DIE COVID-PANDEMIE VERSCHÄRFT DEN HUNGER WELTWEIT - Lehren aus der Krise ziehen - Veränderungen einleiten
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©/ Welthungerhilfe DIE COVID-PANDEMIE VERSCHÄRFT DEN HUNGER WELTWEIT Lehren aus der Krise ziehen – Veränderungen einleiten Ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie wieder, die an chronischem Hunger leiden; anstatt haben sich viele Befürchtungen in Bezug auf „Null Hunger“ wird sich die Zahl der Milliarden- die Zunahme von Hunger und Armut bestätigt. grenze nähern. Die Ernährungs- und Landwirt- Analysen von internationalen Institutionen wie schaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) den Vereinten Nationen und der Weltbank zeigen hat ihre Schätzungen aufgrund der Pandemie ange- drastische negative Auswirkungen auf die glo- passt und rechnet mit 860 bis 909 Millionen balen Entwicklungsziele der Agenda 2030, ins- besondere das Ende von Hunger und Armut. Hungernden bis zum Jahr 2030. 3 Sie wirft die Entwicklung um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück. Erhebung in 25 Partnerländern bestätigt die globalen Zahlen Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen Eine Erhebung der Welthungerhilfe gemeinsam mit (WFP) gibt aktuell die Zahl der Menschen, die zu ver- sieben weiteren europäischen Entwicklungs- und Not- hungern drohen, mit mehr als 270 Millionen Men- hilfeorganisationen im Rahmen des Netzwerks schen an. Das ist eine Verdopplung im Vergleich zu „Alliance 2015“ bestätigt diese globalen Entwicklungen der Zahl vor der Pandemie; die Covid-Pandemie hat und beleuchtet die Zusammenhänge zwischen der die Lage der Menschen, die ohnehin unter Armut, be- Corona-Pandemie, Armut und Hunger. Befragungen von waffneten Konflikten und der Klimakrise leiden, massiv knapp 16.200 Haushalten in 25 Ländern im Zeitraum verschärft.1 Die Weltbank prognostiziert, dass bis Ende Oktober bis November 2020 haben gezeigt, dass 42 dieses Jahres aufgrund der Pandemie weltweit 111 bis Prozent der befragten Haushalte weniger zu essen 149 Millionen Menschen in extreme Armut abstürzen.2 haben; 44 Prozent berichten von einer Verschlech- Schon vor der Pandemie stieg die Zahl der Menschen terung der Qualität und der Vielfalt ihrer Ernährung. 1 World Food Programm: “Global Update on COVID-19: November 2020” 2 World Bank: “2020 Year in Review: The impact of COVID-19 in 12 charts” 3 Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO): “The State of Food Security and Nutrition in the World”, 2020
Abnahme der Quantität und Qualität der Dies ist vor allem eine Folge davon, dass die Einkommen konsumierten Lebensmittel in den drastisch zurückgegangen sind. Neunzig Prozent der be- fragten Haushalte berichten von reduziertem Einkom- befragten Haushalten men, mehr als 75 Prozent fürchten, dass ihre Einkünfte auch in Zukunft negativ beeinflusst werden. Am stärks- ten wirkt sich dies bei Menschen im informellen Sektor in Stadtrandgebieten aus. Aber auch Bauernfamilien sind stark von den Auswir- kungen der Pandemie betroffen; 72 Prozent erlitten Umsatzeinbußen. Knapp die Hälfte berichtet, dass sie ihre Produkte aufgrund des Lockdowns nicht verkaufen konnten. Weitere Gründe sind mit rund fünfzig Prozent eine verspätete Aussaat und Ernte, rund ein Viertel ver- ringerte Anbauflächen und weniger Saatgut und Dünger. Insgesamt berichten 75 Prozent aller Befragten, dass Überweisungen durch Verwandte im Ausland zurückge- gangen oder komplett weggefallen sind. Zwei Drittel der Befragten in allen Sektoren mussten sich verschulden, um die Auswirkungen der Pandemie abzufedern. Neun Länder sind ganz besonders betroffen, davon Eine Studie des International Food Policy Research sechs in Subsahara-Afrika: Die Demokratische Re- Instituts (IFPRI) vom Februar 2021 kommt zu dem publik Kongo, Malawi, Kenia, Burundi, Liberia und Ergebnis, dass es global gesehen keinen Mangel an Madagaskar. In Kongo und in Malawi haben sogar Nahrungsmitteln gab, und dass das globale Ernäh- mehr als 80 Prozent der befragten Haushalte weni- rungssystem den Pandemie-Schock abfedern konnte, ger zu Essen als vor der Pandemie. Aber auch in also „resilient“ war, auch aufgrund der globalen Ecuador, Afghanistan und Haiti ist der Hunger stark Handelsströme. Dennoch steigt der Hunger. Wie ist gestiegen. Diese Zahlen zeigen, dass Covid-19 be- dieser scheinbare Widerspruch zu erklären? stehenden Hunger verschärft und die ohnehin ärms- Die FAO unterscheidet in ihrer Definition für nachhaltige ten Regionen der Welt am härtesten trifft. Ernährungssicherung zwischen „Verfügbarkeit“ und Auswirkungen auf das Einkommen Quelle: Alliance2015: “COVID-19 Community Resilience – A Multi-Country Study”
