"Die Motivation war ein sinkendes Schiff" - Lernen und Lehren im Homeschooling - Mitteilungen der ...
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6 Digitales Lehren und Lernen GDM-Mitteilungen 110 · 2021 „Die Motivation war ein sinkendes Schiff“ – Lernen und Lehren im Homeschooling Simon Barlovits, Simone Jablonski und Matthias Ludwig Im März 2020 erlebte Deutschland – wie die meis- Schul-Lockdowns untersucht, allerdings ohne fach- ten europäischen Staaten – einen Lockdown des spezifische Besonderheiten des Homeschoolings ge- öffentlichen Lebens, in dessen Zuge sämtliche päd- nauer zu beleuchten. Im Folgenden soll die Unter- agogische Institutionen vom Kindergarten bis zur richtsdurchführung für das Fach Mathematik unter- Universität geschlossen wurden. Dies stellte Ler- sucht werden, wobei insbesondere die im Schulba- nende und Lehrende für die folgenden Wochen, rometer Spezial angedeutete Diskrepanz zwischen teils sogar bis zu den Sommerferien vor eine völlig technischer Durchführbarkeit und der Notwendig- neue Herausforderung: Das Lernen und Lehren im keit von synchronem (Mathematik-)Unterricht in Homeschooling, d.h. die Organisation und Durch- den Blick genommen wird. Dem Artikel liegen die führung von Unterricht trotz räumlicher Trennung. folgenden Fragen zugrunde: Anfang April 2020 dokumentierte die JIMplus- 1. Wie wurde der Mathematikunterricht während Studie (mpfs, 2020; N = 1002) die Perspektive der des coronabedingten Homeschoolings durchge- 12- bis 19-jährigen Lernenden auf die ersten Wo- führt? chen der Homeschooling-Situation: 56 % der Befrag- 2. Welche Probleme haben die Lehrkräfte in Be- ten kommunizierten mit ihren Lehrkräften asyn- zug auf den Mathematikunterricht während des chron per E-Mail, während 22 % mit ihrer Klasse coronabedingten Homeschoolings identifiziert? in einer Cloud arbeiteten. Synchroner Kontakt zwi- 3. Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Vor- schen Lehrpersonen und Lernenden erfolgte bei gehensweisen und Problemen des Mathematik- 16 % der Lernenden in Videokonferenzen, bei 11 % unterrichts während des coronabedingten Ho- per Telefon und bei 10 % via WhatsApp. Folglich meschoolings? zeigt die JIMplus-Studie eine Dominanz asynchro- ner Lernformate auf, zumal nur 7 % der Lernen- Um diesen Fragen nachgehen zu können, wur- den angaben, auch im Homeschooling einen festen de im November 2020 eine Datenerhebung mit- Stundenplan zu besitzen. Dass die Homeschooling- tels Online-Fragebogen mit N = 171 deutschen Situation nicht nur für die Lernenden eine völlig Mathematiklehrkräften, u. a. von den Partnerschu- neue Situation darstellte, verdeutlichte das Schul- len der Goethe-Universität Frankfurt und aus der barometer Spezial (forsa, 2020; Datenerhebung An- MathCityMap-Community, durchgeführt. Insge- fang April 2020): Zwei Drittel der 1031 befragten samt enthält der Fragebogen sechs geschlossene deutschen Lehrkräfte gaben an, dass ihre Schulen und drei offene Fragen. Davon beziehen sich fünf technisch weniger gut oder schlecht auf das Home- geschlossene und eine offene Frage auf das Mathe- schooling vorbereitet waren. Auch zeigte sich eine matiklehren und die verwendeten Medien während starke Tendenz zur Nutzung asynchroner Lernfor- des Lockdowns im März und April 2020. Während mate: 84 % der Lehrenden setzten in der ersten sich die geschlossenen Fragen und ihre Antwort- Homeschooling-Phase Aufgabenblätter ein, gefolgt möglichkeiten an den Umfragen des Schulbarome- von Erklärvideos (29 %) oder Präsentationen (17 %). ter Spezials (forsa, 2020) orientieren, geht die offene