DIE AMBIVALENZEN DER PARTIZIPATION - (SEPTEMBER 2018) - Das Kollektiv
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DIE AMBIVALENZEN DER PARTIZIPATION – PARTIZIPATIVE FORSCHUNG IN DER ERWACHSENENBILDUNG das kollektiv Im Zentrum der Basisbildung stehen bildungsbenachteiligte Gruppen – wie z.B. Migrant_innen, die kaum Zugang zu formaler Bildung hatten – und, wie aktuell im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung vorgesehen, die Idee einer humanistischen, selbstermächtigenden Bildung. Eine Reihe von Initiativen, Fachgruppen und Vereinen setzt sich dafür ein, einerseits die theoretischen Grundlagen weiterzuentwickeln und andererseits diese Erkenntnisse in die Praxis der Basisbildung einzubringen. Die gesellschaftspolitische Relevanz der Basisbildung wird im Rahmen dieser Bemühungen reflektiert und sichtbar gemacht. Neben dem Ziel der Förderung von ökonomischen und sozialen Anpassungsleistungen bildungsbenachteiligter und formal gering qualifizierter Erwachsener (PPD 2018-‐2021: 7) will die Basisbildungsarbeit im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung „Weltoffenheit und Bewusstsein für Transkulturalität [ermöglichen] und [...] gesellschaftliche Ausschlussmechanismen und Diskriminierung erkennen sowie kritisch reflektieren [lassen]. Sie fördert die aktive Mitwirkung in der Gesellschaft. Sie ermutigt die Einzelnen, die Welt mitzugestalten und zu verändern, anstatt ‚nur‘ in der Welt zu leben.“ (Fachgruppe Basisbildung 2017: 4) Diese Prämissen einer gesellschaftspolitisch teilnehmenden Basisbildung, die auf demokratische und kritische, gar selbstkritische Handlungsalternativen fokussiert, führt angesichts der aktuellen Verhältnisse zu einer Reihe von Fragen: Wie können die Anliegen, pädagogische Reflexion und Handlung zu verschränken bzw. dialogisch und wissenskritisch zu unterrichten, in die Praxis umgesetzt werden? Und: Wie können Lehrende und Lernende voneinander lernen? Ist kritische Basisbildungsarbeit in Zeiten immer stärker werdender Sanktionen und Diskriminierungsmechanismen überhaupt denkbar? Aus der Perspektive reflexiver Pädagogik stellt sich die Frage, wie unter diesen Bedingungen ein emanzipatives pädagogisches Verhältnis stattfinden kann, wie es unter anderem in den „Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote“ (Fachgruppe Basisbildung 2017) vorgesehen ist. Mit diesem Beitrag wollen wir diese Fragen aufgreifen, indem wir uns mit der Rolle partizipativer Forschung für die Basisbildung auseinandersetzen. Konkreten Anlass dazu gibt das Modul „Forschende Basisbildung“1, das vom Verein das kollektiv im März 2017 als Weiterbildung für Basisbilder_innen angeboten wurde. Ziel des Moduls war es, sich (partizipative) Forschungsmethoden für die Gestaltung der eigenen Praxis in der Basisbildung anzueignen und alternative Handlungsmöglichkeiten durch die Kollektivierung der Wissensproduktion aufzuzeigen. 1 Das Modul „Forschende Basisbildung“ fand im Rahmen des Netzwerkprojekts „Basisbildung mitgestalten“ statt und wurde vom Europäischen Sozialfonds und dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung finanziert. 2
