Deutscher Hebammenverband Schwangerenvorsorge durch Hebammen

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Deutscher Hebammenverband Schwangerenvorsorge durch Hebammen
Deutscher Hebammenverband
            Schwangerenvorsorge durch Hebammen
                                            Leseprobe
                           Schwangerenvorsorge durch Hebammen
                              von Deutscher Hebammenverband
                          Herausgeber: MVS Medizinverlage Stuttgart

                              http://www.unimedica.de/b17216

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      5      Erstuntersuchung

      Ute Lange, Renate Egelkraut, Susanne Teuerle

      Zum Spektrum der Hebammenleistungen gehört            5.1
      die Schwangerenvorsorge vom Beginn der                Schwangerschaftsnachweis

                                                                                                                Praxis
      Schwangerschaft bzw. vom ersten Vorsorgetermin
      an. In Deutschland ist es nicht selbstverständlich,   Ute Lange
      dass sich Frauen bereits früh in der Schwanger-
      schaft und ohne vorherigen Arztkontakt an eine        ! Die Bestätigung einer Schwangerschaft be-
      Hebamme wenden und um einen Termin zur Vor-                 ginnt stets mit der Zyklusanamnese und dem
      sorge bitten. Viele Frauen wechseln erst später             Erfragen der subjektiven Einschätzungen der
      und aus vielfältigen Gründen von der ärztlichen in          Frau.
      die hebammengeleitete Schwangerenvorsorge.
      Entsprechend weit ist die Spannbreite der Bedin-      Manche Frauen wünschen sich von der Hebamme
      gungen und Fragestellungen des ersten Kontaktes       Klarheit darüber, ob sie schwanger sind. Bei ent-
      von Hebamme und schwangerer Frau.                     sprechend klaren Indizien in der Anamnese kann
                                                            auf einen hormonellen Schwangerschaftstest ver-
      ! Der erste Termin dient u. a. der Klärung von        zichtet werden. Meist werden die Frauen einen
          Bedürfnissen und Wünschen der Schwangeren.        solchen Test aber erwarten, weil sie „objektive“
                                                            Befunde gewohnt sind.
      Mögliche Themen des ersten Kontakts:
                                                              Die    Diagnosemethoden     wie    hormonelle
      ● Erwartungen der Schwangeren an die Schwan-
                                                            Schwangerschaftstests oder eine Ultraschallunter-
        gerenvorsorge durch die Hebamme
                                                            suchung konkretisieren zu einem frühen Zeit-
      ● Voruntersuchungen bereits durchgeführt? Mut-
                                                            punkt die Gewissheit, schwanger zu sein. Immer
        terpass vorhanden?
                                                            wieder gibt es aber auch Frauen, die dies nicht
      ● Zusammenarbeit mit ÄrztIn gewünscht/notwen-
                                                            wünschen und die in ihrem eigenen Tempo in die-
        dig? Wenn ja, wer? Bewährte Kooperationen?
                                                            ses Gefühl hineinwachsen wollen.
      ● Ort (als Hausbesuch/in Praxis/Geburtshaus) und

        Rhythmus der Vorsorgeuntersuchungen
      ● Erreichbarkeit der Hebamme bei Problemen/           5.1.1    Zyklusanamnese
        Vertretungsregelungen mit Kolleginnen
                                                            Das Ausbleiben der Menstruation ist oftmals das
      ● Weitergehende Hebammenbetreuung (Kurs/Ge-
                                                            erste Anzeichen für eine Schwangerschaft. Aber
        burt/Wochenbett) möglich/gewünscht? → ggf. Ver-
                                                            auch andere Gründe können dafür verantwortlich
        mittlung an Kollegin für ergänzende Leistungen
                                                            sein.
      ● Anamneseerhebung (Kap. 4)
                                                              Folgende Faktoren können ebenfalls zu einem
                                                            Ausbleiben der Regel führen:
      Die im Folgenden aufgeführten Untersuchungen
                                                            ● Stress
      müssen nicht immer Bestandteil des ersten Kon-
                                                            ● Schlafmangel
      taktes sein, ihr Nutzen oder auch die Vermeidbar-
                                                            ● psychische Belastung/punktuell traumatische
      keit sind mit der Frau abzuwägen.
                                                              Erlebnisse
      ! Dem ersten Gespräch und der ersten körper-          ● Reisen und Klimawechsel

                                                            ● hormonelle Störungen
          lichen Untersuchung kommt eine besondere
                                                            ● Stillen
          Bedeutung zu, da sie einen prägenden Ein-
                                                            ● großer Gewichtsverlust
          fluss auf die weitere Betreuung und die Bezie-
          hung zwischen der schwangeren Frau und
          der Hebamme haben.

aus: Deutscher Hebammenverband, Schwangerenvorsorge durch Hebammen (ISBN 9783830455851) © 2014 Hippokrates Verlag
5 – Erstuntersuchung
80

