Die Grundkonzeption von "mathe 2000" für den Mathematikunterricht der Grundschule
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Die Grundkonzeption von „mathe 2000“ für den Mathematikunterricht der Grundschule Das Projektgruppe „mathe 2000“ hat sich zum Ziel gesetzt, das Mathematiklernen vom Kindergarten bis zum Abitur aus einem Guss zu entwickeln. Inhaltliche Leitidee ist die Auffassung von Mathematik als Wissenschaft von Mustern. Bei der Ausfüllung dieser Leitidee für die Grundschule wird bewusst an gute Traditionen der Grundschuldidaktik angeknüpft. Im Mittelpunkt stehen die zentralen Inhalte der Arithmetik (Einspluseins, Einmaleins, halbschriftliches Rechnen, schriftliche Rechenverfahren) und deren Anwendungen auf das Sachrechnen. Unter der Devise „Weniger ist mehr“ wird zurückgegriffen auf bewährte Anschauungsmittel (Wendeplättchen, Zwanzigerfeld, Hundertertafel, Stellentafel, Zahlenstrahl) und dazu passende Neuentwicklungen (Wendekarten, Poster zum Einspluseins und Einmaleins, Rechenstrich, Tausenderbuch). Den weitaus größten Raum nehmen Angebote zum Üben einschließlich eines systematischen Kopfrechenkurses („Blitzrechnen“) ein. Die Ergebnisse der modernen Gehirnforschung zeigen, dass die eine Hälfte unseres Gehirns mehr auf die Verarbeitung von Zahlen und Zeichen, die andere mehr auf geometrische Formen und Bilder spezialisiert ist. Um beide Hälften zu aktivieren wird die Geometrie besonders gepflegt. Sie bildet einen stufenübergreifenden Lehrgang. Dies kommt auch der Arithmetik und dem Sachrechen zugute, denn in beiden Bereichen werden geometrische Formen und bildliche Darstellungen vielfach benutzt (Punktmuster, Zahlenstrahl, Diagramme, Situationsskizzen usw.) Lernen als „aktives Knüpfen von Wissensnetzen“ In einem wesentlichen Punkt weicht das Konzept von „mathe 2000“ bewusst von der traditionellen Praxis ab: Früher hat man Lernen aufgefasst als das Nachbauen einer Mauer, bei der nach einem vorgegebenen, genau überwachten Plan Baustein neben Baustein, Schicht auf Schicht gesetzt und sorgfältig darauf geachtet wird, keinen Baustein auszulassen, weil Lücken den Einsturz der Mauer bedeuten könnten. Heute weiß man, dass Lernen von Natur aus anders verläuft: Es besteht im aktiven Fortknüpfen und Umstrukturieren von Netzen aus Wissenselementen und Fertigkeiten. Lücken an einer Stelle sind keineswegs ein Hindernis für den Ausbau eines Netzes an einer anderen Stelle. Sie werden im Laufe des Lernprozesses geschlossen, indem über die Lücken hinweg „Wissensfäden“ gespannt und an den schon festeren Teilen des Netzes verankert werden. Der Natur des Lernens gemäß ist der Lernprozess bei der Auseinandersetzung mit einem Stoffgebiet immer individuell. Es ist unmöglich, ihn klein- und gleichschrittig zu steuern. Kinder kommen am besten voran, wenn sie eigene Wege gehen und ihr Tempo selbst bestimmen dürfen. Nur dann können sie auch ihr Vorwissen optimal einsetzen. Auch die Reihenfolge, in der das einzelne Kind „Wissensfäden“ in sein Netz einknüpft, variiert von Kind zu Kind und darf auch variieren. Durch den sozialen Austausch mit der Lehrkraft und mit anderen Kindern wird ja dafür gesorgt, dass trotz aller individuellen Unterschiede während des Lernprozesses am Ende gemeinsames Wissen vorhanden ist, das von verschiedenen Kindern natürlich unterschiedlich beherrscht wird. Die Anleitung zu eigenständigem Lernen bedeutet aber nicht, dass die Kinder sich selbst überlassen bleiben. Im Gegenteil: Die Lehrperson ist als „Kommunikator“ voll
gefordert bei der Orientierung über die Lernaufgaben und deren Strukturierung, bei der gemeinsamen Besprechung der Lösungen und Lösungswege, bei der Vertiefung von Einsichten, der prägnanten Zusammenfassung des Gelernten und der Herstellung von Querbeziehungen. Im Folgenden wird die Grundkonzeption von „mathe 2000“ ausführlicher dargestellt. Konzentration des Stoffes auf tragende Grundideen Ich vertrete zwei pädagogische Prinzipien: 1. Unterrichte nicht zu viele Gegenstände. 2. Behandle das, was du behandelst, gründlich. A. N. Whitehead Da die Unterrichtszeit begrenzt ist, muss der Stoff auf diejenigen Grundideen der Arithmetik, der Geometrie und des Sachrechnens konzentriert werden, die für die Umwelterschließung und für ein Verständnis der Fachstruktur unerlässlich sind. Die in der Tabelle auf S. 3 aufgelisteten Grundideen der Arithmetik reichen bis in die Sekundarstufe und setzen sich in Grundideen der Algebra fort. Die Grundideen der Geometrie reichen bis zum Ende der Sekundarstufe I. Die Tabelle macht deutlich, dass die Bereiche Arithmetik und Geometrie und der Bereich „Größen und Sachrechnen“ aufeinander bezogen sind. Dem Wesen der Mathematik als „reiner“ und „angewandter“ Wissenschaft entsprechend sind die „Strukturorientierung“ und die „Anwendungs- orientierung“ zwei Seiten ein und derselben Medaille. Spiralige Entwicklung der Grundideen über die Stufen hinweg Die Grundideen werden nach dem Spiralprinzip schlüssig entwickelt, d. h., der Unterricht greift sie immer wieder auf, vertieft sie und führt sie in den folgenden Stufen weiter. Z. B. wird die Idee „Zahlenreihe“ im ersten Schuljahr durch die „Zwanzigerreihe“ verkörpert und in den folgenden Schuljahren zur „Hunderterreihe“, zum „Tausenderstrahl“ und schließlich zum „Zahlenstrahl“ ausgebaut. Entsprechend ist die Idee „Zehnersystem“ im ersten Schuljahr durch das „Zwanzigerfeld“, im zweiten durch die „Hundertertafel“, im dritten durch das „Tausenderbuch“ und im vierten durch das „Millionbuch“ repräsentiert. Im Konzept von „mathe 2000“ ist auch die Geometrie bewusst lehrgangsartig aufgebaut. Z. B. findet sich die Grundidee „Formen zusammensetzen“ in den ersten beiden Schuljahren im Legespiel „Tangram“, im dritten Schuljahr im Zusammensetzen von Quadraten zu Fünflingen und Würfelnetzen und im dritten und vierten Schuljahr im Zusammensetzen von Würfeln zu Würfelgebäuden. 2