Erst im Anschluss hieran folgten synchrone For- Frage konkret auf Mathematikaufgaben ein: Nach mate wie die Video- (14 %) oder Audiokonferenz welchen Kriterien haben Sie die Mathematikaufgaben (8 %). Als besondere Herausforderung im Home- für das Homeschooling ausgewählt? Weiterhin wer- schooling gaben die Lehrkräfte in Freitextantworten den in einer offenen und einer geschlossenen Frage den Mangel an digitaler Ausstattung der Schülerin- mögliche Probleme und Herausforderungen des nen und Schüler, die Erstellung und Vermittlung Homeschoolings abgefragt. Auch hier ist ein Bezug digitaler Unterrichtsinhalte sowie Probleme bei der zu den aus Freitextantworten des Schulbarometer Kommunikation mit Lernenden und Eltern bzw. Spezials identifizierten Problemen vorhanden, aller- die Erreichbarkeit der Lernenden an (ebd.). dings mit der Bitte, sich ausschließlich auf den Ma- thematikunterricht zu beziehen. In einer weiteren offenen Frage werden die Lehrkräfte gebeten, ihre Fragestellung und Methode Erfahrungen der Homeschooling-Phase zu reflek- Die JIM-Plus-Studie und das Schulbarometer Spe- tieren und zu beurteilen, inwiefern sich ihr Mathe- zial haben das Lernen und Lehren während des matikunterricht durch die Homeschooling-Phase
GDM-Mitteilungen 110 · 2021 Digitales Lehren und Lernen 7 E-Mail 65,5% 49,1% Videokonferenz 56,1% 67,8% In jeder Lernplattform (synchron) 50,3% 47,4% Schulstunde 9% Lernplattform (asynchron) 25,1% 39,8% Schuleigene Website/Schulcloud 7,0% 20,5% Seltener Mehrmals oder nie pro Woche Soziale Medien/Messenger-Dienste 14,6% 15,8% 42% 24% Telefon 5,8% 12,9% Post/Abholung/selbständig verteilt 0,0% 5,3% Mehrmals 0,0% pro Monat Gar nicht 3,5% 25% Sonstiges 3,5% 3,5% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% Verteilung von Aufgaben Besprechung von Aufgaben Abbildung 1. Links: Verteilung und Besprechung von Mathematikaufgaben (Mehrfachantworten zzgl. Freitext); rechts: Häufigkeit des synchronen Lernens während der Homeschooling-Phase. verändert hat. Zur Auswertung der Freitextantwor- tiklehrkräften oder auf die retrospektive Analyse ten aus den drei offen gestellten Fragen werden in- im Vergleich zum Schulbarometer Spezial zurück- duktive Kategorienbildungen mit der qualitativen geführt werden: Möglicherweise forcierte das lan- Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) herangezogen. ganhaltende Homeschooling eine Digitalisierung Letztlich geben die Lehrkräfte auf freiwilliger Basis des Unterrichts. ihre Schulform an. Von den 171 teilnehmenden Leh- Bei der Besprechung der Aufgaben (Abb. 1, rerinnen und Lehrer unterrichten 120 Lehrkräfte an links) zeigt sich im Vergleich zur Aufgabenüber- Gymnasien, 36 an integrierten oder kooperativen mittlung ein scheinbarer Bedeutungsverlust asyn- Gesamtschulen, 10 an Berufsschulen oder berufli- chroner Kommunikationswege. Hingegen wurde chen Schulen sowie 5 an Grundschulen. Die Ergeb- die Videokonferenz als synchrones Tool von zwei nisse sind demnach schwerpunktmäßig im Kontext Drittel der Lehrkräfte während des Homeschoo- der gymnasialen Sekundarstufen zu betrachten. lings eingesetzt. Allerdings relativiert die Frage nach der Häufigkeit synchroner Lerneinheiten die- sen Eindruck (Abb. 1, rechts): Während ein Drittel Ergebnisse der Lehrkräfte mehrmals pro Woche oder in jeder Durchführung des Mathematikunterrichts Schulstunde direkt und mit den Lernenden im Aus- Um die Durchführung des Mathematikunterrichts tausch stand, wurden zwei Drittel der Lernenden während der Corona-Schulschließungen zu analy- im Homeschooling höchstens dreimal pro Monat sieren, wurden