Die Borna-Virus-Enzephalitis als Differenzialdiagnose zur seronegativen Autoimmunenzephalitis

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Die Borna-Virus-Enzephalitis als Differenzialdiagnose zur seronegativen Autoimmunenzephalitis
Der Nervenarzt
Kurzbeiträge
Nervenarzt
https://doi.org/10.1007/s00115-021-01259-x
Angenommen: 26. November 2021
                                              Die Borna-Virus-Enzephalitis als
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Springer Nature 2022                          seronegativen
                                              Autoimmunenzephalitis
                                              H. Meier1 · C. Bauer1 · W. Finkenzeller1 · J. Nentwich2 · M. Städt3 · P. Steininger4 ·
                                              K. Korn4 · A. Essner4 · F. Erbguth1
                                              1
                                                Klinik für Neurologie, Universitätsklinik bzw. Universitätsinstitut der Paracelsus Medizinischen
                                              Privatuniversität, Klinikum Nürnberg, Nürnberg, Deutschland; 2 Klinik für Innere Medizin,
                                              Universitätsklinik bzw. Universitätsinstitut der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität, Klinikum
                                              Nürnberg, Nürnberg, Deutschland; 3 Klinik für Neuroradiologie, Universitätsklinik bzw. Universitätsinstitut
                                              der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität, Klinikum Nürnberg, Nürnberg, Deutschland;
                                              4
                                                Virologisches Institut, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland

                                              Hintergrund                                            NMDA, Kaliumkanalkomplex). Unauffällig
                                                                                                     waren auch ein Vaskulitis- und immunolo-
                                              Die meist letale Borna-Virus-Enzephalitis              gisches Screening, die Infektionsserologie
                                              (BVE) wird durchdas „Bornadiseasevirus 1“              und eine Porphyriediagnostik.
                                              (BoDV-1) und „variegated squirrel borna-                   Im Verlauf zeigte die Patientin fokale
                                              virus 1“ (VSBV-1) verursacht [2]. Die aktu-            klonische Anfälle des rechten Armes, wes-
                                              elle Inzidenz der Borna-Virus-Enzephalitis             halb eine antiepileptische Therapie begon-
                                              in Deutschland beträgt ca. 2 Infektionen/              nen wurde.
                                              Jahr, meist in endemischen Gebieten im                     Unter der Arbeitsdiagnose einer sero-
                                              Südosten Deutschlands [2, 5]. Wir möch-                negativen AE wurde eine Therapie mit
                                              ten über zwei Erkrankungsfälle berichten,              Prednisolon (1000 mg) über 5 Tage eta-
                                              die klinisch zunächst als seronegative Au-             bliert und um eine Plasmapherese über
                                              toimmunenzephalitiden (AE) interpretiert               5 Tage ergänzt.
                                              wurden, sich jedoch beide als eine BVE                     Zunächst stabilisierte sich der Zustand
                                              herausstellten.                                        der Patientin, sodass sie 2 Wochen nach
                                                                                                     Zuverlegunginwachem Zustand ohnemo-
                                              Fallbeispiel 1                                         torisches Defizit extubiert werden konnte.
                                                                                                     Die klinische Besserung wurde als ein An-
                                              Die 32-jährige Patientin wurde im Februar              sprechen auf die Therapie und als Bestä-
                                              2021 aus einem Krankenhaus der Grund-                  tigung der Verdachtsdiagnose gewertet.
                                              versorgung intubiert übernommen, wo                    Wegen einer persistierenden ausgepräg-
                                              sie wegen Diarrhöen, Fieber und Glieder-               ten Dysphagie und respiratorischer Ver-
                                              schmerzen aufgenommen worden war                       schlechterung musste sie jedoch reintu-
                                              und innerhalb einer Woche eine Dyspha-                 biert werden.
                                              gie und Vigilanzminderung entwickelte.                     Trotzerneuter Plasmaphereseüber 7 Ta-
                                              Die Liquoranalyse ergab unauffällige Not-               ge und nachfolgender immunsuppressiver
                                              fallwerte mit einer negativen Multiplex-               Therapie mit Rituximab (2-mal je 1000 mg)
                                              PCR, das cMRT war unauffällig.                          und Cyclophosphamid (2-mal je 1050 mg)
                                                  Eine Liquorkontrolle erbrachte eine                verschlechterte sich der Zustand der Pati-
                                              leichte lymphozytäre Pleozytose (23/μl)                entin bis hin zum Koma.
                                              bei ansonsten normalen Parametern. Die                     Nach 6 Wochen zeigte eine erneute
                                              Untersuchungen auf Antikörper in Serum                 cMRT eine deutliche Befundverschlech-
                                              und Liquor waren negativ (onkoneural,                  terung mit Nachweis fleckiger symme-
                                              GQ1b, GM1 und GM2, Glutamat-Decar-                     trischer kontrastmittelaufnehmender Hy-
QR-Code scannen & Beitrag online lesen        boxylase, LGI1, AMPA1, AMPA2, GABA,                    perintensitäten (T2/Flair) frontotempo-

