Positionspapier Die Rolle von Partizipation in der missionsorientierten Innovationspolitik - VDI/VDE Innovation + Technik GmbH

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Positionspapier Die Rolle von Partizipation in der missionsorientierten Innovationspolitik - VDI/VDE Innovation + Technik GmbH
Positionspapier
Die Rolle von Partizipation in der missionsorientierten
­Innovationspolitik

September 2021
VDI/VDE-IT § Positionspapier

Positionspapier der VDI/VDE-IT:

Die Rolle von Partizipation in der
­missionsorientierten Innovationspolitik

Die deutsche Forschungslandschaft erlebt aktuell die For-          re dafür zu sorgen, dass die Teilhabe systemisch im Innova-
derung nach einer Neuausrichtung der Innovationspolitik,           tionsprozess verankert wird. Mit der ersten These wird die
hin zu einer Missionsorientierung. Durch diese Ausrichtung         Notwendigkeit betont, eine demokratische und offene Inno-
sollen Innovationen konsequent auf die Lösung gesellschaft-        vationskultur zu stärken, in der Menschen befähigt werden,
licher Herausforderungen ausgerichtet werden. Diese Forde-         an Entscheidungsprozessen teilzuhaben. Die zweite These
rung ist nicht grundsätzlich neu; was aber in der aktuellen        zielt auf den Aufbau und Einsatz von agilen Kompetenzen
Diskussion hinzukommt, ist der Fokus auf gesellschaftliche         und Instrumenten entlang des Innovationsprozesses ab. Dies
Umbrüche. Damit wird es zugleich notwendig, die breite             beinhaltet experimentelle Formate, um Teilhabeinstrumente
Öffentlichkeit beim Gestalten eben dieser angestrebten             an die Erfordernisse der Zielgruppen und der Zielerreichung
Wandlungsprozesse hinreichend einzubinden. Partizipation           anzupassen. Die dritte These umfasst die Strukturen des
wird hier als ein wesentliches Element verstanden, damit           Innovationssystems, die ebenen-, akteurs- und themenüber-
innovationspolitische Missionen von der Bevölkerung akzep-         greifende Kooperationen und Wirkungsketten ermöglichen
tiert werden.                                                      sollten.

Hier setzt aber auch eine Kritik an der bisher praktizierten
Teilhabe der Öffentlichkeit an: Zum einen wird im Fach-            I. Staatliche Institutionen in ihrer Rolle als Lenker und
diskurs kritisiert, dass Partizipation in ihrer institutionellen   Gestalter von Innovationen
Umsetzung auf das Lösen eines vermeintlichen Akzeptanz-
problems reduziert wird und damit einer Pflichterfüllung           Systemische Transformationen rücken in den Fokus
gleichkommt, anstatt die kreativen Potenziale eben dieser          Eine missionsorientierte Innovationspolitik wird zunehmend
öffentlichen Teilhabe auszuschöpfen. Zum anderen müs-              Teil des deutschen Innovationssystems. Der Ansatz zielt
sen sich bisherige Partizipationsformate die Kritik gefallen       darauf ab, möglicherweise isoliert voneinander stattfindende
lassen, zuallererst bereits bevorzugten Gruppen Teilhabe zu        Innovationsprozesse in der stark ausdifferenzierten Gesell-
ermöglichen und die gewünschte „breite Öffentlichkeit“             schaft mit hochspezialisierten Wissenschaftsdisziplinen,
nicht zu erreichen. Sie würden nicht einmal die Gruppen            Wirtschaftsbranchen und Verwaltungsstrukturen zu bündeln
erreichen, die eigentlich ein berechtigtes Interesse an einer      und auf entscheidende, aktuelle, gesellschaftliche Themen
Mitsprache hätten.                                                 auszurichten. Dies beinhaltet ein ganzheitliches Verständnis
                                                                   von Innovation, das nicht allein die Umsetzung technischer
In dem hier vorliegenden Papier wird diese Kritik aufgenom-        Lösungen, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen
men und der Frage nachgegangen, wie Partizipation für              für die Lösung komplexer Probleme umfasst. Im Gegensatz
eine erfolgreiche Missionsorientierung in innovationspoli-         zur Förderung ausgewählter Technologiebereiche geht es
tische Entscheidungsprozesse integriert werden kann und            um einen systemischen Innovationsansatz, der Systemtrans-
was die Voraussetzungen dafür sind. Entlang eines fünf-            formationen ermöglicht.
phasigen Politikzyklus werden verschiedene Partizipations-
formen, im Sinne einer jeweiligen Co-Produktion, vorgestellt       Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie sehr
und diskutiert. In der Zusammenschau der Beispiele wird            die Gesellschaft darauf angewiesen ist, Herausforderungen
deutlich, dass bereits viele Formate erfolgreich umgesetzt         durch das Anwenden wissenschaftlicher Erkenntnis zu be-
werden, aber Partizipation bislang nur stückweise und zeit-        wältigen. Zugleich wurde deutlich, dass dazu vor allem der
lich begrenzt umgesetzt und nicht systemisch langfristig           erfolgreiche Transfer von technischen und organisatorischen
verankert wird.                                                    Lösungen in die Praxis ein unverzichtbarer Schritt für den
                                                                   Gesamterfolg darstellt. Ebenso gilt dies für andere große
Im Anschluss zeigen die Autor:innen in drei Thesen, wie            Herausforderungen, wie etwa das Verlangsamen des Klima-
Partizipation weiterentwickelt werden kann, um insbesonde-         wandels sowie die dazu notwendigen gesellschaftlichen

Julian Stubbe § Maxie Lutze § Gereon Meyer § Jakob Michelmann                                                               |2
VDI/VDE-IT § Positionspapier