In diesem Beitrag diskutieren wir in diesem Sinne das Potenzial partizipativer Forschungsmethoden, die kritische Arbeit in der Basisbildung mit Migrant_innen und Refugees weiter zu fördern. Wir besprechen den Prozess des Moduls und reflektieren Praxis, Theorie und Probleme der partizipativen Forschung als Methode in der Basisbildung und in der Wissenschaft. Das Konzept für das Modul „Forschende Basisbildung“ Das Modul „Forschende Basisbildung“ war zeitlich auf drei Tage aufgeteilt. Am ersten und zweiten Tag trafen sich die Teilnehmer_innen mit dem Lehrteam zusammen, um einerseits die theoretischen Bedingungen partizipativer Forschung zu diskutieren und andererseits die Praxis eines partizipativen Projekts zu erproben. Der dritte Tag des Moduls erfolgte nach der Selbstlernphase und fokussierte auf die Projekt-‐Konzepte, die die teilnehmenden Basisbilder_innen in ihren Kursen ausgearbeitet hatten. Die theoretischen Bedingungen partizipativer Forschung – Fragestellungen, Rolle der Sozialwissenschaften, Inhalte der partizipativen Forschung und Kritik daran – waren auf die drei Tage des Moduls aufgeteilt und werden in den hier folgenden Kapiteln ausführlich diskutiert. Das bedeutet, dass die Struktur des Moduls abwechselnd aus theoretischen Inputs und Praxisbeispielen/Erhebungsmethoden bestand. Um die Praxis der partizipativen Forschung zu erproben, sind wir im Modul „Forschende Basisbildung“ am ersten Tag auf die Methoden und Paradigmen der Sozialwissenschaft eingegangen. Mittels der bereits im Vorfeld durch das Lehrteam überlegten Forschungsfrage „Welche Erwartungen haben wir an dem Modul?“ haben sich die teilnehmenden Basisbildner_innen in zwei Methoden-‐Gruppen geteilt. Die erste Gruppe hat mit quantitativen Interviews versucht, Antworten auf die Forschungsfrage zu formulieren. Die zweite Gruppe hat dieselbe Forschungsfrage mit qualitativen Interviews zu beantworten versucht. Die Interviews von beiden Gruppen wurden parallel dazu von Teilnehmer_innen beobachtet. Die beobachtenden Teilnehmer_innen unterstützten im Anschluss an die Interviews die Methodengruppen bei der Besprechung der Verhandlungsprozesse: Wie wurden die Fragen für die methodischen Instrumente (Fragebogen und Leitfaden) entschieden? Wie wurde die soziale Situation der Interviews erlebt? Wie war die Situation, bei den Befragungen beobachtet zu werden? Die Reflexion über die Erlebnisse mündete in einer Auseinandersetzung mit den Methodendifferenzen wie auch in einer Methodenkritik. Am zweiten Tag folgte die Auswertung der transkribierten qualitativen Ergebnisse einerseits und der quantitativ erfassten Daten andererseits. Wir bildeten daraufhin Interpretationsgruppen, um Lesarten zu entwickeln und die Abstraktion– Konstruktionen zweiter Ordnung – der Interviews zu ermöglichen. Beispiele aus der partizipativen Forschung wurden daraufhin vorgestellt, um den Umgang mit den 3
Ergebnissen zur Diskussion zu stellen. Der zweite Tag wurde zudem dazu genutzt, Konzepte für die eigene Lehrpraxis zu entwerfen: Was wäre möglich aufzugreifen? Wie kann in einer Gruppe eine Forschungsfrage entstehen? Welche Methoden unterstützen Basisbildner_innen darin, in Gruppen gemeinsame Fragen zu formulieren? Die ersten zwei Tage des Moduls endeten mit dem Beginn der Selbstlernphase: Konzepte, die in den Modulgruppen besprochen wurden, konnten in dieser Phase weiter ausgearbeitet bzw. umgesetzt werden. Im Anschluss wurden am dritten Tag des Moduls je nach Input die Erfahrungen der Teilnehmer_innen mit partizipativer Forschung in der Unterrichtssituation oder die weiterentwickelten Konzepte besprochen. Den Abschluss des Moduls bildete die Frage, welche Handlungen als Ergebnis der Forschung unternommen werden können. Dabei ging es um das Potenzial für „Veränderungen“, das ein wesentliches Merkmal partizipativer Forschung ist. 4
