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2019 III WISO WIRTSCHAFTS- UND SOZIALSTATISTISCHE INFORMATIONEN Schwerpunkt Ambivalente Digitalisierung Das Janusgesicht der Digitalisierung Digitalisierung und Chancengleichheit Kryptowährungen Die Steuern in Österreich Der Tiroler Arbeitsmarkt im 1. Halbjahr 2019
WISO - WIRTSCHAFTS- und SOZIALSTATISTISCHE INFORMATIONEN Ausgabe 2019/ III Arbeiterkammer Tirol Kontakt: Mag. Armin Erger Wirtschaftspolitische Abteilung armin.erger@ak-tirol.com 0800 - 22 55 22 DW 1453
AK Präsident Erwin Zangerl Liebe Leserin, lieber Leser, Die Digitalisierung wird die Menschen in der Arbeitswelt noch lange begleiten und auch die Arbeiterkammer Tirol behält das Thema genau im Auge. So auch in dieser dritten Ausgabe des WISO im Jahr 2019. Der technische Fortschritt hat die Arbeitswelt immer wieder drastisch verändert. Auch wir stehen mitten in einem solchen Umbruch. Dabei gibt es viele Risiken, aber auch Chancen. Im ersten Fachartikel „Das Janus- gesicht der Digitalisierung“ wird dargestellt, dass die Digitalisierung für alle im Wirtschaftsprozess Beteiligten eine zwiespältige Angelegenheit ist. Soll die Veränderung in der Arbeitswelt nicht einfach nur „passieren“, muss über eine technische Entwicklung gesprochen werden, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Frauen und Männer haben - leider - noch immer unterschiedliche Chancen am Arbeitsmarkt und im Beruf. Durch die Digitalisierung könnte mehr Chancengerechtigkeit hergestellt werden, wenn sie richtig genutzt wird, wie im Artikel „Digitalisierung und Chancengleichheit“ ausgeführt wird. Kryptowährungen sind seit einigen Jahren ein großes Thema - auch in der Beratung der Arbeiterkammer Ti- rol. Es stellen sich konsumentenrechtliche und steuerrechtliche Fragen. In dieser Ausgabe finden Sie einen Artikel, der in die Thematik der Kryptowährungen umfassend einführt. Steuern sind natürlich immer eine brennende Angelegenheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ein großer Teil der gesamten Steuerleistung wird nämlich von den Beschäftigten bezahlt und damit viele Leistun- gen des Staates finanziert. Im Artikel „Die Steuern in Österreich“ wird die Entwicklung der einkommensbezo- genen Steuern nachvollzogen und genau analysiert. Den Abschluss dieser Ausgabe des WISO bildet wie üblich ein Überblick über die wichtigsten Entwicklungen am Tiroler Arbeitsmarkt. Wir wünschen Ihnen eine interessante und anregende Lektüre! WISO Seite 3
Inhaltsverzeichnis WISO 2019/ III 5 Einleitung: Digitale Ambivalenz 6 Das Janusgesicht der Digitalisierung Zwiespältige Auswirkungen der Digitalisierung auf Beschäftigte und Produzenten 16 Digitalisierung und Gleichstellung Wie kann die Digitalisierung zur Gleichstellung von Frauen und Männern beitragen? 21 Kryptowährungen Kryptowährungen stellen die Gesellschaft vor Herausforderungen - ein Überblick 31 Die Steuern in Österreich Die Entwicklung einkommensabhängiger Steuern in Österreich und Tirol 47 Der Tiroler Arbeitsmarkt im 1. Halbjahr 2019 Seite 4 WISO
Mag. Armin Erger Digitale Ambivalenz Wie wird sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung in der Regel nicht neu, durch die technologische Ent- verändern? Einiges ist bereits absehbar: das Arbei- wicklung werden diese aber zugespitzt. ten wird flexibler, schneller, effizienter, aber auch anspruchsvoller und komplexer. Die Arbeit wird sich Bislang ist der Diskurs über die Digitalisierung im noch mehr in den digitalen Raum verlagern. Arbeit Wesentlichen gespalten: Während Vertreterinnen wird dadurch transparenter, aber gleichzeitig steigen und Vertreter der Wirtschaft vor allem die positiven die Überwachungsmöglichkeiten. Seiten hervorheben, befürchten die Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer eher negative Folgen. Was für manche wünschenswert klingt - flexibles Ar- beiten! - kann für die anderen, vielleicht aufgrund be- Beides ist notwendig: ein realistischer Blick auf ne- reits gemachter negativer Erfahrungen, einen scha- gative Folgen neuer Technologien, aber auch ein len Beigeschmack haben. Suchen nach Möglichkeiten, diese im Sinne der Menschen und der Verbesserung ihrer Lebenswelt Durch die Debatte zur Digitalisierung zieht es sich einzusetzen. Vor allem scheint dies für die Seite der wie ein roter Faden: Technologien, die potenziell die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer notwendig zu Arbeit einfacher und menschengerechter machen sein. Bislang gibt es wenig positive und wenig kon- können, können genauso gut das Gegenteil bewir- krete „Angebote“ dafür, welche Verbesserungen sich ken. Nämlich, die Arbeitswelt weiter beschleunigen, die große Mehrheit der Menschen durch die fort- automatisierte Dauerüberwachung ermöglichen und schreitende Technologie in ihrer direkten Arbeitsum- damit ein Dauer-Misstrauen bewirken. Gleichzeitig gebung erwarten dürfen. Eher scheint die Arbeitswelt kann die Digitalisierung Unterschiede im Arbeitsle- prekärer, beschleunigter und unsicherer zu werden. ben zwischen Frauen und Männern vergrößern oder eben dazu beitragen, dass diese geringer werden. Zunächst geht es aber darum, sich über den Verlauf der Diskussion über die Digitalisierung klar zu wer- Die Digitalisierung ist für beide Seiten des Wirtschaf- den. In dieser Ausgabe des WISO gehen wir diesen tens - Betriebe und Beschäftigte - ein ambivalenter ersten Schritt und versuchen die Ambivalenz der Di- Prozess. Dem Potenzial positiv auf die Gesellschaft gitalisierung zu ergründen und Dynamiken darin her- zu wirken, stehen auch erhebliche Risiken gegen- vorzuarbeiten. über. Die dahinterliegenden Herausforderungen sind WISO Seite 5
Mag. Armin Erger cc wikicommons Das Janusgesicht der Digitalisierung Der römische Gott Janus wurde in der Antike mit für alle Akteure neu zu verteilen. Technische Ent- zwei Gesichtern dargestellt. Eines der Gesichter war wicklungen, die den Beschäftigten helfen könnten, nach vorne in die Zukunft gerichtet, das andere nach ihr Leben und ihre Arbeit besser auszubalancieren, hinten der Vergangenheit zugewandt. Symbolisch verfügen im selben Zug über das Potenzial, genau steht Janus für die Ambivalenz und Dualität der Din- den gegenteiligen Effekt zu haben. Freiheitsgrade ge. Licht und Schatten, Gutes und Böses, Chancen können durch Technologie erweitert, aber auch ein- und Risiken. Den Römern ging es dabei um die Dar- geschränkt werden. Bessere Kommunikation kann stellung der göttlichen Ordnung der Dinge, wir aber ermöglicht werden, gleichzeitig aber Kontrolle in- wollen uns an originär menschengemachte Prozes- tensiviert. Es ist nicht selbstverständlich, dass der se halten. Die auf das Widersprüchliche verweisende technologische Fortschritt die individuelle und die Symbolik des Janus passt auf beides. kollektive Arbeitswelt menschengerechter macht. Eine weitere Frage ist es, wie sich die Digitalisierung Werden wir aber konkret: Die Digitalisierung könnte auf die Seite der Produzenten, sprich die Seite der den Menschen im Arbeitsprozess in den nächsten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, auswirken wird. Jahren ihr Janusgesicht zeigen. Sie ist dabei, die Ar- Auch für diese ist die Digitalisierung letztlich ein zwie- beitswelt umzukrempeln und Chancen und Risiken spältiger Prozess, der nicht nur Vorteile bringen wird. Seite 6 WISO
