DIALOG GLOBAL INITIATIVE "KOMMUNALES KNOW-HOW FÜR NAHOST" Deutsch-türkische Städtepartnerschaften zur Stärkung von Aufnahmekommunen für ...

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DIALOG GLOBAL INITIATIVE "KOMMUNALES KNOW-HOW FÜR NAHOST" Deutsch-türkische Städtepartnerschaften zur Stärkung von Aufnahmekommunen für ...
DIALOG GLOBAL
INITIATIVE „KOMMUNALES KNOW-HOW FÜR NAHOST“
Deutsch-türkische Städtepartnerschaften zur Stärkung von
Aufnahmekommunen für Geflüchtete in der Türkei | Nr. 64
DIALOG GLOBAL INITIATIVE "KOMMUNALES KNOW-HOW FÜR NAHOST" Deutsch-türkische Städtepartnerschaften zur Stärkung von Aufnahmekommunen für ...
Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW)
Telefon +49 228 20717-2670
info@service-eine-welt.de
www.service-eine-welt.de

Dialog Global – Schriftenreihe der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW), Heft 64

Inhaltlich verantwortlich: SKEW, Dr. Stefan Wilhelmy
Projektleitung: Angela König
Texte: Bülent Arslan, Fabian Papp, Stefanie Wulff, Angela König
Titelfoto: Ansicht über Istanbul © xxoktayxx, Pixabay
Gestaltung: designlevel 2, www.designlevel2.de
Druck: Bonifatius GmbH

Bonn, Oktober 2021

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit vorheriger Genehmigung des Herausgebers. Die Reihe „Dialog Global“
wird finanziell gefördert durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
sowie die Bundesländer Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

Um die Lesbarkeit zu vereinfachen, sind in der vorliegenden Publikation die zur Gleichstellung der Geschlechter
gebräuchlichen Schreibweisen nicht durchgängig verwendet worden. Sofern sich aus dem Kontext nicht explizit
anderes ergibt, sind bei allen geschlechtsbezogenen Bezeichnungen selbstverständlich immer alle Geschlechter
gleichermaßen angesprochen.
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DIALOG GLOBAL
INITIATIVE „KOMMUNALES KNOW-HOW FÜR NAHOST“
   Deutsch-türkische Städtepartnerschaften zur Stärkung von
   Aufnahmekommunen für Geflüchtete in der Türkei | Nr. 64
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DIE INI T I AT I V E „KOMMUN A L E S K NO W-HO W F ÜR N A HOS T “

               INHALT

               Vorwort  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 5
4
               1. Die Initiative „Kommunales Know-how für Nahost“ und ihre deutsch-türkischen Projekte  .  .  .  .  . 7
                     1.1. Berlin Friedrichshain-Kreuzberg – Istanbul Kadıköy (2019) .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 10
                     1.2. Mannheim – Kilis (2017, 2019-2021) .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .12
                     1.3. Osnabrück – Çanakkale (2019, 2021-2022)  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 14
                     1.4. Berlin Tempelhof-Schöneberg – Mersin Mezitli (2019) .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 16
                     1.5. Schwäbisch Hall – Karesi (2019)  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 18
                     1.6. Berlin Treptow-Köpenick – Eskişehir Tepebaşı (2018)  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 20

               2. Gastbeitrag der GIZ: Bilaterale Zusammenarbeit mit Aufnahmekommunen von
                     Geflüchteten in der Türkei .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 22

               3. Rahmenbedingungen und Handlungsempfehlungen für kommunale deutsch-türkische
                     Projektpartnerschaften  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 27
                     3.1. Basiswissen: Soziodemografische und -ökonomische Daten  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 28
                     3.2. Kommunale Struktur und Handlungsspielräume heute  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 30
                     3.3. Die Rolle der Zivilgesellschaft in der Türkei  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 34
                     3.4. Das Mediensystem der Türkei  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 38
                     3.5. Herausforderungen: Flucht & Migration  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 41

               4. Geschichtliche Hintergründe und ihr Einfluss auf die politische Kultur der heutigen Türkei  .  .  .  . 45

               Anhang
                     Informationen für den Aufenthalt  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 54
                     Abkürzungsverzeichnis  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 55
                     Literaturverzeichnis  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 56
                     Förderer und Kooperationspartner – die Beteiligungsstruktur der SKEW  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 63
                     Publikationen der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 64
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VORWORT

VORWORT

Liebe Leserinnen und Leser,
                                                                                                                           5

kommunale Partnerschaften sind Ausdruck des
gelebten Miteinanders, der interkulturellen
Zusammenarbeit und des gemeinsamen Lernens.

Angesichts der aufgrund der Migrationsgeschichte                                                           Dr. Stefan Wilhelmy
engen Verbindungen zwischen Deutschland und                                                                © Martin Magunia
der Türkei kommt den Partnerschaften zwischen
Kommunen aus diesen beiden Ländern eine
besondere Bedeutung zu. Die Vielfalt der kommu-       tragen die Hauptlast der humanitären Krise. In
nalen deutsch-türkischen Beziehungen reicht von       der Türkei sind circa vier Millionen geflüchtete
freundschaftlichen Kontakten über eine begrenzte      Menschen registriert, davon 3,6 Millionen Syre-
Projektpartnerschaft bis zu langjährigen Partner-     rinnen und Syrer. Die meisten von ihnen leben in
schaften auf Basis formeller Verträge. Schülerinnen   Kommunen im Südosten der Türkei oder im
und Schüler, Menschen aus Partnerschafts-,            Großraum Istanbul. Das Land steht an erster
Sport-, Umwelt- und Kulturvereinen begegnen           Stelle der Aufnahmeländer.
sich, lernen sich kennen und erhöhen ihre inter-
kulturelle Kompetenz. Fachleute aus der Stadtver-     Der Großteil der Geflüchteten lebt in Städten und
waltung und kommunalen Unternehmen tauschen           Gemeinden. Die Kommunen vor Ort stehen vor
ihr Wissen aus und engagieren sich in gemeinsa-       einer Vielzahl von Herausforderungen in der Auf-
men Projekten. Auf die Entwicklung und Umset-         rechterhaltung der Basisversorgung bei den kom-
zung gemeinsamer Projekte ausgerichtete Part-         munalen Kernaufgaben sowohl für die einheimi-
nerschaften sind bisher in der Minderheit. Das        sche Bevölkerung als auch für die Geflüchteten.
Gros bilden Städtepartnerschaften und -freund-        Es mangelt vor allem an Ressourcen, aber auch
schaften. In der Datenbank des Rats der Gemein-       an Know-how, um zum Beispiel die Abfallwirt-
den und Regionen Europas (RGRE) haben sich            schaft, die Wasser- und Energieversorgung und
aktuell 84 Städtepartnerschaften und -freund-         die kommunale Verwaltung zu stärken. Auch
schaften zwischen deutschen und türkischen            sozio-ökonomische und gesellschaftliche Heraus-
Kommunen registriert. Insgesamt geht man              forderungen der Integration sind groß.
schätzungsweise von circa 100 kommunalen
Partnerschaften zwischen beiden Ländern aus.          Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministe-
Darüber hinaus gibt es Interesse von weiteren         rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
deutschen und türkischen Kommunen, neue               Entwicklung (BMZ) 2016 die Initiative „Kommu-
Beziehungen aufzubauen, voneinander zu lernen         nales Know-how für Nahost“ (IKKN) ins Leben
und gemeinsam an den Zielen der Agenda 2030           gerufen und die Servicestelle Kommunen in der
zu arbeiten.                                          Einen Welt (SKEW) von Engagement Global (EG)
                                                      mit der Durchführung beauftragt; bis Ende 2018
Seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien mussten       erfolgte die Umsetzung in Zusammenarbeit mit
mehr als sechs Millionen Frauen, Männer und           Connective Cities, der gemeinsamen internationa-
Kinder ins Ausland fliehen. Die meisten registrier-   len Städte-Plattform der Deutschen Gesellschaft
ten Geflüchteten leben in den Nachbarländern          für internationale Zusammenarbeit (GIZ), des
Türkei, Libanon und Jordanien. Diese drei Länder      Deutschen Städtetags und der SKEW.
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DIE INI T I AT I V E „KOMMUN A L E S K NO W-HO W F ÜR N A HOS T “

