Gene Drives: die neue Dimension der Gentechnik - Anwendungen, Risiken und Regulierung - STOP GENE DRIVES
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INHALT 01 Was sind Gene Drive Organismen? 03 Fortpflanzung der ‚Egoisten‘ 04 CRISPR/Cas9 macht’s möglich 05 02 Mögliche Anwendungsgebiete von Gene Drive Organismen 09 Gene Drives zur Beseitigung von Krankheitsüberträgern 10 Malaria 10 Borreliose 11 Mit Gene Drives gegen invasive Arten 13 Die Diskussion um Gene Drives in der Weltnaturschutzunion (IUCN) 13 Gene Drives in der Landwirtschaft 14 Patentanmeldungen für den Einsatz in der Landwirtschaft 14 Beispiele für Anwendungen in der Landwirtschaft 17 Die Kirschessigfliege 17 Blattflöhe 17 Die Neuwelt-Schraubenwurmfliege 17 Offene Fragen beim Einsatz bei Pflanzen 21 Gene Drive Organismen als Biowaffen 21 03 Ökologische Risiken 23 Unkontrollierbarkeit 24 Unumkehrbarkeit 26 Auskreuzung über Artgrenzen hinweg 26 Unerwartete Effekte von CRISPR/Cas9 27 Resistenzen 27 Unvorhersehbare Auswirkungen auf Ökosysteme 27
04 Gene Drive Regulierung 29 Regulierung von Gene Drive Organismen in Deutschland 30 Gentechniksicherheitsverordnung: Sicherheitsstandards für die Gene Drive Forschung 30 Positionierung des Deutschen Bundesrates 31 Positionierung der deutschen Bundesländer 31 Positionierung des Umweltministeriums 31 Prozess im Deutschen Bundestag 31 Positionierung der deutschen Parteien 32 Forschungsprojekt zu Risikobewertung & Monitoring von Gene Drives im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz 32 Regulierung von Gene Drive Organismen auf EU-Ebene 32 Das Europäische Gentechnikrecht 33 Rechtsauslegung der EU-Freisetzungsrichtlinie in Bezug auf Gene Drive Organismen 33 Risikobewertung durch die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit 34 Empfehlung: Stärkung des Vorsorgeprinzips bei der Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organismen in der EU durch Ausschlusskriterien (EFSA) 35 Regulierung von Gene Drive Organismen auf internationaler Ebene 37 Diskussionen um Gene Drive Organismen bei der CBD 37 Bestimmungen zu Gene Drive Organismen unter dem Cartagena Protokoll 38 Bestimmungen des Nagoya-Kuala Lumpur Zusatzprotokolls über Haftung und Entschädigung bei Schäden durch Gene Drive Organismen 39 Bestimmungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 39 Bestimmungen der UN-Biowaffenkonvention 39 05 Politische Empfehlungen 42 Ein weltweites Moratorium für die Freisetzung von Gene Drive Organismen 43 Rückholbarkeit und Kontrollierbarkeit von Gene Drive Organismen 44 Ein weltweites Verfahren für Entscheidungen über die Freisetzung von Gene Drive Organismen 44 Ein integriertes System der Abschätzung, Bewertung und des Managements von Risiken durch Gene Drive Organismen für Umwelt und Gesundheit 44 Konzepte internationaler, inklusiver Technikfolgenabschätzungen für Gene Drive Organismen 44 Verbindliche und spezifische globale Regeln für Haftung und Entschädigung bei Schäden durch Gene Drive Organismen 45 Globale Meldepflicht für die Forschung an Gene Drive Organismen in geschlossenen Systemen und einheitliche Sicherheitsstandards für die Gene Drive Forschung 45 Ein Verbot der Entwicklung von Gene Drive Organismen mit militärischem Einsatzpotential 45 Abkürzungsverzeichnis 46 Quellenverzeichnis 47 Impressum 57
01 Was sind Gene Drive Organismen?
Mit Hilfe von neuen Gentechnikverfahren wie CRISPR/ Cas9 wurden in den letzten Jahren sogenannte Gene Drives entwickelt, mit denen der Mensch neue Gene im Erbgut wildlebender Tierpopulationen verbreiten kann. Gene Drives erzwingen die Vererbung von neu eingeführten Genen an sämtliche Nachkommen, auch wenn dies die Überlebenschancen der betroffenen Art senkt. Im äußersten Fall könnte die Gene Drive Technologie eine ganze Art in die Ausrottung treiben oder wildlebende Populationen durch gentechnisch veränderte Organismen ersetzen. 4 Fortpflanzung der ‚Egoisten‘ Die Evolution ist ein langsamer Prozess: Es dauert viele diesen genetischen Elementen gefunden: Aus einigen Generationen, bevor sich Veränderungen in der Natur entstanden wichtige funktionale, meist regulatorische durchsetzen. Das liegt auch an der geschlechtlichen Einheiten. In vielen anderen Fällen wurden Mechanis- Fortpflanzung, die das Erbgut in jeder Generation neu men entwickelt, um die ‚springenden Gene‘ im Erbgut kombiniert. Neue Eigenschaften stehen in ständi- stillzulegen. (Mehr dazu siehe Infobox). ger Konkurrenz zu älteren. An die Nachkommen wird jedoch nur eine von beiden weitergereicht. Welche, Auf einem ähnlichen Prinzip beruhen synthetische das bestimmt der Zufall. Gemäß den Mendelschen Gene Drives. Der britische Forscher Austin Burt for- Regeln liegt die Wahrscheinlichkeit, dass eine neue mulierte im Jahr 2003 die Idee, dass Gene sich rasch Eigenschaft an die Nachkommen vererbt wird, bei 50 ausbreiten können, wenn sie konkurrierende Varian- Prozent. Eine höhere Vererbungsrate ergibt sich in der ten überschreiben.1 Der natürliche Evolutionsprozess Regel nur dann, wenn mit den Eigenschaften Vorteile greift dann nicht mehr. für das Überleben der Art einhergehen. Doch nicht alle natürlichen Genanlagen folgen diesen Mit Gene Drives kann der Was sind Gene Drive Organismen? Mendelschen Vererbungsregeln. Bei Pflanzen, Tieren und Menschen gibt es genetische Elemente, die sich mit Hilfe von Enzymen in andere Teile des Erbguts Mensch das Erbgut wilder, kopieren, sich selbständig ausbreiten und damit die Häufigkeit ihrer Vererbung erhöhen. Sie werden häufig freilebender Organismen als natürlich vorkommende Gene Drives bezeichnet. Beispiele sind sogenannte ‚springenden Gene‘ (Trans- verändern und neue Eigen- posone). ‚Egoistisch‘ werden diese Gene deshalb ge- nannt, weil sie sich im Erbgut ausbreiten können, ohne schaften verbreiten, die einzig dass sie der Art nützen. Im Laufe der Evolution haben Pflanzen, Tiere und Menschen einen Umgang mit seinen Zwecken dienen.
