Ein Lehr-Lern-Modell für personalisiertes Lernen durch Ko-Konstruktion im adaptiven Unterricht in heterogenen Lerngemeinschaften - Josef Leisen

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Ein Lehr-Lern-Modell für personalisiertes Lernen durch Ko-Konstruktion im adaptiven Unterricht in heterogenen Lerngemeinschaften - Josef Leisen
Ein Lehr-Lern-Modell für personalisiertes Lernen durch
Ko-Konstruktion im adaptiven Unterricht in heterogenen
Lerngemeinschaften
Josef Leisen | Studienseminar Koblenz/Universität Mainz

Zum Theorie-Praxis-Verhältnis im Umgang mit               rie? Was kann ich beibehalten, was muss ich ver-
Heterogenität                                             ändern? Welche Konzepte im Umgang mit
                                                          Heterogenität prägen mein Handeln eigentlich?“.
„Binnendifferenzierung ist ein Wort für das
schlechte Gewissen des Lehrers.“ (Wischer,
2008, S. 720) so titelt ein Artikel zum Theorie-          Konzepte im Umgang mit Heterogenität
Praxis-Verhältnis im Umgang mit Heterogenität.
Binnendifferenzierung ist eines der zahlreichen           Heterogenität zeigt sich in folgenden sechs Be-
Konzepte, die die Theorie für den Umgang mit              reichen, wobei die Voraussetzungen und das Po-
Heterogenität bereitstellt und die zu hohen nor-          tenzial von der Schule nicht beeinflusst werden.
mativen Erwartungen führen. Die Konzepte                  Die Heterogenität im Fachlichen und im Sprach-
indes finden in der Praxis wenig Verbreitung              lichen gehört in den Bereich des Unterrichts und
und werden von ihr unzureichend eingelöst. Die            die im Persönlichen und im Umgang in den Be-
Situation spiegelt eine immer noch verbreitete            reich der Erziehung.
Auffassung des Theorie-Praxis-Verhältnises
wider, nach der die Praxis umgesetzte Theo-
rie sei. Denkt man hingegen das Theorie-Pra-
xis-Verhältnis anders, nämlich als Gefüge, so
ergeben sich Möglichkeiten der gegensei-
tigen Befruchtung. In dieser Sehweise des
Theorie-Praxis-Verhältnisses als Gefüge ist
-- die Praxis theoriebegleitet und
-- die empirisch forschende Theorienbildung
   praxisgeleitet.
Weder der Theorie noch der Praxis kommt
der Primat zu. Es stellt sich dann auch nicht
die Frage, ob erst die Theorie und dann die
Praxis gelernt werden soll oder umgekehrt.                Abb. 1: Aspekte der Heterogenität (eigene Darstellung)
Der Blick richtet sich auf den Prozess der Theo-
rie- bzw. der Konzeptbildung in der Unterricht-
spraxis. In dieser Sehweise ist die Unterricht-           Auch wenn sich jede einzelne Lehrkraft täglich
spraxis Ausgangs- und Endpunkt der                        individuell im eigenen Unterricht der Frage des
Theorienbildung.                                          Umgangs mit heterogenen Lerngruppen stellt,
                                                          so muss die Schule als Ganzes ein Konzept ent-
Für den Ausbilder lautet die Frage nicht mehr:            wickeln. Eine Schule, die sich dem Umgang mit
„Wie kommt die Theorie in den Studierenden?",             Heterogenität als Schulentwicklungsthema ver-
sondern „Wie kommt der Studierende zur                    schreibt, muss sich fragen:
Theorie?".                                                1. Wollen wir eine ganz andere Schule mit einer
                                                          ganz anderen Schulstruktur, z.B. klassenüber-
Aus der Sicht des Studierenden lautet die Frage           greifende Organisationsformen, neue Zeit- und
nicht mehr: „Wie kommt die Theorie in mich?",             Lernstrukturen, individualisiertes Lernen, Lern-
sondern „Wie werde ich zu meinem eigenen                  büros, medial gesteuertes Lernen, ...?
Theoriebildner?". Für die Lehrkraft stellt sich die       2. Wollen wir eine ganz andere Unterrichtsstruk-
Frage: „Ist mein unterrichtliches Handeln kom-               tur mit durchgängig ganz anderen Lehr- und
patibel mit den empirischen Befunden der Theo-               Lernformen, z.B. offene Formen (Wochenplan-

                                                                           Pädagogische Hochschule Vorarlberg | F&E Edition 23 | 2016 21
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arbeit, Freie Arbeit, Wahldifferenzierter Unter-
        richt, Wahlthemen, Stationenlernen, Projekt-
        unterricht, ...)?
     3. Wollen wir die Schul- und Unterrichtsstruktur
        beibehalten und daran festhalten, dass unter-
        schiedliche Lerner über ein gemeinsames Un-
        terrichtsthema diskursiv kommunizieren und              Abb. 2: Die Treppe der Unter-, Überforderung und
        dabei wechselseitig voneinander profitieren?            kalkulierten Herausforderung (eigene Darstellung)