Im Gegenteil, es ist davon auszugehen, dass sich dass Computer mit kognitiven Fähigkeiten diese so der wirtschaftliche Wandel beschleunigen wird - mit schnell und unermüdlich verrichten können, wie das Gewinnern und Verlierern. kein Mensch könnte. Wobei „regelgeleitet“ hier nicht mit „einfach“ zu verwechseln ist! Sehr oft stehen Au- Inzwischen wissen doch alle, was Digitalisierung tomatisierungsschritten durchaus noch bedeutende bedeutet, oder? technische Hindernisse gegenüber oder sie sind be- Es scheint müßig, nach Jahren von wissenschaftli- triebswirtschaftlich schlicht noch zu teuer. Aber die cher und medialer Debatte, darüber nachzudenken, technische Entwicklung, verschiebt die Grenze des was die Digitalisierung eigentlich „ist“. Gleichzeitig Möglichen immer weiter hinaus. scheint es aber eine jener Fragen zu sein, die, je ge- nauer man sich mit ihnen beschäftigt, umso schwie- So bleibt die Frage übrig, ob sich das Verhältnis von riger zu beantworten werden. Denn Technologie, Ar- Technologie und Beschäftigung verändert? Über- beitsmarkt und Arbeitswelt beeinflussten sich in der wiegt weiterhin die Komplementarität, d.h. ergänzen Moderne immer schon. Im Kapitalismus kommt dem sich beide Faktoren und wird dadurch zusätzliche Faktor „technischer Fortschritt“ seit jeher eine zentra- Beschäftigung geschaffen? Oder wird Technologie le Rolle als Treiber von Wachstum und Veränderung Beschäftigung in einem zunehmenden Maße substi- zu. Auch der Einfluss digitaler Technologien weist be- tuieren und die Nachfrage nach menschlicher Arbeit reits eine jahrzehntelange Historie auf. Diese reicht gedämpft? In der kurzen Frist scheint es eher der Fall von den ersten, hallengroßen Rechenmaschinen, zu sein, dass sich zwar die Struktur der Beschäftigung über den Desktop-PC, der Einführung des Internets, ändert, weniger aber die Gesamtzahl an Arbeitsplät- bis hin zu jüngeren Entwicklungen im Bereich des zen.ii Mittel- und längerfristig können solche Progno- Maschinenlernens. Hinzu kommt der Strukturwandel se allerdings nicht abgegeben werden, denn ganz (insbesondere in den westlichen Nationen) zu einer generell zielen technische Effizienzverbesserungen wissensbasierten Ökonomie. Dieser Wandel war be- darauf ab, das Ausmaß an notwendiger menschli- reits lange im Gange, bevor überhaupt das Internet cher Arbeitskraft zu reduzieren. Sei es dadurch, dass seinen Weg in die Haushalte und Unternehmen fand.i die bereits vorhandene Arbeitskraft effektiver genutzt Die Frage ist also, ob hinter der aktuellen Diskussion wird und Produktionsausweitungen keine zusätzliche zur Digitalisierung qualitativ neue Entwicklungen ste- Arbeitskraft mehr benötigen oder weil Prozesse in ei- hen? Die Antwort muss wohl, leider etwas unbefrie- nem größeren Ausmaß automatisiert werden und für digend, lauten: Ja und nein. Auf der einen Seite gibt denselben Output weniger menschlicher Arbeitseins- es, wie oben erwähnt, eine beträchtliche Kontinuität, atz notwendig wird. was das Zusammenspiel von Technologie, Produk- tion und Beschäftigung betrifft. Hier kann über die Jahrhunderte und Jahrzehnte, seit dem Beginn der Die Seite der Produzentinnen und Industriellen Revolution, ein weitgehend komplemen- Produzenten täres Verhältnis von Technologie und Beschäftigung attestiert werden: Der Einsatz von mehr Maschinen Beginnen wir mit der Seite der Produzentinnen und schuf letztendlich auch mehr Beschäftigung. Produzenten. Wir verwenden in diesen Zusammen- hang einen offenen Begriff von „Produktion“, der sich Auf der anderen Seite beginnen computergestützte natürlich auf die Herstellung von physischen wie Systeme in Bereichen eingesetzt zu werden, die zu- auch von nicht-physischen Dingen und Dienstleis- vor als primär menschliche Domänen gesehen wur- tungen bezieht. den. Nachdem die Maschinen die Biologie (Mensch und Tier) auf dem Feld der Kraftausübung schon seit Zumindest in der Darstellung nach außen werden Jahrhunderten hinter sich gelassen haben, beginnen von den Interessensvertretern der „Wirtschaftssei- sie nun auch zunehmend kognitiv zu werden. Dies te“ die positiven Seiten der Digitalisierung propagiert: betrifft vor allem das Thema der künstlichen Intelli- Die zunehmende Verlagerung von Betriebs- und genz, also der Simulation intelligenten Verhaltens Produktionsprozessen in den digitalen Raum wür- mittels Maschinenlernens. Dramatische Fortschritte de die Effizienz und die Transparenz von Prozessen in den Bereichen der Muster-, Bild- und Spracher- erhöhen, die Produktion könnte flexibilisiert werden, kennung in den letzten Jahren verweisen auf das Abläufe beschleunigt und/ oder automatisiert werden Potenzial dieser Technologie. Diese Fähigkeiten und für viele Arten von Gütern (v.a. für sogenannte können in so gut wie allen Wirtschafts- und Lebens- digitale Informationsgüter) könnte die Marktreichwei- bereichen Anwendung finden. Regelgeleitete Tätig- te beträchtlich erhöht werden. Wer die Zeichen der keiten lassen sich in vielen Fällen so strukturieren, Zeit früh genug erkennen würde und sich anpasst, WISO Seite 7