den Lehrkräften Fragen zur Vertei- synchron unterrichtet, davon 42 % gar höchstens lung und Besprechung von Aufgaben (Mehrfachant- einmal pro Monat oder nie. worten erlaubt) gestellt. Im Hinblick auf die Vertei- Bei der Frage, nach welchen Kriterien die Ma- lung von Aufgaben (Abb. 1, links) zeigt sich, dass thematikaufgaben während des Homeschoolings ein Großteil der Lehrenden auf digitale Tools zu- ausgewählt wurden (Tab. 1), werden in Freitextant- rückgriff, während das Telefon oder der Postweg worten die thematische Passung und die Verfüg- nur selten genutzt wurde. Die Aufgabenübermitt- barkeit von Inhalten genannt (pragmatische Kri- lung erfolgte bevorzugt via E-Mail (66 %) oder per terien). Die Aussage „Ich habe fast nur Aufgaben Videokonferenz (56 %). Auch Lernplattformen mit aus den Büchern genutzt, da einige Schüler kei- synchronen Elementen, wie einem implementierten nen Drucker haben oder keine WLAN-Verbindung, Chat, wurden häufig eingesetzt (50 %). Im Vergleich sodass sie Arbeitsblätter nicht richtig bearbeiten zum Schulbarometer Spezial (forsa, 2020; drei Wo- konnten“ verdeutlicht die Verfügbarkeit als ein ers- chen nach den Schulschließungen) gaben ähnlich tes Problem des Homeschoolings. Aus didaktischer viele Lehrkräfte (69 %) an, die E-Mail zur Aufgaben- Perspektive wurde besonders oft die Reduktion des verteilung zu nutzen. Hingegen wurden Lernplatt- Schwierigkeitsgrades auf die „Mindestanforderun- formen laut Schulbarometer Spezial nur von 41 % gen“ hervorgehoben. Diese Einschätzung spiegelt der Lehrenden genutzt, während diese mit 44 % sich auch beim Rückgriff auf Reproduktionsauf- vermehrt auf Papierausdrucke (Post/Abholung) zu- gaben durch die Lehrkräfte wider. Notwendig er- rückgriffen. Dieser Unterschied könnte beispiels- scheint jene Fokussierung auf „Aufgaben zur Festi- weise auf eine hohe Medienaffinität von Mathema- gung/Wiederholung“ aufgrund der besonderen Re-
8 Digitales Lehren und Lernen GDM-Mitteilungen 110 · 2021 Tabelle 1. Kriterien zur Aufgabenauswahl (Freitext) Kriterium Beispiel: Zitat aus Freitextantwort n Pragmatische Kriterien Thematische Passung zum Curriculum Ich habe laut Lehrplanlerninhalten aus dem Schulbuch ausgewählt. 23 Verfügbarkeit des Materials Auf welche Aufgaben können die Lernenden zugreifen? Z. B. auf das 8 Schulbuch, das die Lernenden zu Hause hatten. Didaktisch-methodische Kriterien Reproduktion & Standardverfahren Aufgaben waren hauptsächlich Wiederholungsaufgaben, d.h. es wurde 23 darauf geachtet, dass es um bekannte Aufgabenformate ging. Verständlichkeit & nicht zu hoher Die Aufgaben sollten für mindestens zwei Drittel der Lernenden lösbar 17 Schwierigkeitsgrad sein, damit sie nicht die Flinte ins Korn warfen. Diagnose & individuelle Förderung Einfache „Beschreiben & Erläutern“-Aufgaben, damit ich diagnostizie- 12 ren kann, was verstanden wurde. Selbständigkeit & Autonomie Selbstkontrolle & Hinweisoption Nutzung der Lernplattform eines Schulbuchverlags, da dort Kontroll- 20 und Hilfefunktionen integriert waren. Selbständiges Bearbeiten Die Aufgaben sollten unbedingt selbstständig bearbeitbar sein, wesent- 18 lich stärker als im Präsenzunterricht Selbständiges Aneignen & Lernen Die Aufgaben und das Material mussten sich für das selbstständige 14 Lernen besonders eignen. levanz des selbständigen Übens und Lernens durch zeigen, dass alle aus dem Schulbarometer Spezi- die physische Abwesenheit der Lehrkraft: Häufig al identifizierten Probleme auch als relevant für wird auf die Möglichkeit zur autonomen Bearbei- den Mathematikunterricht wahrgenommen wur- tung, zur