Von Trump und Xi lernen? - Globalisierung und Innovation als Treiber einer neuen Industriepolitik - Bertelsmann Stiftung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
GED Focus Paper Von Trump und Xi lernen? Globalisierung und Innovation als Treiber einer neuen Industriepolitik
Autor:innen Daniela Arregui Coka (Bertelsmann Stiftung) Bernhard Bartsch (Bertelsmann Stiftung) Dr. Cora Jungbluth (Bertelsmann Stiftung) Anika Laudien (Bertelsmann Stiftung) Markus Overdiek (Bertelsmann Stiftung) Dr. Dominic Ponattu (Bundesministerium der Finanzen)* Thomas Rausch (Bertelsmann Stiftung) Felix Vemmer * Die Publikation gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und nicht notwendigerweise die des Bundesministeriums der Finanzen.
GED Focus Paper Von Trump und Xi lernen? Globalisierung und Innovation als Treiber einer neuen Industriepolitik
Von Trump und Xi lernen? Inhalt Zentrale Ergebnisse 5 1 Einleitung: Industriepolitik ist (wieder) salonfähig 6 2 Allgemeine Grundzüge der Industriepolitik 9 2.1 USA 9 2.2 China 11 2.3 Europäische Union 13 2.4 Deutschland 15 3 Innovation als industriepolitisches Handlungsfeld 17 3.1 EU und Deutschland: Abnehmende Innovationsfähigkeit als Herausforderung 17 3.2 USA: Silicon Valley als Inbegriff für Innovationsfähigkeit 22 3.3 Chinas „langer Marsch“ von Raubkopien zu eigenständiger Innovation 25 4 Ausblick: Stärkung der Innovationsfähigkeit durch strategische Industriepolitik 30 Verzeichnisse 35 Abkürzungen 35 Abbildungen 35 Tabellen 35 Literatur 36 Impressum 43 4
Zentrale Ergebnisse Zentrale Ergebnisse Technologische Innovationen sind essenzielle Treiber für Neben diesen Handlungsfeldern, die sowohl für die EU langfristiges und nachhaltiges Wachstum zur Sicherung als auch für die einzelnen Mitgliedsstaaten relevant sind, des Wohlstands. Dementsprechend gibt es derzeit in könnten speziell für Deutschland noch industriepolitische Deutschland und der EU eine Diskussion darüber, ob eine Maßnahmen in folgenden drei Bereichen sinnvoll sein: neue, strategische Industriepolitik eine Antwort auf die komplexen Dynamiken der Digitalisierung sein kann. • Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung Produkte dieser Diskussion sind beispielsweise die im verbessern November 2019 vom Bundesministerium für Wirtschaft • Bildungs- und Forschungssystem mehr auf Gründen und Energie herausgegebene Nationale Industriestrategie 2030 und Innovation ausrichten sowie das Deutsch-Französische Manifest für eine europäische • Staat als Vordenker und Vorreiter bei neuen Technologien Industriepolitik für das 21. Jahrhundert. Der Fokus hierbei ist die Frage, wie die EU und ihre Mitgliedsstaaten ihre Strategische europäische und deutsche Industriepolitiken Innovations- und damit Wettbewerbsfähigkeit angesichts sehen sich in ihrer Implementierung jedoch einer Grat- mannigfaltiger Herausforderungen erhalten können. Es wanderung zwischen dem Schutz und der Förderung legi- gibt jedoch kein Standardrezept, um die Innovationsfähig timer Eigeninteressen auf der einen sowie der Abwehr von keit einer Volkswirtschaft auf- und auszubauen. Verschie wirtschaftlich schädlichem Protektionismus und undurch- dene Länder setzen auf unterschiedliche Strategien, die dachtem staatlichem Interventionismus auf der anderen gleichermaßen erfolgreich sein können. Ein wichtiges Seite gegenüber. Die sogenannte „Missionsorientierung“ Unterscheidungsmerkmal ist dabei die Rolle des Staates. kann dabei einen bedeutsamen Beitrag leisten: Demnach Ein deutliches Beispiel für voneinander abweichende sollte Industriepolitik dazu dienen, besondere gesellschaft- Innovationsmodelle sind China und die USA. Obwohl beide liche Herausforderungen (z. B. Globalisierung, Digitalisie- Länder auf gänzlich andere Ansätze hinsichtlich einer rung, demographischer Wandel, Klimawandel) zu bewäl- innovationsfördernden Industriepolitik setzen, sind beide tigen, und kohärent auf diese Ziele ausgerichtet werden. Modelle durch große technologische Erfolge gekennzeich- Darüber hinaus soll Industriepolitik von unterschiedlichen net. Mit einer Analyse des chinesischen und amerikani Akteur:innen parallel getrieben werden. Es ist vor allem schen Innovationssystems beleuchtet diese Studie die eine gemeinsame Aufgabe von Wirtschaft und Politik, einen Hauptmerkmale und Erfolgsfaktoren beider Innovations- wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort zu ermöglichen, modelle und diskutiert, ob und inwieweit diese Faktoren an dem der Staat für gute wettbewerbsfördernde Rahmen- auf den europäischen und deutschen Fall übertragbar sind. bedingungen sorgt und die privaten Akteur:innen konkrete Handlungen umsetzen. Fünf Handlungsfelder für eine innovationsfördernde Indus- triepolitik in der EU und Deutschland ergeben sich aus dieser Analyse: • Langfristige Innovationsstrategie implementieren • Wagniskapital ausbauen • Cluster-Ansätze auf EU-Ebene ausweiten • Cybersicherheit auf EU-Ebene denken und stärken • Einheitliche und faire Wettbewerbsbedingungen schaffen 5
Von Trump und Xi lernen? 1 Einleitung: Industriepolitik ist (wieder) salonfähig Sinn und Nutzen von Industriepolitik sind in Wirtschaft, von der Eisenbahn über das Internet bis aktuell zur Nano- Wissenschaft und Politik umstritten. Allgemein gespro- technologie und Pharmaforschung“, der Staat und nicht chen definiert sich Industriepolitik als „alle wirtschafts- private Unternehmen die entscheidende Rolle gespielt politischen Maßnahmen und Bestrebungen durch Bund, habe. Denn insbesondere bei diesen für Wachstum und Länder und Kommunen sowie Verbände, die auf Struktur wirtschaftliche Dynamik zentralen Basistechnologien, die und Entwicklung der Industrie einwirken“ (Gabler 1988, 10 bis 20 Jahre bis zur Marktreife benötigen, sind Unterneh- S. 2.523). Gegner solcher Maßnahmen sehen in Industrie- men aufgrund der hohen Unsicherheit hinsichtlich eines politik generell eine „Geschichte von Fehlschlägen“ (Han- potenziellen wirtschaftlichen Erfolgs nicht gewillt und delsblatt 2012). Ein Kritikpunkt ist, dass der Staat gar nicht nicht in der Lage, die notwendigen Innovationen durch über ausreichend Informationen verfügen kann, um die für zuführen (vgl. Mazzucato 2014, S. 52, 114; Petersen 2015). die Entwicklung der Wirtschaft notwendigen und sinnvol- len Entscheidungen zu treffen. Insbesondere wenn Regie- Vor diesem Hintergrund spricht einiges für eine aktive rungen versuchen, einzelne „Gewinnerunternehmen oder staatliche Industriepolitik, die darauf ausgerichtet ist, den -branchen“ zu identifizieren („picking the winner“), lau- technologischen Vorsprung und damit die Wettbewerbs- fen sie Gefahr, zum Spielball privatwirtschaftlicher Parti- fähigkeit einer Volkswirtschaft langfristig aufrechtzuer- kularinteressen zu werden – zum Schaden der Volkswirt- halten. Dennoch hatte Industriepolitik in Deutschland und schaft und der Steuerzahler (vgl. Donges 2005; Scheel 2005; der EU lange Zeit keinen guten