     Egal wie sich die Schule entscheidet, es gibt keine
     „Lösung“ der Heterogenitätsprobleme, und es gibt
     keine Heilsversprechen. Aus der Systemtheorie
     wissen wir, dass die „Lösung“ der Probleme an
     einer Stelle zu neuen Problemen an anderer Stelle
     führt. Man frage also nicht, wie die Probleme „zu
     lösen“ sind, sondern wie passend damit umzuge-
     hen ist. Der passende Umgang ist immer bezogen
     auf die jeweilige Schulkultur, Schultradition, Schü-
     lerschaft, Lehrerschaft, Elternschaft und auf das
     Umfeld und die Vorstellungen der Beteiligten von
     Schule, Erziehung, Unterricht, Bildung, ...                Abb. 3: Die Treppe der kalkulierten Herausforderung
                                                                (eigene Darstellung)
     Lehrkräfte, die im Alltagsgeschäft Heterogeni-
     tätssituationen von Unterricht und Erziehung
     bewältigen müssen, können nicht auf Struktur-              Nach Wygotzky (1987) profitiert der Lerner am
     veränderungen warten, sondern müssen tagtäg-               meisten von der Anleitung und Unterstützung
     lich im Unterricht handeln. Dazu bieten sich               durch kompetente Personen, wenn diese Unter-
     kleine Passungen durch Unterstützungen und                 stützung in die „Zone der nächsten Entwicklung“
     größere Passungen durch Differenzierungen an.              führt. So werden personalisierte Aufgaben ge-
                                                                stellt, die den Lerner kalkuliert auf seine näch-
                                                                ste Stufe führen.
     Das Prinzip der „kalkulierten Herausforderung“
                                                                Jeder Schüler erhält eine Aufgabenstellung, die
     Stellt man einem Schüler eine Aufgabenstellung             ihn zum Schritt auf die nächste Stufe herausfor-
     mit Anforderungen, die er mit seinen momen-                dert. Dazu gibt es über Aufgaben, Materialien,
     tanen Fähigkeiten nicht zu bewältigen vermag,              Methoden grundsätzlich zwei Möglichkeiten:
     so scheitert er und wird sich der Aufgabe erst             1. Unterstützung: Alle erhalten dieselbe Aufga-
     gar nicht widmen. Auf Dauer wird er Aufgaben-                 benstellung, aber mit individuellen Hilfen,
     stellungen verweigern. Sind die Anforderungen                 Materialien und Methoden.
     der Aufgabenstellung indes zu niedrig, wird ihm            2. Differenzierung: Die Schüler erhalten Aufga-
     die Bewältigung zwar gelingen, der Lernerfolg                 benstellungen mit unterschiedlichen Anforde-
     bleibt jedoch aus. Auf Dauer wird sich der Schü-              rungen, Materialien, Methoden.
     ler unterfordert fühlen und die Aufgabenstel-
     lungen verweigern. Wenn Anforderungen den
     momentanen Fähigkeiten entsprechen und kal-                Kleine Passungen durch Unterstützungen
     kuliert etwas über dem Bewältigungsniveau lie-
     gen, so dass die Aufgabenstellung mit Anstren-             Beispiel: Strukturierung von Dreiecken im Ma-
     gung erfolgreich bewältigt werden kann, dann               thematikunterricht der Klassenstufe 7. Im Ein-
     findet der maximale Lernertrag statt. (Abb. 2)             stieg spielt sich folgende Unterrichtsszene ab:

22 Pädagogische Hochschule Vorarlberg | F&E Edition 23 | 2016
Ein Lehr-Lern-Modell für personalisiertes Lernen durch Ko-Konstruktion im adaptiven Unterricht in heterogenen Lerngemeinschaften - Josef Leisen
L: Dreiecke. Welche Dreiecke kennt ihr?              leitet zur Selbst- oder Fremdkorrektur an.
S1: Rechtwinklige.                                   Durch geschicktes Lehrerhandeln gibt es im
L: Gut, weitere.                                     laufenden Unterricht ohne großen Aufwand
S2: Gleichschenklige und gleichseitige.              viele Möglichkeiten für kleine Passungen. Die
L: Gleichschenklige und gleichseitige, ja. Was ist   Idee ist immer dieselbe: Vielen/allen Schülern
denn der Unterschied? Kannst du sie voneinan-        erfolgreiches Lernen ermöglichen durch pas-
der abgrenzen?                                       sende Herausforderungen mit Unterstüt-
S2: Gleichseitige sind auch gleichschenklige.        zungen.
L: Richtig, welche gibt es noch?
S1: Gleichwinklige.
L: Ja, gleichwinklige. Wie hängen die mit den        Größere Passungen durch Differenzierungen
gleichschenkligen zusammen?
S: …                                                 Differenzierungen sind deutlich aufwändiger
Spätestens an dieser Stelle sind 80% der Schüle-     und führen im Extremfall zur Individuaisierung
rinnen und Schüler aus dem Unterrichtsgesche-        des Lernens. Differenzierungen lassen sich auf
hen ausgestiegen, haben den Faden verloren,          verschiedene Arten erreichen.
finden sich im Gewirr der vielen Dreiecke nicht
mehr zurecht. Das Bemühen des Lehrers, durch         Mit verschiedenen Anforderungen
Aktivierung des Vorwissens die Lerngruppe auf        differenzieren
den gleichen Stand zu bringen, scheitert. Dabei
kann es einfach sein:                                Durch unterschiedliche Anforderungsniveaus
L: Wir haben schon verschiedene Dreieckssor-         der Operatoren oder durch die Komplexität der
ten kennengelernt. Da bringen wir jetzt einmal       mathematischen Gleichungen lassen sich Diffe-
Ordnung hinein. Bildet Sätze und verwendet           renzierungen umsetzen.
mindestens zwei Begriffe auf der Folie.
                                                      leicht
                                                      Entscheide, ob die Gleichung unlösbar,
                                                      eindeutig oder allgemeingültig ist:
                                                      2x – 6 = 6 + 2x