selbständigen Aneignung des Wissens so- den. Etwa drei Viertel der Mathematiklehrkräfte wie auf die Möglichkeit zur Selbstkontrolle und die benennen die Aufrechterhaltung der Motivation Unterstützung durch Hinweisstellungen verwiesen. der Lernenden als problematisch. Aus den späteren Zusammenfassend kann also von einer Fokussie- Freitextantworten lässt sich weiterhin folgern, dass rung auf das grundlegende Anforderungsniveau – die Lehrkräfte dieses Problem in Zusammenhang bedingt durch die Notwendigkeit des selbständigen mit dem fehlenden persönlichen Kontakt betrach- und autonomen Arbeitens in der Homeschooling- ten, beispielsweise durch die Aussage „Die Moti- Situation – gesprochen werden. vation ohne persönlichen Kontakt ist schwierig auf höherem Niveau zu halten . . . “. Dieses Problem Identifizierte Probleme wird ebenfalls von nahezu drei Viertel der Lehrkräf- In Anlehnung an die Ergebnisse des Schulbarome- te angegeben. 28 % der Lehrkräfte identifizieren ter Spezials wurden den Lehrkräften die in Abbil- mangelnde Möglichkeiten für Feedback und Hin- dung 2 dargestellten Probleme des Homeschoolings weise als ein Problem, welches zudem in 25 Frei- zur Mehrfachauswahl vorgestellt. Die Ergebnisse textantworten expliziert wird. Ebenfalls werden die Fehlender persönlicher Kontakt 74,0% Aufrechterhaltung der Motivation der Lernenden 72,3% Schwierigkeiten bei der Leistungs- und Lernstandsmessung 63,0% Mangel an digitaler Ausstattung (der Lehrenden und Lernenden) 60,1% Mangelnde Medienkompetenz (der Lernenden/der Lehrkräfte) 52,6% Förderung von Lernenden aus sozial schwierigem Umfeld 51,4% Schwierigkeiten bei der individuellen Förderung 49,7% Kommunikationsprobleme oder mangelnde Erreichbarkeit 47,4% Mangelnde Möglichkeiten für Feedback/Hinweise 27,7% Probleme bei der Erstellung/Auswahl von digitalen 21,4% Unterrichtsmaterialien 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% Abbildung 2. Identifizierte Probleme (Mehrfachauswahl)
GDM-Mitteilungen 110 · 2021 Digitales Lehren und Lernen 9 Tabelle 2. Identifizierte Probleme (Freitext) Probleme Beispiel: Zitat aus Freitextantwort n Soziale Probleme Unklare Rolle der Eltern Eltern sitzen hinter dem PC, bedrängen das Kind, sagen vor. 18 Probleme mit Bezug auf die Unter- richtsstruktur Kontrollverlust und fehlende Diszi- Manche Schüler/innen sind "verloren"gegangen. 48 plin Erhöhter Zeitaufwand Individuelle Rückmeldungen kosteten viel zu viel Zeit. Die eingescannten 35 Lösungen von jedem SuS durchzusehen und gerechte Feedbacks zu geben wurde viel zu aufwändig. Mangelnde Struktur und Selbstorga- Schüler driften aus dem normalen Stundenplan – es gibt einfach einen 12 nisation anderen Rhythmus, der mit dem Stundenplan nicht synchron geht. Mangelnde Rückmeldung Ich wusste nicht, ob die Schüler den Stoff verstanden haben. 7 Förderung von Lernenden aus sozial schwierigem Schülerinnen und Schülern bzgl. ihres Verständnis Umfeld (51 %) sowie die individuelle Förderung und Lernfortschrittes. (50 %) als relevante Probleme des Homeschoolings im Fach Mathematik genannt. Schwierigkeiten bei Diskussion und Zusammenfassung der Leistungsmessung sowie der Mangel an digi- taler Ausstattung werden sogar von mindestens Aus den Vorgehensweisen und Problemen während 60 % der Lehrkräfte als Probleme identifiziert. Das der coronabedingten Homeschooling-Zeit lassen Fehlen bzw. das Verbot von Leistungsmessung im sich folgende Konsequenzen für die Gestaltung Homeschooling wird weiterhin in 18 Freitextant- von Online-Mathematikunterricht formulieren: Zu- worten genauer beschrieben, z. B. „Aufgrund der nächst hat sich im Vergleich zur fächerübergrei- fehlenden Benotung und der langen Zeit zu Hau- fenden Unterrichtsgestaltung bestätigt, dass auch se entstand das Gefühl von dauerhaften Ferien.