DIE FORMELHAFTIGKEIT VON STRAFURTEILEN: EINE SCHWEDISCH-DEUTSCHE ÜBERSETZUNGSSTUDIE - DIVA

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Die Formelhaftigkeit von Strafurteilen:
Eine schwedisch-deutsche Übersetzungsstudie
zu rechtssprachlichen Kollokationen

                               Författare: Mag. Tina Philipp-Rampa
                               Handledare: Jenny Ström Herold
                               Examinator: Magnus Levin
                               Termin: VT 2021
                               Ämne: Tyska
                               Nivå: Avancerad nivå
                               Kurskod: 4TY32E
Abstract
This essay deals with the formulaic nature of court judgments in terms of language rather
than content and structure. It focuses on legal collocations and the problems that may
arise in translation from Swedish to German. In particular, the introductory formula of
Austrian court decisions is discussed in comparison to the Swedish criminal judgment,
which the essay is based on. However, other legal collocations are also examined. A
qualitative legal linguistic analysis examines how these collocations are translated
between two legal systems of two states. Furthermore, the question of which translation
options are available and where the sources of errors regarding the translation are, is
discussed. At the end a comparison of the collocations of the source text and that of the
target text should clarify their similarities or differences. It is expected that there is a
tendency that collocation based in the law (e.g. vållande till annans död) cannot be
translated literally contrary to ordinary legal collocations (e.g. straffrättsliga ansvar). The
former needs a cultural transfer in order to be perceived as equivalent by the reader of the
target text.

Key words
court judgments, formulaic nature, German, legal collocations, Swedish, translation
Inhaltsverzeichnis

1       Einleitung ............................................................................................................................................. 1

2       Ziel und Fragestellung ......................................................................................................................... 1

3       Material, Zielgruppe und Methode .................................................................................................... 2
    3.1     Material ............................................................................................................................................ 2
    3.2     Zielgruppe ........................................................................................................................................ 3
    3.3     Methode ............................................................................................................................................ 3

4       Theoretischer Hintergrund ................................................................................................................. 5
    4.1 Formelhaftigkeit............................................................................................................................... 5
       4.1.1    Rechtssprachliche Kollokationen als Ausdruck sprachlicher Formelhaftigkeiten,
       Begrifflichkeit und Definition ............................................................................................................... 6
       4.1.2    Die Solemnitätsformel und die Rechtssprechungsformel als Ausdruck sprachlicher
       Formelhaftigkeit .................................................................................................................................... 9
    4.2     Fehlerquellen bei der Übersetzung von Kollokationen ................................................................ 10
    4.3     Äquivalenz ...................................................................................................................................... 12
    4.4     Relevante Übersetzungsstrategien ................................................................................................. 13

5       Analyse................................................................................................................................................ 14
    5.1 Rechtssprachliche Kollokationen .................................................................................................. 14
       5.1.1 Quantitativer Überblick ......................................................................................................... 15
       5.1.2 Abgrenzung ........................................................................................................................... 16
       5.1.3 Gesetzesbedingte Kollokationen ........................................................................................... 17
       5.1.4 Rechtssprachliche Kollokationen ohne gesetzliche Notwendigkeit ...................................... 20
       5.1.5 Vergleich der AT-Kollokationen mit den ZT-Kollokationen ................................................ 24
    5.2     Solemnitätsformel und Rechtssprechungsformel ......................................................................... 26

6       Zusammenfassung ............................................................................................................................. 27
Literaturverzeichnis………………………………………….………………………………………....... 30
Anhang A, Liste der rechtssprachlichen Kollokationen ……………..………………………………... 33
1        Einleitung
Der schwedische Ausdruck vinna laga kraft ist ein fester Bestandteil der Rechtssprache. Er
bedeutet, dass ein Urteil unanfechtbar ist und die im Urteil ausgedrückten Rechtsfolgen
eintreten. Die deutsche Übersetzung dieses Ausdruckes kann in Rechtskraft erwachsen lauten,
wobei gezeigt wird, dass auch viele andere Übersetzungsvarianten gebräuchlich sind. Beide
Ausdrücke findet man in juristischen Texten immer wieder in derselben Kombination von
Wörtern. Das deutet darauf hin, dass es sich bei diesen Ausdrücken um sogenannte
Kollokationen handelt. Betrachtet man nur dieses Beispiel, könnte man zu dem Schluss
gelangen, dass die Übersetzung von derartigen rechtssprachlichen Kollokationen im
Sprachenpaar Schwedisch-Deutsch keine weiteren Probleme bereitet. Anhand ausgewählter
Kollokationen wird allerdings gezeigt, dass sich bei der Übersetzung der Kollokationen
Herausforderungen vor allem im Hinblick auf die zu wählende Übersetzungsstrategie
ergeben. Gegenstand dieser Untersuchung sind Kollokationen, die in Verbindung mit der
juristischen Fachsprache stehen. Daraus ergeben sich die Kategorie der Kollokationen, die
durch den Gesetzeswortlaut bedingt sind (fortan: gesetzesbedingte Kollokationen) und die,
deren Kollokationen das nicht sind (fortan: nicht-gesetzesbedingte Kollokationen). Im
Bereich der nicht-gesetzesbedingten Kollokationen werden lediglich Kollokationen behandelt,
die sich ihrem Typ nach aus entweder einem Substantiv und einem Verb zusammensetzen
(Typ I nach Grauer, 2009:21) oder aus einem Adjektiv und einem Substantiv (Typ II nach
Grauer, ebd.). Die kontrastive Untersuchung von Kollokationen in juristischen Texten ist
demnach auch aus dem Grund interessant, als sie Aufschluss darüber gibt, ob AT-
Kollokationen und ZT-Kollokation einander entsprechen und ob sich daraus ein
Zusammenhang mit der gewählten Übersetzungsstrategie ableiten lässt. Grundlage dieser
rechtslinguistischen Untersuchung bildet ein schwedisches Strafurteil und die von mir
erstellte Übersetzung ins Deutsche.

2 Ziel und Fragestellung
Der Arbeit wird die Annahme zu Grunde gelegt, dass die Verwendung von rechtssprachlichen
Kollokationen zur sprachlichen        Formelhaftigkeit von Gerichtsurteilen beiträgt.     In
österreichischen Urteilen tragen aber nicht nur Kollokationen, sondern auch die sog.
Solemnitätsformel1 bzw. die Rechtssprechungsformel2 zu dieser Formelhaftigkeit bei,

1
    Im Namen der Republik.

                                                                                        1(34)
weswegen ein Abschnitt auch diesen gewidmet ist. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es,
darzulegen, worin die sprachliche Formelhaftigkeit eines Strafurteils liegt und wie sich diese
im Übersetzungsprozess etwa in der Wahl der Übersetzungsstrategie niederschlägt. Zuerst
werden die in der juristischen Sprache allgemein gebräuchlichen Kollokationen im AT und im
ZT ausfindig gemacht und untersucht, ob sich diese im jeweils anderen Text ebenfalls als
Kollokationen           wiederfinden.          Danach     werden     die   Solemnitätsformel       und   die
Rechtsprechungsformel als eine spezielle Ausformung der standardisierten juristischen
Formulierung kontrastiv untersucht. Darüber hinaus beleuchtet die gegenständliche Arbeit,
welche Übersetzungsstrategien zur Verfügung stehen und welche eventuellen Fehlerquellen
bei der Übersetzung entstehen können. Bei der Analyse stehen folgende Fragen im Fokus:

         -    Welche relevanten               rechtssprachlichen   Kollokationen   finden   sich    im   AT
              beziehungsweise im ZT?
         -    Mit welcher Häufigkeit werden Kollokationen des AT im ZT mit Kollokationen
              übersetzt und inwiefern stimmt der Kollokationstyp der ZT-Kollokation mit dem der
              AT-Kollokation überein? Welche Übersetzungsstrategien ergeben sich für diese
              Kollokationen, und welche Probleme können bei der Übersetzung entstehen?
         -    Wie verhält sich die Solemnitätsformel bzw. die Rechtssprechungsformel im
              Vergleich zwischen dem schwedischen AT und dem deutschen ZT? Was ergibt sich
              daraus für die Formulierung des ZT?

