DIE NATO UND DIE RISIKEN IM SÜDEN
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/// Kohäsion oder Diffusion? DIE NATO UND DIE RISIKEN IM SÜDEN HENNING RIECKE /// Die NATO muss auch auf Risiken aus dem Mittelmeerraum eine Antwort finden, wenn sie die Sicherheit ihrer Mitglieder gewährleisten will. Was muss, was kann die NATO dazu im Süden tun? Sie pflegt Partnerschaften, leistet Ausbildungshilfe, arbeitet an der Flüchtlingsproblematik, doch wirkt sie reaktiv. Gefragt ist eine stärkere Rolle im Kampf gegen den IS, bessere Verzahnung mit der EU, Zusammenarbeit mit noch stabilen Staaten und die Kooperation mit Regional organisationen. Die NATO muss ihre Rolle im Süden fest in ihrem Aufgabenspektrum verankern. Blutige Bürgerkriege in arabischen Part- will. Was muss, was kann die NATO im nerländern, Millionen verzweifelter Süden des Bündnisgebietes erreichen? Flüchtlinge an den Grenzen Europas, Welche Instrumente hat die Allianz ent- eine straff organisierte, brutale islamis- wickelt? Gibt es eine zusammenhängen- tische Terrororganisation mit Kämpfern de Strategie für die Aktivitäten im Mit- in Europa: Die Sicherheit der NATO- telmeerraum? Genügt dies, um Kohäsi- Mitglieder wurde in den vergangenen on in der NATO herzustellen? zwei Jahren durch Konflikte und Insta- Die NATO muss Kohäsion immer wieder neu herstellen Die NATO muss eine STRATEGIE im Die NATO ist in verschiedenen Missio- Süden entwickeln, um die Sicherheit nen in der Region Naher Osten und ihrer Mitglieder weiter gewährleisten Nordafrika, im allgemeinen Sprachge- zu können. brauch die MENA-Region (Middle East und North Africa), aktiv. Doch man darf sich nichts vormachen: Die Allianz bilitäten in den südlichen Nachbarregi- spielt bei der Sicherheit im Mittelmeer- onen schwer beeinträchtigt. Die nordat- raum eher eine sekundäre Rolle. Sie ist lantische Vertragsorganisation muss als Stabilisierungspartner in vielen ara- auch auf diese Risiken und Gefahren bischen Gesellschaften wegen der kolo- eine Antwort finden, wenn sie die Si- nialen Vergangenheit einiger ihrer Mit- cherheit ihrer Mitglieder gewährleisten glieder und der Machtpolitik der USA in 470/2016 // PoLITISCHE STUDIEN 33
Quelle: STEPHANE DE SAKUTIN - Getty Images Der NATO-Gipfel Anfang Juli 2016 in Warschau legte in seinem Abschlussdokument mit dem Mittelmeerraum als neuen Bezugspunkt westlicher Sicherheitspolitik ganz klar eine aufgewertete Rolle der Allianz im Süden fest. der Region nicht willkommen. Die Alli- Unsere Betrachtungen hier betreffen anz hat auch nach den negativen Erfah- Konflikte, zwischenstaatliche Beziehun- rungen beim Staatenaufbau in Afgha- gen und Partnerschaften im MENA- nistan und dem Irak nicht den Ehrgeiz Raum. Süden heißt natürlich mehr und und die Entschlossenheit, die es bräuch- müsste mit Blick auf extremistische Netz- te, um mit langanhaltendem militäri- werke auch Afghanistan und mit Blick schen Einsatz und zivilem Aufbauwillen auf die russische Aufrüstung auf der Krim in fragilen Staaten für Ordnung zu sor- auch das Schwarze Meer mit einbeziehen. gen. In diesem Artikel soll sich das Augen- Trotzdem steht die Rolle der NATO merk aber auf die Bereiche der Krisenre- im Süden weit oben auf der Agenda, und aktion und des Fähigkeitsaufbaus von hatte beim zurückliegenden Gipfel am Partnerländern in der MENA-Region 8. und 9. Juli 2016 in Warschau einen richten. Das geschieht auch, um das In hohen Stellenwert. Es ist schwer zu er- strumentarium der westlichen Krisenre- messen, inwieweit einzelne NATO-Mit- aktion in Situationen abzuklopfen, in de- glieder Gefährdungen aus dem Süden nen von den meisten NATO-Mitgliedern für existenziell wichtig halten oder in- kein langfristiges Engagement gewünscht wieweit für sie eine gerechte Verteilung wird. Gleichzeitig ziehen die Konfliktent- des Engagements dazu dienen soll, die wicklungen in dieser Region die volle Entschlossenheit Richtung Osten auf- Aufmerksamkeit der südlichen Bündnis- rechtzuerhalten, der Einsatz im Süden länder auf sich. Dies treibt die Kohäsions- also instrumentelle Bedeutung hat. debatte in der NATO an. 34 POLITISCHE STUDIEN // 470/2016