“ der Mathematikunterricht überwiegend asynchron Entsprechend wird an dieser Stelle auch ein Zusam- durchgeführt wurde. Jene Asynchronität des Ler- menhang zu motivationalen Aspekten vermutet. nens erfordert neue Kriterien für die Auswahl Das Erstellen von digitalen Unterrichtsmateriali- von Aufgaben im Vergleich zum Präsenzunter- en scheint ein vergleichbar geringes Problem zu richt, wo Aufgaben auf direktem Weg ausgege- sein (21 %), wohingegen mangelnde Kommunika- ben und besprochen werden können. Als solche tion (50 %), Medienkompetenz (53 %) und digitale nennen die Lehrkräfte neben einer besonderen Be- Ausstattung (60 %) das Mathematiklernen im Ho- rücksichtigung des selbstständigen Lernens (z. B. meschooling offenbar erschwert haben. durch Selbstkontrolle) insbesondere die Senkung Aus den 171 Freitextantworten der Lehrkräfte von Anforderung und Schwierigkeitsgrad – auch lassen sich weitere Probleme des Homeschoolings bedingt durch mangelnde technische Ausstattung identifizieren. Diese werden in Tabelle 2 mit einem oder die Verfügbarkeit von Materialien. Aus Letzte- repräsentativen Beispiel und ihrer Häufigkeit dar- rem entsteht der Anspruch, zu verhindern, dass die gestellt sowie in Probleme sozialer und strukturel- technischen und organisatorischen Probleme des ler Natur kategorisiert. Während die vorgegebenen Homeschoolings das Inhaltliche überlagern. Dabei Antworten Probleme im sozialen und technischen konnten die für den allgemeinen Schulunterricht Bereich bereits gut abbilden können, scheint das identifizierten Probleme des Homeschoolings für Kategorienschema für den Mathematikunterricht den Mathematikunterricht erweitert werden. Diese insbesondere im Bereich der Unterrichtsstruktur Herausforderungen wurden insbesondere auf der erweiterungswürdig. Die Lehrkräfte verweisen ins- Ebene der Unterrichtsstruktur kategorisiert: Kon- besondere auf den Kontrollverlust über einzelne trollverlust und mangelnde Disziplin, ein erhöhter oder mehrere Schülerinnen und Schüler, ebenso Zeitaufwand, mangelnde Struktur sowie mangeln- auf den erhöhten Zeitaufwand durch Vorbereitung, de Rückmeldung an die Lehrkräfte stellen konkrete Feedback und Förderung. Weiterhin geben die Lehr- Anforderungen an Materialien und digitale Tools kräfte an, dass die Onlinelehre ein erhöhtes Maß für den zukünftigen Online-Mathematikunterricht. an Selbstorganisation von den Schülerinnen und Bei der Wiederaufnahme des aktuellen Mathe- Schülern erfordert – auch in Hinblick auf eine man- matikunterrichts zeichnen sich zwei Tendenzen ab: gelnde vorgegebene Struktur. Einige Lehrkräfte be- Auf der einen Seite geben etwa ein Viertel der be- richten zudem über ein mangelndes Feedback der fragten Lehrkräfte an, dass sich ihr Mathematikun-
10 Digitales Lehren und Lernen GDM-Mitteilungen 110 · 2021 terricht nach Wiederaufnahme des Regelbetriebes Literatur nicht verändert habe. Auf der anderen Seite nennt forsa (2020). Das Deutsche Schulbarometer Spezial Corona- die Hälfte der Lehrkräfte eine stärkere Einbindung Krise. Verfügbar unter: deutsches-schulportal.de/ digitaler Medien, insbesondere von Lernsoftware unterricht/das-deutsche-schulbarometer-spezial- und -plattformen sowie eine parallele Digitalisie- corona-krise/ (04.11.2020). rung von Materialien. Damit bestätigt sich eine Mayring, P. (2010). Qualitative Inhaltsanalyse. Weinheim mehrheitliche Tendenz zu digitalen Veränderungen