                                                      mittel
                                                      Begründe, ob die Gleichung unlösbar,
                                                      eindeutig oder allgemeingültig ist:
                                                      4y + 48 = -2(y+10) + 68 + 6y

                                                      schwer
                                                      Ergänze die rechte Seite so,
                                                      dass die Lösungsmenge leer ist.
                                                      3x + 18 – 4(1,5 – 0,5x) =
Abb. 4: Methoden-Werkzeuge (eigene Darstellung)

Damit hat jede Schülerin, jeder Schüler die          Mit Öffnungsgraden differenzieren
Chance, einen Satz zu bilden. Manche werden
einfache und fachlich korrekte Sätze, andere         In der Materialbox findet ihr verschiedene Kerzen.
werden sprachlich komplexe und fachlich rich-        Offene Aufgabenstellung
tige oder fehlerhafte Sätze bilden. Die Lehr-        1. Wie schnell brennt eine Kerze ab?
kraft hört und diagnostiziert mit fachlichem         2. Welche Aspekte dieses Vorgangs könnte man
und sprachlichem Ohr, gibt Rückmeldung und              mathematisch erfassen?

                                                                        Pädagogische Hochschule Vorarlberg | F&E Edition 23 | 2016 23
3. Welche Daten über die Kerze stehen zur Ver-             (Des Umfangs wegen werden die Aufgaben
        fügung?                                                 an dieser Stelle nicht abgedruckt. Diese können
     4. Welche Fragen könnte man mathematisch zu                beim Autor angefordert werden:
        lösen versuchen?                                        leisen@josefleisen.de)
     Geschlossenere Aufgabenstellung
     1. Wie ändert sich die Länge einer Kerze mit der           Bei den größeren Passungen durch Differenzie-
        Zeit?                                                   rungen erhält jeder Schüler eine Aufgabenstel-
     2. Wie hängt das mit der Form der Kerze zusam-             lung, die seinem Niveau entspricht. An die
        men?                                                    Lehrperson werden hohe Anforderungen ge-
     3. Mache Annahmen und Vereinfachungen, so-                 stellt:
        dass du den Vorgang des Abbrennens einer                -- hoher Vorbereitungs- und Materialaufwand,
        Kerze mathematisch beschreiben kannst.                  -- unterschiedliche Bearbeitungszeiten und Ergeb-
     4. Wähle für eine dünne lange und eine dicke                  nisse unterschiedlicher Qualität und Quantität,
        kurze Kerze sinnvolle Werte für Länge und               -- hohe Anforderungen an das Organisations-
        Abbrenngeschwindigkeit und berechne, wann                  und Klassenmanagement.
        beide Kerzen gleich lang sind.                          Abgesehen davon, dass die Anforderungen an
     Geschlossene Aufgabenstellung                              Lehrkräfte zur Überforderung auswachsen kön-
     1. Kerze 1 brennt in 5 Stunden von 36 cm auf               nen, führt die Differenzierung im Extremfall zur
        11 cm ab.                                               vollständigen Individualisierung des Unterrichts.
     2. Kerze 2 brennt in 2 Stunden von 10 cm auf 8
        cm ab.
     3. Wie ändert sich die Länge der Kerzen mit der            Kritische Stimmen zur Individualisierung und
        Zeit?                                                   Differenzierung
     4. Beschreibe den Vorgang des Abbrennens ma-
        thematisch.                                             „Die Strategie des lehrergesteuerten individua-
     5. Schildere und begründe die Annahmen, die                lisierten Unterrichts (meist Synonym mit Bin-
        du gemacht hast.                                        nendifferenzierung verwendet) hat bei Lichte
     Sehr geschlossene Aufgabenstellung                         betrachtet nur zwei Effekte: Sie überfordert die
     1. Kerze 1 brennt in 5 Stunden gleichmäßig von             Lehrkräfte. Und sie bringt kaum etwas. Der
        36 cm auf 11 cm ab.                                     Grund ist simpel: Individuelle Lernaktivitäten
     2. Kerze 2 brennt in 2 Stunden gleichmäßig von             lassen sich weder didaktisieren noch verwalten.“
        10 cm auf 8 cm ab                                       (Müller, 2013, S. 34)
     3. Wie sollten die Kerzen beschaffen sein, damit
        man diese Annahmen machen kann?                         „Die eigentliche Anforderung dürfte jedoch darin
                                                                bestehen, dass insgesamt überaus komplexe Ler-
                                                                narrangements zu managen sind: Wenn durch
     Mit Aufgabentypen differenzieren                           eine Differenzierung von Lernwegen, -inhalten,
                                                                -zeiten und -zielen eine optimale Passung zu den
     Du hast die Wahl zwischen drei Aufgaben zum                individuellen Bedürfnissen der Lernenden herge-
     Thema „Fortpflanzung der Moose“                            stellt werden soll, ohne das gemeinsame Lernen
     A: Leseaufgabe                                             zu vernachlässigen, dann erfordert dies eine
     B: Experimentieraufgabe                                    deutlich erhöhte Aufmerksamkeit für parallel
     C: Forschungsaufgabe                                       ablaufende Prozesse und es stellt sich eine unü-
     In jeder Aufgabe erfährst du:                              berschaubare Zahl an Entscheidungen ein (vgl.
     -- Was ist zu tun?                                         Weinert, 1997, S. 50).“ (Wischer, 2008, S. 718)
     -- Wie schwer ist die Aufgabe?
     -- Wie umfangreich ist die Aufgabe?                        „Leider bewegen sich die Konzepte, die an vielen
     -- Was lerne ich mit der Aufgabe?                          Schulen entwickelt werden, weitgehend auf der
     -- Für wen ist die Aufgabe besonders gut?                  Ebene der Schul- und Unterrichtsstrukturen. Zu-