Im Fokus Die NATO schaut aktuell eben mehr In der Geschichte hat sich die NATO nach Osten. Sie hat auf die bedrohliche- immer wieder neu erfunden. Von der ren Aktivitäten Russlands hin wichtige Abschreckungs- und Verteidigungsrolle Schritte in Richtung der gemeinsamen über die Funktion als Stabilitätsexpor- Verteidigung genommen. Dies gelang bei teur nach dem Ende der Blockkonfron- allen Meinungsunterschieden über den tation zu den komplexen Missionen wie Umfang des neuen Dispositives in Osteu- in Afghanistan und als Instrument ge- ropa mit vergleichsweise großer Einig- gen neue Risiken existieren verschiede- keit. Die Neuorientierung, mit einer ne Versionen der NATO mit jeweils ak- schnell verlegbaren Brigade Richtung Os- tualisierter Rationalität nebeneinander. ten, der Very High Readiness Joint Task Kohäsion muss in jeder Phase neu her- Force, und einer rotierenden, aber eigent- gestellt werden, was in einer wachsen- lich dauerhaften Präsenz der NATO in den Allianz nicht immer leicht ist. Auch Bataillonstärke jeweils im Baltikum und dies war bei den Diskussionen auf dem Polen, stellt einen Kompromiss zwischen Warschauer NATO-Gipfel zum Ein- den Mitgliedern dar. Die Beschlüsse ha- satzspektrum im Süden ein Antrieb. ben den ursprünglichen Zweck der Ver- Dabei darf nicht übersehen werden, teidigungsallianz aufgewertet, ohne je- dass die südlichen Mitglieder sich soli- doch an ihrer gewachsenen Aufgaben- darisch am neuen Abschreckungsdis- vielfalt etwas zu ändern. Im noch immer positiv Richtung Osten beteiligen. Spa- gültigen Strategischen Konzept von 2010, nien hat als Führungsnation in der ak- das den Arabischen Frühling und die Veränderung des Verhältnisses zu Russ- land gerade verpasst hat, stehen Verteidi- gung und Abschreckung, Kooperative Sicherheit und Krisenreaktion gleichge- Die Allianz konzentriert sich wichtig nebeneinander. momentan mehr auf den OSTEN. Diese Kategorisierung war auch eine Reaktion auf die Vorwürfe der osteuro- päischen Mitglieder, die NATO sei nur noch in Stabilisierungsmissionen wie in Afghanistan unterwegs und tue nicht genug, um ihr Beistandsversprechen aus tuellen Phase der NATO Response Artikel 5 mit militärischen Fähigkeiten Force auch die Verantwortung für deren glaubhaft zu machen. Nach 2014 hat Speerspitze übernommen. Portugal sich diese Gewichtung ironischerweise nahm mit seiner halben U-Bootflotte – umgekehrt. Die NATO investiert in Ab- bestehend aus einem Boot – im Juni schreckung und hält sich aus dem Ge- 2016 bei einem Baltops-Manöver in der schehen im südlichen Krisenbogen her- Ostsee teil. Umgekehrt ist mit dem Dis- aus – so zumindest die Kritik aus südli- kurs in Warschau auch die Überzeu- chen Mitgliedsländern, die als erste mit gung gefestigt worden, dass die NATO Flüchtlingen und islamistischer Unter- sich um den Süden kümmern muss, wanderung direkte Auswirkungen der nicht nur, weil dies die Gerechtigkeit Instabilität im arabischen Raum zu spü- und Solidarität im Bündnis erforderlich ren bekommen haben. machen, sondern auch, weil aus Krisen 470/2016 // PoLITISCHE STUDIEN 35
