steenfatt: Im Spiegel (1984)
    „Du kannst nichts“, sagten sie, „du machst nichts“, „aus dir wird nichts“. Nichts. Nichts. Nichts.
    Was war das für ein NICHTS, von dem sie redeten und vor dem sie offensichtlich Angst hatten, fragte
sich Achim, unter Decken und Kissen vergraben.
    Mit lautem Knall schlug die Tür hinter ihnen zu.
    Achim schob sich halb aus dem Bett. Fünf nach eins. Wieder mal zu spät. Er starrte gegen die Zim-                                      5
merdecke. – Weiß. Nichts. Ein unbeschriebenes Blatt Papier, ein ungemaltes Bild, eine tonlose Melodie,
ein ungesagtes Wort, ungelebtes Leben.
    Eine halbe Körperdrehung nach rechts, ein Fingerdruck auf den Einschaltknopf seiner Anlage.
Manchmal brachte Musik ihn hoch.
    Er robbte zur Wand, zu dem großen Spiegel, der beim Fenster aufgestellt war, kniete sich davor und                                    10
betrachtete sich: lang, knochig, graue Augen im blassen Gesicht, hellbraune Haare, glanzlos. „Dead Ken-
nedys“ sangen: „Weil sie dich verplant haben, kannst du nichts anderes tun als aussteigen und nachden-
ken.“
    Achim wandte sich ab, erhob sich, ging zum Fenster und schaute hinaus. Straßen, Häuser, Läden,
Autos, Passanten, immer dasselbe. Zurück zum Spiegel, näher heran, so nahe, dass er glaubte, das Glas                                     15
zwischen sich und seinem Spiegelbild durchdringen zu können. Er legte seine Handflächen gegen sein
Gesicht im Spiegel, ließ seine Finger sanft über Wangen, Augen, Stirn und Schläfen kreisen, streichelte,
fühlte nichts als Glätte und Kälte.
    Ihm fiel ein, dass in dem Holzkasten, wo er seinen Kram aufbewahrte, noch Schminke herumliegen
musste. Er fasste unters Bett, wühlte in den Sachen im Kasten herum und zog die Pappschachtel heraus,                                     20
in der sich einige zerdrückte Tuben fanden. Von der schwarzen Farbe war noch ein Rest vorhanden.
Achim baute sich vor dem Spiegel auf und malte zwei dicke Striche auf das Glas, genau dahin, wo sich
seine Augenbrauen im Spiegel zeigten. Weiß besaß er reichlich. Er drückte eine Tube aus, fing die weiche
ölige Masse in seinen Händen auf, verteilte sie auf dem Spiegel über Kinn, Wangen und Nase und be-
gann, sie langsam und sorgfältig zu verstreichen. Dabei durfte er sich nicht bewegen, sonst verschob sich                                 25
seine Malerei. Schwarz und Weiß sehen gut aus, dachte er, fehlt noch Blau. Achim grinste seinem Bild zu,
holte sich das Blau aus dem Kasten und färbte noch die Spiegelstellen über Stirn und Augenlidern.
    Eine Weile verharrte er vor dem bunten Gesicht, dann rückte er ein Stück zur Seite, und wie ein Spuk
tauchte sein farbloses Gesicht im Spiegel wieder auf, daneben eine aufgemalte Spiegelmaske.
    Er trat einen Schritt zurück, holte mit dem Arm weit aus und ließ seine Faust in die Spiegelscheibe                                   30
krachen. Glasteile fielen hinunter, Splitter verletzten ihn, seine Hand fing an zu bluten. Warm rann ihm
das Blut über den Arm und tröpfelte zu Boden. Achim legte seinen Mund auf die Wunden und leckte das
Blut ab. Dabei wurde sein Gesicht rotverschmiert.
    Der Spiegel war kaputt. Achim suchte sein Zeug zusammen und kleidete sich an. Er wollte runterge-
hen und irgendwo seine Leute treffen.                                                                                                     35

                    Quelle: Lange, G. (Hrsg.). Texte und Materialien für den Unterricht. Deutsche Kurzgeschichten II. 9.–10. Schuljahr.
                                                                     Stuttgart: Reclam, 1989 (durchgesehene Ausgabe 2010). S. 6–7.

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Thema 2: Großeltern
Aufgabe 1

Familiengeschichte: „Tor in eine fremde Welt“

Verfassen Sie eine Zusammenfassung.

