Keine Rendite mit der Miete - Für eine neue Wohngemeinnützigkeit

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Keine Rendite mit der Miete - Für eine neue Wohngemeinnützigkeit
Keine Rendite
mit der Miete
Für eine neue Wohngemeinnützigkeit
Keine Rendite mit der Miete - Für eine neue Wohngemeinnützigkeit
Inhalt

 1   Vorwort

     Steigende Mieten, überlastete Haushalte –
 2   die Lage auf dem Wohnungsmarkt

     Warum wir eine neue
 6   Wohngemeinnützigkeit brauchen

     Zwei Fragen an Inga Jensen
11   „Relevant sind die sozialen und gewinnbeschränkenden Prinzipien“

12   Die neue Wohngemeinnützigkeit in Stichworten

13   Ein Blick zurück: die alte Wohngemeinnützigkeit

     Zwei Fragen an Tilman Harlander
15   „Der soziale Wohnungsbau stand in der Tradition der Gemeinnützigkeit“

     Beispiel Österreich
16   Die wirtschaftlichen Vorteile der Wohngemeinnützigkeit
Keine Rendite mit der Miete - Für eine neue Wohngemeinnützigkeit
Die Wohnungsfrage braucht
neue Antworten!

In den 1980er Jahren galt die Wohnungsfrage als gelöst. Welch ein
 Irrtum! Vier Jahrzehnte und zahlreiche Privatisierungen später wissen
wir: Das Wohnen ist eine politische Daueraufgabe, die der Markt
                                                                              1

alleine nicht lösen wird. Die Mieten in zahlreichen Groß- und Universitäts-
städten, aber auch in immer mehr Städten mittlerer Größe ziehen seit
vielen Jahren an. Menschen werden aus ihren Vierteln verdrängt. Viele
Beschäftigte können sich heute keine Wohnung in Arbeitsplatz-Nähe
mehr leisten – was zu längeren Wegezeiten führt und klimaschädlichen
Pendelverkehr anheizt.
    In dieser Situation braucht die Wohnungsfrage neue Antworten.
Es gibt viele gute wohnungspolitische Instrumente, etwa den öffentli-
chen und den sozialen Wohnungsbau. Gemeinsam mit anderen zivil­
gesellschaftlichen Organisationen schlagen ver.di und die IG BAU vor,
ein weiteres Instrument wieder in den Blick zu nehmen, das bis zu seiner
Abschaffung 1990 wesentlich zum Aufbau eines breiten bezahlbaren
Wohnungsbestands und eines ausreichenden Angebots an Sozialwoh-
nungen beigetragen hat: die Wohngemeinnützigkeit. Es gilt, dessen
Grundidee wiederaufzunehmen und an die heutige Zeit anzupassen.
Für bezahlbaren, guten und klimagerechten Wohnraum.

    Robert Feiger   Frank Werneke
Keine Rendite mit der Miete - Für eine neue Wohngemeinnützigkeit
Keine Rendite mit der Miete

    Steigende Mieten, überlastete
    Haushalte – die Lage
    auf dem Wohnungsmarkt

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    S  eit den 1980er Jahren haben
       sich die Bedingungen auf
    dem deutschen Wohnungsmarkt
                                                                   beträchtliche Wohnungsbestände
                                                                   privatisiert. Auch Großunterneh-
                                                                   men verkauften ihre Werkswoh-
    drastisch verändert. Öffentliche                               nungen, die sie bis dahin zumeist
    und gemeinnützige Wohnungs­                                    nach den Regeln der Gemein­
    unternehmen gerieten ins Hinter-                               nützigkeit vermieteten. Zugleich
    treffen. Die frühere Wohngemein-                               wurden Fördergelder des Sozialen
    nützigkeit haben CDU/CSU und                                   Wohnungsbaus reduziert, immer
    FDP 1990 sogar abgeschafft.                                    mehr Sozialwohnungen fielen aus
    Dies machte die großen gemein­                                 der Preisbindung. Zwischen 1986
    nützigen Wohnungsbestände für                                  und heute schrumpfte ihre Zahl
    Privatinvestoren attraktiv: Schon                              von 3,4 Mio. auf etwa eine Million.
    seit den 1980er-Jahren haben                                   Tendenz weiter sinkend.
    Bund, Länder und Kommunen