Im Fokus im Mittelmeerraum direkte Gefährdun- Die Flüchtlinge aus Krisengebieten gen für die Sicherheit aller Verbündeten wie Syrien, Jemen, Sudan und Libyen, entstehen. aber auch Afghanistan, die Europa über die Balkanroute oder die Route über das Im Mittelmeerraum entstehen zentrale Mittelmeer erreichen, sorgen Risiken für die NATO für ganz spezifische Herausforderun- Das Warschauer Abschlussdokument gen, die auch die NATO als Sicherheits- ist diesbezüglich eindeutig. Die Krisen organisation angehen. Seeraumüberwa- im MENA-Raum hätten gezeigt, „dass chung, auch Seenotrettung, dazu Be- die Sicherheit der Region direkte Aus- kämpfung des Schleuserwesens und wirkungen auf die Sicherheit der NATO Hilfestellung beim Ausbau des Küsten- hat. […] Wir unterstreichen daher die schutzes in den Mittelmeerstaaten sind Notwendigkeit, mehr zu tun, um eine heute zentrale Bestandteile der mariti- dauerhafte Beruhigung und ein Ende men Aktivitäten der EU und der NATO der Gewalt zu erreichen.“1 Wie berührt im Mittelmeer. die Instabilität im MENA-Raum die Si- Eine klare Aufgabe der NATO ist cherheit der NATO-Verbündeten? Klar der Kampf gegen internationalen Terro- ist, Instabilitäten schaffen Risiken. Aus- rismus, der zwar die meisten Opfer in ufernde Instabilität, Terrorismus, Proli- muslimischen Ländern fordert, aber feration von Massenvernichtungswaffen seine Bedrohung auch für den Westen und organisierte Kriminalität stehen da- durch Anschläge in Paris oder Brüssel bei in engem Zusammenhang. untermauert hat. Es gehört zu einem Die humanitäre Situation der Men- festen Charakteristikum der Sicher- schen in den Konfliktgebieten in Syrien, heitslage im Mittelmeerraum, dass sich dem Irak, Jemen, Sudan und Libyen ist gewaltbereite islamistische Gruppen katastrophal. Dies betrifft nicht nur die und Netzwerke in fragilen Staaten fest- Millionen Flüchtlinge, von denen nur setzen. Territorium bedeutet für die ein sehr kleiner Teil tatsächlich in Euro- Terrorgruppe Finanzierung. Die quasi- pa ankommt – die meisten sind in den staatliche Kontrolle über Gebiete er- Nachbarländern Syriens und Iraks ge- laubt Einkünfte durch Schmuggel von strandet –, sondern auch die Menschen, die in den Krisenländern verbleiben.2 Europa kann die Flüchtlinge nicht sich Die NATO kann sich der FLÜCHTLINGS- selbst überlassen, will es seine christli- PROBLEMATIK nicht entziehen. chen Überzeugungen und die Rechte, die es Flüchtenden und Asylsuchenden einräumt, nicht hintanstellen. Aus der Öl und anderen Gütern, den Handel Flüchtlingsbewegung entstehen innen- mit Antiquitäten sowie die Erhebung politische Belastungen für die Europäer von Steuern und Gebühren.3 Der IS ist und auch ihr innerer Zusammenhalt aber auch in Afghanistan, Ägypten und erodiert. Krisensituationen können po- Libyen aktiv. litischen Handlungsdruck entstehen Eine von den USA geführte Koaliti- lassen wie etwa im Falle der eingeschlos- on aus westlichen und arabischen Staa- senen Jesiden im Sindschar-Gebirge im ten kämpft im Irak gegen den IS, und Sommer 2014. versucht dies auch in Syrien, ohne sich 36 POLITISCHE STUDIEN // 470/2016
