Ein Jahrestag zum Schämen - Die Gewerkschaft - VPOD

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Ein Jahrestag zum Schämen - Die Gewerkschaft - VPOD
Februar 2021
Das VPOD-Magazin erscheint 10-mal pro Jahr

Die Gewerkschaft
Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste

Ein Jahrestag zum Schämen
50 Jahre Frauenstimmrecht – warum so spät, warum 1971?
Corona und kein Ende: Personal in VPOD-Branchen weiterhin extrem belastet
Ein Jahrestag zum Schämen - Die Gewerkschaft - VPOD
Der digitale Schweizer Pass soll mit                              Der digitale Schweizer Pass soll
dem E-ID-Gesetz privatisiert werden.                              zukünftig von Versicherungen und                                                          Digitaler Schweizer Pass
Das wollen wir verhindern.                                        Banken herausgegeben werden.                                                           Passeport numérique suisse
Argumente gegen dieses Gesetz:                                    Diese Aufgabe gehört nicht in die                                                      Passaporto digitale svizzero
                                                                                                                                                            Passaport svizzer digital
                                                                  Hände von privaten Unternehmen.
        Digitaler Pass ist Service Public                                                                                                                     Swiss digital passport
        Die Herausgabe eines digitalen Passes ist eine staat-
        liche Aufgabe, die unter demokratische Kontrolle
        gehört. Die E-ID würde in Zukunft für Gesundheitsda-
        ten, bei Abstimmungen sowie bei der E-Steuer-                 Stimmen Sie am
        rechnung eingesetzt.
                                                                      7. März NEIN zum
        Datenschutz bleibt ungenügend                                 E-ID-Gesetz
        Jede Nutzung der E-ID wird bei den Konzernen zentral
        gespeichert. Dadurch entsteht das Potential für
        Missbrauch. Der einzige wirksame Datenschutz ist es,
        auf die Erhebung dieser Daten zu verzichten.

        Zwängerei statt Freiwilligkeit
        Insbesondere ältere Menschen befürchten, dass
        ihnen die E-ID durch die privaten Unternehmen             Komitee NEIN zum E-ID-Gesetz
        aufgezwungen wird. Deshalb lehnen die Senioren-           Gegen die Privatisierung der E-ID engagieren sich im
        Organisationen der Schweiz die Vorlage ab.                überparteilichen BürgerInnen-Komitee Mitglieder der
                                                                  CVP, BDP, EVP, FDP, Grünen, Piratenpartei, SP und SVP.
Weitere Informationen auf www.e-id-referendum.ch                  www.e-id-referendum.ch – info@e-id-referendum.ch

Abstimmung über das E-ID-Gesetz                                    Bund wird zum Datenlieferant                                    Vertrauen der Bevölkerung fehlt

Mit einem digitalen Pass soll es möglich werden, sich im Inter-    Mit der Kommerzialisierung des digitalen Passes wird der        Gemäss repräsentativen Umfragen wollen über 80 Prozent
net auszuweisen. Dieser ist vergleichbar mit der Identitätskar-    Bund zu einem Datenlieferanten degradiert. Das Bundesamt        der Bevölkerung den digitalen Pass nicht von Firmen,
te im realen Leben. Das Parlament hat beschlossen, dass            für Polizei würde dafür eigens eine neue Personendatenbank      sondern vom Staat beziehen. Das Vertrauen in private Unter-
zukünftig Konzerne den digitalen Schweizer Pass herausgeben        schaffen, um privaten Konzernen die persönlichen Daten der      nehmen fehlt.
sollen. An die Stelle der Passbüros würden Unternehmen wie         Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung zu stellen.
                                                                                                                                                          Wer soll die E-ID ausstellen?
Banken und Versicherungen treten und unsere sensiblen
                                                                   Hinter der SwissSign Group, welche die E-ID herausgeben will,                          81% Staat
Daten verwalten.
                                                                   stehen Banken, Versicherungen, Krankenkassen und staatsna-                             2% Unternehmen
Am 7. März stimmt die Schweiz über das E-ID-Gesetz ab. Bitte       he Betriebe. Möchten Sie Ihren digitalen Schweizer Pass von                            7% spielt keine Rolle
stimmen Sie mit NEIN, um diesen gefährlichen Entscheid des         diesen Unternehmen?                                                                    10% weiss ich nicht
Parlaments zu korrigieren!
                                                                                                                                   Quelle: Digital Democracy Lab, Universität Zürich, 2019, digdemlab.io

                                                                                                                                   Kantone lehnen das Gesetz ab
     Der digitale Pass gehört                                                                                                      Acht Kantone verwehren dem E-ID-Gesetz ihre Unterstüt-
                                                                                                                                   zung, weil sie die Herausgabe von Ausweisen als staatliche
     nicht in die Hände                                                                                                            Kernaufgabe erachten.
     von Konzernen!
                                                                                                                                   Für ein NEIN engagieren sich:
      Sibylle Berg, Mitglied des BürgerInnen-Komitee
      «NEIN zur E-ID», Zürich                                                                                                      Digitale Gesellschaft, Public Beta, Campax, Grundrechte.ch,
                                                                                                                                   Internet Society Switzerland, Schweizerischer Gewerk-
                                                                                                                                   schaftsbund, Schweizer Seniorenrat, Schweizer Verband für
          Unser Engagement gegen das E-ID-Gesetz                                                                                   Seniorenfragen, Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfe-
          ist nur dank vielen Kleinspenden möglich.                                                                                organisationen der Schweiz, Syndicom, VPOD & WeCollect.
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Ein Jahrestag zum Schämen - Die Gewerkschaft - VPOD
Editorial und Inhalt       |   VPOD

        Themen des Monats

5       Der Bankschalter ist kein Passbüro
        Nein zur Privatisierung der E-ID am 7. März

6       Partnerwechsel für Fortgeschrittene
        Mitbestimmung beim Pensionskassenwechsel – aber wie?

7       Endlich!
        Der VPOD begrüsst die jüngsten Corona-Massnahmen                               Christoph Schlatter
        und stellt weitere Forderungen                                    ist Redaktor des VPOD-Magazins

8–9     Das Personal muss gesund bleiben
        Corona beschäftigt die VPOD-Branchen weiterhin und          Die Scheibe
        weiterhin in unterschiedlichster Weise                      Seine Mutter lebt irgendwo anders. Ganz langsam hat sie sich verab-
                                                                    schiedet von der Welt, in der sie verkehrte. Als der Vater den Alltag mit
10–11   Ungebrochene Motivation                                     ihr auch mit Hilfe der Spitex nicht mehr meistern konnte, fand sich ein
        Eine Umfrage im Sozialbereich zeigt die schwere Belas-      Platz in einer Pflegeabteilung. Heute geht der Sohn dort zu Besuch.
        tung und das hohe Engagement des Personals                  Den ganzen Tag hat es geschneit. Still liegt das Heim. So still war es
                                                                    noch nie, im Foyer ist sonst Betrieb. Heute nicht. 2. und 3. Stock in
13–19   Dossier: 50 Jahre Frauenstimmrecht                          Quarantäne, sagt ein Schild. Seine Mutter wohnt im 4.; man werde sie
        «Unfertige Demokratie»: Interview mit der Historikerin      herunterbringen. Am Eingang muss er Fieber messen, Hände desinfi-
        Fabienne Amlinger                                           zieren, Formular ausfüllen wie immer. Aber diesmal ist ihm ein fixes
        Ein langer Kampf in Bildern und Plakaten                    Zeitfenster zugewiesen, 45 Minuten. Und zu trinken gibt es nichts.
        Auf Augenhöhe: Das Stimmrecht für alle, die hier leben!     Die Mutter pflegt kaum mehr zu sprechen. Jedenfalls selten längere
        Catherine Silberschmidt blättert in Erinnerungen            Sätze als: Ja. Wobei nicht immer sicher ist, ob Ja nicht womöglich, je
                                                                    nach Kontext, Nein bedeutet. Oder: Weiss nicht. Oder: Ist nicht wich-
21      Ferien in Quarantänien?                                     tig. Wie es in ihrer Welt aussieht und was dort geschieht, kann oder
        Quarantäne zulasten Zeitsaldo? Die Stadt Zürich lenkt ein   mag sie nicht berichten. Aber auf eine seltsam stille Weise wirkt sie
                                                                    zufrieden. Meistens jedenfalls.
                                                                    Ihm wird ein Tisch gleich beim Eingang zugewiesen. Der Tisch wird
        Rubriken                                                    mittig durch eine senkrechte Scheibe geteilt. Auf jeder Seite ein Stuhl,
                                                                    auf seiner ein Blümlein. Jetzt tritt die Mutter am Arm der Betreuerin
4       Gewerkschaftsnachrichten                                    aus dem Lift. Er winkt ihr zu. Das ist ja fast wie im Gefängnis, scherzt