         Die Zyklusanamnese dient neben der Diagnose             Bleibt die Hyperthermie als Wirkung des Gelbkör-
         einer Schwangerschaft der Bestimmung des vo-            perhormons länger als 16 Tage bestehen, ist die
         raussichtlichen Geburtstermins. Sie umfasst:            Frau mit großer Wahrscheinlichkeit schwanger
         ● Erfragen des 1. Tages der letzten Periode: Der        (▶ Abb. 5.1).
           1. Tag der letzten Periode ist eine wichtige             Eine lückenlos geführte Basaltemperaturkurve
           Grundlage zur Bestimmung des errechneten Ge-          ist eine der aussagekräftigsten Grundlagen für die
           burtstermins, da er häufiger als der Konzepti-        Terminbestimmung.
           onstermin bekannt ist.
         ● Dauer und Stärke der letzten Periode im Ver-
                                                                 5.1.3   Unsichere, wahrscheinliche
           gleich zu den vorausgegangenen Menstruati-                    und sichere Schwangerschafts-
           onsblutungen: In manchen Fällen kommt es in                   zeichen
           den ersten Schwangerschaftsmonaten zu „Pseu-
           domenstruationsblutungen“, die im bisherigen          Die Bedeutung der klassischen Zeichen zur Bestä-
           Rhythmus des Menstruationszyklus auftreten.           tigung einer Schwangerschaft (unsichere und
           Meistens sind diese Blutungen schwächer als           wahrscheinliche Schwangerschaftszeichen) hat
           die reguläre Menstruationsblutung. Sie können         sich gewandelt, da heute meist genauere Metho-
           dazu führen, dass die Frau das Stadium ihrer          den verfügbar sind. Da sie jedoch viele Symptome
           Schwangerschaft falsch einschätzt.                    zusammenfassen, die im inneren Erleben der Frau
         ● Regelmäßigkeit des Zyklus: Viele Frauen mens-         eine Rolle spielen und im ersten Kontakt geäußert
           truieren unregelmäßig. Der erste Tag der letzten      werden, haben sie einen Stellenwert als Ge-
           Periodenblutung ist dann nur begrenzt für eine        sprächsgrundlage und als Bestätigung der subjek-
           annähernd genaue Bestimmung des Geburtster-           tiven Wahrnehmungen der Schwangeren.
           mins verwertbar. Hat die Frau bis kurz vor der           Unsichere     Schwangerschaftszeichen     (all-
           Schwangerschaft hormonelle Antikonzeptiva             gemeine körperliche Symptome):
                                                                 ● morgendliche Übelkeit und Erbrechen
           eingenommen, ist die Angabe über die Zyklus-
                                                                 ● ungewöhnliche Essensgelüste
           länge bedeutungslos. Es muss mit verspäteten
                                                                 ● Schwindelgefühle, Kreislaufbeschwerden
           Ovulationen gerechnet werden.
         ● Übliche Zykluslänge: Viele Methoden zur Be-           ● Müdigkeit

           stimmung des voraussichtlichen Geburtster-            ● vermehrter Speichelfluss (Ptyalismus)

           mins gehen von einem 28-tägigen Zyklus aus.           ● häufiger Harndrang (Pollakisurie)

           Bei einer abweichenden Zykluslänge muss die           ● Obstipation

           Zahl der entsprechenden Tage abgezogen bzw.           ● psychische Veränderungen

           hinzugezählt werden.
                                                                 Wahrscheinliche Schwangerschaftszeichen
                                                                 (Veränderungen an den Geschlechtsorganen)
         5.1.2   Basaltemperaturkurve                            ● Lividität von Scheideneingang, Scheide

         Eine Basaltemperaturkurve ermöglicht eine relativ         und Muttermund
         sichere Aussage darüber, ob eine Frau schwanger         ● leichtere Dehnbarkeit der Scheide

         ist. Außerdem gibt sie Auskunft über den Zeitraum       ● samtartige Oberfläche der Scheidenwände

         der Konzeption und damit über den voraussicht-          ● Vergrößerung und Auflockerung der Gebärmut-

         lichen Geburtstermin des Kindes. Sie ist ein wich-        ter
         tiges Instrument der Schwangerschaftsdiagnostik.        ● Konsistenzwechsel der Gebärmutter bei der

                                                                   bimanuellen Untersuchung
         a Definition                                            ● vergrößerte druckempfindliche Brüste,
         Die Basaltemperatur entspricht der morgens vor            Vormilch
         dem Aufstehen rektal gemessenen Temperatur. Zum
         Zeitpunkt der Ovulation steigt diese um durchschnitt-
         lich 0,4–0,6 Grad an, um dann zur Menstruation wie-
         der abzufallen.

aus: Deutscher Hebammenverband, Schwangerenvorsorge durch Hebammen (ISBN 9783830455851) © 2014 Hippokrates Verlag
5.1 Schwangerschaftsnachweis
                                                                                                                          81

           °C
         37,6
                      Menstruation              Ovulation                       Menstruation            Ovulation
         37,4

         37,2

         37,0

         36,8

                                                                                                                          Praxis
         36,6

         a            28.                          14.                          28.                         14. Tag

           °C      letzte Menstruation          Ovulation
         37,6
                                                                                          Schwangerschaft
         37,4

         37,2

         37,0

         36,8

         36,6

         b            28.                          14.                          28.                         42. Tag

      ▶ Abb. 5.1 Basaltemperaturkurve, a normaler biphasischer Verlauf, b in der Frühschwangerschaft.

      Sichere Zeichen (medizinische Diagnostik oder                Ein positiver Test schließt eine Extrauteringravidi-
      Erspüren des Kindes)                                         tät nicht aus.
      ● hormoneller Schwangerschaftstest positiv                     Der Morgenurin enthält gewöhnlich die höchste
      ● Ultraschalluntersuchung                                    Konzentration von hCG und eignet sich daher be-
      ● Hyperthermie in der 2. Zyklushälfte über                   vorzugt zum Nachweis einer Schwangerschaft. Je-
        16 Tage (Basaltemperaturkurve)                             doch können auch Urinproben verwendet werden,
      ● Nachweis der kindlichen Herztöne                           die zu einem anderen Zeitpunkt gewonnen wur-
      ● Tasten von Kindsteilen                                     den. Weitere Details sind dem jeweiligen Beipack-
      ● Kindsbewegungen                                            zettel zu entnehmen.
                                                                     Schwangerschaftstests können über die Apothe-
                                                                   ke oder Drogerien erworben werden. Die Preise
      5.1.4     Hormoneller Schwangerschafts-                      variieren und liegen meist zwischen 4 und 10 €.
                test                                               Frühtests zur Anwendung vor dem Ausbleiben der
                                                                   Menstruation sind deutlich teurer (ca. 15–20 €).
      ! Moderne Schwangerschaftstests reagieren auf                  Schwangerschaftstests werden gewöhnlich bei
          das humane Chorion-Gonadotropin (hCG) im                 Raumtemperatur (15–28 °C) gelagert und sind un-
          Urin der Schwangeren. Bereits 7–10 Tage nach             gefähr 18 Monate lang haltbar. Bei der Anwendung
          der Konzeption werden Hormonkonzentratio-                unbedingt darauf achten, dass das Verfallsdatum
          nen im Urin erreicht, die den Nachweis einer             nicht überschritten ist! Die Krankenkassen über-
          Schwangerschaft ermöglichen.                             nehmen die Kosten nicht.

aus: Deutscher Hebammenverband, Schwangerenvorsorge durch Hebammen (ISBN 9783830455851) © 2014 Hippokrates Verlag
5 – Erstuntersuchung
82

