Die neue Kriminalisierungswelle der Solidarität und Rettung in Italien

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Die neue Kriminalisierungswelle der Solidarität und Rettung in Italien
Die neue Kriminalisierungswelle der
 Solidarität und Rettung in Italien

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Die neue Kriminalisierungswelle der Solidarität und Rettung in Italien
Palermo, 09. März 2021                                   Staatsanwalts von Ragusa der politischen Aus-
                                                         richtung der Regierung zu entsprechen, so-
1. Die Seenotrettung                                     wohl der amtierenden als auch der vorange-
                                                         gangenen. Diese scheinen nicht davon abzu-
Die Forderung nach einem sicheren Hafen
                                                         weichen, dass "sich das Prinzip der Rettung
kann ganz bestimmt nicht als Versuch gesehen
                                                         von Migrant*innen vor Libyern nicht durchset-
werden, eine Regierung zu erpressen. Denn es
                                                         zen darf.“
sind mit Sicherheit nicht die Schiffe der NGOs,
die diesen Druck ausüben – es ist das interna-
                                                         Etienne und Mare Jonio: Geld gegen Transfer?
tionale Recht, dass einen sicheren Hafen für
Schiffbrüchige vorschreibt. Doch nur zu gern
                                                         Ein neuer absurder Höhepunkt der Kriminali-
wird dies ignoriert, ist es doch viel bequemer –
                                                         sierungsdebatte wurde mit dem Vorwurf der
und wahlwirksamer –, den schwarzen Peter
                                                         Staatsanwaltschaft von Ragusa am 1. März
denjenigen zuzuschieben, die die politische
                                                         2021 erreicht. Diese gab eine Pressemitteilung
Suppe der bilateralen, unmenschlichen Ver-
                                                         heraus, in der sie über die Vollstreckung des
träge auslöffeln. Die Öffentlichkeit, so der Asyl-
                                                         Dekrets der "persönlichen und lokalen Durch-
rechtsexperte Fulvio Vassallo Paleologo, ist
                                                         suchung und Beschlagnahme" gegen einige
seit Jahren darauf gedrillt, die Schuld den Or-
                                                         Personen, die der Plattform Mediterranea an-
ganisationen zuzuschieben, die Menschenle-
                                                         gehören, informiert. Vorgeworfen wird ihnen
ben auf See retten. Bisher ist nicht ein Fall ge-
                                                         Straftatbestand der "Beihilfe zur illegalen Ein-
gen eine NGO wirklich beendet worden, doch
                                                         reise". Angeblich soll Mediterranea von der
die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung
                                                         dänischen Container-Tankerfirma MAERSK
im Zentralen Mittelmeer erlebt gerade ein
                                                         Geld für die Übernahme von 27 Geretteten auf
neues Hoch.
                                                         deren Schiff Etienne erhalten haben.
Der Fall der Open Arms

2018 waren der Kapitän und die Missionsleite-
rin der Open Arms von der Staatsanwaltschaft
Ragusa wegen Beihilfe zur illegalen Einreise an-
geklagt worden. Sie hatten am 15. März 2018
auf ausdrücklichen Wunsch der italienischen
Seenotrettungsleitstelle 218 Personen in inter-
nationalen Gewässern gerettet und diese dann
nach Pozzallo auf Sizilien gebracht. Der Richter
in der Vorverhandlung entschied Anfang No-
vember 2020 jedoch, dass es keinen Straftat-             Foto: Kai von Kotze/Sea-Watch.org
bestand gebe. Am 29. Januar 2021 legte die
Staatsanwaltschaft von Ragusa Berufung ge-               Die Rettung der Etienne im August 2020 ging in
gen das Urteil ein: Wenn das Prinzip, dass Mig-          die Geschichte als längster so genannter
rant*innen nicht nur vor einem möglichen                 „stand off“ von Schiffen ein, die auf die Zuwei-
Schiffbruch, sondern auch vor den Libyern ge-            sung eines sicheren Hafen für gerettete Mig-
rettet werden müssen, durchgesetzt wird, be-             rant*innen warten.
steht die Gefahr, dass sich jeder organisieren
könnte, um Migrant*innen nach Italien zu brin-           Am 4. August hatte die Seenotrettungsleit-
gen. Und dies nicht unbedingt zu ausschließlich          stelle Malta die Etienne aufgefordert, zur Ret-
humanitären Zwecken". Nun wird der Fall also             tung zu eilen, dem diese auch sofort nachkam.
wieder aufgerollt. Fulvio Vassallo Paleologo             Doch seitdem saßen die Geretteten 38 Tage
bringt dies in Zusammenhang mit der Haltung              auf der Etienne fest, bis die Mare Jonio sie-
der italienischen Regierungen: „Unabhängig               übernahm und nach Pozzallo brachte. Volodi-
vom Ausgang dieser Berufung aus verfahrens-              mir Yeroshkin, der Kapitän der Etienne, ver-
rechtlicher Sicht scheint die Position des               langte nach vier Wochen des Wartens per Vi-
                                                         deo endlich eine Lösung zu finden, da niemand