Die genannten Fragen werden anhand ausgewählter Beispiele aus meiner Übersetzung im
Rahmen einer qualitativen Analyse diskutiert.

3 Material, Zielgruppe und Methode
Dieses Kapitel gibt Aufschluss über das verwendete Material, die Zielgruppe des AT sowie
die des deutschen ZT, aber auch über die angewendete Methode.

3.1 Material
Bei dem für die nachfolgende Untersuchung herangezogenen schwedischen Strafurteil des
Bezirksgerichts Borås handelt es sich um ein Sachurteilaus dem Jahr 2019, in dem das
erkennende Gericht in der Sache selbst entschieden hat. Für die Untersuchung wurde ein
Strafurteil gewählt, da es zu der juristischen Fachtextsorte gehört, in der sich die
Rechtssprache sehr deutlich ausdrückt. Dieses schwedische Urteil wird als strafrechtlicher

2
    Das X-Gericht hat […] zu Recht erkannt.

                                                                                                         2(34)
Materialkorpus herangezogen, wobei der Untersuchung außerdem die von mir angefertigte
deutsche Übersetzung dieses Urteils zugrunde liegt. Aufgrund dieses eingeschränkten
Materials kann Ziel dieser Arbeit lediglich sein, Tendenzen aufzuzeigen, ohne von diesen auf
allgemein gültige Ansätze schließen zu wollen.

3.2 Zielgruppe
Die Zielgruppe eines Strafurteils besteht aus den an dem zugrundeliegenden Verfahren
beteiligten Personen; das sind der Angeklagte und sein Verteidiger sowie die
Staatsanwaltschaft als Ankläger. Im vorliegenden Fall haben sich die Geschädigten dem
Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen. Dies geschieht, um geldwerten Ersatz für
die aufgrund der Tat erlittenen Schäden/Verletzungen zugesprochen zu bekommen, ohne ein
gesondertes Verfahren vor einem Zivilgericht anstreben zu müssen. Die Privatbeteiligten
gehören somit ebenfalls zur Zielgruppe des gegenständlichen Urteils. Als Zielgruppe nicht zu
vernachlässigen sind andere, nicht am Verfahren beteiligte Richter oder Rechtsanwälte, denn
Strafurteile dienen in späteren, ähnlich gelagerten Angelegenheiten als Präjudiz und somit als
Richtlinie dafür, wie ein Gericht in dem neuen Fall entscheiden wird.
     Zur Zielgruppe der von mir angefertigten deutschen Übersetzung des schwedischen
Strafurteils kann jedenfalls eine am Verfahren beteiligte deutschsprachige Person gehören.
Weiters kommen als Zielgruppe auch Jus-Studierende in Frage, die rechtsvergleichende
Studien zwischen österreichischem und schwedischem Recht betreiben.

3.3 Methode
Die Übersetzung geschieht im konkreten Fall zwischen Rechtsordnungen zweier Staaten –
Schweden und Österreich – und von der schwedischen Rechtssprache in die in Österreich
gebräuchliche deutsche Rechtssprache (sogenannte rechtssystemübergreifende Übersetzung,
vgl. Wiesmann 2004:121f.). Da man auch als muttersprachliche Übersetzerin Interferenzen
nicht ausschließen und ungewöhnliche Übersetzungen für akzeptabel halten kann (vgl.
Kimmes/Kornelius 2012:2), verwendete ich zur Überprüfung der deutschen Formulierungen
das zweisprachige Online-Wörterbuch dict.cc. Das Wörterbuch stellte mich vor zwei
Herausforderungen: Es geht lediglich von einzelnen Wörtern aus, während ich, aufgrund des
Auftretens von Kollokationen, Verbindungen von mehreren Wörtern zu übersetzen hatte. Das
führte dazu, dass oft erst der Kontext Aufschluss über die Bedeutung eines Wortes und dessen
Entsprechung in der ZS gab. Außerdem waren juristische Fachausdrücke in diesem
Wörterbuch oft nicht gelistet. Ich zog daher neben dem genannten Wörterbuch außerdem ein

                                                                                          3(34)
Strafurteil eines österreichischen Gerichts als Hilfsmittel heran und setzte dieses als
sogenannten Paralleltext ein. Das erwähnte Urteil stammt ebenfalls von einem
erstinstanzlichen Gericht (Landesgericht für Strafsachen Wien). Das österreichische Urteil
half vor allem, den genauen Wortlaut von mir zwar bekannten, aber möglichweise nicht
wortwörtlich geläufigen, formelhaften Verwendungen, wie etwa den exakten Wortlaut der
Rechtssprechungsformel, zu überprüfen. Paralleltexte sind Texte, die dem selben Texttyp
angehören wie der AT und die originär in der jeweiligen ZS erstellt wurden. Das
österreichische Urteil wurde im Sinne eines Paralleltextvergleichs verwendet. Dabei werden,
wie   Spillner   (1981:241)     darlegt,     Texte    miteinander   verglichen,   die   in   keiner
Übersetzungsrelation zueinander stehen. In Anlehnung an dieses Verständnis der
Paralleltextanalyse wurde an gewissen Stellen des Übersetzungsprozesses ein Vergleich von
Teilen des AT mit Teilen des Paralleltextes durchgeführt, die thematisch und situativ
gleichgeartet sind, aber in unterschiedlichen Sprachen und unabhängig voneinander
entstanden sind (ebd., vgl. auch Will 1996:160). Im Hinblick auf die Untersuchung von
Gebräuchlichkeit und Häufigkeit der Kollokationen bediente ich mich des Korpus
Språkbanken Text/Korp (spraakbanken.gu.se), des DWDS-Kernkorpus21 (dwds.de) und des
Parallelkorpus Linguee (linguee.de).
      Die Analyse der in juristischen Texten vorliegenden sprachlichen Formelhaftigkeit ist
eingeschränkt auf die Übersetzungsanalyse der rechtssprachlichen Kollokationen, die anhand
einiger ausgewählter Beispiele verdeutlicht wird sowie auf die Untersuchung der sogenannten
Solemnitätsformel und der Rechtssprechungsformel. Eine weitere Einschränkung wird in der
Kategorie der nicht-gesetzesbedingten Kollokationen dahingehend vorgenommen, dass
lediglich diejenigen Berücksichtigung finden, die dem Typ I (wie etwa förneka gärningarna)
oder dem Typ II (wie beispielsweise skriftliga bevisning) angehören. Für die Analyse dieser
nicht-gesetzesbedingten Kollokationen wurde zuerst die entsprechende AT-Kollokation
ausfindig gemacht. Dann wurde die AT-Kollokation durch wörtliche Übersetzung in den ZT
überführt. In einem nächsten Schritt erfolgte eine Analyse, ob die wörtliche Übersetzung in
der Kultur der ZS in einen gebräuchlichen Ausdruck mündet; war das der Fall, wurde die
wörtliche   Übersetzung       beibehalten,     wenn     nicht,   wurde   durch    Änderung     der
Übersetzungsstrategie eine entsprechende Umformulierung vorgenommen. Dieser Ausdruck
wurde nachfolgend als Grundlage für die weitere Analyse verwendet. Die jeweiligen
Übersetzungsergebnisse wurden in einem weiteren Schritt dahingehend untersucht, ob sie
Kollokationen sind. Waren die Übersetzungsergebnisse auch im ZT Kollokationen, wurden
sie mit der jeweils entsprechenden AT-Kollokation nach ihrem Typ untersucht. Die

                                                                                               4(34)
Identifizierung der einzelnen Kollokationen erfolgte vor dem Hintergrund der Einteilung und
Abgrenzung nach Hausmann (1984:398), auf die im Abschnitt. 4.1.3 näher eingegangen wird.