         5.1.5   Frühultraschall
         Regulär führen Hebammen in Deutschland keine
         Ultraschalluntersuchungen durch. Dennoch wer-
         den sie im Rahmen ihrer beratenden Tätigkeit im-
         mer wieder mit den Ergebnissen und allgemeinen
         Fragen zu dieser Untersuchungsmethode konfron-
         tiert. Hebammen müssen wissen, für welche Diag-
         nostiken ein Ultraschall eingesetzt werden kann
         und welche Ultraschalluntersuchungen in den
         Mutterschaftsrichtlinien vorgesehen sind (zur Ef-
         fektivität und Problematik des Routine-Ultra-
         schalls siehe auch Kap. 9).
            Im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien ist die
         erste Ultraschalluntersuchung in der 9.–12. SSW
         vorgesehen. Folgende Fragestellungen sind Gegen-
         stand dieses Ultraschalltermins:
         ● intrauteriner Sitz ja/nein                        ▶ Abb. 5.2 Bimanuelle Untersuchung.
         ● Embryo darstellbar ja/nein

         ● V. a. Mehrlingsgravidität ja/nein

         ● Herzaktion ja/nein                                (▶ Abb. 5.2). Die Harnblase sollte während der Un-
         ● Biometrie I (ein Maß): Scheitel-Steiß-Länge       tersuchung leer sein. Der Uterus einer Erstgravida
            (SSL) oder biparietaler Durchmesser (BPD),da-    ist in der Regel kleiner als der einer Multigravida
            raus ergibt sich                                 in vergleichbarem Schwangerschaftsalter. Bei
         ● zeitgerechte Entwicklung                          einem retroflektierten Uterus ist die Größen-
            ja/nein/kontrollbedürftig                        beurteilung erschwert.
         ● Auffälligkeiten ja/nein/kontrollbedürftig             Durch die allgemeine Verfügbarkeit moderner
         ● Weiterführende Untersuchung veranlasst:           Diagnoseverfahren haben die Uteruszeichen in
            ja/nein                                          Deutschland und anderen Industrienationen ihre
                                                             Bedeutung verloren. Eine Interpretation der ma-
         Häufig wird das routinemäßige Ultraschall-Scree-    nuell ermittelten Befunde setzt außerdem Erfah-
         ning von den Schwangeren als obligatorisch hin-     rungswissen voraus, welches heute nur noch sel-
         genommen, mittlerweile sogar eingefordert und       ten gesammelt werden kann und muss. Im ersten
         gewünscht. Und das, obwohl der allgemeine Nut-      Trimenon der Schwangerschaft sind die Uteruszei-
         zen durchaus kritisch zu bewerten ist [3]. Hebam-   chen, sowohl was Aussagen bezüglich einer intak-
         men können die Mütter/Eltern darin unterstützen,    ten als auch einer möglicherweise gestörten
         eine informierte Entscheidung zu treffen.            Schwangerschaft betreffen, unter Vorbehalt zu se-
                                                             hen. Fehlinterpretationen waren auch zu Zeiten
         ! Bei Verdacht auf Anomalien (z. B. Blasen-         häufig, in denen mangels anderer Diagnostiken
             mole, Extrauteringravidität) oder Mehrlinge     mehr Erfahrung in der Beurteilung gesammelt
             wird die Hebamme gezielt zum frühen Ultra-      werden konnte [6].
             schall überweisen.                                 Unter Arbeitsbedingungen, in denen die Hebam-
                                                             me allein auf ihre Hände angewiesen ist bzw. die
                                                             Schwangere dies wünscht, stützen die Uteruszei-
         5.1.6   Uterine Schwangerschafts-
                                                             chen mit den erwähnten Einschränkungen die Di-
                 zeichen
                                                             agnose einer Schwangerschaft.
         In Lehrbüchern wird eine große Zahl verschie-          Uterine Schwangerschaftszeichen:
         denster Uteruszeichen beschrieben, die auf eine     ● Lividität des Scheideneingangs: besonders zwi-

         Schwangerschaft hinweisen. Sie werden alle durch       schen Klitoris und Harnröhre sowie direkt un-
         eine bimanuelle vaginale Untersuchung ermittelt

aus: Deutscher Hebammenverband, Schwangerenvorsorge durch Hebammen (ISBN 9783830455851) © 2014 Hippokrates Verlag
5.2 Bestimmung des voraussichtlichen Geburtstermins
                                                                                                                              83

          terhalb der Harnröhre, Lividität der gesamten
                                                                              IE/l
          Scheide                                                      200000
      ●   Osiander’sches Arterienzeichen: Die Pulsation
          des ab- bzw. aufsteigenden Astes der Arteria                 150000
          uterina ist durch Betasten der Kanten der Zervix                                             + 2 STD
                                                                                                       Mittelwert
          deutlich zu spüren.                                          100000                          – 2 STD
      ●   „Stock-Tuch-Zeichen“ nach Pschyrembel: Die
                                                                                                                hCG
          Portio ist, wird sie leicht zwischen zwei Fingern                50 000

                                                                                                                              Praxis
          zusammengedrückt, als ein derber Zylinder zu
                                                                                0
          tasten, der von einem weichen Gewebe umge-
                                                                                          10.      20.       30.        40.
          ben ist.                                                     a                    Schwangerschaftswoche
      ●   Gauß’sche Wackelportio: Bei der bimanuellen
          Untersuchung ist festzustellen, dass die Portio                     IE/l
          sich leicht durch die untersuchenden Finger ver-             100000                          Urinkonzentration
          schieben lässt, während der Fundus unbeweg-                      50 000
          lich bleibt.
                                                                                                     Serumkonzentration
                                                                           10 000
      Bei der Beurteilung der Uterusgröße gelten fol-
                                                                            5 000
      gende orientierende Kriterien:
                                                                                                       hCG      n = 317
      ● am Ende der 4. SSW: Uterus nicht oder nur un-
                                                                            1 000
        wesentlich vergrößert                                                        5.   10. 15.   20. 25.   30. 35.   40.
      ● am Ende der 6. SSW: Uterus nur wenig oder gar                  b                    Schwangerschaftswoche

        nicht vergrößert, aber aufgelockert
      ● am Ende der 8. SSW: Uterus etwa gänseeigroß
                                                                 ▶ Abb. 5.3 Verlaufskurven der Urinkonzentration (a) von
      ● am Ende der 12. SSW: Uterus etwa mannsfaust-             β-hCG während der Schwangerschaft in IE/l mit 2-facher
        groß, am Oberrand der Symphyse tastbar.                  Standardabweichung (STD) und der Serumkonzentration
                                                                 (b). Die höchsten Konzentrationen werden um die 12. SSW
                                                                 erreicht. Die Konzentration im Urin beträgt annähernd das
      5.1.7    hCG-Bestimmung                                    3-fache der Serumkonzentration.