     Die Mieten galoppieren davon
     Entwicklung von Neuvertragsmieten und Inflation 2005–2020 (verkettet, 2005=100)
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     170
                   Neuvertragsmieten 7 größte Städte
     160           Neuvertragsmieten 127 größte Städte
                   Verbraucherpreisindex
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     Quelle: Destatis / Bundesbank
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Neubau bezahlbarer Wohnungen           3
     Im Einzelhandel nehmen              in Städten und Regionen mit an-
   Teilzeit, Minijobs und                gespanntem Mietwohnungsmarkt
   schlechte Stundenlöhne                seit den 2000er Jahren vernach-
   seit vielen Jahren zu.                lässigt worden. Für viele profitori-
   Gleichzeitig explodieren              entierte Wohnungsunternehmen
   die Mieten – und zwar vor             haben weder Neubau noch Be-
   allem dort, wo es beson-              zahlbarkeit Priorität. Anders als
   ders viele Geschäfte gibt:            gemeinnützige müssen sie ihre
   In den Großstädten. Es                Überschüsse auch nicht wieder
   darf nicht sein, dass die             vorrangig in (bezahlbaren) Neu-
   Beschäftigten im Handel               bau oder Renovierung stecken.
   immer weitere Anfahrts-               Hinzu kommen steigende Bau-
   wege haben, weil sie sich             und Bodenpreise. Im Ergebnis hält
   das Wohnen in der Nähe                vielerorts das Angebot an bezahl-
   ihres Arbeitsplatzes nicht            barem Wohnraum nicht mit der
   mehr leisten können!“                 Nachfrage mit. Die Mietpreise
   Kristina Kroß ist Betriebsrätin in
                                         steigen.
   einer Berliner Filiale eines großen       Und zwar kräftig. Nach Anga-
   Lebens­mittel-Einzelhandels­          ben der Bundesbank kletterten
   unternehmens.
                                         die Neuvertragsmieten in den
                                         sieben größten deutschen Städten
                                         zwischen 2005 und 2020 durch-
   Kein gemeinnütziger Woh-              schnittlich um über 70 Prozent,
nungssektor mehr, immer weniger          in den 127 größten deutschen
Sozialwohnungen, immer weniger           Städten im gleichen Zeitraum um
öffent­liche Wohnungen: Dies sind        über 65 Prozent. Umziehen ist
die wichtigsten Gründe dafür,            also deutlich teurer geworden,
dass die öffentliche Hand heute          weshalb viele Haushalte in eigent-
einen deutlich geringeren Einfluss       lich unpassenden Wohnungen
auf die Mietwohnungsmärkte und           verbleiben. Die Gesamtmieten
Mietpreise hat als noch in den           (Neuvertrags- und Bestandsmieten
1980er Jahren. Zugleich ist der          zusammen) stiegen zwar weniger
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Keine Rendite mit der Miete

4   stark an, gleichwohl stellen sie für              aufwenden mussten – üblicher-
    viele Haushalte eine große Belas-                 weise gelten 30 Prozent als akzep-
    tung dar. 2019 lebten nach Anga-                  tabel. Und: Je kleiner das Einkom-
    ben des Statistischen Bundesamts                  men ausfällt, desto mehr Geld
    fast 14 Prozent der Bevölkerung                   muss ein Haushalt relativ für die
    und über 48 Prozent der armuts-                   Miete aufwenden. Besonders groß
    gefährdeten Bevölkerung in Haus-                  sind die Schwierig­keiten von
    halten, die mehr als 40 Prozent                   Haus­halten mit einem alleiner­
    ihres Einkommens für Wohnkosten                   ziehenden Elternteil.

