"Die Rolle von TRAF family member-associated NF-kappa-B activator (TANK) bei der Entstehung der Alkoholsucht" - OPUS 4
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„Die Rolle von TRAF family member-associated NF-kappa-B activator (TANK) bei der Entstehung der Alkoholsucht“ Aus der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Bereich Suchtmedizin Der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur Erlangung des Doktorgrades Dr. med. vorgelegt von Saskia Maria Hieber
Als Dissertation genehmigt von der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Tag der mündlichen Prüfung: 18.09.2019, 19.09.2019 und 01.10.2019 Vorsitzender des Promotionsorgans: Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Schüttler Gutachter/in: Prof. Dr. Christian P. Müller Prof. Dr. Volker Eulenburg
1 Inhaltsverzeichnis 2 Zusammenfassung .............................................................................................. 1 2.1 Hintergrund und Ziele......................................................................................... 1 2.2 Methoden (Tiere, Material und Untersuchungsmethoden) .................................. 1 2.3 Ergebnisse und Beobachtungen ........................................................................ 1 2.4 Schlussfolgerungen............................................................................................ 1 3 Abstract ................................................................................................................ 2 3.1 Background and aims ........................................................................................ 2 3.2 Methods ............................................................................................................. 2 3.3 Results and observations ................................................................................... 2 3.4 Conclusion ......................................................................................................... 2 4 Einleitung ............................................................................................................. 3 4.1 Alkoholmissbrauch, seine gesundheitlichen & ökonomischen Folgen ................ 3 4.2 Biologisch-neurochemische Grundlagen der Alkoholabhängigkeit ..................... 5 4.3 Genetische Faktoren bei der Entstehung der Alkoholabhängigkeit................... 12 4.4 TANK als Einflussfaktor multipler Erkrankungen .............................................. 13 5 Material und Methoden...................................................................................... 14 5.1 Material ............................................................................................................ 14 5.2 Tiere................................................................................................................. 14 5.3 Alkoholtrinkversuch .......................................................................................... 15 5.4 Alkohol-Deprivations-Effekt .............................................................................. 16 5.5 Geschmackspräferenztest................................................................................ 16 5.6 Statistische Methoden ...................................................................................... 17 6 Ergebnisse ......................................................................................................... 18 6.1 Alkoholtrinkversuch .......................................................................................... 18 6.2 Alkohol-Deprivations-Effekt .............................................................................. 19 6.3 Geschmackspräferenztest................................................................................ 21 7 Diskussion ......................................................................................................... 26 7.1 Bewertung der Methoden ................................................................................. 26 7.2 Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse ......................................... 26 7.2.1 Alkoholtrinkversuch ................................................................................... 26 7.2.2 Alkoholdeprivationseffekt .......................................................................... 27 7.2.3 Geschmackspräferenztest......................................................................... 27 7.3 Einfluss von aktuellen Single Nucleotide Polymorphismen auf Alkoholabhängigkeit.................................................................................................... 28 7.4 Einordnung der Ergebnisse in den aktuellen Wissensstand zu TANK und Suchtverhalten............................................................................................................ 33 7.5 Ausblick ........................................................................................................... 37 8 Abkürzungsverzeichnis..................................................................................... 40 9 Referenzen ......................................................................................................... 43 10 Danksagung ....................................................................................................... 54 11 Verzeichnis der Veröffentlichungen ................................................................. 55
2 Zusammenfassung 2.1 Hintergrund und Ziele Alkoholabhängigkeit ist weltweit ein großes Gesundheitsproblem und unterliegt unter an- derem verschiedenen genetischen Faktoren, die trotz ihrer klinischen Relevanz noch weitgehend unerforscht sind. In einer genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) konnte das minore A-Allel des TRAF family member-associated NF-kappa-B activator (TANK)- Gens mit reduziertem Trinken von Alkohol in Verbindung gebracht werden. Ausgehend von dieser Beobachtung untersuchten wir den Einfluss von TANK auf das Trinkverhalten und die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit bei Mäusen. 2.2 Methoden (Tiere, Material und Untersuchungsmethoden) In dieser Studie werden Alkoholkonsum, Alkoholpräferenz und Geschmackspräferenz anhand von männlichen TANK-KO-Mäusen (n=11) und Kontrolltieren (n=12) in Ab- hängigkeit vom Genotypen gezeigt. Gegenstand der Studie waren der konsumierte Al- kohol relativ zum Körpergewicht, die Alkoholpräferenz vs. Wasser, der Alkoholdeprivati- onseffekt (ADE) und die Saccharose- und Chininpräferenz. 2.3 Ergebnisse und Beobachtungen TANK-KO-Mäuse zeigten bei Alkoholkonzentrationen von 8 vol.% (p