      Die hCG-Werte im Blut der Mutter erreichen zwi-
      schen der 9. und 11. SSW ihren Höhepunkt und               5.2
      sinken im weiteren Verlauf wieder.                         Bestimmung des voraussicht-
        Die Indikation für eine Bestimmung des hCG im
                                                                 lichen Geburtstermins
      mütterlichen Blut ist an den Verdacht gekoppelt,
      dass die Schwangerschaft nicht intakt ist bzw. sich
                                                                 Ute Lange
      nicht wie gewünscht entwickelt. In der Regel wird
      die Hebamme die Schwangere dann an eine Gynä-              Der möglichst genauen Bestimmung des voraus-
      kologin/einen Gynäkologen überweisen und die               sichtlichen Geburtstermins wird eine große Be-
      weitere Diagnostik wie auch die hCG-Unter-                 deutung beigemessen. Der Termin ist u. a. zur Be-
      suchung nicht selber durchführen. Abweichungen             urteilung einer zeitgerechten Entwicklung des
      der hCG-Werte können auch auf eine Extrauterin-            Kindes und zur Bestimmung des gesetzlichen Mut-
      gravidität hinweisen.                                      terschutzes wichtig.
        Das Labor verschickt mit dem Ergebnis die zu                Die Bestimmung des voraussichtlichen Geburts-
      erwartenden Normalwerte. Diese entwickeln sich             termins sollte möglichst früh in der Schwanger-
      in den ersten Wochen rasant. Innerhalb von 2 Ta-           schaft erfolgen. Bei nachfolgenden Vorsorgen kön-
      gen sollte sich der Wert verdoppelt haben. Ein ein-        nen die Befunde mit dem Termin abgeglichen und
      zelner Wert ist aufgrund der großen Spannbreite            dieser bei Bedarf korrigiert werden. Bei der Er-
      der Normvariantenwerte nicht interpretierbar               mittlung des Geburtstermins handelt es sich stets
      (▶ Abb. 5.3).                                              nur um eine möglichst wirklichkeitsnahe Schät-

aus: Deutscher Hebammenverband, Schwangerenvorsorge durch Hebammen (ISBN 9783830455851) © 2014 Hippokrates Verlag
5 – Erstuntersuchung
84

         zung. Die individuelle Schwangerschaftsdauer va-      Bei bekanntem Eisprung oder Befruchtungszeit-
         riiert und lässt keine verlässliche Aussage über      punkt wird der Termin post conceptionem in An-
         den tatsächlichen Tag der Geburt des Kindes zu.       lehnung an die Naegele’sche Regel bestimmt:

         a Definition                                             Terminbestimmung post conceptionem
         Als zeitgerecht gilt eine Geburt zwischen der voll-
                                                                  Konzeptionstermin (Eisprung) – 7 Tage –
         endeten 37. und der vollendeten 42. SSW /37 + 0 und      3 Monate + 1 Jahr = errechneter Geburtstermin
         42 + 0 SSW.

         Auch wenn die Schwangere in einer fortgeschritte-     C Fallbeispiel
         nen Schwangerschaftswoche erstmalig zur Hebam-        Eine Schwangere hat einen regelmäßigen Menstru-
         me in die Vorsorge kommt und bereits ein voraus-      ationszyklus von 31 Tagen. Der Beginn der letzten
         sichtlicher Geburtstermin festgelegt wurde, lohnt     Periode war der 27.1.2014.
         sich eine Überprüfung dieses Termins und der          Bestimmung des errechneten Geburtstermins:
         ihn stützenden Befunde.                               27.1.2014 + 7 Tage – 3 Monate + 3 Tage +
            In den meisten Fällen wird zur Berechnung nur      1 Jahr = 6.11.2014
         das Datum der letzten Periode zur Verfügung ste-
         hen. Bei der „echten Schwangerschaftsdauer“
         (vom Tag der Befruchtung an) geht man von 267         5.2.2   Gravidarium
         Tagen aus.                                            In der Praxis hat sich der Gebrauch eines Gravida-
                                                               riums bewährt. Gravidarien erlauben während der
         5.2.1   Naegele-Regel                                 gesamten Schwangerschaft eine schnelle Bestim-
                                                               mung der Schwangerschaftswoche und enthalten
         Franz Naegele (1777–1851), Gynäkologe aus Hei-        häufig zusätzliche Informationen über Uterusgrö-
         delberg, hat die nach ihm benannte Regel zur Be-      ße, Größe des Kindes etc., so dass eine unkompli-
         stimmung des Geburtstermins entwickelt. Sie ist       zierte Orientierung ermöglicht wird. Es gibt meh-
         in nicht abgewandelter Form nur bei einem regel-      rere Scheiben, die man bestellen kann.
         mäßigen 28-tägigen Zyklus gültig.