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Die neue Kriminalisierungswelle der Solidarität und Rettung in Italien
an Bord des Tankers ausgebildet sei, die Geret-        punkt finanzielle Absprachen für die Über-
teten medizinisch und psychisch zu betreuen.           nahme der Geretteten gegeben habe. Die an-
Die Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft          gebliche Straftat: die nun unter Anklage ste-
Ragusa am 1. März sind mehr als kryptisch, erst        henden Vertreter von Mediterranea, A-
mit einer nachfolgenden Erklärung von Medi-            lessandro Metz und Giuseppe Caccia (ebenso
terranea wird klarer, worum es sich eigentlich         angeklagt sind Luca Casarini und Pietro
handelt: „Heute im Morgengrauen wurde eine             Marrone), hatten einen Monat nach der An-
groß angelegte Polizeiaktion gegen Mediter-            kunft der 27 Geflüchteten Vertreter der MA-
ranea Saving Humans gestartet. Die Staatsan-           ERSK Tankers getroffen. Die Tageszeitung
waltschaft von Ragusa hat die Durchsuchun-             Avvenire zitiert: „Das Zusammentreffen hat
gen koordiniert, die von Dutzenden von                 sich "im Rahmen von Zusammenkünften mit
Agent*innen in ganz Italien durchgeführt wur-          den Vertretungsorganisationen der dänischen
den, in Wohnungen, Firmenbüros und auf dem             und europäischen Reeder ereignet, mit denen
Schiff Mare Jonio. Die Anschuldigungen sind            wir die Probleme der Handelsschiffe bespre-
schwerwiegend, aber in Wirklichkeit zielen sie         chen wollen, die im Mittelmeer fahren. Es ging
darauf ab, die zivile Seenotrettung zu treffen,        um eine gemeinsame Forderung, damit die eu-
die Mediterranea seit 2018 (…) durchführt. (…)         ropäischen Staaten die relativen Verpflichtun-
Der Staatsanwalt von Ragusa hat mehrmals öf-           gen zur Koordination der Rettungen und der
fentlich seinen Kreuzzug gegen NGOs nach au-           Ausschiffung der im Meer geborgenen Perso-
ßen getragen und ist dabei so weit gegangen,           nen respektieren".
zu behaupten, dass "es notwendig ist, die Idee,        Die Ermittler hingegen behaupten, dass sie
Migrant*innen aus den Händen der Libyer zu             über Elemente verfügen, aus denen eine Ver-
befreien, nicht einreißen zu lassen". Es handelt       ständigung vor der Umladung als "plausibel"
sich heute um ein echtes "juristisches Theo-           angesehen werden kann.“
rem", bei dem davon ausgegangen wird, dass             Interessant und wichtig ist die Auslegung des
die Rettungs- und Bergungsaktivitäten mit Ge-          Juristen Stefano Zirulia der Staatlichen Univer-
winnstreben verbunden sind. Die unterstellte           sität in Mailand: „Die Staatsanwaltschaft von
"Intrige" ist so surreal, dass es offensichtlich       Ragusa eröffnete ein Verfahren wegen Beihilfe
ist, was das erste und wahre Ziel dieser Opera-        zur illegalen Einreise und behauptete, Beweise
tion ist: Diese "Schlamm-Maschinerie" zu               dafür zu haben, dass die Überführung der
schaffen, die wir so oft in unserem Land in Ak-
                                                       schiffbrüchigen Migrant*innen von dem däni-
tion gesehen haben (…). Mit den Durchsuchun-
                                                       schen Schiff auf das italienische Schiff auf der
gen sollten "Beweise" gefunden werden, aber
in Wirklichkeit basiert die Anklage, trotz tau-        Grundlage einer kommerziellen Vereinbarung
sender Stunden von Telefonabhörungen, nur              erfolgte, bei der der Eigentümer des dänischen
auf Vermutungen, die bald wie Schnee in der            Schiffes eine hohe Geldsumme für die von dem
Sonne schmelzen werden".                               italienischen Schiff erbrachte Leistung zahlte.
                                                       Unbeschadet der Tatsache, dass das tatsächli-
                                                       che Geschehen in der Gerichtsverhandlung
                                                       festgestellt werden muss, erscheint die Beto-
                                                       nung wirtschaftlicher Aspekte objektiv unver-
                                                       hältnismäßig und lenkt letztlich von den ei-
                                                       gentlichen Fragen ab. In Italien hängt die straf-
                                                       rechtliche Verantwortlichkeit für das Verbre-
                                                       chen der Beihilfe zur irregulären Einwande-
                                                       rung nämlich nicht davon ab, dass man aus Ge-
                                                       winnstreben gehandelt hat; sie hängt vielmehr
                                                       davon ab, dass man undokumentierte Mig-
Foto: Mediterranea Saving Humans
                                                       rant*innen illegal nach Italien transportiert hat
Kis Soegaard, Pressesprecher der MAERKS Tan-           (Artikel 12 des Einwanderungsgesetzes).“
kers, lässt verlauten, dass es zu keinem Zeit-         Sprich: der Tatbestand des gewinnorientierten
                                                       Handelns ist ein erschwerender Fakt, er kann,