12      Aus den Regionen und Sektionen
                                                                    er. Ja, nicht wahr, leider, lacht die Betreuerin. Und fragt die Mutter, ob
                                                                    sie den Besuch da kenne. Ja, mein Sohn, sagt die Mutter leise.
20      Sunil Mann: Epidemisches Epidemiologenaufkommen             Sie müssen die Maske auch im Sitzen anbehalten, sagt die Aufsicht.
                                                                    Auch seine Mutter bekommt wieder eine umgebunden. Sie sitzen
22      Wirtschaftslektion: Strukturwandel in Aufschwung verlegen   sich gegenüber. Was er seit dem letzten Besuch erlebt hat, ist in zwei
                                                                    Minuten erzählt. Früher hätte er ihr vielleicht eine Hand auf den Arm
23      Wettbewerb: VIP                                             gelegt. Man hätte Fotos angeschaut. Zusammen in den Kaffeetassen

24      VPOD aktuell
                                                                    gerührt, das stiftet ebenfalls Gemeinsamkeit. Mit Maske vor der Nase
                                                                    und Scheibe dazwischen ist alles schwieriger. Hinter beiden Masken
25      Hier half der VPOD: Status quo ante Velounfall              eine ganze Welt. Aber hinter jeder eine andere.
                                                                    Er nimmt ein Buch aus seiner Tasche und schlägt es auf. Es ist eines
26      Solidar Suisse: Misshandelt und abgeschoben                 der Bücher, die Mutter seinerzeit den Kindern vorgelesen hat, als Gu-
                                                                    tenachtgeschichte in Fortsetzungen. Heute liest er vor. Er liest ihr das
27      Menschen im VPOD: Gabriela Kuhn Thöny,                      Buch zurück, sozusagen. Die Schrift verschwimmt vor seinen Augen.
        Pflegeexpertin für Notfallpflege, Chur
                                                                    Natürlich, er muss die Brille aufsetzen. Jetzt ist es wie im Fernsehen.
                                                                    Er ist im Fernsehen. Sie davor. Die Scheibe ist zwischen ihnen.
                                                                    Schon wieder verschwimmen ihm die Buchstaben. Die Geschichte
        Redaktion /Administration:
        Postfach, 8036 Zürich                                       rührt ihn. Oder ist es die Situation? Die ist schwierig für alle, auch
        Telefon 044 266 52 52, Telefax 044 266 52 53                fürs Personal. Die tun, was sie können. Oder mehr.
        Nr. 1, Februar 2021                                         Beim Abschied will ihm die Mutter die Hand geben. Kurz vor der
        E-Mail: redaktion@vpod-ssp.ch | www.vpod.ch                 Scheibe hält sie in der Bewegung inne.
        Erscheint 10-mal pro Jahr                                   Nächstes Mal liest er weiter auf Seite 23.

                                                                                                                              Februar 2021 3
Ein Jahrestag zum Schämen - Die Gewerkschaft - VPOD
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                                                                        Wenig ausgelastete SBB: Wer zahlt?

                                                                        Erfolgreiche Postfinance: Wer befiehlt?

                                                                        dafür aufbauen, so wie sie es in ihrem GAV verankert haben. Den
                                                                        Arbeitgebern nützt es, wenn dadurch die erforderlichen Fachkräfte
                                                                        zur Verfügung stehen; die Arbeitnehmenden profitieren von einer
                                                                        Standortbestimmung und von erwachsenengerechten Angeboten, et-
                                                                        wa im Umgang mit CNC-Maschinen. Ein Pilotlehrgang hat bereits im
                                                                        Herbst letzten Jahres begonnen. | unia/slt

                                                                        Coiffure-GAV allgemeinverbindlich
                                                                        Unia und Syna sowie der Branchenverband Coiffure Suisse freuen
                                                                        sich, dass der Bundesrat den GAV für das Coiffeurgewerbe allgemein-
                                                                        verbindlich erklärt hat. Gegen 12 000 Beschäftigte sind ihm nun un-
                                                                        terstellt. Der neue GAV ist seit 1. Januar in Kraft; ab 2022 ist eine Erhö-
                                                                        hung der Mindestlöhne ab dem 5. Berufsjahr vorgesehen. Bewährt hat
                                                                        sich laut den Sozialpartnern die ausgeweitete Kontrolltätigkeit in der
                                                                        Branche. Auch das Corona-Schutzkonzept habe sich als tauglich er-
                                                                        wiesen; seine Umsetzung habe weiterhin oberste Priorität. | unia/syna

                                                                        VPOD Luftverkehr warnt vor Grenzschliessung
                                                                        Der VPOD Luftverkehr wendet sich gegen die von den Präsidentin-
                                                                        nen und Präsidenten der Bundesratsparteien sowie von GLP und
                                                                        Grünen erhobene Forderung nach Test- und gleichzeitiger Quaran-
Postfinance darf nicht privatisiert werden                              tänepflicht an der Schweizer Grenze. Der Forderung, in welcher der
Der SGB sieht im Vorschlag, Postfinance zu privatisieren, einen «un-    VPOD Luftverkehr «reinen politischen Aktionismus» sieht, fehle jede
verhohlenen Frontalangriff auf den Service public in diesem Land».      Evidenz. Absurd sei es, auch Personen in Quarantäne zu stecken, die
Postfinance, eine Volksbank mit fast 3 Millionen Kundinnen und          aus Ländern mit niedrigerer Inzidenz anreisen. Würde das Geforderte
Kunden, gehört der Allgemeinheit und hat einen gesetzlichen Grund-      umgesetzt, ergäbe sich ein Chaos an den Grenzen, und es käme zu
versorgungsauftrag. Dieser würde bei einer Privatisierung untermi-      «Massenentlassungen in unvorstellbarem Ausmass». | vpod
niert; zudem würde so der gesamte Postkonzern gespalten. Die Post
funktioniert heute nur über ihr in sich geschlossenes Geschäftsmo-      SEV stimmt SBB-Sparmassnahmen zu
dell mit seinen Synergieeffekten. Wenn sich der Bund zurückzöge,        Die SBB und die Personalverbände (unter ihnen der SEV) haben ein
müsste die Grundversorgung im Zahlungsverkehr per Konzessions-          Sparpaket ausgehandelt, das den Folgen der Corona-Pandemie Rech-
vergabe sichergestellt werden – was weniger wirtschaftlich wäre und     nung trägt. Die Finanzlage der SBB ist angespannt. Für die Bereiche
dem Personal schadete. Die Lösung der Probleme mit Postfinance          Infrastruktur, Regionalverkehr und Güterverkehr trägt der Bund die
liegt woanders. Seit der Finanzkrise muss das Unternehmen die für       Einnahmeausfälle mit; das Loch im Fernverkehr und bei den Immobi-
alle Grossbanken geltenden Too-big-to-fail-Vorgaben der Finma ein-      lien müssen die SBB selber stopfen. Die Sozialpartner kamen überein,
halten, ohne aber im Bereich der Kreditvergabe einen vergleichbaren     lediglich 0,3 Prozent der Lohnsumme für Lohnmassnahmen bereitzu-
Spielraum zu besitzen. Mit der Aufhebung des Hypothekarkreditver-       stellen statt 0,9 Prozent. Einmalige Leistungen für sehr gute Personal-
bots und mit einer Kapitalgarantie analog jener der Kantonalbanken      beurteilung werden für 2020 nicht ausbezahlt, hingegen soll es 2021 ei-
wäre Postfinance mehr geholfen als mit dem Hauruckprogramm des          ne ausserordentliche Einmalprämie geben. | sev (Foto: toxawww/iStock)
Bundesrats, das Profit in private Taschen leitet. | sgb/slt
                                                                        Endlich: Lohnersatz für Tieflöhne aufgestockt
Neuqualifizierung durch MEM-Passerelle 4.0                              Der SGB begrüsst die Aufstockung des Lohnersatzes für Geringver-
In der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie gibt es einen grossen   dienende in Kurzarbeit. Im Covid-19-Gesetz werden jetzt Löhne bis
Bedarf an Um- und Neuqualifizierung für erwachsene Beschäftigte,        3470 Franken garantiert; Löhne bis 4340 Franken erhalten mehr als
nicht zuletzt wegen der Digitalisierung. Mit der Gründung der MEM-      die geltenden 80 Prozent Kurzarbeitsentschädigung. Richtig so: Leute
Passerelle 4.0 wollen die Sozialpartner gemeinsam neue Angebote         mit kleinen Löhnen sind von der Pandemie speziell betroffen. | sgb

4 Februar 2021
Ein Jahrestag zum Schämen - Die Gewerkschaft - VPOD
Eidgenössische Volksabstimmung             |   VPOD

Nein zur Privatisierung der elektronischen Identitätskarte

Der Bankschalter ist kein Passbüro
Es braucht eine elektronische ID, aber nicht so eine. Abgesehen von den Datenrisiken:
Die Privatisierung hoheitlicher Handlungen ist demokratiepolitisch inakzeptabel.
| Text: Reto Wyss, SGB (Foto: thamerpic/iStock)