1. Das umkämpfte Recht auf Forschung für Alle Die Arbeit mit Migrant_innen und Refugees ist bedeutend, spannend und mit Herausforderungen verbunden. Das pädagogische Verhältnis in der Basisbildung ist jedoch strukturell und im Klassenkollektiv von ungleichen sozialen Machtverhältnissen durchkreuzt. Die beteiligten Lehrenden und Lernenden begegnen sich aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Machtpositionen heraus. Gleichzeitig wird Basisbildung von einer Migrationspolitik umrahmt, die das Erlernen der hegemonialen Sprache und vermeintlicher europäischer, demokratischer Werte als Zwang konzipiert und erwachsene Migrant_innen und Refugees infantilisiert. Diese Rahmenbedingungen gestalten das Feld der Basisbildung wesentlich mit und unterstützen paternalistisches und diskriminierendes Wissen. Welche Mittel stehen dem humanistischen und selbstemanzipativen Anliegen der Basisbildung zu Verfügung, um dieser Wissensproduktion gegenzusteuern? Arjun Appadurai (2006) geht davon aus, dass Forschung ein Recht und dass die Möglichkeit, selbst Wissen zu generieren, eine Bedingung für die Teilhabe an demokratische Gesellschaften ist. Parallel dazu rechnet er damit, dass 50% der Weltbevölkerung „außerhalb des Wissensspiels“ (ebd.: 168) verortet sind. Für Lehrende, die sich einer (selbst)kritischen Pädagogik verschrieben haben, stellt sich aus dieser Perspektive die Frage nach bestreitbaren Wegen zu einer Wissensproduktion mit den Teilnehmer_innen in der Basisbildung, die zweifelsohne zu diesen 50% der Weltbevölkerung gehören. Appadurai´s Forderung von Forschung als Recht (vgl. ebd.) auch für diese besagten 50% schließen wir uns als Basisbildner_innen an. Ausgehend von diesem Verständnis von Forschung als das Vermögen, die Horizonte des eigenen Wissens hinsichtlich einer Aufgabe, eines Ziels oder eines Strebens systematisch zu erweitern (vgl. ebd.: 176), fordern wir auch für Lernende und Lehrende in der Basisbildung das Recht auf Forschung und somit auf einen Rahmen für kollektive und systematische Wissensproduktion ein. Die Konzeption und Durchführung des Moduls „Forschende Basisbildung“ ist ein Ergebnis dieser Forderung: Ein Schritt auf der Suche nach Ansätzen und Methoden, die in unserer Bildungsarbeit mit erwachsenen Migrant_innen herangezogen werden konnten, um gemeinsam die Welt mitzugestalten und zu verändern. Aufgrund der spezifischen Lebenssituationen – etwa durch Gewalterfahrungen in den Herkunftsorten und/oder auf der Flucht wie auch durch massive existenzielle Unsicherheit in Österreich und der Lernbiografien der Teilnehmer_innen – meistens kaum Zugang zu formaler Bildung und damit zu Schriftsprache und systematisiertem mathematischen und digitalen Wissen – befinden sich Lehrende und Lernende in der Basisbildung stets mit (methodischen) Herausforderungen konfrontiert. Wenn es in der Basisbildung nicht um die Vermittlung von „objektivem“, sondern um die Er-‐ oder Bearbeitung von relevantem Wissen geht und wenn es dabei um die Erweiterung der Handlungsoptionen für 5
bildungsbenachteiligte Menschen geht – und wir wissen, dass Bildungsbenachteiligung mit vielfältigen Diskriminierungsprozessen wechselseitig verschränkt und in diesen eingebettet ist –, bietet sich eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten partizipativer Forschung als Lehr-‐ und Lernmethode von relevantem und kritischem Wissen an. Daher wurde im Projekt eine Verknüpfung zwischen Basisbildung und partizipative Forschung hergestellt, eine Verknüpfung, die den Rahmen dieses Beitrags bildet. Der Schritt der Aneignung und Aufarbeitung von Methoden der partizipativen Forschung war jedoch erst durch die langjährige kritische Praxis im Feld der Sprachbildung und Forschung als Migrant_innen und mit Migrant_innen möglich. Praxis wird in das kollektiv als Aktion und Reflexion verstanden. Von hier aus und eingebettet in ein Kollektiv entwerfen