4 Theoretischer Hintergrund
Bevor mit der Untersuchung der Probleme bei der Übersetzung von juristischen
Fachausdrücken, die einerseits aus mehreren Wörtern bestehen und andererseits von gewisser
Formelhaftigkeit geprägt sind, begonnen werden kann, müssen zu Beginn der Arbeit die
Begrifflichkeit der Formelhaftigkeit und der Kollokation beleuchtet werden. Wenn in diesem
Zusammenhang von Formelhaftigkeit gesprochen wird, wird darauf Bezug genommen, dass
Urteile in einer ähnlichen Art und Weise formuliert sind. Die Ursache liegt nach der
Einschätzung der Verfasserin darin, dass bestimmte formelhafte Wendungen benutzt werden.
Diese rühren von den dem Urteil zugrundeliegenden gesetzlichen Vorschriften her, wobei
aber auch formelhafte Wendungen, die in der Rechtssprache etabliert sind − wie eben vinna
laga kraft oder in Rechtskraft erwachsen – zur Anwendung kommen. Im gegenständlichen
Kapitel wird ein allgemeiner Überblick über die für den Analyseteil notwendigen
Begrifflichkeiten gegeben. Zu Beginn wird auf die Formelhaftigkeit juristischer Texte
eingegangen, dann werden der Kollokationsbegriff, die Solemnitätsformel und die
Rechtssprechungsformel im Licht der für Rechtstexte üblichen Formelhaftigkeit definiert,
bevor auf die Fehlerquellen bei der Übersetzung von Kollokationen eingegangen wird.

4.1 Formelhaftigkeit
Wie bereits erwähnt, fällt auf, dass die in Urteilen verwendete Sprache teilweise von
rechtssprachlichen Fachausdrücken geprägt ist, die als etablierte − weil immer
wiederkehrende − formelhafte Wendungen angesehen werden können. Dies führt dazu, dass
Urteilen neben einer inhaltlich-strukturellen Formelhaftigkeit auch eine gewisse sprachliche
Formelhaftigkeit anhaftet. Der Terminus der Formelhaftigkeit gelangte mit der Erforschung
von   (sprachlichen)   Routinen   und   in   Anlehnung   an   die   Kommunikationstheorie,
Ritualforschung und Textsortenlinguistik in die Phraseologieforschung und erweiterte damit
den Gegenstandsbereich der Phraseologie (vgl. Filatkina 2011:79). Dieser Überlegung folgt
auch Stein (1995:43f.), indem er formelhafte Wendung nicht als Synonym, sondern als
Hyperonym für Phraseologie betrachtet. Dies führt für Stein (1994:153) dazu, dass
„phraseologisch“ folgerichtig lediglich „formelhaft“ bedeutet. Stein folgend ist auch für
Filatkina (2009a:146) Formelhaftigkeit insgesamt weiter zu fassen als Phraseologie; beide
Begriffe stehen in unmittelbarer Beziehung zueinander.

                                                                                        5(34)
In Gerichtsurteilen, so wie in Rechtstexten im Allgemeinen, drückt sich die
Formelhaftigkeit dadurch aus, dass Inhalte oft in gleichen Kombinationen von Wörtern
wiedergegeben werden. Frilling (1995:29f.) führt in diesem Zusammenhang aus wie folgt:

        Rechtstexte werden nicht einzeln immer wieder aufs neue [sic] konzipiert,
        sondern     unter     Beachtung      von    bereits festliegenden,   jeweils
        textsortenspezifischen Gestaltungsmaximen erstellt, die sich im juristischen
        Tätigkeitsbereich konventionalisiert haben.

Werden juristische Texte nicht immer aufs Neue konzipiert, bedeutet dies, dass Einheiten
dieser Texte immer wieder gebraucht werden, sodass Stein (1995:57) davon ausgeht, dass
diese sprachlichen Einheiten deswegen formelhaft sind, weil sie durch den häufigen Gebrauch
fest geworden sind oder fest werden, wobei als Beispiel hier bei Tagesanbruch oder Abstand
halten zu nennen sind (Stumpf 2015:67). Stein (1995:57) führt dazu weiter aus wie folgt:

        Aufgrund der Festigkeit im Gebrauch sind oder werden sie (Anm.: die
        sprachlichen Einheiten) lexikalisiert, d.h. sie sind Bestandteil oder werden zu
        Bestandteilen des Wortschatzes, so daß [sic] sie von den Sprachteilnehmern als
        fertige komplexe Einheiten reproduziert werden (ebd.)

Gemeint ist damit, dass sich der Textproduzent, wie etwa ein Richter, bei der Formulierung
eines Urteils vorformulierter Elemente bedient. Bei gewissen Formulierungen muss er das
tun, weil dies wie im Fall der österreichischen Solemnitätsformel gesetzlich vorgeschrieben
ist. In anderen Fällen wie etwa bei der österreichischen Rechtssprechungsformel hat sich die
Formelhaftigkeit aus der Praxis der Gerichte entwickelt. Im nachfolgenden Abschnitt werden
Kollokationen, die anscheinend lexikalisiert sind und als fertige Einheiten reproduziert
werden (wie etwa gebotene Sorgfalt) und die beiden genannten Formeln als Ausdruck
sprachlicher Formelhaftigkeit unter einem theoretischen Gesichtspunkt behandelt.

4.1.1    Rechtssprachliche Kollokationen als Ausdruck sprachlicher Formelhaftigkeiten,
         Begrifflichkeit und Definition
Die vorliegende Arbeit legt das Augenmerk auch auf Kollokationen als ein weiteres Beispiel
für die Formelhaftigkeit von Urteilen. Neben den gesetzesbedingten Kollokationen, die ihren
Ursprung im Wortlaut eines Gesetzestextes haben, werden auch solche rechtssprachlichen
Kollokationen behandelt, die rechtskulturell bedingte sind. Damit ist gemeint, dass die
Kollokationen in keiner erkennbaren Verbindung zu Gesetzen steht, sondern aufgrund des
entsprechenden Gebrauchs in der jeweiligen juristischen Sprache auftritt.

