Die Karriere des Inkakorns
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Die Karriere des Inkakorns Die Auswirkungen des Exportbooms auf die Landwirtschaft und den Handel in Bolivien Bachelor Thesis 2019 Auftraggeberschaft: Agrarinfo,ch, Frau Hürlimann Christine & Frau Minkner Ulrike Autorinnen: Ramona Mentha & Yasmin Müller Dozent: Prof. Dr. Mathias Binswanger Ort, Datum: Brugg, 08. August 2019
Die Karriere des Inkakorns Die Auswirkungen des Exportbooms auf die Landwirtschaft und den Handel in Bolivien Autorinnen: Ramona Mentha, Schaffhauserstrasse 10, 8006 Zürich Yasmin Müller, Kreuzäckerstrasse 2, 8957 Spreitenbach Auftraggeberschaft: Agrarinfo.ch Frau Christine Hürlimann Toblerstrasse 76 8044 Zürich christine.hurlimann@agrarinfo.ch Dozent: Prof. Dr. Matthias Binswanger Fachhochschule Nordwestschweiz mathias.binswanger@fhnw.ch Bild auf Titelseite: Abb. 1 Quinoaplantage (Junker, 2019)
Die Karriere des Inkakorns Ehrenwörtliche Erklärung Wir versichern, dass wir die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne Benutzung anderer als der im Literaturverzeichnis angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt haben. Die wörtlich oder inhaltlich den im Literaturverzeichnis aufgeführten Quellen und Hilfsmitteln entnommenen Stellen sind in der Arbeit als Zitat bzw. Paraphrase kenntlich gemacht. Diese Bachelorarbeit ist noch nicht veröffentlicht worden. Sie ist somit weder anderen Interessierten zugänglich gemacht noch einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt worden. Zürich, 08. August 2019 Ramona Mentha Yasmin Müller Seite 3 / 77
Die Karriere des Inkakorns Management Summary Hat die westliche Welt durch ihren hohen Quinoakonsum der Bevölkerung in Bolivien geschadet? In den Andenregionen, vor allem Altiplano, gehört Quinoa seit Jahrtausenden zu den Hauptnah- rungsmitteln. Mit der steigenden Nachfrage der westlichen Länder sind auch die Produktion und der Preis drastisch gestiegen. In den goldenen Zeiten des Quinoas stieg der Preis über 85 Prozent. Folglich ist der Export von Bolivien und Peru nach Europa zwischen dem Jahr 2013 und 2015 um 227 Prozent gestiegen. Die Exportwirtschaft wirkte sich unterschiedlich auf die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen aus. Zum einen wurde der Export lukrativ für die Bauern und Bäuerinnen und zum anderen kann ein solcher enormer Preisanstieg eine Bedrohung der Ernährungssicherheit der är- meren Bevölkerung darstellen. Der steigende Mehrwert der Anbauflächen entfacht ebenso einen Konkurrenzkampf zwischen den Kleinbauern und Kleinbäuerinnen und den grossen Produzenten. Das primäre Ziel dieser Bachelorarbeit ist herauszufinden, wie sich der Exportboom explizit auf die kleinbäuerliche Gesellschaft, die Landwirtschaft und den Handel ausgewirkt hat. Daraus werden zum Schluss Handlungsempfehlungen abgeleitet, die aufzeigen wie auf einen solchen Boom rea- giert werden könnte, um den Kleinbauern und Kleinbäuerinnen nicht zu schaden. Durch Literaturrecherchen, diversen Interviews mit Grosshändlern und Grosshändlerinnen, Klein- händlern und Kleinhändlerinnen sowie Forschern, welche direkt oder indirekt mit dem Quinoahandel in Bolivien zu tun haben, konnte herausgefunden werden, wie sich der Quinoaboom auf die Klein- bauern und Kleinbäuerinnen sowie die bolivianische Wirtschaft im Allgemeinen auswirkte. Basierend auf diesen Recherchen konnten Empfehlungen dazu abgegeben werden, was ergänzend zu den bereits unternommenen Handlungen gemacht werden könnte, um den Kleinbauern und Kleinbäue- rinnen einen angemessenen Lebensstandard zu gewähren und somit die Ernährungssicherheit si- cherzustellen. Anhand des Beispiels Quinoa ist zu erkennen, dass nicht jedes Nahrungsmittel, das von den Indust- rieländern in hohem Masse konsumiert wird, einen schlechten Einfluss auf die Bevölkerung hat. Dabei ist die Bevölkerung gemeint, die ursprünglich das landwirtschaftliche Produkt anpflanzte. Die Lebenssituation der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen verbesserte sich grundsätzlich. Ein Zusam- menhang zwischen dem Exportboom des Quinoas und einem vermehrten Landkauf durch Gross- unternehmen und Konzerne konnte, nach Angaben der Autorinnen, nicht nachgewiesen werden. Somit kann ebenfalls eine Machtkonzentration durch die Grossunternehmen im Produktionsbereich Quinoa ausgeschlossen werden. Die Ernährungssicherheit wurde durch die hohen Exportmengen nicht wesentlich bedroht. Lediglich im Gebiet Altiplano kam es zu Fehlernährungen in der Seite 4 / 77
Die Karriere des Inkakorns Bevölkerung, da Quinoa vor dem Boom in diesen Regionen als Grundnahrungsmittel galt. Aufgrund der landwirtschaftlichen Formation von Bolivien war das Interesse an Landübernahmen von Gross- konzernen nicht so gross, wie zum Beispiel in afrikanischen Ländern. Von der ökologischen Seite betrachtet, hatte die Erweiterung der Anbaufläche negative Folgen wie steigende Bodenerosion und Pestizidkontamination. Es wurden viele Weideflächen in Ackerland umgewandelt. Dennoch sind auf- grund des ab 2015 immer weiter sinkenden Quinoapreises und der steigenden Konkurrenz, Hand- lungen aus Sicht der Gesellschaft, NGO’s und der Politik notwendig. Mit der Konsumierung von Fair- Trade Quinoa kann bereits eine einzelne Person, die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen und die nachhaltige Produktion unterstützen. Mit dem stetig wachsenden offenen Welthandel (beispiels- weise die Einigung am 28. Juni 2019 zwischen MERCOSUR und der EU über einen Handelsvertrag) sollen Initiativen, in den jeweiligen internationalen Verträgen, ergriffen werden. In den Verträgen sollen Standards zur Erreichung von Nachhaltigkeit und zum Schutz von Kleinbauern und Kleinbäu- erinnen fest verankert werden. Wie bereits erwähnt sollte auch der Staat handeln, um seinem Volk Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Durch die Unterstützung von Kleinbauern und Kleinbäue- rinnen kann gegen die Ernährungsunsicherheit angekämpft werden. Beispielweise kann die Politik durch die Bezahlung von Ökosystemdienstleistungen den biologischen Anbau und die Reduktion von Monokulturen unterstützen. Unter Ökosystemdienstleistungen wird das Bereitstellen von gefil- tertem Wasser zur Bewässerung der Anbauflächen verstanden. Dies sind nur einige Handlungen die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen schützen und unterstützen. Seite 5 / 77