Im Internet werden heute Einkäufe getätigt,             gen betrifft, die gemeinhin – und zu
Zahlungen abgewickelt und Behördengänge                 Recht – an ein offizielles Ausweisdo-
gemacht. Dabei werden fortwährend sensib-               kument gestellt werden.
le personenspezifische Daten verarbeitet und            Die Herausgabe eines Passes ist ei-
gespeichert. Wo solcher Austausch in der                ne hoheitliche Kernaufgabe. Nur der
realen Welt geschieht, müssen wir uns aus-              Staat oder eine von ihm legitimierte
weisen: am Postschalter, im Zug, am Zoll, auf           Behörde kann und darf sie wahrneh-
Ämtern. Digital hat die Ausweispflicht heute            men. Der Markt hat hier nichts zu
grosse Lücken, was dazu führt, dass viele Pro-          suchen. Doch genau dies sieht das
zesse nicht sicher ausgestaltet sind und ande-          E-ID-Gesetz vor: Gemäss diesem wä-
re elektronisch gar nicht angeboten werden,             ren private Firmen die Herausgeber
obwohl dies technisch kein Problem wäre.                der E-ID. Sie würden den «Pass» aus-
                                                        stellen, ihn vermarkten und als An-
Bedarf ist unbestritten                                 sprechpartner für Bürgerinnen und
Der Bedarf nach einer nutzerfreundlichen                Bürger auftreten. Das Passbüro auf
und vertrauenswürdigen elektronischen                   der Bank oder im Supermarkt? Der
Identifizierung (E-ID) ist also gegeben. Eine           Bund darf jedenfalls gemäss Gesetz
E-ID übernimmt online die gleiche Funkti-               keine E-ID anbieten. Demokratiepo-
on wie ein amtlicher Ausweis beim Abholen               litisch ist das nicht hinnehmbar. So
eines eingeschriebenen Briefes oder beim                sieht das auch eine überwältigende
Abschliessen eines Mobilfunkvertrags. Sie               Mehrheit der Bevölkerung: Gemäss
ist das digitale Äquivalent zur Identitätskarte.        einer repräsentativen Umfrage von
Sehr schade ist deswegen, dass die von Bun-             Demoscope wollen 87 Prozent der
desrat und Parlament erarbeitete Form der               Leute die E-ID vom Staat und nur
E-ID ihrem Namen nicht gerecht wird: Sie ist            gerade 2 Prozent von einer privaten
zwar «E», aber leider nicht «ID». Zumindest             Firma beziehen.                                             Grossbank als Passbüro? Nein danke.
nicht, was die hohen Vertrauensanforderun-
                                                        Kartenfarbe ist egal
                                                        Beworben wird die Vorlage einerseits mit       ten geht. Gemäss Gesetz dürfen diese Daten
                                                        der «Wahlfreiheit». Das erscheint wenig ver-   von den privaten Anbietern zwar nicht kom-
Nein zum Verhüllungsverbot                              lockend: Ob die Karte nun Mobiliar-rot oder    merziell verwendet werden. Aber generell
Sind ein paar wenige – meist aus Tourismus-             Vaudoise-grün ist – sie muss exakt dieselben   gilt: Je mehr Schnittstellen, desto höher das
gründen (also derzeit gar nicht . . .) in der Schweiz   Funktionen wahrnehmen können. Doch             Missbrauchspotenzial – auch wenn die Ab-
weilende – vollverschleierte Musliminnen eine           nicht einmal zu dieser Wahlfreiheit würde      sichten gut sind.
Bedrohung für die Sicherheit? (Kaum.) Ist der           es kommen, denn das Monopol steht hinter       Bürgerinnen sind keine Konsumentinnen.
geknechteten, die Verhüllung ablehnenden Frau           den Kulissen längst bereit: mit der «Swiss     Ein elektronischer Ausweis muss staatlich
geholfen, wenn ihr die Polizei den Nikab vom Ge-        Sign Group». Mit Annahme des E-ID-Geset-       zur Verfügung gestellt werden; nur darauf
sicht reisst? (Sie wird einfach das Haus nicht mehr     zes würde dieses Konsortium – getragen von     vertraut die Bevölkerung. Das bedeutet nicht,
verlassen können.) Auch das Argument, dass man          einer breiten Unternehmensallianz aus Ban-     dass der Bund zwingend alles selbst entwi-
auf «unseren Strassen» Gesicht zeigt, hat sich in       ken, Versicherungen und Krankenkassen –        ckeln muss (auch wenn die ETH das prob-
den letzten Monaten verflüchtigt. Und überhaupt:        den Markt schnell beherrschen. Konkurrenz      lemlos könnte). Ein Nein am 7. März macht
Kleiderregeln gehören nicht in die Verfassung –         könnten ihnen am ehesten noch finanzkräf-      den Weg frei für eine vertrauenswürdige,
darum Nein zur Initiative für ein Verhüllungsver-       tige Techgiganten aus dem Ausland machen,      staatlich herausgegebene E-ID. Dass das geht,
bot. – Zum Freihandelsabkommen mit Indone-              also Apple, Amazon oder Google – allesamt      beweist Schaffhausen: Dort ist schon seit Jah-
sien haben die Gewerkschaften Stimmfreigabe             nicht besonders vertrauenswürdig, wenn es      ren eine durch den Kanton herausgegebene
beschlossen. | vpod                                     um den Umgang mit sensiblen Personenda-        Karte erfolgreich im Einsatz.

                                                                                                                                       Februar 2021 5
Ein Jahrestag zum Schämen - Die Gewerkschaft - VPOD
VPOD      | Berufliche    Vorsorge

Mitbestimmungsrecht beim Wechsel der Pensionskasse wahrnehmen – bloss wie?

Partnerwechsel für Fortgeschrittene
Vielleicht gibt es gute Gründe für einen Wechsel der Pensionskasse. So oder so ist der Einbezug des Personals
keine nette Geste, sondern Pflicht. Das PK-Netz hat einen 5-Phasen-Plan erstellt, mit dem man sicher durch das
Verfahren navigiert. | Text: Eliane Albisser, PK-Netz (Foto: tolgat/iStock)

                                                                                Das Schweinchen        der Offerten-Bedingungen», Phase III: «Erste
                                                                                gehört uns:            Personal-/Peko-Infoveranstaltung», Phase IV:
                                                                                Beim PK-Wechsel
                                                                                                       «Meinungsbildung», Phase V: «Zweite Perso-
                                                                                entscheidet das
                                                                                ­Personal mit!         nal-/Peko-Infoveranstaltung».
                                                                                                       Egal wie das Zustimmungsverfahren aus-
                                                                                                       gestaltet wird: Um das Einverständnis des
                                                                                                       Personals nachweisen zu können, müssen
                                                                                                       Arbeitgeber den Prozess sorgfältig dokumen-
                                                                                                       tieren (etwa indem sie den Fahrplan schrift-
                                                                                                       lich festhalten, einen Kriterienkatalog mit
                                                                                                       den Bedingungen erstellen, Infoveranstaltun-
                                                                                                       gen protokollieren, die eingehenden Offerten
                                                                                                       schriftlich und nachvollziehbar mit dem ak-
                                                                                                       tuellen Anschluss vergleichen usw.). An ge-
                                                                                                       wissen Orten ist der Anschluss an die Pensi-
                                                                                                       onskasse im GAV geregelt. Wenn in solchen
                                                                                                       Fällen ein Wechsel im Raum steht, muss
                                                                                                       zwingend mit der zuständigen Gewerkschaft
Die zweite Säule ist eine komplexe Materie.        elementar – nicht nur wegen der rechtlichen         Kontakt aufgenommen werden. Ausserdem
Auch die Frage, wann ein Wechsel der Pensi-        Vorschriften. Die paritätische Entscheidfin-        empfiehlt das PK-Netz, im GAV festzuhalten,
onskasse sinnvoll ist, lässt sich nicht pauschal   dung schafft Vertrauen und damit eine solide        dass ein Wechsel der Pensionskasse in jedem
beantworten. Klar ist aber: Ein Wechsel muss       Basis für eine breit abgestützte neue Vorsor-       Fall vom Personal abgesegnet werden muss.
wohlüberlegt sein, und der Entscheid dazu          gelösung. Das 5-Phasen-Modell des PK-Netzes         Der direkte Einbezug der Beschäftigten er-
muss gemeinsam getroffen werden. Arbeitge-         gewährleistet die sichere Navigation durch das      höht die Legitimität des Entscheides.
ber sind verpflichtet, das Einverständnis des      Verfahren. Es unterscheidet Phase I: «Wech-         pk-netz.ch/event/wechsel-der-vorsorgeeinrichtung-unter-der-
Personals einzuholen (Art. 11 Abs. 3bis BVG).      sel steht im Raum», Phase II: «Festlegung           lupe-2/