Ruf (vgl. Aghion et al. 2011; Rehfeld und Dankbaar 2015). Demnach sollte der Staat es Gorning 2012) und scheint immer noch großes Misstrauen generell den Unternehmen überlassen, „die Zukunftsindus unter Wirtschaftsexpert:innen zu verursachen (vgl. SVR trien und Spitzentechnologien des 21. Jahrhunderts im Zuge 2019). Das hängt auch damit zusammen, dass Wirtschafts- des Innovationswettbewerbs zu entdecken und durchzu politik insbesondere ab den 1980er-Jahren, geprägt von den setzen“ (Donges 2005, S. 6). Ein zweiter viel diskutierter Präsidentschaften Ronald Reagans und Margaret Thatchers, Aspekt ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Staat vornehmlich marktliberal ausgerichtet war. Strukturverän- und Markt: Denn der Begriff „Industriepolitik“ birgt die derungen der Wirtschaft sollten durch Marktkräfte erfolgen Assoziation, dass der Staat die Grundsätze des freien Wett- und der Staat primär eine „Nachtwächterrolle“ einnehmen. bewerbs durch eine unangemessene Intervention angreift Damit einher ging eine zunehmende Deregulierung der (vgl. Wirtschaftswoche 2018; Dohse et al. 2019). Finanzmärkte, die zumindest anteilig die Grundlagen für kommende Wirtschaftskrisen legte (vgl. Huffschmid 2005). Befürworter einer aktiven Industriepolitik verweisen hin Vor allem die globale Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/ gegen darauf, dass der wirtschaftliche Aufstieg der west 2008 sorgte in der Folge dafür, dass Industriepolitik in lichen Industrieländer seit Mitte des 19. Jahrhunderts ohne Deutschland wieder salonfähig(er) geworden ist. Denn die eine solche gar nicht möglich gewesen sei. Hinzu kommen Auswirkungen der Krise wurden durch staatliche Eingriffe im 20. Jahrhundert asiatische Länder wie Japan, Südkorea wie „Kurzarbeit“, die „Abwrackprämie“ oder die „Banken- und mittlerweile China als Beispiele einer erfolgreichen rettung“ abgefedert (vgl. Gorning 2012). Mittlerweile gibt staatlichen Industriepolitik (vgl. Aghion et al. 2011; Rodrik es daher eine starke Tendenz, sich nicht mehr auf die Frage 2017; Stiglitz 2017) – wobei es auch auf diese Länder bezo- zu fokussieren, ob Industriepolitik überhaupt stattfinden gen durchaus kritische Stimmen gibt (Barwick et al. 2019; soll, sondern darauf, wie Industriepolitik im 21. Jahrhun- Lane 2019; Pons-Benaiges 2017). Mariana Mazzucato geht dert aussehen sollte (vgl. Rehfeld und Dankbaar 2015; Bardt davon aus, dass „bei den meisten radikalen, revolutionären 2019). Dazu zählt auch der Umgang mit immer komplexer Innovationen, die den Kapitalismus vorangetrieben haben – werdenden Wertschöpfungsketten, die weit über klassische 6
Einleitung: Industriepolitik ist (wieder) salonfähig Handelsbeziehungen hinausgehen, und damit eng verbun- der 19. Parteitag der KPCh, der im Oktober 2017 stattfand, den die Frage nach der künftigen Wettbewerbsfähigkeit von einen Wendepunkt dar: Dies sei der „Einstieg in einen offe- Wirtschaftsstandorten. nen Systemwettbewerb zwischen China und den markt- wirtschaftlichen Demokratien des Westens“ (MERICS 2017) Befeuert wird diese Debatte auf der einen Seite durch die gewesen. Die politische Dimension des chinesischen Auf- Politikgestaltung des amtierenden US-Präsidenten Donald stiegs nimmt dadurch ein neues Ausmaß an, das eine Read- Trump. Diese besteht einerseits zwar aus aggressiver Rheto- justierung der Beziehungen zu China erforderlich macht. rik und Twitter-Botschaften, führt andererseits jedoch auch Auch in diesem Prozess ist Augenmaß gefragt, um die zu konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen, wie z. B. Gratwanderung zwischen Protektionismus und dem Schutz Strafzöllen und Steuererleichterungen. Getreu dem Motto berechtigter nationaler Interessen zu wahren. America First führen diese deutlich vor Augen, dass Indus- triepolitik und einseitiger Lobbyismus nah beieinanderlie- Im Spannungsfeld dieser neuen Konstellation im Westen gen – zum potenziellen Schaden der internationalen Wirt- und im Osten müssen sich Deutschland und die EU zudem schaftsbeziehungen. Dani Rodrik (2017) bezeichnet Trumps mit den Auswirkungen und der Gestaltung der vierten Politikstil sogar als „defekte Industriepolitik“. Denn, so industriellen Revolution (Digitalisierung) auseinanderset- Rodrik weiter, Industriepolitik in einer Demokratie erfor- zen. Die Digitalisierung nahezu aller Lebensbereiche schafft dere Transparenz, Verlässlichkeit und Institutionalisierung neue Grundlagen für die internationale Wettbewerbsfähig sowie eine sorgfältige Kalibrierung der Beziehungen zwi- keit. Althergebrachte Wettbewerbsvorteile, Technologien schen Regierung und Privatunternehmen. „Industriepolitik und Geschäftsmodelle werden obsolet. Neue entstehen à la Trump“ werde diesen Ansprüchen nicht gerecht, son- in einer Geschwindigkeit, die die drei vorangegangenen dern oszilliere zwischen Vetternwirtschaft und Einschüch- industriellen Revolutionen (Mechanisierung, Automatisie- terungsversuchen. Aus deutscher und europäischer Sicht rung, Informatisierung) bei Weitem übertrifft (vgl. Schwab scheinen die USA unter Trump damit bereit, der Weltwirt 2016). Die Chancen, die dadurch entstehen, will auch China schaftsordnung, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg selbst für sich nutzen und nicht länger nur als Zulieferer für mit aufgebaut haben, den Rücken zuzukehren. Mit der Welt- westliche Konzerne fungieren. China will im 21. Jahrhun- wirtschaftsordnung war das Ziel verbunden, wirtschaftliche dert technologisch an die Weltspitze rücken und Standards Barrieren abzubauen und unilaterale protektionistische setzen – und von der „Fabrik der Welt“ zum „Forschungs- Maßnahmen zu vermeiden. Gegenwärtig brechen die USA labor der Welt“ (Jungbluth 2015, S. 85) werden. Vor allem jedoch als verlässlicher Partner in der internationalen für westliche Industrieländer, die bislang in bestimmten politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit weg. Technologien führend waren, bringen diese Entwicklungen Die traditionell guten transatlantischen Beziehungen wer- weitreichende Herausforderungen mit sich: Für sie erscheint den dadurch auf eine harte Belastungsprobe gestellt (vgl. das Risiko besonders hoch, durch die vierte industrielle Jungbluth 2017, S. 6–7). Für Deutschland und Europa stellt Revolution von Schwellenländern wie China, die konsequent sich vor diesem Hintergrund die Frage, welche Maßnahmen und industriepolitisch flankiert auf neue Technologien set- als Reaktion angemessen sein könnten, ohne selbst einer zen, überholt und abgehängt zu werden (vgl. Petersen und „defekten Industriepolitik“ anheimzufallen. Jungbluth 2018, S. 144–145). Der Übergang vom Verbren- nungsmotor zu alternativen Antriebstechniken könnte ein Diesem trumpschen Ansatz steht auf der anderen Seite warnendes Beispiel dafür werden. Damit ändern sich auch Chinas wirtschaftlicher Aufstieg gegenüber. Dieser erfolgte die Voraussetzungen für eine Industriepolitik: Es stellt