                                                               5.2.3   Computergesteuerte
             Naegele-Regel
             (orientiert an Periodenblutung alle 28 Tage)
                                                                       Terminbestimmung
             1. Tag der letzten Periode + 7 Tage –             Abrechnungsprogramme für Hebammen ermög-
             3 Monate + 1 Jahr = errechneter Geburtstermin.    lichen eine Errechnung des voraussichtlichen Ge-
                                                               burtstermins. Es kann, falls erwünscht, ein Zeit-
         Ist die Periode im Durchschnitt länger oder kür-
                                                               plan ausgedruckt werden, der die an den Mutter-
         zer als 28 Tage, wird die Zahl der abweichenden
                                                               schaftsrichtlinien orientierten Untersuchungen
         Tage (X) hinzugezählt bzw. abgezogen. Der Zeit-
                                                               und Eckdaten der Betreuung bis zum Entbin-
         raum zwischen Eisprung und Periode ist mit 14 Ta-
                                                               dungstermin aufzeigt. Dieser kann mit der
         gen durch hormonelle Regelprozesse weitgehend
                                                               Schwangeren besprochen werden oder dient zur
         gleich, es variiert die präovulatorische Phase. Bei
                                                               eigenen Orientierung.
         einem unregelmäßigen Zyklus kann als Termin
                                                                  Im Internet errechnen mehrere Homepages den
         nur ein ungefährer Zeitraum angegeben werden.
                                                               Geburtstermin; es genügt, die entsprechenden
                                                               Stichworte in die Suchmaschinen einzugeben. Bei
             Erweiterte Naegele-Regel                          dem ständig wachsenden Angebot muss jede Heb-
             (bei Zyklen, die vom 28-Tage-Rhythmus             amme im Einzelnen prüfen, ob die ermittelten Da-
             abweichen):
                                                               ten brauchbar sind.
             1. Tag der letzten Periode + 7 Tage –
                                                                  Wie bei allen Berechnungsmethoden sind auch
             3 Monate + /– X Tage + 1 Jahr = errechneter
                                                               am Computer der letzte Tag der Periode und die
             Geburtstermin
                                                               Zykluslänge oder der Konzeptionstermin die
                                                               Grundlage der Terminbestimmung.

aus: Deutscher Hebammenverband, Schwangerenvorsorge durch Hebammen (ISBN 9783830455851) © 2014 Hippokrates Verlag
5.3 Beckendiagnostik
                                                                                                                 85

      5.2.4   Erste Kindsbewegungen                        5.3

      Nach den gängigen Lehrbüchern erkennen Erst-
                                                           Beckendiagnostik
      gebärende die Kindsbewegungen ab der 20. – 22.
      SSW, Mehrgebärende ab der 18. – 20. SSW. In der
                                                           Ute Lange
      Praxis äußern Schwangere jedoch große Abwei-         Um die Form des Beckens zu beurteilen, werden
      chungen von diesen Zeitangaben. Viele von ihnen      verschiedene Beckenpunkte mithilfe spezieller
      spüren ihr Kind bereits ab der 15. SSW, manche       Handgriffe oder eines Beckenzirkels gemessen. Die
      noch früher. Allerdings äußern die Frauen diese      inneren Beckenmaße sind nicht direkt feststellbar,

                                                                                                                 Praxis
      Wahrnehmungen nur dann, wenn ihnen und ih-           die äußeren Beckenmaße lassen aber Rückschlüsse
      rem Gespür Glauben geschenkt wird. Andere Frau-      auf die geburtsrelevanten knöchernen Anteile des
      en nehmen die Kindsbewegungen später als er-         inneren Beckens zu.
      wartet wahr. Unter anderem können ein hekti-
      scher Alltag, der die Aufmerksamkeit vom Körper      ! Weder die röntgenologische noch die kli-
      ablenkt, oder eine Vorderwandplazenta für dieses           nische Beckenmessung ist ausreichend ge-
      Phänomen verantwortlich sein.                              nau, um die Vorhersage eines relativen Miss-
                                                                 verhältnisses und einen elektiven Kaiser-
      ! Die bewusste Wahrnehmung der ersten                      schnitt auf der Grundlage dieser Messergeb-
         Kindsbewegungen stabilisiert das Vertrauen              nisse bei Schädellage zu rechtfertigen [2].
         der Frau in ihre Schwangerschaft.
                                                           Die Interpretation der Beckendiagnostik bedarf
                                                           daher einer sensiblen Wortwahl und sollte nicht
      5.2.5   Ultraschall                                  zu Prognosen bezüglich des Geburtsverlaufs füh-
      Eine Terminbestimmung durch Ultraschall ist am       ren.
      genauesten, wenn sie früh in der Schwangerschaft        Eine Ausnahme bildet eine bisweilen durch die
      durchgeführt wird.                                   Anamnese gestützte, grobe Abweichung der Be-
                                                           ckenform (z. B. nach Beckenbruch). Die objektive
      ! Etwa ab der 16. SSW gelten die Befunde als         Beckenproblematik sollte dann offen angespro-
         ungenau, da die Kinder dann entsprechend          chen und eventuell, falls noch nicht geschehen,
         ihren individuellen Voraussetzungen wach-         eine weitere Diagnostik durchgeführt werden. Vie-
         sen.                                              le in der Literatur dargestellten Beckenanomalien,
                                                           z. B. das rachitische Becken, spielen in den Indus-
      Eine exakte Terminbestimmung gehört zu den
                                                           trieländern heute nur noch eine geringe Rolle.
      wesentlichen Effekten eines Ultraschallscreenings
                                                              Die Ermittlung der Beckenmaße kann bei der
      im ersten Trimenon. Während in internationalen
                                                           Schwangeren den Eindruck erwecken, dass die Ge-
      klinischen Studien die Häufigkeit der Geburtsein-
                                                           burt primär durch den knöchernen „Geburtskanal“
      leitungen dadurch um bis zu 40 % gesenkt werden
                                                           bestimmt wird. Unberücksichtigt bleiben bei die-
      konnte, ist ein solcher Effekt des Frühultraschalls
                                                           ser Sichtweise die Anpassungsfähigkeiten des Kin-
      in Deutschland nicht zu beobachten [3].
                                                           des und des mütterlichen Beckenringes, die Be-
                                                           deutung der mütterlichen Weichteile und die an-
      5.2.6   Uterusgröße                                  deren komplexen, vielschichtigen Faktoren, die die
                                                           Geburt auf eindrucksvolle Weise beeinflussen. Ge-
      Sobald die Gebärmutter über der Symphyse zu
                                                           burt als dynamischer, lebendiger Prozess lässt sich
      tasten ist, sind die Kontrolle des Wachstums und
                                                           nicht durch Maße und Werte erfassen oder vor-
      eine Bestätigung oder Bestimmung des Geburts-
                                                           hersagen. Auch erfasst die Beckenmessung die Be-
      termins durch die Verlaufskurve leichter möglich.
                                                           deutung der Geburtsstellung für den Weg des Kin-
      Die zu erwartenden Höhenstände der Gebärmut-
                                                           des nicht.
      ter sind in Kap. 6.1.2 zu finden.
                                                              Andererseits ist gerade durch das Messen, Er-
                                                           fühlen und das Gespräch über die Beckenform ein
                                                           Zugang zu diesen Themen und die Chance der