Anpassungen. Innovationen – und die gesellschaftliche                               pertenkommission Forschung und Innovation (EFI) in deren
Kapazität, diese hervorzubringen – spielen in dieser Hinsicht                       Ergebnisbericht beziehungsweise Gutachten zu Forschung,
nicht allein die Rolle rein wirtschaftlicher Beschleuniger, um                      Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutsch-
Wachstum und Marktpositionen von Unternehmen und                                    lands als neuer Politikstil gefordert (EFI 2021; Hightech-­
Regionen zu stärken. Vielmehr wurde durch die globale                               Forum 2021). Die Autor:innen regen darin eine Transfor-
Herausforderung der Corona-Pandemie deutlich, wie sehr                              mationsorientierung der Innovationspolitik an. Gleichzeitig
sozio-technische Innovationen und deren systemische Kopp-                           sprechen sie sich dafür aus, Strukturen zu schaffen, die
lung der unterschiedlichsten Felder und Teilbereiche – von                          agiles und vorausschauendes Handeln öffentlicher Akteure
Biotechnologie und einem digitalen Gesundheitssystem über                           ermöglichen. Die Volkswirtin und Beraterin der Europäischen
digitales Lernen bis zur öffentlichen Verwaltung – notwendig                        Kommission Mariana Mazzucato definiert dies als auf die
sind, um eine Herausforderung von derartiger gesellschaftli-                        Lösung komplexer gesellschaftlicher Probleme („wicked
cher Tragweite zu bewältigen. Die Rolle staatlicher Institutio-                     problems“) abzielende Missionen, die einen transformati-
nen kann in dieser Hinsicht nicht auf die Regulation markt-                         ven Systemwechsel einleiten (Mazzucato 2021). Im inno-
wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und das Beheben                                  vationspolitischen Kontext bedeutet dies die Fokussierung
eines Marktversagens begrenzt werden. Vielmehr ist die öf-                          von fördernden und steuernden Aktivitäten, Impulsen und
fentliche Hand gefragt, die lenkend und proaktiv gestaltend                         Einwirkungen auf ein vorab definiertes großes gesellschaft-
Impulse gibt, innovative Leistungen von Akteuren einfordert                         liches Ziel.
und das Erreichen von messbaren Zielen ermöglicht.
                                                                                    Die Implementierung dieser Missionsorientierung ist zwar
Partizipation ist für ein derartiges, missionsorientiertes                          eine jüngere Entwicklung, aber nicht mehr nur Zukunftsmu-
Politikverständnis von entscheidender Bedeutung. Sie koor-                          sik oder theoretischer Leitgedanke, sondern bereits mehr-
diniert das symbiotische Verhältnis zwischen zielgerichteter                        fach in verschiedenen Innovationsprogrammen erprobt.
Innovationspolitik des Staates und der Teilhabe der gesell-                         Beispielsweise setzte die Bundesregierung innerhalb der
schaftlichen Akteure, die Triebfeder sowie Kompass dieses                           Jahre 2011 bis 2016 die ressortübergreifende Forschungs-
Wandels bilden sollen. Zudem zeigt sie die vielschichtige                           agenda „Das Alter hat Zukunft“ um. Mit einem Gesamt-
Verzahnung von Innovationen in ihren gesellschaftlichen                             volumen von rund 189 Millionen Euro wurden Forschungs-
Teilbereichen, wenn zum Beispiel neue digitale Verwaltungs-                         programme der Ressorts gebündelt und konsequent auf
prozesse oder Lernmethoden auf die praktische Lebenswelt                            die Herausforderungen und Chancen einer Gesellschaft des
der Menschen treffen. Auch die im Zuge der Corona-Pande-                            längeren Lebens ausgerichtet (Bundesministerium für Bil-
mie hervorstechenden Diskussionen des Wissenschafts- und                            dung und Forschung [BMBF] 2011). Die Hightech-Strategie
Gesundheitssystems sowie demokratischer Strukturen kenn-                            2025 der Bundesregierung ist auf ähnliche Weise von einer
zeichnen einen Bedarf an Kommunikation und Partizipation,                           Missionsorientierung geprägt,1 wenngleich hier der techno-
die Menschen in Austausch und zur Verhandlung künftiger                             logische Fortschritt im Fokus steht, der aber wiederum auf
Entwicklungen bringen. Die Beteiligung der Menschen am                              gesellschaftlich relevante Anwendungsbereiche ausgerichtet
Wandel und den neuen Missionen der Innovationspolitik er-                           wird – beispielsweise medizinische Versorgung (BMBF 2014).
zeugt Mitverantwortung – eine wesentliche Voraussetzung                             Ein im besonderen Maße ambitioniertes Konzept einer mis-
dafür, dass politische Ziele und Eingriffe auch eine transfor-                      sionsorientierten Innovationspolitik stellt das im Jahr 2021
mative Wirkung entfalten. Dies stellt innovationspolitische                         gestartete Forschungsrahmenprogramm der Europäischen
Institutionen aber zugleich vor die Herausforderung, die                            Kommission „Horizon Europe“ dar. Dieses Programm ent-
Menschen konstruktiv einzubinden und Wege dafür zu fin-                             hält fünf Missionen: „Anpassung an den Klimawandel, ein-
den, Partizipation in innovationspolitischen Entscheidungs-                         schließlich gesellschaftlicher Veränderungen“, „Bekämpfung
prozessen umzusetzen.                                                               von Krebs“, „Gesunde Ozeane, Meere, Küsten- und Binnen-
                                                                                    gewässer“ sowie „Klimaneutrale und intelligente Städte“
Missionsorientierung als neuer Leitgedanke der                                      und schließlich „Bodengesundheit und Ernährung“.2
­Innovationspolitik
 Der Ansatz der Missionsorientierung ist kein Produkt der                           Zu traditionellen und technologieorientierten, innovations-
 Corona-Pandemie, gewinnt durch diese aber an Aufmerk-                              politischen Ansätzen grenzt die EFI die „neue Missionsorien-
 samkeit und Bedeutung. Prominent wurde er zuletzt, auf                             tierung“ ab, der sie eine stärkere Ausrichtung am „gesell-
 Deutschland bezogen, vom Hightech-Forum und von der Ex-                            schaftlich erwünschten transformativen Wandel“ zuspricht.

1   Im Hinblick auf ihre strategische Ausrichtung lässt sich bei der Hightech-Strategie bereits seit dem Jahr 2010 von einer Missionsorientierung sprechen, wobei
    die Sprachregelung allerdings noch eine andere war (zum Beispiel „Zukunftsprojekte“) (Dachs 2015).

2   Website „Horizon Europe“: ec.europa.eu/info/horizon-europe_en (zuletzt abgerufen am 16.04.2021)

Julian Stubbe § Maxie Lutze § Gereon Meyer § Jakob Michelmann                                                                                                  |3
VDI/VDE-IT § Positionspapier

Diese Ausrichtung stellt die Innovationspolitik und ihre Ins-          Ziele von Partizipation aus dem Grundsatzpapier
titutionen vor Anforderungen, die ebenso einen Wandel im               Partizipation des BMBF (BMBF 2016)
institutionellen Handeln einfordern. Die EFI fordert eine agile        § Gesellschaftliche Relevanz von Forschungs- und
Politik. Dabei heißt Agilität für die EFI nicht nur Schnelligkeit        Innovationspolitik erhöhen
und Flexibilität. Der geforderte Ansatz umfasst auch die Fä-           § Wissen der Vielen nutzen
higkeit, langfristige Entscheidungen proaktiv vorzubereiten,           § Entscheidungen nachvollziehbar/transparent/zu-
partizipativ zu gestalten und stetig zu überprüfen.                      gänglich machen
                                                                       § Vertrauen schaffen
Die – nicht ganz einfache – Rolle von Partizipation                    § Interesse wecken
Partizipation kommt hierbei eine zentrale Rolle zu: Sie soll
aus der neuen Missionsorientierung erst eine demokrati-                Adressaten und Anspruchsgruppen missionsorien-
sche Innovationspolitik machen. Durch sie sollen beteiligte            tierter Partizipation (PRO-Ethics 2021), unter anderem:
Bürger:innen und Interessensvertretende über relevante                 § Bürger:innen: die allgemeine Öffentlichkeit, Lai:in-
Sachverhalte informiert, demokratische Gestaltungsansätze                 nen, Personen mit staatsbürgerlichen Erwartungen;
vermittelt und eine Vielzahl von Standpunkten offengelegt                 im Sinne einer „öffentlichen Beteiligung“
werden (vgl. Info­kasten).                                             § Nutzer:innen: Nutznießende des Endprodukts des
                                                                          Innovationsprozesses
Mit dem Fokus auf Teilhabe der Öffentlichkeit unterscheiden            § Expert:innen: Personen mit spezifischer professionel-
sich heutige Missionen von Missionen wie der Mondlandung                  ler Expertise oder Branchenkenntnis
in den 1960er-Jahren. Diese Mission wurde von der US-ame-              § Zivilgesellschaftliche Akteure: Organisationen, die
rikanischen Regierung gänzlich von oben nach unten um-                    über andere Kenntnisse und Einflussmöglichkeiten
gesetzt und zog dementsprechend starke gesellschaftliche                  verfügen als Bürger:innen und soziale Interessen
Kritik nach sich. Im Gegensatz dazu sollen die neuen Mis-                 vertreten
sionen der Forschungs- und Innovationspolitik konsequent               § Wirtschaftliche Akteure: zum Beispiel Unternehmen
an gesellschaftlichen Herausforderungen ausgerichtet sein                 oder Verbände, die ein Interesse an der Gestaltung
und die Bevölkerung beteiligen. Mazzucato fordert in dieser               von Innovationspolitik haben
Hinsicht, dass Partizipation von Beginn an Bestandteil der
Entwicklung und Artikulation von Missionen ist: „Participa-
tion requires reimagening the future together“ (Mazzucato           so der mögliche Vorwurf, hätte sie nicht die gewünschte
2021: 201). Die Beteiligung solle dabei nicht engagierten           wirtschafts- und wohlstandsfördernde Wirkung entfalten
Eliten vorbehalten sein, sondern über alle Ebenen eines Inno-       können. Auf Ebene der Organisation für wirtschaftliche Zu-
vationssystems verteilt werden. Mit dieser Vorgehensweise           sammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen die Autor:in-
würden dann auch wirtschaftliche Akteure und vor allem die          nen beispielsweise, dass gesellschaftliches Engagement in
breite Bevölkerung einbezogen. Von Institutionen erfordere          der Steuerung und Regelung (die sogenannte Governance)
dies Offenheit sowie Lern- und Anpassungsfähigkeit in ihren         von Innovation nur dadurch institutionell legitimiert wurde,
Entscheidungsprozessen, damit Rückmeldungen der betei-              dass es helfe, Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen und
ligten Gruppen nicht allein eine Marketing-Wirksamkeit ent-         mit Unsicherheiten der Nachfrage umzugehen. Die Kritik der
falten, sondern Transformationen aktiv mitgestaltet würden          Autor:innen besteht darin, dass Partizipation weniger aus
(Mazzucato 2018). Die Forderung nach mehr Partizipation             einem demokratischen Selbstverständnis, sondern als Lösung
ist nicht neu. Verwandte innovationspolitische Ansätze, wie         für eine problematische Governance legitimiert würde. Diese
„Responsible Research and Innovation“ (RRI), zielen darauf          Kritik aufnehmend, birgt ein derartig enges Verständnis
ab, Beteiligung nicht erst in konkreten Forschungsvorhaben,         von Partizipation – allein als Instrument, um Akzeptanz in
sondern bereits in innovationspolitischen Entscheidungspro-         der Bevölkerung zu steigern – die Gefahr, dass Partizipation
zessen zu gewährleisten.                                            scheitert. Denn damit wird sie nicht als Quelle des Neuen und
                                                                    als Kraft des Mitgestaltens betrachtet, sondern als nachgela-
Bezogen auf die institutionelle Implementierung und die             gerte Pflichterfüllung.
damit verbundene Legitimierung eines Politikwechsels,
setzt auch eine wichtige Kritik an: In ihrer vergleichenden         Ein weiterer Kritikpunkt ist das bisherige Nichterreichen
Analyse institutioneller Implementierungen missionsorien-           einer breiten Beteiligung partizipativer Formate. Die Um-
tierter Ansätze zeigen Frahm et al., dass diese oftmals auf         setzung von Partizipation erreicht allzu oft nur privilegierte
einer „Defizit-Logik“ basieren (Frahm et al. 2021). Wird der        Bevölkerungsgruppen und Personen, während zum Beispiel
Wandel anerkannt, könnte dies zugleich als Bestätigung              wissenschaftsferne Gruppen oder Personen mit geringer
herangezogen werden, dass es der Innovationspolitik in der          Digitalkompetenz nicht erreicht werden. Das EU-Projekt
Vergangenheit an Akzeptanz gemangelt habe. Dadurch,                 „PRO-Ethics“ weist auf die Herausforderung hin, dass