wir Fragen, die uns zu theoretischen Räumen führen. Hier bewegen wir uns suchend, hinterfragend, lernend. Hier werden Ansätze und Theorien weitergedacht, verarbeitet, verschränkt, entfaltet, in ein Verhältnis zur Erfahrung gebracht. Die Suche und die Beschäftigung mit Forschung, die daraus entstand, schreibt sich ebenfalls in eine lange Geschichte in unseren Verein (ursprünglich als maiz und seit 2015 als das kollektiv) ein, bei der auf unterschiedliche Weisen Möglichkeiten angestrebt wurden und werden, sich in Bereiche der hegemonialen Wissensproduktion einzumischen, Räume zu erkämpfen und dort, wo es scheinbar keine Räume gibt, im Bewusstsein über die Gefahr der Vereinnahmung und der Konflikte, die so eine Einmischung in sich birgt, und mit der Intention, Brüche sichtbar zu machen und zu erzeugen, Impulse für Verschiebungen zu setzen, Veränderung herbei zu führen und dabei auch uns selbst zu hinterfragen. 6
2. Partizipation als Methode Partizipative Forschung greift auf ein theoretisches Konzept zurück, das aus der intensiven Kritik an der hegemonialen Wissensproduktion und unhinterfragten Machtverhältnissen entstanden ist. Durch den Schwerpunkt auf die Forschungsarbeit mit unterschiedlichen teilnehmenden Gruppen wurde partizipative Forschung zu einem Mittel für locals – wie ambivalent diese Bezeichnung auch sein mag – bzw. für Akteur_innen, die bereits in politische Prozesse involviert sind und damit einen starken Zugang/wenig Distanz zum Feld und zu weiteren Akteur_innen haben. Das Fokussieren der Aktionsforschung, auf „unsichtbare“ oder „naturalisierte“ Machtverhältnisse macht sie zudem nicht nur für die Basisbildung relevant, sondern war schon seit je für viele politische Projekte von großer Bedeutung. Dazu zählen vor allem die feministische Kritik, die Kritische Pädagogik wie auch die Sozialgeographie und Entwicklungsforschung. Action research aims to bring together theory, method, and practice as people work collaboratively towards practical outcomes and new forms of understanding. At its core, action research is about challenging and unsettling entrenched and sometimes invisible power arrangements and mechanisms that are enacted in everyday relationships, organizational and economic structures, cultural and institutional practices, large and small (Reason/Bradbury 2008; c.f. Frisby/Maguire/Reid 2009: 13) Partizipative Forschung (Unger 2014) – auch Aktionsforschung2 genannt – ist ein Forschungszugang, der Methoden der Sozialwissenschaften mit gesellschaftskritischem Anspruch verbindet und auf soziale Veränderung im Lokalen bzw. in den teilnehmenden Gruppen setzt. Die Fachbezeichnungen variieren: Viele Forscher_innen sprechen von partizipativer Forschung oder partizipativer Aktionsforschung (Collins 2011; Hague/Thiara/Turner 2011; Khan/Bawani/Aziz 2013), andere von Kritischer Aktionsforschung (Carpenter/Cooper 2009). Gemeinsam haben die unterschiedlichen Bezeichnungen das Interesse an der Überbrückung von Hierarchien in der Wissensproduktion und in der wissenschaftlichen Praxis. Yoland Wadsworth (1998) geht vor allem auf drei hierarchisierte Bedeutungspaare ein: Die Hierarchien zwischen Forschung und Praxis, die Hierarchien zwischen „Forschenden“ und „Beforschten“ und die Hierarchien zwischen Teilnehmer_innen und weiteren Akteur_innen aufgrund der Frage, wer von einem Forschungsprojekt profitieren darf oder kann. Der Umgang der partizipativen Forschung mit 2 Die Begriffe „partizipative Forschung“ und „Aktionsforschung“ werden hier synonym verwendet, obwohl in der Literatur häufig differenziert wird. Hella von Unger (2014: 3) geht davon