und Basel: Beltz. für den Mathematikunterricht nach der Corona- Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest Pandemie. Gemeinsam mit den herausgearbeiteten (mpfs; 2020). JIMplus 2020. Corona-Zusatzuntersuchung. Ansprüchen wie Selbstkontrolle, Verfügbarkeit des Verfügbar unter: www.mpfs.de/studien/jim-studie/ Materials, Leistungsmessung, Struktur und Rück- jimplus-2020 (06.11.2020). meldungsoptionen motiviert diese Digitalisierungs- tendenz die Entwicklung und den Einsatz von di- Simon Barlovits, Goethe-Universität Frankfurt gitalen Tools, welchen diesen Bedürfnissen gerecht E-Mail: barlovits@math.uni-frankfurt.de werden. Und mit Verweis auf die Strategie „The- Simone Jablonski, Goethe-Universität Frankfurt men, die sich für den Homeschooling Unterricht E-Mail: jablonski@math.uni-frankfurt.de eignen (z. B. Geometrie), sparen wir uns für den nächsten Lockdown auf“ scheint eine für den Ma- Matthias Ludwig, Goethe-Universität Frankfurt E-Mail: ludwig@math.uni-frankfurt.de thematikunterricht geeignete digitale Lösung auf lange Sicht unabdingbar. Mehr als nur erklären – eine Bestandsanalyse des Angebots an mathematischen YouTube-Videos David Bednorz und Svenja Bruhn Die Schließung von Bildungseinrichtungen in Folge Nach Kulgemeyer und Peters (2016) lassen sich der Covid-19-Pandemie führte zu einer neuen Dis- Erklärungen in Videos grundlegend dadurch be- kussion über den Einsatz von digitalen Lernmög- schreiben, dass vermittelt wird, wie etwas gemacht lichkeiten, aber vor allem einer Beschleunigung in wird oder wie etwas funktioniert, um so im Er- der digitalen Transformation des Bildungswesens klärungsprozess den Adressaten der Videos einen und der Schullandschaft, die in den nächsten Jah- Sachverhalt verständlich zu machen. Dementspre- ren weiter zunehmen wird. Universitäten führten chend nennt Wolf (2015) als Charakteristika von Er- flächendeckend Distanzlehre ein und in Schulen klärvideos die selbstständige Erstellung der Videos, wurden digitale Lernmanagementsysteme (LMS) eine funktionale Erläuterung oder die Darstellung eingeführt oder ausgebaut, um Lernende auch zu von abstrakten Konzepten und Zusammenhängen. Hause zu erreichen und an Bildung teilhaben zu So lassen sich in der aktuellen Literatur verschiede- lassen. Es verwundert demnach nicht, dass das The- ne Vorschläge für Kriterienraster als Hilfestellung ma der Digitalisierung des Mathematikunterrichts zur Beurteilung von vorhandenen als auch selbst auch in der Forschung zunehmend intensiver auf- produzierte Lern- bzw. Erklärvideos finden (z. B. gegriffen wird. In den letzten Mitteilungen der Gesell- Marquardt, 2020). In diesem Zusammenhang kon- schaft für Didaktik der Mathematik (MGDM) wurde statieren Oldenburg et al. (2020), dass bei mathema- aus diesem Grund ein Fokus auf digitale Lernfor- tischen Lern- und Erklärvideos auf der Plattform mate, insbesondere auf mathematische Lern- bzw. YouTube oft die technischen Möglichkeiten nicht Erklärvideos, gelegt (Götze, 2020). ausreichend ausgeschöpft werden, dass eher pro- Für den Begriff der Lern- bzw. Erklärvideos exis- zedurales Wissen fokussiert wird und dass viele tieren in der Literatur zahlreiche Definition, die Videos eine positive und motivationale Kommuni- alle unterschiedliche Aspekte fokussieren, wobei kation zur Mathematik vermissen lassen. Letztere häufig diffus bleibt, aus welchem Grund diese als Ergebnisse verweisen darauf, dass YouTube-Videos besonders charakterisierend eingeschätzt werden. sich eher an instruktionale Vermittlung orientieren
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