Grundideen der Arithmetik Grundideen der Geometrie 1. Zahlreihe 1. Formen und ihre Konstruktion Die natürlichen Zahlen bilden eine Reihe, von Der dreidimensionale Anschauungsraum wird der Abschnitte beim Zählen durchlaufen werden. von Formgebilden unterschiedlicher Dimension bevölkert (Punkten, Linien, Flächen und Körpern), die sich auf vielfältige Weise 2. Rechnen, Rechengesetze, Rechenvorteile konstruktiv erzeugen lassen. Mit den natürlichen Zahlen kann man nach 2. Operieren mit Formen bestimmten Gesetzen mündlich, halbschriftlich Geometrische Gebilde lassen sich bewegen und schriftlich vorteilhaft rechnen. Der (verschieben, drehen, spiegeln…), verkleinern, Zahlbereich wird später unter Beibehaltung der vergrößern, zerlegen, überlagern…, wodurch Rechengesetze erweitert durch Bruchzahlen und Beziehungen hergestellt werden. negative Zahlen. 3. Zehnersystem 3. Koordinaten Das Zahlsystem ist dekadisch gegliedert, wobei Zur Lagebeschreibung von Punkten können auf sich die Tausenderstruktur periodisch Linien, Flächen und im Raum wiederholt. Außerdem ist der Zehner in zwei Koordinatensysteme eingeführt werden, welche Fünfer gegliedert. die Grundlage für die analytische Geometrie und für die graphische Darstellung von Funktionen bilden. 4. Rechenverfahren 4. Maße Schriftliche Rechenverfahren führen das Längen, Flächen, Volumina und Winkel lassen Rechnen mit Zahlen auf das Rechnen mit sich nach Vorgabe von Maßeinheiten messen. einstelligen Zahlen zurück (Ziffernrechnen). Aus vorgegebenen Maßen lassen sich andere Diese Verfahren sind automatisierbar und nach verschiedenen Formeln berechnen (z.B. können von Rechengeräten übernommen Inhaltsformeln). werden. 5. Arithmetische Gesetzmäßigkeiten und 5. Geometrische Gesetzmäßigkeiten und Muster Muster Mit Zahlen kann man aufgrund bestimmter Geometrische Gebilde und ihre Maße können in Eigenschaften und Beziehungen vielfältiger Weise in Beziehung gesetzt werden, Gesetzmäßigkeiten, Formeln, Muster so dass Gesetzmäßigkeiten und Muster („Strukturen“) erzeugen, deren tiefere („Strukturen“) entstehen, deren tiefere Zusammenhänge in arithmetischen Theorien Zusammenhänge in geometrischen Theorien systematisch entwickelt werden (Zahlentheorie, systematisch entwickelt werden (euklidische Kombinatorik). Geometrie der Ebene und des Raumes, kombinatorische Geometrie usw.). 6. Zahlen in der Umwelt 6. Formen in der Umwelt Zahlen lassen sich vielfältig Reale Gegenstände können mit Hilfe verwenden als Anzahlen, geometrischer Begriffe (angenähert) Ordnungszahlen, Maßzahlen, beschrieben werden. In der Technik werden Operatoren und Codes. Verfahren entwickelt um geometrische Formen herzustellen, die bestimmten Zwecken genügen. Künstler setzen geometrische Formen zur Weckung ästhetischer Empfindungen ein. 7. Übersetzung in die Zahl- und Formensprache Sachsituationen lassen sich mit Hilfe arithmetischer (und geometrischer) Begriffe in die Zahlen- (und Formen-) Sprache übersetzen, mit Hilfe arithmetischer (und geometrischer) Verfahren lösen und aus der Lösung können praktische Folgerungen gezogen werden. Grundideen Größen und Sachrechnen 3
Parallele Verfolgung inhaltlicher und allgemeiner Lernziele Bei der Zielsetzung muss man zwei Ebenen unterscheiden: 1. inhaltliche Lernziele, die Wissen und Fertigkeiten beschreiben, 2. allgemeine Lernziele, die sich auf Grundprozesse des mathematischen Arbeitens beziehen. Inhaltliche Lernziele sind z. B. das Einspluseins, das Einmaleins, die schriftlichen Rechenverfahren, Konstruktionen mit Zirkel und Lineal oder die Umrechnung von Größeneinheiten. Allgemeine Lernziele, die dem Mathematiklernen von der Grundschule bis zur Universität zugrunde liegen, wurden von Heinrich Winter in folgenden Tätigkeiten erfasst: 1. Mathematisieren, d. h. reale Situationen in die Sprache der Mathematik übersetzen, mit Mitteln der Mathematik Lösungen bestimmen und das Ergebnis für die reale Situation interpretieren, 2. Explorieren, d. h. Situationen probierend erforschen, Beziehungen und Strukturen entdecken, Strukturen erfinden, kreative Ideen entwickeln, 3. Argumentieren, d. h. mathematische Sachverhalte begründen, 4. Formulieren, d. h. mathematische Sachverhalte und Einsichten mündlich und schriftlich beschreiben. Inhaltliche Kenntnisse schaffen eine gute Basis für die Förderung allgemeiner Lernziele und umgekehrt. Insofern bedingt jede Lernzielebene die andere. Ein wichtiger Unterschied muss aber sorgfältig beachtet werden: Während sich bei inhaltlichen Lernzielen vorzeigbare Erfolge in einem begrenzten Zeitraum erzielen lassen, stellen sich Fortschritte bei den allgemeinen Lernzielen nur langfristig und nur dann ein, wenn mit Geduld und Beharrlichkeit an ihnen gearbeitet wird. Dies ist besonders wichtig, wenn die Eingangsvoraussetzungen der Kinder im Entdecken, Beschreiben und Begründen von Strukturen sehr niedrig sind, was in einem ungünstigen Umfeld häufig vorkommt. Besonderer Akzent im Bereich der inhaltlichen Lernziele: Der verbindliche Blitzrechenkurs Innerhalb der arithmetischen Lernziele ist ein Grundbestand von Wissenselementen und Fertigkeiten besonders ausgewiesen, den die Kinder abschließend auswendig lernen müssen. Zur Grundlegung und Automatisierung dieses Grundbestandes dient der „Blitzrechenkurs“, der im Abschnitt „Produktives Üben“ genauer besprochen wird. Dieser Kurs spielt im Konzept eine tragende Rolle. Besonderer Akzent im Bereich der allgemeinen Lernziele: Denkerziehung Zur gezielten Förderung der allgemeinen Lernziele wurden in das Konzept Schnüffelaufgaben (Symbolfigur: „schnüffelnder Igel“), „Expeditionen ins Zahlenreich“ und eine „Denkschule“ aufgenommen. „Schnüffelaufgaben“ sollen die Kinder in besonderer Weise zum Experimentieren, Überlegen und Sprechen anregen. Da es verschiedene Lösungsansätze und -wege gibt und die Kinder sich an die Lösung 4
„heranschnüffeln“ können, sind diese Aufgaben für alle Kinder zugänglich – im Gegensatz zu Knacknüssen, Knobelaufgaben, Denksportaufgaben etc. Besondere Formen der Erforschung von Mustern, auch in organisatorischer Hinsicht, stellen „Expeditionen ins Zahlenreich“ und die „Denkschule“ dar. „Expeditionen ins Zahlenreich“ sind so konstruiert, dass gleichzeitig Fertigkeiten des Blitzrechenkurses geübt und Muster erforscht werden und der Konkurrenzdruck vermieden wird. Die „Denkschule“ umfasst pro Schuljahr 10 schlichte, materialbezogene Spiele, die zu den inhaltlichen Themen in nur losem Bezug stehen. Der fachliche Rahmen: Mathematik als Wissenschaft von Mustern Mathematik wird als „Wissenschaft von (schönen) Mustern“ aufgefasst, die man interaktiv erforschen, fortsetzen und erfinden kann. Aus diesem Grund spielen im Konzept arithmetische und geometrische Gesetzmäßigkeiten und Muster eine zentrale Rolle. Muster dienen auch als Nährboden für die allgemeinen