in den blutigen Kampf einzumischen, Die NATO baut ihre Aktivitäten an den Machthaber Assad mit iranischer der Südflanke aus und russischer Hilfe gegen die modera- Das Mittelmeer und die Nachbarregio- ten Rebellen und damit seine eigene Be- nen in Nordafrika, im arabischen Raum, völkerung führt. bis in den indischen Ozean sind wichtige geographische Bezugspunkte für die NATO. Frankreich und Portugal sind Gründungsmitglieder, die Türkei, Spa- nien und Griechenland seit Jahrzehnten Auch für den kommenden dabei. Schon im Kalten Krieg war die Präsidenten Donald Trump hat die NATO auch eine südlich orientierte Alli- ÜBERWINDUNG des Islamischen anz. Bei der aktuellen Definition ihrer Staates hohe Priorität Rolle kann sie aber auch auf einem jahr- zehntelangen Engagement aufbauen: In Partnerschaften mit Staaten im arabi- schen Raum und in Operationen, die ein breites Spektrum zwischen Seeraum- überwachung und komplexer Interventi- Während der Krieg gegen den IS on umfasst haben. Wenn heute über eine Fortschritte zeigt, ändert sich an der Rolle der Allianz im Süden diskutiert Grundbedingung zerfallender Staatlich- wird, dann ist dies also kein Neuanfang. keit erst einmal nichts. Der Irak hat da- Die Allianz unternahm in Warschau den gegen bessere Chancen, seine Staatlich- Versuch, eine Vielzahl von Aktivitäten keit zu festigen. und den Ausbau laufender Engagements Ein besonders besorgniserregender in einen kohärenten Zusammenhang zu Aspekt der Krise in Syrien und Irak ist stellen, der mit den sicherheitspoliti- es, dass der IS eine große Anzahl von ausländischen Kämpfern rekrutieren kann. Laut einer Schätzung des U.S. Na- Der Kampf gegen den internationalen tional Counter Terrorism Center vom Terrorismus und den IS ist auch AUFGABE Januar 2016 haben seit Anfang des Kon- des Bündnisses. fliktes 36.500 ausländische Kämpfer aus 120 Staaten im Irak und in Syrien ge- kämpft, darunter 6.600 aus westlichen schen Herausforderungen und dem Stra- Staaten,4 ein überproportionaler Anteil tegischen Konzept im Einklang steht. aber aus anderen Staaten der Region wie Die Summe der Maßnahmen allein Tunesien, Algerien, Libyen oder Saudi- schafft aber noch kein strategisches Arabien. Dies betrifft die NATO erstens, Ganzes, sie wirkt reaktiv. Die Allianz weil ausländische IS-Kämpfer extremis- sieht sich selbst noch nicht als zentralen tisches Gedankengut und terroristische Mitspieler in der MENA-Region. Fähigkeit mit in ihre westlichen Heimat- länder nehmen und zweitens droht diese Partnerschaften Ausbreitung des Terrorismus, auch bis- Die NATO hat in unterschiedlichen Kon- lang stabilere Staaten in der MENA-Re- texten Partnerschaftsprogramme mit gion in Gefahr zu bringen.5 Staaten der südlichen Nachbarregionen 470/2016 // PoLITISCHE STUDIEN 37
Im Fokus aufgelegt. Der Mediterranean Dialogue Partner war. Geld und Waffen sollten (MD) mit vier arabischen Staaten und Is- schließlich nicht geliefert werden.7 rael war Mitte der 90er-Jahre der Versuch, Im Zuge dieser Partnerschaften sind auf Wunsch einiger NATO-Mittelmeer- mit einigen Staaten auch vertiefte Ar- staaten der östlichen Partnerschaftspoli- beitsbeziehungen möglich geworden. tik ein südliches Pendant zur Seite zu stel- Marokko, mittlerweile ein spezieller len. Allerdings war es schwierig, einen Partner, war an der Operation „Active Dialog über die Risiken des islamisti- Endeavour“ beteiligt und Jordanien, mit schen Terrorismus zu vertiefen, während dem die NATO bis heute eine vertiefte die NATO nicht auf ähnliche Weise wie bilaterale Partnerschaft unterhält, war gegenüber dem Osten als Partner für die Teil der der ISAF. sicherheitspolitische Transformation und Modernisierung auftreten wollte.6 Nicht Irak zuletzt behinderte die wachsende Abnei- Die Allianz will eine stärkere Rolle bei gung der arabischen Staaten, mit Israel zu der Stabilisierung im Irak spielen. 