                                                                                           6(34)
In der Kollokationsforschung hat sich keine einheitliche Definition von Kollokation
herausgebildet; man kann aber zwei grundsätzliche Richtungen erkennen. Firth, der als
Begründer der Kollokationsforschung gesehen wird, geht – wie Will (2005:20) darlegt –
davon aus, dass es sich bei Kollokationen um „charakteristische, häufig auftretende
Wortverbindungen handelt, deren gemeinsames Vorkommen auf einer Regelhaftigkeit
gegenseitiger Erwartbarkeit beruht“. Er sieht diese Erwartbarkeit nicht grammatikalisch,
sondern semantisch begründet, wobei er als Beispiel etwa Nacht – dunkel oder auch Milch –
Kuh nennt (vgl. ebd.). Irsula (1994:46ff.) hingegen charakterisiert Kollokationen als eine
„arbiträre usuell bedingte Restriktion, die historisch gewachsen ist und nicht durch die Regeln
des Sprachsystems erklärbar ist“. Die Sprachgemeinschaft einer bestimmten Sprache hat sich,
wie Cedillo (2004:39) in Anlehnung an Irsula ausführt, von den potentiellen Kollokatoren, die
ohne weitere Beschränkungen für den Ausdruck eines Sachverhaltes eingesetzt werden
könnten, für einen oder nur wenige Kollokatoren entschieden und verwendet diese bevorzugt.
Diese präferierte Kombination wird dann nicht jedes Mal neu produziert, sondern als solche
reproduziert und von der Sprachgemeinschaft in die soziale Sprachnorm aufgenommen. Auch
Hausmann geht davon aus, dass Kollokationen nicht bei jeder Verwendung neu gebildet
werden, sondern beim Sprecher aus dem Gedächtnis „abgerufen“ werden. Er bezeichnet sie
daher auch als „Halbfertigprodukte der Sprache“ (Hausmann 2004:312). Hausmann
(2017:118) behandelt Kollokationen nicht nur aus sprachwissenschaftlicher, sondern auch aus
fremdsprachlicher Perspektive, weshalb sein Kollokationsbergriff die Grundlage dieser Arbeit
bilden soll. Ihm (1984:398) zufolge sind Kollokationen typische, spezifische und
charakteristische Zweierkombinationen von Wörtern, wobei sie aus der sogenannten Basis
und aus dem sogenannten Kollokator, der die Basis näher bestimmt, bestehen; beide Teile
sind fest zugeordnet und stehen in einem hierarchischen Verhältnis zueinander. Des Weiteren
lassen sich Kollokationen nach Hausmann (1999) in verschiedene Typen einteilen, wobei hier
lediglich die beiden Typen von Interesse sind, die sich einerseits aus einem Substantiv (meist
das Objekt) und einem Verb zusammensetzen (wie eine Frist verlängern, Typ I), oder aus
einem Adjektiv und einem Substantiv (wie gesetzliche Frist oder einvernehmliche Scheidung,
Typ II) bestehen.
     In Bezug auf die Abgrenzung zu Redewendungen, die wie Kollokationen aus mehreren
Wörtern bestehen (Polylexikalität), erwähnt Hausmann (2004:312), dass Kollokationen im
Gegensatz zu Redewendungen nicht über die sogenannte Idiomatizität verfügen. Das
bedeutet, dass sich bei Redewendungen die phraseologische Bedeutung nicht aus der Summe
der Bedeutung der einzelnen Wörter ergibt (Hausmann 2004:312). Es handelt sich bei diesen

                                                                                           7(34)
um fixierte Wortverbindungen. Dies veranschaulicht er anhand der Redewendung den Nagel
auf den Kopf treffen, bei der es nicht darum geht, dass ein bestimmter Teil eines Nagels
getroffen wird, sondern, dass eine Aussage den Kernpunkt einer Sache trifft. Im Gegensatz
dazu handelt es sich bei den Nagel in die Wand schlagen um eine Kollokation, da sich die
Bedeutung des Ausdruckes aus der Summe der einzelnen Wörter ergibt. Tatsächlich ist es
aber so, dass auch bei Kollokationen übertragene Bedeutungen, wie sie den Redewendungen
zugeschrieben werden, vorkommen können, wie das Beispiel starker Kaffee oder
eingefleischter Nichtraucher verdeutlicht. Fleischer (1997: 251f) folgend ist somit die
Idiomatizität der Kollokationen strittig. Dies liegt seiner Meinung nach an der semantischen
Besonderheit des Kollokators, die bedingt, dass die Bedeutung des Kollokators erst in
Verbindung mit der Basis festgelegt werden kann. Die dritte Eigenschaft, die zur Abgrenzung
herangezogen wird, ist die Festigkeit, die bei Redewendungen einen höheren Grad erreicht
und dazu führt, dass Kollokationen im Gegensatz zu Redewendungen durch Ergänzungen
erweitert werden können, beispielsweise den langen Nagel schwungvoll in die Wand
schlagen.
     Hausmann (1984:399) zählt neben den Kollokationen auch die sogenannten Ko-
Kreationen zu den nicht-fixierten Wortverbindungen. Ko-Kreationen sind freie oder auch
nicht-spezifische Wortverbindungen und dadurch gekennzeichnet, dass sie fast unbegrenzt
kombinierbar sind, wie das Beispiel einen Tisch kaufen veranschaulicht. Das Lexem kaufen
kann mit unzähligen anderen Lexemen verbunden werden und ist somit eine Ko-Kreation.
Den Tisch decken hingegen ist nach Hausmann spezifisch und als Kollokation anzusehen, da
decken nur mit bestimmten Lexemen, wie etwa Dach, Kosten, Mann, Freund, kombinierbar
ist. Es gibt auch Kollokationen, die eingeschränkt spezifische Wortverbindungen sind, wie
etwa fesselndes Buch; fesselnd kann mit anderen Worten des gleichen Kollokationsfelds
kombiniert werden wie beispielsweise Erzählung oder Geschichte (Hausmann 2007). Weder
Redewendungen noch Ko-Kreationen sind Gegenstand dieser Arbeit, doch ist ihre
Veranschaulichung und Definition für ihre Abgrenzung zu Kollokationen wichtig und
notwendig.
     Von den Kollokationen sind grundsätzlich außerdem die Funktionsverbgefüge (fortan:
FVG) zu unterscheiden. Gläser (2007:493) definiert FVG als eine Wortverbindung aus einem
bedeutungsarmen Verb und einem Objekt oder einer Präpositionalphrase (fortan: PP), wie
beispielsweise einen Beschluss fassen oder in Anspruch nehmen. Folgt man der Theorie von
Hausmann (2007:218), so zählen auch die FVG zu den Kollokationen, wobei er das Beispiel
Eid leisten nennt. Da dieser Arbeit der Kollokationsbegriff von Hausmann zugrunde gelegt

                                                                                        8(34)
wird, der wie dargelegt FVG zu den Kollokationen rechnet, kann ein näheres Eingehen auf
die Abgrenzungsproblematik unterbleiben.
        Eine weitere Abgrenzung, die vorgenommen werden kann, ist die zu den sogenannten
Mehrworttermini. Solche mit absoluter Stabilität nennt Kjær (2007:509) Phraseme, wobei er
als Beispiele rechtliches Gehör oder einstweilige Verfügung anführt. Keines der Wörter in
einem Phrasem kann durch ein synonymes Wort ausgetauscht werden, ohne dass sich dadurch
die Bedeutung des Phrasems ändert (ebd.). Es zeigt sich, dass Mehrworttermini in der
Kollokationsforschung sehr unterschiedlich behandelt werden. Während sie, wie von Cedillo
(2004:47) dargelegt, von Bergenholz/Tarp (1994) und Schneider (1998a) eindeutig von den
Kollokationen ausgeschlossen werden, vertritt Heid (1993:232), wie auch Cedillo selbst, die
gegenteilige Auffassung. Nach deren Meinung setzen sich Mehrworttermini aus
Kollokationen     zusammen      (Cedillo   2004:47),    sodass    Mehrworttermini      in   die
Kollokationsanalyse aufzunehmen sind. Dieser Ansicht folgend werden Mehrworttermini
auch im Rahmen dieser Arbeit in die Analyse einbezogen.

4.1.2    Die Solemnitätsformel und die Rechtssprechungsformel als Ausdruck
         sprachlicher Formelhaftigkeit
Die vielleicht bekannteste formelhafte sprachliche Einheit österreichischer Urteile ist die im
österreichischen Bundesverfassungsgesetz (B-VG) festgeschriebene Solemnitätsformel. Wie
Walter/Mayer (1992:276) ausführen, bestimmt Art. 82 Abs. 2 B-VG, dass Urteile und
Erkenntnisse „Im Namen der Republik“ verkündet und ausgefertigt werden müssen. Dies
zeigt deutlich, dass die Formelhaftigkeit strafrechtlicher Urteile zumindest teilweise
gesetzlich bedingt ist, wenn zu Beginn eines jeden Urteils die Formulierung „Im Namen der
Republik“ geschrieben steht (stehen muss). Diese sprachliche Formelhaftigkeit wird durch die
Bestimmungen der §§ 270 Abs. 2 iVm 260 StPO (vgl. BGBl. Nr. 631/1975) zusätzlich
untermauert. Nach diesen Bestimmungen hat ein strafrechtliches Urteil bestimmte Elemente
zu enthalten, wie beispielsweise die Bezeichnung des erkennenden Gerichts und der Richter,
des Tages der Hauptverhandlung und des ergehenden Urteils sowie des Ausspruchs über die
Schuld des Angeklagten und die Nennung der Entscheidungsgründe. In der richterlichen
Praxis hat sich aus dieser inhaltlich-strukturellen Formelhaftigkeit eine gewisse sprachliche
Formelhaftigkeit geformt und gefestigt. Ein Beispiel dafür ist die einen fixen Bestandteil eines
jeden österreichischen Strafurteils bildende Rechtssprechungsformel. Im hier als Paralleltext
verwendeten österreichischen Strafurteil lautet diese: Das Landesgericht für Strafsachen Wien
hat […] zu Recht erkannt.