                                                                                                                                    Der Nervenarzt    1
Die Borna-Virus-Enzephalitis als Differenzialdiagnose zur seronegativen Autoimmunenzephalitis
Kurzbeiträge

a                                      b
                                                                            a                                   b
Abb. 1 8 Fleckige Hyperintensitäten im frontotemporoparietalen Rinden-
bereich beidseits in FLAIR/T2 mit Einbeziehung der Basalganglien und Aus-   Abb. 2 8 a Ödemäquivalente Signalalterationen der Hippocampi beidseits
sparung des Thalamus. a, b Transversale FLAIR-gewichtete cMRT-Schnittbil-   in FLAIR/T2. b Diffusionsgewichtete koronare Sequenz mit rechtsbetonter
der                                                                         Diffusionsstörung der Hippocampi

roparietal beidseits unter Einbeziehung            ges cMRT war trotz Sedierung nicht mög-          Maßnahmen. Die Patientin verstarb 16 Ta-
der Basalganglien und Aussparung des               lich.                                            ge nach der Einlieferung in unsere Klinik.
Thalamus (. Abb. 1). Zur weiteren di-                  Bei zunehmender Agitation und Hallu-            Eine postmortale Hirnbiopsie ergab ei-
agnostischen Einordnung wurde eine                 zinationen wurde unter dem Verdacht ei-          ne hohe Borna-Virus-Last in dem einge-
Hirnbiopsie durchgeführt, die zunächst             ner AE neben Levetiracetam eine hochdo-          sandten Punktat.
eine lymphozytär vermittelte Enzephalitis          sierte Steroidpulstherapie mit Prednisolon          Rückblickend ließ sich eruieren, dass
bestätigte. Daraufhin wurde unter der              über 5 Tage (500 und 1000 mg) durchge-           die Katze der Patientin 2 Monate vor Sym-
weiteren Annahme einer AE Bortezomib               führt, gefolgt von einer IVIG-Therapie (je       ptombeginn eine Spitzmaus apportiert
verabreicht.                                       40 g) über 3 Tage.                               hatte. Die Patientin selbst hatte keinen
   Eine erneute Untersuchung (Liquor, Se-              Fünf Tage nach Aufnahme führten er-          direkten Kontakt zu der Maus. Dieses Er-
rum, Hirnbiopsat) unter Einbeziehung des           neute generalisierte epileptische Anfälle        eignis wurde retrospektiv als vermutlicher
Borna-Virus ergab einen eindeutig positi-          und eine zunehmende Vigilanzminde-               Infektionsweg gewertet.
ven Befund auf BoDV-1 im Biopsiematerial           rung zur maschinellen Beatmung auf der
und einen grenzwertig positiven PCR-Be-            Intensivstation. Die AE-Antiköperbestim-         Diskussion
fund im Liquor (CT-Wert 37).                       mungen im Liquor und Serum waren
   Nach Beendigung der immunsuppres-               negativ.                                         In beiden Fällen wurde initial von ei-
siven Therapien wurde eine antivirale The-             Nach erfolgloser Plasmapherese (7 Ta-        ner seronegativen AE ausgegangen, da
rapie mit Favipiravir begonnen, wodurch            ge) entwickelte die komatöse Patientin ei-       typische Charakteristika wie psychiatri-