     Wenn das Geld nicht reicht
     Überlastung durch Wohnkosten nach Wohnstatus 2018 (in Prozent der jeweiligen Gruppe)
     25

     20

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      5

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                Eigentümer*innen              Mieter*innen                  Mieter*innen
                                              mit Marktmiete             mit ermäßigter Miete

      Als überlastet gilt hier ein Haushalt, der mehr als 40 Prozent seines
      Einkommens für Wohnkosten aufwenden muss.                 Quelle: Destatis / EU-SILC
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Keine Rendite mit der Miete

    Warum wir eine neue
    Wohngemeinnützigkeit brauchen

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    D   ie Wohnungspolitik steht zu
        Beginn der 2020er Jahre vor
    mehreren Herausforderungen: Ein
                                        Sie stärkt nicht-renditeorientierte
                                        Wohnungs­unternehmen – öffent-
                                        liche und private gleichermaßen.
    aus­reichendes Angebot an bezahl-   Sie erhöht den Neubau in ange-
    barem Wohnraum und an Sozial-       spannten Wohnungsmärkten.
    wohnungen muss geschaffen           Und sie erleichtert die Neugrün-
    bzw. dauerhaft gesichert werden.    dung von Wohnungsgesellschaf-
    Wohnungsneubau und -bestand         ten. Durch sie kann nach und
    müssen bis 2050 (oder sogar frü-
    her) weitestgehend klimaneutral
    werden. Und dabei müssen
    Wohnkosten bezahlbar bleiben.
       Die Entwicklung der letzten            Seit ich vor etwa acht
    Jahre verdeutlicht: Ein „Weiter         Jahren bei meinen Eltern
    so“ ist keine Option. Für bezahl-       ausgezogen bin, hat sich
    baren und klimaneutralen Wohn-          die Situation für Mie-
    raum braucht es eine dauerhafte         ter*innen in Berlin nur
    staatliche Förderung, die die           verschlechtert. Auszubil-
    kontinuierliche Schaffung, Moder-       dende und junge Beschäf-
    nisierung und den Erhalt von be-        tigte, die keine größeren
    zahlbarem Wohnraum sicherstellt.        finanziellen Rücklagen
    Eine solche Förderung ist die           haben, trifft das besonders
    neue Wohngemeinnützigkeit.              hart. Solange zu wenig
                                            bezahlbarer Wohnraum
                                            gebaut und die Markt­
                                            beherrschung der großen
                                            Immobilienkonzerne von
                                            der Politik getragen wird,
                                            kann sich hier nichts zum
                                            Guten wenden.“
                                            Julian Diaz arbeitet als Gleisbauer
                                            und lebt in Berlin.
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 Bei immer mehr Sozialwohnungen läuft die Bindung aus
 Anzahl der Sozialwohnungen 1986–2019 (in Mio.)
  4

 3,5

  3

 2,5

  2

 1,5

  1

 0,5

  0
        86

              90

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                                                                   20

                                                                         20

                                                                               20

                                                                                     20

                                                                                           20

 Quelle: Bundestagsdrucksachen 12/2883, 18/11403, 19/3592, 19/27484

nach ein größeres, nicht-profit­                      Zu den Prinzipien gemein­
orientiertes Wohnungssegment                      nütziger Wohnungsunternehmen
für Haushalte mit niedrigen bis                   gehört, dass sie sich nicht am
mittleren Einkommen entstehen.                    maximalen Gewinn, sondern am
Gemeinnützige Wohnungsunter-                      Prinzip der Kosten­deckung orien-
nehmen können und sollen glei-                    tieren: Die Kaltmieten setzen sich
chermaßen Sozialwohnungen wie                     also nur aus den tatsäch­lichen
auch frei vermietbare Wohnungen                   laufenden Kosten zusammen,
für mittlere Einkommen bereit­                    zum Beispiel für die Finanzierung,
stellen.                                          Verwaltung und Instandhaltung.
Keine Rendite mit der Miete