cc A. Curell Durch die Digitalisierung verändern sich Gütereigenschaften und die Konkurrenzbedingungen auf den Märkten. Zentrale Erfolgsfaktoren sind Wachstum und Größe. Das macht die Digitalisierung auch für die Produzentinnen und Produzenten zu einem ambivalenten Prozess. könnte sich einen beträchtlichen Vorteil verschaffen. len in den Musikmarkt ein und nehmen mittlerweile Zwei grundlegende Entwicklungen die in die Tiefen- beherrschende Positionen ein. struktur des Wirtschaftens hineinwirken können fest- gehalten: Zum einen können sind dies veränderten Diese Bewegung weg vom Physischen betrifft alle Marktbedingungen und der Größen- bzw. Wachs- Güter deren essenzieller Bestandteil in der ihnen in- tums-Bias. Diese machen die Digitalisierung für Un- newohnenden Information besteht (Ein Beispiel: Der ternehmen schwierig zu navigieren. Nutzen einer Zeitung besteht zum allergrößten Teil aus den in ihr wiedergegebenen Inhalten, welches Veränderte Marktbedingungen Druckpapier verwendet wurde trägt hingegen nur un- Die Konkurrenzbedingungen haben sich für viele Un- wesentlich dazu bei.). Diese Güter werden „Informa- ternehmen im Zeitalter der Digitalisierung verändert, tionsgüter“ genannt. Informationsgüter sind für sich teilweise dramatisch. Dies hängt mit veränderten genommen nichts Neues (ein altägyptischer Papyrus Gütereigenschaften und mit der Ökonomie von Netz- ist nichts anderes), aber erscheinen Informationsgü- werken zusammen. ter in digitaler Form, ändern sich ihre Eigenschaften dramatisch: So müssen digitale Informationsgüter In den letzten Jahren fand eine Bewegung hin zu nur ein einziges Mal hergestellt werden, denn sie digitalen Informationsgütern statt. Das heißt, viele sind ohne Zusatzaufwand und in perfekter Qualität Produkte trennen sich mehr und mehr von ihren phy- beliebig oft vervielfältigbar. Eine entsprechende In- sischen Medien und erlangen so neue Gütereigen- ternetverbindung vorausgesetzt, sind sie immer und schaften, welche neue Marktstrategien ermöglichen. überall verfügbar. Kurz: Sie haben gegenüber physi- Ein besonders plakatives Beispiel ist hier die Musik- schen Gütern enorme Vorteile. industrie. Während früher zum Hören von Musik im- mer ein physischer Informationsträger, z.B. eine CD, Das bringt mit sich, dass die räumliche Dimension für notwendig war, wurde dies mittlerweile großflächig viele Produkte eine immer geringere Rolle spielt. Das vom Streaming abgelöst. Neue Anbieter abseits der kann für kleinere Produzenten Vor- und Nachteile „alten“, sinnigerweise manchmal noch als Plattenin- bringen. Einerseits, weil die eigenen Produkte einen dustrie genannten, Musikindustrie, wie etwa Spotify leichteren Zugang zu neuen Märkten finden (sofern und Apple Music, traten mit neuen Geschäftsmodel- das Unternehmen über genügend Finanzkraft ver- Seite 8 WISO
fügt, diese Chancen auch zu nützen). Andererseits und positives Licht gerückt wird, birgt sie auch für gilt dies natürlich auch für die Konkurrenz, für die es Unternehmen erhebliche Risiken. Erstens dürfte der nun auch leichter wird, am „heimischen“ Markt aufzu- erhebliche Kapitalbedarf, der entsteht, will man die treten. Produzenten, die wenig spezifische Produkte Chancen der Digitalisierung im Vollumfang nützen, und Dienstleistungen anbieten, können in so einen für kleinere und mittlere Betriebe eine große Hür- Fall schnell gegenüber größeren Anbietern von au- de darstellen. Damit einhergehend wird auch der ßen ins Hintertreffen geraten. „Kampf um die besten Köpfe“ weiter intensiviert und auch teurer. Die bereits jetzt schon große und wei- Der zweite Faktor, der zu veränderten Marktbe- ter steigende Nachfrage nach qualifizierten Mitarbei- dingungen führt, ist die Ökonomie der Netzwerke terinnen und Mitarbeitern, welche in der Lage sind, - Netzwerkeffekte. Einfach ausgedrückt, bestehen anspruchsvolle technische Projekte zu konzipieren immer dann Netzwerkeffekte, wenn die vermehrte oder mit komplexen Systemen umzugehen, ist für Verwendung eines Gutes zu einem überproportio- Betriebe ein großes Wachstumshemmnis. nal erhöhten Gesamtnutzen führt. Gut zu illustrieren ist das anhand des Telefons. Wenn nur eine einzige Zweitens dürfte durch die Größen-Bias der Digital- Person ein Telefon besitzt, gibt es niemanden, den wirtschaft der Druck auf lokale Wirtschaftsstrukturen sie anrufen könnte. Sobald aber eine zweite Person tendenziell steigen. Dies ist in sich ein sehr komple- mit einem Telefon hinzukommt, steigt der Nutzen des xer Prozess, denn auch weiterhin wird die räumli- Telefonnetzwerkes dramatisch an. Wenn noch eine che Dimension, die ja auch immer einen kulturellen dritte, vierte und fünfte Person hinzutritt, so steigt die Aspekt hat, das Marktgeschehen strukturieren und Anzahl der möglichen Verbindungen überproporti- begrenzen. Aber, in dem Ausmaß, in dem die digi- onal an. Dieselbe Logik befeuerte den Anstieg der tale und informative Dimension von Gütern wichtiger Plattformökonomie und führte zum kometenhaften wird, werden die räumlichen Grenzen immer weniger Aufstieg von Schlüsselakteuren der Digitalisierung zum Hindernis. Die „Schutzfunktion des Räumlichen“ wie Google, Facebook und Amazon. Netzwerkef- für lokale Wirtschaftstreibende wird deshalb abneh- fekte sind auch der Grund, warum Plattformen wie men. Booking.com, Airbnb u.ä. so schnell dominierende Positionen in ihren jeweiligen Branchen einnehmen Das Potenzial zur „schöpferischen Zerstörung“ des konnten.iii Kapitalismus, wie es der berühmte österreichisches Ökonom Joseph Schumpeter so treffend formulier- Größen- und Wachstums-Bias te, wird durch die technologische Entwicklung in Beides zusammengenommen, digitale Informati- der Digitalisierung vergrößert. Allerdings verstand onsgüter und Netzwerkeffekte, führen dazu, dass Schumpeter darunter vor allem den Auf- und Ab- in vielen Märkten der Digitalwirtschaft eine Dynamik stieg verschiedener Akteure im Wirtschaftsleben im Fuß gefasst hat, welche sehr schnelles Wachstum Zeitverlauf. Heute werden eher die monopolartigen und Größe erfordert, um zu reüssieren. Amazon z.B. Tendenzen der Digitalwirtschaft diskutiert, die dazu schrieb über Jahre nach seiner Gründung Verluste, führen, dass die „Platzhirsche“ immer mehr an Markt- um im Markt eine kritische Größe zu erlangen. Der macht gewinnen und potenzielle Konkurrenten auf- Taxidienst UBER, dessen „Marktwert“ schwindeler- kaufen oder vom Markt drängen können, bevor diese regende Milliardensummen erreicht, war überhaupt zur Gefahr für die eigene Position werden. So scheint noch nie profitabel. Das heißt, es ist ein massiver diese „schöpferische Zerstörung“ vor allem von Ak- Kapitalaufwand notwendig, um einen Markt zu be- teuren auszugehen, die davon - zumindest kurzfristig herrschen. Gelingt es aber, eine dominante Stellung - selbst nicht als unmittelbar gefährdet scheinen. einzunehmen, haben Mitbewerber, aufgrund der Netzwerkeffekte, extreme Schwierigkeiten, Fuß zu fassen. Diese Dynamiken setzen sich zunehmend in Die Seite der Arbeitnehmerinnen Teilmärkten durch. Die Gegenstrategie, selbst rasch und Arbeitnehmer groß zu werden oder sehr spezifische Nischenmärk- te zu bedienen, in denen Mitbewerber nur schwer Ambivalent präsentieren sich die absehbaren Ent- Fuß fassen können, steht aber längst nicht allen An- wicklungen der Digitalisierung auch für die Seite der bieterinnen und Anbietern offen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Neben den makroökonomischen Einflüssen der Digitalisierung Zusammenfassend: Die Produzentenseite auf den Arbeitsmarkt (das betrifft v.a. die Frage, ob Obwohl die Digitalisierung von Interessensvertretern die Digitalisierung die Nachfrage nach Arbeit erhöht der Wirtschaftsseite oft in ein sehr optimistisches oder verringert), soll dies exemplarisch anhand von WISO Seite 9