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dem setzen viele die Hoffnung in eine möglichst        zichtbar zur Bedeutungskonstruktion. Die Ziele
vollständige Individualisierung des Lernens. Dies      des ko-konstruktiven Lernens sind:
geht oft zu Lasten der Lernqualität (Vernachläs-       -- Neue Inhalte gemeinsam erarbeiten,
sigung von Verstehensprozessen, Kooperation            -- verschiedene Perspektiven kennenlernen,
und Kommunikation) und endet im schlimmsten            -- zusammen mit anderen Probleme lösen und
Falle im Erledigen von Arbeitsblättern.“ (Leuders         Phänomene erklären,
& Prediger, 2016, S. 5)                                -- momentanen Verstehenshorizont erweitern,
                                                       -- Ideen austauschen, verwandeln und ausweiten.
Es ist sicher richtig, dass im Extremfall der voll-
ständigen Individualisierung große Chancen des         Wygotzky erkannte in den 1930er Jahren, dass
gemeinsamen Unterrichts unnötig verschenkt             das Handlungsmotiv eines Kindes nicht im In-
werden. In den nachfolgenden Abschnitten wird          halt der Tätigkeit liegt, sondern in seinen Bezie-
gezeigt, dass es auch anders, einfacher und er-        hungen zu Erwachsenen und Mitlernern. Kinder
giebiger mit Lernprodukten geht.                       lernen vor allem von Menschen in sozialen Inter-
                                                       aktionen und durch emotionale Beziehungen zu
                                                       ihnen. Ein extrem individualisierter Unterricht
Personalisiertes Lernen in heterogenen Lern-           verschenkt diese Möglichkeiten. Nicht Individua-
gemeinschaften im adaptiven Unterricht durch           lisierung, sondern Personalisierung eröffnet
Ko-Konstruktion                                        Möglichkeiten im Umgang mit Heterogenitäten.

Der extrem individualisierte Unterricht verschenkt     Personalisiertes Lernen bedeutet, dass sich Ler-
die Chancen des Diskurses gemeinsamen Unter-           nende in ihrem Handeln als kompetent und
richts. Lernen findet zwar im Kopf jedes einzelnen     selbstwirksam erleben können. Zielt die Indivi-
Menschen als Umstrukturierung und Vernetzung           dualisierung als Methode auf maßgeschneiderte
von Synapsen statt, aber die Stimulation und Wie-      Angebote ab, so zielt die Personalisierung auf
derholung dazu wird veranlasst durch kognitive         eine konsequente Lernerorientierung mit selbst-
Aktivierung in adaptiven Lernumgebungen (he-           bestimmtem Lernen. Damit ist die Personalisie-
rausfordernde Aufgabenstellungen, anregende            rung eben keine Methode, sondern ein Prinzip.
Materialien, stimulierende Methoden) und durch         „Bei Personalisierung ist das jeweils persön-
eine Zusammenarbeit mit anderen, eben durch            liche Ich beim Lernen beteiligt und macht es zu
Ko-Konstruktion. Dieser Ansatz geht auf Wygotzky       seinem, es trägt den Fingerabdruck des Ler-
zurück (Wygotzky, 1987).                               nenden.“ (Schratz, 2010, S. 26).
                                                       Reusser bemerkt kritisch wohlwollend:
„Ko-Konstruktion als pädagogischer Ansatz heißt,       -- „Personalisiertes Lernen ist
dass Lernen durch Zusammenarbeit stattfindet,          -- ein unscharfer Begriff, weil äußerst vielschich-
also von Fachkräften und Kindern gemeinsam                tig, vage und diffus,
ko-konstruiert wird. Der Schlüssel dieses Ansatzes     -- wenig trennscharf zu andern reformpädago-
ist die soziale Interaktion. Die Ko-Konstruktion hat      gischen Konzepten,
sich aus dem philosophischen Ansatz des Konstruk-      -- mit unklaren Wirkungserwartungen behaftet,
tivismus herausgebildet, nach dem man die Welt         -- ein „Container-Begriff“, in den man einfüllen
interpretieren muss, um sie zu verstehen.“ (Fthena-       kann, was man will,
kis, 2009, S. 8)                                       -- der Gefahr ausgesetzt, viele Lernende zu über-
                                                          fordern,
Ko-Konstruktion vollzieht sich im interaktionis-       -- und dass es bislang kaum Forschung und em-
tischen Modell. Entscheidend ist, dass der Ler-           pirische Daten gibt.“ (Reusser, 2015)
ner und seine Umwelt (inter)aktiv sind. Im Vor-
dergrund steht bei der Ko-Konstruktion von             Entscheidend für die Qualität eines personali-
Wissen die Konstruktion von Bedeutung und we-          sierten Unterrichts sind die Adaptivität der In-
niger der Erwerb von Fakten. Fakten sind unver-        struktion und der Aufgabenstellung sowie die