8   Die Ausschüttung von Gewinnen             Im Gegenzug erhalten gemein­
    wird begrenzt. Die Überlegung          nützige Wohnungsunternehmen
    dahinter: Gemeinnützige Unter-         Steuererleichterungen oder Zu-
    nehmen sollen sich ganz auf die        schüsse. Um ihnen den Bau von
    Bereitstellung von bezahlbaren         bezahlbaren Mietwohnungen zu
    Wohnungen konzentrieren. Sie           erleichtern, bekommen sie zudem
    sollen nicht den Renditen ihrer        Grundstücke von Bund, Ländern
    Eigentümer*innen oder Aktio-           und Kommunen zum Festpreis
    när*innen dienen. Sie können           vorrangig angeboten. Daneben
    zwar weiterhin Überschüsse er-         muss auch die herkömm­liche För-
    wirtschaften. Die aber fließen         derung des sozialen Wohnungs-
    überwiegend nicht aus dem Un-          baus erhöht und längerfristig
    ternehmen ab, sondern werden           verstetigt werden.
    zweckgebunden in den Neubau,              Um eine konsequente Einhal-
    den Ankauf sowie die Modernisie-       tung gemeinnütziger Prinzipien
    rung von Wohnungen investiert.         sicher­zustellen, werden diese
    So unterliegen die Wohnungen           Wohnungsunternehmen entspre-
    einer dauerhaften Preisbindung:        chend kontrolliert. Als Arbeitgeber
    Anders als bei herkömmlichen           müssen sie eine Vorbildfunktion
    Sozialwohnungen, bei denen nach        einnehmen, indem sie Tarifverträ-
    20–30 Jahren die Bindung erlischt,     ge anwenden und Tarifverträge
    gilt hier das Prinzip: Einmal geför-   auch bei Auftragnehmer*innen
    dert – immer sozial gebunden!          und deren Subunternehmen zur
Bedingung machen. Zudem ver-                                            9
pflichten sie sich zu einer verbind-     Ein Wohnungsmarkt,
lichen Mit­bestimmung von Arbeit-      auf dem private Vermie-
nehmer*innen in Betriebs- und          ter*innen und kapital-
Aufsichtsräten und einer Beteili-      marktorientierte Unter-
gung von Mieter*innen in Mieter-       nehmen dominieren,
räten.                                 braucht ein großes ge-
                                       meinwohlorientiertes Seg-
                                       ment. Denn nur so kann
                                       der Bedarf auch jener Be-
                                       völkerungsgruppen ge-
                                       deckt werden, die heute
                                       kaum mehr eine bezahl­
                                       bare Wohnung finden.
                                       Der frei finanzierte Woh-
                                       nungsmarkt ist für deren
                                       Probleme blind. Kommu-
                                       nale und gemeinnützige
                                       Wohnungsunternehmen
                                       müssen hier einen Gegen-
                                       pol bilden.“
                                       Dr. Melanie Weber-Moritz ist
                                       seit 2019 Bundesdirektorin des
                                       Deutschen Mieterbunds
Keine Rendite mit der Miete

10
Zwei Fragen an Inga Jensen
„Relevant sind die sozialen und
gewinnbeschränkenden Prinzipien“

                                    verbände oder auch Fonds, zu          11
                                    gemeinnützigen Wohnbauträgern
                                    werden können, ist in der Diskus-
                                    sion – relevant ist, dass sie sich
                                    ebenfalls den gewinnbeschrän-
                                    kenden und sozialen Prinzipien
                                    verpflichten.

                                    Ist im Rahmen der neuen Ge­
                                    meinnützigkeit eine Wieder­
                                    belebung des Werkswohnungs­
                                    baus denkbar?
                                       Unter den Bedingungen befris-
                                    teter und flexibler Arbeitsverhält-
                                    nisse ist zu diskutieren, inwiefern
                                    dieser heute noch aktuell ist.
Inga Jensen ist Wohnungs­
 forscherin und promoviert an
der Bauhaus-Universität Weimar
                                    Gleichzeitig sind insbesondere die
                                    Beschäftigten in prekären Arbeits-
                                    verhältnissen auf leistbaren Wohn-
zu Fragen der (Re-)Kommunalisie-
                                    raum angewiesen.
rung von Wohnraum. Sie hat
                                       Die Bereitstellung von Werks-
an verschiedenen Forschungs­
                                    wohnungen im Rahmen einer
projekten zur neue Wohngemein-
                                    neuen Wohngemeinnützigkeit
nützigkeit mitgearbeitet.
                                    wäre eine Möglichkeit, die Be-
                                    schäftigten mit Wohnraum zu ver-
Wer könnten die Träger einer
                                    sorgen und gleichzeitig die Betrie-
neuen Gemeinnützigkeit sein?
                                    be in die Pflicht zu nehmen. Um
   Naheliegend sind zunächst
                                    die Arbeitnehmer*innen auch im
einmal öffentliche Wohnungs­
                                    Falle des Ausscheidens aus dem
baugesellschaften und Genossen-
                                    Betrieb abzusichern, müssten Ver-
schaften sowie selbstorganisierte
                                    einbarungen mit den Betrieben
Wohnprojekte. Inwiefern andere
                                    getroffen werden.
Akteure, zum Beispiel Sozial­
Keine Rendite mit der Miete