3 Abstract 3.1 Background and aims Alcoholism is a global major public health problem and is linked to various genetic fac- tors, but however regardless of clinical importance of alcoholism, the genetic basis is largely unknown. In a Genome Wide Association Study (GWAS), the minor A allele of the TRAF family member-associated NF-kappa-B activator (TANK) gene was associated with reduced drinking. Based on this observation, an analysis on the effect of TANK on drinking alcohol and the development of alcohol addiction in mice has been conducted. 3.2 Methods The analysis exhibits genotype-dependent alcohol intake, alcohol preference and taste preference in male TANK-KO mice (n=11) and control mice (n=12). The experiment con- fined the measurement of the consumed amount of alcohol relative to body weight, the preference vs. water, the alcohol deprivation effect (ADE) and sucrose and quinine pref- erence. 3.3 Results and observations The study results show significantly lower alcohol consumption and preference over wa- ter in TANK-KO mice at 8 vol.% (p
4 Einleitung 4.1 Alkoholmissbrauch, seine gesundheitlichen & ökonomischen Folgen Alkoholkonsum ist der weltweit drittwichtigste Risikofaktor für die Entstehung von Krank- heiten und trägt zu rund 60 verschiedenen Arten von Erkrankungen und zur Entstehung von Verletzungen bei (WHO 2009). 2004 waren global 3,8% aller Todesfälle dem Alko- holmissbrauch zuzuschreiben (Rehm et al. 2009). Besondere Relevanz hat das Thema Alkohol in Europa, dem Kontinent mit dem höchsten Alkoholkonsum pro Kopf. 27g an reinem Alkohol nimmt ein erwachsener, über 15 Jahre alter Europäer im Durchschnitt pro Tag zu sich, das ist mehr als doppelt so viel wie der weltweite Durchschnitt (Anderson et al. 2012). In ganz Europa sind etwa 11 Millionen Menschen von einem Alkoholabhän- gigkeitssyndrom betroffen und die 1-Jahres-Prävalenz liegt bei 3,4% der Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren (Rehm et al. 2015). Nach ICD-10 unterscheidet man zwischen schädlichem Gebrauch von Alkohol und dem Alkoholabhängigkeitssyndrom. Beim schädlichen Gebrauch wird trotz schon bestehen- den physischen oder psychischen Schäden weiterhin Alkohol getrunken, also beispiels- weise trotz einer diagnostizieren Steatosis hepatis (Fettleber). Die Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms kann nach Definition der WHO gestellt wer- den, wenn drei oder mehr der folgenden Kriterien in den letzten zwölf Monaten mindes- tens einmal erfüllt waren. Die Betroffenen zeigen ein Craving, das heißt ein starkes oder zwanghaftes Verlangen nach Alkohol. Sie haben Schwierigkeiten, Beginn, Ende oder Menge des Konsums zu kontrollieren. Bei Reduktion oder Stopp des Alkoholkonsums kommt es zu körperlichen Entzugserscheinungen. Es lässt sich eine Toleranz nachwei- sen, für einen Wirkeintritt werden also höhere Dosen erforderlich. Andere Interessen werden zugunsten des Alkoholkonsums zunehmend vernachlässigt. Zudem wird die Substanz trotz schädlicher gesundheitlicher und psychosozialer Folgen weiterhin kon- sumiert (WHO 2016). Allgemein steigt mit der konsumierten Alkoholmenge die Wahrscheinlichkeit für das Auf- treten von Folgeerkrankungen an. Das Trinkverhalten lässt sich somit korrelierend zum Risiko für Komorbiditäten in drei Kategorien einteilen. 3
Tabelle 1: Definition der Trinkkategorien für Frauen: für Männer: Kategorie I: 0-19,99g purer Alkohol pro 0-39,99g purer Alkohol pro kleines Risiko Tag Tag Kategorie II: 20-39,99g purer Alkohol 40-49,99g purer Alkohol mittleres Risiko pro Tag pro Tag Kategorie III: > 40g purer Alkohol pro Tag >60g purer Alkohol pro hohes Risiko Tag (nach Rehm et al. 2003, S.41) Ein geringer bis mittlerer Alkoholkonsum hat einer Metaanalyse zufolge eine protektive Wirkung gegenüber der koronaren Herzerkrankung, am geringsten war das Risiko hier- für bei einem täglichen Konsum von 20g reinen Alkohols (Corrao et al. 2000). Dennoch steigt schon bei diesem Trinkverhalten der Kategorie I-II das relative Risiko für das Ent- wickeln von malignen neoplastischen Erkrankungen, psychiatrischen Erkrankungen und einer Leberzirrhose an (Rehm et al. 2003). Einen besonders starken direkten Einfluss scheint Alkoholkonsum einer Studie nach auf die Entstehung von Mundhöhlen-, Öso- phagus- und Larynxkarzinomen zu haben. Hypertonie, Leberzirrhosen und chronische Pankreatitiden scheinen ebenfalls in einem starken direkten Zusammenhang mit Alko- holkonsum zu stehen. Außerdem begünstigt Alkoholkonsum Unfallverletzungen und führt zu verstärkter Gewaltbereitschaft. Weiterhin wurden schon bei im Schnitt geringen konsumierten Alkoholmengen Zusammenhänge mit Kolon-, Rektum-, Leber- und Brust- karzinomen beobachtet (Corrao et al. 2004). Mehr als jeder dritte Alkoholabhängige erkrankt im Laufe eines Jahres zusätzlich an ei- ner Angststörung sowie 29,2% an affektiven Störungen wie Depressionen. Die Wahr- scheinlichkeit, eine bipolare Störung zu entwickeln, ist bei alkoholkranken Menschen 6,3-mal so hoch wie in der Normalbevölkerung. Zudem entwickelt eine Person mit Alko- holabhängigkeit 9,8-mal wahrscheinlicher einen anderen Substanzmissbrauch (Hasin et al. 2007). Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist Alkoholmissbrauch ein bedeutender Faktor. Im Jahr 2010 betrugen die direkten und indirekten Sozialkosten von Alkohol 155,8 Milliarden Euro. Die direkten Kosten beziehen sich auf die Eindämmung und Behandlung der schädlichen Auswirkungen von Alkohol, wie beispielsweise die Kosten für eine psychi- 4
atrische Behandlung. Indirekte Kosten repräsentieren Produktivitätsverluste wie Fehlzei- ten bei der Arbeit und sind in den meisten Studien für den größten ökonomischen Scha- den verantwortlich (Rehm et al. 2012). 2002 kostete problematischer Alkoholkonsum Deutschland 1,16% des gesamten Bruttoinlandsproduktes (Konnopka et al. 2007). 4.2 Biologisch-neurochemische Grundlagen der Alkoholabhängig- keit Wie genau sich der TANK-SNP auf das Belohnungssystem auswirkt, muss in der Zukunft noch weiter untersucht werden. Es sind eine Reihe von Mechanismen bekannt, deren Modulation sich auf Suchtverhalten auswirken kann und auf die der TANK-SNP Einfluss haben könnte. Vereinfacht gesagt ist der Reiz, der ein Belohnungsgefühl erzeugt, die Freisetzung von Dopamin im Nucleus accumbens (NAC). Nach Müller und Schumann (Müller et al. 2011) konsumieren Menschen psychoaktive Substanzen, weil deren Ef- fekte ihnen zum Erreichen ihrer persönlichen Ziele von Nutzen sind. Psychoaktive Sub- stanzen können somit in einem zweistufigen Verhaltensprozess instrumentalisiert wer- den. Dieser umfasst zum einen die Suche nach einer psychoaktiven Substanz und deren Konsum mit dem Ziel, den aktuellen mentalen Zustand in einen vormals erlernten um- zuwandeln. Dieser andere mentale Zustand führt dann zu einer besseren Leistungsfä- higkeit und einer besseren Zielerreichung. Ein Instrument kann man als Hilfsmittel defi- nieren, das dabei hilft, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, welches ohne nicht oder nur mit erhöhtem