Lernziele Mathematisieren, Explorieren, Argumentieren und Formulieren, und über schöne Muster können die Kinder auch die Ästhetik der Mathematik und den im besten Sinn spielerischen Umgang mit Mathematik erfahren. Es bedarf dazu keiner zusätzlichen Inhalte, denn die Erforschung von Mustern lässt sich, wie weiter unten gezeigt wird, mit dem Üben der klassischen Inhalte organisch verbinden. Die Fachstruktur prägt auch die Gliederung und den Aufbau der Inhaltsbereiche. Innerhalb dieses Rahmens können sich die Kinder frei bewegen, wie es der im Wesen der Mathematik liegenden Offenheit entspricht: „mathe 2000“ verkörpert eine Öffnung vom Fach aus. Aktiv-entdeckendes und soziales Lernen Nicht Leitung und Rezeptivität, sondern Organisation und Aktivität ist es, was das Lehrverfahren der Zukunft kennzeichnet. Johannes Kühnel, Neubau des Rechenunterrichts, 1916 Das für die Konzeption zentrale didaktische Prinzip des aktiv-entdeckenden und sozialen Lernens gründet sich auf aktivistische Lerntheorien, insbesondere die genetische Psychologie des Schweizer Psychologen Jean Piaget, ist aber auch fundamental mit der Mathematik verbunden. Heinrich Winter hat dieses Prinzip prägnant formuliert: „Den Aufgaben und Zielen des Mathematikunterrichts wird in besonderem Maße eine Konzeption gerecht, in der das Mathematiklernen als ein konstruktiver, entdeckender Prozess aufgefasst wird. Der Unterricht muss daher so gestaltet werden, dass die Kinder möglichst viele Gelegenheiten zum selbsttätigen Lernen in allen Phasen eines Lernprozesses erhalten. Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, herausfordernde Anlässe zu finden und anzubieten, ergiebige Arbeitsmittel und produktive Übungsformen bereitzustellen und vor allem eine Kommunikation aufzubauen und zu erhalten, die dem Lernen aller Kinder förderlich ist.“ Aktiv-entdeckendes und soziales Lernen verlangt eine ständige Durchdringung inhaltlicher und allgemeiner Lernziele und lässt sich daher nicht in einem 5
kleinschrittigen Unterricht verwirklichen, in dem der Stoff Häppchen für Häppchen vermittelt wird und die Lösungswege sowie die äußere Form der Lösung anhand von Musteraufgaben festgelegt sind. Erforderlich ist die ganzheitliche Behandlung von Rahmenthemen, z.B. des Einspluseins und Einmaleins. Ganzheitliche Behandlung von Rahmenthemen in mehreren Durchgängen Rahmenthemen müssen immer in mehreren Durchgängen erarbeitet werden. Die ersten Durchgänge dienen der Orientierung und Einführung, die weiteren der Übung, Vertiefung und Ergänzung. Bei arithmetischen Rahmenthemen steht am Schluss immer die Automatisierung. Jedes Kind kann bei diesem Vorgehen an seine individuellen Voraussetzungen anknüpfen und hat Zeit sein Wissensnetz von Durchgang zu Durchgang zu erweitern und zu festigen. Lücken im Wissensnetz sind keinesfalls ein Hindernis für sinnvolle Arbeit im nächsten Durchgang. Da der Lernprozess die Lernziele immer wieder neu und von einer anderen Seite aus ansteuert, gibt es für die Kinder genügend Möglichkeiten um ihre Lücken allmählich zu schließen. Die arithmetischen Grundfertigkeiten werden außerdem im Blitzrechenkurs, der sich kontinuierlich durch das ganze Schuljahr zieht, ständig wiederholt. Es besteht kein Grund zur Sorge, dass Kinder „abgehängt“ werden. Beispiel: Einspluseins 1. Durchgang: Additive Situationen aus der Umwelt 2. Durchgang: Intensive Behandlung des Einspluseins am Zwanzigerfeld 3. Durchgang: Strukturierte Übungen an „Zahlenmauern“ und „Rechendreiecken“. 4. Durchgang: Vertiefung des Einspluseins an der Einspluseins-Tafel 5. Durchgang: Automatisierung. Der ganzheitliche Zugang unterscheidet sich grundlegend von der traditionellen Methode, bei welcher jedes Stoffhäppchen erst dann „abgehakt“ wird, wenn es bei (möglichst) allen Kindern (einigermaßen) „sitzt“. Für Lehrerinnen und Lehrer, die zum ersten Mal nach dem neuen Konzept unterrichten, kostet es daher Mut und Überwindung, trotz anscheinender Lücken bei Kindern im Unterricht weiterzugehen, wie es das neue Konzept verlangt. Wenn dieser Mut nicht aufgebracht wird, sind Schwierigkeiten und Misserfolge vorprogrammiert: Ganzheitliche Themen sperren sich gegen eine Häppchen-Behandlung. Vorteile der ganzheitlichen Behandlung Lernen in Ganzheiten ist für die Kinder nicht etwa schwerer, sondern leichter, wie die englische Psychologin Margaret Donaldson festgestellt hat: „Es scheint eine weit verbreitete Meinung zu sein, man dürfe Kinder anfangs nicht mit der Komplexität eines Stoffgebietes konfrontieren, da sie komplizierte Sachverhalte unmöglich bewältigen könnten. Ich teile diese Ansicht nicht. Die Ursache für diesen Irrtum liegt m. E. darin, dass zwei grundverschiedene Dinge nicht auseinander gehalten werden, nämlich eine ganzheitliche, grobe Übersicht über das Stoffgebiet einerseits und die Beherrschung aller seiner Einzelheiten 6
andererseits. Die Kinder benötigen natürlich geraume Zeit um alle möglichen Einzelheiten zu lernen. Es ist aber keine Frage, dass ihnen das leichter fällt, wenn sie über die Gesamtheit der anstehenden Lernaufgaben richtig vorinformiert sind.“ Durch die ganzheitlichen Zugänge zu Rahmenthemen wird das bewährte Prinzip „Vom Leichten zum Schweren“ keinesfalls aufgehoben. Es wird nur anders realisiert als traditionell üblich. Beim Einspluseins z. B. sind nicht nur die Aufgaben im Fünfer- oder Sechserraum leicht, sondern z. B. auch Verdopplungsaufgaben wie 5 + 5, 6 + 6 und 10 + 10 oder Aufgaben wie 14 + 1, 14 + 2. Es ist daher sehr sinnvoll, solche Aufgaben frühzeitig in das Knüpfen des Netzes „Einspluseins“ einzubeziehen und als Ankerpunkte für andere Aufgaben zu nutzen. Lernen in Ganzheiten trägt auch ganz wesentlich zur Zieltransparenz bei: Die Kinder können sich während ihres Lernprozesses klar machen, was sie schon können, wo sie noch Schwierigkeiten haben und was sie noch lernen müssen, und sie sehen das Ende des Lernprozesses ab. Der ganzheitliche Zugang wird dadurch unterstützt, dass grundsätzlich nur Arbeitsmittel verwendet werden, die eine Gesamtübersicht über die Aufgaben ermöglichen. Beim Einspluseins z. B. sind dies das Zwanzigerfeld und die Einspluseinstafel. Zone der nächsten Entwicklung Ganzheitliche Themen weisen über sich hinaus und verlocken zu Grenzüberschreitungen. Z. B. werden die Kinder vom Einspluseins ausgehend auch über 20 hinaus rechnen wollen. Dies ist zugelassen und sogar erwünscht. Wie der russische Pychologe Lew Vygotskij in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Piaget überzeugend dargelegt hat, muss der Unterricht stets die „Zone der nächsten Entwicklung“ anpeilen. Dies bedeutet aber nicht, dass Grenzüberschreitungen eigens thematisiert werden müssten. Es genügt, sie als Denkanstöße wirken zu lassen. Wichtig ist, dass keine Abschottung im Sinne von „Das dürfen wir noch nicht rechnen!