                                                                       Pädagogische Hochschule Vorarlberg | F&E Edition 23 | 2016 25
Lernerunterstützung. Unterricht muss von der               vität) bearbeiten, Informationen auswerten, sich
     Lernerperspektive aus konzipiert und gestaltet             mit den fachlichen Inhalten auseinandersetzen
     sein und die Lernprozesse müssen professionell             und dabei Kompetenzen entwickeln. Dabei ent-
     gesteuert werden. Bohl hat die verschiedenen               stehen Lernprodukte (Lernproduktorientierung)
     Konzepte im Umgang mit der Heterogenität                   materialer Art (z.B. Tabelle, Mindmap, Text,
     übersichtlich dargestellt. (vgl. Beitrag Bohl, Folie       Skizze, Bild, Diagramm, Experiment, …) oder
     2, S. 8)                                                   auch immaterieller Art in Form von Erkenntnis-
                                                                sen, kognitiven Strukturen, Urteilen und Wert-
     „Mit Adaptivität ist die Anpassung des Lernange-           haltungen. Das ist der zentrale Lernschritt und
     bots an die individuellen Voraussetzungen der              alle vorgängigen führen dahin, alle nachfol-
     Lernenden gemeint. Adaptive Instruktion kann               genden bauen darauf auf. Die erstellten Lern-
     als ‚Sammelbezeichnung für den unterricht-                 produkte tragen eine persönliche Handschrift
     lichen Umgang mit interindividuellen Diffe-                (Personalisierung) bzw. die der Gruppe und wer-
     renzen’ bezeichnet werden.“ (Hasselhorn & Gold,            den im Plenum diskutiert und verhandelt (Ko-
     2009, S. 253) Adaptivität bezeichnet die Anpas-            Konstruktion). Ein Lernschritt, in dem vernetzt
     sung des Unterrichts an die lernrelevanten Un-             und transferiert wird, schließt die Lernlinie ab.
     terschiede zwischen den Lernern.
                                                                Die einzelnen Lernschritte in der Lernlinie
                                                                Der Lernprozess in einer Lerneinheit (nicht not-
     Ein Lehr-Lern-Modell für einen adaptiven                   wendigerweise eine 45 Minuten-Stunde) findet
     ko-konstruktiven Unterricht in heterogenen                 in einer begründeten Schrittfolge statt, die kon-
     Lerngruppen                                                sequent an einer Kompetenz- und Lernerorien-
                                                                tierung ausgerichtet ist.
     Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass es
     reichlich viele Prinzipien für gutes Lehren und            1. Lernschritt: Im Lernkontext ankommen/ Pro-
     Lernen in heterogenen Lerngruppen gibt. Es gilt            blemstellung entdecken (Personalisierung).
     nun Lernerorientierung, Kompetenzorientie-                 Die Lerner werden in den Kontext des Lernsze-
     rung, Lernproduktorientierung, Adaptivität, kal-           narios integriert und entdecken und entfalten
     kulierte Herausforderung, Ko-Konstruktion und              die Problemstellung (Fragestellung, Thema,
     Personalisierung in ein Modell des Lehrens und             Aufgabe, Relevanz, …).
     Lernens zu binden, das im Unterrichtsalltag für
     die Gestaltung und Steuerung der Lernprozesse              2. Lernschritt: Vorstellungen entwickeln
     in heterogenen Gruppen tauglich ist.                       (Personalisierung). In einem zweiten Schritt
                                                                entwickeln die Lerner Hypothesen, Deutungs-
     In diesem Modell wird das Lehren und Lernen in             ansätze, Bearbeitungsideen und individuelle
     großen Lerngruppen modelliert. (Abb. 6)                    Vorstellungen zur Problemstellung, die ggf. ins
                                                                Plenum gebracht und dort verhandelt werden.
     Lerner treten mit Vorwissen, mit Vorerfahrungen            Dazu werden auch Vorerfahrungen, Vorwissen,
     und mit einem Bestand an Kompetenzen in die                Meinungen, Einstellungen etc. eingebracht. Der
     Lernumgebung des Unterrichts ein und verlas-               Erfahrungs- und Wissensstand wird bewusst und
     sen diese Lernumgebung mit mehr Wissen,                    öffentlich gemacht.
     mehr Können und mit erweiterten und verbes-
     serten Kompetenzen (Kompetenzorientierung).                3. Lernschritt: Lernmaterial bearbeiten / Lern-
     Das Lernen findet in einer Lernlinie (Lernerorien-         produkt erstellen (Adaptivität, Lernproduktori-
     tierung), also in einer zeitlichen Abfolge von             entierung, Ko-Konstruktion). Die Lerner brau-
     Lernschritten, statt. Die Lerner bearbeiten an             chen neue Informationen, Daten, Erfahrungen,
     passender Stelle Lernmaterialien, indem sie kal-           Anstöße von außen um weiterzukommen. Diese
     kuliert herausfordernde, adaptierte Aufgaben-              erhalten sie durch Lernmaterialien (Texte,
     stellungen (kalkulierte Herausforderung, Adapti-           Arbeitsblätter, Bilder, Experimentiermaterialien,