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Die neue Kriminalisierungswelle der Solidarität und Rettung in Italien
muss aber nicht mit dem Straftatbestand der              Vorwand bot der Staatsanwaltschaft in
Beihilfe zur illegalen Einreise einhergehen. Und         Catania, die seit Jahren für die Kriminalisierung
hier kommt es laut Zirulia zum Problem der Kri-          der Seenotrettung bekannt ist, endlich eine
minalisierung der Solidarität, denn auf der An-          Möglichkeit, das Schiff der beiden Organisatio-
klagebank landen gleichermaßen Angeklagte,               nen aus dem Verkehr zu ziehen. Der Prozess
die aus Gewinnstreben gehandelt haben wie                soll im November 2021 beginnen. Angeklagt
                                                         sind letztendlich drei Mitarbeiter von MSF und
auch diejenigen, die uneigennützig handelten.
                                                         ein Mitarbeiter einer Müllentsorgungsfirma.
Interessant und ein Vorreiter in dieser Diskus-
                                                         Das Verfahren könnte noch auf weitere zehn
sion ist das Urteil des Kassationsgerichtshofes          Personen ausgedehnt werden, die derzeit we-
im Falle der Kapitänin der Sea-Watch3, Carola            gen Verfahrensfehlern nicht belangt werden
Rackete, die dem „stand off“ der Geretteten              konnten.
auf ihrem Schiff mit der Einfahrt in den Hafen           Ebenfalls am 2. März wurde auch das Gericht
von Lampedusa ein Ende setzte. Das Gericht               in Trapani, welches wegen angeblicher Beihilfe
erklärte, dass der Transport von Schiffbrüchi-           zur illegalen Einreise ermittelt, gegen MSF ak-
gen nach Italien nicht als "illegal" angesehen           tiv. MSF dazu: "Nach jahrelangen Ermittlungen
werden kann, auch dann nicht, wenn es sich               haben wir gestern von der Staatsanwaltschaft
um Menschen ohne Papiere handele: Die                    Trapani den Bescheid über die Einstellung der
Pflicht zur Rettung von Menschenleben in Ge-             Ermittlungen wegen Beihilfe zur illegalen Ein-
fahr, die durch die Seerechtskonventionen                reise [und damit zum Auftakt der Prozessfüh-
(Unclos, Sar und Solas) sanktioniert wird, über-         rung, Anm. der Red.] zusammen mit anderen
wiegen gegen das staatliche Interesse am                 humanitären Schiffen erhalten. Vom Ermitt-
Schutz der Grenzen. Damit wurde Carola Ra-               lungsrichter Catanias kam die Entscheidung
ckete vom höchsten italienischen Gericht frei-           des Beginns eines Verfahrens wegen illegalen
gesprochen. Auch im Falle der Mare Jonio/Eti-            Müllhandels", betont Ärzte ohne Grenzen.
enne verhalte es sich so, erklärt Zirulia. Es gehe       „Die Entscheidungen der Justiz in wenigen
um die Einhaltung der Pflicht der internationa-          Stunden verlängern die Liste der zahlreichen
len Konventionen. Wenn es jedoch keine Bei-              Versuche, die Seenotrettung zu kriminalisie-
hilfe zur illegalen Einreise gibt kann es auch           ren. Bis heute konnte keine der Anklagen be-
keinen erschwerenden Tatsachenbestand des                stätigt werden, doch haben sie die Rettungs-
Gewinnstrebens geben. Das sei „wie die Vor-              einsätze gefährlich schwächen können."
stellung, ein Haus einzurichten, das noch kein
Dach und keine Wände hat: Unsinn.“ Die
Staatsanwaltschaft von Ragusa ist sich dessen
sicher bewusst, bleibt also die Frage, warum,
wenn nicht politisch motiviert, sie so handelt.