Die Karriere des Inkakorns Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .................................................................................................................................8 2. Definition Kleinbauern und Kleinbäuerinnen ...........................................................................10 3. Definition Agrarökologie .........................................................................................................12 4. Das Leben der Menschen in Bolivien .....................................................................................14 4.1. Soziokulturelle und ökonomische Charakteristiken ......................................................14 4.2. Ernährungssicherheit ...................................................................................................14 4.3. Landwirtschaftliche Charakteristiken ............................................................................16 4.3.1. Quinoa Produktionsbereiche .......................................................................17 4.4. Die Bedeutung von Quinoa für die Bevölkerung ..........................................................17 5. Von der Subsistenz zum Exporteur ........................................................................................19 5.1. Folgen der Entwicklung zum Exporteur ........................................................................22 5.1.1. Die Auswirkung auf den Wohlstand .............................................................22 5.1.2. Die Auswirkung auf den Import....................................................................24 6. Der Handel und deren Einflüsse .............................................................................................25 6.1. Der Exportboom...........................................................................................................25 6.2. Der Handelsweg – von Bolivien in die Welt ..................................................................27 6.2.1. Finanzierungsmöglichkeiten ........................................................................30 6.3. Die Macht der Weltkonzerne ........................................................................................31 6.4. Handelsabkommen ......................................................................................................33 6.4.1. Zölle und Zollbestimmungen .......................................................................34 6.4.2. Die Beziehung zur Europäischen Union ......................................................35 6.4.3. Die Beziehung zur USA ...............................................................................36 6.4.4. Die Beziehung mit der Schweiz ...................................................................37 6.4.5. Liberalisierung durch Mercosur und der EU ................................................38 7. Politische Einflussnahme auf Exportwirtschaft ........................................................................40 7.1. Politische Grundlagen der Agrarpolitik .........................................................................40 7.2. Handelspolitik ..............................................................................................................41 Seite 6 / 77
Die Karriere des Inkakorns 7.3. Die Rolle des Staatspräsidenten Evo Morales .............................................................41 8. Projekte und Organisationen zur Unterstützung der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen ..........43 8.1. Direktes Unterstützungsprogramm der bolivianischen Politik (CRIAR) .........................43 8.2. Genossenschaften .......................................................................................................44 8.2.1. Ein Genossenschaftsbeispiel anhand von Anapqui .....................................45 8.3. Private Organisationen ................................................................................................47 8.4. Unterstützung der Schweiz ..........................................................................................48 9. Zukunftsaussichten – Fluch oder Segen.................................................................................51 10. Handlungsempfehlungen........................................................................................................53 10.1. Mögliche Handlungen und Interventionen ....................................................................55 10.1.1. Zugang zum Export für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen ...........................55 10.1.2. Liberalisierung des Weltmarktes..................................................................57 10.1.3. Politische Herausforderungen .....................................................................58 10.1.4. Diverse Handlungsempfehlungen................................................................60 11. Schlusswort ............................................................................................................................62 Literaturverzeichnis .......................................................................................................................64 Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................................76 Seite 7 / 77
Die Karriere des Inkakorns 1. Einleitung Das Inkakorn Quinoa hat sich in den letzten Jahren zum absoluten Superfood entwickelt. Das Trend- korn stammte ursprünglich aus Südamerika und wird vor allem in Bolivien und Peru produziert (Meadows, 2017). Zur Verdeutlichung wurde im Jahr 2008 über 92 Prozent der weltweiten Quinoa- produktion durch Bolivien und Peru abgedeckt (FAO, o. J.). Durch den wachsenden Boom stieg auch die weltweite Nachfrage, welche im Jahr 2013 ihren Höhepunkt fand. Im Jahr 2013 bezeichnete die UNO (Vereinte Nationen), auf Bestreben des Staatspräsidenten Evo Morales von Bolivien, als das internationale Jahr der Quinoa (Hoffmann, 2019). Durch die weltweite Nachfrage stieg ab dem Jahr 2006 bis ins Jahr 2014 auch der Marktpreis, welcher einen positiven Einfluss auf das Einkom- men der bäuerlichen Bevölkerung sowie auf die Gesamtwirtschaft hatte. Die Bauern und Bäuerinnen konnten sich dadurch vermehrt Luxusgüter und Lebensmittel wie Fleisch und Gemüse leisten (Diaz, 2015, S. 8). Der Preis verfiel jedoch zu Anbeginn des Jahres 2015, was grosse Konsequenzen für die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen hatte. So konnte sich ein Bauer oder eine Bäuerin im Jahr 2013 ein Auto kaufen, wohingegen sie im Jahr 2015/2016 kaum noch das Benzin bezahlen konnten (Ismar, 2017). Dieses Beispiel verdeutlicht, was für einen Einfluss der Superfood Quinoa auf die kleinbäuerliche Bevölkerung hat sowie den Einfluss eines Trendkorns auf das Wirtschaftssystem in Bolivien. Bis anhin wurde meist im Bereich Entwicklung, Umwelt und Ethik geforscht. Diese Arbeit verfolgt das Ziel die Fragestellung, was für Auswirkungen der Exportboom auf die Landwirtschaft und den Handel in Bolivien hat, beantworten zu können. Zudem