sich unter häufig kritisierten Rahmenbedingungen, ist aber von immer mehr die Frage, wie diese so gestaltet werden kann, einer durchaus erfolgreichen Industriepolitik geprägt – dass die Innovationsfähigkeit einer Volkswirtschaft opti- insgesamt betrachtet zum Nutzen der Weltwirtschaft. Unter mal gefördert und somit auch ihre internationale Wettbe- Entwicklungs- und Schwellenländern gilt der chinesische werbsfähigkeit im Zeitalter der Digitalisierung gewährleis- Weg mittlerweile als Vorbild und mögliche Alternative zum tet wird. Ins Zentrum der Industriepolitik sollte daher die westlich demokratischen, aber auch marktliberal geprägten Innovationspolitik rücken (vgl. Aiginger 2019; siehe auch: Entwicklungsmodell (vgl. Aghion et al. 2011, S. 2). Dieser BDI 2019, S. 3; SVR 2019, S. 141). wieder auflebende „Wettstreit der Systeme“ ist für die Industrieländer eine große Herausforderung, die seit dem Ein Vorschlag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Amtsantritt Xi Jinpings deutlich zugenommen hat (vgl. Energie (BMWi) für eine Nationale Industriestrategie 2030, MERICS 2017; Stahl 2017). Für westliche Wissenschaft der den Aufbau von nationalen und europäischen Champions ler:innen wie Sebastian Heilmann stellt in dieser Hinsicht forderte (vgl. BMWi 2019a), wurde dagegen von mehreren 7
Von Trump und Xi lernen? Seiten kritisiert (vgl. Manager Magazin 2019). Stattdessen sei ein horizontaler Ansatz bzw. eine ausgewogene Unter- nehmensgrößenstruktur zu befürworten (BDI 2019, Indus- triestrategie 2030, SVR 2019). Die überarbeitete Version, Industriestrategie 2030, verabschiedete sich dementspre- chend merklich vom ganz konkreten Vorhaben nationaler und europäischer Champions (vgl. BMWi 2019b). Vor diesem Hintergrund gibt das vorliegende GED Focus Paper in Kapitel 2 einen kurzen Überblick über industrie politische Ansätze in den USA, China, der EU und Deutsch- land. In Kapitel 3 erfolgt die Einordnung des Themas „Innovation als industriepolitisches Handlungsfeld“, das angesichts der nächsten industriellen Revolution eine bedeutende Rolle spielt. In Kapitel 4 gehen wir darauf ein, ob und was Deutschland bzw. Europa von China und den USA im Hinblick auf eine innovationsfördernde Industrie- politik lernen kann. Daran anschließend machen wir Vor- schläge, welche Handlungsfelder eine solche Politik in der EU und Deutschland tatsächlich berücksichtigen könnte. In Kapitel 4 sind die Ergebnisse eines Workshops der Bertelsmann Stiftung zum Thema „Industriepolitik“ am 4. Juli 2019 in Berlin eingeflossen.1 1 Für ihre wertvollen und hilfreichen Beiträge dürfen wir an dieser Stelle namentlich danken: Sarah Blanck und Dr. Han Wei Chung (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie); Niklas Garnadt (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Wirtschaft); Dr. Lea Shih (Universität Trier). 8
Allgemeine Grundzüge der Industriepolitik 2 Allgemeine Grundzüge der Industriepolitik Industriepolitik spielt in allen Volkswirtschaften unab Im Folgenden gehen wir zunächst darauf ein, welche all hängig von ihrem Wirtschaftssystem eine Rolle. Je nach gemeinen industriepolitischen Grundsätze sich in den USA, Entwicklungsphase und politischem Umfeld steht eher eine China, der EU und Deutschland erkennen lassen und welche aktive (Gestaltung der Wirtschaftsstruktur) oder eine pas- Rolle strategische Industriepolitik bereits einnimmt. sive Industriepolitik (Erhaltung der Wirtschaftsstruktur) im Vordergrund. In den letzten Jahren hat sich mit der strategischen Industriepolitik ein weiteres industriepoli- 2.1 USA tisches Handlungsfeld entwickelt: Hierbei geht es um die gezielte Förderung und den Ausbau zukunftsträchtiger Der fortschreitende Übergang von der Industrie- in eine Branchen, z. B. im Hochtechnologiebereich (vgl. Oberender Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft macht sich auch et al. 2013; Klodt 2018). Dieses Thema hat in westlichen in den USA bemerkbar. Betrug der Anteil der Wirtschafts- Industrieländern insbesondere vor dem Hintergrund des leistung des Industriesektors 1970 noch 32 Prozent an der wirtschaftlichen Aufstiegs Chinas und der zunehmenden Gesamtwirtschaftsleistung, so waren es 2016 nur noch 19 Pro- Internationalisierung chinesischer Unternehmen an Bedeu- zent (vgl. UNCTAD 2019a). Die amerikanische Industrie spielt tung gewonnen. Im Vordergrund steht die Erhaltung der jedoch eine fundamentale Rolle für die Warenexporte und Wettbewerbsfähigkeit dieser Volkswirtschaften bzw. ihrer Beschäftigung im Land. Ihr Anteil an der Wirtschaftsleistung Unternehmen angesichts der erstarkenden chinesischen in Höhe von 3,62 Billionen US-Dollar wurde von 20 Mil Konkurrenz, die aus einem stark industriepolitisch gepräg- lionen amerikanischen Beschäftigten oder 13 Prozent der ten Wirtschaftsumfeld stammt und z. T. gezielt staatlich Erwerbsbevölkerung erwirtschaftet und entspricht 63,5 Pro- gefördert wird. zent der amerikanischen Warenexporte (vgl. USBLS 2017; World Bank 2018). Darüber hinaus führte der Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump zu einem bemerkenswerten Wandel in der Obwohl der Trend zum Rückgang der industriellen Produk- Gestaltung internationaler Wirtschaftspolitik weg von multi- tion längst nicht alle Sektoren gleichermaßen erfasst hat lateral geprägten Ansätzen hin zu Protektionismus und der (vgl. Ramaswamy et al. 2017) und sogar insgesamt in den Überbetonung nationaler Interessen. Die Handelsstreitig- vergangenen Jahren einen leichten Aufschwung verzeich- keiten zwischen den USA und China sowie zwischen den nete (vgl. West und Lansang 2018), ist der Anteil der Indust- USA und der EU haben bereits gezeigt, dass protektionis rieproduktion der USA an der Gesamtindustrieproduktion der tische industriepolitische Instrumente wie Zölle immer Welt insgesamt rückläufig. Lag er 2002 noch bei 28 Prozent, häufiger in der Handelspolitik eingesetzt werden und inter- so waren es 2016 nur noch 18 Prozent. 2010 mussten die USA nationale Kooperation dadurch deutlich schwieriger wird. daher den „Titel“ als größte Industrienation der Welt – ver- standen als Volkswirtschaft mit der größten industriellen Die aktuelle Industriepolitikdiskussion dreht sich daher Produktion – an China abgeben (vgl. Levinson 2018). auch um die Frage, ob strategische Industriepolitik not- wendig und geeignet ist, um unfaire Wettbewerbsbedin- Geschichte, Ziele und Mittel gungen auszugleichen und international ein Level Playing Field herzustellen, auf dem für alle beteiligten Unterneh- Der Wirtschafts- oder Industriepolitik wird in einer liberalen men die gleichen Regeln gelten und die Zusammenarbeit Marktwirtschaft grundsätzlich eine zurückhaltende Rolle zwischen Ländern auf Augenhöhe möglich ist. zugeschrieben (vgl. Hall und Soskice 2001). Auch wenn dieses Bild gerne in der offiziellen politischen Kommunika- 9