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5 – Erstuntersuchung
86

         Aufklärung gegeben. Die Beckendiagnostik kann         Baumm’scher Handgriff
         Vertrauen in die Kräfte der Geburt vermitteln. Vie-   Der Baumm’sche Handgriff ermöglicht einen Ein-
         le Schwangere schätzen die intensive taktile Auf-     druck von den Beckenverhältnissen, sofern kein
         merksamkeit, die die Hebamme ihrem Becken             Beckenzirkel zur Verfügung steht.
         widmet, und nutzen die Chance, Ängste und inne-         Durchführung: Die Daumen werden auf die vor-
         re Bilder zu den Themen „Geburt“ und „Gebär-          deren oberen Darmbeinstacheln gelegt, Zeige- und
         fähigkeit“ zu äußern.                                 Mittelfinger ertasten mit leichtem Druck die Run-
                                                               dung von Darmbeinstachel und Darmbeinkamm.
         ! Jede Hebamme muss selber entscheiden, ob            Die Darmbeinstacheln sollten im Verhältnis zu
             sie den Verfahren der äußeren Beckenmes-
                                                               den Kämmen deutlich näher zusammenstehen.
             sung eine positive Wirkung auf den Betreu-
             ungsprozess zutraut. Wenn ihre negative
             Grundeinstellung überwiegt, sollte wegen          Michaeli’sche Raute
             der mangelnden Evidenz bezüglich des Nut-         Die Michaeli’sche Raute stellt sich normalerweise
             zens der Untersuchung keine Beckenmessung         als eine symmetrische, auf der Spitze stehende
             erfolgen.                                         Raute dar. Der obere Punkt wird durch eine Vertie-
                                                               fung über dem Dornfortsatz des 4. Lendenwirbels,
         Eine Untersuchung, die zusätzlich zu den Mess-
                                                               die seitlichen Punkte durch je ein Grübchen über
         methoden die gesamte Körperhaltung der Frau
                                                               den Spinae iliacae posteriores superiores (obere
         berücksichtigt, kann die Diagnose bestimmter
                                                               hintere Darmbeinstachel), der untere Punkt durch
         Schwangerschaftsbeschwerden erleichtern (z. B.
                                                               den Beginn der Analfalte gebildet.
         Rückenschmerzen, Symphysenschmerzen). So
                                                                  Die Michaelis-Raute ist am leichtesten bei seit-
         können therapeutische oder prophylaktische
                                                               lich einfallendem Licht zu beurteilen (▶ Abb. 5.4).
         Maßnahmen eingeleitet und der Blick für den wei-
                                                               Abweichungen von der beschriebenen Form lassen
         teren Verlauf der Schwangerschaft geschärft wer-
                                                               auf Verziehungen des Beckens schließen
         den.
                                                               (▶ Abb. 5.5).
           Als wirkungsvolle Therapien bei Asymmetrien
         des Beckens, Symphysenschmerzen oder Hal-
         tungsfehlern haben sich u. a. die Cranio-Sacral-      Äußere Beckenmaße
         Therapie, Osteopathie und Haptonomie bewährt.         Mit dem Beckenzirkel lassen sich die äußeren Be-
         Es empfiehlt sich, die Angebote vor Ort zu kennen     ckenmaße bestimmen (▶ Abb. 5.6 und ▶ Abb. 5.7).
         und die Frauen, sofern die vorsorgende Hebamme        ● Distantia spinarum: Abstand zwischen den
         nicht selber über entsprechende Ausbildungen            Darmbeinstacheln, soll 25–26 cm betragen
         verfügt, zu entsprechenden TherapeutInnen oder        ● Distantia cristarum: Abstand zwischen den
         Kolleginnen zu vermitteln.                              Darmbeinkämmen, im Normalfall 28–29 cm
                                                               ● Distantia trochanterica: Abstand zwischen den

         5.3.1   Methoden der äußeren                            Rollhügeln der Oberschenkelknochen, beträgt
                 Beckenmessung                                   31–32 cm. Die Abstände zwischen den einzel-
                                                                 nen Quermaßen betragen beim normal geform-
         Spreizhandgriff                                          ten Becken jeweils 3 cm.
         Der Spreizhandgriff soll klären, ob der Abstand        ● Conjugata externa: In Seitenlage wird vom obe-

         der vorderen oberen Darmbeinstacheln (Spinae            ren Rand der Symphyse bis zum obersten Punkt
         iliacae ant. sup.) normal oder verkürzt ist.            der Michaelis-Raute gemessen, der Abstand soll-
            Durchführung: Bei maximal gespreizter Hand           te 19–20 cm sein. Rückschlüsse auf die Conjuga-
         wird der Daumen auf einen Darmbeinstachel ge-           ta vera beim Abzug von 8–9 cm sind sehr unge-
         legt, der kleine Finger sollte den anderen Darm-        nau.
         beinstachel nicht erreichen können. Zugrunde ge-
         legt wird eine Spreizung von 20 cm.

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5.3 Beckendiagnostik
                                                                                                                             87

                                                                                                                             Praxis
      ▶ Abb. 5.4 Michaelis-Raute

                                                                ▶ Abb. 5.6 Äußere Beckenmessung mit dem Beckenzirkel.

                                                                                                            2
                                                                                                             1
                              c    a
                                        d

                                                                                                                 3
                                   b

                  1
                                                                           a

              2                                                                               5
                                         3

                                                                                                       4

                          4

                                                                           b
      ▶ Abb. 5.5 Michaelis-Raute am Skelett
      1. Michaelis-Raute am Skelett bei normalem Becken
                                                                ▶ Abb. 5.7 Äußere Beckenmessung.
      a Dornfortsatz des 3. oder 4. Lendenwirbels,
                                                                a 1 Distantia spinarum (25–26 cm), 2 Distantia cristarum
      b oberster Punkt der Analfurche,
                                                                (28–29 cm), 3 Distantia trochanterica (31–32 cm),
      c und d Grübchen der Spinae iliacae post. sup.
                                                                b 4 Conjugata externa (ca. 20 cm), 5 Conjugata vera (nicht
      2. Michaelis-Raute bei einem plattrachitischen Becken
                                                                äußerlich messbar).
      3. Michaelis-Raute bei einem allgemein verengten Becken
      4. Michaelis-Raute bei einem schräg verengten Becken.