konzentriert sich die Arbeit auf die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen. Themen wie das Leben in Bolivien ist, welche Bedeutung Quinoa für die Bevölkerung hat, wie sie in die Wertschöpfungskette des Quinoahandels eingebunden sind, sowie Projekte und Organisationen, welche die kleinbäuerliche Bevölkerung in diesem Wirtschafts- system unterstützen sollen, werden in dieser Bachelorthesis behandelt. Zu erwähnen ist, dass sich diese wissenschaftliche Arbeit primär auf die ökonomischen Komponenten (Veränderungen, Aus- wirkungen) konzentriert. Die ökologischen Auswirkungen werden erwähnt, aber nicht genauer un- tersucht. Ebenfalls liegt beim Handel mit Quinoa der Fokus auf Bolivien. So werden Peru und andere Länder nur im wirtschaftlichen Zusammenhang mit Bolivien erwähnt. Die Analysen beruhen auf ver- schiedenen literaturbasierten Quellen, fachmännischen Auskünfte der einzelnen Autoren und Auto- rinnen sowie Unternehmen und Behörden, welche direkt oder indirekt mit dem Quinoahandel in Bo- livien zu tun haben. Ebenfalls bestehen vor allem die Handlungsempfehlungen aus eigenen Ein- schätzungen der Autorinnen, welche sie aus den literaturbasierten Recherchen ableiten konnten. Zu Beginn dieser Bachelorthesis werden zwei grundlegende Begriffe wie die bereits erwähnten Klein- bauern und Kleinbäuerinnen und die Agrarökologie definiert. Folgend wird auf das Leben der Men- schen in Bolivien sowie auf den Stellenwert von Quinoa näher eingegangen. Danach werden die Folgen der Entwicklung zum Exporteur aufgezeigt. Nachdem folgt das Kapitel der Handel und deren Seite 8 / 77
Die Karriere des Inkakorns Einflüsse. Unter anderem wird in diesem Kapitel der Handelsweg – von Bolivien in die Welt aufge- zeigt, ob überhaupt und wie weit Konzerne und Unternehmen in den Quinoahandel vorgedrungen sind und wie sich der Export in der Landwirtschaft entwickelt hat. Zudem wird auf die Handelsab- kommen eingegangen. Nachfolgend wird im Kapitel 7. der politische Einfluss beschrieben. Zudem werden im folgenden Kapitel wesentliche Organisationen und Projekte vorgestellt. Die Zukunftsaus- sichten im 9. Kapitel sollen aufzeigen, wie sich der Trend nach Einschätzungen von Experten ent- wickeln wird. Abschliessend werden Handlungsempfehlungen abgegeben, inwiefern sich einzelne Teilnehmer (Staat, Finanzinstitute) verhalten sollen, um den Kleinbauern und Kleinbäuerinnen eine optimale Unterstützung zu bieten. Seite 9 / 77
Die Karriere des Inkakorns 2. Definition Kleinbauern und Kleinbäuerinnen Es leben weltweit 1.5 Milliarden Menschen in kleinbäuerlichen Verhältnissen. Eine einheitliche Defi- nition, was unter einem Kleinbauern oder einer Kleinbäuerin verstanden wird, existiert jedoch nicht. Die Messung des Landbesitzes zur Bestimmung eines Kleinbauern oder einer Kleinbäuerin kann aufgrund der Grösse des Landes, wie in Abbildung 2 ersichtlich, irreführend sein. Zudem besteht keine Relation zwischen der Landesfläche und der durchschnittlichen Bauernhofgrösse. So kann beispielsweise ein Bauernhof in Brasilien mit 200 Hektar Fläche als Kleinbauer und Kleinbäuerin angesehen werden, obwohl die durchschnittliche Grösse 63 Hektar beträgt (Beutler, 2017). Da die Definition von agrarökologischen, technologischen, ökonomischen und demographischen Faktoren abhängig ist, wird in diesem Abschnitt der Begriff Kleinbauer und Kleinbäuerin geltend für diese Bachelorarbeit kurz festgehalten. Land Landesfläche Ø Bauernhofgrösse Bolivien 1.098 Millionen km² 1,1 ha Peru 1.285 Millionen km² 1.85 ha Europäische Union 4.5 Millionen km² 12.6 ha Schweiz 41’285 km2 20.0 ha Brasilien 8.514 Millionen km² 63.0 ha USA 9.826 Millionen km² 169 ha China 9.596 Millionen km² 0.78 ha Abb. 2 Eigendarstellung der ø Bauernhofgrösse von ein paar auserwählten Ländern (Gollin, 2018, S. 13), (Bento de Souza Ferreira Filho, 2016), (Scroccob & Pisania, 2016), (EDA Präsenz Schweiz, 2017), (Bundeszentrale für politische Bildung, 2018), (Lexas, 2019), (OECD Food and Agricultural Reviews , 2018) In der Schweiz kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass die Anbaufläche durchschnittlich 20 Hektar misst. Liegen die Bauern und Bäuerinnen unter diesem Mittelwert, werden sie als Kleinbau- ern und Kleinbäuerinnen definiert (B. Küttel, persönliche Kommunikation, 24. April 2019). Im Ver- gleich zu Bauern und Bäuerinnen in Lateinamerika gibt es in der Schweiz nur Kleinbauern und Klein- bäuerinnen. In Bolivien bewirtschaftet ein Kleinbauer und eine Kleinbäuerin im Durchschnitt 0.89 Hektar Land (Rapsomanikis, 2015, S. 5). Gesamthaft betrachtet hat ein durchschnittlicher Bauernhof eine Landfläche von 1.1 Hektar. Es gibt total 0.65 Millionen Kleinbauernhöfe und 0.3 Millionen an- dere Bauernhöfe (Rapsomanikis, 2016, S. 244, 245). Die Definition zur Bestimmung eines Kleinbauern und einer Kleinbäuerin hängt im Allgemeinen nicht von der Grösse des landwirtschaftlichen Besitzes ab. Auch materielle und immaterielle Faktoren haben einen Einfluss. Zum Beispiel haben sie einen eingeschränkten Zugang zur Ausrüstung, Inf- rastruktur und sozialen Dienstleistungen, welche wiederum einen negativen Einfluss haben bzw. die Produktivität verringern. Deshalb werden oftmals zusätzliche Off-Farm-Tätigkeiten ausgeübt. Dieser Seite 10 / 77
Die Karriere des Inkakorns eingeschränkte Zugang zu den erwähnten Produktionsfaktoren lässt sich durch fehlendes Kapital und/oder fehlendes Angebot erklären (Beutler, 2017). Kleinbauern und Kleinbäuerinnen üben bäu- erliche Landwirtschaft aus und deren Bauernhöfe gelten meistens als subsistenzwirtschaftliche Be- triebe. Nach der Meinung von Ploeg, Professor für ländliche Soziologie, befindet sich die heutige Bauernschaft in einer «Grauzone» zwischen unternehmerischer und Subsistenzwirtschaft (siehe Ka- pitel 5 Von der Subsistenz zum Exporteur) (Tschopp, o. J.). Zudem ist zu erwähnen, dass Kleinbauern und Kleinbäuerinnen keinen oder einen schlechten Zu- gang zum Exportmarkt haben (P. Fuhrimann, persönliche Kommunikation, 12.05.2019). Die Situation in der Schweizer Landwirtschaft zeigt, dass die Bauern und Bäuerinnen einen besse- ren Zugang zu Produktionsfaktoren haben als im Ausland, auch wenn sie als Kleinbauern und Klein- bäuerinnen definiert werden. Dennoch sind sie meist in finanzieller Notlage und auf Subventionen angewiesen (Landwirtschaftsverlag GmbH , 2015). Seite 11 / 77