«Aktive Rolle»
Kürzlich hat das Bundesgericht den Gesetzes-
artikel konkretisiert: Beim Wechsel der Pen-       Auf die Nase gefallen
sionskasse steht den Arbeitnehmenden ein           Das erwähnte Bundesgerichtsurteil ist deshalb       BVK bringe. Doch dann zeigte sich, dass die Kos-
echtes Mitbestimmungsrecht zu. Es reicht           so wichtig, weil die im Gesetz verankerte Mitwir-   ten für den Wechsel falsch angegeben waren: Die-
nicht, das Personal nur zu orientieren, es hat     kungspflicht bisher sehr stiefmütterlich behan-     se betrugen nicht 1,22 Millionen Franken, sondern
eine «aktive Rolle» zu spielen. Die Arbeitneh-     delt wurde. Viele Arbeitgeber setzten sich darü-    rund das Doppelte! Dumm nur, dass der Berater,
menden müssen deshalb frühzeitig über alle         ber hinweg oder drohten gar ihren Angestellten      der für die Gemeinde die Kosten des Wechsels be-
relevanten Kriterien verfügen. Fehlt ihre Zu-      mit Entlassung, wenn sie dem PK-Wechsel nicht       rechnet hatte, gleichzeitig PK-Experte der Sam-
stimmung, ist die Kündigung des Anschluss-         zustimmen wollten, so geschehen im Jahr 2015 in     melstiftung Profond war. In der Folge gab es ein
vertrages ungültig. Die Arbeitnehmenden            der Musikschule Dielsdorf.                          Hickhack: Der Gemeinderat erklärte den Volksent-
können einen Wechsel also verweigern, wenn         Es gibt aber auch Arbeitgeber, die bei einem PK-    scheid wegen Grundlagenirrtums für nichtig und
schlechte Konditionen auf dem Tisch liegen.        Wechsel selber auf die Nase gefallen sind. So die   teilte mit, nun doch bei der BVK bleiben zu wol-
Dem Arbeitgeber sind dann die Hände ge-            Gemeinde Erlenbach. Auf Antrag des Gemeinde-        len. Der Bezirksrat Meilen entschied dann aber,
bunden (vgl. BGE 9C_409/2019).                     rates entschied die Gemeindeversammlung im          dass der Entscheid der Gemeindeversammlung
Nur wenn sich das Personal eine Meinung            Herbst 2016, den Anschlussvertrag bei der BVK zu    – trotz massiv höherer Kosten – nicht rückgängig
bilden kann, ist es imstande, einen fundier-       kündigen und zur Personalvorsorge Profond zu        gemacht werden dürfe. Fazit: Es liegt auch im
ten Entscheid zu fällen. Aus diesem Grund ist      wechseln. Begründet wurde dieser Entscheid mit      Interesse des Arbeitgebers, einen allfälligen PK-
die Einhaltung des Zustimmungsverfahrens           Einschnitten, die der neue Vorsorgeplan 2017 der    Wechsel sorgfältig anzugehen. | Jorge Serra

6 Februar 2021
Ein Jahrestag zum Schämen - Die Gewerkschaft - VPOD
Corona und kein Ende           |   VPOD

Der VPOD begrüsst die Zielrichtung der jüngsten Massnahmen und stellt weitere Forderungen

Endlich!
Der Bundesrat geht mit den jüngsten Entscheiden zum Lockdown in die richtige Richtung: Eindämmung der
Pandemie. Für den VPOD gibt es aber noch Nachbesserungsbedarf. Der SGB verlangt insbesondere eine bessere
soziale Abfederung der Massnahmen (siehe Kasten). | Text: VPOD (Foto: Christoph Schlatter)

Es ist dringend nötig, die Pandemie                                                                                   beitgeber etwas anderes behaupten.
einzudämmen und die Fallzahlen zu                                                                                     Weiter fordert der VPOD seit Beginn
senken, ganz besonders angesichts                                                                                     der Pandemie den Schutz nament-
der drohenden Explosion der Infekti-                                                                                  lich des Gesundheitspersonals und
onen durch Virus-Mutationen. Dafür                                                                                    ein Monitoring von dessen Gesund-
braucht es starke, sofortige und lan-                                                                                 heitszustand. Bis heute existieren
desweit einheitliche Massnahmen,                                                                                      keine Daten zu den Auswirkungen
sagt der VPOD. Die letzten Wochen                                                                                     der Pandemie auf die am stärksten
und Monate haben gezeigt: Es nützt                                                                                    betroffenen Berufsgruppen.
nichts, wenn der eine Kanton die Lä-                                                                                  Der VPOD bekämpft weiterhin die
den schliesst und die Leute dafür in                                                                                  Praxis einiger Kantonsärztinnen und
den Nachbarkanton in den Ausverkauf                                                                                   Arbeitgeber, Gesundheitspersonal
reisen.                                                                                                               aus der Quarantäne oder sogar mit
                                                                                                                      bestätigter Infektion zur Arbeit zu
Wichtige Punkte fehlen                                                                                                zwingen. Dieses Vorgehen, das von
Das Durcheinander von zu zahmen                                                                                       Spitälern, Spitex-Organisationen und
Massnahmen in 26 Farbnuancen ver-                                                                                     Altersheimen geübt wird, erhöht le-
mag die Pandemie nicht namhaft ein-                                                                                   diglich die Risiken und befeuert die
zudämmen. Der Blick nach England                                                                                      Pandemie.
und Irland zeigt, was uns in wenigen                                                                                  Das Personal in der ersten Reihe des
Wochen erwartet, wenn das Trödeln                                                                                     Service public, das seit Monaten unter
und Laborieren mit lauwarmen Mass-                                                                                    riesigen physischen und psychischen
nahmen fortgesetzt wird. Insofern                                                                                     Belastungen steht, muss endlich an-
begrüsst es der VPOD, dass der Bun-                                                                                   gemessen entschädigt werden – dies
desrat deutlich stärkere Einschränkun-                                                                                eine weitere dringende Forderung
gen verfügt hat, auch wenn diese im                                            Rien ne va plus: Der VPOD begrüsst     des VPOD. Die Beschäftigten sind
Vergleich zu anderen europäischen                                            die neuen Massnahmen gegen Corona.       müde und ausgelaugt; sie benötigen
Ländern noch immer milde ausfallen.                                                                                   jetzt eine Perspektive: Politik und
Dennoch fehlen wichtige Punkte. So                                                                                    Arbeitgeber müssen zeigen, dass sie
müssen die Kosten für Homeoffice                                                                                      gewillt sind, die seit Langem bekann-
vom Arbeitgeber getragen werden,                                                                                      ten Probleme wie den bedenklichen
auch wenn der Bundesrat oder die Ar-                                                                                  Personalmangel endlich anzugehen.

SGB: Verschärfung sozial abfedern
Der SGB verlangt, dass die Massnahmen zur               KMU speziell aus der Gastronomie die Krise nicht      Wie vom SGB verlangt, hat der Bundesrat endlich
Eindämmung der Pandemie stärker abgefedert              überleben.                                            (wieder) Massnahmen zum Schutz der gefährde-
werden. Begrüssenswert ist der lang geforderte          Mit der Teilschliessung ist es für Arbeitslose noch   ten Arbeitnehmenden getroffen. Damit werden
erleichterte Zugang zu den Härtefalllösungen.           schwieriger geworden, wieder eine Stelle zu fin-      diese spezifisch geschützt, ohne diskriminiert zu
Damit gelten Unternehmen in Branchen, deren             den. Es drohen mehr Aussteuerungen. Das trifft        werden. Dazu soll wie im Frühjahr eine Kaskade
Tätigkeit direkt untersagt wird, per se als Härte-      besonders ältere Arbeitslose; in dieser Gruppe hat    von Massnahmen dienen, an deren Ende – wenn
fall. Es bleibe aber fraglich, ob das Mittel des Här-   die Arbeitslosigkeit weiter zugenommen. Deshalb       keine andere Lösung passt – die Dispensation per
tefallfonds wirklich schnell genug wirke, schreibt      braucht es dringend eine Verlängerung der An-         Attest und der Lohnersatz durch die EO stehen.
der SGB. Entscheidend: das Tempo in den Kanto-          zahl Taggelder sowie der Rahmenfristen in der         Zusätzlich müssen Risikopersonen aber explizit
nen. Wenn es dort zu langsam geht, werden viele         Arbeitslosenversicherung.                             vor Kündigung geschützt werden. | sgb

                                                                                                                                               Februar 2021 7
Ein Jahrestag zum Schämen - Die Gewerkschaft - VPOD
VPOD        | Corona     und kein Ende

Corona beschäftigt die VPOD-Branchen weiterhin und weiterhin in unterschiedlichster Weise

Das Personal muss gesund bleiben
Bald ein Jahr Corona! Immer neue Themen erfordern vom VPOD Positionierung oder Kampf; es geht um
Gesundheitsschutz, Lohn, Finanzierung – und um Perspektiven für «danach». Hier der Stand der Dinge in
ausgewählten Branchen, die auf sehr verschiedene Weise betroffen sind.