“ vorgenommen wird. Anleitung der Kinder zum selbstständigen Umgang mit den Lernangeboten Grundvoraussetzung für lebenslanges Lernen ist die Fähigkeit Texte eigenständig erschließen zu können. Auch im Mathematikunterricht muss diese Fähigkeit, die ein wesentlicher Aspekt eigenverantwortlichen Lernens ist, entwickelt werden. Die Kinder sollen grundsätzlich immer selbst versuchen, sich ein Bild von den Lernaufgaben zu machen. Die Lehrperson sollte sich möglichst nur auf Verständnishilfen beschränken, z.B. die Vorgabe konventioneller Sprechweisen, Schreibweisen und zeichnerischer Darstellungen. Im Klassengespräch können die verbleibenden Unklarheiten anschließend beseitigt werden. Im Interesse des selbstständigen Arbeitens sollte auch das Auffinden und Aufschreiben von Lösungen im Rahmen der fachlich notwendigen Vorgaben so weit wie möglich den Kindern überlassen bleiben. Dabei dürfen und sollen sie ihre eigenen Wege gehen. 7
Der Umgang mit Fehlern Der belehrende Unterricht strebt an, die Lernenden zur fehlerlosen Reproduktion vorgemachter Verfahren zu programmieren. Von diesem Standpunkt aus ist eine möglichst genaue Beobachtung der Lernfortschritte des einzelnen Kindes gemessen an den vorgegebenen Verfahren wünschenswert, damit Fehler sofort „diagnostiziert“ und „ausgemerzt“ werden können. Entsprechend besteht ein großes Interesse an möglichst wirksamen Rezepten zur „Fehlertherapie“. Die Jahrhunderte langen Erfahrungen mit dem belehrenden Unterricht zeigen, dass dieser Weg, so verlockend er ist, nicht zum Ziel führt. „Von außen“ kommt man dem Lernprozess und den dabei auftretenden Fehlern nicht bei, ganz abgesehen davon, dass es für die Lehrkraft in einer Klasse mit 20 bis 30 Kindern gar nicht möglich ist, die Lernprozesse der einzelnen Kinder genau zu verfolgen. Der Traum von Lernpsychologen, Computer könnten die Diagnose und Therapie von Fehlern übernehmen, ist bis heute ein Traum geblieben. In der Konzeption des aktiv-entdeckenden Unterrichts wird mit Fehlern anders umgegangen: Die Kinder erhalten zuerst einmal Zeit und Raum, um sich selbst an neuen Aufgaben zu versuchen, alleine oder im Austausch mit anderen Kindern. Auf diese Weise können sie die notwendige Verbindung zu ihrem Vorwissen am besten herstellen. Bei diesen ersten Versuchen werden auch Fehler auftreten, denn es gehört zum Wesen des Lernens Fehler zu machen, zu erkennen und zu korrigieren. Die Kinder brauchen natürlich eine Rückmeldung zu Fehlern, die sie selbst nicht erkennen. Rezepte zur Fehlervermeidung gehen aber am Problem vorbei. Wie durch empirische Befunde vielfach bestätigt wurde, steckt hinter einem „Fehler“ in aller Regel eine sinnvolle Überlegung, die sich aus einem anderen oder (noch) unzureichenden Verständnis des jeweiligen Sachverhalts ergibt. Die Rückmeldung muss daher in erster Linie auf die Herstellung eines Verständniszusammenhangs abzielen. Damit werden die Kinder besser befähigt, von sich aus Fehler zu vermeiden, als durch von außen mitgeteilte Rezepte zur Fehlervermeidung, deren blinde Befolgung selbst eine Fehlerquelle ist. Nicht zu vergessen ist auch, dass sich Überlegungen, die auf den ersten Blick als „falsch“ erscheinen, bei näherem Hinsehen nicht selten als richtig herausstellen, insbesondere dann, wenn das Kind einen Aufgabentext anders interpretiert hat als bei der Aufgabenstellung intendiert. Notwendigkeit eines fachlichen Rahmens Zu welchen Leistungen Kinder bei der Erarbeitung eigener Lösungswege („Eigenproduktionen“) fähig sind, wurde empirisch in eindrucksvoller Weise nachgewiesen. Diese Befunde gehören zu den stärksten Argumenten für das Prinzip des aktiv-entdeckenden Lernens. Aus diesen Befunden darf aber nicht gefolgert werden, Kinder könnten „sich“ die Mathematik am besten „alleine“ erarbeiten und würden dabei von Fachstrukturen nur gestört. Der amerikanische Bildungsphilosoph und Pädagoge John Dewey hat schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts klargestellt, dass aktiv- entdeckende Lehr-/Lernformen einen geeigneten fachlichen Rahmen voraussetzen: Reformpädagogen erwarten vom Kind, dass es Erkenntnisse aus seinem eigenen Geist heraus „entwickelt“ und für sich ausarbeitet ohne „fachliche Rahmenbedingungen“ zu benötigen. Aus dem Nichts kann aber nichts entwickelt werden. Entwicklung heißt nicht, dass dem kindlichen Geist irgendetwas entspringt, sondern dass substanzielle Fortschritte gemacht werden, und das ist nur möglich, 8
wenn eine geeignete fachliche Umgebung zur Verfügung steht. Die Kinder müssen zwar von sich aus arbeiten, aber wie sie arbeiten, wird fast ganz von der Lernumgebung und dem Stoff, an dem sie sich üben, abhängen. Der Erfolg des Mathematikunterrichts von der Grundschule bis zum Abitur steht und fällt damit, dass das Prinzip des aktiv-entdeckenden und sozialen Lernens organisch zu fachlichen Grundideen und allgemeinen Lernzielen in Beziehung gesetzt wird. Wenn die Kinder in der Mathematik wirklich weiterkommen wollen, dürfen sie nicht bei ihren individuellen Ideen stehen bleiben, sondern müssen sich in die bewährten Fachstrukturen einarbeiten und diese gemäß der im Fach liegenden Offenheit produktiv nutzen. Dies wird dadurch wesentlich unterstützt, dass die Lernangebote fachlich schlüssig strukturiert sind. Die Kinder gelangen insbesondere nicht von sich aus zu einem Verständnis typisch „theoretischer“ Aspekte der Mathematik (z. B. der Erfassung der Allgemeingültigkeit von Rechengesetzen, der Abstraktheit von Begriffen oder der zwingenden Logik einer mathematischen Argumentation), sondern müssen im Unterricht dazu angeregt werden. Entwicklung von Bewusstheit Die für Lehrerinnen und Lehrer vielleicht überhaupt bedeutsamste Aufgabe besteht darin, die Kinder zur Wahrnehmung der Besonderheiten der Mathematik, zur Steuerung ihres Lernprozesses und zur Übernahme eigener Verantwortung für ihre Lernfortschritte zu erziehen. Die