                                                                                            9(34)
4.2 Fehlerquellen bei der Übersetzung von Kollokationen
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die sprachliche Formelhaftigkeit von juristischen
Texten aus kontrastiver Sicht im Sprachenpaar schwedisch-deutsch. Ein Hauptaugenmerk
liegt dabei auf den Herausforderungen, die sich bei der Übersetzung von Kollokationen in
juristischen Texten und der Wahl der geeigneten Übersetzungsstrategie ergeben können.
     In Anlehnung an Reiss/Vermeer (1984:13) führt Sandrini (1999:15) aus, dass die
Translation von Recht im Allgemeinen darin besteht, rechtliche Information der
Rechtsordnung der AS in die Rechtsordnung der ZS zu übertragen, damit sie dort genutzt
werden kann. Für Sandrini (ebd.) ist die Translation von Recht somit eine „Sondersorte
kulturellen Transfers“. Zum Übersetzen von Gerichtsurteilen im Speziellen sagt Engberg
(1999:83), dass es dabei nicht darum geht, einen Text zu schaffen, der in der ZS als Urteil
fungieren kann. Stattdessen gilt es, einen zielsprachlichen Text zu schaffen, der es seinem
Leser ermöglicht, den für ihn sonst unlesbaren AT zu verstehen (ebd.). Die Übersetzung eines
Gerichtsurteils ist nach Engberg (ebd.) somit kein eigenständiger Text, sondern eine
„Lesehilfe“. Dieser Überlegung ist vor dem Hintergrund, dass Urteile immer aus den gleichen
Bestandteilen bestehen, zumindest im Hinblick auf deren immer gleichen strukturellen
Aufbau zu folgen. Auch schwedische Urteile müssen entsprechend den Tingsrättens riktlinjer
för domskrivning (2014) aus bestimmten Teilen bestehen. Im Übersetzungsprozess hat sich
für die Verfasserin anhand des verwendeten Paralleltextes aber gezeigt, dass die Teile des
schwedischen Urteils und die des österreichischen Urteils nicht deckungsgleich sind. Nach
Ansicht der Verfasserin kann also nicht erwartet werden, dass sie aus dem schwedischen
Urteil ein eigenständiges österreichisches Urteil im Hinblick auf seinen Aufbau produziert.
Nach sprachlichen Gesichtspunkten hingegen muss nach Ansicht der Verfasserin ihre
Übersetzung einen unabhängigen und an den Fachjargon der ZS adaptierten ZT darstellen,
damit Äquivalenz zwischen AT und ZT besteht (siehe dazu 4.3). Diese Meinung wurde auch
der in Kapitel 5 dargestellten Analyse zugrunde gelegt.
     Folgt man der Überlegung von Korff/Levy (2007), müssen Kollokationen im
Übersetzungsprozess als semantische Einheit betrachtet werden. Daher dürfen die einzelnen
Wörter der Kollokation nicht getrennt voneinander übersetzt werden, sondern müssen in ihrer
Gesamtheit in die ZS überführt werden. Ingo (2007:149) folgend bedeutet dies, dass man als
Übersetzerin dann, wenn man ein bestimmtes Wort in der ZS wählt, gleichzeitig auch ein
bestimmtes anderes Wort in der Verbindung wählen muss; auf diese Weise muss auch
vorgegangen werden, wenn das andere Wort eventuell kein direktes semantisches Äquivalent
zum Wort in der AS darstellt. Wie Cedillo (2004:83) ausführt, wird diese Meinung auch von

                                                                                        10(34)
Heid/ Freibott (1991:79) geteilt, wenn sie sagen, dass der Kollokator nur im Kontext mit der
Basis übersetzt werden kann3. Die Probleme, die sich daraus ergeben, dass Kollokationen als
semantische Einheiten übersetzt werden müssen, bestehen einerseits darin, dass die
Kollokation als solche erkannt werden muss, andererseits können Kollokationen in
unterschiedlichen Sprachen lexikalische und semantische Unterschiede aufweisen. Als
Beispiel dafür kann etwa die Kollokation borsta tänder, dessen deutsche Entsprechung nicht
die Zähne bürsten, sondern die Zähne putzen ist, angeführt werden (vgl. Ingo 2007:149). Dies
verdeutlicht, wie Cedillo (2004:83f.) darlegt, dass wortwörtliche, an der Struktur der AS
orientierte Übersetzungen von Kollokationen zu unüblichen Wortverbindungen und zu
Fehlübersetzungen in der ZS führen können. Diese Probleme erinnern an die Schwierigkeiten,
die die Übersetzung von Redewendungen mit sich bringt. Ingo (2007:149) geht in diesem
Zusammenhang davon aus, dass Kollokationen Wörter sind, die sehr oft miteinander
kombiniert werden, um eine bestimmte Bedeutung in einer Sprache auszudrücken. Weiters
argumentiert er, dass Kollokationen eine große Ähnlichkeit mit Redewendungen aufweisen.
Folglich verursacht die Übersetzung von Kollokationen seiner Ansicht nach die gleichen
Schwierigkeiten wie die Übersetzung von Redewendungen (ebd.).
          Die kontrastive Untersuchung von Kollokationen beschäftigt sich vor allem mit der
Übersetzung in die Fremdsprache, weil davon ausgegangen wird, dass der Übersetzerin die
zielsprachlichen Kollokationen beim Übersetzen in die Muttersprache „geläufig“ sind (vgl.
Kimmes/Kornelius 2010:2). Kimmes/Kornelius (ebd.) räumen aber auch ein, dass selbst die
Übersetzung von Kollokationen in die Muttersprache Probleme bereiten kann, die sich
dadurch ausdrücken, dass der Übersetzer eine nicht gebräuchliche Übertragung für akzeptabel
hält. Darüber hinaus bereiten Kollokationen bei der Übersetzung unabhängig von der
Übersetzungsrichtung dann besondere Probleme, wenn es sich um die Übersetzung von
Kollokationen einer Fachsprache handelt und die Übersetzerin die fachspezifische
Kollokation nicht deswegen nicht parat hat, weil ein Mangel an sprachlicher Kompetenz
vorliegt, sondern weil ihr die Fachkompetenz fehlt (Cedillo 2004:33). Dies wird
möglicherweise nicht zu Fehlübersetzungen führen, allerdings kann die für die ZS gewählte
Übersetzung in diesem Fall als ungewöhnlich angesehen und die mangelnde fachliche
Kompetenz der Übersetzerin augenscheinlich werden. Die von Cedillo (ebd.) erwähnte
Fehlerquelle          der    mangelnden          fachlichen       Kompetenz         bei     der    Übersetzung   von
fachsprachlichen Kollokationen hat ihrer Meinung nach ihren Ursprung in der Besonderheit