Gesundheit: Bekenntnis zur Langzeitpflege und zur Impfung
                                                         der Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren          le Verbesserungen. Handlungsbedarf besteht bei
                                                         und verlangt, dass der Gesundheitsschutz für          der unzureichenden Finanzierung und bei den
                                                         das Personal höchste Priorität erhält. Denn oh-       teilweise prekären Arbeitsbedingungen. Gerade
                                                         ne ausreichend gesundes Personal läuft in der         die Langzeitpflege ist besonders dramatisch von
                                                         Langzeitpflege gar nichts.                            Personalmangel betroffen. Ohne baldige Ver-
                                                         Unter anderem müssen Klientinnen, Bewohner            besserung der Arbeitsbedingungen, der Löhne
                                                         und Mitarbeitende einen prioritären Zugang zu         sowie der Karrierechancen wird sich der Pflege-
                                                         Corona-Tests erhalten. Auf keinen Fall darf positiv   notstand weiter verschärfen und grosse volks-
                                                         getestetes oder in Quarantäne befindliches Per-       wirtschaftliche und gesellschaftliche Schäden
                                                         sonal zur Arbeit aufgeboten werden. Weitere For-      verursachen. Der VPOD empfiehlt allen Ange-
                                                         derungen betreffen die Personalressourcen: Die        stellten in der Langzeitpflege, sich in den Betrie-
                                                         Mitarbeitenden sollen geschont werden, indem          ben zusammenzuschliessen und gemeinsam die
                                                         bei Engpässen systematisch zusätzliches Personal      Durchsetzung der Grundsätze einzufordern.
                                                         eingestellt und das Pflegepersonal von fachfrem-      Noch grösser ist der Kreis der Organisationen,
                                                         der Arbeit entlastet wird. Nur im absoluten Not-      die sich auf ein Positionspapier zu den Impfun-
                                                         fall sollen Studierende und FaGe-Lernende der         gen geeinigt haben: Neben den oben Genannten
                                                         letzten Ausbildungsphase zum Einsatz kommen.          bekunden auch H+ Spitäler Schweiz, AvenirSo-
Oft gerät in den Hintergrund, dass Corona nicht          Eine gewisse Entlastung verspricht man sich von       cial und die Unia ihr Vertrauen in das Schweizer
nur in den Intensivstationen wütet, sondern be-          der Reaktivierung von Pensionierten, von Wie-         Zulassungsverfahren und in die zugelassenen
sonders auch die Langzeitpflege betrifft. Kurz           dereinsteigerinnen und von der Aufstockung von        Impfstoffe. Diese dienen dem Selbstschutz und
vor Weihnachten haben sich die wichtigsten Ar-           Teilzeitpensen; diese zusätzlichen Kräfte müssen      sollten dem Personal zur Verfügung stehen, wo-
beitgeberverbände der Langzeitpflege (Curaviva,          aber zu gleichen Bedingungen angestellt sein wie      bei die individuellen Entscheide pro oder contra
Spitex Schweiz, Senesuisse und ASPS) mit Be-             die angestammten. Den Beizug von Armee-, Zi-          Impfung zu respektieren sind.
rufsverbänden und Gewerkschaften (VPOD, SBK              vilschutz- und Zivildienstangehörigen sehen die       Von einer Anordnung von Covid-19-Impfungen
und Syna) über wichtige Grundsätze im Umgang             Organisationen ebenfalls als Möglichkeit.             raten die Verbände ab. Die Impfung soll wäh-
mit dem Personal verständigt. Ihr Appell richtet         Des Weiteren fordern sowohl Arbeitnehmenden-          rend der Arbeitszeit stattfinden. | vpod (Foto:
sich ans BAG und die Schweizerische Konferenz            als auch Arbeitgeberseite langfristige strukturel-    covop58/iStock)

Nahverkehr: Das Frieren hat ein Ende
Zumindest bei den Zürcher Verkehrsbetrieben VBZ
hat das Frieren in der Pause ein Ende. Mit der voll-
ständigen Schliessung der Gastronomie entfiel für
die Stadtzürcher Chauffeurinnen und Wagenführer
ja die Möglichkeit, sich bei den 40- bis 60-minü-
tigen Pausen in einem Restaurant aufzuwärmen.
Das betraf jene Pausen, die nicht in einem der
Depots stattfinden, sondern an den Bahnhöfen
Enge und Altstetten und bei der ETH. Inzwischen
haben die VBZ reagiert und an den neuralgischen
Punkten geheizte Räume in ehemaligen Restau-
rants oder Containern angemietet. Der VPOD ist
erleichtert; er hätte sonst zur Selbsthilfe gegriffen.
| vpod (Foto: Rafael_Wiedenmeier/iStock)

8 Februar 2021
Corona und kein Ende             |   VPOD

Bildung: Schliessung der obligatorischen Schule als allerletztes Mittel
Die Fallzahlen müssen massiv sinken, daran be-      um lernen. Sollte eine Umstellung
steht kein Zweifel. Trotzdem sieht der VPOD die     auf Fernunterricht aus Pande-
Schliessung der obligatorischen Schulen, insbe-     miegründen unumgänglich sein,
sondere auf den unteren Stufen, nur als aller-      müssen die Schulen trotzdem of-
letztes Mittel der Pandemiebekämpfung und als       fen bleiben für jene Kinder, die zu-
Bestandteil eines vorübergehenden kompletten        hause nicht die nötige Ausstattung
Lockdowns an. Die Schulschliessungen im vergan-     haben oder in schwierigen Verhält-
genen Frühjahr hatten einen sehr hohen Preis. Ein   nissen leben. Es braucht entspre-
Teil der Schülerinnen und Schüler konnte die ent-   chende Betreuungsstrukturen in
standenen Defizite bis heute nicht aufholen, und    den Schulen.
die psychischen und sozialen Folgen der mehr-       Der VPOD stellt fest, dass die Lehr-
wöchigen Isolation sind bis heute gross. Psychi-    personen seit Schuljahresbeginn
atrische Ambulanzen und Kliniken berichten über     auch mit dem Präsenzunterricht
einen massiven Anstieg von jugendlichen Patien-     einer enormen Belastung ausge-
tinnen und Patienten. Deutlich wurde inzwischen     setzt sind. Immer wieder sind Schülerinnen und      ist daher nicht erstaunlich, dass viele Lehrperso-
auch, dass trotz hohem Einsatz der Lehrpersonen     Schüler in Quarantäne und müssen parallel zum       nen über Erschöpfungszustände berichten und
die Lernzeit der Kinder während der Schulschlies-   Normalunterricht auf dem Laufenden gehalten         am Rande ihrer Kräfte sind. Nötig ist die klare
sung stark gesunken ist. Befürchtet werden le-      werden. Einige haben noch Defizite aus dem ver-     Anerkennung dieser ausserordentlichen Leistung,
benslängliche Folgen für die Betroffenen.           gangenen Schuljahr, dazu kommen die Sorge um        nötig ist aber auch konkrete Entlastung.
Daher sollte – ehe man die obligatorische Schule    die eigene Gesundheit, fehlende Stellvertretungen   Technische (Luftfilter, CO2-Messgeräte) und me-
schliesst – das Konzept von Vertiefungswochen       bei Krankheit oder Quarantäne der Lehrpersonen,     dizinische Massnahmen (Schnelltests und priori-
vor oder nach den Frühjahrsferien umgesetzt         die wöchentlich mögliche Änderung der Massnah-      tärer Zugang zu Impfungen) sollen weitere Ent-
werden, bei denen die Schülerinnen und Schüler      men sowie die Angst und der Druck von Eltern in     spannung bringen, hofft der VPOD. | vpod (Foto:
eine oder zwei Wochen zuhause im Selbststudi-       Bezug auf die Bildungsaussichten ihrer Kinder. Es   macroart/photocase.de)