Lehrkraft muss dazu mit den Kindern z.B. über die grundsätzliche Freiheit von Rechenwegen, über Schwierigkeiten beim Lernen und ihre Überwindung, über den Nutzen der Zusammenarbeit, über den Sinn des Kopfrechnens, über gelungene selbstständige Leistungen, usw. sprechen. Die Entwicklung von Bewusstheit verlangt Geduld und Beharrlichkeit, weil sich der Erfolg bei der Mehrheit der Kinder naturgemäß nur langfristig einstellt. Je mehr Bewusstheit die Kinder aber für ihre Lernprozesse entwickeln und je mehr sie sich für ihr Lernen verantwortlich fühlen, desto mehr wird die Lehrkraft entlastet. Insofern liegt es in ihrem ureigenen Interesse, die Bewusstheit der Kinder für ihr Lernen zu fördern. Sparsamkeit in Demonstrations- und Arbeitsmitteln, bildlichen Darstellungen und Fachausdrücken: Weniger ist mehr Anschauungs- und Arbeitsmittel wirken weder unmittelbar noch unmissverständlich. Vielmehr müssen sich die Kinder erst in sie einarbeiten. Dies kostet Zeit. Angesichts des engen Zeitrahmens verbietet es sich daher, eine große Zahl von Materialien zu verwenden. Im Projekt „mathe 2000“ wurde das Problem der Auswahl von Demonstrations- und Anschauungsmitteln auf folgende Weise gelöst: Genau diejenigen Materialien wurden ausgewählt, welche die mathematischen Grundideen am besten verkörpern. Da diese Grundideen den gesamten Unterricht durchziehen, ist gewähr- leistet, dass auch die entsprechenden Materialien durchgehend benutzt werden können. Der ständige Gebrauch ist die beste Voraussetzung dafür, dass Zahl-dar-stellungen in Zahl-vor-stellungen übergehen und die Grundlage für denkendes Rechnen bilden. Aus den gleichen Gründen werden auch bildliche und symbolische Darstellungen sowie Sprechweisen und Fachausdrücke auf die wirklich grundlegenden beschränkt, die 9
weiterführende Bedeutung haben. Besondere Aufmerksamkeit erfahren dabei grundlegende Strukturen zur Ordnung von Daten: Tabellen, Listen, Baum- und Flussdiagramme. Richtige Nutzung der Darstellungsformen Im Sinne des aktiv-entdeckenden und sozialen Lernens sind konkrete Materialien, bildliche und symbolische Darstellungen nicht als Hilfsmittel der Belehrung, sondern als Hilfen für das Lernen in der Hand der Schüler aufzufassen. Die Kinder sollen daher angeregt werden, sie nach eigenem Ermessen für ihre Zwecke einzusetzen. Das Konzept von „mathe 2000“ verbindet die Nutzung konkreter Materialien („enaktiv“), Zeichnungen („ikonisch“) und formaler Darstellungen („symbolisch“) mit der ganzheitlichen Behandlung von Rahmenthemen. Der gesamte Zwanzigerraum wird zuerst mit Material „unterfüttert“. Die Kinder benützen bei ihren Rechnungen zwanglos Material und bildliche Darstellungen. Auf diesem Boden können sich formale Schreibweisen in Ruhe entwickeln („Prinzip der fortschreitenden Schematisierung“). Ein zu früher Übergang zum formalen Rechnen ist Gift für das Verständnis und wird im Rahmen von „mathe 2000“ bewusst vermieden. Auf zwei Punkte muss dabei besonders geachtet werden: 1. Mit der Einführung formaler Darstellungen verlieren konkrete Materialien und Bilder keineswegs ihre Bedeutung. Ganz im Gegenteil: Sie behalten ihren Nutzen, wenn es um das Verstehen, Beschreiben und Mitteilen von Lösungswegen, das Aufzeigen von Beziehungen zwischen Aufgaben und Lösungen, das Lösen kombinatorischer Aufgaben oder um die Modellierung von Sachsituationen geht. Den Kindern macht man dies am besten deutlich, indem man insbesondere Plättchen im Unterricht selbst mit der größten Selbstverständlichkeit verwendet und den Kindern erklärt, warum das nützlich ist. Auf diese Weise lässt sich das unter Kindern (und besonders Eltern!) verbreitete Vorurteil, die Verwendung von Plättchen sei ein Stigma für mangelnde Rechenkompetenz, am wirkungsvollsten ausräumen. Letztendlich muss aber jedem Kind die Freiheit zugestanden werden die verschiedenen Darstellungsmittel individuell zu nutzen. 2. Der handelnde Umgang mit Mathematik ist keineswegs nur auf „enaktive“ Darstellungen beschränkt, sondern bezieht sich genauso auf „ikonische“ und „symbolische“ Darstellungen. Immer geht es um ein Operieren, unabhängig davon, ob mit konkreten Objekten (z.B. Plättchen), anhand bildlicher Darstellungen (z.B. an der Zahlenreihe) oder mit Symbolen (z.B. Zahlzeichen) operiert wird. Produktives Üben Insgesamt lässt sich somit die These vertreten, dass Ziel und Organisation des Übens im Rahmen eines Konzepts des Lernens durch gelenkte Entdeckung weitaus besser aufgehoben sind als im … Konzept des belehrenden Unterrichts, insofern entdeckend geübt und übend entdeckt wird. Heinrich Winter, Begriff und Bedeutung des Übens Dem Üben kommt im Unterricht mit Recht die größte Bedeutung und der größte Raum zu. Aus diesem Grund steht das Üben auch im Zentrum von „mathe 2000“. Traditionelle Übungsformen reichen im Rahmen des aktiv-entdeckenden Lernens aber bei weitem nicht aus. Benötigt werden darüber hinaus produktive Übungsformen, d.h. Übungsformen, bei denen die Übung inhaltlicher Lernziele mit der Förderung der allgemeinen Lernziele verbunden ist. 10
Übungsformate für produktive Übungen Für produktive Übungen besonders geeignet sind „Übungsformate“, die auf mathematischen Strukturen beruhen. Diese Übungsformate sind so etwas wie Formulare, die man unterschiedlich ausfüllen kann. In „mathe 2000“ werden in der Grundschule vor allem folgende Übungsformate benutzt : „Schöne Päckchen“, „Schöne Päckchen?“, „Zahlenhäuser“, „Zahlenmauern“, „Rechendreiecke“, „Zauberquadrate“, „Zauber-dreiecke“, „Zahlenraupen“. Diese wenigen, aber sehr reichhaltigen Übungsformate ziehen sich durch alle Schuljahre. Ein Kunterbunt von Übungsformen, die jeweils neu eingeführt werden müssten, nur vorübergehende Bedeutung hätten und letztlich nur Ballast wären, wird absichtlich vermieden. Übungsformate kann man nicht nur für Aufgaben mit willkürlich eingetragenen Zahlen, sondern für Aufgabenserien mit Mustern nutzen. Dadurch ist oft eine gute Kontrolle der Ergebnisse gegeben. Beispiel: Bei dem Übungsformat „Zahlenmauern“ lernen die Kinder im 1. Schuljahr zuerst, wie aus den eingetragenen Zahlen die restlichen Zahlen zu berechnen sind. Diese Übung ist noch ganz traditioneller Natur. Von anderem Charakter ist die Aufgabe, alle Mauern zu finden und auszurechnen, die man mit den Grundsteinen 3, 4, 5 bilden kann. Wenn die Mauern ausgerechnet sind, stechen Muster ins Auge: 16 17 15 7 9 8 9 8 7 3 4 5 3 5 4 5 3 4 16 15 17 9 7 7 8 9 8 5 4 3 4 5 3 4 3 5 1. Die Decksteine 15, 16 und 17 treten je zweimal auf. 2. Mauern mit gleichen Decksteinen unterscheiden sich durch Vertauschung der äußeren Steine. 3. Wenn der mittlere Grundstein am größten ist, ergibt sich der größte Deckstein. Die Kinder können diese Muster beschreiben und versuchen zu erklären, warum das so ist. Dadurch werden die allgemeinen Lernziele Explorieren, Argumentieren und Formulieren gefördert. Die „Unerschöpflichkeit“ produktiver Übungsformen Natürlich können die Kinder auch selbst andere, insbesondere größere Grundsteine wählen, und nachrechnen, ob „es da auch so ist.“ Wer möchte kann auch Zahlen im Zweierabstand als Grundsteine wählen, z.B. 2, 4 und 6, und alle sechs möglichen Mauern berechnen oder die Grundzahlen beliebig wählen. Statt dreier verschiedener 11