CRISPR/Cas9 macht’s möglich Unterschied zwischen ‚egoistischen‘ Gen-Varianten, ‚natürlichen‘ Gene Drives Die Verwirklichung von Burts Idee, egoistische ge- und synthetischen Gene Drives netische Elemente für menschliche Zwecke umzu- funktionieren, scheiterte lange Zeit an technischen Sogenannte ‚egoistische‘ genetische Elemente finden sich im Hürden. Das änderte sich im Jahr 2012, als die Erbgut fast aller Lebewesen. Ihre Vermehrung scheint einem Wissenschaftlerinnen und heutige Nobelpreisträge- Selbstzweck zu folgen. Sie spielen im Rahmen der langen Zeit- rinnen Jennifer Doudna und Emanuelle Charpentier räume der Evolution aber eine wichtige Rolle. Sie tragen zur Ent- das Potential des CRISPR/Cas9 Systems für die stehung neuer Genvarianten bei und können unter Umständen Biotechnologie erkannten.2 In Bakterien dient es als wohl auch die Anpassung an veränderte Umweltbedingungen eine Art Immunsystem zum Schutz vor Viren: Die erleichtern. Zahlreiche Schutzmechanismen schränken die un- CRISPR Sequenz im Erbgut der Bakterien erkennt kontrollierte Vermehrung dieser Elemente im Erbgut ein und be- den Eindringling und aktiviert Enzyme, die das Virus grenzen den Schaden für das Lebewesen. angreifen und sein Erbgut zerschneiden. Transposone gehören zu den häufigsten ‚egoistischen‘ Elemen- Die Forscherinnen erkannten als erste, dass die ten.7 Sie bestehen im Wesentlichen nur aus einem Enzym, das Kombination aus CRISPR Sequenzen und Cas9 sich Kopien des Transposons erstellt und diese an anderer Stelle im dazu nutzen lässt, das Erbgut vieler Lebewesen Erbgut wieder einfügt. Daher stammt auch die Bezeichnung gezielt zu verändern und neue Abschnitte in deren ‚springende Gene‘. Sie wurden ursprünglich von Barbara McClin- DNA einzuschleusen. Es war das fehlende Werk- tock entdeckt, die dafür im Jahr 1983 den Nobelpreis erhielt. 5 zeug, um Burts Idee in die Tat umzusetzen.3 2015 wurde erstmals ein funktionsfähiger CRISPR/ Bei Bakterien wurde eine bestimmte Variante von ‚egoistischen‘ Cas9 Gene Drive bei Taufliegen veröffentlicht.4 In Elementen entdeckt, die homing Endonukleasen genannt wer- den folgenden Jahren waren auch Versuche an den.8 Auch sie bestehen nur aus einem einzigen Enzym und Mücken5 und Mäusen6 erfolgreich. Forscher*innen können sich selbst zielgenau in bestimmte DNA-Sequenzen ein- vermuten nun, dass fast jede Tierart mit einem setzen. Synthetische homing Gene Drives auf Basis von CRISPR/ Gene Drive manipuliert werden könnte. Cas9 wurden nach ihrem Vorbild konzipiert. Gentechnisch konstruierte, synthetische Gene Drives sind hin- gegen künstliche genetische Elemente, die mit bestimmten, vom Menschen vorgegebenen Zwecken und Funktionen einherge- hen. Sie sind nicht durch evolutionäre Prozesse entstanden und angepasst. Sie sind nicht ‚egoistisch‘, sondern dienen mensch- lichen Interessen. Evolutionär etablierte Mechanismen, die die Ausbreitung der ‚springenden Gene‘ kontrollieren, sind hier oft unwirksam. Synthetische Gene Drives setzen so eine „mutagene Kettenreaktion“9 in Gang, deren Folgen kaum kontrollierbar sind. In einigen Publikationen wird von Wolbachia Bakterien als ‚na- türliche‘ Gene Drives gesprochen. Das ist nicht ganz richtig: Bei Wolbachia handelt es sich um eine über Generationen vererb- bare bakterielle Infektion von Insekten.10 Wolbachia Bakterien kommen natürlicherweise in den Zellen bestimmter Insekten, z.B. Fruchtfliegen vor. Sie verringern die Fortpflanzungsfähigkeit der infizierten Insekten. Deshalb wurden mit der Hoffnung der Bekämpfung des Dengue-Fiebers Mücken der Art Aedes aegypti im Labor mit Wolbachia Bakterien infiziert. Dabei stellte man fest, dass bestimmte Wolbachia Bakterien die Übertragung des Den- gue-Fiebers auf Menschen blockieren können.11 Feldversuche mit Wolbachia infizierten Mücken fanden erstmals im Jahr 2011 zu Testzwecken in Australien statt.12 Im Unterschied zu synthe- tischen Gene Drives kommt bei diesem Ansatz keine Gentechnik zum Einsatz. Das bedeutet, dass die mit Gentechnik assoziierten Risiken genetischer Nebeneffekte durch Kreuzung und Interakti- on mit wildlebenden Populationen bei Wolbachia-Interventionen nicht relevant sind.
Die neue Dimension: Der Unterschied zwischen Durch einen Gene Drive können sich somit vom Men- gentechnisch veränderten Organismen und gen- schen verursachte gentechnische Veränderungen technisch veränderten Gene Drive Organismen viel schneller in Wildpopulationen ausbreiten als es herkömmlichen GVO auf Grundlage der natürlichen Seit einigen Jahren finden zu Forschungszwecken auch Frei- Selektionsmechanismen möglich wäre.16 setzungsversuche mit gentechnisch manipulierten Insekten in der Umwelt statt. Beispielsweise hat die Firma Oxitec in Bislang fanden alle Experimente mit gentechnisch Brasilien seit dem Jahr 2011 mehrfach im Labor gentech- konstruierten Gene Drives ausschließlich im Labor nisch veränderten Stechmücken der Art Aedes aegypti frei- oder in geschlossenen Käfigen statt. Doch eigentlich gesetzt, deren gentechnische Veränderung die Mücken oder sind Gene Drives für den Einsatz in der freien Natur ihre Nachkommen fortpflanzungsunfähig machen sollte.13 gedacht. Sie sollen neue Gene in das Erbgut wildle- Ziel dieser Freisetzungen war eine deutliche Dezimierung bender Populationen einführen, auch wenn diese die der Tropenkrankheiten übertragenden Mückenpopulation. Ob Überlebenschancen der betroffenen Tierart senken. das Ziel erreicht wurde, ist umstritten.14 In jedem Fall han- Ziel ihres Einsatzes in der Natur kann sein, die ge- delte es sich bei keiner der vergangenen Freisetzungen um samte Wildpopulation durch gentechnisch veränder- Insekten, die Gene Drives vererben. te Gene Drive Organismen zu ersetzen oder sie zu dezimieren. Im äußersten Fall könnte ein Einsatz die Doch wo liegt der Unterschied zwischen gentechnisch ver- ganze Art in die Ausrottung treiben. änderten Organismen (GVO) und gentechnisch veränderten Organismen, die einen Gene Drive (GDO) vererben? 6 Die neue Dimension der gentechnischen Veränderung von Erste Freilandversuche mit Gene Wildpopulationen mit Gene Drives steht im starken Kontrast zu den bisherigen Zielen, Strategien und Möglichkeiten der Drive Mücken könnten bereits im Gentechnik. Jahr 2024 in Burkina Faso durch- Bislang sollten gentechnisch veränderte Organismen entwe- der keine lebensfähigen Nachkommen erzeugen, nicht lange geführt werden.17 Das wäre ein in der Wildnis überleben können oder sie wurden daran gehin- dert, sich mit wilden Artgenossen zu paaren. Die Anwendung Versuch ohne jede Absicherung: von GVO sollte also außerhalb ihres Entstehungsortes im La- bor räumlich oder zeitlich begrenzt bleiben. Diese gentech- Mechanismen, die einen Gene nisch veränderten Organismen sollten genauso wenig wie ihre veränderten Gene in der Natur überdauern. Drive in der Natur wirksam kont- Mit diesen Überlegungen bricht der Gene Drive Ansatz radikal. rollieren, existieren bislang nur Gentechnisch veränderte Organismen, die Gene Drives verer- ben, haben im Unterschied zu herkömmlichen GVO zum Ziel, in der Theorie. im Labor synthetisierte Gene in Wildpopulationen zu verbrei- ten oder natürliche Gene auszuschalten. Und das auch, wenn dies der Art schadet oder ihr keinen Überlebensvorteil bietet. Normalerweise würden sich diese Gene im Rahmen der natür- Nach heutigem Stand der Wissenschaft wäre der lichen Selektion nicht durchsetzen. Ausgang des Experiments nicht mehr vom Men- schen zu kontrollieren. Alle Manipulationen dieser Gene Drives verlagern den Ort der gentechnischen Verände- Art an Tieren, Pflanzen sowie an ganzen Ökosyste- Was sind Gene Drive Organismen? rung vom Gentechniklabor in die Natur: Im Fall von CRISPR/ men, wären unumkehrbar. Cas9 basierten homing Gene Drives kopiert sich der gentech- nische Mechanismus (CRISPR/Cas9) bei jeder Fortpflanzung eines GDO selbstständig ins Erbgut der wildlebenden Nach- kommen – über Generationen hinweg. Die durch den Gene Drive ausgelöste ‚erzwungene‘ Vererbung auch schädlicher Gene löst eine theoretisch nicht mehr zu stoppende „mutage- ne Kettenreaktion“15 aus.