     Situation: Sie arbeiten ehrenamtlich für den Verein FAMILY, der neben anderen Dienst-
     leistungen für Familien auch sogenannte Leihomas und Leih­opas für die Kinderbe-
     treuung zur Verfügung stellt. Da die Nachfrage nach dieser Art der Betreuung wächst,
     möchten Sie das Thema ‚Großeltern‘ genauer beleuchten und schreiben dazu eine
     Zusammenfassung für den aktuellen Newsletter des Vereins. Sie stützen sich bei Ihren
     Ausführungen auf ein Interview mit dem Historiker Erhard Chvojka.

Lesen Sie das Interview Familiengeschichte: „Tor in eine fremde Welt“ mit Erhard Chvojka aus der
Online-Ausgabe der deutschen Wochenzeitung Die Zeit vom 26. Dezember 2011 (Textbeilage 1).

Verfassen Sie nun die Zusammenfassung und bearbeiten Sie dabei die folgenden Arbeitsaufträge:

n	Geben Sie einleitend die Kernaussagen des Interviews wieder.
n Beschreiben Sie die geschichtliche Entwicklung der Bedeutung der Großelterngeneration.
n	Erläutern Sie die Gründe, die Erhard Chvojka für den Wandel der Großelterngeneration ver­
   antwortlich macht.

Schreiben Sie zwischen 270 und 330 Wörter. Markieren Sie Absätze mittels Leerzeilen.

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Aufgabe 1/Textbeilage 1

Familiengeschichte

„Tor in eine fremde Welt“
Die Großelternrolle ist eine Erfindung der Neuzeit, sagt der Wiener Historiker Erhard Chvojka.

Von Alina Schadwinkel                versteht Familie erstmals als emo-   gangenheit. Diese Prägung ist bis
                                     tional intensiv verbundene Grup-     heute zu spüren.
DIE ZEIT: Großeltern als selbst-     pe. Dass die Großeltern sich in      ZEIT: Was hat sich noch gewandelt?
verständliche Familienmitglieder,    diese Ideologie der Kleinfamilie     Chvojka: Die Distanz ist ge-
war das schon immer so?              einfügten, davon zeugen Lebens-      schwunden. Die Alphabetisie-
Erhard Chvojka: Nein, im Gegen-      berichte der damaligen Zeit –        rung ermöglichte Briefwechsel,
teil! Einen Großvater oder eine      etwa von Großvätern, die für ihre    später kam das Telefon hinzu,
Großmutter zu erleben, war lange     Enkel Spielzeug anfertigen lassen.   und heute hilft das Internet,
Zeit eine exotische Sache. Zwar      Stück für Stück drang dieses Bild    den Kontakt aufrechtzuerhalten.
gab es durchaus Menschen, die        in alle Milieus.                     Was früher fast undenkbar war
recht alt wurden. Aber die Zahl      ZEIT: ... und wurde zum Klischee?    – kurz einmal die Großeltern in
der 70- oder 80-Jährigen war sehr    Chvojka: In gewisser Weise schon.    der Nachbarstadt zu besuchen –,
klein. Und anders als wir heute      Es war eine herausfordernde          ist heute selbstverständlich. Ich
glauben, lebten die Generatio-       Aufgabe. Man musste den Rah-         vermute einmal, dass sich dieser
nen keineswegs alle unter einem      menbedingungen des Leitbilds         Trend noch fortsetzt.
Dach. Bei Bauernfamilien war das     entsprechen und dennoch etwas        ZEIT: Inwiefern?
so, bei Handwerkern mussten die      Eigenes daraus machen.               Chvojka: Dadurch, dass ältere
Enkelkinder hingegen als Gesel-      ZEIT: Haben sich die Großeltern      Menschen heute körperlich ge-
len in die Ferne gehen – oft sahen   auf dem Land und in der Stadt        sünder und mobiler sind, können
sie ihre Großeltern nie wieder.      damals unterschieden?                sie bei der Erziehung helfen oder
ZEIT: Und bei Kindern, die zu        Chvojka: Durch die Verstädte-        diese sogar übernehmen. Zudem
Hause blieben?                       rung lebten die Generationen oft     verschwimmen die Grenzen zwi-
Chvojka: Enkel und Großeltern        getrennt voneinander. Die Kinder     schen den Generationen. 70-Jäh-
kannten sich, schrieben der Be-      der Industriearbeiterschaft wohn-    rige sehen heute wesentlich jünger
ziehung aber keine besondere         ten in der Stadt, ihre Großeltern    aus als früher und unterscheiden
Bedeutung zu. Niemand zu dieser      noch auf dem Land. Diese wur-        sich in ihren Interessen nicht
Zeit hat von „Oma“ und „Opa“         den so zu einem Tor in eine an-      mehr grundsätzlich von jüngeren
gesprochen, auch nicht von En-       sonsten fremde Welt. Erst Mitte      Altersgruppen. Enkel und Groß-
keln. Diese emotional starken Be-    des 20. Jahrhunderts war die Be-     eltern kommen sich so näher
griffe setzten sich erst Mitte des   wegung abgeschlossen.                und können entspannte, gerade-
18. Jahrhunderts durch. Das klas-    ZEIT: Wie hat das Trauma zweier      zu freundschaftliche Bindungen
sische Rollenbild der Großeltern     Weltkriege die Generationenbe-       aufbauen. Auch dass Enkel ihre
entstand erst vor rund 250 Jahren.   ziehungen geprägt?                   Großeltern über eine lange Zeit-
ZEIT: Woran machen Sie das fest?     Chvojka: Die Großeltern wur-         spanne erleben, wird die Bindung
Chvojka: An den zahlreichen Dar-     den plötzlich als Repräsentanten     zwischen den Familienmitglie-
stellungen von Großeltern und        der Geschichte wahrgenommen.         dern weiter stärken.
Enkelkindern, die sich besonders     Während Oma und Opa im 19.           ZEIT: Aber das gilt doch nicht für
innig zugetan sind – in der Kunst,   J­ ahrhundert     Märchenerzähler    alle Großeltern! Erleben wir, wie
in Schulbüchern und Ratgebern.       waren, fragten die Enkel nun be-     ein altes Klischee von einem neu-
Das aufkommende Bürgertum            wusst nach der tatsächlichen Ver-    en verdrängt wird?
                                                                                                               7
Chvojka: Die Erfahrungen, die        ferenziert sich extrem. Einige wer-        Beziehungen zu beginnen und ih-
Enkelkinder mit ihren Großeltern     den schnell zum Versorgungsfall            ren Hobbys nachzugehen. Mitun-
machen können, haben heute eine      für ihre Kinder, also die Eltern ih-       ter bleibt da gar nicht unbegrenzt
große Bandbreite. Denn der Le-       rer Enkel. Andere nutzen die Zeit          Zeit für die Enkelkinder.      n
bensstil der über 60-Jährigen dif-   der Rente zum Reisen, dazu, neue