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5 – Erstuntersuchung
88

         5.3.2   Innere Untersuchung des                          5.4
                 Beckens                                          Blutdruckmessung
         Für die innere Untersuchung des Beckens gelten
                                                                  Siehe Kap. 6.4
         die gleichen Vorbehalte wie für die äußere Unter-
         suchung, die Beurteilung setzt Erfahrung voraus.
           Die Hebamme kann sich durch eine vorsichtige           5.5
         Austastung einen Eindruck von der Geräumigkeit
         des Beckens verschaffen. Das Steißbein sollte frei
                                                                  Urinuntersuchung auf Bakterien
         beweglich, das Promontorium nicht erreichbar
                                                                  Susanne Teuerle
         sein. Die Spinae ossis ischii sollten nicht in den Be-
         ckenraum einspringen.                                    Harnweginfekte (HWI) erhöhen das Risiko einer
                                                                  Frühgeburt. Mit einem Routinescreening bei allen
                                                                  symptomlosen Schwangeren zum Aufspüren einer
         5.3.3   Retroflektierter Uterus
                                                                  asymptomatischen Bakteriurie wird das Ziel ver-
         10 % aller Frauen haben eine retroflektierte Gebär-      folgt, das Auftreten von HWI zu reduzieren.
         mutter. Die Abknickung des Uterus in Richtung               Allerdings ist nicht belegt, dass ein Screening
         Kreuzbein bei erhaltener Beweglichkeit stellt eine       mit einer anschließenden Antibiotikatherapie bei
         physiologische Variante dar und hat keine Kon-           einem positiven Befund einen ausreichenden Vor-
         sequenzen für die Geburt. Die meisten Schwange-          teil für die Senkung der HWI- und der Frühgebur-
         ren sind durch vorausgegangene gynäkologische            tenrate hat. Ein Nachteil dieses Vorgehens ist, dass
         Untersuchungen über ihre anatomische Besonder-           zahlreiche Schwangere unnötigerweise eine Anti-
         heit informiert und teilen bei der Anamneseerhe-         biotikagabe erhalten.
         bung mit, dass sie eine „nach hinten gerichtete Ge-         Im Ländervergleich sind die Empfehlungen un-
         bärmutter“ haben.                                        terschiedlich:
           In den meisten Fällen richtet sich die Gebärmut-       ● In den deutschen Mutterschaftsrichtlinien ist

         ter während des 1. Trimenons ohne Hilfe in das              zur Diagnostik einer asymptomatischen Bakte-
         große Becken auf, ab der 18. SSW kann sie nicht             riurie vorgesehen, bei jeder Vorsorgeunter-
         mehr in das kleine Becken „zurückfallen“. Kommt             suchung das Urinsediment zu untersuchen und,
         dieser Mechanismus nicht in Gang, klemmt der                falls hier Hinweise auf eine bakterielle Infektion
         Uterus ein. Dies führt primär zu Symptomen an               bestehen, eine bakteriologische Untersuchung
         der Blase, zu Harnverhalt und erschwerter Harn-             vorzunehmen [27]. Interessanterweise ist in der
         entleerung. Schwangere mit einem retroflektier-             Praxis nicht zu beobachten, dass diese Routine
         ten Uterus sollten über die Frühsymptome einer              in der ärztlichen Schwangerenvorsorge durch-
         ausbleibenden Aufrichtung informiert werden.                geführt wird. Im Mutterpass ist auch keine Do-
                                                                     kumentationsvorgabe für diese Untersuchung
             Cave
                                                                     zu finden.
             Wenn sich der Uterus nicht von alleine auf-
                                                                  ● In den NICE Guidelines [28] wird zur Erprobung
             richtet, ist zur Vermeidung der Inkarzerati-
                                                                     eines Screeningverfahrens routinemäßig nur bei
             on eine baldige Behandlung durch eine/n
                                                                     der Erstuntersuchung eine bakteriologische Un-
             Frauenarzt/-ärztin mit manueller Aufrich-
                                                                     tersuchung durch Anlegen einer Urinkultur
             tung und eventuell dem Einlegen eines Pes-
                                                                     empfohlen. Eine Sedimentuntersuchung wird
             sars notwendig.
                                                                     aufgrund der ungenauen Ergebnisse nicht emp-
                                                                     fohlen (75 % der Frauen mit Bakteriurie werden
                                                                     durch die Sedimentuntersuchung nicht erkannt).
                                                                  ● Die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwis-

                                                                     senschaft wiederum kommt nach Prüfung der
                                                                     derzeitig vorliegenden Evidenzen zu dem
                                                                     Schluss, dass auch im Rahmen der Schwange-

aus: Deutscher Hebammenverband, Schwangerenvorsorge durch Hebammen (ISBN 9783830455851) © 2014 Hippokrates Verlag
5.6 Body-Mass-Index (BMI)
                                                                                                                       89
                                                               5.6
        renvorsorge genauso wie bei nicht schwangeren
        Frauen eine Untersuchung erst dann sinnvoll ist,       Body-Mass-Index (BMI)
        wenn Symptome vorliegen. Sie empfiehlt, falls
        sich evidenzbasiert doch ein möglicher Vorteil         Ute Lange
        belegen ließe, zur Erprobung eines Screening-          Bei der Erstuntersuchung (möglichst bis zur 12.
        verfahrens eine einmalige Untersuchung nicht           SSW) kann der Body-Mass-Index der Frau als Aus-
        per Sediment, sondern per Urinkultur nach dem          gangswert bestimmt werden (▶ Abb. 5.8). Bei
        ersten Trimenon anzubieten [29].                       Frauen gilt ein BMI von 20–25 als normal. Von