Wie funktioniert ein homing Gene Drive mit CRISPR /Cas9? Natürliche Vererbung normale normale Maus Maus mit Mutation 50% Chance, die Mutation zu erben Vererbung mit Gene Drive normale Maus mit Maus Gene Drive während der Keim zellent wicklung bis zu 100% erzwungene Vererbung
Zwangsvererbung Wie funktioniert ein CRISPR/ mit Gene Drives Cas-basierter oder homing Gene Drive? Maus mit normale Sogenannte homing Gene Drives auf Basis von CRISPR/ Gene Drive Maus Cas9 sind die häufigste Variante von synthetischen Gene Drives. Ein solcher Gene Drive besteht aus mindestens zwei Komponenten: der Genschere Cas9 und einem Botenmole- kül. Zusätzlich kann noch ein neues oder verändertes Gen mit eingeschleust werden. Der Gene Drive wird zunächst im Labor in das Erbgut des Zielorganismus, z.B. einer Maus 1. CRISPR identifiziert eingeschleust. Dieser Gene Drive wird nach Befruchtung die Zielsequenz. der Eizelle aktiv und identifiziert mit Hilfe des Botenmole- küls eine Zielsequenz im nicht manipulierten Chromosom. CRISPR Dort führt Cas9 einen Doppelstrangbruch herbei. Natürliche Cas9 Reparaturmechanismen in der geschädigten Zelle versu- Gene Drive chen dann, den Bruch mit Hilfe einer Vorlage zu reparieren. evtl. extra ein- Als Vorlage dient der Gene Drive auf dem gentechnisch geschleustes, NEU veränderten Chromosom: Er wird mit hoher Wahrscheinlich- neues Gen keit vollständig kopiert und innerhalb der Zielsequenz auf dem bislang nicht manipulierten Chromosom eingebaut. Dieser zielgerichtete Prozess wird als homing bezeichnet. Zusätzlich zur Integration der Genschere am Zielort können bestehende Gensequenzen ausgeschaltet und / oder neue 2. Cas9 führt zu einem zusätzlich eingefügt werden. Dieser Prozess führt letztend- Doppelstrangbruch an der lich dazu, dass alle Nachkommen eine Kopie des Gene Dri- Zielsequenz. ves erben. Der Gene Drive wird bei jeder Fortpflanzung aufs Neue - auch in allen nachfolgenden Generationen - aktiv NEU und kommt theoretisch erst zum Halten, wenn die Zielse- quenz aus der gesamten Population verschwunden ist. 3. Im Regelfall kopiert der zelleigene Reparaturmecha- nismus den Gene Drive in die Bruchstelle des gegenüber- NEU NEU liegenden Chromosoms. 4. So gut wie alle Keimzellen tragen den Gene Drive (hier z.B. Spermien)
02 Mögliche Anwendungs- gebiete von Gene Drive Organismen
Gene Drives eröffnen zahlreiche neue Anwendungs- möglichkeiten. Aktuell konzentriert sich die Forschung auf drei Gebiete: die Kontrolle von Krankheitsüberträ- gern, das Entfernen invasiver Arten aus empfindlichen Ökosystemen und das Eindämmen sogenannter Schäd- linge in der Landwirtschaft. 10 GENE DRIVES ZUR BE- für die Zertifizierung notwendige dreijährige Malariaf- reiheit zu erreichen. Weitere Faktoren für die erfolg- SEITIGUNG VON KRANK- reiche Bekämpfung der Krankheit sind vor allem ein starker politischer Wille, ein funktionierendes Gesund- HEITSÜBERTRÄGERN heitssystem, eine gute Ausbildung des medizinischen Personals, nationale Programme für Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen, medizinische Überwa- Infektionskrankheiten wie Malaria, Dengue-Fieber und chungsprogramme, schnelle und richtige Diagnose Borreliose werden von Mücken oder Zecken auf den sowie Behandlung und schnelle Reaktionen auf auf- Menschen übertragen. Die Bekämpfung dieser Über- tretende Krankheitsausbrüche.20 Doch es verbleiben träger – auch Vektoren genannt – ist seit langem Teil noch immer 87 Länder, in denen solche Maßnahmen der Krankheitsprävention. Gene Drives sollen diese nicht ausreichend umgesetzt werden konnten. Im Jahr Bemühungen auf eine neue Ebene heben. 2017 erkrankten mehr als 200 Millionen Menschen an Malaria, über 400 000 Menschen starben daran. Am stärksten ist Subsahara-Afrika betroffen, vor allem bei Kindern unter fünf Jahren ist die Sterblichkeit sehr Mögliche Anwendungsgebiete von Gene Drive Organismen Malaria hoch.21 Gene Drives sollen hier Abhilfe schaffen, indem sie die Zahl der Anophelesmücken in Afrika und damit Der Malariaerreger wird durch verschiedene Arten auch die Übertragung der Malaria massiv reduzieren. von Anophelesmücken verbreitet. Ein konzertiertes globales Programm der Malariakontrolle unter Einsatz Eine führende Rolle bei der Entwicklung derartiger von Moskitonetzen, Insektiziden und Medikamenten Gene Drives spielt das internationale Forschungs- hat dazu beigetragen, die Krankheit in vielen Regionen konsortium Target Malaria. Dem Konsortium steht ein der Welt zurückzudrängen und die Zahl der Todesop- Etat von etwa 100 Millionen US-Dollar zur Verfügung, fer im Zeitraum zwischen 2000 und 2015 um etwa das zum großen Teil aus Mitteln der Bill & Melinda die Hälfte zu senken.18 Im Jahr 2016 identifizierte die Gates Foundation22 sowie dem Open Philantrophy Weltgesundheitsorganisation (WHO) 21 Länder mit dem Projekt23 stammt. Potential, bis 2020 das Ziel von null einheimischen Malariafällen zu erreichen. Die Pläne von Target Malaria sind schon so weit, dass erste Modellprojekte in Burkina Faso, Mali, Ghana und Dabei sind bereits 39 Länder als malariafrei zerti- Uganda gestartet wurden. fiziert19, zuletzt Sri Lanka (2016), Paraguay (2018), Algerien (2019) und El Salvador (2021). Auch China, Zur Kontrolle der Mückenpopulationen verfolgt Target Malaysia und der Iran sind auf einem guten Weg, die Malaria zwei unterschiedliche Ansätze:
Ansatz 1: Sterilität erzeugen suchen sie einen Weg, in Anophelesmücken eine Einer zielt darauf ab, sterile weibliche Anopheles- Resistenz zu erzeugen, die den Malariaerreger abtötet mücken durch die Veränderung eines Gens namens und die Infektion von Menschen verhindert.32 Derartige Doublesex zu erzeugen. Mit einem CRISPR/Cas9 Gene Gene Drive Organismen hatten sich in ersten Käfigver- Drive soll diese gentechnische Veränderung in der suchen allerdings nur als eingeschränkt lebensfähig wildlebenden Population verbreitet werden. Im Jahr erwiesen.33 2018 zeigten Versuche in großen Käfigen, dass dieser Ansatz grundsätzlich funktioniert: Der Gene Drive brachte die Population nach etwa zehn Generationen zum Zusammenbruch.24 Borreliose Ansatz 2: Geschlechterteilung verändern In gemäßigten Klimazonen wird über den Einsatz von Der zweite Ansatz von Target Malaria sieht vor, die Gene Drives gegen die Infektionskrankheit Borreliose Geschlechterverteilung der Mücken zu manipulieren, (Lyme-Krankheit) nachgedacht. In den USA breitete sich sodass nur noch männliche Mücken zur Welt kommen. die Borreliose 2018 stark aus und betrifft jährlich etwa 300 000 Menschen.34 Für Deutschland wird nach einer Dieser wird in einem Projekt in Burkina Faso in drei Hochrechnung aus dem Jahr 2017 die Zahl der Neuer- verschiedenen Phasen getestet, bei dem erst in der krankungen auf ungefähr 100 000 pro Jahr geschätzt.35 dritten Phase ein Gene Drive zum Einsatz kommen soll. Auslöser für diese Krankheit sind Borrelienbakterien, 11 In der ersten Phase wurden männliche Mücken mittels die häufig wildlebende Mäuse befallen und von Zecken Gentechnik fortpflanzungsunfähig gemacht.25 Freiland- auf den Menschen übertragen werden. Wird die Infek- versuche mit diesen sterilen Mücken wurden im Jahr tion nicht rechtzeitig erkannt, kann sich eine chroni- 2019 in Burkina Faso durchgeführt.26 Diese Vorversuche sche, schwer behandelbare Krankheit ausbilden. zielen laut Target Malaria darauf ab, Erfahrungen vor Ort zu sammeln und die Bevölkerung in Burkina Faso mit Auf zwei Inseln im Nordosten der USA startete im solchen Versuchen vertraut zu machen. Obwohl Target Jahr 2016 ein Projekt, das die Übertragung der Krank- Malaria darauf hinweist, die lokale Bevölkerung in den heit mithilfe der Gentechnik unterbrechen will. Ziel Entscheidungsprozess eingebunden zu haben, sorgten der Genmanipulation sind nicht die Zecken als Über- bereits die bisherigen Experimente sowohl in Burkina träger, sondern die einheimischen Weißfußmäuse, die Faso und international für Proteste.27 28 in diesen Regionen der wichtigste Wirt für Borrelien sind. Ein Eingriff in das Immunsystem soll die Mäuse In der zweiten Phase sollen die Mücken gentechnisch resistent machen und die Übertragungskette der Bor- so verändert werden, dass sie überwiegend männliche relien unterbrechen. Nach einer Bürger*innenbefra- Nachkommen erzeugen.29 Die über einen sogenann- gung auf den Inseln Nantucket und Martha’s Vineyard ten X-Shredder (siehe Box) eingeführte gentechni- in Massachusetts, USA, lehnte eine Mehrheit den sche Veränderung würde sich nach den Mendelschen Einsatz von Gene Drives ab. Geplant ist stattdessen Regeln vererben. Somit handelt es sich in dieser Phase nun die massenhafte Freisetzung von gentechnisch noch nicht um einen Gene Drive. Um die Mückenpopu- veränderten Mäusen, die sich mit ihren natürlichen lation mit diesen Freisetzungen zu reduzieren, müss- Artgenossen paaren und eine Borrelienresistenz in ten immer wieder im Labor erzeugte gentechnisch ver- die Population einkreuzen sollen. Sollten langfristig änderte Mücken in hohen Mengen freigesetzt werden. jedoch Versuche auf größeren Landmassen geplant werden, stünde der Einsatz von Gene Drive Mäusen Das Ziel von Target Malaria in der dritten Phase ist es, erneut zur Debatte.36 Mücken herzustellen, die den X-Shredder auf dem Y-Chromosom tragen, wodurch alle Nachkommen über Der Einsatz eines Gene Drives und anderer gentech- Generationen hinweg männlich wären und alle den nischer Methoden, die die Übertragung der Borreliose X-Shredder in sich tragen. Die gentechnische Verände- auf Menschen verhindern soll, erfolgt jedoch nicht aus rung breitet sich also wie ein Gene Drive in der gesam- Mangel an Alternativen. Eine Infektion kann bereits mit ten Population aus.30 einfachen Mitteln verhindert werden: durch passende Kleidung, das Auftragen von Anti-Zecken-Mitteln und Während Target Malaria darauf setzt, die Zahl der Mü- regelmäßiges Absuchen des Körpers. Für kurze Zeit war cken zu verringern, gehen Gene Drive Entwickler*innen in der Vergangenheit bereits ein Impfstoff der ameri- an der Universität von Kalifornien in San Diego einen kanischen Firma GlaxoSmithKline (GSK) verfügbar, der anderen Weg. Mit einer Ausstattung von mehreren allerdings aufgrund mangelnden Interesses wieder vom Millionen US-Dollar der indischen Tata-Stiftung31 US-Markt genommen wurde.
Wie funktioniert ein Gene Drive mit X-Shredder? Bei Mücken, die mit einem X-Shredder gentechnisch manipuliert werden, sollen nur männliche Nachkommen geboren werden. Während der Bildung von Keimzellen in Mücken wird ein Enzym produziert, dass das X-Chromo som zerschneidet und damit zerstört. Deshalb werden nur männliche Keimzellen hergestellt, die ein Y-Chromosom weitervererben. Bis zu 95 Prozent der Nachkommen sind also männlich und können den X-Shredder in der Population verbreiten.37 X-Shredder Variante 1 – kein Gene Drive: Wenn der X-Shredder auf einem das Geschlecht nicht bestimmenden Chromosom eingebaut wird, wird er nach den Mendelschen Regeln vererbt und lässt sich vermutlich nach einigen Generationen nicht mehr im Erbgut der Population finden. X-Shredder Variante 2 – Gene Drive: Der X-Shredder wird erst dann zu einem Gene Drive, wenn er auf dem männlichen Y-Chromosom eingebaut wird. Dann könnte er sich theoretisch ähnlich aggressiv in der Population ausbreiten, wie ein CRISPR/Cas-basierter homing Gene Drive. Allerdings treffen solche Forschungsvorhaben aktuell auf biologische Hürden, um einen derartigen Gene Drive mittels X-Shredder zu etablieren: Die epigenetische Regulation der Gene 12 xpression in den Mücken verhindert, dass der X-Shredder auf dem Y-Chromosom aktiviert wird.38 X-Shredder Variante 3 – Gene Drive: Es gibt auch die Möglichkeit, den X-Shredder (Variante 1) mit einem CRISPR/Cas basierten Gene Drive zu kombinieren. Dieser nennt sich dann Sex Dis- torter Gene Drive (SDGD): Paaren sich Weibchen mit Männchen, die den CRISPR/Cas-Gene Drive mit