3
    Dieser Umstand zeigt sich etwa am Ausdruck vinna laga kraft und wird im Abschnitt 5.2.2 thematisiert.

                                                                                                                 11(34)
der fachsprachlichen Kollokationen. Diese äußert sich dadurch, dass fachsprachliche
Kollokationen über einen bestimmten „Firmenjargon“ und/oder über „verschiedene Register
der Fachkommunikation“ verfügen (Cedillo 2004:77). Diese Besonderheiten müssen bei der
Übersetzung berücksichtigt werden. Für Kollokationen der Rechtssprache bedeutet dies, dass
bei ihrer Übersetzung auf die bei den Anwendern der jeweiligen Rechtssprache üblichen
Formulierungen Rücksicht genommen werden muss. Der Umstand, dass Kollokationen bei
der Übersetzung Probleme bereiten, lässt sich − wie Cedillo (2004:34) bezugnehmend auf
Irsula (1994:137) und Schneider (1998a:301f.) ausführt − auch daran erkennen, dass eine
allgemeine Tendenz festgestellt werden kann, lexikalische Kombinationen und Fachtermini
einzelwörtlich in die Zielsprache zu übersetzen. Wie unten gezeigt wird, besteht die
Schwierigkeit bei der Übersetzung standardisierter Phrasen in einem juristischen Fachtext vor
allem in der Abwägung, ob – der erwähnten Tendenz folgend – eine wortwörtliche
Übersetzung angewendet werden soll, oder ob von dieser Übersetzungsstrategie zugunsten
einer strukturellen Veränderung und/oder einer kulturellen Anpassung abgegangen werden
muss.

4.3 Äquivalenz
Äquivalenz (lat. Gleichwert) bedeutet als Grundidee, dass ein Objekt einem anderen Objekt
entspricht;   mit   anderen   Worten,   dass   sie    den   gleichen   Wert    haben.   In    der
Übersetzungswissenschaft sind diese Objekte Wörter, Sätze oder Texte in zwei verschiedenen
Sprachen, die so ähnlich/ äquivalent sein müssen, dass der Leser des ZT die gleichen
Informationen und Erfahrungen wie der Leser des AT erhält oder hat. Koller/Berg-Henjum
(2020:17) führen zum Thema Äquivalenz aus, dass durch die Übersetzung eine Übersetzungs-
(oder Äquivalenz)relation zwischen AS-Text und ZS-Text hergestellt wird. Die Aufgabe eines
Übersetzers besteht somit darin, einen ZT zu erstellen, der dem Ausgangstext so weit wie
möglich ähnelt. Koller/Berg-Henjum (2020: 265) konzentrieren sich bei seiner Untersuchung
hinsichtlich der Entsprechung zwischen AT und ZT sehr stark auf die lexikale Ebene.
Rechtliche Begriffe unterschiedlicher Rechtsordnungen und Sprachen werden allerdings in
den seltensten Fällen deckungsgleiche Entsprechungen aufweisen. Selbst wenn Eins-zu-Eins-
Entsprechungen im Sinne einer denotativen Äquivalenz, bei denen nach Koller/Berg-Henjum
(2020:266) ein Ausdruck in der AS einem Ausdruck in der ZS entspricht, in
rechtssystemübergreifenden     Übersetzungen         kaum   vorkommen,        werden    gewisse
zielsprachliche Ausdrücke als zulässige Äquivalente akzeptiert. De Groot (1991:288) spricht
dann von approximativer Äquivalenz. Eine absolute Äquivalenz wird in der Praxis

                                                                                             12(34)
erfahrungsgemäß auch nicht nötig sein, stehen doch die Funktion und der Zweck, die der ZT
verfolgen soll, im Vordergrund. Hier wären Überlegungen dahingehend anzusiedeln, ob die
Übersetzung eines juristischen Textes rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen soll, wie das
etwa bei einem Urteil oder einem Vertrag der Fall ist, oder ob sie lediglich der Vermittlung
von Information über bestimmte rechtliche Tatsachen dienen soll, die einen Einblick in das
fremde Rechtssystem bietet (beispielsweise ein juristisches Lehrbuch). Man muss also bei
Beurteilung der Äquivalenz die wörtliche Ebene verlassen und neben der denotativen
Äquivalenz auch die konnotative Äquivalenz berücksichtigen. Bei der konnotativen
Äquivalenz geht es darum, welche Wörter die Übersetzerin aus den verfügbaren Synonymen
auswählt, um nicht nur die informative, sondern auch die emotionale Bedeutung der Wörter
zu vermitteln (Koller/Berg-Henjum 2020:268). Die von der Übersetzerin ausgewählten
Wörter sollten beim Leser des ZT die gleichen Assoziationen hervorrufen wie beim Leser des
AT.
      Die Übersetzung eines juristischen Textes soll in den meisten Fällen die in der
Rechtsordnung der AS verankerten Inhalte transparent und verständlich machen. Dies scheint
im Einklang mit der bereits erwähnten Ansicht Engbergs (1999:83) zu stehen, wonach beim
Übersetzen eines Gerichtsurteils kein Text zu schaffen sei, der in der Kultur der ZS als Urteil
fungieren kann (siehe Abschnitt 4.2). Wie allerdings ausgeführt, kann dies nur bedingt gelten,
sodass der Anspruch des Übersetzers eines Gerichtsurteils sein muss, einen ZT zu verfassen,
der seinem Leser den Eindruck vermitteln soll, ein Urteil im Fachjargon der ZS zu lesen. Aus
diesem Grund steht bei der Übersetzung der im Analyseteil (Kapitel 5) angeführten
Kollokationen der Anspruch im Vordergrund, einen ZT nach dem Äquivalenzverständnis von
Koller/Berg-Henjum (2020:17) zu verfassen, sodass sich der ZT wie ein Originalurteil liest.

4.4 Relevante Übersetzungsstrategien
Um den AT in die ZS zu transformieren und einen adäquaten ZT zu produzieren, bedient sich
die Übersetzerin unterschiedlicher Übersetzungsstrategien. Von den grundsätzlich zur
Verfügung stehenden Strategien soll hier auf die für diese Arbeit relevanten Strategien der
„literal translation“ und des „unit shifts“ einerseits und des „cultural filtering“ (oder auch
„adoption“) andererseits eingegangen werden. Wie Schögler (2012:137) auf Grundlage von
Chesterman (2000:93 ff.) ausführt, handelt es sich bei „literal translation“ um eine
syntaktische Strategie, mit der versucht wird, den ZT strukturell möglichst nahe am AT
wiederzugeben (beispielsweise Wir wünschen Ihnen einen guten Flug mit Austrian Airlines
(AT) und We wish you a pleasant flight with Austrian Airlines (ZT), Chesterman 2016:92).

                                                                                          13(34)
Bei „unit shift“, ebenfalls eine syntaktische Strategie, wird eine Einheit des AT durch eine
andere Einheit im ZT ersetzt (ebd.). Ein „unit shift“ auf der Satzebene wäre etwa die
Veränderung von Haupt- und Nebensätzen. Als Beispiel nennt Chesterman (2016:95) Denn
wir sagen unseren Fluggästen gerne “Dankeschön“ im AT und Because we are happy for any
opportunity to say “Thank you” für den ZT. Dies bedeutet, dass eine strukturelle Änderung
des Textes vorgenommen wird, wobei in dieser Arbeit das Augenmerk auf die strukturelle
Änderung im Typ der Kollokation gelegt wird (vgl. vållande till kroppsskada, Typ IV und
fahrlässige Körperverletzung, Typ II). Schögler (ebd.) beschreibt „cultural filtering“ hingegen
als eine pragmatische Strategie, die kulturelle Spezifika des AT in andere, in der Zielkultur
bekannte „Äquivalente“ umwandelt und damit die Botschaft des Textes ändert (vgl.
Chesterman 2000:94 ff.). Das Wort Vorstandsdirektor muss demnach im englischen ZT mit
president übersetzt werden (Chesterman 2016:105). In dieser Arbeit wird davon ausgegangen,
dass es sich bei juristischen Fachtermini um derartige kulturelle Spezifika handelt,
beispielsweise kammaråklagare und Bezirksstaatsanwalt). Sollte demnach nicht von einer
direkten Anwendbarkeit der pragmatischen Übersetzungsstrategie ausgegangen werden
können, weil möglicherweise keine Änderung der Botschaft des AT vorgenommen wird, so
scheint eine Anwendung in Analogie gerechtfertigt.