2011 kooperieren, den Dialog und die Arbeit hatte sie mit Abzug der USA ihr Ausbil- im MD. Der MD nahm nacheinander dungsprogramm im Irak beendet. Die noch Jordanien und Algerien auf. Immer- so entstandene Sicherheitslücke bot zu- hin setzte sich die Allianz nach 2001 für mindest teilweise Raum für die Auswei- eine Aufwertung des MD ein. Der MD- tung des IS.8 Seit Augst 2015 ist die NATO nun als Teil des Defense Capaci- ty Building (DCB) von Jordanien aus Die Allianz muss ein zentraler MITSPIELER mit der Unterstützung der irakischen in der MENA-Region werden. Streitkräfte aktiv, bildet die NATO Ira- ker in ausgewählten Bereichen wie Maß- nahmen gegen behelfsmäßige Spreng- Rahmen erlaubt auch die Vertiefung bila- und Brandvorrichtungen, Kampfmittel- teraler Partnerschaften. Partner für die beseitigung und Minenräumung sowie Beteiligung an von der NATO geführten zivil-militärische Planung und Beratung Operationen sollte der MD allerdings in Bezug auf die Reform des Sicherheits- nicht in erster Linie gewinnen. sektors im Irak aus.9 Auf dem War- Darum ging es schon eher beim Auf- schauer Gipfel kamen die NATO-Mit- bau der Istanbul Cooperation Initiative glieder einem irakischen Ersuchen nach (ICI) vor dem Hintergrund des langsam und werden diese Ausbildungsmaßnah- scheiternden Staatsaufbaus im Irak, mit men jetzt in den Irak verlegen. Die Aus- der vor allem die Staaten am Persischen bildung beginnt im Januar 2017. Ein Golf eingebunden werden sollten. Die Fähigkeitsaufbau in einem fragilen Um- ICI war bilateral angelegt, sollte aber feld ist allerdings eine langfristige Auf- auch die Militärzusammenarbeit in der gabe, die zwar vergleichsweise wenig Region fördern. Die Agenda umfasste Mitteleinsatz, aber viel Geduld erfor- ebenfalls den Informationsaustausch dert. Sie ist kein Instrument, um kurz- über Terrorismus und Proliferation. Die fristig eine Kriseneskalation abzuwen- NATO konnte allerdings nie richtig klar- den. Auch Jordanien ist Partnerstaat im machen, was der praktische oder materi- DCB; die NATO hat Libyen in War- elle Nutzen der ICI für die arabischen schau diese Förderung angeboten.10 38 POLITISCHE STUDIEN // 470/2016
Gegen den IS in Syrien von Terrornetzwerken und wirkt am Die NATO hat sich in Warschau bereit Horn von Afrika zusammen mit der EU erklärt, ihre AWACS-Flugzeuge für die gegen Piraterie. Seeraumüberwachung Luftraumüberwachung über Syrien be- im Mittelmeer zur Bekämpfung terroris- reitzustellen. Seit Anfang 2016 waren tischer Netzwerke betreibt seit 2001 die die Systeme über dem türkisch-syri- Operation „Active Endeavour“. Am schen Grenzgebiet im Einsatz, auch als Horn von Afrika etwa ist sie im Kontext Reaktion auf den Abschuss des russi- der Operationen „Enduring Freedom“ in schen Kampfflugzeuges im November diesem Sinne aktiv, in der verschiedene 2015. Jetzt sollen die Flugzeuge zwar Aktivitäten der Allianz gegen Terroris- immer noch nur über der Türkei und in- ten zusammengefasst sind. In der Ägäis ternationalen Gewässern fliegen, doch ist die NATO seit Februar 2016 mit der können sie bis zu 400 km in den syri- Standing NATO Maritime Group 2 bei schen Luftraum hinein überwachen. der Erstellung eines Lagebildes aktiv, um Dabei geht es um die Unterstützung der Schlepperkriminalität und illegaler Mi- Anti-IS-Koalition, welche die USA mit gration zu begegnen. Informationen europäischen und arabischen Partnern werden der EU-Grenzschutzbehörde aufrecht zu erhalten versucht. Die Frontex zur Verfügung gestellt. AWACS leistet allerdings keine Feuer- Angesichts der veränderten Sicher- leithilfe.11 Die NATO bildete auf dem heitslage und der Flüchtlingsbewegun- Gipfeltreffen in Newport zwar den Rah- gen hat die NATO in Warschau be- men für die Gründung dieser Koalition schlossen, diese Kooperation zu vertie- und leistet einen wichtigen Beitrag zu fen. Ihre Operation „Active Endeavour“, ihrem Gelingen. Erstaunlicherweise be- mit der seit 2001 terroristische Netzwer- harren die NATO-Staaten aber auf einer ke und ihre Bewegung im Mittelmeer Außenseiterrolle: „ [….] Durch diesen beobachtet werden sollten, soll in die Beitrag an die Globale Koalition wird neue Operation „Sea Guardian“ über- die NATO kein Mitglied der Koalition.