               Deutsche Kommunen sollen im Rahmen der Aus-              Diese Publikation geht auf dieses Bedürfnis nach
               landskomponente der IKKN als entwicklungspoli-           mehr Informationen ein und stellt unterschiedli-
               tische Akteurinnen unterstützt werden, um ihr            che Facetten der aktuellen Situation und ihrer
               Know-how zur Stärkung und Stabilisierung der             Genese dar.
6              Situation in den türkischen, libanesischen und
               jordanischen Aufnahmekommunen einzusetzen.               Die kommunale Partnerschaftsarbeit steht in
               Dabei stehen der fachliche Austausch und die             einem engen Zusammenhang mit den Maßnah-
               konstruktive Zusammenarbeit für die gemein-              men der bilateralen Zusammenarbeit der GIZ mit
               same Entwicklung von lokalen Lösungsansätzen             Aufnahmekommunen syrischer Geflüchteter in
               im Mittelpunkt. Gleichzeitig profitieren auch die        der Türkei und ergänzt diese. Durch engen Aus-
               deutschen Kommunen im Rahmen des Aus-                    tausch und gemeinsame Veranstaltungen fördert
               tauschs. Sie lernen andere Herangehensweisen             die IKKN die Kooperation. Einen Überblick über
               zum Umgang mit und zur Integration von                   die Maßnahmen und Wirkungen der Programme
               Geflüchteten kennen, ihre interkulturelle Kompe-         der GIZ erhalten Sie in unserem Gastbeitrag ab
               tenz wird gestärkt und sie erhalten ein besseres         Seite 22.
               Verständnis für globale Zusammenhänge.
                                                                        Wir freuen uns, Ihnen darüber hinaus die Partner-
               In Deutschland lebende Migrantinnen und Mig-             schaftsprojekte, die in den letzten Jahren im Rah-
               ranten bringen sich in die Projekte ein und haben        men der IKKN umgesetzt wurden, vorstellen zu
               diese in einigen Fällen auch mit initiiert. Diese        können. Die deutsch-türkischen Projekte der
               Zusammenarbeit stärkt den gesellschaftlichen             IKKN sind anschauliche Beispiele eines neuen
               Zusammenhalt. Im Rahmen der Inlandskompo-                Selbstverständnisses der lokalen Zusammenar-
               nente der IKKN werden deutsche Kommunen bei              beit in globaler Verantwortung.
               der Qualifizierung von syrischen Geflüchteten in
               deutschen Kommunalverwaltungen unterstützt.              Wir hoffen, Ihnen somit interessante und nützliche
               Die Kommunen bieten mehrmonatige Praktika in             Informationen zur Verfügung stellen zu können,
               verschiedenen Abteilungen der Kommunalverwal-            und wünschen eine anregende Lektüre.
               tung an, in denen Themen vermittelt werden, die
               für einen zukünftigen Wiederaufbau von Kommu-
               nen in Syrien relevant sind.

               In den Landeskundekursen der IKKN zur Türkei
               wurde von den Teilnehmenden aus den Kommu-
               nen immer wieder betont, wie hilfreich das Wis-
               sen über den historischen, politischen und sozia-        Dr. Stefan Wilhelmy
               len Hintergrund des Landes für die Entwicklung           Leiter Servicestelle Kommunen in der Einen Welt
               und Interaktion in den Projektpartnerschaften ist.       (SKEW)

                                                                                                               © istockphoto.com/seb_ra
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KAPITELHEADLINE

1. DIE INITIATIVE „KOMMUNALES
   KNOW-HOW FÜR NAHOST“                    7

   UND IHRE DEUTSCH-TÜRKISCHEN
   PROJEKTE
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DIE INI T I AT I V E „KOMMUN A L E S K NO W-HO W F ÜR N A HOS T “

               Die Mitte 2016 durch das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammen-
8
               arbeit und Entwicklung (BMZ) ins Leben gerufene Initiative „Kommunales
               Know-how für Nahost“ (IKKN) fördert im Rahmen ihrer Auslandskompo-
               nente kommunalen Wissensaustausch und den Aufbau und die Weiterent-
               wicklung kommunaler Projektpartnerschaften zwischen deutschen Kommu-
               nen und den Aufnahmekommunen in Jordanien, im Libanon sowie in der
               Türkei. Die IKKN wird von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt
               (SKEW) von Engagement Global umgesetzt; bis 2018 in Zusammenarbeit mit
               Connective Cities – der Internationalen Städte-Plattform für Nachhaltige
               Entwicklung, die kommunale Expertinnen und Experten aus Deutschland und
               Nahost in einen intensiven Fachaustausch gebracht hat.

               Für die Zusammenarbeit mit Kommunen in Jorda-            Aktuell sind im Netzwerk der IKKN 47 deutsche
               nien, im Libanon und in der Türkei stehen folgende       Kommunen aktiv. Seit 2017 konnten im Rahmen
               Angebote zur Verfügung:                                  der finanziellen Förderung der IKKN, den Schnell-
                                                                        starterpaketen Nahost I und II, insgesamt 34
                Beratung und Unterstützung bei der Gestaltung          kommunale Partnerschaftsprojekte geplant, bera-
                   und Weiterentwicklung bestehender sowie bei          ten und umgesetzt werden, davon sechs deutsch-
                   der Anbahnung neuer kommunaler Partner-              türkische. Ab 2022 ist die Überführung des Schnell-
                   schaften, auch zur Antragstellung von Förder-        starterpakets I Nahost in das SKEW-Instrument
                   projekten                                            „Kleinprojektefonds“ (KPF) und ab 2023 die des
                                                                        Schnellstarterpakets II in das Instrument „Nach-
                Förderung von Wissensaustausch zu Themen               haltige Kommunalentwicklung durch Partner-
                   der kommunalen Daseinsvorsorge und von               schaftsprojekte“ (Nakopa) vorgesehen.
                   bilateralen Projektpartnerschaften (Schnellstar-
                   terpakete Nahost), wie zum Beispiel Projektpla-
                   nungsworkshops, Fachaustausch, Hospitationen
                   und Entsendungen

                Qualifizierung und Vernetzung, wie zum Bei-
                   spiel länderspezifische, interkulturelle sowie
                   antragsrelevante Fortbildungen sowie Vernet-
                   zungstreffen
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1 . D I E I N I T I AT I V E U N D I H R E D E U T S C H -T Ü R K I S C H E N P R O J E K T E

Die bisherigen Projekte im Rahmen der IKKN ori-          bauen (Berlin Friedrichshain-Kreuzberg – Istanbul
entieren sich an den Bedarfen und Kompetenzen            Kadıköy, Osnabrück – Çanakkale, Berlin Tempel-                                            9
der beteiligten Kommunen und liegen bei den              hof-Schöneberg – Mersin Mezitli, Schwäbisch-Hall
deutsch-türkischen Partnerschaftsprojekten in            – Karesi). Die Zusammenarbeit der Akteurinnen
den Bereichen Gesundheitswesen, Bildung, Inte-           und Akteure aus Mannheim und Kilis sowie Berlin
gration, Umweltschutz und Stadtentwicklung.              Treptow-Köpenick und Eskişehir Tepeba şı fußt auf
Die Ausgangssituation der Zusammenarbeit war             der Grundlage der Projektarbeit. Berlin Treptow-
dabei sehr unterschiedlich. Die meisten Partner-         Köpenick und Eskişehir Tepebaşı haben im Prozess
kommunen konnten ihre Projektarbeit auf eine             der Planung der Projektpartnerschaft einen Ver-
langjährig bestehende Städtepartnerschaft auf-           trag über eine Städtepartnerschaft abgeschlossen.

Übersicht der deutsch-türkischen Projektpartnerschaften
(gefördert über Schnellstarter-Pakete)

                                                                                                             Stand: Mai 2021
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                        1.1. BERLIN FRIEDRICHSHAIN-KREUZBERG –
                             ISTANBUL KADIKÖY (2019)
10
                        Gesundheitsversorgung in Kadıköy verbessern