zwei Entwicklungen darge- der Menschen flexibler und stellt werden: Einerseits, transparenter geworden. was die Flexibilisierung des Beispielsweise dadurch, Faktors Arbeit betrifft, an- dass es mittels Jobplattfor- dererseits hinsichtlich der men im Internet sehr viel ein- Frage der Überwachung am facher geworden ist, Joban- Arbeitsplatz. gebote zu suchen und die passenden herauszufiltern. Örtliche und zeitliche Fle- Die überörtliche bzw. inter- xibilität: positive Lesart nationale Arbeitsplatzsuche Betrachten wir zunächst die ist ebenfalls leichter ge- absehbaren Entwicklungen worden, weil Jobannoncen in der Digitalisierung, welche nach Ländern, Regionen sich positiv auf die Situation und Städten gefiltert werden der Beschäftigten auswirken können. Hinzu kommt noch könnten. Hierzu gehört, dass die Möglichkeit des tatsäch- durch digitale Technologien lichen „Telearbeitens“, d.h. zeitlich und örtlich flexibles für ein Unternehmen tätig Arbeiten viel leichter umsetz- zu werden, das örtlich nicht bar wäre. Es ist eine ganze in der Nähe ist. Potenziell Reihe von Lebenssituationen steigt dadurch die Auswahl vorstellbar, in denen es von an Arbeitsmöglichkeiten be- Vorteil ist, wenn die Arbeit trächtlich. Im größeren Maß- nicht in ein enges zeitliches stab hat sich das Prinzip der und/oder örtliches Korsett Telearbeit allerdings bislang gebunden ist. nicht durchgesetzt. Dies beginnt bei der Be- Zwar repräsentieren diverse treuung von Kindern, über Formen von Crowdwork ein die Pflege von bedürftigen solches Konzept des Telear- Angehörigen, bis schlicht beitens, aber diese können hin zur persönlichen Frei- derzeit nicht als qualitätsvol- zeitgestaltung. Zwar kann le Entwicklung der Arbeits- nicht jegliche Arbeit zeitlich welt gelten. Die Entlohnung flexibel verrichtet werden, ist bei Crowdwork in den aber ein beträchtlicher Teil meisten Fällen sehr gering der heutigen Jobs hat zu- und soziale Absicherung mindest Bestandteile, die gibt es in der Regel auch innerhalb gewisser Grenzen nicht, da Crowdworker und nicht an straffe zeitliche Vor- -workerinnen als Selbständi- gaben gebunden sind. Auch ge gelten. der Ort, an dem die Arbeit erbracht wird, ist im Grunde Dies ist, zusammengefasst, oft unerheblich, solange ein die positive Lesart der zeit- großer Teil der Tätigkeit auf lichen und örtlichen Flexibi- einem Computer mit Interne- Keine alte Welt der Arbeit mehr: lität: Die Menschen können tanschluss gemacht werden Die Digitalisierung wird vieles verändern. es sich vermehrt aussuchen, kann. Denn, beispielsweise, wann und wo sie ihre Arbeit für die Richtigkeit einer Jahresbilanz ist es grund- verrichten möchten und sie können sie besser an sätzlich einmal egal, ob sie im Büro oder am heimi- die eigenen persönlichen Lebensverhältnisse und schen Küchentisch erstellt wird. -notwendigkeiten anpassen. Darüber hinaus gibt es auch dank des technologischen Fortschrittes trans- Die örtliche und zeitliche Flexibilität von digitalem Ar- parentere und offenere Arbeitsmärkte als zuvor. Alle beiten kann aber noch eine Stufe weiter gedacht wer- profitieren, oder? den. Auch die Arbeitsmärkte sind durchaus im Sinne Seite 10 WISO
Flexibilität: die negative Lesart Privatzeit durchlässiger werden und erfordert von den Die Flexibilisierung der Arbeitswelt ist eines der größ- Individuen eine erhebliche Planungs- und Abgren- ten Konfliktfelder zwischen den Vertretern der „Wirt- zungsleistung. Die Erledigung der Arbeit will geplant schaft“ und den Ansprüchen der Arbeitnehmerinnen sein, Zeiträume müssen dafür geschaffen werden und Arbeitnehmern. Hier prallen gegensätzliche und die mannigfaltigen Möglichkeiten der Ablenkung Interessenslagen aufeinander, welche Fragen der minimiert werden. Dies, so die These, führt zu einer konkreten Lebensgestaltung, meist der Arbeitszeit, grundsätzlichen Mehrbelastung der Arbeitnehmerin- betreffen. Konfliktreich ist die Thematik deshalb, weil nen und Arbeitnehmer, die Energie für diese Selbst- in der Gestaltung auch die realen Machtverhältnisse organisationsanforderungen aufbringen müssen und eine entscheidende Rolle spielen. Die Frage ist, ob sich entsprechende Kompetenzen aneignen müs- Flexibilisierung beiden Seiten, den Arbeitnehmerin- sen. Erholungsphasen müssen „erkämpft“ werden nen und Arbeitnehmern und den Betrieben zugute- und andere Lebensbereich aktiv abgegrenzt werden. kommt, oder ob Flexibilität vor allem einer Seite ab- Technologien, welche die, ökonomisch gesprochen, verlangt wird. die Transaktionskosten des flexiblen Arbeitens sen- ken, verschärfen diese Problematik. Grundsätzlich Zunächst hat die Spannungsgeladenheit nichts mit gilt dies für alle Lebensbereiche, weshalb eine mo- den jüngeren Entwicklungen innerhalb des Prozes- nokausale Zuordnung der Problematik zur Arbeit, si- ses zu tun, den wir Digitalisierung nennen, sondern cherlich falsch wäre. Aber, „Arbeit“, vor allem in Form diese ist eine grundsätzliche Dynamik in der Arbeits- von (un-)selbständiger „Erwerbsarbeit“ nimmt eine welt. Die Verbreitung mobiler, internetfähiger Geräte, besondere Stellung in der Lebensführung so gut wie spätestens seit dem Aufkommen des Smartphones, aller Menschen ein und trägt wesentlich zu einer ho- hat aber die Thematik zusätzlich verschärft, weil Ar- hen oder eben verminderten Lebensqualität bei. beits- und Privataktivitäten durch diese Technologien ineinanderfließen (können). Überwachung Die Verlagerung essenzieller Arbeitsprozesse in den In vielen Fällen haben die technischen Möglichkei- digitalen Raum in vielen Bereichen der Arbeitswelt ten, den gesunden Umgang mit ihnen weit überholt. schafft gleichzeitig die Voraussetzungen für eine Ent- Ständige Erreichbarkeit und sehr rasches Reagieren wicklung, welche für die Arbeitnehmerinnen und Ar- wird oft von Arbeitgebern/ Chefs explizit oder zumin- beitnehmer sehr zwiespältig ist. Besonders brisant ist dest implizit verlangt. Der Umgang mit neuen Tech- dies beim Thema der Überwachung am Arbeitsplatz. nologien muss mühsam in erstellten Betriebsverein- Das Potenzial an Kontrolle, das Unternehmen über barungen, so