     Die neue Wohngemeinnützigkeit
     in Stichworten

12   Klassische Elemente der                              … und auch das gehört
     Wohngemeinnützigkeit sind:                           zu einer neuen Wohn­
                                                          gemeinnützigkeit:

      Gemeinwohl vor Profite: Wohnungsunter­               Gute Arbeit: Die
      nehmen beschränken ihre Gewinnausschüttung           gemeinnützigen
      – höhere Erträge fließen wieder in den Neubau        Wohnungsunterneh-
      und den Erhalt.                                      men sind mitbe-
                                                           stimmt und – ebenso
                                                           wie ihre Auftragneh-
      Bezahlbar und sicher wohnen: Wohnungs­               mer*innen und de-
      unternehmen stellen bezahlbaren Wohnraum für         ren Subunternehmen
      niedrige bis mittlere Einkommen zur Verfügung;       – tarifgebunden.
      die Mieten beschränken sich auf die tatsächlichen
      Kosten (Kostendeckungsprinzip).
                                                           Klimaschutz trifft
                                                           Mieterschutz: Woh-
      Förderung: Gemeinnützige Wohnungsbau­                nungsneubau erfolgt
      gesellschaften erhalten Steuererleichterungen        sozialverträglich mit
      oder Zuschüsse, und sie werden bei der Vergabe       hohen Energieeffizi-
      öffentlicher Baugrund­stücke bevorzugt.              enz-Standards, Be-
                                                           standswohnungen
                                                           werden sozialver-
      Trägerneutralität: Gemeinnützig können               träglich energetisch
      staatliche, kommunale, genossenschaftliche           saniert.
      oder private Wohnungsunternehmen sein.

      Einmal gemeinnützig, immer gemeinnützig:
      Gemeinnützigkeit bleibt dauerhaft bestehen;
      gemeinnützige Unternehmen dürfen Wohnungen
      allenfalls an andere gemeinnützige Unternehmen
      verkaufen.
Ein Blick zurück:
die alte Wohngemeinnützigkeit

D   er gemeinnützige Wohnungs-
    bau entstand im 19. Jahrhun-
dert vor dem Hintergrund der
                                                                                           große Bestände von vergleichs-
                                                                                           weise hoher Wohnqualität. Die
                                                                                           hohe Nachfrage nach Wohnraum
                                                                                                                                                                               13

Industrialisierung und der Ver­                                                            in den Städten konnte allerdings
elendung in den Städten. Mehr,                                                             noch nicht befriedigt werden. In
besserer und bezahlbarer Wohn-                                                             der Bundesrepublik trug der ge-
raum sollte, so die Idee, ohne                                                             meinnützige Wohnungsbau dann
primäres Profitinteresse geschaffen                                                        – Hand in Hand mit dem sozialen
werden. Eine staatliche Förderung                                                          Wohnungsbau – entscheidend
gab es zunächst nicht. Sie wurde                                                           zum Aufbau eines breiten Grund-
überwiegend im Laufe des 20.                                                               stocks an bezahlbarem Wohn-
Jahrhunderts eingeführt.                                                                   raum bei. Auch Großunternehmen
   In der Weimarer Republik schuf                                                          nutzten ihn, um Beschäftigten
der gemeinnützige Wohnungsbau                                                              Werkswohnungen anzubieten.