aus, dass mit dem Begriff „partizipative Forschung“ eine Abgrenzung zum aktivistischen Charakter der Aktionsforschung der 1970er Jahren stattgefunden hat. Statt auf „Aktion“ setze partizipative Forschung den Schwerpunkt auf das Element der Beteiligung und grenze sich so vom Vorwurf des Aktionismus bzw. Aktivismus ab. „Partizipative Forschung ist eine engagierte Forschung, die die Möglichkeiten der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und empirischen Forschung nutzt, um die sozialen, politischen und organisationalen Kontexte, in die sie eingebettet ist, kritisch zu reflektieren und aktiv zu beeinflussen.“ (ebd.) Beide Bezeichnungen bzw. Zugänge sind jedoch für die Basisbildung relevant, weshalb sie hier synonym verwendet werden. 7
diesen Fragen löst bei vielen Forscher_innen eine Reihe von emanzipativen Versprechen durch Forschung aus. Partizipative Forschung bedeutet auch deshalb für viele Praktiker_innen, die Veränderungen innerhalb der traditionellen empirischen Sozialforschung voranzutreiben, „viable, vital alternatives to the exclusionary domains of academic research“ (Cahill 2007: 269) Die Skepsis gegenüber einer „imperialen“ Sozialforschung fügt sich in die umfassende Kritik an der Rolle der Sozialwissenschaften in der Gesellschaft. Martin Nicolaus (1968) bewirkte mit seiner Rede, bei der er die Bezeichnung „Fat-‐Cat Sociology“ einführte, dass eine Reihe von Bewegungen innerhalb der Sozialwissenschaften sich mit seiner Kritik identifizierten und die Anliegen einer kritischen selbstreflexiven Wissensproduktion forcierten: The corporate rulers of this society would not be spending as much money as they do for knowledge, if knowledge did not confer power. So far, sociologists have been schlepping this knowledge that confers power along a one-‐way chain, taking knowledge from the people, giving knowledge to the rulers. (ebd.) Unter anderem gilt die Kritik, die Nicolaus hier formuliert, auch dem Objektivitätsaxiom und Positivismus der traditionellen überwiegend männlichen Sozialforschung. Aufgrund der Rolle, die Migration in den Problematisierungen (Foucault 1983b) der Gesellschaft spielt, sind diese Überlegungen für die Forschung „über“ Migrant_innen zentral. Eine Reihe von Analysen hinterfragt beispielsweise den große Beitrag der Forschung bei der politischen Legitimierung des Konzepts des „Migrationsmanagements“3. (Perchinig 2003; Georgi 2009; Georgi/Wagner 2009) Partizipative Forschung ist demnach eine Konsequenz der Kritik an der Rolle der Sozialwissenschaften in der Gesellschaft einerseits und an der Hierarchisierung innerhalb der akademischen Wissensproduktion andererseits. Damit ist sie für eine Migrant_innen-‐Organisation wie das kollektiv besonders relevant. Im Rahmen des Moduls „Forschende Basisbildung“ – siehe Abb. 1 – haben wir versucht, eine Verschränkung der unterschiedlichen Aktionsfelder vorzunehmen. Ausgehend davon, dass das Modul „Forschende Basisbildung“ für Lehrende in der Basisbildung gestaltet wurde, schien uns zentral, die Kritik an bestimmten Forschungsansätzen und ihren Einfluss auf (politische) Entscheidungen und ihr Einwirken auf Diskurse für die Teilnehmer_innen des Moduls zugängig zu machen. Dabei stellen wir keineswegs den Anspruch, Wissenschaftler_innen 3 Migrationsmanagement ist die „moderne“ Antwort auf die Erkenntnis, dass Migration trotz Kontrollen, Grenzziehungen und bürokratischen Hindernissen stattfindet: „Das Ziel von Migrationsmanagement ist nicht, Migration zu stoppen, sondern Migrant_innen nach bestimmten Kriterien und Bedingungen zu rekrutieren: […] Im Gegensatz zu nationalistischen Bewegungen und Diskursen schlägt das Migrationsmanagement vor, Migration proaktiv zu organisieren und die Kontrolle zu verfestigen, um vor allem die wirtschaftlich oder gesellschaftlich „interessanteren“ Migrant_innen in den globalen Norden zu lassen.“ (Gouma 2017: 165f.) 8