dem gekoppelten X-Shredder in sich tragen, so wird der Gene Drive in das Gen Doublesex integriert, was dazu führt, dass die Entwicklung von fruchtbaren Weibchen verhindert wird. Der zusätzlich integrierte X-Shredder bewirkt, dass während der Bildung der Keimzellen das X-Chro- mosom zerschnitten wird. Es kommt insgesamt zu einer überwiegend männlichen Nachkom- menschaft.39 In der Kombination aus CRISPR/Cas-Gene Drive und X-Shredder sichern sich beide Systeme gegenseitig ab: Sollte ein System ausfallen, funktioniert das andere. Nach Mo- dellrechnungen könnte die Zahl der (beißenden) weiblichen Mücken mit dem Sex Distorter Gene Drive viel schneller reduziert werden, als mit einem ausschließlichen CRISPR/Cas-Gene Drive. Bildung der männlichen X-Chromosom wird „zer- Nur männliche Keimzellen Es werden nur männ Mögliche Anwendungsgebiete von Gene Drive Organismen Keimzelle schreddert“ (inaktiviert) mit einem Y-Chromosom sind liche Nachkommen ge- entwicklungsfähig boren. In Variante 2 und 3 erben alle Männchen den X-Shredder. x y Nach- kommen Illustration in Anlehnung an Illustration in: Galizi, R., Doyle, L.A., Menichelli, M., Bernardini, F., Deredec, A., Burt, A., Wind- bichler, N., Crisanti, A., 2014. A synthetic sex ratio distortion system for the control of the human Malaria mosquito. Nat. Commun. 5, 3977. https://doi.org/1038/ncomms4977
MIT GENE DRIVES GEGEN Ratten, Hermeline und den australischen Fuchsku- su großen Schaden. Mit dem Programm Predator INVASIVE ARTEN Free 2050 verfolgte die neuseeländische Regierung das Ziel, alle invasiven Raubtiere bis zum Jahr 2050 auszurotten. Auf mehr als 100 kleineren Inseln sind die Menschen haben zahlreiche Tierarten auf fremde Maßnahmen bereits erfolgreich gewesen. Um auch auf Inseln und Kontinente verschleppt, wo sie zu einer den Hauptinseln Erfolge zu erzielen, wurde über den ernsten Bedrohung für die einheimische Tier- und Einsatz von Gene Drives nachgedacht. Pflanzenwelt wurden. Große Probleme bereiten beispielsweise eingeschleppte Ratten und Mäuse, Angesichts der Überlegungen, in Neuseeland Gene die kleinere Tiere und die Brut einheimischer Vögel Drives für die Ausrottung invasiver Arten zu nut- erheblich dezimieren. Konventionelle Maßnahmen wie zen, veröffentlichten im Jahr 2017 zwei Gene Drive Jagd, Fallen oder Giftköder konnten invasive Tierarten Entwickler einen Artikel, in dem sie vor vorschnel- von kleinen Inseln vertreiben. Auf größeren Landmas- len Freisetzungen und der Anwendung von Gene sen geraten diese Maßnahmen an ihre Grenzen. Gene Drive Organismen im Naturschutz warnten.43 Drives sollen hier eine Alternative bieten. Seit dem Regierungswechsel im gleichen Jahr herrscht Ob dieser Weg erfolgsversprechend ist, untersucht das in Neuseeland diesbezüglich größere Zurückhaltung. Projekt Genetic Biocontrol of Invasive Rodents (GBIRd), Bevor sich Predator Free wieder mit dem Thema be- das von sieben Universitäten, Behörden und nicht- fasst, sollen erst die zahlreichen technischen, sozialen 13 staatlichen Organisationen aus den USA und Australien und ethischen Erwägungen und regulatorischen Hür- getragen wird. den erforscht und überwunden werden.44 GBIRd will die Frage klären, ob invasive Mäuse durch Gene Drives ausgerottet werden können und unter welchen Bedingungen dieser Eingriff akzep- Die Diskussion um Gene Drives in tabel wäre. Der Großteil des Projekts wird von der US-Militärbehörde Defense Advanced Research der Weltnaturschutzunion (IUCN) Projects Agency (DARPA) mit 6,4 Millionen US-Dol- lar gefördert.40 Angesichts der Möglichkeit, eingeschleppte invasive Arten mittels Gene Drive aus empfindlichen Ökosys- Zu den aktivsten Mitgliedern von GBIRd gehört die kleine temen zu entfernen, diskutiert auch die International Naturschutzorganisation Island Conservation. Seit 25 Union for Conservation of Nature (IUCN), auch Welt- Jahren widmet sie sich dem Schutz von Seevögeln und naturschutzunion genannt, seit Ende 2015 über den hat nach eigenen Angaben bereits 63 Inseln von Nage- Umgang mit dieser Technologie. tieren befreit. Bislang geschah dies mit konventionellen Methoden, doch für weitere Fortschritte hält Island Con- Bei ihrer Mitgliederversammlung im September 2016 servation den Einsatz von Gene Drives notwendig.41 auf Hawaii verabschiedete die IUCN eine Resolu- tion45, mit der sie sich unter anderem selbst den Erste Schritte in dieser Richtung erfolgten an der Auftrag erteilte, einen wissenschaftlichen Bericht Universität von Kalifornien in San Diego, USA, als dort zu den Auswirkungen der synthetischen Biologie 2019 erstmals Gene Drives für Mäuse entwickelt wur- und Gene Drives für den Schutz der Biodiversität zu den.42 Die Entwickler*innen trafen dabei jedoch auf ein erstellen. Auf Grundlage dieses wissenschaftlichen unerwartetes Phänomen: CRISPR/Cas9 konnte zwar Berichts wollte die IUCN ursprünglich bei ihrer dar- den DNA-Strang in allen Versuchstieren schneiden, auffolgenden Mitgliederversammlung im Jahr 2020 doch nur bei Weibchen setzte auch der Reparaturme- eine Position zur Rolle der Gene Drive Technologie chanismus ein, der die neuen DNA-Abschnitte aktiv im für den Naturschutz beziehen. Erbgut verbreitet. Der Gene Drive war also nur in einem der beiden Geschlechter erfolgreich und selbst dort Unter anderem durch öffentlichen Protest und erreichte er nur eine Effizienz von etwa 70 Prozent. Für auf Hinwirken von Koryphäen des weltweiten Natur- die Manipulation freilebender Populationen ist der Gene und Artenschutzes46 verpflichtete sich die IUCN in Drive in dieser Form wohl nicht geeignet. ihrer Resolution aus dem Jahr 2016 darauf, bis zum Vorliegen dieses Berichts von jeglicher Unterstüt- Auch Neuseelands ehemalige Regierung zeigte Inter- zung oder Befürwortung von Forschung, Feldver- esse am Einsatz von Gene Drives. Die einzigartige Flora suchen oder Nutzung der Gene Drive Technologie und Fauna des Landes erleidet durch eingeschleppte abzusehen.