                                                    Quelle: http://www.zeit.de/2011/52/Grosseltern-Entwicklung [05.02.2014]

     Infobox
     Erhard Chvojka ist Historiker. Er war zwischen 2003 und 2013 Direktor der Wiener Urania und ist
     unter anderem Verfasser der Geschichte der Großelternrollen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert
     (Wien: Böhlau Verlag, 2003).

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Thema 2: Großeltern
Aufgabe 2

Herr Holm lernt Großvater

Verfassen Sie eine Empfehlung.

     Situation: Im Rahmen Ihrer Tätigkeit für ein generationenübergreifendes Wohnprojekt
     in Ihrem Bezirk / Ihrer Gemeinde erfahren Sie, dass einige der älteren
     Bewohner/innen überlegen, sich als Leihoma / Leihopa registrieren zu lassen. Sie wer-
     den dazu um Ihre Meinung aus Sicht eines jungen Erwachsenen gebeten. So beschlie-
     ßen Sie, eine Empfehlung zu verfassen, die Sie im Newsletter des Projekts veröffent-
     lichen und ziehen dazu einen Bericht über Großelternkurse aus der ZEIT ONLINE als
     Grundlage heran.

Lesen Sie den Bericht Herr Holm lernt Großvater aus der deutschen Wochenzeitung Die Zeit vom
25. Dezember 2011 (Textbeilage 1).