Arbeitsaufwand erreichbar wäre. Auch ein Verhalten kann per se schon ein Instrument darstellen (Frolov et al. 2003). Das Instrument ist so betrachtet also der Effekt einer Substanz auf den Organismus. Ein Ziel ist hier als Ergebnis eines etablierten Ver- haltens definiert. Wenn Sozialisierung und das Aufrechterhalten eines sozialen Netz- werks das aktuelle Verhaltensziel sind, wären das Suchen nach einem Ort, an dem sich andere Menschen befinden und die soziale Interaktion mit diesen beispielsweise instru- mentelle Verhaltensweisen. Das zentrale Nervensystem (ZNS) von Menschen legt ver- schiedene Handlungsmuster an den Tag, welche man als mentale Zustände bezeichnen kann. Mentale Zustände sind Arbeitsmodi des Gehirns, die über einen längeren Zeitraum von Minuten bis Stunden stabil gehalten werden. Sie bilden währenddessen das funkti- onelle Setting für schnelle rechnerische Prozesse im Millisekundenbereich. Mentale Zu- stände sind entscheidend für die subjektive Wahrnehmung eines Organismus, das Ab- rufen von Erinnerungen, autonome Reaktion und Verhaltensantworten (White 1996). Die mentalen Zustände des Gehirns werden durch verschiedene funktionelle Zustände mo- dulatorischer Transmittersysteme determiniert: das dopaminerge, serotonerge, acetyl- cholinerge, noradrenerge System und auch noch weitere Neuropeptidsysteme. Diese 5
kontrollieren die Informationsverarbeitung in dienzephalen und telencephalen Zielgebie- ten im Gehirn (Castren 2005). Die Aktivität dieser Systeme wird durch unterschiedliche externe Faktoren wie Tages- oder Jahreszeit, Umwelt und interne Faktoren wie Glucose-, Sauerstoff- und Hormon- spiegel im Blut beeinflusst (Schultz 2000). Unter verschiedenen tonischen Aktivitätsmodi können Umweltstimuli sehr unterschiedliche phasische Reizantworten hervorrufen. To- nische Nervenzellen sind hierbei durch ihr konstantes Aktivitätsmuster gekennzeichnet, bei dem eine Veränderung der Feuerfrequenz oder ein Ende der Aktivität den Informati- onsträger darstellt. Im Gegensatz dazu ist bei phasischen Nervenzellen der Aktivitätsbe- ginn das eigentliche qualitative Signal. Tonische sowie stimulationsabhängige phasische Antworten entscheiden über Stimulusverarbeitung und Verhaltensantwort des Gehirns. Die mentalen Zustände entscheiden über die Reaktionen eines Organismus auf die ihm dargebotenen äußeren Umstände. Diese Reaktionen determinieren dann wiederum den Erfolg des Organismus dabei, zuvor etablierte Verhaltensweisen umzusetzen und damit, wie effektiv er seine Ziele erreichen kann. Auf diese Weise sind die mentalen Zustände entscheidend dafür, ob eine zuvor etablierte Verhaltensweise überhaupt ausgeführt wird, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Bestimmte mentale Zustände erlauben es einem Organismus, der gerade ein bestimmtes Ziel verfolgt, eine Verhaltensweise möglichst effektiv hinsichtlich des Ergebnisses umzusetzen. Wenn das Ziel beispielsweise ist, von Ort A zu Ort B zu gelangen und die Verhaltensweise „Autofahren“, kann ein Organismus diese Handlung am besten in einem aufmerksamen mentalen Zustand vollführen und weniger gut in einem müden und abgelenkten Zustand. Per definitionem verändern alle psychoaktiven Drogen den mentalen Status eines Organismus (Fischman et al. 1982). Diese triviale Erklärung für Substanzkonsum wäre jedoch unzureichend, da sie dem ge- samten Umfang des Verhaltenskomplexes nicht gerecht würde, der mit nicht süchtig machendem Substanzkonsum einhergeht. Zwar tritt Drogenkonsum in einem bestimm- ten Umweltsetting und bestimmten mentalen Zuständen auf. Im berauschten Zustand werden aber drogenunabhängige Verhaltensweisen ausgeführt, wenn die drogenindu- zierte Veränderung des mentalen Zustandes in vollem Gange ist. Diese Verhaltenswei- sen können allerdings insofern als drogenunabhängig betrachtet werden, als dass sie unabhängig von Substanzgebrauch etabliert wurden und auch ohne vorherigen Drogen- gebrauch und damit ohne verändertem mentalen Zustand umsetzbar sind. Zum Beispiel können die meisten Erwachsenen Autofahren. Nach einem langen Arbeitstag kann je- doch eine Tasse Kaffee den Fahrer erfrischen, seine Aufmerksamkeit erhöhen und ihn so dazu befähigen, besser nach Hause zu fahren. In diesem Fall repräsentieren die Ef- fekte des Koffeins auf den mentalen Zustand das Instrument. Der Prozess A der Instru- mentalisierung von psychoaktiven Substanzen wären die Vorbereitung und das Trinken 6
von Kaffee, während der Prozess B das Autofahren wäre. Das individuelle Instrumenta- lisierungsziel wäre, nach Hause zu fahren. Dies könnte man unter die Zielklasse sub- summieren, die kognitive Leistungsfähigkeit zu verbessern und Müdigkeit zu bekämpfen (Müller et al. 2011). Das Erreichen von einem höheren Ziel würde den zusätzlichen Auf- wand überwiegen, dass zunächst das Suchen und Konsumieren einer psychoaktiven Substanz erforderlich wären, bevor die Verhaltensweise umgesetzt werden kann (Heyman 1996). Für die verhaltensverstärkende Wirkung von Alkoholkonsum ist nach heutigen Erkennt- nissen vor allem das mesolimbische dopaminerge System verantwortlich, konkret wird im NAC Dopamin ausgeschüttet. Dies fungiert neurochemisch als Bestärkung und das entsprechende Verhalten, in diesem Falle der Alkoholkonsum, wird wiederholt. Die Aktivität des NAC wird hauptsächlich über dopaminerge Afferenzen von der ventra- len tegmentalen Area (VTA) und glutamaterge Afferenzen vom frontalen Kortex, der Amygdala und des Hippocampus reguliert. Weiterhin beeinflussen GABAerge, sero- tonerge (aus den Raphe-Kernen) und adrenerge Afferenzen (vom Locus caeruleus) seine Aktivität (Shirayama et al. 2006). Dopaminfreisetzung hat eine inhibitorische Wirkung auf Neurone im NAC. Die Haupt- projektionsneurone enthalten GABA (γ-Aminobuttersäure) als primären Neurotrans- mitter (Meredith et al. 1993) und projizieren zum ventralen Pallidum, zum Nucleus Striae terminalis, der lateralen preoptischen Area, der sublentikular erweiterten Amygdala, zum Nucleus endopeduncularis, zum lateralen und medialen Hypothalamus, zur Substantia nigra, teilweise zur Pars compacta und kaudal zum mesopontinem Tegmentum und Re- gionen des zentralen Höhlengraus (Heimer et al. 1991). Die Wirkung von Alkohol und anderen Suchtdrogen beruht auf der Aktivierung des Be- lohnungssystems im Gehirn. Alkohol erhöht besonders im NAC die extrazelluläre Dopa- minkonzentration, welche dort durch Stimulation von Dopamin-2-Rezeptoren zur Erzeu- gung von Glücksgefühlen führt (Di Chiara et al. 1988). Dopamin spielt nicht nur im Kon- text von Suchtdrogen eine große Rolle, sondern trägt insgesamt zur operanten Konditi- onierung und damit zum Lernen allgemein bei. Auch nach einer Mahlzeit oder dem Ge- schlechtsverkehr wird Dopamin ausgeschüttet, was physiologisch wahrscheinlich zu ei- ner Verstärkung und Wiederholung des Verhaltens führen soll. Im Tierversuch stellte sich heraus, dass Alkohol im NAC jedoch nicht direkt zu einer Stimulation der Dopaminfreisetzung führt. Injizierte man Ratten Alkohol direkt in den NAC, führte dies nicht zu einem Anstieg der extrazellulären Dopaminkonzentration. Er- hielten sie Alkohol systemisch gespritzt, stieg die Dopaminkonzentration im NAC bei wa- chen Ratten an (Samson et al. 1997). Daraus kann man schließen, dass Dopamin über 7