ein Betriebsrat vorhanden ist, geregelt ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausüben kön- werden, die dann aber auch gelebte Praxis sein soll- nen bzw. könnten, wurde durch zwei Entwicklungen ten. Projektorientiertes Arbeiten, das in vielen Beru- in den letzten Jahren dramatisch gesteigert: die Di- fen und Branchen üblich ist, leistet dem Ineinander- gitalisierung von Arbeitstätigkeiten und die automati- fließen der verschiedenen Zeitverwendungsformen sche Datenauswertung mittels Maschinenlernen. weiteren Vorschub. Eingebettet sind diese Vorgänge in eine generelle Arbeitskultur, welche Schnelligkeit, Die umfassende Verlagerung von essenziellen Ar- Arbeit in der Privatzeit und lange Arbeitszeiten („Prä- beitsprozessen in den digitalen Raum bringt mit sich, sentismus“) als „Fleiß“ interpretiert. dass die Beschäftigten in der Arbeit ständig digitale Spuren hinterlassen. Das betrifft den Bearbeitungs- Aber auch die Beschäftigten praktizieren und be- status von Dokumenten, Browserverläufe, etc., aber fördern die Vermischung der verschiedenen Zeit- auch digital vernetzte physische Komponenten wie verwendungen, wenn diese am Sonntagabend „nur etwa elektronische Zeiterfassungen, Schließsysteme schnell noch“ auf ein Arbeitsmail antworten, obwohl und Telefonanlagen. Dadurch, dass die verschiede- sie das genauso gut am Montag in der Früh erledigen nen Informationen über das individuelle Verhalten in könnten, ohne dass negativen Konsequenzen zu be- digitaler Form vorliegen, können dies getrackt, ge- fürchten wären. Ehrlicherweise muss an dieser Stelle speichert und ausgewertet werden. Auch hier kann auch gesagt werden, dass die Verwischung der Zeit- zwar, von der Grundmotivation zur Überwachung formen Arbeit und Privat in beide Richtungen geht: her gedacht, nicht von einem neuen Phänomen ge- Auch private Belange werden in die Arbeitszeit getra- sprochen werden, denn das Anliegen, das Verhal- gen, wenn z.B. soziale Medien im Minutenrhythmus ten der Menschen am Arbeitsplatz kontrollieren zu „gecheckt“ werden. wollen und Leistungen messbar und überprüfbar zu machen, setzte natürlich nicht erst mit der Einfüh- Flexibilisierung lässt die Abgrenzung von Arbeits- und rung der Computer in den Betrieben ein. Der tech- WISO Seite 11
All-sehende Augen: Überwachung am Arbeitsplatz ist ein Megathema in der Digitalisierung der Arbeitswelt nologische Fortschritt wirkt aber als Ermöglicher und siv genutzt: beruflich, aber auch privat. Aber schon Beschleuniger einer dramatischen Ausweitung von bald wurden die Angestellten von Drug Corp gewahr, Überwachungsmöglichkeiten. dass der Austausch, welcher über DIALOG statt- fand, offenbar von den Managerinnen und Managern Dabei kann die Versuchung zur Überwachung von Drug Corp mitgelesen wurde. Die Vorgesetzten durchaus durch harmlose wirkende Gelegenheiten konnten im Laufe der Zeit offenbar nicht der Versu- ausgelöst werden. Shoshana Zuboff, eine US-ame- chung widerstehen, die Einstellungen und Haltungen rikanische Sozialwissenschaftlerin, die sich bereits der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus deren Kom- lange mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf munikation in DIALOG herauslesen zu wollen. Zuboff die Arbeitswelt beschäftigt, beschrieb schon 1988 beschreibt, wie ihr in Interviews mit den Forscherin- in ihrem Buch „In the Age of the Smart Machine“ nen und Forschern etwa geschildert wurde, dass von diese Dynamiken.iv Sie untersuchte die Einführung Vorgesetzten seitenweise Dialoge aus dem Chatpro- einer Chat-Software namens DIALOG in einem gramm ausgedruckt und analysiert wurden.vi pharamzeutischen Unternehmen (im Buch anonymi- siert „Drug Corp“ genannt).v DIALOG war eines der Kein Wunder also, dass die Mitarbeiterinnen und Mit- ersten Chatprogramme, die im betrieblichen Kon- arbeiter aufhörten, DIALOG zu nutzen und das Ver- text genutzt wurden und sollte dem professionellen trauensverhältnis zum Management gehörig gestört Austausch unter den Forscherinnen und Forschern wurde. Ein Instrument, das eingeführt wurde, um des Unternehmens dienen und die Kommunikation Kommunikation zu ermöglichen und zu erleichtern, schneller und weniger formal gestalten. Zuerst wur- entwickelte sich innerhalb kurzer Zeit zum Einfallska- de DIALOG enthusiastisch aufgenommen und inten- nal der Überwachung. Seite 12 WISO
cc wim hoppenbrouwers Diese Geschichte aus der Frühzeit der Computerisie- wird das Netz der Überwachungsmöglichkeiten im- rung der Arbeitswelt verweist darauf, dass im digita- mer engmaschiger und umfassender. WorkSmart, len Zeitalter Überwachung über viele verschiedenen eine Software eines „Talent Management“-Unterneh- Kanäle möglich wird, da ständig digitale Spuren hin- mens Crossover, misst etwa im Zehn-Minuten Rhyth- terlassen werden. Die Versuchung, die Mosaikstück- mus die Tastenanschläge. WorkSmart überwacht chen, die in den verschiedensten Systemen vorhan- darüber hinaus, welche Anwendungen verwendet den sind, auch zusammenzusetzen und so ein Bild werden, nimmt Screenshots auf und greift auf die zu gewinnen, von etwas, das ansonsten nicht zu be- Webcam zuviii, um einen „Productivity Score“ und ei- obachten wäre, ist sehr groß. nen „Intensity Score“ zu erstellen. Humanyze, eine kalifornisches Unternehmen, bietet „people analytics“ Ein weiterer Eskalationsschritt in der Steigerung des an. Dazu wird neben dem Tracking der Aktivitäten am Überwachungspotenzials erfolgt nun durch die tech- Computer auch der physische Aufenthaltsort der Mit- nologische Entwicklung der letzten Jahre. Fortschrit- arbeiterinnen und Mitarbeiter erfasst. Diese tragen te im Bereich des Maschinenlernens ermöglichen dazu eine Plakette, die ein Mikrofon und Bluetooth- detaillierte, komplexe und vor allem automatisierte und Infrarotsensoren enthält. Damit kann festgestellt statistische Auswertungen von Informationsflüssen. werden, wo sich die Personen aufhalten und ob und Mitarbeitererzeugte Datenströme könne nach Auf- in welchem Ausmaß sie mit anderen Personen inter- fälligkeiten und dem Vorhandensein von „verdächti- agieren. Diese Daten werden, so Humanyze, auf der gen“ Mustern ausgewertet werden. Es ist nicht mehr Ebene des Teams aggregiert, anonymisiert und dem notwendig, dass Überwachung „händisch“ geschieht. Management zur Verfügung gestellt.ix Beim Produkt Beschleunigt und intensiviert durch Maschinenlernen WorkSmart dagegen, sind die Daten klar auf die Ein- WISO Seite 13