Von Trump und Xi lernen? tion aufrechterhalten wird, steht es nicht im Einklang mit Industriepolitik unter der Regierung Trump der Bedeutung der Industriepolitik für den Erfolg der ameri- kanischen Volkswirtschaft (vgl. Wade 2014). Zwar zeichnen Ging es der Vorgängerregierung von Barack Obama vor sich die USA als föderales System eher durch einen unkoor- allem darum, mit ihrer Industriepolitik die Innovations- dinierten und dezentralen industriepolitischen Ansatz aus fähigkeit der amerikanischen Volkswirtschaft zu fördern (vgl. Schrank und Whitford 2009), haben aber insbesondere (vgl. Sperling 2013), steht für die Trump-Regierung offi- bei der Entwicklung von neuen und strategischen Technolo- ziell die nationale Verteidigungsfähigkeit im Mittelpunkt gien sehr stark von einer aktiven Rolle des Staates profitiert (vgl. Navarro 2018). Entsprechend gab der Präsident auch (vgl. Block und Keller 2011; Mazzucato 2013). Diese starke bei einer ministerien-übergreifenden Arbeitsgruppe einen Einflussnahme lässt sich bis in die Anfangsjahre der USA umfassenden Bericht in Auftrag, der die industriellen Sek- zurückverfolgen und tritt in ihrer Geschichte immer wieder toren und Kapazitäten identifiziert, die für die nationale prominent auf (vgl. Stensrud 2016). Sicherheit unabdingbar sind. Der Bericht empfiehlt u. a. die Ausarbeitung einer National Advanced Manufacturing Spätestens mit der Regierung von Ronald Reagan beginnt Strategy und höhere gezielte staatliche Investitionen bzw. die jüngste Phase der amerikanischen Industriepolitik, Subventionen in kritischen Sektoren (vgl. United States die sich vor allem durch die zielgerichtete Förderung von Interagency Task Force 2018). Damit kann sich Präsident strategisch wichtigen Industrien auszeichnet (vgl. Stensrud Trump gleichzeitig auch bei seiner Kernwählerschaft in 2016). Hier einige Beispiele aus der jüngsten Zeit: den industriell geprägten und wahltaktisch sehr wichtigen „Rust Belt“-Staaten im Nordosten des Landes profilieren. • Kapitalbereitstellung: Unternehmensgründer:innen sowie kleinere und mittlere Unternehmen profitieren vor allem Was die Mittel angeht, setzt die Regierung im oben beschrie- davon, dass verschiedene Bundesbehörden Programme benen Standardportfolio bisher vor allem Akzente im Bereich zur Bereitstellung von Risikokapital unterhalten. Sie der steuerlichen Begünstigung. Der von ihr maßgeblich können außerdem bei der Small Business Administration vorangetriebene Tax Cuts and Jobs Act von 2017 soll die Kredite beantragen. amerikanische Industrie international wieder konkurrenz • Steuerliche Begünstigung: Größere Unternehmen oder fähiger machen. Gemäß seinem stark transaktionalen multinationale Konzerne unterstützt die amerikanische Grundverständnis zögert der Präsident aber auch nicht, Regierung vor allem durch Steuererleichterungen. Auf die Peitsche zu zücken, wenn solche Zuckerbrot-Maßnah- bundesstaatlicher Ebene ist ein regelrechter Wettbewerb men nicht fruchten. So kritisierte er u. a. General Motors um die günstigsten Rahmenbedingungen für Unterneh- lautstark dafür, dass sie trotz massiver Steuererleichterun- men entstanden. gen mehrere Tausend Arbeitsplätze in den USA abbauen • Bevorzugung im öffentlichen Beschaffungswesen: Die USA wollen. Als Konsequenz drohte er, dem Konzern sämtliche sind zwar Mitglied des WTO-Übereinkommens über das Subventionen zu streichen (vgl. Horsley 2018) – ließ diesen öffentliche Beschaffungswesen, allerdings können sie Worten aber bis heute keine Taten folgen. den Umfang der Öffnung für ausländische Anbieter weit- gehend selbst definieren. Davon profitiert insbesondere Daneben belebte die Trump-Administration auch Maßnah- die amerikanische Rüstungsindustrie. men wieder, vor denen seine Vorgänger weitgehend zurück- • Exportförderung: Die Export-Import Bank der Vereinig gescheut waren. Ganz offen bekennt sich vor allem der Prä- ten Staaten unterstützt vor allem kleinere und mittlere sident persönlich dazu, nicht nur nichttarifäre, sondern auch Unternehmen bei der wirtschaftlichen Expansion ins tarifäre Maßnahmen zum Schutz der amerikanischen Indus- Ausland. Die von ihr bereitgestellten Kredite, Garantien trie einzusetzen (Twitter-O-Ton: „I am a Tariff Man.“). und Versicherungsleistungen gehen fast zur Hälfte Die umfangreichen Maßnahmen gegen über 800 chinesische an die amerikanische Luftfahrtindustrie (vgl. Export- Güter provozierten einen Handelskrieg zwischen den beiden Import Bank of the United States 2018). Großmächten (vgl. Lawder und Blanchard 2018). Aus Sicht • Branchen- und Unternehmensrettungen: Infolge der der Trump-Regierung sind diese Zölle dringend geboten, Wirtschafts- und Finanzkrise unterzeichnete Barack um unfairen Handelspraktiken Einhalt zu gebieten, da diese Obama schon kurz nach seiner Amtseinführung 2009 den die Wettbewerbsfähigkeit der USA langfristig herausfordern American Recovery and Reinvestment Act. Außerdem stieg die (vgl. The White House 2018; Slobodian 2018). amerikanische Regierung als Großaktionär bei den Auto- mobilkonzernen Chrysler und General Motors ein. 10
Allgemeine Grundzüge der Industriepolitik Die US-Regierung vertritt ihre America First-Politik auch bei die Außenwirtschaft: 94 Prozent der chinesischen Exporte internationalen Handelsabkommen betont offensiv. Ihrer stammten im Jahr 2017 aus dem verarbeitenden Gewerbe Meinung nach befinden sich die USA zu häufig auf der Ver- (vgl. UNCTAD 2018). Damit ist China immer noch stark von liererseite von schlecht ausgehandelten Handelsabkommen. industriellen Exporten abhängig, obgleich die chinesische Daher übt die Regierung massiven Druck aus, um beste- Regierung spätestens seit der Finanzkrise das Ziel verfolgt, hende Abkommen anzupassen (z. B. das bereits nachver- diese Abhängigkeiten zu reduzieren. handelte North American Free Trade Agreement), oder steht neuen bzw. sich noch im Aushandlungsprozess bestehen- Geschichte, Ziele und Mittel den Abkommen sehr skeptisch oder ablehnend gegenüber (vgl. Partington 2018). Vorgängerregierungen betonten Industriepolitik spielte bei der Entwicklung Chinas von einer dagegen vor allem die steigenden Absatzchancen für die imperativen Planwirtschaft hin zu einer „Marktwirtschaft amerikanische Industrie und die Gewinne für alle betei- mit chinesischen Charakteristika“ eine entscheidende Rolle. ligten Länder durch eine weitere Liberalisierung der Welt Bereits im 7. Fünfjahresplan (1986–1990) wurde sie als offi- gütermärkte. zielles Reforminstrument genannt (vgl. Heilmann und Shih 2013, S. 10). Dabei hatte das „ostasiatische Wirtschaftswun- Schon vor Antritt oder früh in der Amtszeit der Trump- der“, also der Aufstieg Japans und Südkoreas in den 1960er- Administration antizipierten einige Expert:innen eine und 1970er-Jahren, einen erheblichen Einfluss auf die Aus- entsprechende Veränderung und Verschärfung der ameri- prägung der chinesischen Industriepolitik. Insbesondere kanischen Industriepolitik mit negativen Folgen für die Japan2 spielte dahingehend eine große Rolle (vgl. Jiang und Vereinigten