Bahnen im mesolimbischen System, wahrscheinlich der VTA, reguliert wird. Die dopa- minergen Neuronen in der VTA werden beim Genuss von Alkohol stimuliert, was den Anstieg der extrazellulären Dopaminkonzentration im NAC bewirkt (Gessa et al. 1985). Außerdem konnte man herausfinden, dass die mit Alkohol assoziierte erhöhte Dopamin- konzentration aus einer erhöhten Freisetzung des Transmitters resultiert und nicht auf einer Wiederaufnahmehemmung (Yim et al. 2000). Zusätzlich fördert Alkohol indirekt die Dopaminfreisetzung durch Disinhibition von dopaminergen Neuronen. Hierzu wird die GABAerge Neurotransmission über μ-Opioid-Rezeptoren in der VTA und δ-Opioid-Re- zeptoren im NAC gehemmt (Cowen et al. 1999). Kommt es zum Alkoholentzug, sinkt die extrazelluläre Dopaminkonzentration, wohingegen sie bei erneutem Alkoholkonsum wie- der ansteigt (Diana et al. 1993). Des Weiteren konnte nachgewiesen werden, dass die Amygdala eine Rolle im Beloh- nungssystem des Gehirns spielt, indem man Ratten Alkohol intraperitoneal (i.p.) und in den zentralen Kern der Amygdala injizierte. Beides führte zu einer erhöhten Dopamin- und Serotoninfreisetzung in der Amygdala (Yoshimoto et al. 2000). Bei höheren Dosen Alkohol findet eine Dissoziation zwischen dem Anstieg der extrazel- lulären Dopaminkonzentration und Alkohol statt: Im Tierexperiment sank die Dopamin- konzentration 90 Minuten nach i.p. Injektion von Alkohol wieder auf das basale Level, obwohl die Alkoholkonzentration selbst erhöht blieb. Daraus kann man schließen, dass es bei hohen Alkoholkonzentrationen zu einer akuten Toleranz kommt (Yim et al. 2000). Auch schon die Erwartung, Alkohol zu konsumieren, führt zu einem Anstieg der extra- zellulären Dopaminkonzentration im NAC, vor allem, wenn der Organismus bereits ge- lernt hat, entsprechend auf Alkohol zu reagieren (Weiss et al. 1992). Nach mehrfacher Injektion von Alkohol i.p. führte auch eine Injektion von Kochsalz zu einem Anstieg der extrazellulären Dopaminkonzentration, da sich das Belohnungssystem durch Al- koholgabe neurochemisch anpasst und wie bei einer klassischen Konditionierung ge- lernt hat, auf Reize, die mit Alkohol verknüpft sind, zu reagieren (Philpot et al. 1998). In einem weiteren Experiment fanden Nurmi et al. (1996) heraus, dass eine i.p. Injektion bei Ratten, die vorher Zugang zu Alkohol hatten, die extrazelluläre Dopaminfreisetzung nicht steigerte. Das könnte entweder daran liegen, dass Alkohol für die Tiere nur inte- ressant erscheint, wenn sie ihn noch nicht lange kennen. Oder aber nur der freiwillige Zugang zu Alkohol, also nicht die Substanz selbst, sondern vielmehr das Verhalten des Trinkens an sich, führen zu einem Anstieg von Dopamin und belohnen so das Tier (Nurmi et al. 1996; Tupala and Tiihonen 2004). Die Erhöhung der extrazellulären Dopaminfreisetzung im NAC wird durch die Interaktion mit neurochemischen Systemen vermittelt, welche das Dopaminsystem direkt aktivieren 8
können. Hierzu zählen GABA, Glutamat (über NMDA-Rezeptoren), Serotonin, Acetyl- cholin und Glycin (Batra et al. 2010). Der GABAA-Rezeptor, ein ligandengesteuerter Ionenkanal, ist einer der wichtigsten inhi- bitorischen Rezeptoren im ZNS und spielt durch seinen großen Einfluss auf das Dopa- minsystem eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Alkoholsucht. GABAA-Rezeptoren wirken durch die Erhöhung der Permeabilität für Chloridionen. Alkohol, Barbiturate und Benzodiazepine können an verschiedene Untereinheiten des Rezeptors binden, erhö- hen so die Chloridpermeabilität und führen dadurch zu einer Hyperpolarisation an der Nervenzellmembran. Deswegen werden verstärkt kortikale Neurone inhibiert (Aguayo 1990). Dies trägt zu sedierenden, anxiolytischen, muskelrelaxierenden und antikonvul- siven Wirkungen der Substanzen und zur Inhibition von Lokomotion, Sensorik und Kog- nition bei (Aguayo 1990). Nowak et al. fanden 1998 heraus, dass die Injektion von Bicucullin, einem GABAA- Antagonisten, in die VTA den Alkoholkonsum von Ratten verringerte, was den Einfluss des GABAA-Rezeptors auf die Regulation des Alkoholkonsums untermauert (Nowak et al. 1998). Muscimol, ein Agonist an GABAA- und Partialagonist an GABAA-Rho- Rezeptoren kann als Alkoholersatz wirken, wenn er in die Amygdala oder den Kern des NAC von Ratten injiziert wird. Im prälimbischen Kortex zeigte er keine Wirkung (Hodge et al. 1998). 1998 wurde der Einfluss eines Polymorphismus der γ2-Untereinheit des GABAA-Rezeptors auf die Schwere von Alkoholentzugserscheinungen herausgearbeitet (Buck et al. 1998). Ein weiterer Wirkmechanismus von Alkohol neben der Aktivierung von GABA- Rezeptoren besteht in der Hemmung von glutamatergen NMDA-Rezeptoren (Lovinger et al. 1989). Die Hochregulation von NMDA-Rezeptoren bei chronischem Alkoholkon- sum (Grant et al. 1990) wurde als Ursache der Toleranzentwicklung gegenüber Alkohol angenommen. Alkohol vermindert bei wachen Ratten die durch NMDA induzierte Glu- tamatfreisetzung im Striatum (Carboni et al. 1993), während der Entzug von chroni- schem Alkoholkonsum zu erhöhten Glutamatkonzentrationen im Gehirn führt, was wahr- scheinlich durch eine Hochregulation von NMDA-Rezeptoren bedingt ist (Rossetti et al. 1995). Dennoch verhindert chronischer Alkoholkonsum bei Ratten in der Entzugsphase nicht, dass akuter Alkoholkonsum die extrazelluläre Glutamatkonzentration senkt (Rossetti et al. 1995). Die Ratten reagieren trotz vorausgegangenem chronischen Alko- holkonsum also ähnlich stark auf akuten Alkoholkonsum. Daraus kann man schließen, dass für die Toleranzentwicklung keine neuroadaptive Hochregulierung ursächlich ist. Trotzdem waren NMDA-Rezeptor-Antagonisten in Studien in der Lage, eine Toleranz- entwicklung gegenüber Alkohol zu verhindern (Wu et al. 1993), weswegen sie bei Sucht- 9