„auszubilden“, sondern vielmehr die unterschiedlichen Voraussetzungen der Teilnehmenden ernst zu nehmen und ihnen möglicherweise erste Berührungspunkte mit der Thematik zu ermöglichen. Abb. 1: Diskussion mit den TN über die Ziele der „Forschende Basisbildung“ (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv) Einleitend wurde ein Überblick über wissenschaftliche Paradigmen, empirische Sozialforschung und empirische Methoden (siehe als Beispiel Abb. 2 und Abb. 3) angeboten, wobei der Schwerpunkt auf Unterscheidungen zwischen qualitativer und quantitativer Forschung gelegt wurde. Die Teilnehmenden erhielten daher zu Beginn die Möglichkeit, selbst diese Differenzen aufzuspüren, indem sie beide methodische Zugänge auf das Modul angewendet haben: ein Fragebogen mit geschlossenen Fragen zu ihren Erwartungen an das Modul und ein Interviewleitfaden, dem ebenfalls die Erwartungen an das Modul zugrunde lagen. Die Vortragenden standen dabei beratend zur Verfügung und moderierten die Reflexion der Interviewdurchführung ausgehend von den Wahrnehmungen der Teilnehmer_innen, die die Rolle der Beobachtenden bei der Durchführung des Interviews übernahmen. 9
Abb. 2: Unterschiede zwischen sozialwissenschaftliche Methoden (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv) Abb. 3: Forschungsprozesse im Vergleich (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv) Während die Fragebögen von einer mitwirkenden Kollegin ausgewertet und die Ergebnisse am Folgetag gemeinsam in der Gruppe diskutiert wurden, wurden die transkribierten Interviewpassagen nach einem Input zu Datenanalyse, vor allem in Bezug auf die Grundlagen sozialwissenschaftlicher Hermeneutik und Grounded Theory, gemeinsam analysiert. Anhand dieser Kombination von 10
Hintergründen, Methoden und Anwendung konnten die Teilnehmenden selbst ihren Blick auf Forschungsprozesse und ihre Perspektivenabhängigkeit schärfen und experimentell in die Analyse eintauchen. Inputs und Beispiele sollten dazu beitragen, dass die scheinbaren Grenzen zwischen den Kategorien Theorie und Praxis zumindest ansatzweise verschoben werden können. 11
3. Warum Aktionsforschung in einer Migrant_innen-‐Selbstorganisation? Partizipative Forschung ist ein Wissenszugang, der gesellschaftliche Praxis mit theoretischem Wissen verbindet und auf soziale Veränderung im Lokalen bzw. für die teilnehmenden Gruppen setzt. Im deutschsprachigen wissenschaftlichen Feld sind partizipative Untersuchungen relativ selten: Es geht einerseits darum, dass es zu wenig Erfahrungswissen über Partizipation in der Forschung an sich gibt. Im stark hierarchisierten Feld der Academia sind zudem partizipative Zugänge eher „exotische“ Prozesse. Andererseits widerspricht der shifting Ground, auf dem partizipative Forschung aufbaut, dem quantitativen wie auch technokratischen Wunsch nach stark kontrollierten Verfahren. Zudem hat das wissenschaftliche Feld nicht selbstverständlich Zugang zu allen sozialen Gruppen bzw. ihr Vertrauen. Migrant_innen-‐Organisationen oder lokale Akteur_innen haben indes erhebliches Wissen, Netzwerke wie auch Strukturen, die partizipative Forschung sinnvoll machen. Partizipative Forschung erfordert also nicht nur theoretische und methodische Innovationen, sondern auch Formen der Organisation und Netzwerke. Dieser Argumentation folgend, würden wir richtig in der Annahme