Staaten und die Weltwirtschaft. So sprach, Li 2018). Japans Aufholprozess gegenüber den Industrielän- wie oben bereits erwähnt, der Wirtschaftswissenschaftler dern galt Chinas Reformpolitiker:innen als mögliches Vor- Dani Rodrik (2017) ganz offen von einer „defekten Indus- bild für den eigenen Entwicklungsprozess. triepolitik“. Drei Jahre nach Trumps Amtsantritt ist eine langfristige Bewertung der möglichen Folgen der Industrie- Erst die Hu-Wen-Regierung und deren Verwaltungsrefor politik der Regierung zwar noch nicht möglich, die Unter- men von 2003 verhalfen Industriepolitik in China zum grabung der regionalen oder globalen Handelsordnung und Durchbruch (vgl. Heilmann und Shih 2013, S. 12–14). Die das sprunghafte und aggressive Verhalten der Regierung Zuständigkeit liegt seither hauptsächlich bei der National verstärken die ohnehin bereits weltweit hohe politische Development and Reform Commission, die von ihrer Vorgän- Unsicherheit jedoch deutlich (vgl. Petersen 2019). gerin, der State Planning Commission, wichtige Befugnisse (z. B. bei der Preisgestaltung in vielen Sektoren) übernahm und über eine erhebliche Gestaltungsmacht verfügt. Weitere 2.2 China Akteure sind das 2008 eingerichtete Ministry of Industry and Information Technology sowie branchenspezifische Ministe- China hat eine in der jüngeren Geschichte einzigartige Ent- rien. In der Folge veröffentlichte die chinesische Regierung wicklung durchlaufen: von einem relativ armen Land Ende eine Vielzahl industriepolitischer sektoraler und sektor der 1970er-Jahre hin zur zweitgrößten Volkswirtschaft der übergreifender Programme und Maßnahmen (vgl. Heilmann Welt. Im Zeitraum von 1978 bis 2017 wuchs das chinesische und Shih 2013, S. 13; Meissner 2016, S. 348). Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 367,9 Milliarden RMB um den Faktor 225 auf 82,7 Billionen RMB (vgl. NBS 2018). Eine Refokussierung erfuhr die chinesische Industriepoli- Heute ist China hinsichtlich seiner Industrieproduktion die tik nach der Finanzkrise: Die Entwicklung und Förderung „Fabrik der Welt“ und ein ernst zu nehmender neuer Wett- neuer Sektoren und Technologien rückte in den Vorder- bewerber für die entwickelten Industrieländer. grund. Dies war verbunden mit einer zunehmenden Förde- rung von Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F & E) Obwohl China sich gleichzeitig auf dem Weg zur Dienst- und einem klaren Fokus auf „eigenständiger Innovation“ leistungsgesellschaft befindet, spielt die Industrie weiter- (zizhu chuangxin). Bereits 2010 legte der Staatsrat sieben hin eine entscheidende Rolle für die Wirtschaftsleistung: dieser neuen Sektoren fest, die sich auch in der 2015 ver- 2017 trug sie etwa 40 Prozent zum BIP bei und hatte einen kündeten und im Ausland kontrovers diskutierten indus- Anteil von 28 Prozent an der Beschäftigung (vgl. NBS 2018). Zudem hängen 40,5 Prozent der Bruttowertschöpfung der 2 Die Orientierung an Japan war so groß, dass sogar der chinesische chinesischen Volkswirtschaft an der Industrie (vgl. World Begriff für Industriepolitik, chanye zhengce, aus dem Japanischen Bank 2019a). Noch wichtiger ist die Rolle der Industrie für entlehnt wurde (vgl. Heilmann und Shih 2013, S. 7). 11
Von Trump und Xi lernen? triepolitischen Strategie Made in China 2025 (MIC2025) tionspolitik (chanye chuangxin zhengce) als vorher (vgl. Jiang wiederfinden, darunter erneuerbare Energien, Autos mit und Li 2018). Mehr Innovation soll Chinas volkswirtschaft alternativem Antrieb und Maschinenbau im Premiumseg- licher Entwicklung auch mehr Dynamik verschaffen. ment. Der Staat spielt also eine Schlüsselrolle für die Aus- wahl und Anleitung der technologischen Entwicklung. Zudem wird Chinas Innovationsfähigkeit ausschlaggebend Dazu stehen ihm folgende Instrumente zur Verfügung für seine künftige Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere im (vgl. Meissner 2016, S. 346; Jiang und Li 2018): direkten Wettbewerb mit den Industrieländern, sein. Dazu sollen groß angelegte Förderungsprogramme für F & E in • Genehmigung von Investitionen China genauso beitragen wie gezielte Investitionen chine • Regulierung des Marktzugangs sischer Unternehmen im Ausland, die wichtiges Know- • Kataloge zur Steuerung von Investitionen how erwerben und weiterentwickeln. Eine wichtige Maß- • Steuern und Subventionen nahme in dieser Hinsicht ist der Aufbau eines effizienten • Kreditvergabe Nationalen Innovationssystems. Zu diesem Zweck sollen geis- • Vergabe von Bodennutzungsrechten tige Eigentumsrechte besser geschützt, bessere Bedingun • Öffentliche Beschaffung (Beeinflussung der Nachfrage) gen für Grundlagenforschung und technologische Innova- tion geschaffen und die Talentförderung ausgebaut werden Bis zum Amtsantritt von Xi Jinping 2013 entwickelte sich in (vgl. Jiang und Li 2018). China auf dieser Basis ein umfassendes System selektiver Industriepolitik mit einigen Besonderheiten: So werden nicht Ein generelles Merkmal der Politik unter Xi Jinping ist die nur bestimmte Sektoren gefördert oder beschränkt, sondern starke Zentralisierung der politischen Macht auf seine Per- auch bestimmte technologische Roadmaps (jishu luxian), son, eine Abkehr vom kollektiven Führungsstil, der unter bestimmte Produkte und bestimmte Unternehmen (vgl. Jiang den Regierungen Jiang Zemin und Hu Jintao etabliert und und Li 2018). Ein weiteres, von ausländischen Akteur:innen gepflegt wurde, sowie ein stärkerer Top-Down-Ansatz bei vielfach beklagtes Charakteristikum der chinesischen Indus- wichtigen Entscheidungen (vgl. Stephan und Alsabah 2017, triepolitik ist die z. T. systematische Benachteiligung aus- S. 4–5; Naughton 2018). Das gilt auch für das vielleicht ländischer Unternehmen in China. Beispiele hierfür sind wichtigste industriepolitische Programm, das unter Xi Jin- der Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen oder der ping bislang verabschiedet wurde: die oben bereits erwähnte Zwang zu Gemeinschaftsunternehmen in bestimmten Sek Strategie MIC2025. Mit diesem Papier betont die chinesi- toren (vgl. Jungbluth 2015, S. 81; Meissner 2016, S. 350). sche Regierung eine staatliche Lenkung der Wirtschaft und legt die Grundlagen, damit alle Behörden die notwendigen Industriepolitik unter der Regierung Xi Maßnahmen zur Umsetzung der Strategie ergreifen können. Definiert wird darin ein klares Ziel: „Bis zum 100. Jahrestag China gelangt mittlerweile zunehmend an die Grenzen der Gründung des Neuen Chinas wollen wir unser Land zu seines exportorientierten Entwicklungsmodells: Die Kosten einer Industriegroßmacht aufbauen, die die Entwicklung des für Produktionsfaktoren steigen kontinuierlich, sodass globalen Industriesektors anführt.