Schreiben Sie nun die Empfehlung und bearbeiten Sie dabei die folgenden Arbeitsaufträge:

n	Geben Sie die im Bericht beschriebenen Inhalte des Hamburger Großelternkurses wieder.
n Untersuchen Sie jene Kursinhalte, die Ihnen persönlich interessant bzw. wichtig erscheinen.
n Bewerten Sie, auch auf Basis persönlicher Erlebnisse, die Rolle, die die ältere Generation im
   Leben von jungen Menschen spielt.
n	Entwerfen Sie nun auf Basis Ihrer Erkenntnisse eine begründete Empfehlung an ältere Be-
   wohner/innen des Wohnprojekts, einen Großelternkurs zu organisieren oder nicht, indem Sie
   auch auf den Kurstitel ‚Starke Großeltern, starke Kinder‘ eingehen.

Schreiben Sie zwischen 540 und 660 Wörter. Markieren Sie Absätze mittels Leerzeilen.

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Aufgabe 2/Textbeilage 1

Großeltern

Herr Holm lernt Großvater
Wer ein richtiger Opa werden will, kann sich dazu ausbilden lassen. Sechs Nachmittage dauert der Crashkurs.

Von Urs Willmann                     träge loben. Seine Forderungen       betrieb weiterführt. Den jüngsten
                                     nach Strenge und Respekt hätten      biografischen Schritt krönt Jens-
Die Hemdsärmel hat er nach           den Unterricht befeuert. Und das     Peter Holm in einer Stunde mit
oben gekrempelt. Sein Bart zit-      sei wichtig. So konnte diese Fort-   einer Urkunde: Er wird Hamburgs
tert. Gleich wird es wieder rum-     bildung für Großeltern gelingen.     erster lizensierter Opa.
peln. Wie so oft, wenn Jens-Peter    Jens-Peter Holm ist 63 Jahre         Dann ist der Kurs Starke Großel-
Holm einen seiner Sätze in die       alt. Spontan würde man ihn hier      tern, starke Kinder des Deutschen
Runde wirft: „Spiele ich mit dem     nicht erwarten. Im Haus im Park,     Kinderschutzbunds zu Ende. Das
Enkel, und der Vater des Kindes      einem Ü-50-Begegnungszentrum         Schriftstück bescheinigt ihm, dass
kommt rein, dann soll der sich       der Körber-Stiftung, wird an sechs   er „respektvollen Umgang mit un-
nicht einmischen.“ Einen Mo-         Mittwochnachmittagen          über   terschiedlichen Werten“ gelernt
ment lang ist es still im Raum.      „Sensibilisierung“ und „Sensibi-     hat. Dass er weiß, wie „Konflikte
Dann folgt der ersten Erschütte-     lität“ diskutiert, über Dinge wie    mit unseren Enkelkindern“ zu lö-
rung das Nachbeben: „Ich habe in     „Pubertät“ oder über die „Kraft-     sen sind. Wie man für „eine gute
diesem Moment die Befugnis zu        quelle für das ganze Leben“.         Atmosphäre in Ihrer Familie“
entscheiden. Nicht die Eltern.“      Ausgerechnet Holm, der „nie          sorgt.
Wortmeldungen von Großvater          Kleinkinder gewickelt und gefüt-     Nicht, dass die Stimmung in
Holm klingen gern streng und         tert“ hat, weil doch „immer eine     Holms Sippe schlecht wäre oder
herrisch. Auch als es um Vorbil-     Frau zum Wickeln da war – wenn       er sich den Enkeln gegenüber
der geht, erschüttert ein Diskus-    nicht die eigene, dann die Schwes-   falsch verhalten hätte. Auch
sionsbeitrag von Opa Jens-Peter      ter oder die Schwiegermutter“. Er,   Windelnwechseln würde er hin-
den Seminarraum und lässt die        der in seinem Leben auch „die        kriegen. Davon ist er überzeugt.
Rundherum-Sitzenden zusam-           Küche als reine Frauenwelt“ ken-     Der Mann aus den Vierlanden in
menzucken: „Mehr Strenge in der      nengelernt hat. Dieser Mann der      Hamburg hat sich aus einem an-
Erziehung“, sind Holms Worte,        Nachkriegsgeneration, ein Macho      deren Grund zu diesem Kurs an-
mit denen er begründet, warum        norddeutscher Prägung, fragte sei-   gemeldet: Er wollte wissen, „wie
sein eigener Großvater als Vorbild   ne Frau, als er in der Zeitung den   die Theorie sich anhört zu der
gelten könne. Dieser Großvater       Hinweis auf einen Kurs für Groß-     Praxis, die ich schon mache“.
