Die Sammlung Klaus Giesen - Münzprägungen aus der Zeit der Ottonen und Salier (919-1125)
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Die Sammlung Klaus Giesen – Münzprägungen aus der Zeit der Ottonen und Salier (919-1125) Im Jahre 833 verlieh König Ludwig der Fromme (814–840) der Abtei Corvey an der Weser als erster geistlicher Institution des Karolingerreiches das Münzrecht, und zwar »quia locum mercationis ipsa regio indigebat« (»weil dieser Ort eines Marktplatzes entbehrte«). Dennoch sollte es noch bis ins 11. Jahrhundert dauern, bevor erste Äbte selbstbewusst ihren Namen und ihr Bild auf die Prägungen setzten (Abb. 1, Kat-Nr. 337). Zugleich steht dieser Prozess symptomatisch für die umwälzenden monetären Entwicklungen, die sich vom 9. bis zum 12. Jahrhundert auf dem Gebiet des ostfränkisch-deutschen Reiches vollzogen: Hatte es zu Beginn der Herrschaft des ersten Nicht- Karolingers Heinrich I. (919–936) (Abb. 2, Kat-Nr.103) östlich des Rheins und nördlich der Donau mit Würzburg nur eine Münzstätte gegeben, weiteten die ottonisch-salischen Herrscher dieses dürftige Prägestättennetzwerk schließlich auf über 150 Orte aus. Abb. 1: Corvey. Abt Rudhard, 1046–1050 mit Namen Heinrichs III. als König, 1039–1046. Denar. 1,67 g; Ein lateinisches Kreuz, in den Winkeln je ein Punkt. H … ICREX. Rv.: Schriftkreuz mit dem Namen ROTHA / RD – VS, in den Winkeln A - B - A – S. Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 337. Abb. 2: Verdun. Heinrich I. (919–923). Denar. 1,42 g; Im Felde der Titel REX, Umschrift beginnt unten. + HEIN … VD (D seitenverkehrt). Rv.: Kreuz mit jeweils spitz auslaufenden Enden der Kreuzarme; im vierten Winkel ein Punkt. +VIRD … Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 103. Zumeist war es die Geistlichkeit – Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und Äbtissinnen – die vielerorts neben dem König zuerst als Träger der Münzprägung fungierte, bevor auch weltliche Herrschaftsträger – Herzöge und Grafen – diese für sich in Anspruch nahmen. Kein Wunder – war der Klerus doch gleichzeitig Träger der Schriftlichkeit und Zentrum der Verwaltung dieses Reiches, das noch keine Hauptstadt kannte und dessen Infrastruktur (Straßen und Brücken) nur mäßig ausgebaut war. Letzteres war wie die fehlende Münzprägung ein Resultat des Umstandes, dass die Gebiete östlich des Rheins nicht in das antik-römische Reich eingegliedert worden waren. Zu den interessantesten Erscheinungen auf dem Gebiet der weltlich-herzoglichen Münzprägung gehören hierbei die Andernacher Münzen von Dietrich I. (984–1027), die einen äußerst detaillierten Stempelschnitt aufweisen und für diese frühe Zeit sehr 1
ungewöhnliche zweifigurige Darstellungen zeigen (Abb. 3, Kat-Nr. 146). Möglicherweise lieferten hierbei antike oder byzantinische Münzen die Vorlage. Abb. 3: Andernach. Herzog Dietrich I. (984-1027). Denar. 1,1 g; Zwei zueinander gekehrte bärtige Brustbilder, dazwischen ein Stab mit einer Blütenspitze … EODERIC – Rv.: Der Name der Münzstätte in ein Kreuz gestellt … NDER / NA - K … in den Winkeln des Kreuzes Dreispitz - Zweig - Dreispitz - Zweig. Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 146. Die umfangreiche Prägung von Klöstern wie Corvey oder der dem Heiligen Remaclus geweihten Abtei Stablo (Abb. 4, Kat-Nr. 170) ist dabei im europäischen Kontext ein besonderes Phänomen des Reiches geblieben, an der sogar Äbtissinnen, wie diejenigen von Quedlinburg, Gandersheim oder Herford, partizipierten. Zumeist handelte es sich bei ihnen um Mitglieder der regierenden Herrscherfamilien, die damit Spitzenpositionen in der Hierarchie bekleideten und dies auch selbstbewusst in Bild und Schrift der Münzen zur Schau stellten. Zumeist waren es die Darstellungen der Schutzheiligen, von denen die klösterlichen Münzbilder dominiert wurden, aber auch einflussreiche Äbte wie Saracho von Corvey (1056–1071) ließen ihr Porträt in Metall verewigen. Abb. 4: Stablo. Denar. 