zelperson zuordenbar für zugangsberechtigte Mana- Potenzial von Strukturbrüchen auf der Anbieterseite. gerinnen und Manager einsichtig. Anbieter von Soft- Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind warelösungen zur Überwachung von. Aktivitäten am die Ambivalenzen der Digitalisierung tendenziell Arbeitsplatz bewerben ihre Angebote als Tools zur noch größer. In den beiden dargestellten Beispielen Kontrolle und Optimierung von Produktivität. Ebenso - bei der Flexibilisierung und bei der Überwachung - wird argumentiert, dass das Monitoring dazu dienen zeigt sich, dass an und für sich sinnvolle Tools und könnte, Belästigungen am Arbeitsplatz zu entdecken Technologien auch über das Potenzial verfügen, oder das „leaken“ von Betriebsgeheimnissen bzw. die Arbeitswelt zum Nachteil der Menschen zu ver- sensiblen Daten zu verhindern.x Diese Argumenta- ändern. Die zunehmenden Möglichkeiten im Pro- tionen haben durchaus eine Berechtigung, können zess der Digitalisierung haben die Problematiken, aber wohl nicht aufwiegen, dass sich durch solche auf die wir gestoßen sind (einseitige Verteilung der Entwicklungen, Grundzüge einer immer weniger Flexibilität und zunehmende Überwachung am Ar- menschengerechten Arbeitswelt gelegt werden. Es beitsplatz), nicht erzeugt - diese waren schon längst werden Systeme implementiert - möglicherweise vorhanden - haben sie aber noch weiter zugespitzt. durchaus mit guten Absichten - welche das Ausmaß Diese Entwicklungen, aber nicht nur diese, machen der Überwachung, wie es sich George Orwell in sei- die Digitalisierung zu einem für die Arbeitnehmerin- nem weltberühmten Roman „1984“ vorstellte, bei nen und Arbeitnehmer zwiespältigen Prozess. Dabei weitem übertreffen. Die Werkzeuge, welche die Pro- wären ohne Zweifel Potenziale für eine emanzipa- duktivität und Effektivität menschlicher Arbeit so ver- torische Nutzung des technologischen Fortschritts stärken können, Computerprogramme und die Ver- vorhanden, um die Arbeitswelt menschengerechter netzung durch das Internet, können sich als Kanäle zu formen. Diese setzen aber voraus, dass Techno- der Verhaltens-, ja, in weiterer Konsequenz, der qua- logie als etwas im Sinne der Menschen gestaltbares si-Gedankenkontrolle entpuppen. Denn jede Äuße- empfunden wird. Momentan erscheinen aber der rung oder Andeutung, die in die digitales Sphäre „hi- technische Fortschritt und der Einsatz von Techno- neingerät“ wird auswertbar. Die Gefahr besteht, dass logien als etwas Naturgesetzliches und Unvermeid- dadurch „unmenschliche“ Maßstäbe an menschliche bares. Das liegt auch daran, wie über dieses Thema Arbeit angelegt werden. Dem gegenüber steht ein in gesprochen wird und welche „großen Erzählungen“ der Europäischen Union und auch in Österreich zum damit verknüpft sind. Denn welche Erwartungen ver- Glück relativ gut ausgebautes Datenschutzrecht. Im binden die Beschäftigten mit der Digitalisierung? Auf globalen Maßstab haben Arbeitnehmerinnen und welche positiven, technologisch geprägten Zukunfts- Arbeitnehmer, z.B. in den Vereinigten Staaten oder vorstellungen dürfen sie setzen? In der Regel ist der auch in China, meist viel weniger rechtlichen Schutz Digitalisierungsdiskurs für die Seite der Arbeitneh- vor Überwachungsmaßnahmen. Die bestehenden merinnen und Arbeitnehmer defensiv und durchaus Schutzmechanismen vor Totalüberwachung am Ar- angstbesetzt. Automatisierung, Jobverluste, die Ro- beitsplatz müssen auch vor einer schleichenden Ero- boter kommen! Das sind die Thematiken die auftau- sion gesichert werden. Durch Gewöhnungseffekte chen. Ganz offenbar ist es bislang nicht gelungen, wird - leider - die Sensibilität hinsichtlich der eigenen für die Beschäftigten positive Erwartungen an die Privatsphäre abgestumpft. Rolle der Technologie im Arbeitsumfeld zu formulie- ren. Oder aber, wenn Hoffnungen zum Ausdruck ge- bracht werden, wie etwa die zusätzliche Produktivität Fazit in einen Zugewinn an Freizeit zu verwandeln, werden Für beide, die Seite der Arbeitnehmerinnen und Ar- diese als utopisch abgetan. Momentan gibt es keine beitnehmer und die Seite der Arbeitgeberinnen und ausreichend umfassende und attraktive Perspektive Arbeitgeber, zeigt sich die Digitalisierung als ein der Arbeitnehmerseite auf die Digitalisierung, die ge- zwiespältiger, unbestimmter Prozess. Veränderte nug Attraktivität entwickelt, um gesellschaftspolitisch Produkteigenschaften und neue Marktbedingungen wirkmächtig zu sein. machen die Digitalisierung für Unternehmen schwie- rig zu navigieren. Es sind Dynamiken im Gange, die Es ist also noch unentschieden, welches Janusge- tendenziell die größeren Akteure in den Märkten sicht der Technologie sich uns in der näheren Zukunft bevorzugen und dadurch lokale Produktionen und zeigen wird. Es wird daran liegen, ob positive, men- Strukturen unter Druck setzen. Zwar gibt es viel posi- schenzentrierte Perspektiven auf die Veränderungen tives Potenzial in der Digitalisierung für die Seite der der Arbeitswelt entwickelt werden können. Produzenten, aber realistisch gesehen, werden nicht alle Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer dieses für sich nützen können. Die Digitalisierung steigert das Seite 14 WISO
i vgl. Stalder (2017), S. 34 ii vgl. Firgo et al (2019), S. 467 iii Für eine ausführliche Darstellung der siehe das WISO 2018 II der Arbeiterkammer Tirol mit dem Schwerpunkt „Plattformökonomie“: Verfügbar unter: https://tirol.arbeiterkammer.at/service/studien/WISO/WISO_2018_II.pdf iv Shoshana Zuboff wurde einer breiten Öffentlichkeit durch ihr heiß diskutiertes Werk „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ bekannt. v vgl. Zuboff (2019), S. 270 vi vgl. ebda. S. 270f. vii vgl. Crossover (2019): Worksmart viii vgl. Solon (2017); Zugriff 1.10.2019 ix vgl. The Economist (31. März - 6. April 2018), S. 9 x vgl. Solon (2017); Zugriff 1.10.2019 Literatur Stalder, Felix (2016), Kultur der Digitalität, Berlin: edition Suhrkamp Firgo M., Mayerhofer P., Peneder M., Piribauer P. (2019), Wien: Wifo Monatsbericht 6/ 2019 Zuboff, Shoshana (2019), The Age of Surveillance Capitalism, London: Profile Books Ltd. Solon, Olivia (2019), Big Brother isn’t just watching: workplace surveillance can track yourevery move in The Guardian, 06. Nov. 2017; Zugriff: 1.10.2019 The Economist - Special Report AI in Business (2018), Smile, you’re on camera, 31. März - 6. April WISO Seite 15