Die Klagen gegen Ärzte ohne Grenzen und SOS
Méditerranée

Während die Staatsanwaltschaft von Ragusa
gegen die Mediterranea vorgeht entschied das
Gericht in Catania am selben Tag, den Prozess            Foto: Iuventa10
gegen MSF (Ärzte ohne Grenzen)/SOS Médi-
terranée zu beginnen. Vor mehr als zwei Jah-             Der Fall der IUVENTA
ren, im November 2018, hatten die Behörden               Das Klageverfahren gegen MSF in Trapani be-
das Schiff der beiden Organisationen, die                trifft auch damalige Crewmitglieder der Iu-
Aquarius, festgelegt, was letztendlich zur Auf-          venta (Jugend rettet) und die Organisation
gabe des Schiffes führte. Angeblich hätten die           Save the Children.
Organisationen den Müll des Schiffes, vor al-
lem den Sondermüll, falsch entsorgt. Dieser

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Die neue Kriminalisierungswelle der Solidarität und Rettung in Italien
Es geht auf Rettungsfälle aus den Jahren 2016           schlussendlich die Bekämpfung dieser Men-
und 2017 zurück. Am 02. August wurde die IU-            schen selbst. Wir müssen uns fragen: Was für
VENTA zum Einlaufen in den Hafen von Lampe-             ein Europa ist das, in dem das Retten und Un-
dusa gezwungen. Es war die letzte Fahrt des             terstützen von Menschen in Not bestraft wird,
Rettungsschiffs im Mittelmeer, da es präventiv          während gewaltvolle Pushbacks und das Ster-
beschlagnahmt und die Besatzung der Beihilfe            benlassen von Menschen zur Normalität er-
von zur illegalen Einreise und Kontakte zu              klärt werden?“
Menschenschmugglern angeklagt wurde.
Diese haltlosen Behauptungen sollen an drei             Die Freilassung der Sea Watch 4
Rettungsaktionen (eine am 10. September
2016 und zwei am 18. Juni 2017) festgemacht             Kaum zu glauben ist hingegen die Wendung im
werden, an denen die Besatzung angeblich mit            Fall der Sea Watch 4. Sie war am 19. Septem-
libyschen Schmugglern kommunizierte. Trotz              ber 2020 nach einer Rettung im Hafen von Pa-
der minutiösen Aufarbeitung von Foto- und Vi-           lermo festgesetzt worden, nun kam sie nach
deomaterial der Rettungsaktionen durch Fo-              fast einem halben Jahr der Untätigkeit endlich
rensic Architecture, die die Anklagepunkte aus          frei. Die italienischen Behörden hatten die Sea-
dem Weg räumt, wurden der Einspruch beim                Watch 4 nach einer Hafenstaatkontrolle unter
zuständigen Gericht, sowie der darauffolgende           fadenscheinigen Gründen festgesetzt. Zu viele
Widerspruch beim Kassationsgericht abge-                [sic!] Rettungswesten seien an Bord war eine
lehnt. Das Ermittlungsverfahren wurde Anfang            dieser Begründungen. Am 2. März hat das Ver-
März 2021 beendet und das Gericht wird nun              waltungsgericht in Palermo, das seit Dezember
einen Prozess einleiten. 21 Personen und drei           2020 auf eine Entscheidung des Europäischen
Organisationen sind angeklagt, darunter bis-            Gerichtshofes in diesem Fall wartete, die Fest-
her vier Mitglieder der Iuventa10 sowie MSF             setzung vorläufig aufgehoben. Bleibt abzuwar-
und Save the Children , die 2017 das Rettungs-          ten, was der EuGH entscheidet.
schiff Vos Hestia betrieben. Den Besatzungs-
mitgliedern, die der „Beihilfe zur illegalen Ein-
wanderung“ angeklagt werden, drohen im
Falle einer Verurteilung bis zu 20 Jahre Gefäng-
nis. In einer Presseerklärung von Solidarity at
Sea /Iuventa10 schreibt Francesca Cancellaro,
Anwältin der Iuventa10: “Menschenleben zu
retten ist niemals ein Verbrechen. Wir werden
beweisen, dass alle Einsätze der Iuventa völlig
legal waren. Die Freiwilligen der Iuventa sta-
chen zu einer Zeit in See, in der sich die EU aus
dem Mittelmeer zurückzog und es damit zu ei-            Die Sea Watch im Hafen von Palermo, Foto: Giuseppe
nem Massengrab für Europas Unerwünschte                 Mazzola
machte. Sie stachen in See, um nichts weniger
als das Recht auf Leben und das Recht, Asyl zu          Das Schiff läuft unter deutscher Flagge und die
beantragen, zu schützen – so wie es das Völ-            Feststellungen der angeblichen Mängel der
kerrecht, aber vor allen Dingen mitmenschli-            Hafenstaatkontrolle bedeuten auch, dass der
che Solidarität fordert.” Michel Brandt, MdB            Flaggenstaat seine Arbeit nicht richtig macht.
und Obmann der Fraktion DIE LINKE im Aus-               Die deutschen Behörden bestätigten daher ge-
schuss für Menschenrechte und Humanitäre                genüber Sea-Watch wiederholt, dass die Sea-
Hilfe und stellvertretender Vorsitzender des
                                                        Watch4 alle Sicherheitsvorgaben erfülle. In der
Migrationskomitees im Europarat, zur Anklage
                                                        Presseerklärung von Sea-Watch heißt es: „Die
von Seenotretter*innen durch die Staatsan-
                                                        Richterin stellte klar, dass die Sicherheit der
waltschaft in Trapani: „Die Anklage ist Teil ei-
ner gezielten Diffamierungs- und Kriminalisie-          Schiffe auch im Falle von Notsituationen durch
rungskampagne. Ziel ist die Bekämpfung jeder            den Flaggenstaat und den Schiffskapitän ge-
Solidarität mit Menschen auf der Flucht und             währleistet ist. Sie betonte zudem, dass – in je-