“ (Staatsrat der Volksre- Investoren an kostengünstigere Standorte wie Vietnam publik China 2015a) Konkret nennt MIC2025 zehn Schlüssel- abwandern. Die Rolle des Zulieferers für internationale Kon- industrien, in denen China bis 2049 zum globalen Techno- zerne führt zu einer ungünstigen Position in den globalen logie- und Innovationsführer werden will: Wertschöpfungsketten. Die Abhängigkeit von Technologie aus den Industrieländern ist immer noch hoch. Gleichzeitig • Neue Generation von Informationstechnologien3 steht China zunehmend in direktem Wettbewerb mit diesen • Maschinen mit computergestützter numerischer Ländern. Für die chinesische Regierung ist das ein politisch Steuerung (CNC) im Premiumsegment3 und Roboter sensibler Aspekt (vgl. Jungbluth 2015, S. 77–85.). • Luft- und Raumfahrtsysteme • Meerestechniksysteme und Hightech-Schiffe Das spiegelt sich auch in Chinas gegenwärtigem Industrie- • Fortschrittliche Schienenverkehrssysteme politikansatz wider, der sich ab dem 18. Parteitag 2013 her- • Energiesparende Autos und Autos mit alternativer auskristallisiert: Ein zentrales Ziel ist es, Chinas Rolle als Antriebstechnik3 „Fabrik der Welt“ zu beenden. Stattdessen soll das Land in • Energiesysteme3 die lukrativen Segmente der globalen Wertschöpfungsketten aufsteigen und zum „Forschungslabor der Welt“ werden. Die 3 Bereits 2010 vom Staatsrat als strategischer Sektor definiert Betonung liegt also noch stärker auf einer Industrieinnova- (Jiang und Li 2018). 12
Allgemeine Grundzüge der Industriepolitik • Landwirtschaftliche Maschinen und mittleren Unternehmen, in der gesamten Union • Neue Materialien3 zu fördern, • Biomedizin3 und Medizingeräte im Premiumsegment • ein günstiges Umfeld für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen zu begünstigen und In den für diese Branchen zentralen Kernbereichen soll • eine bessere Nutzung des industriellen Potenzials der China bis 2025 u. a. „seinen Marktanteil an eigenen geisti- Politik in den Bereichen „Innovation“, „Forschung“ und gen Eigentumsrechten […] in großem Stil ausbauen, seine „technologische Entwicklung“ zu unterstützen. Abhängigkeit vom Ausland deutlich reduzieren […] und […] ein international führendes Niveau erreichen“ (Staatsrat Grundsätze, Geschichte und Ziele der Volksrepublik China 2015a). Dieses Ziel soll jedoch nicht allein durch eigenständige Innovationen erreicht werden. Auch wenn Industriepolitik nicht immer eine führende Der gezielte Zukauf von Know-how im Ausland ist bei Rolle gespielt hat, war sie stets ein wichtiger Bestandteil MIC2025 explizit vorgesehen. Das ist auch der Grund, wes- der europäischen Wirtschaftspolitik (vgl. SVR 2019, S. 143). halb in Deutschland die Vorbehalte gegenüber chinesischen Im Vorfeld der Gründung der EU lag der Schwerpunkt der Firmenbeteiligungen seit der Übernahme des Roboterher- Wirtschaftspolitik auf der Schaffung eines Binnenmarktes stellers Kuka durch den chinesischen Haushaltsgerätepro- (vgl. Europäisches Parlament 2019). Industriepolitik spielte duzenten Midea 2016 erheblich zugenommen haben (vgl. eine untergeordnete Rolle und ihre Durchsetzung beschränkte Jungbluth 2018, S. 8). Als Reaktion darauf hat die Bundes- sich auf die nationale Eigenverantwortung. Mit dem Vertrag regierung bereits zweimal die Außenwirtschaftsverordnung von Maastricht 1992 wurde jedoch der Weg zu einer integ- angepasst. Auch die bereits erwähnten industriepolitischen rierten Industriepolitik in der EU eröffnet. Papiere auf deutscher und EU-Ebene weisen einen deut- lichen Bezug zum künftigen Umgang mit China auf (vgl. Insbesondere Art. 3 Abs. 1 lit. m des Vertrags zur Gründung Jungbluth 2019, S. 38–39). der Europäischen Gemeinschaft (vgl. EG-Vertrag 1997) setzt sich die „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der Gemeinschaft“ als Ziel. Daher beginnt die europäische 2.3 Europäische Union Industriepolitik Anfang der 1990er-Jahre mit der Identifi- kation von Sektoren mit Wettbewerbsfähigkeitspotenzial. Die Industrie spielt eine wesentliche Rolle für den euro- päischen Binnenmarkt. Sie produziert etwa 80 Prozent der Vor dem Hintergrund einer hohen Arbeitslosenquote in EU-Exporte und bietet über 30 Millionen Arbeitsplätze (vgl. den meisten Mitgliedsländern und des zunehmenden inter- BMWi 2019c). Da die zukünftige Entwicklung der Industrie nationalen Wettbewerbsdrucks auf die EU beschließt der ein entscheidender Faktor für langfristiges Wachstum und EU-Rat 2000 „das Ziel, die Union zum wettbewerbsfähigs- nachhaltige Beschäftigung sein könnte, ist es der Europä- ten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum ischen Kommission zufolge daher die „Hauptaufgabe der in der Welt zu machen“ (Europäischer Rat 2000). Dieser Industriepolitik auf EU-Ebene […], proaktiv für die richtigen Raum solle nicht nur fähig sein, ein dauerhaftes Wirtschafts- Rahmenbedingungen für Unternehmensentwicklung und wachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen zu erzie- Innovation zu sorgen, damit die EU für Investitionen der len, sondern auch einen größeren sozialen Zusammenhalt Industrie und die Schaffung von Arbeitsplätzen attraktiv aufweisen. wird“ (KOM 2007: 374). Im Rahmen der Lissabon-Strategie forderte die Europäische So liegt es in der Verantwortung der EU, dafür zu sorgen, Kommission 2005 zudem die Ausarbeitung eines stärker dass die notwendigen Voraussetzungen für die Wettbewerbs- integrierten Konzepts für die Industriepolitik (vgl. KOM fähigkeit der europäischen Industrie gewährleistet sind. 2005: 474). Dieses Konzept schlägt ein Aktionsprogramm Aus diesem Grund richtet sich die europäische Industrie vor, das folgende Ziele verfolgt: politik entsprechend Art. 173 AEUV (vgl. AEUV 2012) vor allem darauf, • Europa für Investoren und Arbeitnehmer attraktiver machen • die Anpassung der Industrie an die strukturellen • Wissen und Innovation in den Mittelpunkt des Wachs- Veränderungen zu erleichtern, tums in Europa stellen • ein günstiges Umfeld für die Initiative und Weiterent- • Strategien erarbeiten, die den Unternehmen die Schaf- wicklung der Unternehmen, insbesondere der kleinen fung von mehr und besseren Arbeitsplätzen ermöglichen 13