 Alte Wohngemeinnützigkeit trug zu hohen Neubauzahlen bei
 Baufertigstellungen je 10.000 Einwohner*innen, 1949–2019 (bis 1990 West)
 120

 100

  80

  60

  40

  20

   0
                                                                                           1985
                                                                                                  1988

                                                                                                                                     2003
                                                                                                                                            2006

                                                                                                                                                                 2015
                                                                                                                                                                        2018
       1949
              1952
                     1955
                            1958
                                   1961
                                          1964
                                                 1967
                                                        1970
                                                               1973
                                                                      1976
                                                                             1979
                                                                                    1982

                                                                                                         1991
                                                                                                                1994
                                                                                                                       1997
                                                                                                                              2000

                                                                                                                                                   2009
                                                                                                                                                          2012

 Quelle: Destatis
Keine Rendite mit der Miete

14   1949 bis 1990 bauten gemeinnüt-
     zige Wohnungsunternehmen fast           Ohne die frühere Wohn-
     22 Prozent aller Wohnungen,           gemeinnützigkeit hätte
     nicht-gemeinnützige hingegen          die Bundesrepublik die
     nur knapp zehn Prozent. Bei den       Wohnungsnot nach dem
     Sozialwohnungen war der Unter-        Krieg nicht bewältigen
     schied mit 58 gegenüber knapp         können. Sie half, Investi­
     neun Prozent noch deutlicher.         tionen mit staatlicher
         In den 1980er Jahren ging man     Förderung zielgenau und
     (fälschlicherweise) davon aus, dass   effizient einzusetzen und
     die zukünftigen Wohnbedarfe ge-       damit die rein gewinn­
     deckt seien. Auch wurde der steu-     orientierte Investitions­
     erbefreite gemeinnützige Sektor       tätigkeit zu kompensieren.
     von profitorientierten Privaten als   Gemeinnützige Woh-
     unliebsame Konkurrenz betrach-        nungsunternehmen haben
     tet. 1990 hat die damalige            viele Millionen Wohnun-
     schwarz-gelbe Bundes­regierung        gen erstellt. Die Mieten
     die Wohngemeinnützigkeit dann         hielten sie dauerhaft auf
     im Zuge des Trends zu Deregulie-      niedrigem Niveau. Das
     rung und Privatisierung abge-         kann und sollte uns heute
     schafft. Die Wohnungsbestände in      ein Vorbild sein.“
     Ostdeutschland wurden also nicht      Hans-Otto Kraus war bei mehreren
     mehr in das westdeutsche Modell       gemeinwohlorientierten
     der Gemeinnützigkeit überführt.       Wohnungs­unternehmen in
                                           Führungspositionen tätig, zuletzt
                                           bis 2017 als Technischer Geschäfts-
                                           führer der GWG Städtische
                                           Wohnungsgesellschaft München.
Zwei Fragen an Tilman Harlander
„Der soziale Wohnungsbau stand in
der Tradition der Gemeinnützigkeit“

                                       im Zusammenwirken aller abge-        15
                                       baut werden könne. Mit dem
                                       Ersten Wohnungsbaugesetz von
                                       1950 wurde daher der Vorrang
                                       aufgegeben, den die Gemein­
                                       nützigen bei der Vergabe öffentli-
                                       cher Mittel noch in den 1920er
                                       Jahren hatten. Nun galt das Prin-
                                       zip der Gleichberechtigung von
                                       Gemeinnützigen, freien Woh-
                                       nungsunternehmen und Einzel-
                                       personen. Die Zustimmung von
                                       SPD und Gemeinnützigen dazu
                                       war freilich auch ein Zugeständnis
                                       an die damals regierende christ-
                                       lich-liberale Koalition.
T  ilman Harlander ist em. Profes-
   sor für Architektur- und Wohn-
soziologie an der Universität Stutt-
                                       Weshalb waren es dennoch
                                       besonders gemeinnützige
gart. Von 1989 bis 1997 war er
                                       Wohnungs­unternehmen,
Vorsitzender des Aufsichtsrats der
                                       die sozialen Wohnungsbau
Aachener Gemeinnützigen Woh-
                                       betrieben?
nungsgesellschaft.
                                          Der dem Gemeinwohl dienen-
                                       de soziale Wohnungsbau stand
Die Gemeinnützigkeit trug bis
                                       ganz in der Tradition der Gemein-
1990 erheblich zur Bezahlbar­
                                       nützigkeit. Das unterschied sie
keit von Wohnraum bei. Wes­
                                       von den primär auf private Ge-
halb gab es daneben dennoch
                                       winne zielenden freien Woh-
sozialen Wohnungsbau?
                                       nungsunternehmen. Erleichtert
   Man war nach 1949 der Über-
                                       wurde das Engagement der Ge-
zeugung, dass das immense Aus-
                                       meinnützigen durch die Steuer­
maß der Kriegsschäden und
                                       privilegien.
Wohnungsver­sorgungsdefizite nur
Keine Rendite mit der Miete