5 Analyse
In der nachfolgenden Analyse wird im Abschnitt 5.1 anhand einiger Beispiele, die nach
Ansicht der Verfasserin repräsentativ sind, auf die Übersetzungsschwierigkeit im
Zusammenhang mit rechtssprachlichen Kollokationen eingegangen. Gleichzeitig wird
dargelegt, wie durch die Wahl der Übersetzungsstrategie Äquivalenz zwischen AT und ZT
hergestellt werden kann. Danach wird diskutiert, ob und gegebenenfalls in welcher Form sich
die Solemnitätsformel und die Rechtssprechungsformel im schwedischen AT wiederfinden
und welche Übersetzungsvarianten und -strategien von der Verfasserin gewählt werden, um
Äquivalenz herzustellen (vergleiche Abschnitt 5.2).

5.1 Rechtssprachliche Kollokationen
In weiterer Folge wird zwischen gesetzesbedingten Kollokationen und Kollokationen, die
nicht aufgrund des Gesetzeswortlauts bedingt sind, unterschieden. In den folgenden
Abschnitten wird der Frage nachgegangen, welche juristischen Kollokationen sich im AT und
im ZT finden lassen. Weiters wird untersucht, mit welcher Übersetzungsstrategie ein
äquivalentes Ergebnis für den ZT geschaffen werden kann, wobei dies anhand einiger

                                                                                          14(34)
ausgesuchter, nach Ansicht der Verfasserin repräsentativer Beispiele veranschaulicht wird.
Schließlich wird im Abschnitt 5.1.4 eine vergleichende Analyse der AT-Kollokationen und
der ZT-Kollokationen in Bezug auf ihren Typ vorgenommen.

5.1.1   Quantitativer Überblick
Insgesamt konnten, wie in Tabelle 1 ersichtlich, 42 rechtssprachliche Kollokationen
identifiziert werden, davon waren acht gesetzesbedingte und 34 nicht-gesetzesbedingte
Kollokationen (zur Abgrenzung siehe Abschnitt 5.1.2).

Tabelle 1: Rechtssprachliche Kollokationen – Verteilung

                                                                              Anzahl   Anteil

Rechtssprachliche Kollokationen gesamt                                         42      100 %

Anteil gesetzesbedingter Kollokationen                                          8      19 %

Anteil nicht-gesetzesbedingter Kollokationen                                   34      81 %

Die nachfolgende Tabelle 2 veranschaulicht, dass fünf der acht gesetzesbedingten AT-
Kollokationen auch Kollokationen im ZT sind.

Tabelle 2: gesetzesbedingte Kollokationen – Übereinstimmung AT – ZT

                                                                              Anzahl   Anteil

Gesetzesbedingte Kollokationen gesamt                                           8      100 %

Kollokation im AT = Kollokation im ZT                                           5      63%

Hinsichtlich der Übereinstimmung des Kollokationstyps ergibt sich für die fünf
gesetzesbedingten AT-Kollokationen, die auch im ZT Kollokationen sind, folgendes Bild:

Tabelle 3: gesetzesbedingte Kollokationen – Übereinstimmung Kollokationstyp

                                                                              Anzahl   Anteil

Kollokation im AT = Kollokation im ZT (gesetzesbedingte)                        5      100 %

Übereinstimmung nach dem Typ in AT und ZT                                       3      60 %

Keine Übereinstimmung nach dem Typ in AT und ZT                                 2      40 %

Wie aus der nachfolgenden Tabelle 4 ersichtlich sind 22 der 34 nicht-gesetzesbedingten AT-
Kollokationen auch Kollokationen im ZT.

                                                                                                15(34)
Tabelle 4: nicht-gesetzesbedingte Kollokationen – Übereinstimmung AT – ZT

                                                                            Anzahl   Anteil

Nicht-gesetzesbedingte Kollokationen                                          34     100 %

Kollokation im AT = Kollokation im ZT                                         22     64 %

Hinsichtlich der Übereinstimmung des Kollokationstyps ergibt sich für die 22 nicht-
gesetzesbedingten AT-Kollokationen, die auch im ZT Kollokationen sind, folgendes Bild:

Tabelle 5: nicht-gesetzesbedingte Kollokationen – Übereinstimmung Kollokationstyp

                                                                            Anzahl   Anteil

Kollokation im AT = Kollokation im ZT (nicht-gesetzesbedingte)                22     100 %

Übereinstimmung nach dem Typ in AT und ZT                                     20     91 %

Keine Übereinstimmung nach dem Typ in AT und ZT                               2       9%

Die Verteilung der angewendeten Strategien bei der Übersetzung der AT-Kollokationen, die
auch im ZT Kollokationen sind, stellt sich wie folgt dar:

Tabelle 6: Kollokationen – Übersetzungsstrategien

                                                                            Anzahl   Anteil

Gesetzesbedingte AT= ZT-Kollokationen                                         5      100 %

Syntaktische Übersetzung                                                      3      60 %

Pragmatische Übersetzung                                                      2      40 %

Nicht-gesetzesbedingte AT= ZT-Kollokationen                                   22     100 %

Syntaktische Übersetzung                                                      13     59 %

Pragmatische Übersetzung                                                      9      41 %

Es zeigt sich, dass die Mehrheit der rechtssprachlichen Kollokationen – unabhängig davon, ob
sie gesetzesbedingte oder nicht gesetzesbedingte sind – mit Hilfe einer syntaktischen
Übersetzungsstrategie in den ZT überführt wurden (siehe Abschnitte 5.1.5.1 und 5.1.5.2).

5.1.2   Abgrenzung
Zu Beginn der Arbeit wurden alle rechtssprachlichen Kollokationen identifiziert. Diese sind
in der, einen integrierenden Bestandteil dieser Arbeit bildenden, Aufstellung ersichtlich, die
dieser Arbeit als Anhang A beigeschlossen ist. Danach wurden die Kollokationen in

                                                                                              16(34)
Kollokationen, die sich in Gesetzestexten wiederfinden und solche der allgemeinen
juristischen Sprache eingeteilt. Die Abgrenzung zwischen Kollokationen der Alltagssprache
und solcher der Rechtssprache erwies sich als schwierig, da es einerseits zu
Überschneidungen kommt und andererseits die Grenze zwischen Gemeinsprache und
„Juristendeutsch“ sehr schwimmend ist. So sind die Kollokationen in wesentlichem Ausmaß
oder särskilda skäl Ausdrücke, die sowohl der Gemeinsprache als auch der Juristensprache
zugerechnet werden können. Die Abgrenzung, ob eine Kollokation als rechtssprachliche
Kollokation identifiziert wurde, erfolgte aufgrund der Charakterisierung durch Irsula
(1994:46ff.).   Danach    sind    Kollokationen    zusammengefasst    eine    durch    die
Sprachgemeinschaft einer Sprache präferierte Kombination von Wörtern. Auch die
Sprachgemeinschaft der Juristen kann in Analogie dazu als eine Sprachgemeinschaft
angesehen werden. Sie bilden die Sprachgemeinschaft, die die juristische Fachsprache
anwendet. In diesem Sinne wurden als rechtssprachliche Kollokationen Kombinationen
gewertet, die nach der Einschätzung der Verfasserin als Rechtsanwältin präferierte
Kombinationen der Sprachgemeinschaft der österreichischen Juristen sind. Unter präferierte
Kombinationen in diesem Sinne werden analog zu Stein (1995:57) solche Kombinationen
verstanden, die beim Verfassen von juristischen Texten nicht jedes Mal neu produziert
werden, sondern mit dem Verständnis und der Überzeugung, der Sprachnorm zu entsprechen,
von den Sprachanwendern reproduziert werden. Vor dem Hintergrund des eben Dargelegten
haben etwa die Wortverbindungen erlittene Verletzung, eingeleitete Rettungsaktion oder
särskilda skäl keinen Eingang in die Analyse gefunden.