“ führt werden, deren Mandat weiter ge- fasst und die nicht mit Artikel 5 verbun- Seeraumüberwachung und den sein wird.12 Die NATO wird die Flüchtlinge entsprechende EU Mission Sophia auch Seit bald 15 Jahren orientiert die NATO bei der Überwachung von See- und ihre Präsenz im Mittelmeer auf Seeraum- Lufträumen und der Logistik unterstüt- überwachung gegen die Bewegungen zen. Hier kommen die Interessen der südlichen und nördlichen Mitgliedstaa- ten zusammen. Bedauerlich ist aber, dass für die stärkere Rolle der NATO im Mittelmeer Schiffe vom Horn von Afri- Im Zuge der SEERAUMÜBERWACHUNG ka und dem Golf von Aden abgezogen verstärkt die NATO durch werden, die dort erfolgreich gegen Pira- Kooperationen ihre Präsenz im terie im Einsatz waren. Mittelmeerraum. Libyen 2011 übernahm die NATO das Komman- do über die Mission „Unified Protector“ 470/2016 // PoLITISCHE STUDIEN 39
Im Fokus zum Schutz der Zivilbevölkerung in Liby- wache und seiner Marine zu helfen, und en, die am Ende den Sturz des Diktators bei der Reform des Sicherheitssektors Oberst Muammar Gaddafi möglich ge- Unterstützung zu leisten. Dies allerdings macht hat. Begonnen von den Franzosen setzt für die NATO eine Anfrage der legi- und Briten, mit substanzieller Unterstüt- timen Regierung voraus, ein Konsens zung durch amerikanische Streitkräfte, über eine Einladung an die NATO steht ging das Kommando Ende März 2011 an aber noch aus. Die NATO kann nicht als die NATO über, die auch Einsatzroutinen alleiniger Bannerträger des libyschen vorhielt, dank derer regionale Partner Neuanfangs auftreten, dazu fehlt ihr die leichter eingebunden werden konnten. Legitimität in der Region. Nach einem guten halben Jahr endete die Mission. Die NATO-Mitglieder, noch un- Neuer Bezugspunkt westlicher ter dem Eindruck einer immer schwieri- Sicherheitspolitik? ger werdenden Lage in Afghanistan, wa- Auf dem Gipfel von Warschau konnte ren nicht zu einem andauernden Stabili- „eine Süd-Spaltung in der NATO abge- sierungseinsatz in Libyen bereit. wendet werden“13. Dafür haben die kla- Die Situation in Libyen hat sich in ren Aussagen im Abschlussdokument der Folge verschlechtert, und das kann und die aufgewertete Rolle der Allianz der NATO nicht gleichgültig sein. Der im konfliktreichen Mittelmeerraum ge- Bürgerkrieg und das Vordringen isla- sorgt. Bei aller Rhetorik über die gleich- mistischer Terroristen in der Folge von gewichtige Bedeutung des NATO-Enga- Gaddafis Sturz waren nicht allein eine gements im Osten oder im Süden darf Auswirkung der internationalen Inter- aber nicht darüber hinweg gesehen wer- vention. Es ist auch nicht sicher, dass die den, dass die NATO gegenüber den Be- Allianz mit einer längeren Präsenz einen drohungen im Osten glaubwürdiger auf- geordneten Übergang erreicht hätte. Al- treten kann, denn die Abschreckung lerdings war das Ziel der Operation auch und kollektive Verteidigung gegenüber nicht, stabile politische Verhältnisse einem potenziellen militärischen Angriff herzustellen, sondern zunächst, Zivilis- ten vor der Gewalt der Regierung zu schützen. In der verfahrenen Situation, Die Allianz ist auf ANFRAGE seitens die sich in den Jahren nach der Interven- der libyschen Regierung zu einer tion in Libyen ergeben hat, mit zwei