es zu keiner klinischen Besserung kam.             ne zunehmende Störung der Pupillomo-             sche Symptome, Bewusstseinsstörungen,
Im Rahmen eines palliativen Therapieziel-          torik sowie der Temperaturregulation als         epileptische Anfälle und eine Liquorpleo-
wechsels verstarb die Patientin nach insge-        Hinweis auf eine Hirnstammaffektion. Im           zytose sowie im ersten Fall zunächst eine
samt 10 Wochen stationären Aufenthaltes            cMRT zeigten sich ödematöse Verände-             vermeintliche Responsivität auf die initiale
in unserer Klinik.                                 rungen im Bereich der Hippocampi beid-           immunsuppressive Therapie vorlagen. Zu-
   Ein Kontakt zu potenziell mit BoDV-1            seits mit einer rechtsbetonten Diffusions-        dem zeigten sich im zweiten Fall auch zu
infizierten Tieren konnte retrospektiv nicht        störung, kompatibel mit der Verdachtsdia-        einer AE passende T2-Hyperintensitäten
eruiert werden, letztlich bleibt der Über-         gnose einer AE (. Abb. 2).                       im Hyopthalamus beidseits ([4]; . Tab. 1).
tragungsweg bei der Patientin unklar.                  Nach einer Therapieeskalation mittels            Eine frühe – notfalls eskalative – im-
                                                   Cyclophosphamid (900 mg) und Rituximab           munsuppressive Therapie bei einer AE ge-
Fallbeispiel 2                                     (1000 mg) wurde14 TagenachEinlieferung           hört zu den wichtigsten Prognosefaktoren
                                                   in unsere Klinik der Nachweis von BoDV-          [1], weshalb bei unseren Patientinnen bei
Die 23-jährige Patientin wurde im April            1-RNA im eingesandten Liquor bestätigt,          rascher klinischer Verschlechterung thera-
2021 mit Kopfschmerzen, subfebrilen Tem-           der Serumbefund war negativ.                     peutisch eskaliert wurde.
peraturen und einem erstmaligen genera-                Bei anhaltend ausgefallenen Hirn-                Die Fälle verdeutlichen die hohe Varia-
lisierten epileptischen Anfall stationär auf-      stammreflexen, einem Burst-suppression-           bilität des Verlaufes einer BVE und den Stel-
genommen.                                          Muster im EEG sowie einem patholo-               lenwert frühzeitiger diagnostischer Schrit-
    Die Liquoruntersuchung erbrachte eine          gischen Apnoetest entschieden wir uns            te in Endemiegebieten, auch wenn letzt-
leichte Pleozytose (49/μl) bei sonst unauf-        aufgrund der infausten Prognose für eine         lich ein unauffälliger Liquorbefund keinen
fälligen Notfallwerten. Ein aussagekräfti-         Beendigung der intensivmedizinischen             sicheren Ausschluss einer BVE bedeutet.

2    Der Nervenarzt
Die Borna-Virus-Enzephalitis als Differenzialdiagnose zur seronegativen Autoimmunenzephalitis
Tab. 1 Diagnostische Kriterien für eine mögliche Autoimmunenzephalitis                                        Literatur
    Subakute, rasch progrediente Kurzzeit-    UND Epileptische Anfälle      UND              Ausschluss
    gedächtnisstörung (
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