26 Pädagogische Hochschule Vorarlberg | F&E Edition 23 | 2016
Abb. 6: Das Lehr-Lern-Modell
                                                                              (eigene Darstellung)

Datenmaterial, ...), direkt durch die Lehrkraft     lung der Lernprodukte im Lernprozess ist eine
(Lehrervortrag, Erklärvideos, Infoinput) oder       zentrale Lern- und Lehrphase.
durch Methoden-Werkzeuge begleitet. Zentral
sind Aufgabenstellungen nach dem Prinzip der        Als Lernphase rundet sie den didaktischen
kalkulierten Herausforderung, die zu Lernpro-       Mehrwert ab, der in der Vielfalt der entwickelten
dukten materieller Art (z.B. Tabelle, Mindmap,      Lernprodukte schlummert. Als Lehrphase for-
Text, Skizze, Bild, Diagramm, Experiment, …)        dert sie die Lehrkraft in der anspruchsvollen Tä-
oder auch immaterieller Art in Form von Er-         tigkeit der diskursiven Verhandlungsführung
kenntnissen, kognitiven Strukturen, Urteilen        (personale Steuerung) heraus.
und Werthaltungen führen. Die Lernprodukte
werden in geeigneten Sozialformen unter Aus-        Die diskursive Verhandlung ist für die Lerner
wertung und Nutzung der Informationen und           wie für die Lehrkraft ausgesprochen anspruchs-
Lernmaterialien erstellt. Hier findet der wesent-   voll und herausfordernd. Diskursivität im Lehr-
liche Lernzuwachs statt. Der Lernzuwachs, der       Lern-Prozess bedeutet, dass die vorhandenen
Verstehenshorizont, der Erkenntniszuwachs,          Lernprodukte kontrastierend, abwägend und ge-
die Kompetenzerweiterung ist oft noch in der        wichtend verglichen und diskutiert werden, dass
Schwebe und in einem labilen Zustand und            sich kognitiv und sprachlich gemeinsam ringend
muss sich stabilisieren und verfestigen. Dazu       damit auseinandergesetzt wird.
dienen die folgenden Lernschritte.
                                                    5. Lernschritt: Sichern und vernetzen
4. Lernschritt: Lernprodukt diskutieren und         (Personalisierung). Im fünften Schritt wird das
verhandeln (Ko-Konstruktion). Bei der Bearbei-      bislang in der Lernlinie Gelernte gesichert.
tung der Lernmaterialien und beim Erstellen         Ergebnisse werden festgehalten und die Ler-
des Lernproduktes werden neue Vorstellungen         nenden ermitteln den eigenen Lernzuwachs
gebildet, alte werden erweitert oder ausge-         durch den Vergleich mit den im 2. Schritt entwi-
schärft und präzisiert. Diese individuellen         ckelten Vorstellungen. Das neue Wissen muss
neuen Vorstellungen werden im vierten Schritt       mit dem vorgängigen Wissen vernetzt werden.
artikuliert, verbalisiert, umgewälzt und mit
denen anderer Lerner abgeglichen und verhan-        Die Lernenden haben das neue Wissen evtl. in
delt. In diesem Schritt wird sich die Lerngruppe    einem bestimmten Kontext gelernt. Damit es
auf gemeinsame Erkenntnisse im Sinne eines          aber verfügbar wird, müssen sie sich von dem
„gemeinsamen Kerns“ verständigen. Indem die         Kontext lösen (Dekontextualisierung) und es im
Lernprodukte diskutiert und verhandelt werden,      sechsten Lernschritt in einem anderen Kontext
verfestigen sie sich zu Erkenntnissen und Lern-     anwenden. Die Dekontextualisierung ist da-
zuwächsen.                                          durch begründet, dass das Einspeichern in das
                                                    Gedächtnis gehirnphysiologisch einen anderen
Die erstellten Lernprodukte enthalten in der        Weg nimmt als das Abrufen aus dem Gedächt-
Regel einen didaktischen Mehrwert, der ge-          nis. Nachhaltiges Wissen wird in Begriffs- und
nutzt werden muss. Die diskursive Verhand-          Wissensnetzen verankert. Darüber hinaus wird