Von Trump und Xi lernen? Nachhaltigkeit spielte darüber hinaus eine wichtige Rolle Kommission im September 2017 veröffentlicht hat (Euro in der Entwicklung der europäischen Industriepolitik, da päische Kommission 2017). diese, so die Kommission, „zur ständigen Verbesserung der Lebensqualität und zur Steigerung des Wohlstandes“ Diese soll „alle bestehenden und neuen horizontalen und (KOM 2008a: 397) beiträgt. Daher integriert die Europäi- sektorspezifischen Initiativen“ bündeln und dem vorma- sche Kommission seit 2008 die Dimension der Nachhaltig- ligen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zufolge keit und der Ressourceneffizienz in die Industriepoltik. Im auf diese Weise dazu beitragen, dass europäische „Unter- Mittelpunkt dieser Entscheidung steht die Verbesserung der nehmen in puncto Innovation, Digitalisierung und Verrin- Energieeffizienz und Umweltverträglichkeit von Produkten, gerung der CO2-Emissionen weltweit Nummer eins bleiben die Förderung ihrer Akzeptanz durch die Verbraucher und oder werden“ (Europäische Kommission 2017). Wichtige die Sicherung der Rohstoffversorgung (vgl. KOM 2008a: Elemente der neuen EU-Strategie für die Industriepolitik 397; KOM 2008b: 699). Außerdem wandte sich die euro umfassen: päische Industriepolitik mit der Zeit strategischen Sektoren zu, die zur Entwicklung von Schlüsseltechnologien beitra- • Stärkung der Cybersicherheit gen sollen (vgl. KOM 2009: 512). • Freier grenzüberschreitender Datenverkehr („gemeinsamer europäischer Datenraum“) Die Lissabon-Strategie wurde wiederum im März 2010 durch • Neue Maßnahmen zur Kreislaufwirtschaft die Strategie Europa 2020 – Eine Strategie für intelligentes, • Versorgungssicherung in Bezug auf kritische Rohstoffe nachhaltiges und integratives Wachstum abgelöst. Die folgen- • Neue Vorschläge für saubere, wettbewerbsfähige und den vier der sieben Leitinitiativen dieser Strategie sind für vernetzte Mobilität eine wettbewerbsfähige EU-Industrie besonders wichtig: • Modernisierung des Rechtsrahmens für geistiges Innovationsunion (KOM 2010a: 546); Eine digitale Agenda für Eigentum Europa (KOM 2010b: 245); Eine integrierte Industriepolitik für • Verbesserung der Vergabe öffentlicher Aufträge in der EU das Zeitalter der Globalisierung (KOM 2010c: 614) und Eine • Ausweitung der Agenda für Kompetenzen auf neue Agenda für neue Kompetenzen für neue Beschäftigungsmöglich- wichtige Branchen (z. B. grüne Technologien und keiten (KOM 2010d: 682). erneuerbare Energien, verarbeitendes Gewerbe) • Initiativen für eine ausgewogene und fortschrittliche Zusätzlich werden durch die Europäische Kommission in Handelspolitik unregelmäßigen Abständen Mitteilungen mit prioritären • Europäischer Rahmen für die Überprüfung sicherheits- Aktionslinien und Arbeitsprogrammen veröffentlicht. Diese relevanter ausländischer Direktinvestitionen konzentrieren sich insbesondere auf tief greifende Struk- turreformen und besser abgestimmte politische Maßnah- Drängende Themen wie eine verbesserte Internetsicherheit men in den Mitgliedsstaaten (vgl. KOM 2011: 642), Sekto- und die explizite Weiterentwicklung von Schlüsseltechnolo- ren mit hohem Innovationspotenzial (vgl. KOM 2012: 582) gien (z. B. alternative Antriebstechniken) sind also umfas- und die Förderung des produzierenden Gewerbes (vgl. KOM send abgedeckt. Die Umsetzung dieser Maßnahmen in die 2014: 14). Darüber hinaus sollen durch einen Fokus auf eine Praxis hängt jedoch wesentlich von den EU-Mitgliedsstaa- kohärente Politik im Bereich des Binnenmarktes und eine ten ab. Daher gibt es mit der Friends of Industry-Konferenz effektive europäische Infrastruktur (Energie, Verkehr und seit 2013 ein jährliches Treffen der zuständigen EU-Minis- Informationsnetze) für Güter und Dienstleistungen neue ter:innen „zur besseren Abstimmung in zentralen indust- Investitionen angezogen und bessere wirtschaftliche Rah- riepolitischen Fragen“ (BMWi 2019c). menbedingungen geschaffen werden (vgl. KOM 2014: 14). Zudem werden seit einigen Jahren aufgrund des wachsenden Aktuelle Industriepolitik in der EU Spannungsfelds zwischen den USA und China in manchen Mitgliedsstaaten Rufe nach einer gezielteren EU-Indus- Die europäische Industriepolitik weist mittlerweile also triepolitik laut, darunter insbesondere in Frankreich und eine deutliche strategische Komponente auf. Die Erhaltung Deutschland. Denn es stellt sich immer häufiger die Frage, der Wettbewerbsfähigkeit und die Förderung von Zukunfts- was die EU einer erratischen US-Politik im Westen und technologien stehen wesentlich stärker im Fokus, als dies einem erstarkenden China mit einer eindeutigen industrie- in der Vergangenheit der Fall war. Das zeigt auch die aktu- politischen Agenda im Osten entgegenzusetzen hat. elle Neue Strategie für die europäische Industriepolitik, die die 14
Allgemeine Grundzüge der Industriepolitik Eine erste Antwort gaben Deutschland und Frankreich im Industriepolitik ist daher für Deutschland nicht nur auf Februar 2019 mit dem Deutsch-Französischen Manifest für nationaler, sondern auch auf EU-Ebene von besonderem eine europäische Industriepolitik für das 21. Jahrhundert – einem Interesse. ersten Vorschlag für die Zukunft einer integrierten europä- ischen Industriepolitik. „Massive“ Investitionen in Inno- Geschichte, Ziele und Mittel vation, die Neujustierung des europäischen Rechtsrahmens und der Schutz europäischer Technologien und Märkte Historisch betrachtet hat sich Deutschland eher schwer stehen im Vordergrund dieses Manifests (vgl. BMWi 2019d). getan, aktiv Industriepolitik zu betreiben, und in dieser Konkret schlagen beide Länder vor, finanzielle Mittel zu Hinsicht Zurückhaltung geübt. In den Zeiten des Wirtschafts- bündeln, um Technologieinvestitionen zu ermöglichen, wunders hatte sich die Ansicht etabliert, dass „die ‚freie bahnbrechende Innovationen zu fördern und vor allem Marktordnung‘ und ein funktionierender Wettbewerb die um Europa in die Lage zu versetzen, eine Führungsrolle Grundlage aller [wirtschaftspolitischen] Maßnahmen und im Bereich der künstlichen Intelligenz zu übernehmen. Instrumente“ sein sollte, denn „Wirtschaftspolitik sollte im Im Hinblick auf die Regulierung konzentriert sich das Wesentlichen ,Ordnungspolitik‘ sein“ (Gerlach und Ziegler Manifest hauptsächlich auf die Änderung und Aktualisie- 2015, S. 527). In der Praxis wurde diese Leitlinie aber nicht rung der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüs- durchgängig angewandt. So wurden auch immer wieder sen. Auch wenn Frankreich und Deutschland die Bedeu- einzelne Sektoren (z. B. der Steinkohlebergbau) oder sogar tung von Freihandel und Multilateralismus betonen, fordert Unternehmen (z. B. BMW-Rettung Anfang der 1960er-Jahre) ihr Manifest den Schutz des Binnenmarktes durch strengere gesondert gefördert (vgl. Gerlach und Ziegler 2015, S. 527). Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen, die Schaffung In den 1970er-Jahren rückte mit dem Ende des Wirtschafts- eines effektiven Reziprozitätsmechanismus für öffentliche wunders und der Entstehung neuer globaler Wettbewerber Aufträge mit Drittländern und die Modernisierung des WTO wie Japan und später Südkorea die Förderung von High- „rulebooks“ zur Verbesserung der Transparenz und zur tech-Bereichen (z. B. IT und Biotechnologie) stärker in den wirksameren Bekämpfung handelsverzerrender Praktiken, industriepolitischen Vordergrund. Disruptionen wie die einschließlich übermäßiger Subventionen für die Industrie. deutsche Wiedervereinigung Anfang der 1990er-Jahre und die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 erforderten wiederum ganz klar industriepolitische Konzepte, die mit 2.4 Deutschland der „reinen Marktlehre“ nicht im Einklang standen, so z. B. die Rettung von „industriellen Kernen“ in Ostdeutschland Deutschland spielt als größte Volkswirtschaft mit einem der oder die „Abwrackprämie“ zur Unterstützung der Auto- höchsten Industrieanteile am BIP eine entscheidende Rolle mobilindustrie im Zuge der