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Die neue Kriminalisierungswelle der Solidarität und Rettung in Italien
dem Fall – der Transport von geretteten Perso-                da, wo die Regierung untätig bleibt bzw. be-
nen an Bord auf die Zeit beschränkt ist, die für              wusst Unterstützung versagt.
ihre Anlandung an einem sicheren Ort unbe-
                                                              In den letzten Monaten wurden zusätzlich die
dingt erforderlich ist.“
                                                              Grenzkontrollen intensiviert: die ankommen-
2. Solidarität an Land – die Kriminalisie-                    den Menschen wurden entweder direkt in Ge-
ung der Arbeit von Linea d’Ombra in Triest                    wahrsam genommen, meist ohne jegliche Er-
                                                              klärung oder Informationen zu bekommen,
borderline-europe, 05. März 2021: Am Morgen                   oder illegal von der Grenzpolizei nach Slowe-
des 23. Februars 2021 führte ein Sonderkom-
                                                              nien zurückgeschoben. Dies verursacht eine
mando der italienischen Staatspolizei eine Raz-
                                                              Kettenreaktion, bei der die Pushbacks über
zia im Haus von Lorena Fornasir, einer 68-jäh-
                                                              Slowenien durch Kroatien zurück bis nach Bos-
rigen Psychotherapeutin, und Gian Andrea
Franchi, einem 84-jährigen ehemaligen Philo-                  nien und Herzegowina reichen, wo die Ge-
sophielehrer, durch. Seit Jahren setzen sich                  flüchteten teilweise unter unmenschlichen Be-
beide in der Hafenstadt Triest, Italien, für die              dingungen ausharren müssen. Italien streitet
Rechte Geflüchteter und Migrant*innen ein.                    jedoch ab, dass es sich hierbei um illegale
Im Jahr 2019 gründeten sie die Freiwilligenor-                Pushbacks handelt. Zu dem Zeitpunkt der Raz-
ganisation "Linea d'Ombra", die finanzielle                   zia kam eine iranisch-kurdische Familie bei
Mittel zur Unterstützung von Schutzsuchen-                    Gian Andrea unter, der er half. Gegen Gian An-
den sammelt. Bei der Ankunft der Menschen                     drea Franchi läuft nun ein Ermittlungsverfah-
an den Grenzen stellen sie ihnen Nahrung, Klei-               ren, welches ihn der Beihilfe zur illegalen Ein-
dung und medizinische Versorgung zur Verfü-                   wanderung beschuldigt. Das durchsuchte Pri-
gung. Außerdem reisen sie monatlich nach
                                                              vathaus der beiden bildete ebenfalls die Zent-
Bosnien, um dort Migrant*innen und Akti-
                                                              rale des Vereins "Linea d'Ombra". Es wurden
vist*innen vor Ort zu helfen. Die Hafenstadt ist
nur wenige Kilometer von der slowenischen                     dabei private Telefone, Geschäftsbücher und
Grenze entfernt und für viele Menschen auf                    etliche Materialien beschlagnahmt, die nun als
der Flucht lediglich eine Etappe auf einem be-                Beweismaterialien behandelt werden. Wäh-
schwerlichen Weg über die Balkanroute, die                    rend die Europäischen Staaten systematisch
sie zu ihrem Zielort bringen soll.                            die Rechte Schutzsuchender ignorieren und
                                                              verletzen, verfolgen sie außerdem diejenigen,
                                                              die nicht weg-, sondern hinschauen. Die Akti-
                                                              vist*innen Gian Andrea Franchi und Lorena
                                                              Fornasir werden nun für ihre solidarische Hilfe
                                                              kriminalisiert. Ihre Handlungen werden von
                                                              der Regierung in der Öffentlichkeit diskredi-
                                                              tiert und zur Zielscheibe polizeilicher Ermitt-
                                                              lungstätigkeit gemacht.