Die Karriere des Inkakorns 3. Definition Agrarökologie Die Agrarökologie ist ein wissenschaftlich fundiertes Konzept1, das den Schwerpunkt auf Agraröko- systeme, auf die Ernährungssicherheit und auf das Menschenrecht der angemessenen Nahrung setzt (von Massenbach, 2019, S. 5). Die Agrarökologie hält Prinzipien d.h. Richtlinien fest, welche die alternativen Agrar- und Ernährungssystemen unterstützen sollen. Da die Agrarökosysteme län- derspezifisch sehr unterschiedlich und komplex sind, ist ein vordefinierter Transformationsprozess nicht möglich. Die Transformationsprozesse basieren auf einem Bottom-up Ansatz. Das bedeutet, dass die Bauern und Bäuerinnen, lokale Bevölkerung, Verarbeiter und Verarbeiterinnen sowie Ver- markter und Vermarkterinnen die Veränderungen selber gestalten können, unabhängig des Staates, der Organisationen und Unternehmen (von Massenbach, 2019, S. 5). Zur Unterstützung der Ag- rarökologie, sollten die heutigen verfehlten Agrar-, Handels-, Forschungs- und Subventionspolitiken schnellstmöglich geändert werden (von Massenbach, 2019, S. 4). Ziel der Agrarökologie ist ein har- monischer Einklang zwischen dem Menschen, den Tieren und der Natur. Zudem fördert das Konzept eine ganzheitliche Wechselwirkung der einzelnen Sphären und nutzt Synergieeffekte. Soziokulturelle Sphäre Die Agrarökologie fördert die Selbstregulierungskräfte des Bodens. Dadurch müssen weniger künst- liche Pestizidmittel eingesetzt werden, welche die Landwirte und Landwirtinnen unabhängiger von externen Betriebsmitteln und somit von den Unternehmen/Konzernen macht (von Massenbach, 2019, S. 6). Durch Verkürzung von Transportwegen und Förderung von Stadt-Landverbindungen können neue Beziehungsnetze zwischen Landwirten und Landwirtinnen, Händler und Händlerinnen und Konsumenten und Konsumentinnen entstehen. Dies unterstützt ein lokaler und vielfältiger Markt. Die Agrarökologie fordert auch einen Schutz für kollektive Besitz- und Bewirtschaftungsformen, um den Bauern und Bäuerinnen, Hirten und Hirtinnen, indigenen Gesellschaften und ländlichen Ge- meinden ihre Unabhängigkeit über die Ökosysteme zu gewährleisten und somit ebenso die Autono- mie der Erzeuger und Erzeugerinnen gegenüber den Grosskonzernen zu stärken. Durch neuorga- nisierte Anbausysteme sind die Bauern und Bäuerinnen anpassungsfähiger gegenüber Krisen wie dem Klimawandel oder Preisschwankungen. Ebenso relevant ist die Gleichberechtigung der Geschlechter, auf welche auch die Politik einen star- ken Einfluss hat. Mit der Gleichberechtigung soll sichergestellt werden, dass sowohl Mann als auch Frau gleiche Entwicklungsmöglichkeiten haben, das bedeutet Zugang zur Bildung und agrarökolo- gischer Beratung (von Massenbach, 2019, S. 6). 1 Ein klar definierter Plan, der länderspezifisch angepasst wird. Seite 12 / 77
Die Karriere des Inkakorns Ökonomische Sphäre Der Aufbau von Beziehungsnetzen zwischen den Erzeugern und Erzeugerinnen und Verbraucher und Verbraucherinnen sowie kurze Transportwege zum Markt fördern eine faire, kurze Vermarktung und gerechte Entlohnung. Durch die Diversifizierung von landwirtschaftlichem Einkommen sind die Bauern und Bäuerinnen autonomer und auch widerstandsfähiger gegenüber der Gesamtwirtschaft. Dies wiederum macht die lokalen Märkte leistungsfähiger und unterstützt die Idealvorstellung einer solidarischen und sozialen Wirtschaft (Delvaux, 2018). Ökologische Sphäre Die Agrarökologie setzt auf einen ökologischen Landbau, welcher die Vielfalt im Boden, das heisst die Bodenfruchtbarkeit bewahren sollte (von Massenbach, 2019, S. 5). Durch die Verbesserung der Bodenqualität, kann der Boden Treibhausemissionen besser speichern und somit verringern. Das kommt wiederum dem Klimawandel zugute. Ebenso wird die Artenvielfalt gefördert, Pflanzen sowie Tiere werden als Ökosystem verstanden und akzeptiert. Durch die neu gewonnene Biodiversität wird das Risiko von Schädlingen und Krankheiten reduziert und wie bereits in der soziokulturellen Sphäre erwähnt, werden die Selbstregulierungs- kräfte gestärkt (von Massenbach, 2019, S. 6). Durch die Förderung eines lokalen Marktes und die kurzen Transportwege, wird die Umwelt durch die Reduktion von Emissionen geschont. Politische Sphäre Durch den Aufbau von Netzwerken wie beispielsweise Bauernorganisationen kann Einfluss auf die Politik ausgeübt werden (von Massenbach, 2019, S. 7). Die gewonnene Beteiligung hilft zudem den Bauern und Bäuerinnen die Kontrolle über ihr Land und ihre Territorien zu behalten (Delvaux, 2018). Die Agrarökologie benötigt ebenso die Unterstützung der Politik durch Schaffung von politischen Rahmenbedingungen und Förderung der bäuerlichen Vermarktung und Diversifizierung sowie Un- terstützung durch Subventionsbeiträge (Delvaux, 2018). Seite 13 / 77
Die Karriere des Inkakorns 4. Das Leben der Menschen in Bolivien 4.1. Soziokulturelle und ökonomische Charakteristiken Bolivien wird im Jahr 2017 als mittelständiges Land mit einem HDI2 von 0.693 eingestuft, und besetzt somit den Platz 118 von 188 erfassten Ländern. Die Schweiz im Gegensatz liegt auf Platz 2 mit einem HDI von 0.944 und wird somit als sehr hoch entwickeltes Land angesehen (UNDP, 2018, S. 22, 24). Im Jahr 2011 lag der HDI noch bei 0.663, wobei 60 Prozent der Bevölkerung unter der nationalen Armutsgrenze lebten (UNDP, 2011, S. 143 & 150). Heute sind es noch 39.5 Prozent, jedoch hat Bolivien immer noch die höchste Armutsgrenze in Südamerika (UNDP, 2018, S. 42). Dies führt auch dazu, dass die Vermögensverteilung in Bolivien im Ungleichgewicht ist. Der Gini-Koeffi- zient lag im Jahr 2010 bei 57.3 und im Jahr 2018 bei 44.60. Eine Verbesserung ist ganz klar zu erkennen, optimal ist die Vermögensverteilung aber nicht. Zur Verdeutlichung liegt der Gini-Koeffi- zient bei 0 ist die Vermögensverteilung perfekt ausgeglichen und bei maximal 100 sehr unausgegli- chen. Die Berechnung des Gini-Koeffizienten geht aus der so genannten Lorenzkurve hervor. Aus der Lorenzkurve lässt sich ablesen, wie das Gesamtvermögen einer Volkswirtschaft auf einen be- stimmten Anteil der Bevölkerung entfällt (z.B. 90 Prozent des Einkommens fallen auf zehn Prozent der Bevölkerung etc.) (UNDP, 2011, S. 136; UNDP, 2018, S. 32). In einem Land, das früher durch eine hohe Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensvertei- lung geprägt war, haben hohe Rohstoffpreise kombiniert mit entsprechender Regierungspolitik zu wesentlichen Verbesserungen geführt. Das Wirtschaftswachstum entwickelte sich in der Zeit von 2006 – 2015 positiv und stieg um fünf Prozent pro Jahr. Ein Grund für das positive Wachstum in diesem Zeitraum ist zum Beispiel die Preisentwicklung von Erdöl und Rohstoffen und das hohe Ex- portvolumen auf dem Weltmarkt. Dies zeigte sich auch in der positiven Haushalts- und Aussenhan- delsbilanz. Jedoch ist davon auszugehen, dass die Entwicklung in den kommenden Jahren zu nied- rigeren Wachstumsraten führen wird. Die zweite Hälfte des Jahres 2015 zeigte einige Schwächen in der bolivianischen Wirtschaft. Dies als Folge des im Jahr 2014 eingetretenen Rohstoffpreisver- falls. Im selben Jahr schliesst Bolivien mit einem Haushaltsdefizit von 3.4 Prozent des BIP ab (Hoffmann, 2019). 4.2. Ernährungssicherheit Wie im obenstehenden Abschnitt erwähnt wurde, hat sich die Einkommens- und Vermögensvertei- lung der Bevölkerung in Bolivien verbessert. Ebenfalls hat sich das Wirtschaftswachstum seit 2006 2 Der «Human Development Index» ist ein zusammenfassendes Mass für die durchschnittliche Leistung in Schlüsseldi- mensionen der menschlichen Entwicklung: ein langes und gesundes Leben, Bildung und einen angemessenen Lebens- standard. Der HDI ist das geometrische Mittel der normalisierten Indizes für jede der drei Dimensionen (UNDP, 2018). Seite 14 / 77