Luftverkehr: «Krisen-GAV» in Zürich – bald auch in Genf?
                                                                         hereinkommen. Die Ge-          wieder Gewinne schreibt. Der «Krisen-GAV» tritt
                                                                         werkschaften setzen auf        während des laufenden Jahres gestaffelt in Kraft
                                                                         eine Verhandlungslösung        und umfasst rund 1500 Beschäftigte am Zürcher
                                                                         unter Führung der kanto-       Flughafen. Neben dem VPOD sind auf Arbeitneh-
                                                                         nalen Schlichtungsstelle       merseite der KV und SEV-Gata am Abschluss be-
                                                                         CRCT: Diese schlägt vor,       teiligt, der zugleich einen neuen Sozialplan und
                                                                         ein temporäres «Krisenab-      sozialverträgliche Veränderungen bei der Pensi-
                                                                         kommen» abzuschliessen         onskasse bringt.
                                                                         und gleichzeitig die Ver-      Mit Blick auf die Zeit nach Corona hat der VPOD
                                                                         handlungen über die Er-        Luftverkehr ein Positionspapier erarbeitet, das
                                                                         neuerung des GAV wieder        auch die SP unterstützen soll. Demnach soll die
                                                                         aufzunehmen.                   Massenfliegerei «ohne Rücksicht auf Mensch und
                                                                         Eine ähnliche Vereinba-        Umwelt» der Vergangenheit angehören. Wenn an
                                                                         rung wurde am Flughafen        den Flughäfen soziale Standards verbindlich sind,
                                                                         Zürich unterzeichnet: Mit      etwa mit einer GAV-Pflicht, und wenn die exter-
Den Swissport-Beschäftigten am Genfer Flug-         Zustimmung zum «Krisen-GAV» zeigen sich die         nen Kosten des Luftverkehrs internalisiert wer-
hafen drohen eine Erhöhung der Arbeitszeiten        Mitarbeitenden von Swissport Zürich bereit, sich    den, werden die Tickets teurer. Wenn daher dann
und massive Lohnkürzungen (bis 1200 Franken         an der Bewältigung der Krise zu beteiligen –        weniger geflogen wird, nützt das dem Klima. Es
im Monat). Den GAV und den Sozialplan hat das       durch temporären Verzicht auf Ferien und Lohn       dürfe aber nicht sein, dass am Ende die Beschäf-
Unternehmen gekündigt. Jetzt setzt es den Mit-      sowie durch erhöhte flexible Einsatzbereitschaft.   tigten die Zeche zahlen müssen. Das Papier for-
arbeiterinnen und Mitarbeitern das Messer auf       Durchschnittlich werden die Beschäftigten wäh-      dert einen Beitritt der Schweiz zur «Social Agenda
die Brust: Wer bis 28. Januar (nach Drucklegung     rend der Krise auf etwa 150 Franken pro Monat       in Aviation», der sich bereits Belgien, Dänemark,
dieses Magazins) nicht zustimme, werde entlas-      verzichten. Damit sollen Arbeitsplätze und das      Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande
sen. Diese Demontage trifft eine Berufsgrup-        Überleben des Flughafendienstleisters gesi-         und Portugal angeschlossen haben. Für die Be-
pe, die schon bisher für sehr harte Arbeit sehr     chert werden. Für die Mitarbeitenden ist klar,      wältigung der aktuellen Krise verlangt das Papier
schlecht bezahlt wurde. Mit 3873 Franken brutto     dass ihr Entgegenkommen sie umso stärker am         unter anderem, dass gesundheitlich bedingte Ein-
kann man in Genf nicht leben. Erst recht nicht,     Unternehmensgewinn beteiligen wird, sobald          und Ausreisebestimmungen international harmo-
wenn wegen Kurzarbeit nur 80 Prozent davon          Swissport Zürich die Krise überstanden hat und      nisiert werden. | vpod (Foto: Eric Roset)

                                                                                                                                          Februar 2021 9
VPOD      | Corona   und kein Ende

Eine Umfrage im Sozialbereich zeigt die anhaltend schwere Belastung und das hohe Engagement des Personals

Ungebrochene Motivation
Die Belastung in sozialen Einrichtungen ist enorm. Die VPOD-Umfrage zur zweiten Corona-Welle zeigt,
dass vorbestehender Personalmangel vielerorts noch verschärft wurde. Dennoch sind die Beschäftigten des
Sozialbereichs mit Engagement bei der Sache. | Text: Christoph Schlatter

                                                                                                    der Umfrage war das konsequente Testen von
 Die Maskenpflicht in Innenräumen wird            Die Distanz von 1,5 Metern kann bei
                                                                                                    Personal und Klientinnen bzw. Bewohnern
 umgesetzt und eingehalten                        meiner Arbeit eingehalten werden.
                                                                                                    noch die Ausnahme. Lediglich 15 Prozent ga-
                                                                                                    ben an, dass es in ihrem Betrieb regelmässige
                                                                                                    Tests gibt. (Zur Impfung wurden keine Fra-
                                                                                                    gen gestellt, weil eine solche beim Start der
                                                                                                    Umfrage noch nicht verfügbar war.)

                                                                                                    Personalmangel und die Folgen
                                                                                                    Die Frage «Gibt es in deinem Betrieb Perso-
                                                                                                    nalmangel?» haben 44 Prozent mit Ja beant-
                                                                                                    wortet. Unter diesen sagt eine überwiegende
                                                                                                    Mehrheit (62 Prozent), dass dieser Mangel
                                                                                                    bereits vor Corona bestanden hat, aber durch
    Ja                     Weitgehend                Ja                     Weitgehend
                                                                                                    die Pandemie verschärft wurde. Nur 19 Pro-
    Teilweise              Nein                      Teilweise              Nein
                                                                                                    zent geben an, dass ausschliesslich Covid-19
                                                                                                    – also damit zusammenhängende Ausfälle
Die Corona-Pandemie betrifft den Sozialbe-      gen zeigt sich, dass der Abstand von andert-        etwa wegen Krankheit oder Quarantäne –
reich anhaltend stark, vor allem Einrichtun-    halb Metern an vielen Orten nicht eingehalten       den Mangel bewirkt haben. 18 Prozent sehen
gen, in denen die Klientinnen und Klienten      wird (oder nicht eingehalten werden kann). 49       diesbezüglich keine Veränderung zu vorher:
wohnen oder tagsüber verweilen. Dies geht       Prozent sagen, die Distanz werde wenigstens         Es hatte und hat zu wenig Leute. Als ein mas-
aus einer Umfrage hervor, an der sich 658       weitgehend eingehalten, 28 Prozent sagen:           sives Problem erscheint in der Umfrage der
Personen aus der Deutschschweiz beteiligt       teilweise, 23 Prozent verneinen überhaupt.          Umgang mit Zeitkonti. Die einen kämpfen
haben, schwergewichtig aus den Bereichen        Trotzdem kann konstatiert werden: Auf Sei-          mit Überstunden, die sie nicht oder nicht
«Kinderbetreuung» und «Wohnheime für            ten der Arbeitgeber ist seit dem Frühling 2020      in der geforderten Frist abbauen können, je-
Menschen mit Unterstützungsbedarf». (Eine       viel Arbeit geleistet worden. So hat sich die La-   mand hat «120 Überstunden in 6 Monaten»
praktisch deckungsgleiche Erhebung hat der      ge bezüglich Schutzmaterial, das in der ersten
VPOD zeitlich versetzt auch in der Romandie     Welle gerade im Sozialbereich überall Man-
                                                                                                     Gibt es in deinem Betrieb regelmässige
gemacht; die Auswertung dieser Daten steht      gelware war, entspannt. Auch bestehen prak-
                                                                                                     Covid-19-Tests?
noch aus.) Das Charakteristikum der Branche     tisch flächendeckend Schutzkonzepte, und ein
spiegelt sich im Ergebnis überdeutlich: Prak-   überwiegender Teil der Antwortenden gibt an,
tisch niemand kann ins Homeoffice auswei-       die betriebsinterne Ansprechperson für deren
chen; 80 Prozent der Antwortenden arbeiten      Durchsetzung zu kennen.
durchwegs im Betrieb, nur 18 Prozent haben      Noch immer aber gibt es Hausaufgaben für
einzelne Tage, an denen sie von zuhause aus     die Arbeitgeber; zumindest war das in der
tätig sein können; 2 Prozent (mutmasslich in    Zeit um Weihnachten so, die von der Umfra-
beratenden Berufen Tätige) machen durch-        ge abgebildet wird. Namentlich punkto Infor-
wegs Homeoffice.                                mation und Schulung des Personals besteht
                                                Luft nach oben. Klare Stellvertreterregelun-
Luft nach oben                                  gen bei Ausfällen in ihrem Betrieb sind nur
Erhoben wurde unter anderem, wie gut die        bei 43 Prozent der Antwortenden bekannt,
                                                                                                        Ja, für Klientinnen und Klienten
Schutzvorschriften in den Betrieben aus Sicht   von einem Notfallplan bei massenhaften Ab-
                                                                                                        Ja, für das Personal
der Mitarbeitenden umgesetzt sind. Die Mas-     senzen wissen 29 Prozent. Und unter jenen,
                                                                                                        Ja, für Personen aus beiden Gruppen
kenpflicht in Innenräumen wird der Umfrage      die direkt mit Covid-19-Infizierten zu tun ha-
                                                                                                        Nein
zufolge gemäss 93 Prozent der Antwortenden      ben, wurden lediglich 41 Prozent spezifisch
                                                                                                        Weiss nicht
umgesetzt oder weitgehend umgesetzt. Hinge-     dafür geschult. Mindestens zum Zeitpunkt