Julian Stubbe § Maxie Lutze § Gereon Meyer § Jakob Michelmann                                                                    |4
VDI/VDE-IT § Positionspapier

zu einer erfolgreichen Umsetzung von Partizipation das                             drei Kernthesen artikuliert und ausgeführt, wie Partizipation
Schaffen von niedrigschwelligen Zugängen gehören muss.                             umgesetzt werden sollte und was die Voraussetzungen sind,
Nur so können auch die Gruppen beteiligt werden, die                               um die neue Missionsorientierung der Innovationspolitik zu
ein berechtigtes Interesse an einer Mitsprache haben.                              unterstützen.
Laut den Erkenntnissen des Projekts bedeutet dies auch
das Einbinden von Akteuren, die traditionell nicht Teil des
Innovationssystems sind. Dazu gehören Bürger:innen oder                            II. Partizipation im innovationspolitischen Entschei-
zivilgesellschaftliche Organisationen (PRO-Ethics 2021). Mit                       dungsprozess
dieser Kritik geht nicht einher, dass sich ganze gesellschaft-
liche Gruppen nicht von einzelnen Vertretenden eben jener                          Innovationspolitische Entscheidungsprozesse lassen sich
Anspruchsgruppen repräsentieren lassen können. Vielmehr                            anhand eines Politikzyklus beschreiben (Schubert und Klein
macht die Kritik darauf aufmerksam, dass mit dem Um-                               2020). In diesem modellhaften Zyklus wird ein Problem
setzen partizipativer Formate eigene ethische Aufgaben-                            erkannt (Problemdefinition) und gegebenenfalls auf die poli-
stellungen verbunden sind. Diese Faktoren, wie beispiels-                          tische Agenda gesetzt (Agendasetzung). Im Nachgang wer-
weise niederschwellige Zugänge, allgemeinverständliche                             den politische Maßnahmen erarbeitet und es wird über sie
Kommunikation sowie regionale Diversität und zielgrup-                             entschieden (Politikformulierung), sodass sie in der nächsten
pengerechte Kanäle müssen berücksichtigt und in ange-                              Phase umgesetzt werden können (Politikimplementierung).
messene Lösungen übersetzt werden. Dies kann erhebliche                            In der Phase der Evaluierung werden Zielerreichung, Wirt-
Anstrengungen für innovationspolitische Institutionen und                          schaftlichkeit und Wirksamkeit geprüft (Politikevaluierung),
Organisationen erfordern.                                                          woraufhin die Politik den Prozess schließt (Politikterminie-
                                                                                   rung), um Kapazitäten für eine neue Problemdefinition zu
Vor dem Hintergrund dieser Kritik setzt Partizipation ein re-                      erhalten. Die im Folgenden aufgeführten Einsatzfelder von
formiertes Selbstverständnis innovationspolitischer Organi-                        Partizipation unterstützen schon heute die Entscheidungs-
sationen sowie koordinierte Anstrengungen voraus, um die                           prozesse und können jeweils im Sinne einer Co-Produktion
mit ihr verbundenen Werte und Versprechen konstruktiv in                           strukturiert werden (Abbildung 1).3
die Tat umzusetzen. Zu den Organisationen, die mit ihren
strategischen und praktischen Anstrengungen Einfluss auf                           Co-Design: Partizipation zur Agenda- und Themenent-
neue Missionsorientierungen und damit zugleich auf die                             wicklung
Qualität von Partizipation nehmen, gehören neben den                               Bei der innovationspolitischen Agendasetzung wird ein
staatlichen und nicht staatlichen Institutionen, die Innovatio-                    bestimmtes politisches Ziel oder Problem auf die Tages-
nen mittelwirksam fördern, auch die beratenden und umset-                          ordnung gesetzt. Grundsätzlich zeichnen sich Demokratien
zenden Organisationen, wie Projektträger, Forschungsein-                           durch eine Vielzahl von politisch handlungsrelevanten und
richtungen, Innovationsagenturen und wirtschaftliche sowie                         möglicherweise konkurrierenden Themen aus sowie durch
zivilgesellschaftliche Akteure.                                                    eine Vielzahl von Akteuren, die an der Agendasetzung
                                                                                   beteiligt sind: zum Beispiel durch die Gewaltenteilung von
Aus der Perspektive der Organisationen, die Innovationspoli-                       Regierung und Parlament oder durch Beratungsprozesse von
tik praktisch umsetzen, werfen die Autor:innen des vorlie-                         Wissenschaftler:innen, Fachleuten oder weiteren Anspruchs-
genden Papiers die Frage auf:                                                      gruppen.

Wie kann Partizipation für eine erfolgreiche Missionsorien-                        Partizipative Aktivitäten haben hier einen vorausschauen-
tierung in innovationspolitische Entscheidungsprozesse                             den sowie lebensweltbezogenen Charakter. Eine Vielzahl
integriert werden und was sind die Voraussetzungen dafür?                          von Formaten, die neben den traditionellen Akteuren des
                                                                                   Innovationssystems auch Bürger:innen mit verschiedensten
Hierzu werden im Folgenden erfolgreiche Beispiele für Parti-                       Hintergründen einbinden, werden bereits seit vielen Jahren
zipation entlang von fünf Phasen des innovationspolitischen                        erfolgreich umgesetzt. Ein Beispiel dafür sind Zukunfts-
Entscheidungsprozesses präsentiert. Die Sortierung weist                           werkstätten, in denen Menschen im Rahmen von Work-
dabei auf einen eher prototypischen Charakter von Parti-                           shops eine Zukunftsvision für eine gesellschaftliche Heraus-
zipation hin; erst in der Zusammenschau wird eine ganz-                            forderung entwickeln. Diese haben in der Vergangenheit
heitliche Perspektive möglich. Im Anschluss daran werden                           durchaus innovationspolitische Wirkung entfaltet. So wie

3   Diese Unterscheidung von Partizipationsformaten entlang eines Policy Cycles kann als Ergänzung zu anderen Formen der Differenzierung von Partizipations-
    formaten verstanden werden, zum Beispiel Stufen von partizipativen Formaten nach ihrer Eingriffstiefe (vgl. Unger 2014). Eine Differenzierung entlang des
    Policy Cycles bietet sich aufgrund des hier verfolgten Fokus auf Partizipation im Rahmen einer missionsorientierten Innovationspolitik an, um damit zu ver-
    deutlichen, in welchen Phasen einer Missionsumsetzung Partizipation relevant sein kann.