Die Karriere des Inkakorns bis 2015 positiv entwickelt. Wird dadurch der Zugang zu Lebensmitteln in der Bevölkerung erleich- tert? Im folgenden Abschnitt wird vertieft auf die Ernährungssicherheit eingegangen. Ernährungssicherheit ist gegeben, wenn alle Menschen jederzeit physischen, sozialen und wirt- schaftlichen Zugang zu ausreichenden, sicheren und nahrhaften Lebensmitteln haben, um ihre Er- nährungsbedürfnisse und Nahrungspräferenzen für ein aktives und gesundes Leben befriedigen zu können. Die vier Säulen der Nahrungsmittelsicherheit sind Verfügbarkeit, Zugang, Nutzung und Sta- bilität (CFS (Committee on World Food Security), 2009, S. 1). Wie sieht die Ernährungssicherheit in Bolivien aus? Auch wenn Bolivien in den letzten zehn Jahren erhebliche Fortschritte in Bezug auf die wirtschaftli- che und soziale Entwicklung erzielt hat, bleibt es das zweitärmste Land Südamerikas und steht vor einer Reihe von ernährungsbedingten Herausforderungen wie hohe chronische Unterernährung in ländlichen Gebieten, zunehmendem Übergewicht und Fettleibigkeit, insbesondere bei Frauen, sowie eine alarmierende Kinderanämie3. Diese Krankheiten und Fehlernährungen lassen sich dadurch er- klären, dass mehr als die Hälfte der bolivianischen Bevölkerung (total ca. 11 Millionen) in ländlichen Gemeinschaften leben. Zudem werden den Bürgern und Bürgerinnen in ländlichen Gemeinden kein Zugang zu einer Vielzahl von Ressourcen gewährt, beispielsweise zu Nahrungsmitteln, Wasser und Infrastruktur. Zur Verdeutlichung 75 Prozent der bolivianischen Bevölkerung haben keinen regel- mässigen Zugang zu Nahrungsmitteln. Dieser fehlende Zugang ist die Hauptursache für die Ernäh- rungsunsicherheit in Bolivien. Die Landbevölkerung ist stark von der Landwirtschaft abhängig und versorgt sich meistens selbst mit Nahrungsmitteln. Viele Bauern und Bäuerinnen besitzen kleine Grundstücke, die kaum oder gar keinen Zugang zur Infrastruktur oder anderen Nahrungsquellen haben. Häufige Naturkatastrophen können die Landwirtschaft zu einer unzuverlässigen Einkom- mensquelle machen. So verdienen knapp zwei Drittel der Haushalte nicht genug Geld, um sich eine ausreichende Menge an Lebensmittel leisten zu können. Dies hat zur Folge, dass die Haushalte nicht in der Lage sind die Mindestkalorienaufnahme für ein gesundes Leben aufzubringen. Folglich leiden ca. 60 Prozent der Kinder an Unterernährung. Viele arme Familien ernähren sich ebenso unzureichend mit billigen Kohlenhydraten wie Reis oder Mais. Der Hunger in Bolivien hat nicht nur einen Einfluss auf das körperliche Wohlbefinden der Kinder sondern auch auf deren Leistungsfähig- keit in der Schule (Quelle, 2018). Um die Ernährungssicherheit zu erreichen/stabilisieren und das Recht auf Nahrung zu realisieren ist die Grundvoraussetzung die Ernährungssouveränität (La Via Campesina, 1996, S. 1). Die 3 tritt bei einem Mangel an roten Blutkörperchen (Erythrozyten) ein. Dies kann zu gesundheitlichen Problemen führen, da Hämoglobin ein eisenhaltiges Protein ist, das den eingeatmeten Sauerstoff in den gesamten Körper transportiert (kinderblutkrankheiten.de, 2019). Seite 15 / 77
Die Karriere des Inkakorns Grundsätze der Ernährungssouveränität sind der Agrarökologie gleichzusetzen, daher werden sie in dieser Arbeit nicht weiter ausgeführt. Für weitere Informationen siehe Kapitel 3. Definition Ag- rarökologie. Mit dem politischen Umbruch im Jahr 2009, den die Regierung als cambio bezeichnet, wurde eine neue Verfassung juristisch verankert und der Staat offiziell als plurinationaler Staat Bolivien bezeich- net. Der plurinationale Staat anerkennt die Existenz mehrerer ethnischer Identitäten innerhalb seiner Grenzen und deren Unterschiedlichkeit institutionell. Er spricht einzelnen ethnischen Gruppen poli- tische Rechte sowie Autonomie in Bezug auf ein bestimmtes Territorium zu, wodurch diese zu Nati- onen werden. Verbunden sind die einzelnen Nationen durch die gemeinsame Staatsbürgerschaft (Olivia, 2019). In den Artikeln 255, 309, 405 und 407 der Verfassung wurde die Verwirklichung von Ernährungssicherheit mit Ernährungssouveränität für das bolivianische Volk verfasst (Sinuraya, et al., 2017, S. 101). 4.3. Landwirtschaftliche Charakteristiken Bolivien ist mit einer Fläche von 1’098’580 km2 das 28. grösste Land der Welt. Das Land lässt sich in drei topografische Grossre- gionen unterteilen. Dazu zählt das Andenhochland mit dem Al- tiplano und den Andenketten, die innerandinen Trockentäler und Yungas sowie das im Nordosten Boliviens gelegene Tiefland, wel- ches rund zwei Drittel der Landesfläche ausmacht (Hoffmann, 2019). Von der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) im Jahr 2016 geschätzt beträgt die landwirt- Abb. 3 Topografische Grossregionen schaftliche Nutzfläche 37'685'000 km2 und die Waldfläche Bolivien (Hoffmann, 2019) 54'475'000 km2 (FAO, 2016). Zirka 2.8 Millionen Menschen leben auf Kleinbauernhöfe, und pflanzen mehr als 13 Kulturen an. Die Kartoffeln, das traditionelle Grundnahrungsmittel des Landes, machen fast die Hälfte der gesamten Haushaltsproduktion aus. Das Hauptgetreide Mais deckt 17 Prozent ab. Kleinbauern und Kleinbäu- erinnen produzieren jedoch auch anderen Getreidearten wie beispielsweise Reis, Gerste, Weizen und Quinoa sowie Gemüse, Hülsenfrüchte und Obst (Rapsomanikis, 2015, S. 6-8). 83 Prozent der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen gelten als arm (Rapsomanikis, 2015, S. 22). Wohingegen interes- santerweise die Hektarertragskraft bei Kleinbauern und Kleinbäuerinnen höher ist als bei anderen Bauern und Bäuerinnen (Rapsomanikis, 2015, S. 11). Seite 16 / 77