10 Februar 2021
Corona und kein Ende              |   VPOD

gemacht, jemand anderes «in einem Monat               Ferienguthaben aus dem Vorjahr einfach im
50 Plusstunden». Andere sind unverschuldet            Lockdown untergingen, ist nicht in Ordnung.            Gründe für den Personalmangel
ins Minus gefallen, weil Betriebsteile zeitwei-       Trotz all dieser Schwierigkeiten: Das Perso-
se geschlossen waren. An gewissen Orten gibt          nal im Sozialbereich ist erstaunlich robust
es beides parallel: «Niemand hat den Durch-           und vor allem: ungebrochen motiviert. Die
blick. Alle sind im Plus oder im Minus und            Aussage «Übers Ganze gesehen bin ich mit
wissen nicht, wie auf null kommen.»                   meiner Arbeitssituation zufrieden» wurde
                                                      von 20 Prozent «vollkommen», von 54 Pro-
Paradoxe Beurteilung?                                 zent «eher» bejaht. Nur ein gutes Viertel ist
Besonders schwierig gestalten sich die Ver-           (eher) unzufrieden. Vergleicht man dieses
hältnisse dort, wo der Aufbau von Überstun-           Ergebnis mit der 2019 – vor Corona – im ge-
den «normal» ist, weil man damit verlängerte          samten Verband durchgeführten Umfrage,
Ferien oder Studienabwesenheiten «voraus-             wo die wörtlich gleiche Frage gestellt wurde,
bezahlt». Solche Systeme sind angesichts von          zeigt sich: Die Zufriedenheit unter den Be-               Covid-19 (Dauernd Mitarbeitende in Isolation
                                                                                                                oder Quarantäne)
Corona total aus der Balance geraten. Über-           schäftigten des Sozialbereichs ist sogar leicht
                                                                                                                Der Mangel bestand schon vorher
haupt muss das Thema Jahresarbeitszeit                gewachsen. Paradox? Nicht unbedingt! Es
                                                                                                                Beides (Personalmangel hat sich verschärft)
nochmals neu angeschaut werden: Einige                gibt dazu zwei Erklärungsversuche: Zum ei-
                                                                                                                Anderes
Arbeitgeber haben das Modell benützt, um              nen erweist sich die Arbeit im Sozialbereich
die extremen Schwankungen einer Jahrhun-              im Gegensatz zu jener in anderen Branchen
dertkrise telquel auf die Arbeitnehmenden             – Gastronomie oder Kultur zum Beispiel – als          Situation als speziell erfüllend empfunden
abzuwälzen. Das kann nicht im Sinne der               relativ krisensicher. Zum anderen ist nach-           werden kann, Menschen zu unterstützen, die
Erfinderin sein. Auch dass nicht bezogene             vollziehbar, dass es gerade in der aktuellen          Unterstützung benötigen.

Notfalls privater Verzicht
Im Zweifel stellen die Beschäftigten des Sozialbereichs ihre eigenen Bedürfnisse zugunsten der Menschen zurück,
die ihnen anvertraut sind. Wie schwierig die Umsetzung der Corona-Massnahmen im Sozialbereich ist, illustriert die
Umfrage ebenfalls deutlich. | Text: Christoph Schlatter (Foto: David-W-/photocase.de)

Die freien Textfelder der VPOD-Erhebung 2020/21       men sollte, aber das ist oft nicht umsetzbar.» Auch   oder das gemeinsame Richten und Essen des
gestatten einen nahen Einblick in die Schwierig-      im Behindertenbereich ist die Distanz teilweise       Zvieris. «Der normale Alltag ist nicht mehr der-
keiten, mit denen die Kolleginnen und Kollegen        schwierig: «Die Klienten halten sich aufgrund         selbe ohne die Rituale», klagt jemand. Zudem
im Sozialbereich seit bald einem Jahr zu kämpfen      ihrer kognitiven Fähigkeiten nicht dran bzw. ver-     leiden auch die Kontakte mit Angehörigen, sei es
haben. Die Maske etwa ist ein Hindernis für das       stehen nicht, warum es wichtig ist, Abstand zu        das kurze Gespräch zwischen Tür und Angel mit
Verständnis, für den Aufbau von Beziehungen,          halten.» Jedenfalls sorgen die Einschränkungen        Eltern, die ihre Kita-Kids holen oder bringen, sei
für pädagogische Interventionen. «Nach meinem         oft für Missverständnisse und Gereiztheit, für        es im Behinderten- oder Betagtenbereich wegen
Empfinden nehmen die Kinder mich nicht mehr           «Unsicherheit, Rückzug, Unverständnis, Angst,         zeitweiser Besuchsverbote.
so sehr ernst; sie finden, wir sehen lustig aus mit   Ärger, Frustration».                                  Dennoch spricht aus vielen Voten auch ein ge-
der Maske», schreibt jemand. Jemand anderes:          «Nicht zu singen, ist total schwer!», tönt es aus     wisser Pragmatismus: «Wir konnten in den ver-
«Vielen fremdsprachigen Kindern bereitet das          der Kita. Dort und in der Arbeit mit Menschen mit     gangenen Monaten die Hygiene-, Distanz- und
verminderte Verständnis grosse Mühe.» Infolge         Beeinträchtigung spielen Routinen eine wichtige       Maskenpflicht mit allen zu Betreuenden sehr gut
Maske erschwerte Kommunikation wird auch für          Rolle, sei es das morgendliche Begrüssungslied        einüben.» «Unterdessen haben sich alle daran ge-
andere Konstellationen festgehalten, etwa wenn                                                              wöhnt.» «Es geht besser als gedacht.» «Da gehen
Hörbehinderte beteiligt sind, aber auch dort, wo                                                            wir gemeinsam durch, ohne zu jammern.» – Die
«die meisten Menschen, die zu mir in Beratung                                                               vielleicht eindrücklichste Erkenntnis aus der Er-
kommen, Deutsch nicht als Muttersprache haben».                                                             hebung ist, dass zahlreiche Kolleginnen und Kol-
Die Wahrung von anderthalb Metern Abstand ist                                                               legen bewusst ihr privates Leben noch über die
oft nicht machbar. Die Beschäftigten haben un-                                                              behördlichen Vorschriften hinaus reduzieren, um
terschiedliche und differenzierte Strategien ent-                                                           die ihnen anvertrauten Menschen nicht in Gefahr
wickelt, damit umzugehen: «Ausser beim Trösten                                                              zu bringen. Ein Beispiel: «Ich habe mich komplett
wird geschaut, dass die Kinder auch Abstand                                                                 eingeschränkt, sehe schon seit Monaten wieder
zu uns haben», heisst es. Oder: «Ich arbeite mit                                                            keine Freund*innen mehr, oder wenn, dann nur
Kindern mit einer Behinderung. Diese kommen                                                                 draussen für einen Spaziergang mit Abstand oder
trotzdem nahe und brauchen diese Nähe.» Oder:                                                               via Video-Calls.» Ein anderes Votum: «Ich verzich-
«Ich weiss, dass ich Kinder nicht in den Arm neh-                                                           te total auf meinen ‹eigenen› Freundeskreis.»

                                                                                                                                             Februar 2021 11
VPOD      | Aus   den Regionen und Sektionen

                                                                          Umkleiden ist Arbeitszeit – in Solothurn . . .

                                                                          . . . und in der Stadt Zürich. Aber wie?

                                                                          duziert sich je nach Anstellungsgrad. Das entspricht 2 Minuten am
                                                                          Anfang und 2 Minuten am Ende des Diensts. Eine Intensivpflege-
                                                                          fachperson kommt damit unmöglich hin; zudem sind die Gebäu-
                                                                          de teilweise weitläufig. Der VPOD findet diese Abgeltung realitäts-
                                                                          fremd, knauserig und ein fatales Signal im Angesicht der Pandemie.
                                                                          Er wird sich gegen diese mickrige Pauschale entschieden wehren.
                                                                          | (Foto: Keystone/Ennio Leanza)