und Toleranzentwicklung genauso wie bei anderen Lernprozessen eine wichtige Rolle spielen können. Serotonin- (5-HT-) Rezeptoren beeinflussen ebenfalls die dopaminerge Aktivität der VTA und des NAC. Alkohol erhöhte im Versuch die extrazelluläre Serotoninkonzentration im NAC (McBride et al. 1993) und die Alkoholselbstverabreichung bei Mäusen nahm durch Deletion (Kelai et al. 2003) und Überexpression (Engel et al. 1998) von 5-HT3- Rezeptoren ab. Der Mechanismus, der zur Belohnung durch Alkoholkonsum führt, ist wahrscheinlich die Verstärkung der Dopaminfreisetzung im NAC über 5-HT3- Rezeptoren. Diese fällt durch Deletion der Rezeptoren dann weg. Durch Überexpression könnte auch insgesamt mehr Dopamin im Pathway freigesetzt werden und das Dopa- minsystem wäre dadurch schon annähernd maximal stimuliert, sodass Alkoholkonsum zu nur geringer oder keiner weiteren Dopaminfreisetzung führen würde. Alternativ könnte die Überexpression auch zu Herunterregulierung der Dopaminproduktion oder anderen das Belohnungssystem inhibierenden kompensatorischen Vorgängen führen (Engel et al. 1998). Ein 5-HT3-Rezeptor-Antagonist verhinderte die serotoninvermittelte Dopaminfreisetzung wiederum (Carboni et al. 1989), was den Einfluss insbesondere des 5-HT3- Rezeptorsubtyps auf das Suchtverhalten untermauert. Der 5-HT3-Rezeptor ist ein li- gandengesteuerter, für Natrium- und Kaliumionen selektiver Ionenkanal, wirkt direkt exzitatorisch (McBride et al. 2004) und kann somit die Dopaminfreisetzung beeinflussen. An der Dopaminfreisetzung sind ebenfalls acetylcholin- und strychninsensitive Glycin- rezeptoren beteiligt (Darstein et al. 1997). Der lokal applizierte kompetitive Antagonist Strychnin führte bei Ratten zu einem erniedrigten Dopaminspiegel im NAC und verhin- derte einen Dopaminanstieg bei lokaler und systemischer Applikation von Alkohol (Molander et al. 2005). Von besonderer Bedeutung scheinen hier die Subtypen a3b2 und a3b3 zu sein, ein selektiver Antagonist konnte im Versuch den freiwilligen Alkohol- konsum von Mäusen senken (Jerlhag et al. 2006). Molander et al. konnten 2007 zeigen, dass der Glycinwiederaufnahmehemmer Org 259335 Alkoholkonsum und –präferenz von Ratten vermindert, indem er die extrazelluläre Glycinkonzentration erhöht und somit zur verstärkten Aktivierung inhibitorischer strychninsensitiver Glycinrezeptoren führt (Molander et al. 2007). Alkohol erleichtert außerdem durch gesteigerte opioiderge Aktivität die Dopamin- freisetzung. Über die Inhibition von GABAergen Neurotransmittern via µ-Opioid- 10
rezeptoren in der VTA und δ-Opioidrezeptoren im NAC kommt es zur Disinhibition do- paminerger Neurone. Von präsynaptischen κ-Opioidrezeptoren, die sich auf dopaminer- gen Nervenenden im NAC befinden, können die Effekte von Alkohol wieder antagonisiert werden. Alkohol führt zur Freisetzung von β-Endorphin in der VTA und im NAC und wahrschein- lich zur Freisetzung von Enkephalin im NAC. In der VTA werden somit GABAerge Inter- neuronen inhibiert, was zu einer Erhöhung der Feuerrate von dopaminergen Neuronen führt. Daraus wiederum resultiert eine erhöhte Dopaminfreisetzung im NAC. Im NAC bedingen endogene Opioide durch Inhibition GABAerger Endigungen und Inhi- bition exzitatorischer Inputs eine weitere Disinhibition von dopaminergen Nervenenden über δ-Opioidrezeptoren. Akuter Alkoholkonsum erreicht seine Wirkung über die verbes- serte Bindung an µ-Opioidrezeptoren, chronischer Alkoholkonsum führt wahrscheinlich zu verstärkten δ-Opioidrezeptor-vermittelten Signalantworten (Cowen et al. 1999). Während das erlernte Suchtverhalten wahrscheinlich über das Dopaminsystem reguliert wird, wird das nach Alkoholkonsum wahrgenommene Belohnungs- und Wohlgefühl heu- tigen Erkenntnissen zufolge wahrscheinlich durch das Endocannabinoid- und das endo- gene Opioidsystem ausgelöst (Maldonado et al. 2006). Das Endocannabinoidsystem reguliert mittels präsynaptischer Cannabinoid-(CB)- Rezeptoren die synaptische Übermittlung, indem die klassische Transmitterwirkung in- hibiert wird. Teile des Endocannabinoidsystem sind CB1, CB2, der Orphanrezeptor GPR55 sowie die Endocannabinoide 2-Arachidonylglycerin (2-AG) und Anandamid (Freund et al. 2003). Cannabinoidrezeptor-Agonisten sind in der Lage, den freiwilligen Alkoholkonsum bei alkoholpräferierenden Ratten zu steigern (Colombo et al. 2002). Im Experiment neigten CB1-Knockout-Mäuse zudem zu einem geringeren Alkoholkonsum als WT-Mäuse, ein Effekt, der auch durch den CB1-Antagonisten SR141716A erreicht werden konnte (Thanos et al. 2005). Caillé et al. konnten weiterhin 2007 mithilfe von Mikrodialyseverfahren zeigen, dass die Selbstadministration von Alkohol bei Ratten zu einem mit der Alkoholmenge korrelierenden Anstieg von 2-AG im NAC führt (Caille et al. 2007). Die Alkoholpräferenz und der Alkoholkonsum von WT-Mäusen nimmt darüber hinaus im Alter ab, was jedoch bei CB-1-Knockout-Mäusen nicht der Fall war. Bei den CB-1-Knockout-Mäusen und den mit dem CB-1-Antagnonisten SR141716A behandel- ten Mäusen zeigte sich keine altersabhängige Abnahme, sowohl Alkoholkonsum als auch -präferenz blieben insgesamt niedriger als bei WT-Mäusen (Wang et al. 2003). CB-1-Rezeptoren befinden sich vor allem im präfrontalen Kortex, der mit sensorischer Sinnesverarbeitung sowie emotionaler Informationsverarbeitung in Verbindung gebracht wird (Kringelbach 2005). Dort wird der vorrausgegangene Alkoholkonsum verarbeitet 11
und führt zu einem Belohnungs- bzw. Wohlgefühl (Maldonado et al. 2006). All diese Me- chanismen könnten von TANK beeinflusst werden und somit zu einer geringeren Ten- denz zum Alkoholkonsum und zur -abhängigkeit führen. Ein weiterer wichtiger Schritt wäre die Untersuchung von TANK im Zusammenhang mit Lernverhalten und anderen Süchten oder Substanzmissbräuchen. 4.3 Genetische Faktoren bei der Entstehung der Alkoholabhängig- keit Bei der Entstehung von Alkoholabhängigkeit spielen neben Umweltfaktoren auch gene- tische Faktoren eine Rolle (Hawkins et al. 1992). Besonderen Einfluss hat die genetische Komponente auf die Entstehung von Alkoholismus vom Typ II. Diese Form des Alkoho- lismus kommt vor allem bei Männern vor, ist durch einen frühen Beginn charakterisiert und oftmals mit aggressiven und asozialen Persönlichkeitseigenschaften assoziiert (Cloninger et al. 1981). In der Stockholm Adoption Study fand man 1981 heraus, dass es zwischen adoptierten Söhnen und ihren leiblichen Eltern eine signifikante Korrelation hinsichtlich von Typ II-Alkoholismus gab. Dabei war Typ II-Alkoholismus vor allem von Vätern auf ihre Söhne vererblich (Cloninger et al. 1981). Eine Neigung zum Sensation Seeking, was so viel wie das Suchen nach Abwechslung und neuen Erlebnissen bedeu- tet, und eine geringe Bereitschaft zur Schadensvermeidung korrelieren positiv mit dem frühen Auftreten von Alkoholismus (Cloninger et al. 1988). Das Enzym Monoaminooxi- dase Typ B (MAO-B) ist bei Menschen mit einer höheren Tendenz zum Sensation See- king geringer ausgeprägt. Die MAO-B ist für den Abbau von Monoaminen wie Dopamin verantwortlich. Niedrige MAO-B-Level implizieren einen Mangel an Selbstregulation, was die Impulsivität von Sensation Seekers erklären könnte. Ebenfalls sind niedrige MAO-B-Level mit einem höheren Auftreten von Alkoholismus assoziiert. Nicht betroffene Kinder alkoholabhängiger Eltern wiesen einen niedrigen MAO-B-Spiegel auf (Zuckerman 2001). Das Enzym Aldehyd-Dehydrogenase (ALDH), das für den Abbau von Alkohol im Körper von Bedeutung ist, wurde ebenfalls in Verbindung mit Alkoholismus gebracht. Ein Man- gel von ALDH-1 kommt bei etwa 40% der japanischen Bevölkerung vor. Unter den alko- holabhängigen Japanern wiesen jedoch nur 2,3% einen ALDH-Mangel auf. Diese En- zymdefizienz könnte erklären, warum Alkoholismus in Japan wesentlich seltener vor- kommt als in europäischen oder nordamerikanischen Ländern (Harada et al. 1983). Eine mögliche Ursache wäre hier die weiter verbreitete Unverträglichkeit von Alkohol. 12