Finanzkrise (vgl. Gerlach und für die europäische Industrie. Das verarbeitende Gewerbe Ziegler 2015, S. 527–528). sorgt für rund 6,3 Millionen Arbeitsplätze, einen Umsatz von fast 1.900 Milliarden Euro und damit 27,6 Prozent der Ein umfassenderes Interesse in Bezug auf Industriepolitik deutschen Bruttowertschöpfung (vgl. Statistisches Bundes lässt sich mit Beginn der großen Koalition ab 2013 fest- amt 2018a, 2018b). Im Jahr 2017 waren die Kfz-Industrie stellen. Ein wichtiges Indiz dafür ist das Bündnis Zukunft mit 425 Milliarden Euro, der Maschinenbau mit 252 Milliar der Industrie, das 2014 vom BMWi, der IG Metall und dem den Euro, die Metallindustrie mit 223 Milliarden Euro und BDI ins Leben gerufen wurde und dem mittlerweile 17 die chemische / pharmazeutische Industrie mit 196 Milliar weitere Partner beigetreten sind (vgl. BMWi o. J.). Damit den Euro die umsatzstärksten Industriebranchen in Deutsch- bringt das Bündnis Industrie- und Arbeitgeberverbände land (vgl. Statistisches Bundesamt 2018a). Diese Branchen sowie Gewerkschaften zusammen. Ziel ist es, Deutschlands nehmen nicht nur in Deutschland eine führende Position industrielle Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und dafür ein, sondern überzeugen Kund:innen auf der ganzen Welt branchen- und interessenübergreifende Ansätze zu ent mit dem hohen Qualitätsstandard Made in Germany. wickeln. Denn dem Selbstverständnis des Bündnisses zufolge wird „Industriepolitik […] nur dann erfolgreich Die Industrie in Deutschland ist in weit stärkerem Maße sein, wenn sie sich nicht auf einzelne Teilbranchen und verantwortlich für Wachstum, Wohlstand und Arbeits- Sektoren beschränkt“ (BMWi 2015). Um hierfür konkrete plätze als in anderen EU-Ländern und mit einem Anteil Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, gibt es insgesamt von 86 Prozent gleichzeitig der Kern der deutschen Export- fünf Arbeitsgruppen (AGs), die sich mit den folgenden stärke (vgl. World Bank 2018). Die Rolle von Industrie und Fragen befassen (vgl. BMWi 2016; BMWi o. J.): 15
Von Trump und Xi lernen? • AG 1: Akzeptanz – Attraktive Industrie: Wie baut man Aktuelle Industriepolitik in Deutschland die bestehenden Vorurteile gegenüber der Industrie in der Bevölkerung ab und wie vermittelt man ihre Bedeu- Gegenwärtig scheint es in Deutschland auf Regierungs-, tung für den Wohlstand Deutschlands? Gewerkschafts- und Verbandsebene also einen grundsätz • AG 2: Investitionsstarke Industrie: Wie verbessert man lichen Konsens zu geben, dass eine strategische(re) über- die deutschen Rahmenbedingungen für private und greifende Industriepolitik ein sinnvolles Instrument sein öffentliche Investitionen? kann, Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit • AG 3: Zukunft der Arbeit in Industrie und industrienahen zu stärken. Dies gilt umso mehr angesichts der bereits Dienstleistungen: Wie sichert man die Fachkräftebasis erwähnten Situation, dass wichtige Wettbewerber, wie die in Zeiten von Digitalisierung und demographischem Wan- USA oder China, nicht (mehr) nach international anerkann del und wie muss der technologische Wandel gestaltet ten Regeln spielen, sondern versuchen, Sonderregeln für werden, damit in der Arbeitswelt der Zukunft die Chancen sich zu etablieren oder Alleingänge durchzuführen. Der genutzt und die Risiken minimiert werden können? amtierende Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier setzt • AG 4: Wertschöpfungsstrukturen der Zukunft: Welche sich aus diesem Grund auch explizit für eine aktive deutsche Risiken und Chancen hat die Digitalisierung für Deutsch- und europäische Industriepolitik ein. Unter seinem Mandat land? veröffentlichte das Bundesministerium für Wirtschaft und • AG 5: Internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Energie im Februar 2019 den ersten Entwurf für eine Nati- Industrie: Wie verbessert man die deutschen und europä- onale Industriestrategie 2030 (BMWi 2019a). Dieser zog einen ischen Rahmenbedingungen, um die internationale Wett- mehrmonatigen Diskussionsprozess, insbesondere zwischen bewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu stärken? Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft, nach sich, dessen Ergebnisse in die Ende November 2019 ver Zudem sind sechs konkrete Leitlinien und Forderungen öffentlichte überarbeitetete Industriestrategie 2030 mit ein- die ersten Ergebnisse des Bündnisses: geflossen sind. Diese sieht nun drei zentrale industriepoli tische Handlungsfelder vor (vgl. BMWi 2019c): • Globale Wettbewerbsfähigkeit durch Innovationen und Investitionen stärken • Nationale und internationale Rahmenbedingungen • Energieunion schaffen und Potenziale für Energie für die Industrie verbessern effizienz nutzen • Innovationspotenzial aktivieren und Schlüssel • Weltweit Verbindlichkeit in der Klimapolitik erreichen technologien stärken • Zukunftsfähige Rahmenbedingungen für eine erfolg • Technologiesouveränität Deutschlands schützen reiche europäische Automobilindustrie setzen • Mehr Geschwindigkeit auf dem Weg zu einem digitalen Im Vergleich zur Vorversion wurde mit dem neuen indus europäischen Binnenmarkt triellen Strategiepapier des BMWi nun ein ausgefeilteres • Handelsbeziehungen zwischen EU und China gestalten Konzept veröffentlicht. Dabei ist nicht mehr länger die direkte Rede von der gezielten Förderung nationaler und Gerade weil die deutsche Wirtschaft auf die internationale europäischer Champions. Stattdessen wird – neben gängi- Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und somit gen Fördermaßnahmen für als wichtig angesehene Techno- insbesondere auf deren Innovationsfähigkeit angewiesen logien und der strategischen Ausrichtung gegenüber einer ist, hat die Regierung in den letzten Jahren alle forschungs-, weltweit angespannten Handelslage – nun auch die Bedeu- technologie- und innovationspolitischen Maßnahmen in tung von kleinen und mittleren Unternehmen als eine einer Hightech-Strategie gebündelt. Im Fokus stehen hier weitere Kernkompetenz des BMWi mitbetont. Zudem soll Schlüsseltechnologien, „die aufgrund ihrer volkswirtschaft- Industriepolitik zu einem Schwerpunkt der deutschen lichen Hebelwirkung von besonderer Bedeutung sind“, EU-Ratspräsidentschaft werden. Im weiteren Prozess wird und fünf Leitmärkte „mit besonders großem Zukunfts- entscheidend sein, wie sich die Umsetzung der hierfür vor- potenzial“: Gesundheit, Mobilität, Klima- und Ressour- geschlagenen Maßnahmen in der Praxis gestaltet und censchutz, Energie und Umwelt, Produktionstechnik und inwiefern diese Maßnahmen ausreichend sind, um Deutsch- Industrie 4.0 und neue Werkstoffe (BMBF 2018). lands internationale Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und China zu stärken. Angesichts der eingangs bereits erwähnten Bedeutung der Innovationsfähigkeit einer Volks- wirtschaft erscheint uns hier insbesondere das zweite Handlungsfeld „Innovationspotenzial aktivieren“ zentral. 16
Sie können auch lesen