                        Der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und      Die Fachleute beider Kommunen waren sofort
                        der Istanbuler Bezirk Kadıköy pflegen bereits seit    interessiert, im gemeinsamen Austausch etwas
                        1996 eine Städtepartnerschaft. 2018 entstand in       für die kommunale Daseinsvorsorge und die sozi-
                        der Partnerschaft der Wunsch, sich vertieft zur       ale Kohäsion in ihren Kommunen zu tun. Auch
                        sozialen und gesundheitlichen Situation von           im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg leben zahlrei-
                        Geflüchteten sowie Bewohnerinnen und Bewoh-           che geflüchtete Menschen. Gemeinsam wurde
                        nern des Stadtbezirks auszutauschen. Die beiden       nach Möglichkeiten gesucht, voneinander zu ler-
                        Kommunen erhofften sich dadurch auch Impulse          nen und übertragbare Versorgungskonzepte für
                        zur Verbesserung der Lebenssituation der syri-        die Geflüchteten zu identifizieren. Die Versor-
                        schen Geflüchteten, die zurzeit in den Ruinen des     gungssysteme und Zuständigkeiten in beiden
                        Stadtteils Fikirtepe wohnen. Viele vor dem Bür-       Bezirken sind jedoch sehr unterschiedlich. Zum
                        gerkrieg geflüchtete Menschen ließen sich in den      Beispiel sind die türkischen Kommunen anders
                        letzten Jahren hier nieder. Die meisten Häuser        als ihre deutschen Partnerkommunen nicht zustän-
                        stehen schon länger leer und sollen abgerissen        dig für Geflüchtete, sondern die formale Verant-
                        werden. Die Mehrheit der Geflüchteten sind            wortung liegt bei der Zentralregierung in Ankara
                        Frauen und Kinder, die auf Familienzusammen-          beziehungsweise beim Landrat (Kaymakam). Die
                        führung mit ihren bereits in andere Länder            Versorgung und Integration ist jedoch eine konti-
                        geflüchteten Männern hoffen. Ihre Lebenssitua-        nuierliche Herausforderung für die lokalen kom-
                        tion ist gefährlich und prekär.                       munalen Dienste und die Stadtgesellschaft. Die
                                                                              Akteurinnen und Akteure in Kadıköy setzen bei
                                                                              der Versorgung der Geflüchteten daher auf eine
                                                                              enge kommunale Kooperation mit NROs im Rah-
                                                                              men der Freiwilligenarbeit.

       Projektanbah-
     nung Delegation
     Mai 2018 Berlin,
       © Bezirksamt
      Friedrichshain-
       Kreuzberg von
               Berlin
1 . D I E I N I T I AT I V E U N D I H R E D E U T S C H -T Ü R K I S C H E N P R O J E K T E

Expertinnen und Experten aus den Gesundheits-              präventive Lösungen in den Bereichen Gesund-
und Sozialämtern, Sozialarbeiterinnen und Sozial-          heit, soziale Entwicklung und psychosoziale
arbeiter, Ärztinnen und Ärzte sowie Mitarbei-              Dienste gehen. Doch die Corona-Pandemie
tende von NROs beteiligten sich gemeinsam an               bremste das Vorhaben zunächst aus. „Aber wir
Fachkonferenzen, Planungsworkshops und Hospi-              haben den festen Willen, die begonnene gute
tationen. „Es war sehr wertvoll, dass sich die Ver-        Zusammenarbeit künftig fortzusetzen“, so Knut
waltungen der Kommunen auf diesem Niveau                   Mildner-Spindler. Durch den Austausch der kom-                                                 11
austauschen konnten“, so der ehemalige stellver-           munalen Expertinnen und Experten aus Kadıköy
tretende Bezirksbürgermeister Knut Mildner-                und Berlin untereinander und mit den ehren- und
Spindler. „Die deutsch-türkischen Beziehungen              hauptamtlichen Mitarbeitenden von NROs aus
sind momentan auf Staatsebene angespannt.                  beiden Bezirken wurde die Zusammenarbeit der
Doch auf kommunaler Ebene sind Treffen und                 Kommunen mit NROs und Ehrenamtlichen
Austausch auch in schwierigen Zeiten möglich.              bereits gestärkt.
Man merkt: Wir haben gemeinsame Probleme
und Themen.“ Der Fachaustausch, der über die               Dass der Austausch auch in Zeiten von COVID-19
sonst üblichen freundschaftlichen Begegnungen              weiterhin stattfindet, zeigte sich zuletzt mit
hinausging, stärke die Städtepartnerschaft auch            einem digitalen Bürgermeister-Fachaustausch am
insgesamt, so der stellvertretende Bezirksbürger-          23. Juni 2021. Diesen haben die Berliner Bezirke
meister.                                                   Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte gemeinsam
                                                           mit den Istanbuler Bezirken Kadıköy sowie
Ziel des Projektes war, die unterschiedlichen Ver-         Beyoğlu (Partnerschaft mit Berlin Mitte) organi-
sorgungsstrukturen vor Ort kennenzulernen und              siert. Ausgetauscht haben sich die vier Innen-
das Personal für die medizinische und psychoso-            stadtbezirke zum Thema „Nutzung des öffentli-
ziale Unterstützung der Menschen zu qualifizie-            chen Raums in Großstädten: Herausforderungen
ren sowie die Ehrenamtsstrukturen auszubauen.              und Strategien im Umgang mit ihnen“. Das virtu-
Das Projekt wurde gefördert mit Mitteln des                elle Pilotprojekt diente auch dazu, neue Themen,
Schnellstarterpakets I Nahost – und sollte erst            Konzepte und Ideen über die bestehenden Part-
der Anfang sein. Die Partnerkommunen wollten               nerschaftsaktivitäten hinaus zu forcieren, um die
direkt im Anschluss an das Projekt Ende 2019 an            langjährigen Beziehungen noch weiter zu versteti-
einem Folgeprojekt arbeiten. Dabei sollte es um            gen und zu intensivieren.

                                                                                                                                      Delegationsreise
                                                                                                                                      Gesundheitsamt
                                                                                                                                      Mitarbeitende
                                                                                                                                      nach Kadıköy Juni
                                                                                                                                      2019
                                                                                                                                      © Bezirksamt
                                                                                                                                      Friedrichshain-
                                                                                                                                      Kreuzberg von
                                                                                                                                      Berlin
DIE INI T I AT I V E „KOMMUN A L E S K NO W-HO W F ÜR N A HOS T “

                         1.2. MANNHEIM – KILIS (2017, 2019–2022)

                         Integration durch Bildung – Kommunen und Religions-
12
                         gemeinschaften arbeiten zusammen beim Aufbau eines
                         Gemeinschaftszentrums für Frauen

                         Mit dem Ziel, die Bildungs- und Berufschancen         rinnen und Vertreter beider Städte begleiteten die
                         von geflüchteten sowie einheimischen Frauen zu        Projektpartnerschaft von Beginn an intensiv. So
                         verbessern, schlossen die Städte Mannheim und         konnte auch ein intensiver Wissenstransfer über
                         Kilis 2017 eine entwicklungspolitische Projekt-       die Projektpartnerschaft hinausgehende Themen-
                         partnerschaft.                                        bereiche der Geflüchteten-Arbeit ermöglicht wer-
                                                                               den. Das in den Beziehungen aufgebaute Vertrauen
                         Kilis liegt in unmittelbarer Grenznähe zu Syrien.     half, auch in schwierigen Situationen die Projekt-
                         Hier leben sehr viele syrische Geflüchtete. Zu        partnerschaft fortzuführen und nach vorne zu
                         einer Bevölkerung von 90.000 Menschen in Kilis        blicken. Konkret geht es in der mit Mitteln der
                         kamen seit Beginn des Bürgerkriegs rund 130.000       Schnellstarterpakete I und II Nahost geförderten
                         Syrerinnen und Syrer hinzu. Die Initiative, einen     Projektpartnerschaft darum, die Bildungsangebote
                         Beitrag zu ihrer sozialen Integration in die türki-   für Frauen zu erweitern und die Qualität von Bil-
                         sche Gesellschaft zu leisten, ging von der migran-    dungsangeboten der bereits existierenden Weiter-
                         tischen Organisation „Arbeitskreis Islamischer        bildungszentren für geflüchtete und einheimische
                         Gemeinden Mannheim“ (AKIG) aus. Ehrenamtli-           Frauen zu verbessern. Begegnungen und Beratung
                         che des AKIG unterstützen die Partnerschaft           sollen ermöglicht werden, um damit bessere
                         aktiv und nehmen sowohl in sprachlicher als           Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Neben kom-
                         auch in interkultureller Hinsicht eine wichtige       munalen Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen sind
                         Mittlerrolle in der Kommunikation zwischen den        auch berufliche Lehrkräfte beider Städte in die
                         beiden Projektparteien ein. Kommunale Vertrete-       Projektpartnerschaft eingebunden.