                                                                    Pädagogische Hochschule Vorarlberg | F&E Edition 23 | 2016 27
in diesem Schritt Lernbewusstheit hergestellt,             Steuerung 2: Lernmaterialien, Methoden und
     indem der Lernzuwachs dem Lerner deutlich                  Medien
     und bewusst wird.                                          In der Mitte des Lernens bearbeiten die Ler-
                                                                nenden Lernmaterialien, stellen Lernprodukte
     6. Lernschritt: Transferieren und festigen                 her und diskutieren dieselben. Mit den Lernma-
     (Personalisierung). Im sechsten Schritt wird der           terialien (z.B. Gegenstände, Experimentiermate-
     Lernzuwachs nachhaltig im Langzeitgedächtnis               rialien, Bilder, Zeichnungen, Texte, Hörtexte,
     verankert. Die Lerner müssen das Gelernte auf              Filme, Comics, Sprechblasen, Berichte, …), die
     neue Aufgabenstellungen evtl. in einem neuen               von Methoden und Medien (z.B. Lehrervortrag,
     Kontext (Rekontextualisierung) anwenden. So                Experiment, Film, Sachtext, Unterrichtsgspräch,
     wird erprobt, ob der Kompetenzzuwachs einem                multimediale Lernumgebung, Internetrecherche,
     erfolgreichen handelnden Umgang standhält.                 Podcast, Experteninterview, …) begleitet sind,
     Das Gelernte muss gefestigt und durch Übung                steuert die Lehrkraft die Lernprozessematerial.
     verfügbar gemacht werden.
                                                                Die Steuerungen 1 und 2 sind meistens
     Die beschriebene Schrittfolge taugt für eine               „Schreibtischprodukte“ der Lehrkraft, sind vor-
     Lerneinheit. Das muss und kann nicht immer                 bereitet und haben materialen Charakter. Die
     eine 45-Minuten-Stunde sein. Die Schrittfolgen             Steuerungen 3 und 4 sind immer situativ und
     verteilen sich oft über mehrere Unterrichtsstun-           haben personalen Charakter.
     den, können sich aber auch auf eine kurze Lern-
     sequenz beziehen. Zu bedenken ist auch, dass               Steuerung 3: Moderation
     die Lernschrittfolge nicht zwingend so linear ist.         Der Lernprozess wird von der Lehrkraft lern-
     Das Modell lässt zu, dass es Verzweigungen gibt,           schrittgerecht verbal begleitet und personal ge-
     dass Schritte wiederholt oder übersprungen wer-            steuert. Ihrem professionellen Geschick obliegt
     den. Aber einige Phasen sind für den kompetenz-            es, die Lernmaterialien und Lernerbeiträge mo-
     orientierten Unterricht unverzichtbar: Die Erstel-         derierend in den Lernprozess einzubinden und
     lung eines Lernproduktes und die Verhandlung               im Diskurs zu verhandeln. Die Moderation ist
     desselben sowie die Sicherung und Festigung des            immer persönlich geprägt, muss aber unabhän-
     Gelernten. So entwickeln sich nämlich Wissen               gig von der Lehrerpersönlichkeit professionellen
     und Handeln nachhaltig im Sinne des Verständ-              Standards genügen.
     nisses von Kompetenz als „handelnder Umgang
     mit Wissen und Werten.“                                    Steuerung 4: Rückmeldung
                                                                Von der Lehrkraft angeleitete Reflexionen
     Die materiale und personale Steuerung von                  über die Lernvorgänge (Metareflexionen) und
     Lernprozessen in der Lernlinie                             qualifizierte Rückmeldungen durch die Lehr-
     Das Lehr-Lern-Modell unterscheidet die Funkti-             kraft sind im Lernprozess wichtig, um Kön-
     onen von Lehren und Lernen, weist Lehrern und              nensbewusstsein, Lernerpersönlichkeit und
     Lernern ihre entsprechenden Rollen und Aufga-              Selbstvertrauen zu entwickeln. Die Rückmel-
     ben zu und modelliert das Verhältnis von Lehr-             dungen gehen an die einzelnen Lerner, aber
     und Lernprozessen. Die Lehrerleistungen beste-             auch an die gesamte Lerngruppe. Die Lehr-
     hen in den Steuerungen der Lernprozesse.                   kraft holt bei den Lernern Feedback ein, um
                                                                Bewusstheit über die Wirksamkeit des eigenen
     Steuerung 1: Aufgabenstellungen                            Lehrens zu erhalten.
     Gute Aufgabenstellungen sind der Motor förder-
     licher Lernumgebungen. Aufgabenstellungen                  Eine entscheidende Gelingensbedingung dieses
     beinhalten Arbeitsaufträge, Lernmaterialien und            Unterrichts in heterogenen Lerngruppen ist die
     Methoden. Letztere steuern maßgeblich den                  permanente Diagnose des Lernstandes, der Lern-
     Lernvorgang und materialisieren die Lernumge-              fortschritte und Lernhemmnisse. Der „Diagnosera-
     bungen.                                                    dar“ muss permanent in Betrieb sein.