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Digitalisierung und Anna Pixer, BSC Gleichstellung Die voranschreitende Digitalisierung bzw. der digita- dung für die Mütter, nicht jedoch für die Väter (Kleven le Wandel in der Gesellschaft und Arbeitswelt wird et. al, 2017). Diese Prozesse spiegeln sich auch am den globalen und den österreichischen Arbeitsmarkt, österreichischen Arbeitsmarkt wieder. Demnach wird allen voran den Dienstleistungssektor, grundlegend in Tirol nur circa ein Drittel aller ganzjährigen Vollzeit- verändern. Diese Entwicklungen bergen Risiken arbeitsplätze von Frauen belegt, die darüber hinaus – etwa durch Substitution von menschlicher durch nur ein Viertel der ganzjährigen Brutto-Vollzeitgehäl- maschinelle Arbeit oder Einwirkungen auf die inter- ter beziehen (siehe Grafik, Statistik Austria, 2017). nationale Wettbewerbsfähigkeit. Abseits aller gesell- schaftlichen Skepsis bietet die Digitalisierung jedoch Durch den fortschreitenden digitalen Wandel könn- auch viel Potenzial für positive Veränderungen, so ten eben auch diese genderspezifischen Arbeits- diese Chancen denn genutzt werden. So können stei- marktcharakteristika beeinflusst werden. Es gilt, gende Produktivität und Effizienz, Chancengleichheit herauszufinden, in welchem Ausmaß Gleichstel- am Arbeitsmarkt, neue Arbeitsplätze und Gleichstel- lungspotentiale realisiert werden könnten und welche lung die Arbeitswelt sowie die wirtschaftliche Lage wirtschaftspolitische Maßnahmen zu mehr Gleich- Österreichs positiv beeinflussen. Neben generell stellung am Arbeitsmarkt beitragen könnten. diskutierten Veränderungen stellt sich jedoch eine weitere Frage: Wie wirkt der digitale Wandel auf den Digitalisierung und Substituierung von Arbeits- Pay Gap zwischen Männern und Frauen? Oder, an- plätzen in Österreich ders ausgedrückt: Wie könnte die Digitalisierung da- Auch wenn Österreich im internationalen Vergleich bei helfen, geschlechterspezifische Ungleichheiten in bezüglich fortschreitender Digitalisierung zurück der Arbeitswelt auszugleichen? liegt, wächst die Informations- & Kommunikations- technologie (kurz: IKT) Branche absolut als auch Aktuell stehen wir in Österreich einem Gender Pay relativ an der Gesamtbeschäftigung in allen Bundes- Gap – also einer Differenz zwischen dem durch- ländern seit 2010. Auch der Anteil der IKT-Fachkräfte schnittlichen Brutto-Stundenlohn von Frauen und an der Gesamtbeschäftigung nimmt österreichweit Männern, angegeben als prozentualer Anteil des deutlich zu (WIFO, 2018). Ein Kritikpunkt, der in Me- durchschnittlichen Brutto-Stundenlohns der Män- dien und gesellschaftlichen Debatten bezüglich des ner – von 19,9% gegenüber (Statistik Austria, 2017). voranschreitenden digitalen Wandel präsent ist, ist Dieser „Gap“ kann teilweise durch unterschiedliche die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen. So Ausbildungen, Dienstverhältnisse und Karrierewah- könnten gerade einfache manuelle Tätigkeiten im len erklärt werden. So tendieren Frauen eher dazu, Produktion- und Dienstleistungssektor maschinell in Berufen zu arbeiten, die ein niedrigeres Einkom- übernommen werden und manchen Arbeiter/Innen mensniveau aufweisen und weniger Aufstiegsmög- den Job kosten. Generell wird (z.B. vom World Eco- lichkeiten bieten, etwa Gesundheits-, Sozial- und nomic Forum) prognostiziert, dass Frauen deutlich Administrationsbereich). Außerdem arbeiten Frau- stärker von Beschäftigungsverlusten betroffen sein en sehr viel häufiger in Teilzeit als Männer. Männer werden als Männer, da sie vermehrt in Branchen und hingegen arbeiten öfter in besser bezahlten Bran- Berufen mit höherer Automatisierungswahrschein- chen, wie in technischen Berufen oder der Industrie lichkeit arbeiten (A&W, 2017). Das WIFO folgerte je- (Kauhanen & Napari, 2011). Hinzu kommt wohl der doch in einer Studie, dass der digitale Wandel eine größten „Treiber“ des Gender Pay Gaps: die Betreu- höhere Produktivität und Effizienz und somit auch ung der Kindern. Geringere Beförderungsraten und eine höhere Nachfrage, sowohl nach Produkten, als Aufstiegschancen, weniger Arbeitsmarktbeteiligung, auch nach Arbeitskräften, bewirken wird. Demnach vermehrtes Teilzeitarbeiten und einhergehende hätte die fortschreitende Digitalisierung in der Ge- schlechtere Gehälter sind Folgen von Familiengrün- samtbilanz einen positiven Einfluss auf den österrei- WISO Seite 17
Frauen Frauen 36% 47% Männer 53% Männer 64% Anteile von Männern und Frauen an der Anteile von Männern und Frauen an den Gesamtbeschäftigung in Österreich (2017). Bruttoeinkommen in Österreich (2017). Ungleichverteilung am Arbeitsmarkt: Obwohl Frauen fast die Hälfte der Beschäftigten in Österreich ausmachen, erzielen sie nur etwas mehr als ein Drittel der Bruttoeinkommen. Die Digitalisierung könnte diesen Unterschied noch vergrößern oder aber die Gleichstellung fördern. Die vorhandenen Potenziale dafür müssen erkannt und genutzt werden. chischen Arbeitsmarkt, auf das Wirtschaftswachstum gesellschaftlichen Druck zu überwinden, muss früh und die Gesamtbeschäftigung. (WIFO, 2018). angesetzt werden. Eine Studie der AK (Arbeiterkam- mer Wien, 2016) zeigte, dass sich Mädchen und Trotzdem sind diese prognostizierten Vorteile mit Jungen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren im glei- Vorsicht zu genießen. Laut OECD bergen die Auto- chen Ausmaß mit IKT-Geräten und Anwendungen matisierung und der digitale Wandel auch die Gefahr, auseinandersetzen, Mädchen jedoch schneller ent- eher die Nachfrage nach hochqualifiziertem Perso- mutigt sind, im IT-Bereich selbst „produzierend“ tätig nal zu steigern, während Personen mit niedrigeren zu werden, d.h. etwas zu programmieren oder etwa Qualifikationen außen vor bleiben. So könnte die Di- selbst einen Computer zusammenzuschrauben. gitalisierung, sofern diese Qualifikationsunterschiede nicht ausgeglichen werden und „digitale Fähigkeiten“ Es gilt demnach, seitens der Gesellschaft und v.a. für alle zugänglich und erlernbar sind, zu mehr Un- der Schulen, schon früh das Signal zu setzen – etwa gleichheit am Arbeitsmarkt führen (A&W, 2017). mit schulischer Förderung technischer Fähigkeiten von Jungen und Mädchen im gleichen Ausmaß – Wirtschaftspolitische Maßnahmen dass beide Geschlechter die gleichen Rechte, Vor- Welche Maßnahmen sollten also getroffen werden, aussetzungen und Chancen haben, einen Berufsweg um die Digitalisierung als Tool für mehr Gleichstel- in der Informations- & Kommunikationstechnologie lung, v.a. zwischen Frauen und Männern, am Ar- einzuschlagen. beitsmarkt zu nutzen? Der wohl vielversprechendste Ansatz ist die Förderung von Frauen in der Infor- Neben der generellen Maßnahme, mehr Frauen in mations- & Kommunikationstechnik. Da diese Bran- technische, besonders von Digitalisierung profitie- che stärker wächst als andere, würde ein höherer rende, Berufe zu bringen, muss