pa- Aufbauhilfe bereit. rallelen Regierungen in Tripolis und Bengasi und wachsendem Einfluss von Ansar al-Sharia und später mehr und gehört gewissermaßen zu ihrer DNA. mehr des IS gab es für die NATO kaum Terroristische Netzwerke, gesellschaftli- legitime Regierungspartner für die Zu- che Unzufriedenheit, individuelle Not sammenarbeit. und humanitäre Katastrophen lassen Mit einer politischen Einigung über sich mit den Mitteln einer Militärallianz die Bildung einer Regierung der nationa- dagegen nicht so leicht beseitigen. Das len Einheit im März 2016 haben sich die darf aber nicht bedeuten, dass die NATO Bedingungen nun geändert. Die NATO sich raus hält, wenn sie einen positiven hat in Warschau die Möglichkeit skiz- Beitrag leisten könnte. Sinnvoll ist es ziert, Libyen beim Aufbau seiner Küsten- jetzt, in zwei Stoßrichtungen die Aktivi- 40 POLITISCHE STUDIEN // 470/2016
täten der NATO im Süden zu festigen gutes Zeichen, in der auch die opera- und in einen strategischen Gesamtzu- tive Zusammenarbeit bei der mariti- sammenhang zu überführen. men Lagebeurteilung und der Bewäl- tigung illegaler Migration angespro- chen wird. Ergebnis ist die anlaufen- de Kooperation zwischen den Opera- tionen „Sophia“ und „Sea Guardian“, Der Gipfel von Warschau hat doch sollte das Zusammenwirken eine VERSTÄRKUNG des NATO- zum Normalfall werden. Engagements im Süden bewirkt. • Die NATO sollte dabei auch erwä- gen, ihre Beziehungen politisch und auf der Arbeitsebene mit Regionalor- ganisationen wie der Arabischen Liga (AL) auszubauen. Die NATO kennt die Unterstützung von Regionalorga- • Zunächst muss die NATO ihre Rolle nisationen beim Krisenmanagement im Kampf gegen den IS ernst nehmen. bereits durch die Afrikanische Uni- Diese internationale Bedrohung sollte on, die selbst nur mühsam in diese höhere Priorität erhalten. Die NATO Rolle findet. Die AL sollte als strate- wird allerdings selbst keine Rolle in gischer Partner entwickelt werden, der ersten Reihe übernehmen, das auch, um die Rolle der NATO in der müssen die USA in ihrer fragilen Koa- MENA-Region zu normalisieren.15 lition selbst tun. Der Wert der Allianz im Kampf gegen den Terrorismus Die NATO sollte ihre Rolle im Süden wird sich auch in den Diskussionen fest im strategischen Aufgabenspek über die Zukunft der NATO zwi- trum verankern. Es kann kaum der Ehr- schen den Europäern und der kom- geiz sein, eine Gesamtstrategie für den menden US-Regierung unter Donald Süden zu entwickeln. Doch muss aus Trump niederschlagen. Bei der Be- der Arbeit an einem neuen Strategischen wertung der Risiken durch den IS Konzept, das die NATO vermutlich bis darf die NATO allerdings auch nicht spätestens 2020 entwickeln wird, ein beim MENA-Raum haltmachen, son- klares Selbstverständnis erwachsen, dern muss die Vernetzung islamisti- dass die Allianz eine legitimer Partner scher Gewaltgruppen auch in Zen- und Mitspieler in den Transformations- tralasien und im Subsahara-Raum in prozessen im südlichen Krisenbogen ist die Analyse mit einfließen lassen. und ihr Engagement entsprechend aus- • Partner beim Ausbau der Fähigkeits- bauen muss. /// initiativen wie der DCB sollten gera- de solche Staaten sein, die noch stabil sind, wie weiterhin Jordanien, aber auch Tunesien und Marokko.14 • Die NATO und die EU müssen ihre Aktivitäten im MENA-Raum besser verschränken. Die Gemeinsame Er- klärung von Warschau ist dabei ein 470/2016 // PoLITISCHE STUDIEN 41