4.4 TANK als Einflussfaktor multipler Erkrankungen Gegenstand aktueller Forschung sind außerdem bestimmte Einzelnukleotidpolymor- phismen (SNPs), die die Affinität zu Alkohol beeinflussen. SNPs sind definitionsgemäß Loci im menschlichen Genom, bei denen sich die Allele in einer einzelnen Nukleotidbase unterscheiden und deren Vorkommenshäufigkeit in der Bevölkerung mindestens 1% be- trägt. Sie können innerhalb von kodierenden Genabschnitten liegen und dann zu einem Aminosäurewechsel bei der Transkription führen. Aufgrund der Degeneration des gene- tischen Codes können die SNPs aber auch zu einer Änderung der Nukleotidsequenz führen, ohne die davon abgeleitete Aminosäuresequenz zu verändern. Dies ist darin be- gründet, dass der genetische Code eine gewisse Fehlertoleranz bei der Transkription aufweist. Für manche Aminosäuren können so mehrere Codes verwendet werden. Diese Codes unterscheiden sich meistens nur in einer der drei Basen. SNPs können jedoch auch in nicht-kodierenden Genabschnitten, also Introns, oder außerhalb von Ge- nen liegen. Selbst außerhalb in nicht-kodierenden Genabschnitten gelegen kann ein SNP die Transkription durch Bindung an Transkriptionsfaktoren oder RNA-Polymerasen beeinflussen. Um genetische Variationen zu identifizieren, die mit bestimmten Erkrankungen oder Phänotypen assoziiert sind, werden genomweite Assoziationsstudien (GWAS) durchge- führt. Dabei werden zwei Versuchsgruppen definiert: die Kontrollgruppe, also gesunde Probanden und eine Gruppe, die den Phänotyp oder die Erkrankung von Interesse auf- weist. Von beiden Gruppen werden DNA-Proben analysiert und auf Variationen, heutzu- tage vor allem SNPs, getestet. Kommt eine SNP-Variante in der Gruppe mit der Erkran- kung von Interesse gehäuft vor, kann man von einer Assoziation sprechen. Bei der Metaanalyse einer solchen GWAS konnte der SNP rs197273 (A/G) nahe des TANK-Gens mit der Entstehung von Alkoholsucht in Verbindung gebracht werden. Es zeigte sich eine signifikante Assoziation von rs197273 mit Alkoholsucht (p=4,8x10-8). Der SNP rs197273 liegt in einem Intron (Chu et al. 2013) und vermindert über DNA- Methylierung die Genexpression von TANK. Mit dieser Studie soll nun im Tierversuch herausgearbeitet werden, welche Rolle das TRAF family member-associated NF-kappa-B activator (TANK)-Gen bei der Entstehung von Alkoholsucht spielt. 13
5 Material und Methoden 5.1 Material Für alle Alkoholtrinkversuche wurde absoluter Analysenalkohol (EMSURE® ACS, ISO, Reag. Ph Eur, Merck KGaA, 64271 Darmstadt, Germany) in der jeweiligen Verdünnung mit Leitungswasser verwendet. Für den Geschmackspräferenztest wurden Chininsulfat (QUININE SULFATE, CAT NO. 102792, LOT NO. 8016KA, MP Biomedicals, LCC, 29525 Fountain Pkwy, Solon, OH 44139) und handelsübliche Saccharose in der jeweili- gen Verdünnung mit Leitungswasser genutzt. Zum Wiegen von Tieren und Trinkflaschen wurde eine METTLER TOLEDO PL1200-Waage mit einer Auflösung von 10 mg verwen- det. 5.2 Tiere Im Experiment erfolgte eine Messung des Alkoholtrinkverhaltens von TANK (-/-) (TANK- KO-) Mäusen und entsprechenden Kontrolltieren. Das TANK-Gen wurde aus genomi- scher DNA embryonaler Stammzellen (GSI-I) durch PCR isoliert. Der Targeting-Vektor wurde konstruiert, indem man ein 2,0-kb Fragment, das für den offenen Leserahmen ORF von TANK kodiert, durch eine neomycin-resistance Genkassette (neor) aus- tauschte. Um eine negative Selektion zu ermöglichen, wurde eine Herpes-simplex-Virus Thymidinkinase (HSV-TK), angetrieben durch den Phosphoglyceratkinase-Promotor, in das genomische Fragment eingefügt. Nach Transfektion des Targeting-Vektors in emb- ryonale Stammzellen fand eine Selektion der Kolonien statt, die sowohl eine Resistenz gegen Aminoglykosid G418 als auch gegen Ganciclovir aufwiesen. Anschließend er- folgte ein Screening durch eine PCR und nochmals eine Überprüfung mittels Southern Blot. Homologe Rekombinanten wurden in Blastozyten weiblicher C57BL/6 Mäuse mik- roinjiziert und heterozygote F1 Nachkommen wurden gekreuzt, um TANK-KO-Mäuse zu erhalten. Für die Experimente nutzten wir 11 TANK-KO-Mäuse mit 129Sv x C57BL/6 Hintergrund und 12 C57BL/6 Kontrolltiere (Kawagoe et al., 2009). Bis zu Beginn des Experiments lebten die Tiere in Gruppenhaltung mit drei bis vier Tieren pro Käfig. Für den Versuch lebten sie in Einzelhaltung und bekamen Futter und Wasser ad libitum. Der Tag-/Nacht-Zyklus betrug je 12 Stunden mit einer Hellphase ab 7:00 Uhr. Die Raumtem- peratur betrug zwischen 19° C und 22° C bei einer Luftfeuchtigkeit von 55% (±10%). Alle Experimente fanden im Einklang mit dem deutschen Tierschutzgesetz und dem Euro- pean Communities Council Directive of 24 November 1986 (86/609/EEC) statt und wa- ren durch die lokale Behörde genehmigt. Die Zahl der genutzten Tiere sowie deren Leid wurden so gering wie möglich gehalten. 14
5.3 Alkoholtrinkversuch Gegenstand der Untersuchung war das Alkoholtrinkverhalten von 4-5 Monate alten männlichen TANK-KO-Mäusen (n=11) und WT-Mäusen (n=12). Hierbei waren alle Kä- fige kontinuierlich mit zwei Flaschen ausgestattet, wovon eine immer mit Leitungswasser gefüllt war und die andere Alkohol in verschiedenen Konzentrationen enthielt. Die Tiere konnten frei entscheiden, was sie tranken. Zunächst fand eine Phase der Akklimatisie- rung statt, um das Baseline-Trinkniveau zu ermitteln, wobei lediglich Leitungswasser zur Verfügung stand. Danach wurde die immer gleiche Flasche mit Alkohol in verschiede- nen, aufsteigenden Konzentrationen von 2 vol.%, 4 vol.%, 8 vol.%, 12 vol.% und 16 vol.% befüllt, die jeweils für vier Tage konstant zur Verfügung standen (Tab. 2). Diese Steigerung der Konzentration diente dazu, die Mäuse an das in der Natur nicht vorkom- mende Trinken von Alkohol zu gewöhnen. Der Geschmack einer 2 vol.%-igen Alkohol- lösung ist süßlich, weswegen er von den Tieren akzeptiert wurde, die durch kontinuierli- che Gewöhnung an die bittere Geschmackskomponente dann auch die höheren Kon- zentrationen tolerierten. Schließlich wurde für 12 Tage eine Alkoholkonzentration von 16 vol.% beibehalten, um das Trinkverhalten bei gleichbleibenden Bedingungen zu über- prüfen. Während der Phase des Alkoholtrinkens erfolgte bei täglichem Wechsel der Po- sition der Flaschen (links/rechts) eine tägliche Kontrolle des Flaschengewichts. Der täg- liche Alkoholkonsum relativ zum Körpergewicht (in ml pro kg und g pro kg) wurde ge- messen und errechnet. Während des gesamten Versuchs wurde mit zwei Dummy-Kä- figen genauso verfahren und die prozentualen Verluste durch Verdunstung bei der Aus- wertung von den Ergebnissen abgezogen. Tabelle 2: Alkoholtrinkversuch 2 vol.% Alkohollösung für 4 Tage tägliches Wiegen der 4 vol.% Alkohollösung für 4 Tage Flaschen und Wiegen 8 vol.% Alkohollösung für 4 Tage der Tiere bei veränderten Alkoholkonzentration 12 vol.% Alkohollösung für 4 Tage bzw. mindestens wö- 16 vol.% Alkohollösung für 4 Tage chentlich 16 vol.% Alkohollösung für 12 Tage 15