Zahlen können drei gleiche oder zwei gleiche Zahlen und eine dritte Zahl gewählt werden, usw. Die Aufgabe ist ein Musterbeispiel dafür, wie Lehrer und Kinder aus einem einzigen Aufgabentyp ihren individuellen Präferenzen entsprechend selbst eine beliebige Zahl strukturgleicher Aufgaben bilden können. Automatisierendes Üben: Der verbindliche Blitzrechenkurs Aktiv-entdeckendes Lernen und die Automatisierung von Wissenselementen und Fertigkeiten sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander: Aktiv-entdeckendes Lernen schafft die Verständnisgrundlage, die für die Automatisierung notwendig ist, und umgekehrt bildet automatisiertes Wissen die notwendige Grundlage für aktiv- entdeckende Lernprozesse auf der nächst höheren Stufe. Da sich die Kinder nicht beliebig viel merken können, muss genau überlegt werden, welche Wissenselemente und Fertigkeiten wirklich grundlegend sind, und diese müssen dann gezielt geübt und automatisiert werden. Im Projekt „mathe 2000“ wurde ein systematisch aufgebauter Blitzrechenkurs entwickelt, der im „Handbuch produktiver Rechenübungen“ beschrieben ist. Dieser Kurs besteht aus 10 Übungen pro Schuljahr und deckt diejenigen Wissenselemente und Fertigkeiten ab, die später gedächtnismäßig sofort abrufbar sein müssen. Die Stellung des „Blitzrechenkurses“ im Konzept kann man durch folgenden Vergleich mit dem Erlernen eines Musikinstruments beschreiben: Die Übungen des „Blitzrechenkurses“ entsprechen den Finger- und Tonleiterübungen. Die Erforschung von Mustern in produktiven Übungen, bei Zahlexpeditionen oder der Denkschule usw. ist dem Spielen schöner Musikstücke vergleichbar. Vor einem Missverständnis muss dringend gewarnt werden: Der Blitzrechenkurs ist kein bloßer Kurs zum Auswendiglernen von Rechensätzen. Alle Blitzrechenübungen werden vielmehr ganz bewusst auf einer breiten Anschauungsgrundlage und unter Nutzung von Beziehungen entwickelt. Sie zielen auf die Entwicklung von Zahlvorstellungen und auf Verständnis. Dementsprechend wird jede Blitzrechenübung in zwei Phasen geübt: Die Grundlegungsphase dient der Verankerung der Übung in grundlegenden Zahldarstellungen, die nachfolgende Automatisierungsphase d e r Festigung und „blitzschnellen“ Abrufbarkeit der entsprechenden Wissenselemente und Fertigkeiten. Ein zu früher Übergang von der Grundlegung zur Automatisierung ist für den Lernprozess schädlich und muss unbedingt vermieden werden. Da der Blitzrechenkurs arbeitsintensiv ist, kann ihn die Lehrkraft nicht im einzelnen mit den Kindern durchführen, sondern muss sich auf das Management beschränken, d.h. sie muss Kinder anleiten, eigenverantwortlich zu üben, und sie muss die Mithilfe der Eltern organisieren. Der Förderkurs „Mündliches Rechnen in Kleingruppen“ ist dabei eine große Hilfe. Angesichts des Nachdrucks, der beim Blitzrechnen auf die Entwicklung von Zahlen- und Rechenverständnis gelegt wird, ist die flüssige Beherrschung der Übungen des Kurses ein guter Indikator für das Erreichen der grundlegenden inhaltlichen Lernziele. Daher zahlt es sich aus, wenn die Lehrkraft den Fortschritt der Kinder beim Blitzrechnen ständig im Auge behält. Es empfiehlt sich, die Beherrschung jeder Übung in einem „Blitzrechenpass“ festzuhalten. Damit bekommt jedes Kind eine individuelle Rückmeldung über seinen Lernstand. Die zwei Teilprüfungen für jede einzelne Übung (in geziemendem zeitlichen Abstand voneinander) sowie für die Abschlussprüfung über 12
den gesamten Kurs können zeitsparend in Gruppen abgelegt werden. Die Kinder können sich vorher gegenseitig testen und entscheiden, wann sie sich zu einer Prüfung melden. Mitarbeit von „Blitzrechen-Trainern“ beim Blitzrechenkurs Der Blitzrechenkurs erzielt dann seine optimale Wirkung, wenn es gelingt, nicht nur die Kinder, sondern auch Eltern oder andere Bezugspersonen von der Notwendigkeit und Wichtigkeit des Kurses zu überzeugen. Lehrer, Kinder und Eltern müssen die Übungen bewusst als ständiges „Fitnessprogramm“ verstehen und konsequent durchführen. Bereits beim ersten Elternsprechtag sollte dieser wichtige Punkt geklärt (und damit gleichzeitig die Mitarbeit der Eltern in sinnvolle Bahnen gelenkt werden): Die Eltern sollten in das Konzept des Kurses eingeführt werden, den Unterschied zwischen Grundlegung und Automatisierung verstehen und lernen, wie zu üben ist. Anschließend sollten sie dafür gewonnen werden, ihren Kindern im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe als „Blitzrechen-Trainer“ zur Verfügung zu stehen. Die Unterstützung beim Blitzrechnen ist bei solchen Eltern kein Problem, die von sich aus an den Lernfortschritten ihrer Kinder teilnehmen und die nötige Zeit aufbringen können. Für Kinder, bei denen diese Voraussetzung nicht gegeben ist, muss unbedingt ein anderer „Blitzrechen-Trainer“ gefunden werden, der sich für den Blitzrechenkurs mitverantwortlich fühlt, z. B. ein älteres Geschwister oder ein(e) andere(r) Verwandte(r), ein(e) Mitschüler(in), ein(e) Mitarbeiter(in) bei der Ganztagsbetreuung, oder Betreuer bei der Hausaufgabenhilfe. Die Förderung von Kindern mit unterschiedlichen Voraussetzungen nach dem Prinzip von der natürlichen Differenzierung Ich glaube an den sozialen Lernprozess, und darum trete ich für die heterogene Lerngruppe ein … [Sie] umfasst Schüler verschiedener Niveaus, die an einer Aufgabe – jeder auf der ihm eigenen Stufe – zusammenarbeiten … Hans Freudenthal, Vorrede zu einer Wissenschaft vom Mathematikunterricht Bei der üblichen „äußeren“ bzw. „inneren“ Differenzierung wird eine Klasse in Teilgruppen aufgespalten, die zu dem Unterrichtsthema unterschiedlich schwere Aufgaben erhalten und sie auf unterschiedlichen Niveaus und mit unterschiedlichen Mitteln lösen. Dies ist eine Differenzierung von der Lehrkraft aus, da sie den Kindern die Aufgaben und die Bearbeitungsform zuweist. Im Sinne des aktiv-entdeckenden und sozialen Lernens bietet sich darüber hinaus eine Differenzierung vom Kind aus an: Die gesamte Lerngruppe erhält einen Arbeitsauftrag, der den Kindern Wahlmöglichkeiten bietet. Da diese Form der Differenzierung beim „natürlichen Lernen“ außerhalb der Schule eine Selbstverständlichkeit ist, spricht man von „natürlicher Differenzierung“. Das Prinzip von der natürlichen Differenzierung ist von besonderer Bedeutung für die Lösung der wohl größten pädagogischen Herausforderung, vor der die Grundschule steht: die Heterogenität der Lernvoraussetzungen. Die traditionelle Antwort auf diese 13
Herausforderung besteht darin, am "Punkt Null" zu beginnen und den Wissenserwerb der Kinder auf einem unteren bis mittleren Niveau klein- und gleichschrittig zu normieren. Dieser Ansatz, bei dem die Bedürfnisse der leistungsstarken Kinder völlig ignoriert werden, wurde und wird auch heute noch damit verteidigt, dass er den schwachen Kindern besonders entgegenkomme. Nach neuen Erkenntnissen ist das ein gründlicher Irrtum. Auch schwache Kinder lernen am besten, wenn sie ihre Lernprozesse so weit wie möglich selbst steuern können. Auch pädagogische Gründe sprechen daher für das Prinzip des aktiv-entdeckenden und sozialen Lernens, wie es im Konzept von „mathe 2000“ realisiert ist. Die Kinder können die reichhaltigen Lernangebote einschließlich des Blitzrechenkurses im Sinne der natürlichen Differenzierung nach ihren individuellen Voraussetzungen und Möglichkeiten selber nutzen. Auf diese Weise werden alle Kinder bei der Bearbeitung gemeinsamer Themen zusammengehalten. Sowohl Kinder mit Lernschwierigkeiten als auch leistungsstarke Kinder können aus dem Unterricht heraus gefördert werden. Spezielle zusätzliche Förderprogramme für schwächere oder begabte Kinder sind - abgesehen von Extremfällen - unnötig. Wie erfolgreich dieser Weg ist, wenn er konsequent beschritten wird, zeigen die Erfahrungen unter unterschiedlichsten Bedingungen: Das Konzept findet einerseits wachsenden Zuspruch bei Sonderschulen für Lernbehinderte und dient andererseits als Anregung für die Förderung mathematisch besonders begabter Kinder. Es besteht kein Grund zur Sorge, dass die mit aktiv-entdeckendem Lernen verbundene natürliche Differenzierung zu einem Auseinanderfallen der Klasse führen könnte: Durch verbindliche Lernziele, insbesondere den Blitzrechenkurs, wird dafür gesorgt, dass trotz aller individuellen Unterschiede während des Lernprozesses am Ende ein ausreichender gemeinsamer Wissensbestand vorhanden ist. Der „alternative Ansatz“ zur Förderung von Kindern mit Lernschwierigkeiten In der alternativen Medizin gelten diejenigen Heilmittel als besonders wertvoll, die nicht spezifisch auf eine bestimmte Körperfunktion wirken, sondern auf die allgemeine Stärkung des gesamten Organismus zielen entsprechend dem schon im Altertum erkannten Grundsatz: „Eure Heilmittel seien Nahrungsmittel, und eure Nahrungsmittel seien Heilmittel.“ Entsprechend besteht der „alternative Ansatz“ zur Förderung von Kinder mit Lernschwierigkeiten nicht in spezifischen „Fördermaßnahmen“, sondern in einer unspezifischen Förderung, die organisch in das Konzept integriert ist. Lernschwierigkeiten können damit an der Wurzel erfasst werden. Folgende Punkte wirken sich bei dem „alternativen Ansatz“ positiv aus: 1. Durch eine geeignete Förderung schon im Kindergartenalter lassen sich Lernschwierigkeiten vermeiden oder zumindest abmildern. Hierfür stehen die in „mathe 2000“ entwickelten Matrerialien für die Frühförderung zur Verfügung. In Zusammenarbeit der Grundschulen mit den Kindergärten können damit bereits im Vorfeld wichtige Grundlagen gelegt werden. 2. Die im Projekt „mathe 2000“ konsequent verfolgte Konzentration auf Grundideen der Arithmetik und Geometrie, die Beschränkung auf wenige grundlegende Anschauungs- und Arbeitsmittel und auf eine kleine Zahl wiederkehrender Übungsformate sowie die Benutzung einer schlichten Sprache sind didaktische Maßnahmen, die gerade den 14
schwächeren Kindern das Lernen erleichtern. Der Förderbedarf wird damit generell reduziert. 3. Die Grundlegung der Blitzrechenübungen stellt für sich genommen ein in den Unterricht eingebettetes Förderprogramm für Kinder mit Lernschwierigkeiten dar, auf das gezielte schulische und außerschulische Fördermaßnahmen unmittelbar zurückgreifen können. Der Förderkurs „Mündliches Rechnen in Kleingruppen“ bietet sich hier in besonderer Weise an. Mit seiner Hilfe lässt sich sicherstellen, dass bei der außerschulischen Förderung dem Unterricht unmittelbar zugearbeitet wird. 4. Die Behandlung der Rahmenthemen in mehreren Durchgängen bietet Kindern mit Lernschwierigkeiten die Möglichkeit, ihr Wissensnetz individuell aufzubauen und Wissenslücken allmählich zu schließen. Kein Kind wird „abgehängt“. 5. Die Freigabe der Lernwege und des Lerntempos sowie die bei der Bearbeitung von Aufgaben gewährten Spielräume helfen, den Erfolgs- und Konkurrenzdruck zu reduzieren. Die Kinder können eher zeigen, was sie können. Bei dem traditionell klein- und gleichschrittigen Vorgehen mit fest vorgegebenen Aufgaben und der damit verbundenen Lernkontrolle von außen, werden schwächere Kinder ständig einem Vergleich mit leistungsstarken Kindern ausgesetzt, was auf Dauer ihrer Motivation schadet und sie zur mechanischen Reproduktion vorgemachter Rezepte verleitet. 6. Beim aktiv-entdeckenden Lernen werden alle Kinder in Aktivitäten des Mathematisierens, Explorierens, Argumentierens und Formulierens einbezogen. Diese Förderung im Bereich der allgemeinen Lernziele wirkt sich auch bei Kindern mit Lernschwierigkeiten günstig auf den Erwerb inhaltlicher Lernziele aus. Es kommt auch keineswegs selten vor, dass Kinder, die Schwierigkeiten im Rechnen haben, gute Ideen bei der Erforschung, Beschreibung und Begründung von Mustern entwickeln und auf diesem Gebiet Erfolgserlebnisse haben. 