5.1.3   Gesetzesbedingte Kollokationen
Unter gesetzesbedingten Kollokationen werden im Rahmen dieser Arbeit jene Kollokationen
verstanden, deren Formelhaftigkeit im Zusammenhang mit einem Gesetzestext steht. Diese
Kollokationen werden im Unterschied zu den nicht-gesetzesbedingten Kollokationen
unabhängig davon untersucht, ob sie dem Typ I oder dem Typ II angehören. Ausschlaggebend
für ihre Untersuchung ist somit alleine deren Verankerung im Gesetzeswortlaut. Es wird
nachfolgend untersucht, welche Formulierung der jeweiligen Kollokation gegenüberstehen
muss, damit Äquivalenz nach Koller (2020:17) gegeben ist, und durch welche
Übersetzungsstrategie dieses Ziel erreicht wurde. Als repräsentatives Beispiel soll die
Wortverbindung des AT i väsentlig mån brustit i den omsorg och varsamhet som […]
betingats av omständigheterna (3) dienen. Dieses Beispiel veranschaulicht nach Ansicht der

                                                                                      17(34)
Verfasserin sehr deutlich, wie schwimmend die Grenze zwischen rechtssprachlicher und
gemeinsprachlicher Kollokation sein kann.

(3) S.T. har under färden i väsentlig mån                       1) S.T. hat während der Fahrt in
brustit i den omsorg och varsamhet som till                     wesentlichem Ausmaß gegen Sorgfalt und
förekommande av trafikolycka betingats av                       Achtsamkeit verstoßen, die durch die
omständigheterna […].                                           gegebenen Umstände bei Eintreten des
                                                                Verkehrsunfalls geboten gewesen wären,
                                                                […].
                                                                2) S.T. hat […] die nach den Umständen
                                                                gebotene Sorgfalt (3a) und Vorsicht in
                                                                wesentlichem Ausmaß außer Acht gelassen
                                                                (3b).

Unter Einbeziehung des entsprechenden Gesetzestextes zeigt sich, dass die Formulierung des
Urteils den Gesetzestext reproduziert, ohne dass dazu ein gesetzlicher Zwang besteht. Die
zugrundeliegende Gesetzesstelle lautet wie folgt:

        1 § Brister vägtrafikant, den som för spårvagn eller den som någon annanstans än på
        väg för motordrivet fordon i väsentlig mån i den omsorg och varsamhet som till
        förekommande av trafikolycka betingas av omständigheterna, döms för vårdslöshet i
        trafik till dagsböter (Lag (1951:649) om straff för vissa trafikbrott).

Sowohl im Gesetzestext als auch im Urteil finden sich die Wortverbindungen i väsentlig mån
und der formelhaft wirkende Ausdruck brista i den omsorg och varsamhet som […] betingats
av omständigheterna wieder. Gleichzeitig verdeutlicht das Beispiel (3) unter Einbeziehung
von AT und ZT das Auftreten von insgesamt drei Wortverbindungen; nämlich väsentlig mån,
außer Acht lassen und gebotene Sorgfalt. Die Kollokation väsentlig mån macht die bereits
angesprochenen Überschneidungen deutlich. Einerseits stellt sie im AT eine gesetzlich
verankerte Kollokation dar, andererseits ist sie im ZT zwar eine Kollokation, allerdings ist sie
– wie noch gezeigt wird – nicht unbedingt den gesetzesbedingten Kollokationen zuzurechnen.
Außerdem erscheint die Kollokation i väsentlig mån bei der Suche in Korp nicht nur in
gesetzlichem Zusammenhang4, sondern auch in anderem Kontext, sodass sie auch als
gemeinsprachliche Kollokation gewertet werden kann. Die Verfasserin vertritt deswegen i
väsentlig mån als nicht-gesetzesbedingte Kollokation des Typ II, die im Abschnitt 5.2.2 und
dort als Beispiel (5) näher behandelt wird. In diesem Abschnitt wird der Fokus auf den
Ausdruck brista i omsorg […] som […] betingas av omständigheterna gelegt. Wie bereits
4
 Als Beispiel sei angeführt: Sjukhusläkarnas totallön hat hittills i rätt väsentlig mån höjts av jourersättningar oder Inga
grundläggande regler har ändrats i någon väsentlig mån.

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angedeutet, erfolgte die Auswahl dieser Wortverbindung aufgrund der entsprechenden
Übersetzung im ZT, nämlich gebotene Sorgfalt und außer Acht lassen.
     Bei der Wortverbindung gebotene Sorgfalt (3a) als Übersetzung für omsorg […] som
[…] betingas av omständigheterna handelt es sich um eine Kollokation im Sinne von
Hausmann (1984:118), da diese Kombination von Wörtern typisch, spezifisch und
charakteristisch für den Sprachjargon der juristischen ZS ist (vgl. § 9 EKHG weiter unten).
Der Ausdruck außer Acht lassen (3b) für brista i ist zufolge Gläser (2007:493) ein FVG, das
aus dem bedeutungsarmen Verb lassen und der Präpositionalphrase außer Acht besteht. Wie
gezeigt sind FVG nach Gläser (ebd.) als Kollokationen zu werten und somit in diese
Untersuchung aufzunehmen. Im Übersetzungsprozess ergab sich die Frage, ob schon die
wörtliche Übersetzung (Varianten 1) äquivalent im Sinne von Koller (2020) ist. Dazu muss
man wissen, dass es den Tatbestand der „Fahrlässigkeit im Verkehr“ in dieser Form in der
österreichischen Rechtsordnung nicht gibt. Dies legt nahe, dass die wortwörtliche
Übersetzung eine geeignete Übersetzungsstrategie ist, um einen äquivalenten ZT im Sinne
von Koller (2020) zu verfassen. Gleichzeitig definiert das österreichische Strafgesetzbuch
(StGB) „Fahrlässigkeit“ aber wie folgt:

     § 6 Abs. 1 StGB Fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer acht läßt [sic], zu der er nach
     den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen
     befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, daß [sic] er einen
     Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht.

Im Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz (EKHG), das in einem vergleichbaren Fall
vor österreichischen Gerichten Anwendung finden könnte, findet man im Zusammenhang mit
der Ersatzpflicht bei einem unabwendbaren Ereignis Folgendes:

     §9 Abs. 2 EKHG Als unabwendbar gilt ein Ereignis insbesondere dann, wenn es auf das
     Verhalten des Geschädigten, eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten oder eines Tieres
     zurückzuführen ist, sowohl der Betriebsunternehmer oder Halter als auch die mit Willen
     des Betriebsunternehmers oder Halters beim Betrieb tätigen Personen jede nach den
     Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben […].

Dies veranschaulicht, dass die Kollokationen außer Acht lassen im Zusammenhang mit
Sorgfalt eine in der ZS etablierte sprachliche Einheit bildet, ebenso wie Sorgfalt und (nach
den Umständen) gebotene eine gängige und gebräuchliche Wortverbindung in der ZS
darstellt. Zusammenfassend zeigt sich deutlich, dass eine wörtliche Übersetzung funktioniert,
um den AT für den deutschsprachigen Leser laut Engberg (1999:83) verständlich zu machen.

                                                                                          19(34)
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