5.4 Alkohol-Deprivations-Effekt Als Maß für die Abhängigkeit wurde im Experiment der Alkohol-Deprivations-Effekt (ADE) beobachtet. Nach einem weiteren Trinktag entzogen wir den Tieren für drei Wo- chen den Alkohol, die Flasche enthielt stattdessen Wasser. Anschließend bekamen die Mäuse erneut für vier Tage 16 vol.% Alkohol (Tab. 3). Dieses Schema wurde einmal wiederholt, die Flaschen während der gesamten Alko- holtrinkphase täglich gewogen und deren Position (links/rechts) gewechselt. Um den Gesundheitsstatus der Tiere abschätzen zu können, erfolgte bei Änderung der Alkohol- konzentrationen bzw. mindestens einmal wöchentlich eine Erfassung des Gewichts der Tiere. Der tägliche Alkoholkonsum relativ zum Körpergewicht (in ml pro kg und g pro kg) und die Präferenz von Alkohol gegenüber Wasser in Prozent wurden errechnet und gra- phisch dargestellt. Tabelle 3: Alkohol-Deprivations-Effekt Baseline-Trinken 16 vol.% Alkohollö- für 1 Tag sung Entzug 1 nur Wasser für 3 Wochen tägliches Wiegen der Flaschen und Reinstatement 1 16 vol.% Alkohollö- für 4 Tage sung wöchentliches Wiegen der Tiere Entzug 2 nur Wasser für 3 Wochen Reinstatement 2 16 vol.% Alkohollö- für 4 Tage sung 5.5 Geschmackspräferenztest Die an Alkohol gewöhnten Tiere wurden im Anschluss an die ADE-Messung einem Ge- schmackspräferenztest mit wässriger Saccharoselösung (0,5% und 5%) und wässriger Chininlösung (2 mg/dl und 20 mg/dl) unterzogen (Tab. 4). Dabei hatten sie wieder freie Wahl zwischen der jeweiligen Substanz und Wasser. Die verschiedenen Dosierungen wurden jeweils für 3 Tage angeboten, die Flaschen täglich gewogen und die Position der Flaschen täglich gewechselt (Easton et al., 2012). Der tägliche Saccharose- bzw. Chi- ninkonsum relativ zum Körpergewicht (je in ml pro kg und g pro kg) wurden und der prozentuale Anteil des Konsums am Gesamtvolumen errechnet. 16
Tabelle 4: Geschmackspräferenztest 0,5% Saccharoselösung für 3 Tage tägliches Wiegen der 5% Saccharoselösung für 3 Tage Flaschen und wöchentli- 2 mg/dl Chininlösung für 3 Tage ches Wiegen der Tiere 20 mg/dl Chininlösung für 3 Tage 5.6 Statistische Methoden Alle quantitativen Angaben wurden als Mittelwerte angegeben. Die Daten wurden mittels zweifaktorieller Varianzanalyse (ANOVA) analysiert und im Hinblick auf einen möglichen Testeffekt von Genotyp und Konzentration oder Trinktag analysiert. Anschließend wur- den im Voraus geplante paarweise Vergleiche zwischen den Gruppen TANK-KO und WT mit dem Least Significant Difference- (LSD)-Test nach Fisher vorgenommen, um die Gruppendifferenzen auf ihre Signifikanz hin zu untersuchen. Das Signifikanzniveau be- trug p
6 Ergebnisse 6.1 Alkoholtrinkversuch Während des Alkoholtrinkversuches standen den Tieren zwei Trinkflaschen zur Verfü- gung, eine davon immer mit Wasser gefüllt. Die andere Flasche wurde für je vier Tage mit aufsteigenden Volumenkonzentrationen einer Alkohollösung (2%, 4%, 8%, 12%, 16%) gefüllt. Der Alkoholkonsum wurde in Gramm Alkohol pro Kilogramm pro Tag ge- messen und einmal über die 4 Tage mit den jeweiligen Konzentrationen (Abb. 1) und einmal pro Tag für 12 Trinktage (Abb. 2) aufgetragen. Im gesamten Versuch konnte beobachtet werden, dass TANK-KO-Mäuse weniger Alko- hol trinken als WT-Mäuse. In Gramm pro Kilogramm pro Tag gemessen wiesen die TANK-KO-Mäuse bei jeder zur Verfügung stehenden Alkoholkonzentration (2 vol.%, 4 vol.%, 8 vol.%, 12 vol.%, 16 vol.%) einen geringeren Konsum auf als ihre WT- Kontrolltiere (Abb. 1A). Die zweifaktorielle ANOVA zeigte einen signifikanten Testeffekt (F1, 105 =28,2771, p
Nach Trinktagen aufgetragen (Abb. 2B) ließ sich ein signifikanter Effekt von Genotyp (F1, 21=9,8165, p
wiederholt, R5-R8 repräsentieren die vier Reinstatement-Tage nach der zweiten Ent- zugsphase. Nach den Entzugsphasen eskalierten alle Mäuse im Durchschnitt in ihrem Trinkverhalten. Sie tranken also mehr als während des Baseline-Trinkens. Zusammenfassend konnte bei den TANK-KO-Mäusen ein geringerer ADE beobachtet werden. Der ADE war im Durchschnitt am deutlichsten nach der zweiten Entzugsphase ausge- prägt (Abb. 3A). Ein Einfluss von Genotyp (F1, 8=18,6691, p
6.3 Geschmackspräferenztest Beim Geschmackspräferenztest stand für je 3 Tage eine Trinkflasche Wasser und eine Trinkflasche Saccharose- oder Chininlösung in unterschiedlichen Konzentrationen (0,5% Saccharose, 5% Saccharose, 2 mg/dl Chinin, 20 mg/dl Chinin) zur Verfügung. Der Konsum wurde in Milliliter pro Tag gemessen. Im Geschmackspräferenztest ließ sich zeigen, dass TANK-KO-Mäuse eine signifikant geringere Saccharose-Präferenz zeigten als ihre WT-Kontrolltiere (Abb. 4). Dies trat bei beiden der beobachteten Konzentrationen von 0,5% und 5% auch in der zweifaktoriellen ANOVA zum Vorschein. Bei der ANOVA ließ sich eine statistische Abhängigkeit der Prä- ferenz vom Genotypen beobachten (0,5%: F1, 21=12,3198, p
A. Alkoholkonsum B. Alkoholpräferenz 8 80 WT (n=12) WT (n=12) 7 TANK KO (n=11) 70 TANK KO (n=11) Präferenz vs Wasser in % Alkoholkonsum in g/kg/d 6 60 ** 5 ** 50 4 40 ** * * 3 30 2 20 1 10 0 0 2% 4% 8% 12% 16% 2% 4% 8% 12% 16% Alkoholkonzentration Alkoholkonzentration C. Wasserkonsum D. Gesamtflüssigkeitskonsum 180 300 Gesamtflüssigkeitskonsum in ml/kg/d WT (n=12) WT (n=12) 160 TANK KO (n=11) TANK KO (n=11) 250 Wasserkonsum in ml/kg/d 140 120 200 * 100 150 80 60 100 40 50 20 0 0 2% 4% 8% 12% 16% 2% 4% 8% 12% 16% Alkoholkonzentration Alkoholkonzentration Abbildung 1. Reduzierter Alkoholkonsum bei TANK-KO Mäusen bei gleichbleibendem Ge- samtflüssigkeitskonsum (A) Mittlerer Alkoholkonsum (±SEM) gemessen über vier Trinktage pro Alkoholvolumenkonzentration bei freier Wahl zwischen Alkohol- und Wasserflasche. (B) Mittlere Alkoholpräferenz (±SEM) vs. Wasser gemessen über vier Trinktage pro Alkoholvolumenkonzent- ration. (C) Mittlerer Wasser- und (D) mittlerer Gesamtflüssigkeitskonsum (±SEM) über vier Trink- tage pro Konzentration (* p