                                                                                                                       Praxis
                                                               einer Adipositas spricht man bei einem BMI über
      Durchführung:                                            30.
         Falls sich die Schwangere nach Aufklärung zur
      Sachlage für ein Screening entscheidet, sollte wie
                                                                     Body-Mass-Index
      folgt vorgegangen werden:
      ● Eventuell sollte die Frau zuvor etwas zu trinken                     Körpergewicht ðkgÞ
                                                                     BMI ¼
         erhalten, falls die Blase nicht ausreichend gefüllt                 ðKörperlänge ½mÞ2
         ist. Wenn ein Urinsammelbehälter verwendet
         wird, Deckel öffnen und Innenseite nach außen
         legen.
                                                               C Fallbeispiel
                                                               Eine Frau hat bei der ersten Untersuchung ein
      ● Zunächst eine kleine Urinmenge in die Toilette
                                                               Gewicht von 64 kg. Sie ist 1,62 m groß.
         ablassen, anschließend den Urin im Behälter
                                                               Berechnung des BMI:
         auffangen, halb füllen, den Rest in die Toilette
                                                               64 : (1,62 × 1,62 ) = BMI 24,4.
         geben. Prinzipiell sollte immer der Mittelstrahl-
                                                               Fazit: Die Frau ist normalgewichtig.
         urin und möglichst mindestens 20–50 ml auf-
         gefangen werden (knapp ein halber Becher voll).       Der BMI kann helfen, den subjektiven Eindruck
         So ist der Urin nicht zu stark konzentriert, was      der Hebamme von einem möglichen Über- bzw.
         sich auch auf das Ergebnis auswirken kann.            Untergewicht der Schwangeren zu objektivieren.
      ● Den Behälter sofort verschließen, gekühlt und
                                                               Bei Frauen an der Grenze zu Gewichtsproblemen
         so rasch wie möglich (in der Regel spätestens         ist unsere Einschätzung stark von der Kleidung
         nach 6 Stunden) mit dem Auftrag, eine Urinkul-        und Körperhaltung des Gegenübers abhängig. Der
         tur anzulegen, dem Labor übermitteln.                 BMI erleichtert eine fundierte Aussage über echte
      ● Wie bei allen Entnahmen wird die Probe mit Da-
                                                               Abweichungen vom Normalgewicht.
         tum und Uhrzeit der Entnahme sowie Name                  Die Meinungen über die erstrebenswerte Ge-
         und Geburtsdatum der Schwangeren beschrif-            wichtszunahme in der Schwangerschaft variieren
         tet. Ergebnisse sind etwa 24 Stunden nach Anle-       stark. Sie werden auch von kulturell geprägten
         gen der Kultur zu erwarten.                           Vorstellungen beeinflusst. In unserer Gesellschaft
                                                               sind schlanke bis magere Frauen als Schönheits-
          k Praxistipp                                         ideal allgegenwärtig. Schwanger-sein im Sinne
          Das genaue Vorgehen bei Entnahme und Trans-          von „Fraulich-Werden“ wird häufig als problem-
          port der Urinprobe muss mit dem untersuchen-         besetzt empfunden. Gewichtskontrollen können
          den Labor abgestimmt werden. Zuverlässige Er-        besonders bei Frauen mit einer bestehenden oder
          gebnisse sind nur dann zu erwarten, wenn Urin-
                                                               anamnestischen Essstörung verunsichernd wirken
          gewinnung, Transport und evtl. Aufbewahrung
                                                               und zu Rückfällen führen.
          genau nach Vorschrift durchgeführt werden.
                                                                  Regelmäßige Gewichtskontrollen werden in
      Bei einem positiven Befund (Keimzahl ab 105/ml)          der HebGV ausdrücklich als Leistung der Schwan-
      ist die Schwangere zur Hausärztin/Gynäkologin zu         gerenvorsorge erwähnt, obwohl der Nutzen nicht
      überweisen. Hier sollte zur Verifizierung des Befun-     nachgewiesen ist.
      des etwa eine Woche nach der Erstuntersuchung               Es gilt, die Aspekte der Gewichtskontrolle beim
      zunächst eine Wiederholung des Tests erfolgen.           ersten Vorsorgetermin zu thematisieren. Die The-

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5 – Erstuntersuchung
90
                                                                                  ▶ Abb. 5.8 Ermittlung des Body-
             Körperlänge in cm                              Körpergewicht in kg   Mass-Index.

                    125               Körpermassenindex                150
                                      (Body-Mass-Index)                140
                    130                                                130
                                                   70                  120
                    135                            60                  110
                                    > 30
                    140                            50                  100
                                                                       95
                    145                                                90
                                                   40                  85
                    150                                                80
                                                                       75
                    155             27 – 30        30                  70
                                    25 – 27                            65
                    160
                                    20 – 25                            60
                    165                            20                  55
                                   17,5 – 20
                    170                                                50
                                    < 17,5
                    175
                                                                       45
                    180
                                                                       40
                    185
                                                   10                  35
                    190
                    195
                                                                       30
                    200
                                     schweres Übergewicht
                    205
                                     mäßiges Übergewicht
                    210                                                25
                                     leichtes Übergewicht
                                     Normalgewicht
                                     Untergewicht
                                     Magersucht

         men „Essgewohnheiten“ und „Gewichtsideal“ be-            Sehr plötzlich auftretende massive Ödeme als
         rühren äußerst private Bereiche der Schwangeren.       mögliche Vorboten einer Präeklampsie können
         Kulturelle und religiöse Themen sowie der Um-          auch ohne routinemäßige Gewichtskontrollen di-
         gang mit Körperlichkeit, Sexualität und Zugehörig-     agnostiziert und sekundär durch eine engmaschi-
         keit zu einer gesellschaftlichen Schicht schwingen     ge Gewichtsbestimmung bestätigt werden.
         mit, auch wenn sie nicht ausdrücklich angespro-          Hat die Schwangere im ersten Trimenon einen
         chen werden. Entsprechend offen und sensibel            BMI von ≥ 30 oder unter 18, sollte dies in der all-
         sollte die Gesprächsführung zu diesem Thema            gemeinen Beratung über Ernährung und Lebens-
         sein.                                                  führung berücksichtigt werden. Die Notwendig-
           Falls die betreuende Hebamme trotz mangeln-          keit und der Nutzen weitergehender Untersuchun-
         der Evidenzen nicht auf Gewichtsangaben verzich-       gen oder Beratungen werden im Einzelfall unter-
         ten will, können diese von der Schwangere selber       schiedlich sein.
         ermittelt werden (z. B. wiegen zu Hause oder in
         der Apotheke). Der Kontrollcharakter kann da-
         durch gemindert werden.

aus: Deutscher Hebammenverband, Schwangerenvorsorge durch Hebammen (ISBN 9783830455851) © 2014 Hippokrates Verlag
Deutscher Hebammenverband
                                  Schwangerenvorsorge durch
                                  Hebammen

                                  368 Seiten, kart.
                                  erschienen 2014

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