liegen, dass das kollektiv als Selbstorganisation von Migrant_innen, die den Anspruch erhebt, herrschafts-‐ und gesellschaftskritische Bildungsarbeit zu gestalten, die passenden Rahmenbedingungen für partizipative Forschungsprozesse bieten würde. Da jedoch Basisbildung im politischen Spannungsfeld des neoliberalen Imperativs des „lebenslangen Lernens“ und der „Festung Europa“ stattfindet, ist eine Auseinandersetzung mit den Ambivalenzen zwischen Partizipation und hegemonialer Praxis unseres Erachtens unausweichlich. Denn wenn Basisbildungsprojekte als Raum für Interventionen gestaltet werden sollen, der nicht im Sinne einer vermeintlich partizipatorischen Agenda, die letztendlich gegebene hegemoniale Verhältnisse verfestigen, wenn Basisbildungsprojekte abseits von paternalistischen und antimigrantischen Politiken selbstermächtigende Konzepte für lokale Akteur_innen generieren wollen, dann müssen sich die Akteur_innen fragen, wie gemeinsam zu arbeiten, um problematische Verhältnisse aufzugreifen und Aktionen zu setzen, die die Situation der Teilnehmer_innen der Basisbildungskurse verbessern. Inwiefern auf der Suche nach Antworten auf diese Frage auf partizipative Forschungsansätze produktiv zurückgegriffen werden kann, bildet die zentrale Beschäftigung im diesem Vorhaben. Da es deutlich war, dass ein partizipativer Forschungsprozess nicht vollständig mit einer bereits existierenden und bereits etablierten Gruppe in einem Kurssetting durchgeführt werden kann (vor allem aufgrund der unterschiedlichen Interessenslagen und des unterschiedlichen Informationsstandes der Teilnehmer_innen in Hinblick auf die beabsichtigte Forschung), sahen wir zwei Möglichkeiten des Einsatzes partizipativer Methoden: als Selbstreflexionsinstrumente hisichtlich der eigenen Praxis oder als Methoden, die ein Forschungsprozess im Rahmen des Unterrichts, indem 12
die Teilnehmenden den Foschungsprozess gestalten. Parizipative Methoden als Stütze pädagogischer Reflexivität anzuwenden, erschein uns legitim und im Sinne der Professionalisierung von Basisbildungslehrenden durchaus wünschenswert. Nicht zuletzt aufgrund der Beschäftigung im Verein im Rahmen eines weiteren Projektes, entschieden wir uns allerdings für die zweite Alternative, im Bewusstsein darüber, dass beide Ansätze in einander verschränkt sind und radikale (Selbst-‐)Reflexion als Bestandteil des Prozesses begriffen werden muss. Unser Konzept sah vor, dass wir die Praxis der partizipativen Forschung mit Teilnehmer_innen des Moduls „Forschende Basisbildung“ erproben, damit sie in der Selbstlernphase (zwischen den beiden Workshopterminen) die Forschungsmethoden in der eigenen Basisbildungspraxis gemeinsam mit den Teilnehmer_innen von Basisbildungskursen einsetzen konnten. 3.1. Beispiele und Differenzierungen in der partizipativen Forschung Im Modul „Forschende Basisbildung“ haben wir uns sowohl mit theoretischen als auch mit praktischen Zugängen in der partizipativen Forschung auseinandergesetzt. In diesem Sinne haben wir verschiedene Aktionsforschungsbeispiele (siehe Abb. 4) zu Diskussion gestellt. Abb. 4: Projekt „AfroLebenVoice“ (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv) AfroLebenVoice ist ein spannendes Beispiel der Aktionsforschung, das soziale Veränderungen sowohl innerhalb der Community als auch bei den gesellschaftlichen Institutionen angestrebt hat: „[...] nach innen: Uns war es wichtig, einen respektvollen und konstruktiven Austausch untereinander zum Thema Diskriminierung und Quellen der Kraft zu ermöglichen. Wir wollten die Ressourcen, 13
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