Julian Stubbe § Maxie Lutze § Gereon Meyer § Jakob Michelmann                                                                                                 |5
VDI/VDE-IT § Positionspapier

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                                                                                   bestimmung
                                                            Problem-      Co-Des
                                                            definition          ign

                                                     e
                                                   nc
                                                                                                      Agenda-

                                              a
                                            rn
                                                                                                      setzung

                                          ve
                                        Go
                 Politik-

                                     Co-
              terminierung

                                                                                                             Co-I
                                                                                                                 mplementation
                                 Politik-
                                                                Policy Cycle
                                                                                                                                 Phase der Missions-
                               evaluierung                 Integrative Partizipations-                                           vorbereitung
                                                                 möglichkeiten
                                     C o-
                                      Eva

                                                                                                         Politik-
                                        lua

              Phase der Missions-                                                                   implementierung
                                            ti o

              bewertung
                                             n

                                                                                                n
                                                          Politik-                     a ti o
                                                         umsetzung        C o - K re
                                                                                                    Phase der Missions-
                                                                                                    implementierung

Abbildung 1: Partizipation in Innovationsprozessen (eigene Darstellung in Anlehnung an Gerybadze 2004;
Schubert und Klein 2020).

beispielsweise die Demografie-Werkstattgespräche des                        Beispiel-Box I „Mobility4EU“
Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im
Jahr 2013. Dabei kamen ältere Bürger:innen mit Fachleuten                   Im EU-Projekt „Action Plan for the Future of Mobility“
zusammen und daraus entstanden die sehr erfolgreichen                       (Mobility4EU) wurde unter Beteiligung von Akteuren
Fördermaßnahmen der Senioren-Technik-Botschafter und                        aus Forschung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zunächst
der Kommunalen Beratungsstellen (2014–2016). Eine                           eine gemeinsame Zukunftsvision vom Mobilitätssystem
vorausschauende Perspektive für Bürger:innen ermöglichen                    im Jahr 2030 entworfen und dann ein Plan zu deren
auch technologische Testumgebungen und Erfahrungs-                          Umsetzung aufgestellt. Dabei wurden erfolgreich
räume, sogenannte „Living Labs“. Engels et al. weisen                       konkurrierende und durchaus auch extreme Ansprüche
darauf hin, dass diese auch Orte sein können, um sozio-                     in den Bereichen Nachhaltigkeit, Inklusion und nahtlose
technische Zukünfte gemeinsam zu entwickeln (Engels et al.                  Integration miteinander in Einklang gebracht. Beteiligt
2019). Statt als bloße Ermöglicher von Technologie könnten                  waren Unternehmen, die Verkehrslösungen entwickeln
Testumgebungen als echte gesellschaftliche Tests für die                    und betreiben, genauso wie die späteren Nutzenden.
Erwünschtheit bestimmter Transformationen dienen, so die                    Der partizipative Co-Produktionsprozess basierte auf
Autoren basierend auf einer vergleichenden Fallanalyse.                     der gemeinsamen Visualisierung von Zukunftswünschen
Dies erfordere ein Überdenken der Vorstellungen von Erfolg                  und -sorgen, der Identifikation von Hürden und der Ent-
und Misserfolg, eine Planung mit Blick auf Umkehrbarkeit                    wicklung von Lösungsvorschlägen. Dies wurde ergänzt
und eine genauere Untersuchung der Machtverteilung in                       durch eine wissenschaftliche Erhebung und Auswertung
solchen Umgebungen. Sie plädieren dafür, Testumgebungen                     von Interessen und Lösungsräumen. Erst das breite,
nicht nur als Zonen mit geringer technischer Regulierung zu                 Bürger:innen ebenso wie Unternehmen einbeziehende
betrachten, um Innovationen voranzutreiben, sondern diese                   Verständnis von Partizipation und die begleitende wis-
strategisch einzusetzen, um gesellschaftlich wünschens-                     senschaftliche Reflexion ermöglichte legitime und valide
werte Governance-Rahmenbedingungen in Verbindung mit                        Projektergebnisse. Diese dienen als Handlungsempfeh-
aufkommenden Technologien in Echtzeit zu entwickeln.                        lungen für die weitere Ausgestaltung der europäischen
                                                                            Innovationspolitik im Bereich Mobilität und Verkehr.

                                                                            Quelle: Projekt-Website www.mobility4eu.eu

Julian Stubbe § Maxie Lutze § Gereon Meyer § Jakob Michelmann                                                                                          |6
VDI/VDE-IT § Positionspapier