Die Karriere des Inkakorns 4.3.1. Quinoa Produktionsbereiche Das Hauptproduktionsgebiet des Landes ist das Al- tiplano. Im südlichen Teil dieses Plateaus werden grosse Flächen für den Export angebaut, da aufgrund agroökologischer Bedingungen der Anbau anderer Kulturen unmöglich ist. Unter agroökologischen Be- dingungen ist beispielsweise der geringe Sauerstoff- anteil in den Berghöhen gemeint. Die grössten An- bauflächen befinden sich jedoch im zentralen Al- tiplano. Wohingegen der nördliche Altiplano kleinere Anbauflächen mit größerer Kulturvielfalt aufweist. Weitere wichtige Expansionsgebiete sind die interin- dischen Täler, in denen der Boden fruchtbarer ist und Abb. 4 Quinoa-Anbaugebiete in Bolivien (Gandarillas, 2015, S. 353) bessere Ernten erzielt werden können. Ein neueres Interessensgebiet für den Quinoa-Anbau ist die aride und semiaride Puna. Ein weiteres Gebiet sind die östlichen Ebenen (Gandarillas, 2015, S. 352). Wer dieses neue Interessensgebiet für sich ent- deckt und beansprucht hat, ebenso wie man auf das neue Gebiet aufmerksam wurde, konnte nicht herausgefunden werden. Welche landwirtschaftlichen Produkte durch die Quinoa verdrängt wurden und wie die Landverteilung in Bolivien geregelt ist, wird in dem Kapitel 6.3. Die Macht der Weltkon- zerne erläutert. 4.4. Die Bedeutung von Quinoa für die Bevölkerung Wie der vorangegangene Abschnitt erklärt, wird die Quinoa auf grossen Flächen im Altiplano für den Export angebaut. Die Exportwirtschaft hat weitreichende Folgen für die Bevölkerung. Nach der Mei- nung des Experten Wilfried Bommert vom Institut für Welternährung, muss die Bevölkerung aufgrund des hohen Preises, ausgelöst durch die Exportwirtschaft, ihr Grundnahrungsmittel auf Reis oder Mais wechseln. Diese Nahrungsmittel decken jedoch nicht die ernährungsphysiologische Bandbreite der Quinoa ab. Die Folgen daraus können Mangel- und Fehlernährung sein, was, wie bereits er- wähnt, die Ernährungssicherheit gefährdet (Hartmann, 2014). Doch wie sehen dies die Bauern und Bäuerinnen in Bolivien? Ist effektiv eine Umstellung der Grundernährung sichtbar? War die Bedeutung im letzten Jahrhundert noch anders? Wie Katharina Hager in ihrer Masterarbeit "vom Arme-Leute-Essen zum andinen Superfood" berich- tete, spielte das Nahrungsmittel Quinoa für die bolivianische Bevölkerung bis in die 1990er Jahre eine nebensächliche Rolle. In den Städten wurde es sogar als Essen für die Armen assoziiert Seite 17 / 77
Die Karriere des Inkakorns (Hager, 2017, S. 19). Diese Assoziation wertete das Nahrungsmittel Quinoa ab und übertrug sich auf die indigene Bevölkerung. Als Folge sahen diese die Quinoa ebenfalls als Armen-Essen an und bevorzugten bis ins späte 20. Jahrhundert importierte moderne Produkte (Hager, 2017, S. 18). Die Organisation responsAbility berich- Jährlicher Quinoakonsum pro tete in ihrer Fallstudie, dass diverse Un- Kopf (2012) tersuchungen darauf hindeuten, dass 2.5 2.37 das Nahrungsmittel Quinoa in der allge- 2 1.5 1.15 meinen Ernährung der bolivianischen 1 Bevölkerung keinen solchen hohen 0.5 0.13 0.04 0.03 0.02 0.02 Stellenwert hat. Dies zeigt sich darin, 0 dass der Quinoaverbrauch in den An- denregionen sehr überschaubar ist. Je- doch ist der Pro-Kopf-Verbrauch von Abb. 5 Jährlicher Quinoakonsum pro Kopf in kg (2012) (Gandarillas, 2015, S. 325) 0.35 kg im Jahr 2008 auf bis zu 2.00 kg im Jahr 2014 angestiegen (Diaz, 2015, S. 8). Wie in Abbildung 5 ersichtlich, war der Konsum im Jahr 2012 sogar bei 2.37 kg pro Kopf, was deutlich über dem internationalen Quinoakonsum liegt. Ein Grund, weshalb der Konsum gestiegen ist, zeigt sich in der Tatsache, dass nicht die gesamte Produktion von Quinoa die Anforderungen für den Export erfüllt (Diaz, 2015, S. 7). Zudem hat die starke internationale Produktionsausweitung zu einer Ausweitung des lokalen Angebots geführt. Ebenso wurde von den Produzenten erwähnt, dass sie zwar durch den Export weniger Mengen für den Eigenkonsum haben, jedoch mehr Geld für gelegentliche Luxusgüter sowie Fleisch und Gemüse (Diaz, 2015, S. 8). Herr Fuhrimann von der swipala GmbH bestätigt die Aussage der Fallstudie von der Organisation responsAbility, dass die Quinoa keine grosse Bedeutung für die Gesamtbevölkerung hat. Konkret bedeutet dies, dass im Tiefland sogar keine Quinoa gegessen wird und in den Grossstädten wie La Paz, Cochabamba, Santa Cruz ist es ein Nischenprodukt. Jedoch gilt es für die Produzenten der Hochebene Altiplano als Lebensgrundlage (P. Fuhrimann, persönliche Kommunikation, 12.05.2019). Dies ist auch das Gebiet, in welchem Quinoa angebaut wird (siehe Kapitel 4.3. Land- wirtschaftliche Charakteristiken). Seite 18 / 77
Die Karriere des Inkakorns 5. Von der Subsistenz zum Exporteur Durch Veränderung des Statuswandels von Quinoa als Armen-Essen zum modischen internationa- len Gourmetnahrungsmittel der urbanen Bevölkerung, veränderte sich die nationale und internatio- nale Nachfrage (Hager, 2017, S. 51). Ebenso wurde die Quinoa in den 1980er Jahre für die Land- wirtschaftsministerien von Peru und Bolivien interessant, da die Pflanze ein hohes Nährwertpoten- zial hat. Daraufhin wurde mit Unterstützung der Entwicklungsprogramme der Europäischen Gemein- schaft (EG), der vereinigten Staaten und der Weltbank, intensiv in Forschung und Entwicklung in- vestiert. Nachdem die FAO die Quinoa im Jahr 1986 als strategisches Nahrungsmittel der Andenre- gionen deklariert hatte, wurde über "das Korn des Inkas" national und international berichtet (Hager, 2017, S. 18). Das Pseudogetreide wurde als strategisches Nahrungsmittel definiert, da Quinoa ein hohes Potential versprach, für die Ernährungssicherheit zu sorgen. Die Quinoa gilt laut den For- schungen der FAO als sogenanntes «Qualitätsnahrungsmittel». Es enthält besondere Nährwertei- genschaften und der Anbau ist relativ anspruchslos, z. B. braucht die Pflanze sehr wenig Wasser. Der Quinoaanbau ist seither stark angestiegen. Zur Verdeutlichung wurden im Jahr 2002 überwie- gend in den Andenregionen rund 80'000 Hektar für den Anbau von Quinoa verwendet. Als Haupt- produzenten gelten Bolivien und Peru, sodass sie im Jahr 2008 über 92 Prozent der weltweiten Quinoaproduktion abdeckten. Die restlichen acht Prozent wurden in Amerika, Ecuador, Argentinien und Kanada produziert. Dies deckte jedoch die allgemeine Nachfrage der Bevölkerung nach Quinoa in diesen Ländern nicht ab, so mussten sie gar von Bolivien und Peru importieren. Abb. 6 Entwicklung der Produktionsmenge und des Preises von Quinoa in den drei Hauptproduktionslän- der (FAO, 2019) Seite 19 / 77