     Beispiel Österreich
     Die wirtschaftlichen Vorteile
     der Wohngemeinnützigkeit

16
     Ö    sterreich hat einen großen
          gemeinnützigen Sektor. Er
     umfasst heute etwa 17 Prozent
                                                         aller Mietwohnungen. Er ge­
                                                         währleistet nicht nur bezahlbare
                                                         Mieten, sondern hat auch
     aller Wohn­gebäude, 30 Prozent                      gesamtwirtschaftliche Vorteile.
     aller Wohnungen und 41 Prozent

     2,30 €                                            1,2 Mrd. €
       Die durchschnittliche* Miete                         Die Haushalte in gemeinnützi-
       gemeinnütziger Wohnungs­                             gen Mietwohnungen sparen
       unternehmen ist 2,30 Euro je                         hier­durch etwa 1,2 Milliarden
       Quadratmeter günstiger als                           Euro Miete pro Jahr – Geld,
       die durch­schnittliche* Miete                        das sie für Nicht-Wohn-
       gewinn­ori­entierter Wohnungs-                       Konsum verwenden können.
       unternehmen.

     1,5 %                                             640–980 Mio. €
       Dank der niedrigeren Miete                           Durch diesen Zusatzkonsum
       können alle Haushalte in ge-                         sowie durch höhere Wohn-
       meinnützigen Mietwohnungen                           bau-Investitionen erhöht der
       mehr Geld ausgeben, beson-                           gemeinnützige Sektor am
       ders profitieren aber die mit                        Wohnungsmarkt das Brutto­
       den geringsten Einkommen:                            inlandsprodukt Österreichs um
       Die ärmsten 40 Prozent der                           640 bis 980 Millionen Euro.
       Haushalte konsumieren dank
       der Mietersparnis 1,5 Prozent
       mehr pro Jahr.

     *B
       ereinigt um Unterschiede in Größe, Ausstattung und Lage.
      Quelle: Klien / Streicher (2021).
Weiterführende Literatur
n D
   eutscher Gewerkschaftsbund (2021): Bezahlbar ist die halbe Miete.
  Gewerkschaftliche Positionen für eine soziale und nachhaltige
  Wohnungspolitik. Broschüre, Berlin.    im Web
n H
   olm, Andrej / Horlitz, Sabine / Jensen, Inga (2017):
  Neue Wohngemeinnützigkeit. Voraussetzungen,
  Modelle und erwartete Effekte. Studie, Berlin.     im Web
n Industriegewerkschaft Bauen – Agrar – Umwelt (2021):
   Wohnen. Positionspapier, Frankfurt/Main. im Web
n K
   lien, Michael / Streicher, Gerhard (2021): Ökonomische Wirkungen
  des gemeinnützigen Wohnbaus. Studie, Wien.
n K
   uhnert, Jan / Leps, Olof (2017): Neue Wohngemeinnützigkeit.
  Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum.
  Studie, Wiesbaden.
n V
   ereinte Dienstleistungsgewerkschaft (2019): Gutes Wohnen für alle.
  Für eine soziale Wohnungspolitik. Broschüre, Berlin.  im Web

Herausgeber                                      Gestaltung und Satz
ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft    VH-7 Medienküche GmbH, 70372 Stuttgart
Bundesvorstand, Ressort 1                        www.vh7.de
Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin
                                                 Karikaturen
IG BAU – Industriegewerkschaft                   Reinhard Alff, Dortmund
Bauen-Agrar-Umwelt, Bundesvorstand
OIof-Palme-Str. 19, 60439 Frankfurt am Main      Fotos
                                                 Karl-Marx-Höfe: Shutterstock.com
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Robert Feiger, Frank Werneke                     Foto Tilman Harlander: Privat
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                                                 Juni 2021                   W-3834-02-0421
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