Im Fokus NATO’s Partnership Policy in a Changing world, hrsg. von Trine Flockhart, Danish Institute for In- ternational Studies, DIIS Report 14/01, Kopenha- gen 2014, http://pure.diis.dk/ws/files/58169/ WP2014_01_NATO_tfl_web.pdf 8 M arrone, Alessandro: What’s new on NATO’s Southern flank: Security threats and the Alliance’s role after the Warsaw Summit, Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Security Policy Working Pa- per 22/2016, S. 2, Stand: 10.10.2016. 9 Gipfelerklärung von Warschau, Ziff. 95. 10 Gipfelerklärung von Warschau, Ziff. 96. 11 Zur Rolle der NATO im Kampf gegen Terroris- mus, Treffen der NATO-Verteidigungsminister, /// D R. HENNING RIECKE Brüssel 25.-27.10.2016, Pressekonferenz, General- ist Programmleiter für Programm USA / sekretär Jens Stoltenberg (Transkription), http:// www.nato.int/eps/en/natohq/opinions 136873, Transatlantische Beziehungen bei der htm?selectedLocale=en, Stand: 27.10.2016. Deutschen Gesellschaft für Auswärtige 12 Diese Mission wurde Anfang November 2016 ge- startet. Für Informationen über die eingesetzten Politik e. V., Berlin. Schiffe: NATO Maritime Command: NATO Ope- ration Sea Guardian Kicks off in the Mediterranean, http://www.mc.nato.int/PressReleases/Pages/ NATO-Operation-Sea-Guardian-Kicks-off-in- Anmerkungen the-Mediterranean.aspx, Stand: 9.11.2016. 1 Gipfelerklärung von Warschau (Übersetzung), 13 K amp, Karl Heinz: Der Gipfel von Warschau: Die Treffen des Nordatlantikrats auf Ebene der Staats- NATO in einer neuen Ära, Mittler Brief, Jg. 31. und Regierungschefs in Warschau, Warschau, 2/2016, S. 4. 8./9.7.2016, Ziff. 25, http://www.auswaertiges 14 Jourchi, Salahuddin: NATO in Tunisia, Middle amt.de/cae/servlet/contentblob/743380/publica East Monitor, 15.7.2016, https://www.middlee- tionFile/219765/GipfelerklaerungWarschau2016. astmonitor.com/20160715-nato-in-tunisia/, pdf Stand: 10.10.2016. 2 A ktuell (Sept. 2016) werden knapp 4,8 Mio. 15 El-Kouedi, Mona: NATO and the Arab League: Flüchtlinge aus Syrien registriert, davon über 2.7 The Importance of Being Earnest, NATO Defense Mio. in der Türkei, über 1 Mio. im Libanon und College, Working Paper, Rom 2013, http://www. über 650.000 in Jordanien. 1.151.865 Asylgesuche ndc.nato.int/download/downloads.php?icode= sind in Europa registriert, http://data.unhcr.org/ 379, Stand: 10.10.2016. syrianrefugees/regional.php, Stand: 17.10.2016. 3 Shelley, Louise I.: Dirty Entanglements: Corrup tion, Crime, and Terrorism, Cambridge 2014. 4 Dilanian, Ken: U.S. Says It‘s Slowing Flow, But Foreign Fighters Still Flock to ISIS, NBC News, 16.1.2016, http://www.nbcnews.com/storyline/ isis-terror/u-s-says-it-s-slowing-f low-foreign- fighters-still-n494281, Stand: 29.9.2016. 5 I nstability In The Levant – Challenges To Nato’s Security Nato, Parliamentary Assembly, Report presented by Boris Blazekovic (Croatia), Rappor- teur, Sub-Committee on Transatlantic Relations (PCTR 2015), http://www.nato-pa.int/default. asp?SHORTCUT=4027, Ziff. 49 6 Kjennerud, Eric Reichborn: NATO in the “New” MENA Region: Competing Priorities amidst Di- verging Interests and Financial Austerity, Norwe- gian Institute for International Affairs, NUPI Re- port Security in Practice 1:2013, Oslo 2013, S. 19, https://brage.bibsys.no/xmlui/bitstream/handle/ 11 2 5 0 / 2 76 5 0 5 / N U P I % 2 5 2 B R e p o r t - S I P - 1-13 - Reichbor n- Kjen ner ud.pd f ?sequence= 3&isAllowed=y>, Stand: 9.10.2016. 7 G aub, Florence: Against all Odds: Relations be tween NATO and the MENA region, U.S. Army War College, Strategic Studies Institute, Carlisle Barracks, VA, August 2012; Jørgensen, Jakob Aarøe: Partnerships in the Middle East: Interven- tionist Endeavors?, in: Cooperative Security: 42 POLITISCHE STUDIEN // 470/2016
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