     Links: Türkische
      Ausbilderinnen
        vertiefen ihre
    fachspezifischen
 Qualifikationen im
     Frisörhandwerk
   im Rahmen eines
  Workshops an der
  Justus-von-Liebig
  Schule (Dez. 2017)
 Mitte: Blick auf die
           Stadt Kilis
 © Stadt Mannheim
1 . D I E I N I T I AT I V E U N D I H R E D E U T S C H -T Ü R K I S C H E N P R O J E K T E

Mit der Umsetzung des Schnellstarterpakets I           Im Projektverlauf stellten aktuelle politische Ent-
konnten exemplarisch die Voraussetzungen in            wicklungen die Projektpartnerschaft immer wie-
einem der zwölf „Multi-Service-Zentren“ in Kilis       der vor Herausforderungen. So machten es Ver-
verbessert werden. Aufbauend auf einer im Rah-         haftungen deutscher Staatsbürgerinnen und -bür-
men des Projektes durchgeführten Bedarfsana-           ger in der Türkei und kriegerische Handlungen in
lyse des lokalen Arbeitsmarktes und der Bildungs-      der Region Kilis für deutsche Teilnehmende
situation geflüchteter Frauen in Kilis tauschten       unmöglich, zu einem geplanten Workshop in die                                               13
sich die kommunalen Fachleute und die Bildungs-        Partnerkommune zu reisen. Die in Kilis geplante
expertinnen und -experten in Workshops aus und         Weiterbildungsmaßnahme wurde daher nach
arbeiteten gemeinsam an der Diversifizierung der       Mannheim verlegt.
Angebote und Kurse. Als ein Ergebnis soll das
Angebot an Spracherwerb und niederschwelligen          Bevor Ende 2019 der mit einem Schnellstarterpa-
Qualifizierungsangeboten, zum Beispiel in Fri-         ket II finanzierte Aufbau eines modernen, bil-
seurhandwerk, Kosmetik, Textil und Nahrung, in         dungsorientierten kommunalen Gemeinschafts-
einem neuen Zentrum um Kurse in Alltagsbetreu-         zentrums für die neuen und alteingesessenen
ung in der Altenpflege, hauswirtschaftliche Quali-     Einwohnerinnen in Kilis begonnen wurde, muss-
fikationen und Kinderpflege ergänzt werden. In         ten die einzelnen Fortbildungsmodule mit dem
zwei Workshops, die in Mannheim und Kilis statt-       türkischen Bildungsministerium ausgehandelt
fanden, erarbeiteten Expertinnen und Experten          werden. Kinderbetreuung und soziale Beratung
aus beiden Städten eine Strategie zur Förderung        ergänzen das Fortbildungsangebot. Damit ent-
der sozialen und wirtschaftlichen Integration der      stand im September 2021 in Kilis ein weiterer
geflüchteten Frauen. Beratungs- und Gesprächs-         Ort für Begegnung und Beratung, Austausch und
angebote sind wichtige Bestandteile der Strategie.     Bildung. Die gute Zusammenarbeit der Verwal-
                                                       tung der Stadt Mannheim mit dem Arbeitskreis
Die zweite wichtige Projektkomponente fokussierte      Islamischer Gemeinden hat viel zum bisherigen
sich auf die Qualifizierung des Lehrpersonals.         Erfolg des Projektes beigetragen und das ehren-
Lehrkräfte einer kooperierenden Mannheimer             amtliche Engagement sowie die Integration von
Berufsschule führten die Workshops nach dem            Migrantinnen und Migranten auch in Mannheim
„Train the Trainer“-Ansatz durch. Im Anschluss         gestärkt.
haben die türkischen Ausbilderinnen ihr Wissen
als Multiplikatorinnen weitergegeben. Langfristig
geht es nun darum, in Anlehnung an das deutsche
Vorbild das duale Ausbildungssystem in der Türkei
zu fördern.

                                                                                                                                  Besichtigung des
                                                                                                                                  Grundstücks durch
                                                                                                                                  kommunale Exper-
                                                                                                                                  tinnen und Experten
                                                                                                                                  der Stadt Mannheim
                                                                                                                                  und der Stadt Kilis
                                                                                                                                  für den geplanten
                                                                                                                                  Bau des beruflichen
                                                                                                                                  Zentrums in Kilis
                                                                                                                                  (Juli 2017)
                                                                                                                                  © Stadt Mannheim
DIE INI T I AT I V E „KOMMUN A L E S K NO W-HO W F ÜR N A HOS T “

                       1.3. OSNABRÜCK – ÇANAKKALE
                            (2019, 2021-2022)
14
                       Interkommunaler Austausch zu Migration und
                       Integration von Geflüchtetengemeinschaften arbeiten
                       zusammen beim Aufbau eines Gemeinschaftszentrums
                       für Frauen

                       Die Verbesserung der Unterstützung von sozial         Im Fokus des Projekts stand der gegenseitige
                       benachteiligten Frauen und Kindern mit und            Know-how-Transfer. In Workshops und bei
                       ohne Fluchthintergrund in Çanakkale durch die         Besichtigungen tauschten sich deutsche Verant-
                       Entwicklung geeigneter Integrationsmaßnahmen          wortliche aus der Stadtverwaltung, dem Integrati-
                       ist das Ziel der geförderten Projektpartnerschaft     onsbereich, der Sozialverwaltung, dem Bildungs-
                       zwischen Osnabrück und Çanakkale.                     büro, dem Büro für Friedenskultur sowie der
                                                                             Arbeitsverwaltung mit Kolleginnen und Kollegen
                       Beide Kommunen pflegen bereits seit 2004 eine         türkischer Stadtverwaltungen, Ratsmitgliedern
                       Städtepartnerschaft. Die Partnerstädte sind mit       und NROs aus. Auch die Oberbürgermeister bei-
                       einer Bevölkerung von jeweils circa 170.000 Ein-      der Städte nahmen an den Veranstaltungen teil.
                       wohnerinnen und Einwohnern ungefähr gleich            „Wir haben sehr schnell viele Gemeinsamkeiten
                       groß, wirtschaftlich relativ stabil und haben eine    entdeckt, auch wenn die gesetzlichen Rahmenbe-
                       eher liberale und aufgeschlossene Bevölkerung.        dingungen in den Ländern unterschiedlich sind“,
                       Çanakkale liegt in der Transitzone nach Griechen-     sagt Seda Rass-Turgut, Leiterin des Fachbereichs
                       land. Die Mehrheit der Geflüchteten hier sind         Integration, Soziales und Bürgerengagement in
                       Frauen und Kinder, die auf Familienzusammen-          Osnabrück, die unter anderem für die Städtepart-
                       führung mit den bereits nach Europa geflüchteten      nerschaft mit Çanakkale zuständig ist. Wertschät-
                       Männern hoffen.

      Gemeinsamer
       Workshop in
 Çanakkale mit dem
 Oberbürgermeister
    der Stadt, Ülgür
            Gökhan
  © Esra Sakinmaz,
  Seda Rass-Turgut
1 . D I E I N I T I AT I V E U N D I H R E D E U T S C H -T Ü R K I S C H E N P R O J E K T E

                                                                                                                                                      15

                                                                                                                                       Pause im Osna-
                                                                                                                                       brücker Stadthaus
                                                                                                                                       während eines
                                                                                                                                       gemeinsamen
                                                                                                                                       Workshops
                                                                                                                                       © Johanna Lehmann

zung füreinander und für die Arbeit der anderen             Die positiven Erfahrungen, das neu entwickelte
zu entwickeln, sei eine sehr wertvolle Erfahrung            Bewusstsein füreinander und die vertieften per-
für alle Beteiligten gewesen. „Das Projekt hat der          sönlichen Kontakte legten den Grundstein für die
Partnerschaftsarbeit eine ganz neue Qualität                Entwicklung und Ausarbeitung weiterführender
gegeben.“                                                   Projektideen: Eine Gemeinschaftseinrichtung in
                                                            Çanakkale soll einheimischen und geflüchteten
Die deutsche Seite profitierte von den Erfahrun-            Frauen und anderen benachteiligten Personen-
gen der türkischen Seite, wie mit pragmatischen             gruppen einen geschützten Ort der Begegnung
Ansätzen die Aufnahme von Geflüchteten schnell,             bieten. Es soll Beratung bei häuslicher Gewalt,
aktiv und flexibel organisiert werden kann. In der          aber auch Mentoring-Programme für junge Men-
Türkei zeigten sich die deutschen Gäste beein-              schen in der Ausbildung und viele weitere Bil-
druckt von einer Einrichtung für syrische Geflüch-          dungsangebote geben. Von diesem Vorhaben ver-
tete im sozial benachteiligten Istanbuler Stadtteil         sprechen sich die Partnerkommunen wertvolle
Sultanbeyli, der zusätzlich zu den geflüchteten             Impulse für mehr interkulturelles Miteinander in
Syrerinnen und Syrern auch viele Binnenmigran-              Çanakkale. „Außerdem haben sich die Kollegin-
tinnen und Binnenmigranten aus dem Osten der                nen und Kollegen Unterstützung beim Integrati-
Türkei aufgenommen hat. Allerdings gibt es auch             onsmanagement gewünscht“, so Seda Rass-Tur-
ausgeprägte Vorbehalte den Geflüchteten gegen-              gut. Um nachhaltige Strukturen für das Thema
über und viele wirtschaftliche Probleme.                    Integration zu etablieren, soll unter anderem eine
                                                            eigene Abteilung innerhalb der Sozialverwaltung
Die türkischen Projektteilnehmenden gewannen                von Çanakkale aufgebaut werden. Die Maßnah-
während ihres Aufenthaltes in Osnabrück Einbli-             men werden seit 2021 in einem Folgeprojekt im
cke in das erfolgreich etablierte lokale Integrati-         Rahmen des Schnellstarterpakets II Nahost wei-
onsmanagement und die Netzwerkarbeit vor Ort.               tergeführt und umgesetzt.
Sie vertieften durch Besichtigungen und in den
Diskussionen mit ihren Kolleginnen und Kollegen
ihr Verständnis für interne Abläufe in der deut-
schen Kommune und erlebten, wie verschiedene
Fachverwaltungen kooperieren. Auch die Netz-
werkarbeit der Kommune mit NROs, die Arbeit
des Migrationskompetenzzentrums der Akademie
Überlingen und das Wirken des Quartiersma-
nagements in einem stark migrantisch geprägten
Viertel Osnabrücks stießen auf viel Interesse.
DIE INI T I AT I V E „KOMMUN A L E S K NO W-HO W F ÜR N A HOS T “