„Zugang“. Es waren also auch in der Pandemie ausrei- die Deckung der Kosten zu nutzen, die durch die chend Nahrungsmittel verfügbar, jedoch war der Zugang Pandemie entstanden sind. 4 insbesondere für die ärmere städtische Bevölkerung und Menschen in ländlichen Gebieten eingeschränkt. Die negativen Auswirkungen auf Hunger Dies liegt an den Folgen der Pandemie, den Bewegungs- und Armut waren vorherzusehen einschränkungen („Lockdown“), am Verlust von Arbeit Bereits im April 2020, während in den reichen Ländern im informellen und formellen Sektor, womit Einkommen die ersten „Rettungsschirme“ gespannt wurden, warnte wegfielen, sowie am allgemeinen Wirtschaftsabschwung. die Welthungerhilfe vor den katastrophalen Folgen der So konnten etwa Straßenhändler*innen nicht mehr ihre Pandemie auf die Armen und Hungernden.5 Mit einem Waren verkaufen, Migrant*innen, die zum Beispiel als Corona-Nothilfefonds ermöglichte die Organisation ihren Reinigungskräfte tätig waren, wurden nach Hause ge- Länderbüros und Partnerorganisationen in den Pro- schickt, Menschen in der Textilindustrie entlassen. grammländern, schnell Aufklärungskampagnen über das Hingegen konnten andere Akteure erheblich profi- Virus und Hygienemaßnahmen zu starten. Darüber hin- tieren: Lebensmittelgeschäfte und Supermärkte, die aus entwickelte sie als Ergebnis ihres globalen COVID-19 ihr Geschäft fortführen oder sogar online ausweiten -Appells6 ein Programm, das in den kommenden zwei konnten, machten Milliarden an zusätzlichen Ge- Jahren fünf Millionen Menschen in 36 Ländern mit le- winnen. IFPRI sieht hier einen möglichen Ansatz bensrettender Soforthilfe, Aufklärung, Wasser- und Hygie- für die Bewältigung der sozialen Folgen der Pande- nemaßnahmen sowie Lebensmittelversorgung und direkte mie, nämlich diese Gewinne umzuverteilen oder für Geldzahlungen unterstützen soll. Dabei stehen stets der Dürre, Überflutungen und Corona-Mutante aus Südafrika – Mehrere Krisen gleichzeitig lassen die Menschen in Simbabwe nicht zur Ruhe kommen Vor zwei Jahren wurde Zimbabwe von Hurrikan Idai schwer getroffen, nach einer langen Dürreperiode kämpft das Land mit starken Regenfällen und über- fluteten Feldern, und nun breitet sich die sehr an- steckende südafrikanische Corona-Mutante aus. Das Landesbüro der Welthungerhilfe schätzt aufgrund von Beobachtungen und Angaben lokaler Gesund- heitsexpert*innen, dass die tatsächlichen Anste- ckungszahlen um das zehn- bis zwanzigfache höher liegen als offiziell gemeldet. Getestet werden nach Auskunft von internationalen Gesundheitsexperten vor Ort ohnehin nur Fälle mit Symptomen, eine Kontaktnachverfolgung gibt es nicht. Durch den Starkregen werden nicht nur Felder und damit bevor- stehende Ernten zerstört, die Latrinen fließen über ©/ Welthungerhilfe und Krankheiten wie Cholera und Typhus sind zu er- warten. Lockdown und Schulschließungen haben auch verheerende Auswirkungen auf die Mädchen und jungen Frauen im Land. Die Zahl der Teenage- Schwangerschaften ist enorm gestiegen; häusliche Planung der Instandsetzung eines defekten Brunnens, Gewalt, Missbrauch, Prostitution (Sex gegen Nahrung) Simbabwe und Hochzeiten von Minderjährigen nehmen zu. Die Welthungerhilfe setzt in Simbabwe auf Prä- gutscheinen für Hungernde führt die Welthunger- vention und Stärkung der Widerstandsfähigkeit hilfe langfristig angelegte Vorsorgeprojekte durch. (Resilienz). Dies erfordert ein langfristiges kon- In landwirtschaftlichen Schulungszentren lernen zeptionelles Zusammenwirken von Nothilfe und die Auszubildenden neue Anbaumethoden, innova- Entwicklungszusammenarbeit in verschiedenen tive Techniken, betriebswirtschaftliche Grundlagen Sektoren. Neben Projekten zur Covid-19-Auf- und Vermarktung. Ein weiteres Projekt betrifft die Ent- klärung, Verbesserung von Wasserversorgung und wicklung eines Frühwarnsystems, um Dürren vorherzu- Hygiene und der Verteilung von Nahrungsmittel- sagen und proaktiv handeln zu können. 4 IFPRI: “Impacts of COVID-19 on people’s food security: Foundations for a more resilient food system”, 2021 5 Welthungerhilfe: COVID-19: Durch die Gesundheitskrise droht eine Ernährungskrise“, 2020