Der Bericht mit dem Titel Genetic frontiers for conser- GENE DRIVES IN DER vation47 wurde im Mai 2019 veröffentlicht und traf sowohl aufseiten von IUCN Mitgliedsorganisationen LANDWIRTSCHAFT als auch aufseiten von Naturschutz- und Entwick- lungsorganisationen aus aller Welt auf harsche Kritik. Eine von der kanadischen Nichtregierungsorgani- Auf lange Sicht könnte die Landwirtschaft das wich- sation ETC Group durchgeführte Analyse48 kam zu tigste Anwendungsfeld von Gene Drives werden. Ein dem Schluss, dass eine Mehrzahl der Autor*innen des Umstand, der von der Öffentlichkeit bislang kaum Berichts bekannte Befürworter*innen der Gentechnik wahrgenommen wird. Patente zu CRISPR/Cas basier- seien und zum Teil aufgrund ihrer wirtschaftlichen ten Gene Drives führen hunderte Tiere und Pflanzen Eigeninteressen an der Entwicklung der untersuchten auf, deren Eindämmung oder Ausrottung die land- Technologien nicht von der IUCN hätten engagiert wirtschaftlichen Erträge steigern könnten. Allerdings werden dürfen. In einem daraufhin von 231 zivilgesell- müssten auf diesem Weg noch einige Hürden über- schaftlichen Organisationen und mehreren Wissen- wunden werden. schaftler*innen unterzeichneten offenen Brief wurde der Bericht als „bedauerlicherweise einseitig“, „vor- eingenommen“ und „ungeeignet für die vorgesehene politische Diskussion“ kritisiert. Dieser Bericht stehe Patentanmeldungen für den nicht im Einklang mit den Vorsorgeerwägungen der Resolution von Hawaii. Die unterzeichnenden Organi- Einsatz in der Landwirtschaft sationen forderten die IUCN deshalb dazu auf, einen 14 weiteren wissenschaftlichen Bericht auf Basis einer Mindestens sechs Patente zu Gene Drives ver- vorsorgeorientierten Analyse der Risiken der Techno- weisen auf konkrete Anwendungen in der Land- logie in Auftrag zu geben und mit einer Beschluss- wirtschaft. Der Fokus liegt auf der Kontrolle von fassung zum Thema bis zum Vorliegen eines solchen Schädlingen und Unkräutern sowie der Rücknah- Gegenberichts zu warten.49 In eine ähnliche Rich- me von Herbizidresistenzen. tung ging die Forderung eines Briefes von 23 IUCN Mitgliedern vom Oktober 2019 an den IUCN Council. Zwei zentrale Anmeldungen stammen von führenden Es brauche mehr Zeit für eine grundlegende, umfas- Entwicklern des CRISPR/Cas basierten Gene Drive, sende, ausgewogene Diskussion auf Grundlage des den Forschungsgruppen um Kevin Esvelt52 und Ethan Vorsorgeprinzips mit größerer Einbindung von IUCN Bier53. Zahlreiche Ansprüche meldet auch ein Patent Mitgliedern vor einer Beschlussfassung der IUCN.50 der Gruppe um Bruce Hay54 an. Meist sind die An- sprüche allgemein gehalten, doch ein Patent enthält Konfrontiert mit dieser Kritik zog der IUCN Council bereits detaillierte Ziele und Methoden, die eine kom- seinen Plan zurück, bereits bei seinem ursprünglich im merzielle Nutzung ermöglichen. Juni 2020 geplanten Mitgliederprozess eine Posi- tion beschließen zu wollen. Stattdessen wurden in Die Kommerzialisierung der Gene Drives steht jedoch einer mitgliederoffenen Konsultation Prinzipien51 für vor einem grundsätzlichen Problem: Ihre Verbreitung Mögliche Anwendungsgebiete von Gene Drive Organismen die Diskussion rund um das Thema festgelegt. Diese lässt sich bislang weder räumlich noch zeitlich ein- sollen beim IUCN Weltnaturschutzkongress im Jahr grenzen. Einzelne Freisetzungen könnten eine gren- 2021 abgestimmt werden und als Grundlage für eine züberschreitende Verbreitung der GDO in benachbarte Positionsfindung zum Thema bis zum darauffolgenden Ökosysteme für Jahrzehnte zur Folge haben. Das klas- Mitgliederkongress dienen. sische Geschäftsmodell der Agrarunternehmen, das auf einen kontinuierlichen Verkauf der Produkte aufbaut, wäre unter diesen Bedingungen nur schwer anwendbar. In der Theorie erscheint der Einsatz in zwei Szena- rien kommerziell interessant: Ein Gene Drive könnte natürliche Resistenzen beseitigen, die Wildpflanzen gegen verbreitete Herbizide entwickelt haben. Ein Agrarunternehmen könnte dann vom gestiegenen Absatz des Herbizids profitieren, weil diese wieder einsatzfähig würden. Ein anderes Szenario wäre, dass große Landwirtschaftsverbände die Entwicklung eines Gene Drive finanzieren, der allen Verbandsmit- gliedern zugutekommt.
Anzahl von Patentansprüchen auf mögliche landwirtschaftliche Gene Drive Anwendungen WO 2015/105928 A1 Titel: RNA-Guided Gene Drives Patentempfänger*innen: Präsident und Stipendiaten des Harvard Colleges Erfinder*innen: Kevin Esvelt, Andrea Smidler Internationales Publikationsdatum: 16. Juli 2015 12 Maisschädlinge 9 Baumwoll- 13 Schädlinge für schädlinge kleinkörniges Getreide 10 „im Rahmen 11 Trauben- 13 Palmen- der vorliegenden Of- schädlinge schädlinge fenlegung“ genannte Sojaschädlinge 16 Schädlinge für 14 Steinobst- 8 Zystennemato- Nachtschattengewächse, schädlinge denarten darunter Paprika, Toma- ten, Auberginen, Tabak, Petunien, Kartoffeln 24 Borken- 11 Schädlinge der 186 käferarten Weichtiergattung Markenherbizide 11 Mottenarten 27 Agrarunterneh- men genannt 112 schädliche Un- 52 „zusätzliche Un- 46 Pestizidsor- krautarten (19 Sorten krautarten im Rahmen der ten, z.B. Atrazin, Wasserunkraut, 5 para- vorliegenden Offenlegung“ Glyphosat, Naptha- sitäre Unkrautsorten, (z.B. Ambrosienkraut, lin, Kupferhydroxid 88 terrestrische Un- Giftefeu, Goldrute) krautsorten) Infografik in Anlehnung an: ETC Group, Heinrich Böll Stiftung (2018). Forcing the Farm. How Gene Drive Organisms Could Entrench Industrial Agriculture and Threaten Food Sovereignty.
WO 2017/049266 A2 Titel: Methods for Autocatalytic Genome Editing and Neutralizing Autocatalytic Genome Editing and Compositions Thereof Patentempfänger*innen: die Regenten der Universität von Kalifornien Erfinder: Ethan Bier, Valentino Gantz, Stephen Hedrick Veröffentlicht: 23. März 2017 301 landwirt- 20 landwirt- 96 landwirt- schaftliche Insekten- schaftliche Milben schaftliche schädlinge Nematoden 68 pflanzenpatho- 48 Insekten- 27 Insekten- gene Nematoden vektoren von schädlinge für Pflanzenpatho Zierpflanzen genen 6 Schädlinge der 18 Trauben- 6 Erbeer- Weichtiergattung schädlinge schädlinge 8 Schädlinge 34 gegen Pestizide für Honigbienen oder Herbizide resistente Unkräuter genannt