Die Karriere des Inkakorns Dies wird im Kapitel «Der Exportboom» vertieft. Die Abbildung 6 zeigt einen leichten Rückgang der Produktion im Jahr 2008. Dieser Rückgang lässt sich anhand von Umwelteinflüssen oder sonstigen Einflüssen, die den Output verringert haben könnten, erklären. Folglich sind die Preise im Jahr 2009 gestiegen und haben sich kurz darauf wieder auf dem Vorjahrespreis stabilisiert. Da konkrete Infor- mationen fehlen, basiert diese Erklärung nur auf Annahmen der Autorinnen. Im Jahr 2009 wurden über 70'000 Tonnen Quinoa in den Andenregionen hergestellt (FAO, o. J.). Gemäss obenstehender Grafik stieg das Angebot ab dem Jahr 2009 bis ins Jahr 2012 stetig weiter an (siehe Abbildung 6). Dies ist auf die steigende internationale Nachfrage zurückzuführen, welche durch das zunehmende Gesundheitsbewusstsein der Weltbevölkerung ausgelöst wurde (Diaz, 2015, S. 6). Trotz steigendem Angebot produzierten rund 55‘000 Kleinbauern und Kleinbäuerinnen Quinoa hauptsächlich für den Eigengebrauch, 13‘000 Kleinbauern und Kleinbäuerinnen zusätzlich noch für den Vertrieb und le- diglich 2000 Kleinbauern und Kleinbäuerinnen produzieren Quinoa explizit für den Verkauf. Dabei ist zu beachten, dass die Quinoa zum grössten Teil von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen produziert wird. In Südamerika gibt es mindestens 130‘000 Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, welche Quinoa anpflanzen (Abbassian, 2013, S. 63-64). Abb. 7 Entwicklung der Anbaufläche von Quinoa in Bolivien (FAO, 2019) Durch die steigende Nachfrage, steigt auch das Interesse von Grossunternehmen und Konzerne. Somit besteht die Gefahr, dass die Grossunternehmen/Konzerne das Geschäft der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen durch Landkauf übernehmen. Mehr dazu im Kapitel 6.3. Die Macht der Welt- konzerne. Das Jahr 2013 wurde von den Vereinigten Nationen (UNO) zum „Internationalen Jahr des Quinoas“ (IYQ) erklärt, in Anerkennung der indigenen Völker der Anden, die Quinoa als Nahrung für die heu- tige Generation und deren Nachkommen erhalten und geschützt haben. Die Generalversammlung der UNO wies in der Erklärung zum „Internationalen Jahr des Quinoas“ auf die ernährungs- Seite 20 / 77
Die Karriere des Inkakorns physiologischen Eigenschaften und die Anpassungsfähigkeit des Quinoas an verschiedene ag- rarökologische Bedingungen hin, sowie die Möglichkeit damit Hunger zu bekämpfen und die Ernäh- rungssicherheit zu steigern (FAO, 2013). Die genauen sozioökologischen Auswirkungen des Quinoa-Booms lassen sich, laut Maurice Tschopp, Sabin Bieri und Stephan Rist der Universität Bern, schwer abschätzen (Tschopp, Bieri, & Rist, 2018, S. 402–427). Die Anbaufläche stieg, wie in Abbildung 7 dargestellt, konstant an. Darunter litt vor allem die Viehhaltung. Unmengen von Weide- land wurden für den Quinoaanbau in Ackerland umgewandelt. Dadurch gaben landwirtschaftliche Erzeuger und Erzeugerinnen die Viehhaltung aufgrund des Mangels an vorhandenem Weideland auf. Der Quinoa-Boom stellte viele Regionen vor grosse Herausforderungen, darunter zählen die steigende Bodenerosion4 und Pestizidkontamination5. Trotz des hohen Anstiegs der Produktions- menge, die sich seit dem Jahr 2006 bis 2014 mehr als verdoppelte, konnte das Angebot der hohen Nachfrage nicht standhalten. Dabei ist zu beachten, dass 653'000 Kleinbauernhöfe (Total 0.63 Mil- lionen) 85 Prozent des Lebensmittelbedarfs des Landes decken. Dieses strukturelle Ungleichge- wicht führte zu hohen Preissteigerungen (Diaz, 2015, S. 6). Aber auch die Ankündigung des Inter- nationalen Jahres der Quinoa im Jahr 2013 der Vereinten Nationen, trieb die Preise in die Höhe. In dieser Zeitspanne wurde die Quinoa dadurch etwa viermal teurer als eine Tonne Weizen, Reis oder Soja. Für die Bauern und Bäuerinnen war dieser Preisanstieg sehr lukrativ. So stieg der Anteil an der weltweiten Produktion von Bolivien und Peru in dieser Zeit auf 95 Prozent an (Diaz, 2015, S. 6). Kurz darauf entdeckten auch andere Länder das Potential der Quinoapflanze und stiegen in das Geschäft ein. Im Jahr 2010 waren es total 40 Länder, die Quinoa anbauten und heute sind es über 100 Länder (Muzaffer, 2019). Hohe Preise zu verlangen ist für die Anbieter und Anbieterinnen zwar verlockend, jedoch ist zu beachten, dass kurz darauf mit zunehmendem Wettbewerb um die Res- sourcen wie Arbeitskräfte, Pestizide, Dünger und Maschinen, die Produktionskosten gestiegen sind (Diaz, 2015, S. 6). Obwohl Quinoa ein anspruchsloses landwirtschaftliches Produkt ist, wurde uns durch Herrn Fuhrimann der swipala GbmH mitgeteilt, dass Dünger und Pestizide lediglich für Regi- onen unterhalb der Hochebene Altiplano eingesetzt werden (P. Fuhrimann, persönliche Kommuni- kation, 12.07.2019). Die Autorinnen gehen davon aus, dass daher nur geringe Mengen eingesetzt werden. Die Technologie konnte mit dem Wachstum nicht Schritt halten, insbesondere in Bezug auf die Bewirtschaftung der Bewässerung, die Nutzung von Weiden und Futtermitteln sowie den ökolo- gischen Pflanzenschutz. Der Rückgang des Angebots nach dem Jahr 2015 kann womöglich auch auf die starke Dürre, verursacht durch das Wetterphänomen El Niño/La Niña und Effekte des Klima- wandels zurückzuführen sein (Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten, 2017, S. 1). Im Vergleich zu anderen Bauern und Bäuerinnen in Bolivien ist bei Kleinbauern und 4 Abtrag von Bodenmaterial durch Wind und Wasser. Bodenerosion ist oft eine Folge von Bodenverdichtung (Agrarbericht, 2018). 5 Verschmutzung, Verseuchung, Verunreinigung Seite 21 / 77
Die Karriere des Inkakorns Kleinbäuerinnen die Produktivität pro Hektar grösser, jedoch nicht pro Kopf. Je mehr Familienmit- glieder auf dem Bauernhof arbeiten desto niedriger ist die Pro-Kopf-Produktion und somit auch das landwirtschaftliche Einkommen. Es wurde beobachtet, dass die Familienmitglieder eines Familien- betriebes in ländlichen Gebieten meist überlastet werden, da gut bezahlte Möglichkeiten fehlen. Durch die Überlastung sind auch die Löhne auf den Bauernhöfe niedrig. Dies widerspiegelt sich in einem niedrigen Bildungsniveau. Auf Familienbetrieben arbeiten durchschnittlich 2.5 Personen pro Hektar und auf grösseren Betrieben 0.1 Personen pro Hektar (Rapsomanikis, 2016, S. 247). 5.1. Folgen der Entwicklung zum Exporteur 5.1.1. Die Auswirkung auf den Wohlstand Wie im oberen Abschnitt erwähnt und in der Abbildung 6 ersichtlich, ist der Preis für Quinoa sehr volatil. Die Studie der Organisation „International Trade Centre (ITC) kommt zum Schluss, dass die Bevölkerung in den Anden von ei- nem hohen Weltmarktpreis für Quinoa profitiert und nicht von einem niedrigen. Der Wohlstand der Haushalte in tra- ditionellen Anbaugebieten wie z. B. Altiplano, steigt und fällt mit den Preisen (Bellamare, Gitter, Kasterine, Obregon, & Zotz, 2016). In westlichen Ländern traten Befürchtungen auf, dass der rasche Preisanstieg den armen Anden-Bewohnern eher Abb. 8 Mitglied der Genossenschaft Anapqui (GEPA, o. J.) schadet als nützt, weil sie sich das traditionelle Nahrungs- mittel selbst nicht mehr leisten könnten (öko-Test Magazin, 2017, p. 20). Gemäss den Erläuterungen in Kapitel 4.4. ist dem jedoch nicht so. Aufgrund der höheren Konsumausgaben der Quinoabauern und -bäuerinnen profitierten Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, örtliche Gemeinden und Bewohner der Quinoa-Regionen, welche selbst kein Quinoa anbauten (Bellamare, Gitter, Kasterine, Obregon, & Zotz, 2016). Auch bemerkenswert ist, dass im Gegensatz zu den anderen landwirtschaftlichen Produkten, wie z.B. Sojabohnen, zirka 60-70 Prozent der Gewinne des Quinoa-Exports direkt an die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen gehen. Im Jahr 2013 waren es über USD 100 Mio. (Gandarillas, 2015, S. 350). Die Forschungen von Bellemare und Co. haben gezeigt, dass während des Booms von 2013, das Wohlbefinden von Quinoaproduzenten und Produzentinnen gestiegen ist. Ein Preis- anstieg von zehn Prozent resultierte in einem Anstieg des Wohlstandes von durchschnittlich 0.7 Prozent. Diese Forschungen beziehen sich unter anderem auf den peruanischen Teil des Altiplanos Seite 22 / 77