                         1.4. BERLIN TEMPELHOF-SCHÖNEBERG –
                              MERSIN MEZITLI (2019)
16
                         Kommunaler Erfahrungsaustausch für eine bessere
                         Integration geflüchteter Menschen aus Syrien

                         Die Erfahrungen in der Integration Geflüchteter        ausforderung dar, nicht zuletzt, weil bei der
                         auszuwerten und darauf aufbauend verbesserte           Ankunft der Geflüchteten kaum Daten erhoben
                         Integrationsmaßnahmen und nachhaltige Integra-         wurden und daher nur wenig über ihre tatsächli-
                         tionsstrukturen aufzubauen, war das Anliegen           chen Lebensumstände und Bedürfnisse bekannt
                         der Projektpartnerschaft Berlin Tempelhof-Schö-        ist.
                         neberg und Mezitli. Beide Bezirke verbindet seit
                         2012 eine lebendige Städtepartnerschaft.               Das Projekt startete mit einer vierwöchigen Hos-
                                                                                pitation der türkischen Stadtplanerin und Refe-
                         Seit 2010 sind viele Menschen aus Syrien nach          rentin des Bezirksbürgermeisters von Mezitli in
                         Mezitli gekommen. In dem circa 200.000 Ein-            der Verwaltung von Tempelhof-Schöneberg. Im
                         wohnerinnen und Einwohner zählenden dicht              Rahmen der Hospitation besuchte die Fachkraft
                         besiedelten Bezirk leben mittlerweile rund 30.000      zahlreiche Einrichtungen der Geflüchteten-Arbeit
                         registrierte und vermutlich noch einmal 30.000         und diskutierte mit Mitarbeitenden, Ehrenamt-
                         nicht registrierte Geflüchtete. Ihre nachhaltige       lichen und Geflüchteten vor Ort. Es ging dabei
                         soziale Integration in Wirtschaft und Gesellschaft     sowohl um Stadtplanung und Quartiersmanage-
                         stellt für die Verwaltung in Mezitli eine große Her-   ment als auch um die Arbeit von Nachbarschafts-

        Besuch in den
   Hobbygärten – die
     Idee dazu wurde
  aus der Tempelhof-
        Schöneberger
 Gartenarbeitsschule
  und den Hobbygär-
   ten des Quartiers-
       managements
         mitgebracht
        © Bezirksamt
 Tempelhof-Schöne-
       berg von Berlin
1 . D I E I N I T I AT I V E U N D I H R E D E U T S C H -T Ü R K I S C H E N P R O J E K T E

                                                                                                                                                      17
zentren, um Strukturen und Organisation in                 kann. Bei einem zweiten Fachaustausch in Berlin
Geflüchtetenunterkünften und um die Zusam-                 besuchte die türkische Delegation verschiedene
menarbeit von Ehrenamtlichen und Verwaltung                Einrichtungen vor Ort und konkretisierte zusam-
zur Unterstützung geflüchteter Menschen. Außer-            men mit den Berliner Partnerinnen und Partnern
dem konnte sie sich an Aktivitäten im Fachbereich          die Überlegungen aus dem ersten Workshop.
Stadtplanung, insbesondere im Bereich der Sozial-
raumorientierung des Berliner Bezirks, beteiligen.         Als eine Maßnahme zur verbesserten Integration
Ihre „Lessons learnt“ brachte sie später in die            möchte die Verwaltung von Mezitli in Zusammen-
Stadtverordnetenversammlung in Mezitli ein und             arbeit mit Berlin Tempelhof Schöneberg ein Haus
wurde zur zentralen Ansprechperson für das                 des Ehrenamtes aufbauen. Die durch die Projekt-
Design einer Datenerhebung und Studie zur                  partnerschaft gefestigten Strukturen der Zusam-
Lebenssituation von Geflüchteten und dem Blick             menarbeit und der stattgefundene Wissenstrans-
der Mehrheitsgesellschaft auf die Geflüchteten.            fer werden zu einer erfolgreichen Umsetzung bei-
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie wurden in            tragen.
einer Broschüre veröffentlicht.

Auf einem Workshop in Mezitli zur Auswertung
der Studienergebnisse entwickelten die Teilneh-
menden aus Politik und Verwaltung in Mezitli und
Berlin gemeinsame Überlegungen, wie auf die
konkrete Situation der Geflüchteten und ihre Be-
darfe von Seiten der Kommunen reagiert werden

                                                                                                                                      Die Delegation aus
                                                                                                                                      Berlin mit Hürrem
                                                                                                                                      Betül Levent Erdal
                                                                                                                                      (Referentin und
                                                                                                                                      Strategic Deve-
                                                                                                                                      lopment Planner)
                                                                                                                                      und Lehrkräften
                                                                                                                                      der Schule in der
                                                                                                                                      der Internationalen
                                                                                                                                      Arabischen NINOVA-
                                                                                                                                      Schule
                                                                                                                                      © Bezirksamt
                                                                                                                                      Tempelhof-Schöne-
                                                                                                                                      berg von Berlin
DIE INI T I AT I V E „KOMMUN A L E S K NO W-HO W F ÜR N A HOS T “

                1.5. SCHWÄBISCH HALL – KARESI (2019)
                Zusammenarbeit für eine saubere Umwelt
18
                Schon seit 2006 pflegen Schwäbisch Hall und              Eine zweite Delegation bestand aus einer Gruppe
                Karesi eine Städtepartnerschaft. Um den Umwelt-          türkischer Schülerinnen und Schüler. Durch
                schutz in der Stadt zu stärken und alle Menschen         Exkursionen und gemeinsame Aktivitäten sam-
                in der Stadt dabei mitzunehmen, starteten die            melten sie viele Eindrücke und gründeten im
                Kommunen mit Mitteln des „Schnellstarterpakets           Anschluss in Karesi eine Umweltschutzgruppe.
                I Nahost“ ein Projekt zur Trennung und Vermei-           Die Schülerinnen und Schüler setzten sich zum
                dung von Müll sowie zur Bewusstseinsbildung für          Beispiel für das Aufstellen von Pfandflaschen-
                das Thema Umweltschutz. Standen bisher zumeist           Automaten in Karesi ein. Gemeinsam mit geflüch-
                der kulturelle Austausch und offizielle Anlässe im       teten Jugendlichen stellten sie bei einem Work-
                Vordergrund, eröffnete das Projekt neue Wege             shop Brieftaschen aus Tetra Paks her und schärf-
                der Zusammenarbeit, wobei auch die Verwaltun-            ten so das Bewusstsein für die Möglichkeiten des
                gen wieder verstärkt ins Gespräch miteinander            Upcyclings.
                kamen.
                                                                         Unvorhergesehene Entwicklungen zwangen die
                In der industriell geprägten Großstadt Karesi mit        Projektkommunen zu Änderungen des geplanten
                ihren circa 180.000 Einwohnerinnen und Einwoh-           Verlaufs. Bei der Kommunalwahl im März 2019
                nern entstanden in den letzten Jahren viele Neu-         wurde in Karesi ein neuer Bürgermeister gewählt.
                baugebiete. Viel Bauschutt, wenig Recyclingmög-          Viele Verwaltungsangestellte wechselten in
                lichkeiten und ein insgesamt erhöhtes Müllvor-           andere Bereiche. Durch zeitliche Verzögerungen
                kommen stellten die Stadt vor Herausforderungen.         konnte eine Delegationsreise deutscher Fachleute
                Die beiden Partnerkommunen vereinbarten des-             nach Karesi zunächst nicht stattfinden. Doch die
                halb, Karesi durch Expertenaustausch im Bereich          Neubesetzungen in der Stadtverwaltung gaben
                Müllvermeidung, Sortierung und Entsorgung zu             der Partnerschaft auch neue Impulse. Manche
                unterstützen. Zugleich sollte es beim Projekt um         Kontakte im Bereich Schulaustausch, Bürger-
                die Sensibilisierung junger Menschen für Nach-           schafts- oder Delegationsreisen waren aufgrund
                haltigkeitsthemen gehen.                                 der aktuellen politischen Situation in der Türkei
                                                                         zuletzt schwieriger und seltener geworden. „Nun
                Zielgruppen des Projekts waren zum einen Exper-          haben wir neue Ansprechpersonen und können
                tinnen und Experten aus beiden Stadtverwaltun-           die Arbeit wieder intensivieren“, sagt Karin
                gen und zum anderen Schülerinnen und Schüler.            Eißele-Kraft, Abteilungsleiterin für Bürgerschaft/
                Die Jugendlichen gaben ihr Wissen und ihre krea-         Gleichstellung/Städtepartnerschaften in Schwä-
                tiven Ideen anschließend an Gleichaltrige mit und        bisch Hall. Sie ist überzeugt, dass das Thema
                ohne Fluchthintergrund weiter. In den vergange-          Jugendbildung in Verbindung mit Müllvermeidung
                nen Jahren nahm Karesi rund 2.000 registrierte           und Klimaschutz auch in Zukunft ein zentrales
                Geflüchtete auf. Viele geflüchtete Kinder und            Thema für die Städtepartnerschaft bleiben wird.
                Jugendliche besuchen in Karesi die Regelschulen.