Beispiele für Anwendungen Blattflöhe in der Landwirtschaft Weitere potenzielle Zielorganismen für einen Gene Drive sind Blattflöhe. Im Jahr 2005 wurden in Der Einsatz von Gene Drives wäre bei fast jeder den USA erstmals Bakterien nachgewiesen, die Feldfrucht und bei zahlreichen Nutztieren oder Zitrusbäume befallen und deren Früchte unge- sogenannten Schädlingen vorstellbar. In drei nießbar machen. Die Verbreitung erfolgt durch Fällen gibt es bereits konkrete Pläne. eingeschleppte asiatische Blattflöhe (Diaphorina citri), die beim Saugen von Pflanzensaft die Bak- terien aufnehmen und dann weitere Bäume infi- Die Kirschessigfliege zieren können. Innerhalb von drei Jahren hat sich die Krankheit mit Namen Huanglongbing über die Die ursprünglich in Südostasien beheimatete meisten Anbaugebiete Floridas ausgebreitet, die Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) hat sich Produktion von Zitrusfrüchten brach dabei um 70 weltweit ausgebreitet und verursacht erhebliche Prozent ein.60 Europa blieb bislang von der Krank- Ernteausfälle bei zahlreichen Obstsorten. Sie legt heit verschont, eine Verschleppung kann aber nicht ihre Eier in fast reife, unbeschädigte Früchte mit ausgeschlossen werden.61 dünnen Schalen. Im Jahr 2008 erreichte die Kir- schessigfliege Kalifornien und verursachte bereits Die Zitrusfrüchteproduzent*innen in Kalifornien im folgenden Jahr Schäden von über 38 Millio- erwägen zum Schutz ihrer Anbaugebiete unter 17 nen US-Dollar in Kirschplantagen. Berechnungen anderem auch den Einsatz von Gene Drives.62 Eine zufolge können diese Verluste im Westen der USA Möglichkeit wäre die Freisetzung von Gene Drive auf jährlich über 500 Millionen US-Dollar anstei- Blattflöhen, die die Bakterien nicht übertragen gen.55 Seit 2011 tritt sie auch in Deutschland auf können. Ein Forschungsprojekt hierzu wurde 2017 und gefährdet die Ernte von Kirschen, Weintrauben, abgeschlossen und hat eine Reihe von Genen Himbeeren, Brombeeren und Erdbeeren.56 identifiziert, die eine Übertragung verhindern könnten.63 Ein Gene Drive wurde daraus bislang Der Verband der kalifornischen Kirschbauern jedoch noch nicht etabliert. und - bäuerinnen, das California Cherry Board, begann im Jahr 2013, die Forschung für einen Gene Drive mit jährlich 100 000 US-Dollar zu Die Neuwelt-Schraubenwurmfliege finanzieren. 57 Eine Forscher*innengruppe an der Universität von San Diego, USA, entwickelte Die Neuwelt-Schraubenwurmfliege (Cochliomyia einen sogenannten Medea Drive. hominivorax) kommt vor allem auf dem amerikani- schen Kontinent vor und legt ihre Eier in der Nähe Die Nachkommen der Fliegen sind nicht lebens- von Körperöffnungen oder offenen Wunden von fähig. Dies kann nur eins oder beide Geschlechter Säugetieren und Vögeln. Die schlüpfenden Larven betreffen. (Siehe Infobox) fressen sich tief in das Gewebe der befallenen Tiere ein und verursachen schwere Entzündungen. In ersten Laborexperimenten war eine hohe Zahl Die Neuwelt- Schraubenwurmfliege befällt auch von veränderten Fliegen notwendig, um den Medea Nutztiere wie Kühe, Schafe und Ziegen, die ohne Drive in der Population durchzusetzen. Zudem tierärztliche Behandlung an der Entzündung ster- weisen in der freien Natur viele Fliegenpopulationen ben können. 64 Die Schraubenwurmfliege wurde natürliche Resistenzen auf, die eine Verbreitung des in den 1960er Jahren auf dem Festland der USA Medea Drive wohl stark behindern würden. Die For- und in Zentralamerika durch die Freisetzung von scher*innen vermuten daher, dass eine sehr große sterilen männlichen Fliegen ausgerottet. Um eine Zahl von veränderten Kirschessigfliegen freigesetzt Neueinwanderung aus Südamerika zu verhindern, werden müsste, um den Medea Drive für mehrere wurde eine Schutzzone in Panama eingerichtet, Jahre in der Population zu halten. Freilandtests deren Aufrechterhaltung jedoch sehr kostspielig sind bisher noch keine geplant. 58 Das im Jahr 2017 ist. Wissenschaftler*innen der Universität North auf diesen Medea Drive angemeldete Patent gilt Carolina, USA, schlugen daher den Einsatz von auch für andere Arten von tropischen Fruchtfliegen Gene Drives vor. 65 Zudem wäre auch die Ausrot- sowie für Stechmücken der Gattungen Anopheles tung der Schraubenwurmfliege in Südamerika und Aedes, die Malaria und zahlreiche Viruserkran- damit denkbar. Eine internationale Forscher*in- kungen übertragen.59 nengruppe konnte 2019 erstmals CRISPR/Cas9 in der Schraubenwurmfliege anwenden und ein Gen
der Fliege verändern, das für die Entwicklung des Dieser Eingriff ist ein erster Schritt zur Entwick- Geschlechts der Fliegen entscheidend ist. Dadurch lung eines CRISPR/Cas basierten Gene Drive, der entstanden Weibchen, die männliche Geschlechts- die vollständige Ausrottung der Schraubenwurm- merkmale aufwiesen und vermutlich steril waren 66. fliege zum Ziel hätte. Wie funktioniert ein Medea Drive? Ziel eines Medea Drive kann das Ersetzen oder die Dezimierung einer wildlebenden Insektenpopulation sein. Der Medea Drive besteht aus zwei genetischen Komponenten, die nach dem Prinzip von Gift und Gegengift wirken. Als dritte Komponente kann eine neue Genvariante eingefügt werden, die an alle überlebenden Nachkommen vererbt wird. Sowohl Männchen als auch Weibchen können den Medea Drive vererben. Doch das Gift wird nur von der Mutter produziert und in allen Eiern deponiert. Das Gegengift hingegen wird nicht in den Eiern abgelegt, sondern erst in den befruchteten Embryonen gebildet. Damit sich in den vergifteten Eiern Embryonen entwi- ckeln können, muss auch die Erbanlage für das Gegengift in ihrem Erbgut verankert sein. Die Nachkommen sind 18 daher nur lebensfähig, wenn sie den Medea Drive in ihrem Erbgut tragen, der auch das Gegengift produziert. Da die weibliche Fliege nur eine Kopie des Medea Drive besitzt, bekommt nur die Hälfte ihrer Nachkommen ein Medea Drive vererbt. Somit können nur die Hälfte der Nachkommen das Gegengift bilden. Den Medea Drive gibt es mit und ohne CRISPR/Cas basiertem homing Gene Drive.67 Die Gene Drive Version ohne CRISPR/Cas verhält sich vermutlich weniger invasiv.68 Medea Drive: Gift und Gegengift Der Medea Drive ist ein genetisches Element, das Gene für ein „Gift“ und ein „Gegengift“ verbreitet. Weibliche Fliegen, die eine Kopie des Mögliche Anwendungsgebiete von Gene Drive Organismen Medea Drive tragen, deponieren das „Gift“ in all ihren Eiern. Eine Hälfte erbt nur die natürlichen Gene und stirbt. Die andere Hälfte erbt das „Gegen- gift“ und überlebt. Quelle: Volker Henn. https://www.wissensschau.de/synthetische_biologie/gene_drive_medea_daisy_x-shredder.php
Die Gene Drive Landwirtschaft Diese Abbildung illustriert, in welchen Bereichen Gene Drive Organismen für die landwirtschaftliche Anwendung entwickelt oder in Betracht gezogen werden. Gene Drives, um z.B. Blattflöhe aus- Gene Drives zur Ausrottung zurotten, welche die Citrus Greening der Kirschessigfliege, die ihre Krankheit (Huanglongbing) in Zitrus- Eier in reife Früchte, wie z.B. früchten verbreiten. Kirschen legt. Illustration in Anlehnung an „The Gene Drives Farm“ in ETC Group, Heinrich Böll Stiftung (2018). Forcing the Farm. How Gene Drives Organisms Could Entrench Industrial Agriculture and Threaten Food Sovereignty.
Gene Drives, um z.B, Ratten, Mäuse, Schaben und Motten auszurotten, die Getreidesilos befallen. Gene Drives, um z.B. die Neuwelt-Schraubenwurmfliege auszurotten, welche ihre Eier in die Wunden von Kühen legt. Gene Drives, um Nematoden Gene Drives, um auszurotten, die Pflanzen- z.B. die Kohlmotte krankheiten auslösen. zu dezimieren.