Co-Implementation: Implementierung von Innova-                     programm setzt eine enge Zusammenarbeit zwischen
tionsprogrammen und Auswahl von Vorhaben                           einer Vielzahl von Akteuren (Forschungsorganisationen,
Die Umsetzung von Agenden im Rahmen von Innovations-               Non-Profit-Organisationen und Unternehmen) in allen
programmen bestimmt wesentlich, wie das Transformations-           Phasen von der Vorbereitung bis hin zur Durchführung
potenzial eines Themas im Hinblick auf die Wirkung für             der Projekte voraus. Dieser Ansatz setzt das Ziel um,
ein angestrebtes Ziel in konkreten Vorhaben ausgeschöpft           gesellschaftlich relevante Themen durch transdisziplinä-
werden kann. Es geht darum, Entscheidungen darüber vor-            re, sektorübergreifende, partizipative Aktionsforschung
zubereiten und zu treffen, welcher Ansatz, welche Projekt-         anzugehen.
idee oder welche Partnerkonstellationen die besten Chancen
haben, einen konstruktiven Beitrag für das Erreichen des           Eine Fallstudie zu dem Programm zeigt, dass der
programmatischen Ziels zu leisten. Diese Entscheidungen            Aufbau des Programms viele Fragen und Herausfor-
sind Teil der inhaltlichen Umsetzung von Gesetzen, Verord-         derungen aufgeworfen hat in Bezug auf den Regulie-
nungen oder – für die Innovationspolitik ganz wesentliche –        rungsrahmen, neue Konzepte (und das dazugehörige
Haushaltstiteln in konkrete materielle Leistungen wie zum          Vokabular) und deren jeweilige Verständnisse. Dennoch
Beispiel die Projektförderung. Im Rahmen von Förderungen           wurde die Entscheidung getroffen, das Programm zu
setzt dieser Prozess voraus, dass Ziele definiert wurden und       starten und auf einer im Wesentlichen empirischen
Ideen existieren, mit welchen Forschungs- und Entwick-             und experimentellen Basis zu arbeiten, die Raum für
lungsarbeiten diese Ziele zu erreichen sind.                       eine schrittweise Verbesserung auf der Grundlage des
                                                                   gegenseitigen Lernens zwischen allen Beteiligten lässt
Der Großteil dieser Prozesse wird bislang von Institutionen        (einschließlich der beteiligten Förderorganisationen). Um
durchgeführt, zum Teil mit Beteiligung von Fachleuten. Hier-       die verschiedenen Schwierigkeiten, die mit der Art und
bei handelt es sich beispielsweise um Konsultationen über          dem Umfang des Programms zusammenhängen, zu be-
Schwerpunktsetzungen von Fördermittelausschreibungen               wältigen, wurde eine vermittelnde Struktur eingerichtet:
und Jury-Prozesse, in denen Projektanträge auf der Basis           das „Co-create Support Center“. Dieses Projekt hat das
von Skizzen oder wettbewerblichen Ideen-Präsentationen             Ziel, die Co-Kreationsdynamik zu begleiten, das kollek-
(sogenannten „Pitches“) bewertet werden und damit eine             tive Lernen zu erleichtern und das produzierte Wissen
Chance auf Förderung erhalten. Derzeit entwickeln sich             zu verbreiten. Im Jahr 2018 schlug das Unterstützungs-
diese Prozesse durchaus weiter: Es wird weniger hinter ver-        zentrum vor, die Bürgerbeteiligung auszuweiten, vom
schlossenen Türen ausgewählt; Transparenz und Vielfalt der         Einbinden der Menschen als Nutzende bis hin zu einer
Jury gewinnen an Bedeutung. So setzen sich zum Beispiel            aktiven Beteiligung im Auswahlprozess der Vorschläge
die Jurys der Programme „Kreativpiloten“ und „Innovations-         (Ex-ante-Bewertung der Projekte).
programm für Geschäftsmodelle und Pionierlösungen“ des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) aus           Quelle: Fallbeispiel im Rahmen des EU-Projekts PRO-
Personen zusammen, die neben wissenschaftlicher Expertise          Ethics (www.pro-ethics.eu); Website des Programms:
auch Erfahrungswissen aus unternehmerischer und beruf-             innoviris.brussels/co-creation
licher Praxis einbringen. Dieses Erfahrungswissen bereichert
den Auswahlprozess, indem es den Neuheitswert eines
Projekts an seinen praktischen Wirkungseffekt anlehnt.           Co-Kreation: Partizipative Umsetzung von Innova-
                                                                 tionsaktivitäten in Projekten
Eine breite Beteiligung von verschiedenen Gruppen bezie-         Die Beteiligung von Bürger:innen und Nutzenden in For-
hungsweise Bürger:innen an diesen Prozessen ist bislang          schungs- und Entwicklungsvorhaben ist in den vergangenen
allerdings selten. Ein Blick ins europäische Ausland zeigt       Jahren weit vorangeschritten. Ansätze wie nutzenden­
hingegen, dass auch hier Partizipation das Potenzial hat,        zentriertes Design, „Responsible Research and Innovation“
eine konstruktive Rolle zu spielen, zum Beispiel in Form einer   oder Integrierte Forschung sind bereits in Forschungspro-
Bürger:innen-Jury.                                               grammen implementiert und fordern Projekte auf, zu-
                                                                 künftige Nutzende bereits von Beginn der Forschung an in
                                                                 den Entwicklungsprozess miteinzubeziehen. In der Folge
  Beispiel-Box II „Co-Kreation und Co-Selektion in               wurde eine Vielzahl von methodischen Ansätzen entwi-
  einem Resilienz-Programm der Stadt Brüssel”                    ckelt, wie Impulse, Anregungen und Erfahrungswissen aus
                                                                 alltäglichen Lebenswelten aufgenommen und verarbeitet
  Die Region Brüssel-Hauptstadt (BCR) finanziert seit            werden können. Diese Entwicklung wird fortgesetzt: Im
  dem Jahr 2015 ein Programm, das darauf abzielt, die            neuen EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizon Europe“
  Widerstandsfähigkeit der Region durch partizipative            ist die Umsetzung von Open-Science-Prinzipen ein wichtiges
  Forschungsprojekte zu erhöhen. Das Co-Kreations-               Auswahlkriterium für die Förderung von Forschungs- und

Julian Stubbe § Maxie Lutze § Gereon Meyer § Jakob Michelmann                                                                 |7
VDI/VDE-IT § Positionspapier

Innovationsprojekten. Auch im neuen BMBF-Programm                                   gemeinsam mit Akteuren aller föderalen Ebenen aus
„Miteinander durch Innovation“ ist die Integrierte For-                             Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft an Lösun-
schung eine zentrale Querschnittsaufgabe und Anforderung                            gen für die drängendsten Herausforderungen. Am An-
an die Forschungshaltung der Projekte. Das Einbeziehen                              fang steht das Co-Kreationsformat des „Hackathon“,
aller relevanten Wissensträger, insbesondere auch von                               auf dem Lösungen entwickelt und Herausforderungen
Bürger:innen, Nutzenden und Zivilgesellschaft im Sinne von                          beziehungsweise Akteure mit Lösungen zusammenge-
„Citizen Science“, wird so weiterhin ein integraler Bestand-                        bracht werden. Vielversprechende Lösungen werden in
teil der Co-Kreation von Projektinhalten.                                           einem sechsmonatigen Umsetzungsprogramm mit Un-
                                                                                    terstützung der Bundesregierung weiterverfolgt. Vorbild
Über die Beteiligung von Bürger:innen in Forschungsdesigns,                         ist der Vorgänger-Hackathon „#WirVsVirus“ mit dem
wie in Citizen-Science-Projekten, können wissenschaftliche                          dazugehörigen Umsetzungsprogramm, der die Bekämp-
Aktivitäten im Rahmen von Forschungs- und Innovations-                              fung der Corona-Pandemie fokussierte. Dieses Beispiel
programmen transparenter gestaltet werden. Bürger:innen                             zeigt, wie man mit einem breiten Miteinander von Staat
können dazu beitragen, weltweite gesellschaftliche Her-                             und Zivilgesellschaft einer Krise wirksam entgegentreten
ausforderungen („Grand Challenges“) auf lokaler Ebene                               kann. Die Bundesregierung verfolgt damit das Ziel, dass
zu durchdringen (Chicot und Domini 2019). Im Gegenzug                               „Herausforderungen der Zivilgesellschaft und der Ver-
werden öffentliche Forschung und Entwicklung transparen-                            waltung mit innovativen Lösungen zusammengebracht
ter. Irvin und Stransbery sehen einen hohen Grad an Infor-                          werden. […] Wir wollen sicherstellen, dass Innova-
mationsweitergabe vom ersten Tag an, transparente Regeln                            tionen dort ankommen, wo sie wirklich gebraucht
für Entscheidungsprozesse sowie dialogische Mediation als                           werden. […]“, unterstreicht Helge Braun, Chef des
grundlegende Rahmenbedingungen zur Lösung von mög-                                  Bundeskanzleramts und Schirmherr des Programms.4
licherweise aufkommenden Konflikten innerhalb partizipati-                          Mit einer Beteiligung von über 40.000 Menschen war
ver Prozesse sowie zur Beschleunigung von Entscheidungs-                            dieses Anliegen erfolgreich bei der Mobilisierung von
prozessen (Irvin und Stansbury 2004).                                               Bürger:innen. Das komplett digitale Format kann dabei
                                                                                    Zugang gleichermaßen ermöglichen wie verhindern,
In der Ausrichtung dieser programmatischen Aufforderung                             denn der Umgang mit digitalen Werkzeugen wie Slack
hat sich gezeigt, dass diese zwar deutlich als Anforderung                          und DevPost muss erlernt werden. Die Redakteur:innen
artikuliert, aber nicht strikt Methoden vorgegeben werden                           des Portals Netzpolitik.org werfen bei der Einschätzung
sollten. Forschung und Entwicklung lebt an dieser Stelle da-                        des Formats die Frage nach der Nachhaltigkeit auf und
von, offen und experimentell zu sein. Dies beinhaltet neben                         Wegen, die Impulse der Zivilgesellschaft tatsächlich auf-
der Vielfalt methodischer Zugänge auch, dass sich Projekt-                          zugreifen.
ziele durch Impulse aus partizipativen Aktivitäten ändern
können und ein Projekt eine andere Richtung einschlagen                             Quellen: updatedeutschland.org, netzpolitik.org/2021/
kann als zunächst geplant. Wenn Programme diese Offen-                              updatedeutschland-zivilgesellschaft-im-wettbewerbs-
heit der Projekte nicht zulassen, werden sie sich auch nicht                        format
langfristig für Partizipation öffnen können, denn Beteiligte
würden zu Erfüllungsgehilfen der Fachleute. Hier ist es not-
wendig, eine offene Innovationskultur zu stärken, damit aus                      Co-Evaluation: Bewerten und Nachbessern transfor-
dem Erfahrungswissen der Bürger:innen neue Lösungswege                           mativer Wirkungen
entstehen und diese für spezifische Problemstellungen um-                        Eine wesentliche Forderung missionsorientierter Innovations-
gesetzt werden können.                                                           politik ist die Überprüfbarkeit von Maßnahmen und ihre
                                                                                 Erfolgskontrolle. Die Evaluation ist ein wesentliches Instru-
                                                                                 ment, um Ansätze weiterzuentwickeln und ihre Wirkweisen
    Beispiel-Box III „UpdateDeutschland“                                         zu verfolgen. Insbesondere grundlagenorientierte For-
                                                                                 schungsaktivitäten stehen bei Evaluationen vor der Heraus-
    „UpdateDeutschland“ ist ein vom Sozialunternehmen                            forderung, ihren konkreten Beitrag zu einem Ziel darzustel-
    ProjectTogether initiiertes Innovationsprogramm unter                        len, da Verwertungsmöglichkeiten oftmals von konkreten,
    der Schirmherrschaft des Bundeskanzleramts, das                              nur bedingt vorhersagbaren Ergebnissen abhängen.
    gesellschaftliche Zukunftsthemen in den Mittelpunkt
    rückt. Dort arbeiten Bürger:innen, Start-ups und Vereine