eine Gleichstellungs- Frauenanteil auch zu einer rascheren Reduktion des politik auch Weiterbildungsmaßnahmen beinhalten. Gender Pay Gaps führen. Derzeit beträgt der Frau- Das bedeutet, dass gerade „digitale“ Fertigkeiten für enanteil in der IKT Branche in Österreich 10 bis 12 jede Person jeden Geschlechts zugänglich gemacht Prozent. werden müssen. Derzeit nehmen Frauen laut Statis- tik Austria weniger an beruflichen Weiterbildungen Das Hauptaugenmerk muss hier auf einem gesamt- teil, als Männer, was jedoch auch mit jeweiliger Ar- gesellschaftlichen Umdenken liegen. So werden beitsbranche zu tun haben kann. Um keine neuen nach wie vor viele Berufe, etwa im Bildungs- und Folgeungleichheiten zu schaffen, müssen Frauen Gesundheitsbereich als „weiblich“ gesehen und wer- Weiterbildungen im digitalen Bereich zum gleichen den dadurch auch von Männern ungern gewählt. Maß wie Männer wahrnehmen können. Außerdem Wogegen eine Karriere in einer klassisch männerdo- sollte das Erlernen erweiterter digitaler Fertigkeiten minierten Branche für Frauen abschreckend und als nicht nur Priorität für Personen aus der IKT-Branche gesellschaftlich „ungewohnt“ erscheint. Um diesen haben, sondern genauso für Angestellte aus anderen Seite 18 WISO
cc Kristine Technologischer Fortschritt sollte von sozialem Fortschritt begleitet werden. Branchen zugänglich sein. Wenn digitale Fertigkeiten schen Nieder- und Hocheinkommen von Frauen und auch in Nicht-IKT-Branchen gefördert werden, kann Männern entstehen zu lassen. einer einseitigen Zuweisung der Profite der Digitali- sierung nur in die IKT-Branche vorgebeugt werden. Fazit Digitalisierung allein wird keine Gleichstellung am Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Thematik der Kin- Arbeitsmarkt mit sich bringen. Sie ist kein „Selbstläu- dererziehung bzw. –betreuung. Da der Gehaltsunter- fer“, der Frauen automatisch die gleichen Vorteile wie schied zw. Männern und Frauen zu einem großen Teil Männern zugestehen wird, sondern die Unterschiede diesem Aspekt zugeschrieben werden kann, müssen ohne zusätzliche Maßnahmen eher verstärken wird. als Gegenmaßnahme für Frauen mehr Möglichkeiten gefunden werden, Arbeit und Familie zu vereinen. Dennoch birgt der digitale Wandel vielversprechen- Leistbare, ganztägige Kinderbetreuungs-möglichkei- der Gleichstellungspozentiale. Es gilt, diese Poten- ten sind demnach genauso wichtig, wie flexible Ar- ziale frühzeitig zu erkennen und zu nutzen. Wirt- beitszeiten, wie etwa Home-Office oder auch eine, schaftspolitische Maßnahmen, die Digitalisierung in wie in Deutschland diskutierte, Veränderung des üb- den Gleichstellungsprozess miteinbeziehen, müssen lichen Vollzeit- oder Teilzeitmodells hin zu einem fle- erforscht und realisiert werden. Allen voran stehen xibleren, staatlich geförderten Arbeitszeitmodell für hier Maßnahmen, die IKT-Branche für Frauen zu- beide Elternteile, damit Kindererziehung gerechter gänglicher und interessanter zu gestalten, junge aufgeteilt werden kann. Mit Lösungsansätzen, wel- Mädchen zu ermutigen, einen Beruf in den „digita- che die Kinderbetreuung nicht mehr hauptsächlich len“ Branchen zu wählen und generell Arbeit und den Frauen zuzuschreiben, sollte auch die Vollzeit- Familie vereinbarer zu machen, um Frauen mehr in Beteiligung der Frauen steigen, sowie der Frauenan- Führungs- und Vollzeitpositionen zu bringen. Auch teil in Führungspositionen. sollten, um keine neuen Wohlstandsdifferenzen zu schaffen, die Profite des digitalen Wandels allen Be- Da derzeit,in Österreich und international, Führungs- völkerungsgruppen zugutekommen. positionen hauptsächlich von Männern besetzt wer- den, würde sich durch eine Erhöhung des Frauen- Bezüglich zukünftiger Jobchancen allgemein und anteils in führenden Positionen die Gehaltsschere besonders für Frauen sollte man stark polarisierte zumindest etwas schließen. Zudem sollten die Profi- Meinungen und Ängste in der Gesellschaft dämpfen. te, die durch Digitalisierung generiert werden, gerecht Stattdessen sollte der Blick dort hingerichtet werden, verteilt werden. Es sollte die ganze Gesellschaft an wo Arbeitsplatzpotenziale tatsächlich vorhanden sind den Zugewinnen beteiligt werden, um ein weitere Zu- und neu entstehen, um den eigentlichen Nutzenzu- spitzung der Einkommens- und Vermögensverteilung wachs und die positiven Veränderungen, die Digitali- zu vermeiden. Steuerliche Maßnahmen könnten z.B. sierung bringen kann, zu erkennen, davon zu profitie- sicherstellen, dass v.a. die Arbeitseinkommen im un- ren und Vertrauen in die Zukunft zu schaffen. teren Bereich ebenfalls steigen, um keine Kluft zwi- WISO Seite 19
Um spezifischere Aussagen über die genauen Aus- wirkungen von digitalem Wandel auf Frauen am Arbeitsmarkt treffen zu können, braucht es mehr wissenschaftliche Forschung und (internationale) Analysen. Auch wenn eine gute Basis an Studien und Artikeln zu der Thematik in Österreich vorhan- den ist, gibt es vor allem im Bereich der Thematik Digitalisierung und Frauen noch Forschungslücken. Viele Studien entwickeln rein quantitative Beschäfti- gungsszenarien, um – meist von Firmen oder Orga- nisationen interessensgeleitete – Aussagen über die Zukunft des Arbeitsmarkts treffen zu können. Wichtig wäre jedoch, auch qualitative Auswirkungen von Di- gitalisierung auf Arbeitswelt, Politik und Gesellschaft miteinzubeziehen. Auch herrscht eine Wissenslü- cke zu traditionellen „Frauenberufen“ im digitalen Wandel, wogegen männerdominierte Branchen im Zusammenhang mit Digitalisierung eher untersucht werden. Um rechtzeitig bildungs- und arbeitspolitisch aktiv zu werden, besteht daher ein dringender For- schungsbedarf zu Berufen und Branchen mit hohem Frauenanteil. Quellen Einkommen Statistik Austria, 2019 https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_ge- sellschaft/soziales/gender-statistik/einkommen/index.html; 12.09.2019 Digitale Kompetenzen für eine digitalisierte Lebenswelt Arbeiterkammer Wien, 2016 https://media.arbeiterkammer.at/wien/PDF/studien/bildung/Digita- le_Kompetenzen_Kurzbericht.pdf; 12.09.2019 Children and Gender Inequality: Evidence from Denmark Kleven, Landais, Søgaard, 2017 https://www.henrikkleven.com/uploads/3/7/3/1/37310663/kleven- landais-sogaard_gender_feb2017.pdf; 12.09.2019 Automation will affect women twice as much as men. This is why. Business Insider, World Economic Forum: Kate Taylor, 2017 https://www.weforum.org/agenda/2017/07/why-women-are-twice- as-likely-as-men-to-lose-their-job-to-robots; 12.09.2019 Seite 20 WISO
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