                                                                          Umkleidezeit auch in Solothurn gefordert
                                                                          Auch die Angestellten der Solothurner Spitäler SOH fordern eine
                                                                          angemessene Entschädigung der Zeit, die sie für das obligatorische
                                                                          Umziehen vor Dienstantritt im Spital benötigen. Ihre Forderung: eine
                                                                          Zeitgutschrift von 10 Minuten pro Dienst oder 4 zusätzliche freie Tage
                                                                          pro Jahr. Der SOH-Geschäftsleitung wurden 916 Postkarten mit der
                                                                          Forderung übergeben. Diese grosse Zahl zeigt, dass die Geschäftslei-
                                                                          tung nun eine Lösung präsentieren muss, welche von den Mitarbei-
                                                                          tenden akzeptiert wird. Der VPOD erwartet nun, dass die Spitaldirek-
                                                                          tion die Anliegen endlich ernst nimmt und einen Vorschlag bringt,
                                                                          der vom Personal akzeptiert wird. | vpod (Foto: vpod)
Zürich: Keine Billigmusik
Musiklehrpersonen arbeiten zu viel. Das hat eine vom MuV.vpod in          Basel: Flexiblere Kinderbetreuung
Auftrag gegebene Arbeitszeitstudie der GFS Zürich aufgedeckt. Zwar        Die VPOD-Gruppe am Universitätsspital Basel hat für ihre Petition
hat die Musikbildung in der Bevölkerung starken Rückhalt – im Be-         «Flexible Kinderbetreuung zur Entlastung des Gesundheitspersonals»
rufsalltag der Musiklehrerinnen und Musiklehrer schlägt sich das aber     in nur zwei Monaten 750 Unterschriften gesammelt. Jetzt liegen die
nicht nieder. Gemäss Erhebung arbeiten Musiklehrpersonen im Kan-          Forderungen beim Regierungsrat der beiden Halbkantone. Sie neh-
ton Zürich bei einer 100-Prozent-Anstellung im Schnitt jedes Jahr 128     men ein Problem auf, das sich in der Pandemie noch verschärft hat:
Stunden bzw. 3 Wochen zu viel. Die Löhne decken nur einen Bruch-          Im Gesundheitswesen arbeiten viele Eltern und Alleinerziehende
teil der Kosten für Infrastruktur, Instrumente, Weiterbildung, Material   in Teilzeit. Selbst wenn sie es wollten, können sie ihr Pensum nur
und Üben; sie sind flexibel und schwanken mit den Anmeldezahlen;          schwer ausbauen, weil keine Betreuung für die Kinder zur Verfügung
oft müssen Kleinstpensen an mehreren Schulen kombiniert werden.           steht; das Angebot ist nicht auf die Bedürfnisse von Schichtarbeiten-
Das führt zu grossem Reiseaufwand, der nicht abgerechnet werden           den ausgerichtet. Diesem Missstand soll jetzt abgeholfen werden. Da-
kann. Mit der Umsetzung der Musikschulinitiative hat die Bildungsdi-      mit die Umsetzung den Lebensrealitäten der Betroffenen entspricht,
rektion jetzt die Gelegenheit, die Bedingungen für die Musiklehrkräfte    braucht es eine Delegation der Basis im Umsetzungsgremium. | vpod
zu verbessern und zu harmonisieren. Der MuV.vpod fordert unter an-
derem fixe Pensen und eine einheitliche Pensionskasse. | vpod             Bund: Handlungsbedarf ganz oben
                                                                          Die alle 3 Jahre durchgeführte umfassende Personalbefragung beim
Umkleidezeit: Stadt Zürich knausert                                       Bund hat gezeigt, dass die Angestellten mit Eifer und Engagement bei
Den Grundsatz hat die Stadt Zürich anerkannt: Umkleidezeit ist Ar-        der Sache sind – nur die oberste Führung lässt zu wünschen übrig.
beitszeit. Auf Druck des VPOD muss sie die bisherige Praxis aufge-        Dass es dem Bundespersonal ernst ist, zeigt die hohe Rücklaufquote
ben, wonach sich etwa die Angestellten der beiden Stadtspitäler und       von 72 Prozent. Auch die Werte für Commitment, Identifikation und
der Pflegezentren vor der Arbeit umziehen müssen, während in ande-        Einsatz sind überdurchschnittlich. Der grösste Schwachpunkt ist wie
ren Bereichen die Uhr bereits vorher zu laufen beginnt. Im Sommer         bei früheren Umfragen die oberste Leitung: Dringliche Probleme wer-
beschloss der Stadtrat, die konkrete Ausgestaltung den Dienstabtei-       den zu oft nicht angegangen, abteilungsübergreifende Zusammenar-
lungen zu überlassen. Jetzt wird den Beschäftigten im Triemli- und        beit wird zu wenig gefördert. Der VPOD wird diese Ergebnisse mit
im Waidspital und jenen der Pflege- und Alterszentren verkündigt:         Bundesrat Maurer und dem Eidgenössischen Personalamt ergebnis-
Es gibt eine Pauschale von 60 Franken pro Monat; der Betrag re-           orientiert diskutieren. | vpod

12 Februar 2021
Dossier: 50 Jahre Frauenstimmrecht

Interview mit der Historikerin Fabienne Amlinger, die zum Frauenstimmrecht forscht

«Demokratie ist nie ‹fertig›»
Die Historikerin Fabienne Amlinger forscht zum Frauenstimmrecht in der Schweiz. Warum kam es so spät? Und
warum kam es dann doch? Das VPOD-Magazin sprach mit ihr ausserdem über die erste Generation Politikerinnen
und über den Gender Gap an der Urne. | Interview: Christoph Schlatter (Foto: Universität Bern [Vera Knöpfel])

VPOD-Magazin: Obwohl du das
sicher schon oft erzählt hast, musst               «Die Schweizerinnen
du auch mir die unvermeidliche Frage              mussten ihr Stimmrecht
beantworten: Wie kommt es, dass in
der Schweiz das Frauenstimmrecht
                                                 auf allen drei Staatsebenen
soooo spät erst eingeführt wurde?                        erkämpfen.»
Fabienne Amlinger: Du hast recht, im Zu-
sammenhang mit dem Jahrestag muss ich
das derzeit ständig erklären. Die Kurzfas-       für mündig erklärt. Hat die Schweiz
sung: Eine – aber nicht die einzige – Ursa-      diese beiden Züge verpasst, weil sie in
che ist das politische System der Schweiz, die   die Kriege nicht direkt involviert war?
Tatsache, dass das Frauenstimmrecht von          Im Unterschied zu anderen Ländern kamen
den Männern an der Urne «gewährt» wer-           fast alle Schweizer Wehrmänner nach dem
den musste. Allerdings waren auch die poli-      Krieg wieder heim. Schneller als anderswo
tischen Eliten lange Zeit wenig interessiert.    drängten sie damit auch die weibliche Er-
1959, bei der ersten nationalen Abstimmung,      werbsbeteiligung zurück, die im Krieg auf-
gab es zwar im Parlament eine befürworten-       grund der abwesenden Männer angestiegen
de Mehrheit – aber wohl nur deshalb, weil die    war. Auch hat das Frauenstimmrecht natür-
meisten National- und Ständeräte von einem       lich eine Rolle gespielt in jenen Ländern,
sicheren Volks-Nein ausgingen, das dann          die nach verlorenen Kriegen eine Demokra-
prompt auch eintrat. Der Föderalismus trug       tie (wieder) installieren mussten und die im
das seine zur Verzögerung bei; die Schwei-       Frauenstimmrecht auch ein Mittel sahen, sich
zerinnen mussten sich ihr Stimmrecht ja auf      als moderne, geläuterte Staaten darzustellen.                               Fabienne Amlinger.
allen drei Staatsebenen erkämpfen.               Das gilt für Italien nach dem Faschismus,
Dass es 1971 auf der nationalen Ebene klappte,   für Deutschland und Österreich 1918,           gen wie des Frauenstimmrechts gar nicht
könnte aber auch mit einer geänderten Taktik     wo morsche Monarchien abgelöst                 bedürfe.
der Frauen zu tun haben. Zuvor waren sie als     wurden. Während die Schweiz . . .              In der Dynamik, die den Umschwung
Bittstellerinnen aufgetreten; im Rahmen des      . . . während die Schweiz diese historische brachte, nimmt die Diskussion über die
Aufbruchs von 1968 griffen sie zunehmend         Notwendigkeit nicht empfand, weil «man» ja Europäische Menschenrechtskonvention
zu konfrontativen Formen des Protests.           schon «immer» eine Demokratie gewesen ist. eine zentrale Rolle ein. Oder?
Die meisten Historikerinnen und Historiker       Bekanntlich fand die ganze Kultur des Repu- Auf jeden Fall. Diese Debatte war ein Kataly-
anerkennen diesen Zusammenhang, den ich          blikanismus seit der französischen Revoluti- sator. Der Druck auf die Schweiz stieg in den
ebenfalls für wichtig erachte. Es gab in bür-    on trotz Gleichheitspostulat ohne die Frauen 1960er Jahren laufend an. Bundesräte klag-
gerlichen Kreisen eine grosse Angst vor Extre-   statt. In der Schweiz resultierte aus der Ver- ten, man müsse sich im Ausland ja langsam
mismus; man fürchtete, dass eine weitere Ver-    knüpfung mit dem Gründungsmythos eine schämen, die Schweiz werde wegen des feh-
zögerung des Frauenstimmrechts die Frauen        besonders perfide Konstellation: Natürlich lenden Frauenstimmrechts zunehmend zum
in die Arme radikaler Gruppierungen treiben      sind auch auf dem Rütli bzw. in Schillers Tell Gespött. Und die Befürworterinnen haben re-
würde. So gab man ihnen lieber die «Beruhi-      lauter Männer zugange, aber die Stauffache- alisiert, dass ihnen die geplante Ratifizierung
gungspille» Frauenstimmrecht. Aber natürlich     rin hält Rat mit ihrem Mann und steht ihm der Europäischen Menschenrechtskonvention
gehört auch zum Bild, dass zwischen den bei-     bei, sie übt indirekten                                             eine Trumpfkarte in die
den Abstimmungen mehrere Kantone, zuerst         politischen Einfluss aus. «Das Stimmrecht war auch Hand gibt – und dass sie,
Waadt, Neuenburg und Genf, das kantonale         So wurde das Bild konst-                                            wenn sie diesen «Stich»
Frauenstimmrecht eingeführt hatten.              ruiert, dass die «Schwei-
                                                                                eine ‹Beruhigungspille›, die nicht machen, wohl auf
Die meisten Länder haben die Frauen              zerfrau» von jeher etwas         man aus Angst vor Radi­ längere Zeit keine solche
entweder direkt nach dem Ersten oder             zu sagen habe und solch         kalisierung verabreichte.» Chance mehr bekom-
aber am Ende des Zweiten Weltkriegs              neumodischer Erfindun-                                              men. So wurde in den

                                                                                                                               Februar 2021 13
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