4   Pressemitteilung; Zitat Helge Braun, Bundeskanzleramt: projecttogether.org/pressemitteilung-auftakt-von-updatedeutschland-buergerinnen-arbeiten-mit-
    bund-laendern-und-kommunen-an-loesungen-fuer-die-zukunft (zuletzt abgerufen am 16.04.2021)

Julian Stubbe § Maxie Lutze § Gereon Meyer § Jakob Michelmann                                                                                              |8
VDI/VDE-IT § Positionspapier

Partizipative Evaluation ist ein Ansatz, der die Beteiligten         und Evaluierung ihres eigenen multisektoralen, regiona-
beziehungsweise die angesprochenen Zielgruppen eines                 len Entwicklungsplans beteiligt. Sie untersuchen die Zu-
Programms oder einer Politik in den Evaluationsprozess ein-          sammenhänge zwischen Produktivität und ökologischen
bezieht. Diese Beteiligung kann in jeder Phase des Evalua-           und kulturellen Faktoren, verfolgen Veränderungen im
tionsprozesses erfolgen, vom Evaluationsdesign über die              Laufe der Zeit und vergleichen Pläne und Ergebnisse
Datenerhebung und -analyse bis hin zur Berichterstattung             auf systematische Weise. Dies hat den Gemeinden
über die Studie. Die Art und das Ausmaß der Beteiligung              geholfen, ihre Stärken zu erkennen und ihre Manage-
wird jedoch notwendigerweise zwischen den verschiedenen              mentfähigkeiten zu verbessern, was wiederum zu einer
Typen variieren, zum Beispiel zwischen einer Wirkungs-               Veränderung der Machtverhältnisse führt. Es werden
evaluation auf lokaler Ebene und einer Evaluation von                Verbindungen zwischen den Gemeinden geschaffen,
politischen Veränderungen (Gujit 2014). Um die Effektivität          die in Verhandlungen mit der nationalen und der Pro-
des Ansatzes zu maximieren, ist es wichtig, den Zweck der            vinzregierung sowie dem Privatsektor eine gemeinsame
Einbeziehung von Anspruchsgruppen zu berücksichtigen                 Stimme bilden.
und welche Gruppen wie einbezogen werden sollten. Be-
sonders sinnvoll ist es auch, Personen einzubeziehen, die an         Quelle: Gujit und Gaventa 1998
der Ziel- und Programmdefinition sowie der Projektauswahl
beteiligt waren.                                                     Einen Transfer partizipativer Evaluationsmethoden
                                                                     ermöglicht das „Participatory Evaluation Toolkit“ der
Partizipation nicht traditioneller Akteure ist in innovations-       kanadischen zivilgesellschaftlichen Organisation HC
politischen Evaluationen ein eher wenig umgesetztes                  Link. Dieses Konzept beschreibt Schlüsselqualitäten, um
Element und in der Regel auf Fachleute und Anspruchsgrup-            sicherzustellen, dass partizipative Evaluationsaktivitäten
pen begrenzt. Es besteht an dieser Stelle Nachholbedarf, da          sowohl befähigend als auch effektiv sind, und skizziert
gerade der Missionsorientierungsansatz tatsächliche Trans-           Schritte zur Koordinierung von Evaluationsmethoden.
formationen stärken will, die bei den Menschen ankommen              Es enthält Beschreibungen von sieben partizipativen
und gesellschaftlichen Wandel unterstützen. An diesem                Evaluierungstechniken, die dabei helfen, kollaborative
Anspruch muss sich die Politik konsequenterweise messen              Aktivitäten zu kommunizieren, auszurichten und attrak-
lassen und Wirkungen auch von den Menschen bewerten                  tiv zu gestalten.
lassen, die sie betreffen sollen. Dieser Anspruch ist allerdings
voraussetzungsreich. Dazu gehört, dass Bürger:innen die              Quelle: Kranias 2017
Begrenzungen von Forschung verstehen müssen und ein
wissenschaftliches Grundverständnis („Science Literacy“)
verbreitet ist. Aspekte wie Notwendigkeit von Risiko und           Co-Governance: Ausbau missionsorientierter Instru-
Misserfolg, Vorläufigkeit der Ergebnisse, wissenschaftlicher       mente
Disput, Wissensaufbau und -überprüfung, akademische Frei-          Partizipatives staatliches Handeln umfasst staatlich gestützte
heit und weitere Faktoren sind Grundprinzipien, die in einer       institutionelle Prozesse, die es Bürger:innen, Interessenver-
Bewertung – auch von Bürger:innen – mit berücksichtigt             tretungen oder zivilgesellschaftlichen Akteuren ermöglichen,
werden müssen.                                                     ihre Stimme zu erheben und abzustimmen. Dies führt im
                                                                   besten Fall dazu, dass öffentliche Maßnahmen umgesetzt
                                                                   werden, die eine Veränderung im Alltag bewirken. Abhän-
  Beispiel-Box IV „Partizipative Evaluation in Kolum-              gig davon, wie partizipative Formate ausgestaltet werden,
  bien“ und „Participatory Evaluation Toolkit“                     können deren Qualität, Ergebnisse sowie der Mehrwert für
                                                                   alle Beteiligten unterschiedlich ausfallen. Um zu vermeiden,
  Konkrete Beispiele für partizipative Evaluation innova-          dass Partizipation nicht eindeutig in die positive Wirkung
  tionspolitischer Programme und Aktivitäten sind kaum             einer Mission einzahlt, ist es wichtig, zu experimentieren,
  zu finden. Es gibt allerdings Beispiele aus kommunalen           Bewertungsmaßstäbe zu definieren und dabei von prakti-
  Zusammenhängen, aus denen Rückschlüsse und Me-                   schen Partizipationsprojekten zu lernen.
  thoden für einen Transfer gezogen werden können.
                                                                   „True participation requires systems to be open to change
  In Kolumbien ist ACIN, eine Vereinigung indigener Völ-           and adaptation based on the feedback received.“ (Mazzuca-
  ker, die 13 Gemeinden umfasst, an der Überwachung                to 2021). Den dafür erforderlichen Aufbau lernender Orga-