28 Pädagogische Hochschule Vorarlberg | F&E Edition 23 | 2016
Lernprodukte sind das „Herzstück“ des              Zusammenfassung
Lehr-Lern-Modells und Garant der
Personalisierung und Differenzierung               Gemäß dem Prinzip der kalkulierten Herausfor-
                                                   derung erhält jeder Schüler eine Aufgabenstel-
Zwei zu klärende Fragen:                           lung, die ihn zum Schritt auf die nächste Stufe
1. Inwieweit wird das Lehr-Lern-Modell der Hete-   herausfordert. Dazu gibt es über Aufgaben,
   rogenität in Lerngruppen gerecht?               Materialien, Methoden grundsätzlich zwei Mög-
2. Inwieweit ist Lehr-Lern-Modell für die Lehr-    lichkeiten:
   kraft praktikabel und nicht überfordernd?       -- Unterstützung: Alle erhalten dieselbe Aufga-
                                                      benstellung, aber mit individuellen Hilfen Ma-
Den Prinzipien der kalkulierten Herausforde-          terialien, Methoden.
rung und der Adaptivität wird durch die Aufga-     -- Differenzierung: Die Schüler erhalten Aufga-
benstellung und die Materialien/Methoden Rech-        benstellungen mit unterschiedlichen Anforde-
nung getragen. Diese können so gestaltet sein,        rungen, Materialien, Methoden.
dass sie für die Lerner passen. Besonders wirk-    Eine weitere Möglichkeit liegt im adaptiven Un-
sam ist die meist kooperative Erstellung der       terricht durch personalisiertes Lernen in hetero-
Lernprodukte. So werden die Lernenden in den       genen Lerngemeinschaften durch Ko-Konstruk-
handelnden Umgang mit Wissen und Werten ge-        tion. Die kooperative Erstellung der
bracht (Kompetenzorientierung). Die Herstel-       Lernprodukte (Ko-Konstruktion) mit anschlie-
lung wie der Austausch über die präsentierten      ßender Verhandlung in der ganzen Lerngruppe
Lernprodukte findet immer in der Interaktion       wirkt selbstregulatorisch im Umgang mit Hete-
mit anderen statt (Ko-Konstruktion). Interaktion   rogenitäten.
und Austausch in der Gruppe und zwischen den       Beim passenden Umgang mit Heterogenitäten
Gruppen sind selbstregulatorisch lernwirksam       im Unterricht sollten folgende Punkte bedacht
und klärend. Darin liegt der große Vorteil ge-     werden:
genüber der Individualisierung. Lernprodukte       -- Guter Unterricht verringert die Heterogenität
tragen immer die persönliche Handschrift des          nicht, sondern vergrößert sie sogar.
Lerners bzw. der Gruppe. Lernprodukte unter-       -- Durch guten Unterricht werden alle besser
scheiden sich hinsichtlich Kreativität, Herstel-      und Studien belegen, dass starke Lerner noch
lungsweg, Gestaltung, Qualität, Umfang, Rich-         schneller besser werden als schwache Lerner.
tigkeit, Attraktivität, ... In den verschiedenen   -- Es sollte Heterogenität auf hohem Niveau ge-
Lernprodukten liegt ein Mehrwert, der in der          schaffen werden.
Präsentation und im Austausch herausgeholt         -- Es sollte nicht nach unten homogenisiert, son-
werden muss.                                          dern nach oben heterogenisiert werden.
                                                   -- Die Förderung muss den Blick auf schwache
Die Lernprodukte sind das „Herzstück“ des             und starke Lerner richten, damit alle zu ihrem
Lehr-Lern-Modells und die Arbeit zu ihnen, an         Recht auf Lernen kommen.
ihnen und mit ihnen ermöglichen allen Schüle-
rinnen und Schülern mit unterschiedlichsten
Voraussetzungen und Potenzialen die Mitwir-
kung und Mitgestaltung. Große Differenzie-
rungen erübrigen sich und somit ist das Lehr-
Lern-Modell für Lehrkräfte praktikabel und
nicht überfordernd. An der Professionalität der
materialen Steuerung (Aufgabenstellungen, Ma-
terialien/Methoden) und der personalen Steue-
rung (Moderation, Rückmeldung) führt kein
Weg vorbei. Aber das ist und bleibt der Kern
des Lehrerberufs.

                                                                   Pädagogische Hochschule Vorarlberg | F&E Edition 23 | 2016 29
Abb. 8: Beispiele für Formate
                                                                                                           von Lernprodukten

                                                                                                           strukturen, Wirkungserwartungen
                                                                                                           eines neuen Bildungsschlagwortes.
                                                                                                           Zugriff am 30.3.2016 http://www.
                                                                                                           mosaik-sekundarschulen.ch/wb/
                                                                                                           media/dokumente/Folien%20Reu-
                                                                                                           sser.pdf

                                                                                                           Studienseminar Koblenz (Hrsg.)
                                                                                                           (2016). Guter Unterricht schafft
                                                                                                           Lerngelegenheiten. Ein Lehr-Lern-
                                                                                                           Modell für die Lehrerausbildung
                                                                                                           und das Lehrercoaching. Nor-
                                                                                                           derstedt: BoD.

     Literatur                                                               Weinert, F. E. (1997). Notwendige Methodenvielfalt. Unterschied-
                                                                             liche Lernfähigkeit erfordern variable Unterrichtsmethoden. In M.
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     Forschungsstand, Problembereiche, Perspektiven. Vortrag in              Selbstständigkeit (S. 50–53). Friedrich-Jahresheft, Seelze.
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     duelle-foerderung-bs-bw/download/kongress/IF-Kongress_Vor-              schlechte Gewissen des Lehrers. Erziehung und Unterricht,
     trag_Bohl_Umgang-mit-Heterogenitaet_2012-11-21.pdf                      9–10, 714–722.

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     menarbeit. Kinderzeit, 3, 8–13.                                         Verlag.

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     Erfolgreiches Lehren und Lernen. Stuttgart: Kohlhammer.                 zur psychischen Entwicklung der Persönlichkeit). Köln: Pahl-
                                                                             Rugenstein.
     Leisen, J. (2013). Handbuch Sprachförderung im Fach - Sprach-
     sensibler Fachunterricht in der Praxis. Stuttgart: Klett.               Schratz, M. & Westfall-Greiter, T. (2010). Das Dilemma der In-
                                                                             dividualisierungsdidaktik. Plädoyer für personalisiertes Lernen
     Leuders, T. & Prediger, S. (2016). Flexibel differenzieren und fokus-   in der Schule. journal für schulentwicklung, 18–31, Zugriff
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                                                                             individualisierungsdidaktik-plaedoyer-fuer-personalisiertes-
     Reusser, K. (2015). Personalisiertes Lernen – Konzepte, Tiefen-         lernen-in-der-schule.html

30 Pädagogische Hochschule Vorarlberg | F&E Edition 23 | 2016
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