                Bei einer ersten Delegationsreise nach Schwä-
                bisch Hall informierten sich acht türkische Fach-
                leute über Möglichkeiten der Mülltrennung und
                -entsorgung sowie über die Verarbeitung von
                Biomüll in der deutschen Kommune.
1 . D I E I N I T I AT I V E U N D I H R E D E U T S C H -T Ü R K I S C H E N P R O J E K T E

                                                                                                                                                     19
Insgesamt ist es mit dem Projekt „Partnerschaft         im Freien zum Thema Müll die deutschen Pro-
für eine saubere Umwelt“ gelungen, viele Fach-          jektpartnerinnen und -partner beeindruckt. Und
leute und Jugendliche in Karesi für das Thema           mit einem großen Müllfest würdigte Karesi Men-
Müll zu sensibilisieren. Karin Eißele-Kraft betont,     schen, die sich besonders fürs Müllsammeln
dass der Wissenstransfer aber keine Einbahn-            engagiert hatten. „Das wäre auch bei uns eine
straße war. „Aus den Berichten über die rasche          Möglichkeit. Denn die Disziplin, Müll zu trennen
Umsetzung des Gelernten in der Türkei konnten           und zu vermeiden, lässt bei uns leider wieder
wir auch viele neue Ideen für uns gewinnen“, sagt       nach“, so Karin Eißele-Kraft.
sie. So hat ein in Karesi durchgeführter Filmabend

                                                                                                                     Links: Informationsaustausch
                                                                                                                     auf dem Werkhof der Stadt,
                                                                                                                     Thema Stadtreinigung
                                                                                                                     © Stadt Schwäbisch Hall

                                                                                                                     Unten links: Schülerinnen und
                                                                                                                     Schüler aus Karesi auf dem
                                                                                                                     Wertstoffhof
                                                                                                                     © Stadt Schwäbisch Hall

                                                                                                                     Unten rechts: Kinder in
                                                                                                                     Karesi sammeln recyclebare
                                                                                                                     Materialien
                                                                                                                     © Stadt Karesi
DIE INI T I AT I V E „KOMMUN A L E S K NO W-HO W F ÜR N A HOS T “

                1.6. BERLIN TREPTOW-KÖPENICK –
                     ESKIŞEHIR TEPEBAŞI (2018)
20
                Förderung sozialen Engagements und wirtschaftlicher
                Existenzen für junge Menschen und Geflüchtete

                Durch Existenzgründungsberatung die Integra-             Existenzgründungszentrum für Kreativ- und Sozi-
                tion von Geflüchteten fördern und den Jugendli-          alberufe der Stadtverwaltung Tepeba şı. Hier sol-
                chen der Stadt neue Einkommensmöglichkeiten              len geflüchteten und einheimischen jungen Men-
                im Bereich der Sozial- und Kreativwirtschaft bie-        schen durch Beratungs- und Schulungsangebote
                ten: Das war das Ziel einer Projektpartnerschaft         Perspektiven zur Gründung eines eigenen Unter-
                des Berliner Bezirks Treptow-Köpenick mit dem            nehmens aufgezeigt werden.
                Bezirk Eskişehir Tepeba şı, welche im Rahmen des
                Schnellstarterpakets I Nahost finanziell gefördert       Zielgruppen des Projekts waren kommunale Fach-
                wurde.                                                   leute, zivilgesellschaftliche Partnerorganisationen
                                                                         sowie potenzielle Gründerinnen und Gründer.
                Die etwa 680.000 Einwohnerinnen und Einwoh-              Junge Geflüchtete und Frauen standen dabei
                ner zählende Stadt Eskişehir mit ihrem Bezirk            besonders im Fokus. Zum Projekt gehörten neben
                Tepeba şı ist eine moderne, weltoffene und wirt-         interkulturellen Schulungen und Sprachkursen für
                schaftlich dynamische Großstadt. Dank der zwei           Türkisch und Arabisch auch Planungsworkshops.
                großen Universitäten ist sie ein wichtiger Bil-          Fachleute aus beiden Partnerkommunen entwi-
                dungsstandort in Anatolien. Dennoch ist die Situ-        ckelten bei zwei Workshops in Deutschland und
                ation auf dem Arbeitsmarkt vor allem für junge           in der Türkei ein erstes Kursprogramm zur Grün-
                Erwachsene angespannt. In der Altersgruppe der           dungsförderung gemeinnütziger und kreativer
                15- bis 24-Jährigen liegt die Arbeitslosenrate bei       Vorhaben. Außerdem erarbeiteten die Teilneh-
                34 Prozent. Viele gut qualifizierte Arbeitskräfte        menden Qualifizierungsmaßnahmen für die Mit-
                suchen daher den Weg in die Selbstständigkeit.           arbeitenden des Gründungszentrums und für
                Die Existenzgründungen scheitern jedoch häufig.          Ehrenamtliche in der Geflüchteten-Arbeit.
                In der Folge sehen sich die jungen Menschen              Das Gründungszentrum in Tepeba şı konnte
                gezwungen abzuwandern, sie werden erwerbslos             schließlich mit dem erlangten Wissen in 2018 als
                oder müssen Arbeitsangebote annehmen, die                gemeinsames Projektergebnis eröffnet werden.
                weit unter ihrer Qualifikation liegen. Professio-        Durch eine Vielzahl an Angeboten und Struktu-
                nelle Gründungsberatung kann hier Unterstüt-             ren werden hier Existenzgründerinnern und
                zung bieten – auch für viele der circa 5.000             -gründer bei der Planung und Realisierung ihrer
                Geflüchteten, die in Tepeba şı leben.                    Vorhaben unterstützt.

                Bei der Planung des Partnerschaftsprojektes ver-         Das Projekt wird von beiden Seiten als sehr
                ständigten sich die beiden Kommunen darauf,              erfolgreich und bereichernd für die 2017 offiziell
                dass das Kooperationsprojekt in gelebter interkul-       besiegelte Städtepartnerschaft bewertet. Zwar
                tureller Zusammenarbeit einen Beitrag zur                gab es im Projektverlauf Schwierigkeiten wegen
                Beschäftigungs-, Kreativitäts- und Gemeinwohl-           der Entwertung der Lira und starker Inflation.
                förderung leisten sollte. Im Fokus stand das neue        Dennoch gelang es, das Projekt in geplanter
1 . D I E I N I T I AT I V E U N D I H R E D E U T S C H -T Ü R K I S C H E N P R O J E K T E

Weise durchzuführen. Zu den Erfolgsfaktoren                   Die erfolgreiche Zusammenarbeit konnte nach
gehörte, dass Politik und Verwaltung in beiden                dem Projektabschluss weitergehen. In Tepeba şı
Kommunen das Projekt dauerhaft und mit ähnli-                 wurde mit Unterstützung des Programms „Fach-
cher Intensität unterstützten und zahlreiche enga-            kräfte für kommunale Partnerschaften weltweit“,
gierte zivilgesellschaftliche Akteurinnen und                 das von GIZ und SKEW gemeinsam umgesetzt
Akteure für eine Mitarbeit gewonnen werden                    wird, bis Herbst 2021 eine lokale Fachkraft einge-
konnten. Auch dass beide Bezirke eine aktive                  stellt.                                                                                      21
Kunst- und Kreativszene haben, die durch Profes-
sionalisierung viele Möglichkeiten zur Existenz-
gründung bieten kann, war von Vorteil.