Offene Fragen beim Einsatz bei Pflanzen Gene Drive Organismen Theoretisch könnten Gene Drives auch bei Pflanzen als Biowaffen eingesetzt werden. Die U.S. National Academies of Science identifizierte als eines der möglichen Ziele das Eine Freisetzung von Gene Drive Organismen kann Fuchsschwanzgewächs Amaranthus palmeri69, welches großflächige und langanhaltende negative Effekte sich seit den 1990er Jahren in den USA durch den über- für Ökosysteme und Gesellschaften nach sich ziehen. mäßigen Einsatz von Herbiziden wie Glyphosat zu einem Allein deshalb könnte bereits eine Freisetzung von resistenten Super-Unkraut entwickelt hat.70 Amarant- Gene Drive Organismen zu zivilen Zwecken Konflik- hus palmeri gehört zu den zweihäusigen Pflanzen, die te herbeiführen oder zu Missbrauch führen. Auch entweder männliche oder weibliche Blüten ausbilden. die gezielte Entwicklung von Gene Drive Organis- Forscher*innen konnten ein Gen identifizieren, das men zu feindlichen Zwecken ist denkbar.75 die Ausbildung weiblicher Blüten steuert.71 Sollte es möglich werden, dieses Gen durch einen Gene Drive aus- Eine Möglichkeit, wie Gene Drive Organismen als zuschalten, könnten sich nur noch männliche Pflanzen bil- Biowaffen eingesetzt werden könnten, wäre, sie den und eine natürliche Vermehrung unmöglich machen. zur Ausrottung wichtiger Nutzinsekten für die Landwirtschaft in einer bestimmten Region zu Eine andere theoretische Möglichkeit wäre die Rücknah- gebrauchen. me von Resistenzen gegen gängige Pflanzenschutzmit- tel, die dutzende Pflanzenarten entwickelt haben und die Solange sich Gene Drive Organismen und ihre 21 die industrielle Landwirtschaft vor große Probleme stellt. schädliche Wirkung jedoch noch nicht räumlich Hinter diesen Resistenzen stehen genetische Veränderun- oder zeitlich eingrenzen lassen, gibt es wenige gen, die häufig gut erforscht sind und theoretisch durch überzeugende Szenarien für staatliche Gene einen Gene Drive zurückgenommen werden könnten.72 Drive Waffenprogramme. 76 Dennoch – oder gerade deshalb – ist die US-ame- rikanische Militärbehörde Defense Advanced Vor einer Anwendung von Gene Research Projects Agency (DARPA) eine der größten Geldgeberinnen der Gene Drive For- Drives in Pflanzen müssen schung und finanziell in fast jedem Gene Drive Forschungsprojekt involviert.77 noch einige technische Hürden Das DARPA Forschungsprogramm mit dem Titel überwunden werden. Safe Genes setzt sich zum Ziel, die Effekte von frei- gesetzten Gene Drive Organismen in der Umwelt zu steuern, zu begrenzen oder GDO zurückzuholen.78 Pflanzliche Zellen reparieren den Doppelstrangbruch, Im Spektrum zwischen unerwarteten negativen der durch CRISPR/Cas9 in ihrem Erbgut verursacht Effekten von Gene Drive Organismen in der Natur, wurde, meist mit fehleranfälligen Mechanismen.73 Das ihrem Missbrauch und der gezielten Entwicklung verhindert die Ausbereitung des Gene Drive in Pflan- von Gene Drives zu feindlichen Zwecken gibt es zen. Zur Vererbung des Gene Drive an alle Nachkom- zahlreiche Grauzonen. men müsste ein anderer Reparaturmechanismus den Doppelstrangbruch mit Hilfe einer Vorlage reparieren. Zudem haben viele Pflanzen deutlich längere Gene- rationszeiten als Insekten. Die Wirkung eines Gene Drive käme erst nach vielen Jahren zum Tragen. Und letztlich können die Samen mancher Pflanzen jahre- lang in der Erde überdauern und den Durchbruch des Gene Drive deutlich verzögern.74 Die Realisierung eines Gene Drive in Pflanzen ist mit dem aktuellen Wissensstand noch nicht möglich.
Während der Effekt eines Gene Konflikte durch den Einsatz der Gene Drive Tech- nologie in der Umwelt könnten auch durch einen Drive Organismus in einer fehlenden öffentlichen (oder internationalen) Konsens über eine Freisetzung von Gene Drive bestimmten Region als positiv Organismen im eigenen oder in Nachbarländern ausgelöst werden. Entstandene Schäden, wie z.B. eingeschätzt werden könnte, Ernteverluste, Biodiversitätsverlust oder unge- wollte gesundheitliche, soziale oder ökonomische könnten dessen Folgen in Effekte, können zu Konflikten führen, wenn es dafür keine angemessene Entschädigung gibt. anderen betroffenen Regionen Bereits der ungewollte Präsenz eines GDO in einem Land, das einer Freisetzung nicht zuge- als unerwünscht oder negativ stimmt hat, kann zu zwischenstaatlichen Konflikten oder diplomatischen Krisen führen.79 erachtet werden und zu Auf- Aus diesen Gründen beobachten und diskutieren Expert*innen der UN-Biowaffenkonvention das ständen oder Konflikten führen. Thema seit Jahren.80 22 Mögliche Anwendungsgebiete von Gene Drive Organismen
03 Ökologische Risiken
Gene Drives befinden sich in einem frühen Stadium der Entwicklung. Die Diskussion über mögliche Folgen und Risiken ist daher in weiten Teilen noch spekulativ. Doch bereits jetzt zeichnen sich zahlreiche kritische Punkte ab, die vor einer möglichen Freisetzung berücksichtigt werden müssen. 24 Unkontrollierbarkeit Einmal in die Natur freigesetzt, verbreitet sich ein Gene Drive Organismus aktiv in freilebenden Populationen und kann sich rasch über große Distanzen ausbreiten. Einmal in die Natur freigesetzt, Die unüberschaubare Vielfalt der betroffenen natürli- chen Lebensräume und Ökosysteme wird die Vorhersa- verbreitet sich ein Gene Drive ge und Kontrolle möglicher Risiken massiv erschweren. Organismus aktiv in freile- Die US-Akademie der Wissenschaften hatte daher 2016 empfohlen, Gene Drive Organismen zuerst auf kleinen benden Populationen und und abgelegenen Inseln zu testen.81 Modellrechnun- gen zeigen jedoch, dass diese Form der isolierten kann sich rasch über große Erprobung kaum ausreichen würde: Einzelne GDO können durch Wasser, Wind oder unbeabsichtigten Distanzen ausbreiten. Die Transport in andere Regionen gelangen und den Gene Drive weiterverbreiten.82 Zudem könnte der GDO ohne unüberschaubare Vielfalt der Erlaubnis freigesetzt werden, wie ein Präzedenzfall aus dem Jahr 1997 zeigt: In Neuseeland setzten Land- betroffenen natürlichen Le- wirt*innen eigenmächtig ein gefährliches Virus frei, um eine grassierende Kaninchenplage zu bekämpfen.83 bensräume und Ökosysteme Eine Forschergruppe rund um den Gene Drive Entwick- wird die Vorhersage und Kont- Ökologische Risiken ler Kevin Esvelt vom Massachusetts Institute of Tech- nology (MIT) in Boston, USA, arbeitet an einer Gene rolle möglicher Risiken massiv Drive Variante, die in ihrer räumlichen Ausbreitung begrenzbar sein soll. Diesen Gene Drive nennen sie erschweren. Daisy Chain Drive.84 Diese Gene Drive Variante existiert bislang allerdings nur in der Theorie. (Siehe Infobox)
Was ist ein Daisy Chain Drive? Der Daisy Chain Drive ist eine bislang nicht verwirklichte Gene Drive Variante, die auf CRISPR/ Cas9 basiert. Allerdings würde hier der CRISPR/Cas basierte Gene Drive aus einzelnen Elemen- ten bestehen, die sich auf verschiedenen Chromosomen befänden.85 Element C besteht aus der Genschere und einem Wegweiser für B. Element B ist die Genschere Cas9 plus Wegweiser für C. C ist der Zielort des Gene Drive, ein essenzielles Gen, das durch den DNA-Doppelstrang- bruch ausgeschaltet und gegebenenfalls durch ein neues Gen ersetzt wird. Die Komponente C wird nach den Mendelschen Regeln vererbt. Der Prozess soll daher an einem bestimmten Punkt von allein abbrechen, was seine räumliche und zeitliche Verbreitung stark eingrenzen könnte. Standard Gene Drive: A führt zur Vererbung von A A A 25 schneidet repariert W A A A A Daisy Chain Drive: C führt zur B führt zur Vererbung von B Vererbung von C C B A schneidet / W C W B W A repariert W C B B A A Illustration in Anlehnung an: Noble C, Min J, Olejarz J, Buchthal J, Chavez A, Smidler AL, DeBenedictis EA, Church GM, Nowak MA, Esvelt KM (2019). Daisy-chain gene drives for the alteration of local populations. Proc Natl Acad Sci USA 116:8275
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