A. Alkoholkonsum B. Alkoholpräferenz 14 60 WT (n=12) WT (n=12) 12 TANK KO (n=11) TANK KO (n=11) 50 Präferenz vs Wasser in % Alkoholkonsum in g/kg/d 10 40 8 30 6 # 20 * 4 * # # # § # § § 10 # # * # # § 2 # § § § 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Trinktage Trinktage C. Wasserkonsum D. Gesamtflüssigkeitskonsum 220 300 Gesamtflüssigkeitskonsum in ml/kg/d WT (n=12) WT (n=12) 200 TANK KO (n=11) TANK KO (n=11) Wasserkonsum in ml/kg/d 180 250 * * * * 160 * * * * 140 200 120 100 150 80 60 100 40 20 50 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Trinktage Trinktage Abbildung 2. Reduzierter chronischer Alkoholkonsum von 16 vol. % Alkohol bei TANK-KO Mäusen bei gleichbleibendem Gesamtflüssigkeitskonsum. (A) Mittlerer Alkoholkonsum (±SEM) über 12 Trinktage von 16 vol. % Alkohol bei freier Wahl zwischen Alkohol- und Wasser- flasche. (B) Mittlere Alkoholpräferenz (±SEM) vs. Wasser über 12 Trinktage. (C) Mittlerer Wasser- und (D) mittlerer Gesamtflüssigkeitskonsum (±SEM) über 12 Trinktage (*p
Abbildung 3. Reduzierte Eskalation nach wiederholtem Alkoholentzug bei TANK-KO Mäu- sen. (A) Mittlerer Alkoholkonsum (±SEM) von 16 vol. % Alkohol bei freier Wahl zwischen Alkohol- und Wasserflasche während der Baseline (Bl) und wiederholtem Entzug nach je drei Wochen (gestrichelte Linien). (B) Mittlere Alkoholpräferenz (±SEM) vs. Wasser. (C) Mittlerer Wasser- und (D) Gesamtflüssigkeitskonsum (±SEM) (*p
Geschmackspräferenz 100 WT (n=12) 90 TANK KO (n=11) 80 Präferenz vs. Wasser in % 70 ** 60 50 40 ** 30 20 10 0 0,5% 5% 2 20 Saccharose Chinin Abbildung 4. Reduzierte Saccharosepräferenz bei TANK-KO Mäusen bei erhalten bleiben- der Vermeidung von Chinin. Prozentuale Präferenz von Saccharose- oder Chininlösungen (±SEM, Chininkonzentration in mg/dl) vs. Wasser bei freier Wahl zwischen Saccharose/ Chinin- und Wasserflasche (ANOVA, **p
7 Diskussion 7.1 Bewertung der Methoden Die Methoden des Alkoholtrinkversuchs, des ADE und des Geschmackspräferenztests orientieren sich an denen einer Studie von Easton und Kollegen (Easton et al. 2013) und haben sich auch in anderen Arbeiten etabliert. Um etwaige ungeplante Flüssigkeitsver- luste aus den Trinkflaschen durch Verdunstung oder Erschütterung korrigieren zu kön- nen, kamen zusätzlich zwei Dummy-Käfige mit Trinkflaschen zum Einsatz, mit denen während des gesamten Versuchs genau gleich wie mit den Tierkäfigen verfahren wurde. In einer GWAS unterliegt das Alkoholtrinkverhalten genetischen Faktoren sowie Umwelt- einflüssen. Diese können sich im Laufe eines Lebens stark verändern und das Verhalten in verschiedene Richtungen beeinflussen. Außerdem sind aufgrund der großen Fallzah- len die Probandengruppen in der Regel sehr heterogen. Unter Laborbedingungen kön- nen möglichst homogene (z.B. nur männliche) Versuchstiere ausgewählt werden, die im Idealfall den gleichen Versuchsbedingungen unterliegen. Somit kann man die Auswir- kungen genetischer Polymorphismen exakter beobachten und dokumentieren. Trotz der kleinen Fallzahl von 11 TANK-KO-Mäusen und 12 WT-Mäusen ergab sich ein signifikanter Unterschied im Trinkverhalten, die Aussagekraft ist jedoch auf männliche Mäuse beschränkt. 7.2 Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse 7.2.1 Alkoholtrinkversuch Ziel der Studie war es herauszufinden, ob sich das TANK-Gen tatsächlich auf das Alko- holtrinkverhalten und die Entstehung einer Alkoholsucht auswirkt. Hinweise darauf lie- ferte die Metaanalyse einer GWAS, in welcher sich ein signifikanter Einfluss der SNPs rs11940694 (A/G) in KLB (p=2,0x10-9) und rs197273 (A/G) in TANK (p=4,8x10-8) her- auskristallisierte. Mittels Gen-Knockout des TANK-Genes bei 11 männlichen Mäusen wurde diese Vermutung im Trinkversuch geprüft. Tatsächlich konnte bestätigt werden, dass die TANK-KO-Mäuse insbesondere bei hohen angebotenen Alkoholkonzentratio- nen signifikant weniger Alkohol tranken und eine geringere Alkoholpräferenz aufwiesen. Eine mögliche Erklärung für den geringeren Alkoholkonsum der TANK-KO-Mäuse wäre, dass TANK-KO-Mäuse grundsätzlich weniger Flüssigkeit zu sich nehmen und in Folge dessen auch weniger Alkohol trinken. Aus diesem Grund wurde der Gesamtflüssigkeits- konsum beider Versuchsgruppen ausgewertet, der sich im Gesamten über alle Untersu- chungstage nicht signifikant unterschied. Somit kann man davon ausgehen, dass sich die Unterschiede tatsächlich durch eine unterschiedliche Alkoholpräferenz erklären. 26
7.2.2 Alkoholdeprivationseffekt Der ADE, ein Maß für die Suchtneigung, tritt vor allem bei Ratten, aber auch bei Mäusen auf und ist durch einen erhöhten Alkoholkonsum und eine erhöhte Alkoholpräferenz nach einer Entzugsphase gekennzeichnet (Spanagel et al. 2000). Bei den TANK-KO-Mäusen wurde insgesamt ein geringerer ADE beobachtet als bei ih- ren Artgenossen ohne TANK-Knockout. Dies spricht dafür, dass die TANK-KO-Mäuse eine geringere Suchtneigung aufweisen. 7.2.3 Geschmackspräferenztest Zusätzlich zum Alkoholkonsum wurde die Geschmackspräferenz gemessen. TANK-KO- Mäuse zeigten hierbei eine signifikant geringere Saccharose-Präferenz, während das Vermeiden von Chinin im Vergleich bei beiden Versuchsgruppen gleich ausfiel. Die geringere Geschmackspräferenz von Saccharose-Lösung bei TANK-KO-Mäusen könnte möglicherweise mit dem geringeren Alkoholkonsum im Zusammenhang stehen. In einer Studie von Sinclair und Kollegen (Sinclair et al. 1992) wurden verschiedene Filialgenerationen einer Rattenlinie beobachtet. Als Filialgeneration bezeichnet man in der klassischen Genetik die Folgegeneration einer Kreuzung zweier Individuen. In der Studie trank die Alkohol-nicht-präferierende Rattenlinie weniger von einer Lösung mit dem Süßstoff Saccharin als die alkoholpräferierenden Ratten. Die in einem zweiten Teil untersuchten alkoholvermeidenden Ratten einer anderen Filialgeneration tranken auch weniger Saccharinlösung als die alkoholpräferierenden Ratten dieser Generation. An- dere Studien untermauern diese Beobachtung zusätzlich (Forgie et al. 1988). Auch in einem weiteren wissenschaftlichen Experiment (Bachmanov et al. 1996) kam man zu dem Ergebnis, dass die alkoholpräferierende Mäusezuchtlinie ebenfalls gerne Saccharoselösung trank, die Vermeidung von Chinin unterschied sich nicht von der Kon- trollgruppe. Auf der Basis von Tierversuchen zu diesem Thema wurde die Alkohol- und Saccharo- sepräferenz in dem Experiment „Evidence of Preference for a High-Concentration Su- crose Solution in Alcoholic Men“ (Kampov-Polevoy et al. 1997) an 20 entgifteten alko- holabhängigen und 37 nicht alkoholabhängigen kaukasischen Männern untersucht. Auch hier fand man eine positive Assoziation zwischen Alkohol- und Saccharosepräfe- renz (Kampov-Polevoy et al. 1997). In einem Review (Kampov-Polevoy et al. 1999) kam man zu dem Schluss, dass Ratten und Mäuse, die gerne Alkohol tranken, auch höher konzentrierte süße Lösungen mit Saccharose und Saccharin bevorzugten. Ähnliche Ergebnisse gab es bei alkoholabhän- gigen Menschen, welche ebenfalls höhere Mengen an süßen Lösungen tranken. Zudem 27
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