                                                                                                                          Links: Bürgermeister Dt.
                                                                                                                          Ahmet Ataç im Gespräch
                                                                                                                          mit Teilnehmerinnen und
                                                                                                                          Teilnehmern des ersten
                                                                                                                          Existenzgründungsseminars.
                                                                                                                          Das Existenzgründungs-
                                                                                                                          zentrum in Tepebaşı bietet
                                                                                                                          jungen Menschen mit und
                                                                                                                          ohne Migrationshintergrund
                                                                                                                          Perspektiven
                                                                                                                          © Ekişehir Tepebaşı Belediyesi

Unten: Bezirksbürgermeister Oliver Igel besichtigt
gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern
der Bezirksverordnetenversammlung Treptow-
Köpenick die Baustelle des neuen Existenz-
gründungszentrums
© Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin/
Schmohl

                                                     Oben: Im Dezember 2018 konnte das
                                                     Existenzgründungszentrum feierlich eröffnet werden
                                                     © Eskişehir Tepebaşı Belediyesi
2. GASTBEITRAG DER GIZ:
           BILATERALE ZUSAMMENARBEIT
           MIT AUFNAHMEKOMMUNEN VON
           GEFLÜCHTETEN IN DER TÜRKEI

© GIZ
2. GASTBEITRAG DER GIZ

                                                                                                                             23
             Kommunen in der Türkei und in Deutschland haben in den vergangenen
             Jahren eine Vielzahl vergleichbarer Erfahrungen bei der Aufnahme und
             Integration Geflüchteter gesammelt. Kommunen beider Länder eint das
             Bestreben, die Rahmenbedingungen für ein friedfertiges Zusammenleben
             in den Aufnahmegemeinden nachhaltig zu stärken.

             Integration und soziale Kohäsion werden hierbei       werden Teil der Aufnahmegemeinde und Kom-
             als zentrale Bausteine kommunalen Handelns            munen die zentralen Akteurinnen erfolgreicher
             aufgefasst. Insbesondere stehen dabei gleicher-       Integration und friedlichen Zusammen- und Mit-
             maßen Geflüchtete wie auch andere vulnerable          einanderlebens zwischen Einheimischen und
             Gruppen in den aufnehmenden Gemeinden im              Zugewanderten.
             Fokus. Im Auftrag des Bundesministeriums für
             wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung        Mittels des BMZ finanzierten Projekt-Clusters zur
             (BMZ) unterstützt die Deutsche Gesellschaft für       Unterstützung von Geflüchteten und aufnehmen-
             Internationale Zusammenarbeit (GIZ) kommunale         den Gemeinden (SRHC) setzt die GIZ breitenwirk-
             Akteurinnen und Akteure in der Türkei bei der         same Maßnahmen in den Bereichen Bildung,
             nachhaltigen Bewältigung dieser Herausforderun-       Beschäftigungsförderung, soziale Kohäsion, Kapa-
             gen. Die Arbeit der GIZ in der Türkei wird auch       zitätsentwicklung sowie Psychische Gesundheit
             durch die Europäischen Union gefördert.               und Psychosoziale Unterstützung (MHPSS) um.
                                                                   Sei es die Stärkung staatlicher Aufnahmestruktu-
                                                                   ren und des türkischen Migrationsmanagements,
             Kommunales Potenzial unterstützen                     die Verbesserung von Basisdienstleistungen, zum
             und umsetzen                                          Beispiel über Gemeinschafts- und Gesundheits-
             In zahlreichen türkischen Aufnahmekommunen            zentren, die Förderung wirtschaftlicher Perspek-
             unterstützt die GIZ eine Reihe kommunaler             tiven oder Maßnahmen in frühkindlicher und
             Akteurinnen und Akteure, um Integration nach-         beruflicher Bildung: Das Portfolio der GIZ unter-
             haltig zu gestalten. Hierbei werden Kommunen          stützt Akteurinnen und Akteure darin, Beratung
             als zentraler Ort verstanden, an dem Integration      und Unterstützung für Geflüchtete sowie vulnera-
             stattfindet: Geflüchtete finden ein neues Zuhause,    ble Gruppen anzubieten und landesweit Orte der
             schließen erste Kontakte zu Einheimischen und         Begegnung zwischen Einheimischen und Geflüch-
             lernen die Sprache des Aufnahmelandes. Sie fin-       teten zu schaffen. Die Zusammenarbeit mit Kom-
             den ihre erste Arbeitsstelle in der Region und ihre   munen und das Know-how ihrer Akteurinnen
             Kinder besuchen die lokalen Schulen. Geflüchtete      und Akteure hat hierbei eine Schlüsselfunktion.

Projektmaßnahme mit Kindern in Sanliurfa/Türkei
Community Centres and Local Initatives Project (CLIP)
© GIZ
DIE INI T I AT I V E „KOMMUN A L E S K NO W-HO W F ÜR N A HOS T “

                Abbildung 1: Zusammenarbeit der GIZ Türkei mit Provinzen (Stand 2021)

24

                Kommunales Kooperationsnetzwerk                          Engagement der GIZ in der Türkei
                Die Abbildungen 1 und 2 auf Seite 24 und 25              Partnerschaften auf Augenhöhe bilden den Kern
                geben einen Überblick über die Provinzen und             der technischen Zusammenarbeit der GIZ. Ent-
                Gemeinden, mit denen das SRHC Cluster aktuell            sprechend verfolgt die GIZ Türkei das Ziel, die
                in Kooperation steht. Bei diesen Partnern handelt        Kapazitäten ihrer türkischen Partnerinstitutionen
                es sich insbesondere um Kommunen, in denen               zur eigenständigen Bewältigung der Herausforde-
                eine hohe Anzahl von Geflüchteten leben. Die             rungen von Flucht und Migration zu stärken.
                Mehrzahl der Partnergemeinden liegt nah an der
                türkisch-syrischen Grenze.                               Soziale Kohäsion
                                                                         Soziale Kohäsion in den aufnehmenden Gemein-
                Angebote adressieren nicht nur staatliche Akteu-         den in der Türkei zu stärken, ist integraler Bestand-
                rinnen und Akteure, sondern auch Geflüchtete,            teil aller Projekte des SRHC Clusters. Dem „Do-no-
                die türkische Bevölkerung sowie nichtstaatliche          harm” Prinzip folgend unterstützen die Vorhaben
                Organisationen: Der Ansatz der kommunalen                syrische Geflüchtete und Menschen in den auf-
                Zusammenarbeit der GIZ ist charakterisiert durch         nehmenden Gemeinden gleichermaßen. Für eine
                ein duales Vorgehen. Einerseits werden in Koope-         dauerhafte Lösung der Geflüchtetenaufnahme ist
                ration mit Kommunen kapazitätsbildende Maß-              es unerlässlich, sozialen Spannungen entgegenzu-
                nahmen implementiert. Die GIZ arbeitet direkt            wirken.
                mit Kommunen und Stadtverwaltungen, um die
                institutionellen und personellen Kapazitäten im          Gemeindezentren spielen eine wichtige Rolle, um
                Migrationsmanagement nachhaltig zu stärken.              Angebote für Geflüchtete an einem Ort zu bün-
                Andererseits werden in Absprache mit Kommunen            deln und einen sicheren Raum für interkulturelle
                Maßnahmen in vorschulischen, mittelschulischen,          Begegnungen zu schaffen. Die zivilgesellschaftli-
                technischen und berufsbildenden Bildungseinrich-         chen Organisationen, welche einige der Gemein-
                tungen, Jugendzentren, Gemeinschafts- und                dezentren betreiben, leisten ergänzend zu den
                Gesundheitszentren und zivilgesellschaftlichen           staatlichen Angeboten einen wichtigen Beitrag
                und privatwirtschaftlichen Organisationen durch-         zur sozialen Kohäsion in ihren Gemeinden. Diese
                geführt sowie unterstützt.                               bieten sowohl für die Aufnahmegemeinden als
                                                                         auch für Geflüchtete unter anderem nicht-formale
                                                                         Bildungskurse (zum Beispiel Sprachkurse), Bil-
                                                                         dungsberatung, Unterstützung bei der Schulregis-
                                                                         trierung sowie nicht zuletzt Kurse zur Vermitt-
2. GASTBEITRAG DER GIZ