hatte nie mit ihm gespielt. Nie      mütter entdeckte: „Kannst du mal     Auch der Lehrer der zehnköpfi-
durfte ein Kind diesem Opa wi-       abklären, ob da auch Großväter       gen Schulklasse, Willi Hasse, hat
dersprechen. Trotzdem entdeckt       hingehen können?“                    Enkel. Er arbeitet die Unterlagen
Holm, wenn er zurückdenkt, ei-       Seit acht Jahren ist Holm Groß-      ab und moderiert ein Gespräch,
nen schätzenswerten Zug an sei-      vater, seit gut einem halben Jahr    das zu weiten Teilen aus Erinne-
nem autoritären Ahnen: „Es gab       schon dreifacher. Als Pensionär      rungen besteht. Aus ihnen entwi-
auch mal was auf die Finger.“        hat er ein Leben voller Erfahrun-    ckelt Hasse Ideen für den Unter-
Am Ende der Veranstaltung im         gen hinter sich. Er war mehr als     richt. Gewaltige Zeitspannen und
Hamburger Stadtteil Bergedorf        drei Jahrzehnte lang Maschinen-      Gefühlslandschaften tun sich auf.
wird der Kursleiter Willi Hasse      bauingenieur, daneben Biobauer       Vom Drama der eigenen Kindheit
den Schüler Holm ausdrücklich        und ist seit 2011 „Befehlsempfän-    bis zur Schattenseite des Großva-
für die provozierenden Wortbei-      ger des Sohnes“, der den Familien-   terseins. Gemeinsam erarbeiten
                                                                                                               10
Omas und Opas Tipps, wie Klip-         Beispiel, einer angeblichen Tu-       der Enkel hüten! Und den Eltern
pen umschifft werden können.           gend, die ihm als Fehler erscheint:   nicht zu sehr reinreden: „Rat-
Über fünf Generationen geht der        „Bedürfnislosigkeit zeigen“. Viele    schläge sind Schläge“ – wenn sie
Denkprozess: Die Erinnerung an         der älteren Generation würden         wie ein Trommelfeuer abgeschos-
eigene Großeltern soll helfen, bei     Bescheidenheit zur Tugend sti-        sen werden.
Konflikten mit Enkeln eine Eska-       lisieren. „Vor allem Frauen sind      Opa Holm zeigt Ausdauer, hört
lation zu verhindern.                  gefährdet, extrem altruistisch zu     auch nach Stunden noch auf-
Der Kurs ist nicht dazu da, aus        sein.“ Hasse will seine Schüler er-   merksam zu. Er hat nur einen der
Großeltern Elternersatz zu ma-         muntern, sich selbst zu vertrauen,    sechs Nachmittage geschwänzt
chen. Die eigene Rolle zu finden       „immer überlegen, was man vor-        – als eine Treibjagd anstand und
sei wichtiger: ein Paar zu sein, das   lebt“.                                er mit seiner Schrotflinte zu de-
anders ticken kann und darf als        Während der Klärung des Be-           ren Gelingen beitragen wollte. An
die Eltern. Um dabei „Echtheit         griffs ist Ellen Holm, die Frau       den übrigen Nachmittagen erfuhr
im Ausdruck“ zu erlangen, emp-         von Jens-Peter, ins Grübeln gera-     er Bestätigung darin, in seinem
fehlen die Kursunterlagen den an-      ten. Sie habe doch, sagt sie in die   Opa-Dasein auch ohne pädagogi-
gejahrten Schülern, Zufriedenheit      Runde, ihr Leben lang immer die       sche Anleitung durchaus korrekt
nicht nur mit der Stimme, son-         Mahlzeiten vorbereitet. Heute sei     gehandelt zu haben. Rein instink-
dern auch mit Gestik zu vermit-        das anders; da kochen und backen      tiv hatte er festgestellt, dass auf
teln. Neues auszuprobieren, aber       die Männer genauso. „War ich ein      seinem Hof „das Gefahrenpoten-
nur „Neues, das zu Ihnen passt“.       schlechtes Vorbild? Mein Mann         zial größer ist als in einer Stadt-
Holm schaut zufrieden auf diese        kann nicht einmal Essen kochen!“      wohnung“. Aus diesem Grund
Worte in seiner Mappe. Sie be-         „Doch“, poltert Holm dazwischen.      bremste er den Bewegungsdrang
reiten ihm keine Schwierigkei-         Man einigt sich auf Spiegeleier.      der ihm anvertrauten Kleinen