7. Beachtet werden muss schließlich auch, dass lernschwache Kinder oft in einer Umgebung aufwachsen, die nur wenige Anregungen bietet. Die Erfahrung lehrt, dass ”die Guten die Schwachen mitziehen”. Daher ist es sehr wichtig, lernschwache Kinder in anregenden Kontakt zu anderen Kindern zu bringen, wofür der aktiv-entdeckende Unterricht ganz andere Möglichkeiten bietet als der traditionelle Unterricht. Literaturhinweis: E.Ch. Wittmann, Ein alternativer Ansatz zur Förderung „rechenschwacher“ Kinder. (abrufbar von der „mathe 2000“-Website http://www.uni-dortmund.de/mathe2000, Stichwort: Publikationen) Die Förderung leistungsstarker Kinder Die in „mathe 2000“ entwickelten Lernumgebungen enthalten viele produktive Aufgaben, die über die Übung von Fertigkeiten hinaus Optionen zur selbstständigen Fortsetzung, Variation und Erfindung arithmetischer und geometrischer Muster bieten. In einzelne Aufgaben sind Muster eingebaut, die sogar bis in die höhere Mathematik hineinreichen. Leistungsstarke Kinder können dieses „unerschöpfliche Aufgabenangebot“ für ihre speziellen Interessen nutzen und sich in Variation der vorgegebenen Themen mathematische Inseln selbstständig erarbeiten. Eine Förderung dieser Kinder ist somit 15
ebenfalls aus dem normalen Stoff heraus möglich. Diese Besonderheit sollte den Kindern bewusst gemacht werden, damit sie das Potenzial der Lernangebote voll ausschöpfen und sich dabei mathematisch ausleben können. Unterricht in gemischten Klassen Kinder bringen heute in höherem Maße als früher unterschiedliche Vorerfahrungen, Vorkenntnisse und Einstellungen mit. Sie unterscheiden sich in ihrer Auffassungsgabe, im Lerntempo und in der Fähigkeit zum Transfer des Gelernten. Diese Unterschiede können, wie oben beschrieben, durch natürliche Differenzierung in erheblichem Umfang aufgefangen werden. In Klassen, die wegen geringer Schülerzahlen oder aus pädagogischen Gründen altersgemischt zusammengesetzt sind, reicht dieses Prinzip aber nicht aus. Dem sehr unterschiedlichen Entwicklungsstand entsprechend müssen Lerngruppen gebildet werden, die an unterschiedlichen Stellen des Curriculums arbeiten. Bei der Organisation der Lernaktivitäten dieser Lerngruppen zeigt das Konzept seine ganze Stärke: 1. Der transparente, modulare Aufbau einerseits und die Förderung einer aktiv- entdeckenden Lernhaltung andererseits unterstützen in ihrer Verbindung das folgende Klassenmanagement: Jede Lerngruppe wird jeweils in einen Themenblock eingeführt und angeleitet, die Aufgaben möglichst selbstständig zu bearbeiten. 2. Jeder Zahlenraum wird in folgender Sequenz behandelt: Orientierung, Einführung von Rechenwegen an einem komplexen Beispiel, einfache Aufgaben, Übergang von einfachen zu schweren Aufgaben, vertiefende Übungen, ergänzende Übungen, Blitzrechenübungen. Weiter kehrt eine kleine Zahl von Übungsformaten (Zahlenmauern, Rechendreiecke, Päckchen, usw.) ständig wieder. In der Geometrie und im Sachrechnen werden ebenfalls einige wenige Grundideen über die Schuljahre hin entfaltet. Durch diese sich ständig wiederholenden inhaltlichen Strukturen wird der Erklärungsbedarf in beträchtlichem Maße reduziert. 3. Die systematisch wiederkehrenden Lernstrukturen ermöglichen und erleichtern auch den Übergang von einer Lerngruppe zu einer anderen und den Austausch zwischen den Gruppen. Insbesondere ist es möglich ein und dieselbe Übung mit jeweils unterschiedlich großen Zahlen von der gesamten Klasse bearbeiten zu lassen. In dieser Weise können von Zeit zu Zeit sogar Kinder höherer Klassen mit Kindern aus unteren Klassen zusammengeführt werden. Beispiel: Die im Abschnitt „Produktives Üben“ beschriebene Übung mit Zahlenmauern kann ebenso mit Grundsteinen aus dem Hunderter- oder Tausenderraum durchgeführt werden. 16
Lern- und Leistungskontrollen Kinder werden nicht dadurch größer, dass man sie ständig misst. Anonymus Eltern, Lehrer und Schulbehörden möchten aus unterschiedlichen Gründen wissen, welche Voraussetzungen ein Kind zur Schule mitbringt, welche Fortschritte es im Verlauf von Lernprozessen macht und inwieweit die Ziele am Ende von Schuljahren oder Schulstufen erreicht worden sind. Die Kinder möchten auch selbst wissen, was sie gelernt haben und wo sie stehen. Auf den verschiedenen Ebenen spiegelt sich das Problem der Lern- und Leistungskontrolle aber in unterschiedlicher Weise wider, wobei zwei unterschiedliche Aspekte zum Tragen kommen: Diagnose und Beurteilung (Benotung). Diese Aspekte werden oft nicht genau getrennt, was nicht nur deshalb geschieht, weil „Diagnose“ freundlicher klingt als „Benotung“ , sondern weil sich diese Aspekte auch schwer trennen lassen: Auch Lernzielkontrollen am Ende der Behandlung eines Stoffabschnitts, die zur Leistungsfeststellung dienen, haben eine diagnostische Funktion. Aus ihnen lassen sich wichtige Informationen entnehmen, welche wichtigen Kenntnisse im weiteren Unterricht noch besonders mitgeübt werden müssen. Eingangstests Vor Beginn einer neuen Schulstufe werden Eingangstests benutzt, um sich ein erstes Bild von den Kindern zu machen, den eventuell nötigen Förderbedarf einzuschätzen oder über die Zuordnung zu bestimmten Lerngruppen zu entscheiden. Für den Schuleintritt ist die Feststellung elementarer Kenntnisse über Zahlen und Formen wichtig. Mit dem auf die arithmetischen Grundideen zugeschnittenen Eingangstest („GI-Test Arithmetik“) lässt sich feststellen, welche Kenntnisse über Zahlen (Zahlbegriff, strukturierte Anzahlerfassung) ein Kind mitbringt. Standortbestimmungen Vor der Behandlung eines Rahmenthemas sollte eine Standortbestimmung durchgeführt werden. Dabei wird den Kindern zuerst an Beispielen klar gemacht, um welche Aufgaben es geht, und die Kinder werden dann aufgefordert, Aufgaben dieser Art, „die sie schon können“, schriftlich zu bearbeiten. Als Ortungsaufgaben für den ganzheitlichen Einstieg im ersten Schuljahr bieten sich z. B. folgende Aufgaben an, die zuvor an entsprechenden Beispielen erläutert werden müssen: – Schreibe die Zahlen der Reihe nach auf, soweit du möchtest. – Schreibe große Zahlen und die größte Zahl auf, die du schon kennst. – Male die Würfelbilder der Zahlen auf. – Male zu einigen Zahlen Mengen mit so vielen Dingen, wie die Zahl angibt. – Schreibe deine Telefonnummer, Hausnummer oder eine andere Nummer auf. Die Analyse dieser „Eigenproduktionen“ liefert wertvolle Anhaltspunkte für den weiteren Unterricht. 17
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