lung von lebens- und beschäftigungsrelevanten        Abbildung 2: Zusammenarbeit mit Gemeinden in
Kompetenzen (life and work skills) an. Ergänzend     der Türkei (Stand 2021) – die Waben zeigen die
bearbeitet die GIZ Türkei auch den Bereich des       Namen der Provinzen, die zugehörigen Stadtbezirke
Schutzes vulnerabler Personen am Schnittpunkt        stehen seitlich.
humanitärer und entwicklungsorientierter Arbeit.
                                                                                              Çukurova
                                                                                 Adana        Seyhan
Zudem unterstützt die GIZ Jugendzentren, um                                                   Yüreğir                  25
mehr geflüchtete Kinder und Jugendliche zur Teil-
nahme an kreativen und sportlichen Aktivitäten                 Keciören     Ankara
zu motivieren und somit einen Raum für gemein-
same, außerschulische Zusammenkünfte zu
schaffen. Hier werden auch gezielt Freiwillige aus                                            Gürsü
                                                                                    Bursa
                                                                                              Yıldırım
Aufnahmekommunen und Geflüchtete zusam-
men ausgebildet und in der Implementierung von
Aktivitäten zur Förderung der sozialen Kohäsion             Kunduzhan       Çorum
unterstützt.

Beschäftigungsförderung                                                         Eskişehis     Eskişehir
Die Projekte der GIZ zur Beschäftigungsförderung
schaffen Perspektiven für bedürftige syrische und            Şehitkamil
                                                                        Gaziantep
türkische Familien. Dabei unterstützt die GIZ                 Şahinbey
durch enge Zusammenarbeit mit dem Ministe-                                                    Altınözü
rium für Familie, Arbeit und Soziales, der Türki-           Başakşehir                        Antakya
                                                               Beyoğlu              Hatay
schen Arbeitsagentur sowie Kommunen und zivil-                                                Kırıkhan
                                                                Esenler                       Reyhanlı
gesellschaftlichen Organisationen die Umsetzung               Esenyurt
der Beschäftigungspolitik der türkischen Regie-                   Fatih
                                                                           İstanbul
rung. Die Maßnahmen adressieren die individuel-          KüÇükÇekmece
                                                                   Şişli
len Bedürfnisse, Qualifikationen und Fähigkeiten            Sultanbeyli
der Zielgruppe und unterstützen die Teilnehmen-                   Tuzla              İzmir    Tepecik
den bei der Suche nach einer Beschäftigung im              Zeytinburnu
privaten und öffentlichen Sektor. Darauf aufbau-
end werden in der Beschäftigungsförderung für                               Kahra-
                                                           Dulkadiroğlu
                                                                           manmaraş
syrische Geflüchtete und arbeitssuchende Einhei-
mische besondere Maßnahmen für vulnerable
Gruppen ergriffen. So wird arbeitssuchenden                                           Kilis   Merkez
Müttern der Zugang zu Kinderbetreuung ermög-
licht. Sprachliche Förderung und interkulturelle
Interaktion sind Bestandteil aller Maßnahmen                   Kızıltepe    Mardin

und Trainings zur Beschäftigungsförderung.
                                                                                              Akdeniz
                                                                                 Mersin
Psychische Gesundheit und Psychosoziale                                                       Mezitli
Unterstützung
Die Auswirkungen psychischer und psychosozialer
                                                                  Canik    Samsun
Belastungen für Geflüchtete und die Bewohnerin-
nen und Bewohner aufnehmender Gemeinden in                                                    Akçakale
                                                                                              Eyyübiye
der Türkei haben sich durch die Restriktionen zur                               Şanliurfa     Haliliye
Eindämmung der COVID-19 Pandemie verschärft.                                                  Suruç
Mühsam aufgebaute Existenzgrundlagen und Per-                                                 Viranşehir
spektiven wurden zerstört, Erinnerungen an trau-              Ortahisar    Trabzon
matische Verlusterfahrungen geweckt und beste-
hende soziale und psychische Belastungen erhöht.
Um diesen vielschichtigen psychosozialen Her-                                    Yozgat
ausforderungen entgegenzuwirken, zielen die
DIE INI T I AT I V E „KOMMUN A L E S K NO W-HO W F ÜR N A HOS T “

                Maßnahmen der GIZ darauf ab, die Zugangsmög-             Kapazitätsentwicklung
                lichkeiten zu Leistungen im Bereich Mental Health        Um die Kapazitäten lokaler Regierungsinstitutio-
                and Psychosocial Support (MHPSS) zu verbessern.          nen zu stärken, werden Gemeinden durch kleine
                Zudem unterstützt die GIZ den Ausbau von                 Projektzuschüsse unterstützt. Zudem werden Dia-
                MHPSS-Leistungen sowie Weiterbildungen für               log- und Austauschformate sowie Peer Learning
                MHPSS-Praktikerinnen und -Praktiker (z.B. psy-           von Kommunen auf nationaler, regionaler und
26              chosoziale Beraterinnen und Berater, Therapeu-           internationaler Ebene gefördert. Der kommunale
                tinnen und Therapeuten sowie Übersetzerinnen             Dialog in der Türkei sowie auch über die Landes-
                und Übersetzer).                                         grenzen hinaus liefert hierbei wichtige Impulse,
                                                                         um die Integration von Geflüchteten wirksam und
                Bildung                                                  nachhaltig zu gestalten. Beiträge der internationa-
                Die nationale Bildungsstrategie sieht eine Integra-      len Gemeinschaft sind wichtig, um insbesondere
                tion von syrischen Kindern in das türkische Schul-       die Bemühungen von aufnehmenden Gemeinden
                wesen vor. Durch eine Qualifizierung der Lehr-           nachhaltig zu unterstützen. Kontinuierliche Dia-
                kräfte werden die Voraussetzungen für einen              logprozesse und Austauschformate zeigen, dass
                gemeinsamen Unterricht von syrischen und türki-          für eine wirksame und nachhaltige Umsetzung
                schen Kindern geschaffen. Die GIZ unterstützt das        integrativer Maßnahmen der Austausch über
                Bildungsministerium bei der Umsetzung der natio-         Erfahrungen und Praktiken überaus wertvoll ist.
                nalen Bildungsstrategien im Vorschulbereich. Sie
                sieht die Schulpflicht für alle türkischen Kinder wie
                auch geflüchteten Kinder ab dem 5. Lebensjahr            Kommunen als gestaltende Kraft
                vor. Durch Trainings für Lehrpersonal und die            Kommunen als Akteurinnen zwischen zentral-
                Bereitstellung von Lehrmaterial hat die GIZ außer-       staatlichen Strukturen und Einheimischen und
                dem zu einer Anpassung des Unterrichts an die            Geflüchteten haben eine Schlüsselfunktion inne,
                besondere Situation beigetragen: Lehrerinnen und         um die Resilienz der Gemeinden und den sozia-
                Lehrer wurden in interkulturellen Kompetenzen,           len Zusammenhalt nachhaltig zu stärken. Für die
                inklusiven Lehrmethoden und der Vermittlung              aufnehmenden Gemeinden bleibt die gesellschaft-
                von Türkisch als Fremdsprache fortgebildet.              liche und wirtschaftliche Integration der Geflüch-
                                                                         teten auf absehbare Zeit eine Aufgabe, die auch
                Zudem werden Schülerinnen und Schüler der                eine breite internationale Unterstützung erfordert.
                Berufsschulen beraten, wie sie erfolgreich eine          Dahingehend bietet der Beitrag einen ersten
                Arbeit suchen und finden können. Die Einführung          Einblick in die Prozesse, welche die GIZ bereits
                der Berufsberatung für die 7. und 8. Klassen soll        begleitet und zukünftig verfolgen wird, um lokale
                Schülerinnen und Schüler und deren Familien              Partner bei der Gestaltung lokaler Lösungen zu
                dazu befähigen, fundierte Entscheidungen über            unterstützen.
                Bildung und Ausbildung zu treffen. Vor allem für
                syrische Familien ist das Ziel, die berufliche Bil-
                dung und Ausbildung zu absolvieren.

                                                                             Links: Projektmaßnahme im Rahmen des Community
                                                                             Centres Projektes in Gaziantep/Türkei © GIZ

                                                                                                Rechts: Istanbul, Außenansicht der Süleymaniye-
                                                                                                         Moschee © istockphoto.com/epicimages
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