Die Karriere des Inkakorns (Bellamare, Gitter, Kasterine, Obregon, & Zotz, 2016, p. 13). Da das Altiplano Gebiet grösstenteils zu Bolivien gehört, kann dieses Resultat gut für Bolivien adaptiert werden. Bereits im Jahr 2015 ist der Preis wieder massiv gesunken, zurückzuführen auf die massive Pro- duktionssteigerung. Daraufhin lagerten die Quinoaproduzenten- und produzentinnen die Quinoa ein, in der Hoffnung eines Preisanstiegs. Bei einer solchen Reaktion der Bauern und Bäuerinnen ist die Gefahr eines Preisrückgangs jedoch grösser und trat, wie in der Abbildung 6 ersichtlich ist, auch tatsächlich ein (The Economist, 2016). Fast 70 Prozent der Einwohner und Einwohnerinnen des bolivianischen Hochlandes – von denen die grosse Mehrheit amerindischer Herkunft ist – leben von weniger als USD 1 pro Tag (Diaz, 2015, S. 7). Kleinbauern und Kleinbäuerinnen verdienten im Jahr 2014 ca. USD 4.3 pro Tag, wobei 25 Prozent der grösseren Bauernhöfe USD 5.6 pro Tag verdienen (Rapsomanikis, 2016, S. 250). Für viele dieser Menschen ist Quinoa die wichtigste Einkommens- quelle (Diaz, 2015, S. 7). Zu den Preisen im Jahr 2015 konnten Kleinbauer und Kleinbäuerinnen mit einem Hektar Land einen jährlichen Reingewinn von USD 1‘470 bis 2‘780 erwirtschaften. Mit Fair- Trade Quinoa konnte sogar fast das Doppelte erwirtschaftet werden (Diaz, 2015, S. 12) & (IBCE, 2013, S. 16). Mit einer Anbaufläche von zwei Hektaren können ein Kleinbauer und eine Kleinbäuerin also fast das 1.5-Fache des jährlichen nationalen Mindestlohns erwirtschaften, der im Jahr USD 2014 bei 2‘500 lag (Diaz, 2015, S. 12). Daten bezüglich der Profitabilität sind für die heutige Zeit nicht verfügbar. Im Jahr 2018 ist der jährliche nationale Mindestlohn auf über USD 3‘500 angestie- gen (Trading Economics, 2019). In Relation mit den sinkenden Quinoapreisen ist davon auszuge- hen, dass Quinoa nicht mehr gleich rentabel ist wie in den Jahren 2013/2014. Da die Autorinnen keine Daten für Bolivien gefunden haben soll hier am Beispiel von Peru gezeigt werden, welchen Einfluss sinkende Quinoapreise auf den Wohlstand von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen haben. In Peru gingen in den Jahren 2014 und 2015, in denen die Preise um ca. 40 Prozent gesunken sind die Einkommen in den traditionellen Anbaugebieten um fünf Prozent und die Ausgaben für Nahrung um zehn Prozent zurück (Bellamare, Gitter, Kasterine, Obregon, & Zotz, 2016, p. 13). Zu beachten ist, dass weiter fallende Preise zu einem Verdrängungswettbewerb führen können, den vermutlich die traditionellen Quinoabauern und -bäuerinnen verlieren würden. Spricht man mit Importeuren, welche Fair-Trade Quinoa beziehen, sieht die Profitabilität wieder etwas anders aus. Sowohl swipala GmbH als auch die Fair-Trade-Label Max Havelaar & The Fair Trade Company (GEPA) welche beide mit der Genossenschaft Anapqui zusammenarbeiten (mehr zu Anapqui im Kapitel 8.2.1. Ein Genossenschaftsbeispiel anhand von Anapqui) sagen, dass die Preise für Kleinbauern und Klein- bäuerinnen fair sind und somit für eine angemessene Lebensqualität sorgen (GEPA, o. J.) & (Max Havelaar-Stiftung, 2019). Beispielsweise konnten konventionelle Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in Bolivien ihre Quinoa für weniger als 0,45 USD / kg verkauften, verkauften sie zertifizierte Bio- Produkte erhielten sie USD 0,80 und für zertifizierten Fair-Trade sogar USD 1,30 (Globally Cool - Seite 23 / 77
Die Karriere des Inkakorns International Business Made Easy, 2016, S. 16). Interessanterweise deckt die Bioquinoa 50 Prozent des Welthandels ab. Fair-Trade Quinoa hingegen lediglich fünf Prozent (Globally Cool - International Business Made Easy, 2016, S. 4). Laut Freek Jan Koekoek ist der Abwärtszyklus, der bereits 2014 begonnen hat, im Oktober 2018 zumindest vorübergehend zu Ende gegangen. Hauptgründe für den Preisanstieg sind zum einen die geringere Ernte als erwartetet in Peru und zum anderen die chine- sischen Kaufaktivitäten. Der Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Bolivien hat die Erwartungen an die Chinesen Bioquinoa aus Bolivien zu kaufen, geweckt. China hat seinen Markt für bolivianische Quinoa per Januar 2019 liberalisiert und chinesische Importeure haben in der Tat begonnen, sowohl in Bolivien als auch in Peru Quinoa zu kaufen (Koekoek, 2019). 5.1.2. Die Auswirkung auf den Import Wie im Kapitel 5. Von der Subsistenz zum Exporteur erwähnt, stellte Quinoa einer der grössten Exportgüter im Lebensmittelsektor dar. Nun stellt sich die Frage, ob mehr Lebensmittel importiert werden müssen, wenn die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen nicht mehr überwiegend für ihren Ei- genbedarf produzieren. Die Autorinnen konnten keinen direkten Zusammenhang zwischen der steigenden Importquote und der Quinoa-Produktion herleiten. Wie aus der untenstehenden Tabelle ersichtlich ist, stiegen der Warenexport sowie der Warenimport in Bolivien mit Ausnahme des Jahres 2016. Ein Grund für den Rückgang der Warenexporte in diesem Jahr waren die sinkenden Rohstoffpreise (Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten, 2017, S. 1). Die Importe beschränkten sich haupt- sächlich auf Maschinen, Fahrzeuge, Eisen und Stahl, Kunststoffe und Kunststoffartikel sowie che- mische Produkte (Workman, 2019). Ebenfalls zu erwähnen ist, dass die Quinoa (siehe Kapitel 4.4 Die Bedeutung von Quinoa für die Bevölkerung) nur einen hohen Stellenwert auf der Hochebene Altiplano hat. So gehen die Autorin- nen davon aus, dass die Erhöhung der Exportmenge keine wesentliche Einschränkung auf die Er- nährungsvielfalt für die bolivianische Bevölkerung bedeutet. Aussenhandel 2005 2010 2015 2016 2017 2018 Einfuhr 2.4 5.6 9.6 8.4 9.3 10.0 Ausfuhr 2.8 6.4 8.7 7.1 7.9 9.0 Saldo 0.4 0.8 -0.9 -1.3 -1.4 -1.0 Abb. 9 Entwicklung der Handelsbilanz von Agrarprodukten von Bolivien (2005 bis 2018) (Kusche, 2019, S. 3) & (UNCTADSTAT, 2019) Seite 24 / 77
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