ten. Zu den Menschen, die sich         Der Unterhaltungswert des Kur-        dort, „wo man dazwischenfallen
verstellen, gehört er nicht. Eher      ses ist nun groß. Der Wandel der      konnte“. Im Gegenzug gab er Gas,
zur Spezies, die ohne Filter kom-      Geschlechterrollen ist ein stetes     wo er als erfahrener Begleiter den
muniziert. Er ist ein Demonstra-       Thema, er ebnet Anekdoten den         Nachwuchs ins Abenteuer schi-
tionsobjekt seiner eigenen Hal-        Weg in diesen Kurs. Das nimmt         cken konnte: Stolz steuerte der
tung. Mit erzieherischem Furor         all den Fehlern, die man als Groß-    sechsjährige Knirps den Trecker
– „Konsequenz! Sonst werden            vater machen kann, die Schwe-         samt Kartoffelroder übers Feld.
Grenzen überschritten“ – hat er        re und lässt letzte Hemmungen,        Am Ende läuft dieser Instinktopa
seinen Enkeln klargemacht, dass        offen über Schwächen zu reden,        gar zu psychologischer Höchst-
bei ihm zu Hause, anders als bei       zerbröseln.                           form auf. Als es um die Analyse
den Eltern, alles nur einmal gesagt    Doch Hasse schaut auf die Uhr.        von „Du-Botschaften“ geht („Du
wird. Die Gültigkeit von Gesag-        Er ist in Verzug, vieles muss er      bist ja immer noch nicht fertig!“),
tem, ist Großvater Holm über-          seinen Schülern noch beibrin-         fällt Jens-Peter Holm auf, dass
zeugt, steigt nicht mit der Anzahl     gen. Ruckzuck geht es daher           es sich „immer um eine negati-
der Wiederholungen.                    weiter. Er beschwört die Fähig-       ve Darstellung“ einer Situation
Als Vorbild, sagt Lehrer Hasse,        keit des Zuhörens, warnt davor,       handle. „Das erzeugt nur Ge-
lebe man seinen Enkeln etwas vor.      ernste Probleme eines Kindes zu       gendruck statt Zustimmung.“ Er
Verwirrung entsteht, als einige in     „bagatellisieren“, „wegzutrösten“,    überlegt kurz und schlägt vor, dass
der Runde nicht nachvollziehen         „wegzuwischen“. Hasse ermun-          man in solchen Fällen eine Ich-
können, warum auch Negativvor-         tert seine Schüler, sich nicht in     Form wählen sollte. Statt „Findest
bilder Vorbilder sein sollen. Man      die Defensive drängen zu lassen.      du das etwa lecker?“ könne man
lebe immer etwas vor, erklärt Has-     Großeltern sollen Einfluss neh-       doch sagen: „Ich glaube, das wür-
se. Er kramt im Kopf nach einem        men – sich aber vor dem Zutexten      de mir nicht schmecken.“
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Bevor Willi Hasse seine Schüler      An H. hat ihm gefallen, dass „du           nem Kopf. Ist all das, was er tut,
nach Hause entlässt, verteilt er     deine persönlichen Probleme of-            „im Sinne des Kinderschutzbun-
Zettel. Alle sollen aufschreiben,    fen angesprochen hast“. Als er             des“?, hatte Holm sich zu Beginn
was sie an anderen wahrgenom-        für jede Oma seinen Satz aufge-            des Kurses gefragt. Jetzt, mit Er-
men haben. Für Großmutter E.         schrieben hat, kriegt auch er einen        halt der Lizenz, glaubt er mit gu-
schreibt Holm auf: „Du hast auf-     verschlossenen Umschlag.                   tem Recht behaupten zu können:
merksam alles aufgenommen und        Den darf er erst zu Hause öffnen.          „Ja, ich bin in der Spur.“     n
dich an den Gesprächen betei-        Die wichtigste Erkenntnis aus
ligt. Positiver Gesamteindruck.“     diesem Kurs aber ist längst in sei-

                                             Quelle: http://www.zeit.de/2011/52/Opa-Crashkurs/komplettansicht [05.02.2014]

     Infobox
     Als Leihomas und Leihopas bezeichnet man ältere Menschen, die ehrenamtlich oder gegen ein
     geringes Entgelt bei der Kinderbetreuung mithelfen und damit Eltern unterstützen.

     altruistisch: selbstlos, aufopfernd

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