                                                              Europaweit fand am 6. März aus dem Anlass
                                                              der Anklagen gegen Gian Andra Franchi und
Aktion 06. März 2021 in Palermo, Foto: Alessandro Lupa-       Lorena Fornasir ein Aktionstag gegen die Krimi-
rello
                                                              nalisierung der Solidarität statt.
Während des COVID-19 Ausbruchs im letzten
Jahr steckten viele Menschen in der Stadt fest,               Weitere Texte zum Thema:
da die Grenzen nacheinander geschlossen                       ECRE: Italy Steps up Criminalisation of the Civil
wurden. Bis zu 200 Menschen befanden sich in                  Fleet as Dozens Die at Sea, 05.03.2021
der Stadt, die nach der langen Fluchtroute am
Ende ihrer Kräfte waren, keine Unterkunft hat-                ADIF: Perché si devono “salvare i migranti dai
ten und Hilfe benötigten. Organisationen wie                  libici”, e dai governi europei, 03.03.2021.
"Linea d'Ombra" unterstützten die Menschen

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Die neue Kriminalisierungswelle der Solidarität und Rettung in Italien
Eine deutsche Übersetzung dieses Grundla-                                                        Kontakt
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                                                                     Menschenrecht ohne Grenzen e.V.
Il Fatto Quotidiano: I racconti dei migranti re-
                                                                    https://www.borderline-europe.de/
spinti a Trieste: “Ho gridato ‘siamo in Slove-
                                                                            mail@borderline-europe.de
nia’. Il poliziotto italiano mi ha afferrato e
                                                                              jg@borderline-europe.de
detto ‘tu scendi per primo’”, 08.03.2021

borderline-europe: Video internationaler Akti-
onstag gegen die Kriminalisierung der Solidari-
tät, Aktion in Berlin 06.03.2021
Forum Antirazzista di Palermo: Video interna-
tionaler Aktionstag gegen die Kriminalisierung
der Solidarität, Aktion in Plaermo 06.03.2021
Un ponte di corpi: Video internationaler Akti-
onstag gegen die Kriminalisierung der Solidari-
tät, Zusammenstellung aus 35 Städten,
06.03.2021

                                                       Aktion 06. März 2021 in Palermo, Eine Brücke der
                                                                          Körper. Foto: Giuseppe Mazzola
                                                                  Titel: Aktion 06. März 2021 in Palermo
                                                                               Foto: Alessandro Luparello

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