Julian Stubbe § Maxie Lutze § Gereon Meyer § Jakob Michelmann                                                                     |9
VDI/VDE-IT § Positionspapier

nisationen, die sich in diesem Prozess engagieren, beschreibt                        Beispiel-Box V „Work4Germany“
Mazzucato in dem sogenannten ROAR-Framework.5 Eine
zentrale Anforderung besteht demnach darin, staatliche                               „Work4Germany“ unterstützt Mitarbeitende der öffent-
Institutionen so zu gestalten, dass sie die dem Innovations-                         lichen Verwaltung dabei, moderne Arbeitsweisen und
prozess innewohnende fundamentale Unsicherheit – und                                 relevante Zukunftskompetenzen in den Arbeitsalltag
damit das Eingehen von Risiken – proaktiv annehmen und                               zu integrieren, und begleitet strategische Projekte der
zu lernenden Institutionen werden. Für eine missionsorien-                           Bundesministerien zur Transformation der Arbeitskultur.
tierte, partizipative Politikgestaltung sind folglich zahlreiche
Fähigkeiten erforderlich:                                                            Personen aus der Privatwirtschaft arbeiten deshalb
                                                                                     mit Mitarbeitenden in Bundesministerien zusammen
§ gute Führung, die mutige Visionen artikuliert;                                     und entwickeln unterschiedliche Projekte, um die
§ ein starkes Basis-zur-Führung-Engagement („Bottom-up“),                            Arbeit der öffentlichen Verwaltung digitaler, agiler und
  das neben der partizipativen Definition von Missionen                              moderner zu gestalten. Es geht dabei um die Nutzung
  Raum für deren Anpassung und Anfechtung lässt;                                     neuer digitaler Arbeitsinstrumente und Kreativ- und
§ strategische Anbahnung von Partnerschaften, bei denen                              Kollaborationsmethoden. Auch Empfehlungen für die
  staatliche Akteure eine gestaltende Rolle einnehmen, die                           Transformation von Ministerien und Möglichkeiten
  nicht auf das Beheben von Markversagen reduziert ist.                              digitaler Gesetzesprozesse werden dabei erarbeitet. Die
                                                                                     sogenannten „Work4Germany Fellows“ unterstützen
Außerdem schließt eine erfolgreiche Implementierung mis-                             mit ihrer Erfahrung und ihren Kompetenzen, damit
sionsorientierter Politik Fähigkeiten ein zur:                                       Veränderung ganzheitlich gedacht und auf individueller,
                                                                                     Team-, Organisations- und Systemebene ansetzen und
§ Identifikation kohärenter Policy-Mixes (Instrumente und                            so nachhaltig wirksam sein können.
  Finanzierung) und Koordination;
§ Durchführung von Experimenten (aufgrund der Anfor-                                 Erfahrungen, die die im Jahr 2019 gestartete Initiative
  derung, dass neue Missionen nicht nur technologische                               aus der Arbeit mit der ersten Kohorte mitnehmen kann,
  Lösungen, sondern auch starke gesellschaftspolitische                              betreffen vor allem das Erwartungsmanagement, das
  Aspekte einschließt);                                                              aus der Erkenntnis resultiert, dass sich die Geschwin-
§ Reflexion und Evaluation, die nicht nur eine Kosten-Nut-                           digkeit privatwirtschaftlicher und politischer Prozesse
  zen-Analyse umfassen, sondern auch Wirkweisen auf                                  unterscheidet und „Fellows“ vor allem Transformations-
  Systemebene miteinbeziehen.                                                        und nicht zusätzliche Arbeitsressourcen sind.

Schließlich bedarf es für die Verwaltung neuer Missionen                             Quelle: work.4germany.org und background.tagesspie-
passender Verwaltungsfähigkeiten: Fähigkeiten, die sich                              gel.de/digitalisierung/work4germany-start-up-trifft-wie-
auf eine Vielfalt von Fachwissen und Fertigkeiten stützen,                           der-auf-verwaltung
von der technologischen Ausstattung bis zum menschen-
zentrierten Design sowie sinnvolle Organisationsformen, um
relevante, bislang nicht zusammenhängende Wissensberei-                           III. Voraussetzungen einer missionsorientierten
che zu verknüpfen.                                                                ­Partizipation

Entsprechend sind Austausch- und Qualifizierungsprogram-                          Die zusammengestellten Beispiele zeigen, wie vielfältig und
me ein wesentliches Element, um die umsetzenden Men-                              konstruktiv Partizipation bereits heute umgesetzt wird. Sie
schen zu befähigen, das neue und verzahnte Innovations-                           zeigen, dass partizipative Instrumente kreativ, vorausschau-
system mit einer ebenso neuen Arbeitskultur zu verbinden.                         end und wirkungsvoll sowie Quelle und Kompass von Inno-
Andernfalls werden Missionsorientierung und Partizipation                         vationen sein können. Allerdings verdeutlichen die Beispiele
auf ein attraktives Etikett reduziert.                                            auch, dass Partizipation sehr fragmentiert eingesetzt wird
                                                                                  und eher selten systemisch integriert ist. Auf diese Weise
                                                                                  bleibt die anfangs aufgeworfene Kritik bestehen, Partizipa-
                                                                                  tion basiere institutionell primär auf einer Defizit-­Logik: Sie
                                                                                  wird bislang zu oft als temporäres Ereignis implementiert
                                                                                  und ist somit noch nicht fest im Innovationsökosystem

5   „ROAR“ bezeichnet einen politischen Rahmen, der strategisches Denken über die gewünschte Fahrtrichtung („Routes“), die Struktur und Kapazität von
    Organisationen des öffentlichen Sektors („Organizations“), die Art und Weise, wie Politik bewertet wird („Assessement“) und die Anreizstruktur für den
    privaten und öffentlichen Sektor („Risks and Rewards“) beinhaltet.

Julian Stubbe § Maxie Lutze § Gereon Meyer § Jakob Michelmann                                                                                                | 10
VDI/VDE-IT § Positionspapier

integriert. Aus dieser Position wird Partizipation nur schwer     § Die Entwicklung einer innovationspolitischen Gemein-
die Rolle in einer missionsorientierten Innovationspolitik          sprache – einer Lingua franca, mit der sich Menschen
einnehmen, derer es für erfolgreiche gesellschaftliche Trans-       aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen verständigen
formation bedarf.                                                   können; Organisationen sind hier gefragt, in einer Rolle
                                                                    des „Dolmetschers und Moderators“ zu agieren, der
Hier sind ganz wesentlich die Institutionen und Organisatio-        Kommunikation ermöglicht.
nen, die Missionen innovationspolitisch in die Tat umsetzen,      § Einführung eines Verhaltenskodex für Partizipation im
gefragt, ihr Handeln auf neue koordinierte und konstruktiv          innovationspolitischen Kontext; damit verbunden ist eine
integrierte Formen der Partizipation auszurichten.                  stärkere Diversität der Beteiligten, ihre Offenheit und Un-
                                                                    voreingenommenheit gegenüber den eingebrachten Ideen
Vor diesem Hintergrund entwerfen die Autor:innen des vor-           und der Gleichberechtigung in Entscheidungsprozessen.
liegenden Papiers drei Thesen, um Voraussetzungen für eine        § Die konsequente Förderung gerechter und vielfältiger Par-
erfolgreiche missionsorientierte Partizipation zu entwickeln.       tizipationszugänge, die nicht nur privilegierten Gruppen
                                                                    Teilhabe ermöglichen, sondern in der Breite der Gesell-
Innovationskultur: Partizipation erfordert eine demo-               schaft wahrgenommen und genutzt werden. Hierbei
kratische und offene Innovationskultur                              sollte digitale Partizipation genutzt werden, um Zugang
Für eine integre und glaubhafte Umsetzung von Partizipa-            zu ermöglichen (zum Beispiel im ländlichen Raum oder für
tion ist eine Kultur der Offenheit und des Gestaltungswillens       wenig mobile Menschen), nicht aber, um Partizipation für
notwendig – und dies von allen Akteuren. Das Schaffen von           weniger digitalaffine Gruppen zu versperren.
Neuem ist in einer missionsorientierten Partizipation nicht       § Die Förderung von Innovationsformen, in denen techno-
den Institutionen oder den Forschenden vorbehalten. Viel-           logische und soziale Innovationen nicht gegenübergestellt
mehr werden Bürger:innen in ihren kreativen und schaffen-           werden, sondern gesellschaftlicher Wandel mit Technolo-
den Kompetenzen miteinbezogen. Dies kann in allen Phasen            gien gestaltet und Missionen umgesetzt werden.
des innovationspolitischen Entscheidungsprozesses funk-
tionieren: von der Artikulation neuer Themenschwerpunkte          Kapazitäten: Partizipation erfordert den Aufbau und
über die partizipative Umsetzung von Forschung bis zu ihrer       Einsatz von agilen Kompetenzen und Instrumenten
Evaluation und Bewertung. Dafür sind zwei wesentliche As-         entlang des Innovationsprozesses
pekte relevant. Erstens müssen die Institutionen bereit sein,     Für die Umsetzung einer missionsorientierten Innovations-
Machtverhältnisse neu zu verhandeln: Wenn Partizipation           politik muss die Rolle staatlicher Institutionen reflektiert und
gewollt wird, müssen sich Ziele und politische Schwerpunkte       gegebenenfalls neu gedacht werden. Fachleute fordern
auch durch die Beteiligten verschieben lassen. Dies beinhal-      mehr Agilität auf Akteurs- und Systemebene. Dies soll
tet, dass Institutionen sich öffnen und stärker involvieren;      Prozesse lösungsorientierter und vorausschauender machen.
nicht nur, um zuzuhören, sondern vielmehr, um mitzudis-           Partizipation ist ein wesentliches Element, um den Anfor-
kutieren. Zweitens ist es nötig, nicht nur Menschen, die sich     derungen eines derartigen politischen Handelns gerecht zu
bereits in einer privilegierten Position befinden, teilhaben zu   werden. Dafür ist es nötig, die erforderlichen Kapazitäten
lassen. Es bedarf enormer Anstrengungen, eine Innovations-        zu schaffen. Diese bestehen zum einen in Kompetenzen,
kultur zu schaffen, in der alle Bevölkerungsteile die Möglich-    die reflexive methodische Zugänge sowie Transferwissen
keit erhalten, sich an Innovationen und damit dem Erfüllen        umfassen und in Institutionen verankert sein müssen. Zum
einer Mission zu beteiligen. Hier sind ethische Leitlinien        anderen müssen die innovations- und förderpolitischen
nötig, um Voreingenommenheit und Diskriminierung zu ver-          Instrumente vorhanden sein, mit denen Partizipation ermög-
meiden und gesellschaftliche Teilhabe zu stärken.                 licht und konstruktiv in den Innovationsprozess eingebettet
                                                                  sowie die erforderliche Innovationskultur gestärkt wird.
Innovationspolitische Organisationen sollten vor allem das        Dazu gehören Instrumente, die gezielt partizipative Formate
gesellschaftliche Potenzial nutzen, das das Wirkungsprinzip       ermöglichen, beispielsweise Bürger:innenräte oder offene
„von unten nach oben“ mit sich bringt und versuchen, es           Vorausschau-Prozesse („Foresight“), und Instrumente, die
durch breite Maßnahmen zu stärken. Darunter sehen die             eine konstruktive Beteiligung in der Forschung einfordern
Autor:innen:                                                      und den experimentellen Raum dafür schaffen.