Wiederaufbau und die Resilienzstärkung im Vordergrund, Pandemie bekämpfen / zukünftigen Gesundheits- damit die Menschen im Sinne einer nachhaltigen Ent- krisen vorbeugen: wicklung künftig besser gegen Krisen abgesichert sind. Zugang zu sauberem Wasser und grundlegender Das Programm wird mit privaten Spenden und öffent- Sanitärversorgung für alle Menschen sicherstellen. lichen Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Gesundheitssysteme stärken und mittelfristig in den Zusammenarbeit sowie des Auswärtigen Amts finanziert. Auf- bzw. Ausbau universeller Gesundheitssysteme im globalen Süden investieren, um größere Resilienz Covid-Krise schärft den Blick für globale gegenüber zukünftigen Krisen herzustellen. Zusammenhänge Eine gerechte und effiziente Impfstoffverteilung Die Covid-Pandemie hat allein durch ihre direkten ge- gewährleisten. Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten, um die globale Impfstoffproduktion sundheitlichen Auswirkungen mittlerweile mehr als zwei- anzukurbeln. einhalb Millionen Menschenleben gefordert.7 Angesichts der internationalen Verflechtungen kann der Kampf ge- Krisenprävention stärken gen das Virus nur weltweit gewonnen werden oder gar Vulnerabilität von Gemeinschaften gegenüber den nicht. Die Krise hat gezeigt, wie anfällig die Lebenssitua- Folgen von Krisen verringern und Resilienz stärken. tion vieler Menschen ist und wie wenig sie daher in der Risiko-Analysen, Partizipation gefährdeter Bevölke- rungsgruppen und präventive Maßnahmen wie Sicher- Lage sind, solchen Krisen zu entgegnen und sich rasch heitsnetze und notwendige Infrastruktur stärken. wieder zu erholen. Daraus wird klar: Ein „weiter wie Vorausschauende humanitäre Hilfe stärken und bisher“ ist keine Option. flexible, bzw. schnell einsetzbare, Mittel dafür zur Verfügung stellen. Die Lokalisierung humanitärer Was jetzt geschehen muss: Hilfe weiterhin im Sinne der Vereinbarungen des Maßnahmen zur Ernährungssicherung verstärken: Grand Bargain vorantreiben. Sicherstellen, dass Menschen in akuten Notlagen Lehren aus der Krise ziehen – Veränderungen einleiten finanzielle Unterstützung und Nothilfe zur Verfü- gung haben. Zugang zu Notleidenden auch in Transformation hin zu inklusiven, nachhaltigen Konfliktsituationen gewährleisten. Diejenigen in und widerstandsfähigen Ernährungssystemen noch den Mittelpunkt stellen die am meisten gefährdet stärker in den Fokus internationaler Entwicklungs- sind und niemanden zurücklassen. politik rücken. Ernährungsunsichere Gruppen müs- sen jederzeit Zugang zu einer gesunden Ernährung Die Bereitstellung humanitärer Mittel dem gestiegenen haben. Die Politik muss hierfür die Rahmenbedin- globalen Bedarf anpassen, bzw. Finanzierungslücken gungen setzen und die notwendigen Strukturen in internationalen humanitären Aufrufen schließen. dafür schaffen. Programme zur Ernährungssicherheit, wie z.B. Lokale und regionale Nahrungsmittelmärkte müssen Schulspeisungen, aufrechterhalten und weiter aus- gestärkt werden. bauen. Die Politik zur Gestaltung von nationalen, regionalen Kleinbäuer*innen sowie kleine und mittlere land- und globalen Lieferketten muss kohärent sein und wirtschaftliche Betriebe fördern und bei der Verrin- die Menschenrechte – wie z.B. das Menschenrecht gerung von Pandemie-bedingten Einbußen und Ver- auf Nahrung – unbedingt einhalten. lusten unterstützen. Programme zur sozialen Grundsicherung in Entwick- lungsländern auf-, bzw. ausbauen. 6 Welthungerhilfe: “COVID-19 Appell”, 2020 7 World Helath Organization: “Coronavirus (COVID-19) Dashboard” Bonn/Berlin, 26. März 2021 Kontakt: Asja Hanano, Leiterin Politik und Außenbeziehungen Email: policy@welthungerhilfe.de Deutsche Welthungerhilfe e. V., Friedrich-Ebert-Straße 1, 53173 Bonn Tel. +49 (0)228 2288-0, Fax +49 (0)228 2288-333, www.welthungerhilfe.de
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