§ Die Stärkung allgemeiner Science und Digital Literacy, da-      Innovationspolitische Organisationen sollten hierfür ihre
  mit nicht nur die Ergebnisse von Forschung, sondern auch        Offenheit auch im Sinne einer experimentellen Governance
  Methoden, Potenzial und Begrenzungen für Bürger:innen           ausleben und offen Kapazitäten weiterentwickeln. Wichtige
  greifbar werden.                                                Elemente hierzu sind zum Beispiel:

Julian Stubbe § Maxie Lutze § Gereon Meyer § Jakob Michelmann                                                                 | 11
VDI/VDE-IT § Positionspapier

§ Etablierung und Pflege professioneller Netzwerke von För-       Mit einer Weiterentwicklung innovationspolitischer Struk-
  derorganisationen, in denen Erfahrungen über Instrumen-         turen wird ermöglicht, dass Partizipation in Innovationssys-
  te geteilt und gemeinsam neue entwickelt und erprobt            temen verankert und langfristig sichergestellt wird; hierbei
  werden;                                                         sind folgende Aspekte von wesentlicher Bedeutung:
§ Konzeption und nachhaltiger Praxiseinsatz systemischer
  Partizipationsansätze, die es ermöglichen, Impulse der Zi-      § Generell muss bei der Weiterentwicklung innovations-
  vilgesellschaft aufzugreifen, in denen Teilhabe nicht einen       politischer Strukturen die transformative Wirkung von
  temporären Ereignischarakter hat, sondern Innovationen            Innovationen über mehrere Ebenen hinweg in den Blick
  durch Partizipation in mehreren Phasen des innovations-           genommen werden. Dafür ist Partizipation von wesent-
  politischen Entscheidungsprozesses auf ihren Transforma-          licher Bedeutung, denn durch sie werden die praktischen
  tionswert ausgerichtet werden (vgl. Abbildung 1);                 Zusammenhänge von politischen Impulsen, Regulierungen
§ Bestehende innovationspolitische Instrumente auf                  und alltagspraktischem Handeln erkennbar;
  Partizipationseignung überprüfen, wie die Zugangsmög-           § Partizipative Definition der Bedeutung und Wirkungsziele
  lichkeiten zur Förderung, bürokratische Aufwände oder             von Missionen auf der Basis eines gemeinsamen Problem-
  Möglichkeiten zur Co-Implementation, und entsprechen-             verständnisses muss auf allen Gestaltungsebenen – von
  de Verbesserungen an der Schnittstellen von Institutionen         Kommune bis Europa – erfolgen und die jeweiligen
  und Bürger:innen umsetzen;                                        Akteure (Anspruchsgruppen, Bürger:innen etc.) dazu ver-
§ Die Messung der Wirksamkeit innovationspolitischer Maß-           sammeln;
  nahmen sollte nicht allein forschungsrelevante Indikatoren      § Weiterentwicklung von Finanzierungspartnerschaften
  abdecken, sondern die transformative Wirkung von Maß-             (zum Beispiel „Joint Programme Initiatives“ oder „Social
  nahmen beinhalten, wofür Co-Evaluation ein wichtiger              Impact Bonds“), durch die Finanzierungen agiler und
  methodischer Baustein sein kann.                                  lösungsorientierter werden und damit besser auf die
                                                                    Umsetzung von Impulsen aus Partizipation ausgerichtet
Struktur: Partizipation erfordert ebenen-, akteurs- und             werden können;
themenübergreifende Innovationsökosysteme                         § Synergien und Zusammenhänge von Förderzielen müssen
Ein partizipatives Innovationsökosystem geht über den               identifiziert und besser genutzt werden, damit öffentliche
diskreten, ereignisbasierten Fokus gängiger Partizipations-         Mittel auf die Zielerreichung ausgerichtet werden; Forma-
angebote hinaus und zielt auf ein Verständnis für Diversität        te, an denen auch Bürger:innen beteiligt sind, können hier
und Wechselwirkungen in größeren systemischen Zusam-                zu Kooperationsplattformen werden.
menhängen. Die Berücksichtigung von Heterogenität und
systemischen Zusammenhängen birgt neue strukturelle und           Autoren
politische Herausforderungen, insbesondere gegenüber
institutionellen Zuständigkeiten. Missionsorientierte Partizi-
pation kann nicht entlang tradierter Ressortzuständigkeiten
verlaufen, sondern muss auf den Ebenen Wirkung entfalten,                       Dr. Julian Stubbe
die für eine erfolgreiche Umsetzung notwendig sind. Dies                        Demografie, Cluster und
umschließt kommunale, regionale, nationale sowie europäi-                       Zukunftsforschung
sche Wirkungsebenen, die in ihren Zusammenhängen durch
Partizipation adressierbar sein müssen. Natürlich können
Instrumente nie auf die Gesellschaft als Ganzes oder ein
Innovationssystem in all seinen Beziehungen einwirken, aber                     Maxie Lutze
es muss Korridore geben, über die verschiedene Ebenen ver-                      Demografie, Cluster und
bunden werden. Durch diese Korridore könnten europäische                        Zukunftsforschung
Formate national hervorgehoben und auf kommunaler Ebe-
ne fortgesetzt werden. Gleiches gilt für die inhaltlichen Ziele
der Partizipation, die nicht an ressortpolitischen Grenzen
stoppen können, sondern zu deren erfolgreichen Umsetzun-                        Dr. Gereon Meyer
gen notwendige Ressourcen gebündelt werden müssen.                              Europäische und
                                                                                internationale Geschäftsentwicklung

                                                                                Jakob Michelmann
                                                                                Europäische und
                                                                                internationale Geschäftsentwicklung

Julian Stubbe § Maxie Lutze § Gereon Meyer § Jakob Michelmann                                                               | 12
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