1,03 g; Brustbild des Heiligen Remaclus mit geschultertem Krummstab nach rechts. … VCE … Rv.: Dreigeschossige Kirchenfront hinter Arkaden. … LAVS. Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 170. Ansonsten waren es vor allem die mächtigen Erzbischöfe wie diejenigen von Trier (Abb. 5, Kat-Nr. 140) und Bischöfe wie diejenigen von Metz (Abb. 6, Kat-Nr. 121), die nach und nach das ursprünglich königliche Recht der Münzprägung verliehen bekamen oder in Zeiten unsicherer Herrschaft wie dem Investiturstreit (1076–1122) zwischen Kaiser und Papst einfach okkupierten. Die Prägungen dieser geistlichen Werkstätten wurden häufig zu Leitmünzen für benachbarte kleinere Münzstätten, in denen sie getreulich kopiert oder zumindest leidlich imitiert wurden. In einer Zeit, in der nur die wenigsten Menschen lesen und schreiben konnten, waren etablierte Münzbilder wichtig für die Akzeptanz der Gepräge im Zahlungsverkehr. Abb. 5: Trier. Erzbischof Eberhard (1047–1066). Denar. 1,19 g; Brustbild des Erzbischofs nach rechts, vor ihm der Krummstab. EBERHART … STRE. Rv.: Die rechte Hand Gottes hält zwei Schlüssel, deren Bärte die Buchstaben E und R der Legende … PETRVS bilden. Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 140. 2
Abb. 6: Metz. Bischof Adalbero II. (984-1005). Denar. 0,99 g; Kopf des Bischofs nach links. ADAL … RO EPS. Rv.: Kirchenfront, im Portal ein Kreuz. + M … T E S. Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 121. Da diese Nachahmungen ebenfalls aus zumeist guthaltigem Silber geprägt wurden, handelt es sich auch nicht um Münzfälschungen im eigentlichen Sinne. Vielmehr waren es Maßnahmen zur Steigerung der Vertrauenswürdigkeit in die eigene Münzprägung, wenngleich diese von den größeren Münzstätten argwöhnisch beobachtet wurden. Von Otto III. (983–1002) dagegen ist sogar eine Urkunde vom 2. Juli 993 überliefert, in der er dem Kloster Selz anordnete, die Münzen der benachbarten Prägestätten von Straßburg und Speyer nachzuahmen, um die eigenen Gepräge leichter in Umlauf bringen zu können. Selbst königliche Münzstätten wie Dortmund scheuten vor der Nachahmung gängiger Münzbilder von beispielsweise Köln nicht zurück (Abb. 7, Kat-Nr. 307). Durch die Imitation gängiger Münzbilder und die Anlehnung der eigenen Gepräge in Gewicht und Feingehalt an größere Münzstätten bildeten sich allmählich verschiedene Währungsregionen heraus, die letztlich zur Regionalisierung der Münzprägung und des Geldwesens im Reich während der Stauferzeit führten. Abb. 7: Dortmund. Otto III., 983-1002, als König bis 996. Denar. – Nachahmung des Kölner Münzbildes mit zweizeiligem Stadtnamen. 1.27 g; Kreuz, in jedem Winkel ein Punkt. + ODDO + REX. Rv.: In drei Zeilen. THERT / + / MANNI. Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 307. Diese und andere interessante Münzgeschichten aus der Zeit der Herrscherdynastien der Ottonen und Salier erzählen die Objekte der Sammlung Klaus Giesen, die nun in zwei Teilen bei der Frankfurter Münzhandlung unter den Hammer kommt. Nach der Spezialsammlung von Dr. Bernhard Schulte (Auktion Münzen und Medaillen GmbH 28, 30./31. Oktober 2008) handelt es sich um eine der umfangreichsten Zusammenstellungen dieser Art in den letzten Jahrzehnten. Damit stellt der Katalog nicht nur die immense Vielfalt der Münzbilder des 10./11. Jahrhunderts in großformatigen Farbbildern jedermann vor Augen, sondern bildet zugleich eine wertvolle Ergänzung zu numismatischen Einführungswerken zu dieser Epoche. Über die Sammlerpersönlichkeit Klaus Giesen Klaus Giesen (geb. 1934) ist dabei ein »spätberufener Münzsammler«: Den systematischen Aufbau seiner Sammlung begann er erst nach seinem Ruhestand im Jahre 1999. Den Großteil seines Berufslebens verbrachte er in der chemischen Industrie bei einem Unternehmen im Kreis Diepholz. Dort entstand aus regionalem Geschichtsinteresse zunächst eine Vorliebe für die spätmittelalterlichen Münzen von Diepholz, zu denen er umfangreiches Material und 3
Literatur sammelte. Die Ergebnisse seiner Recherchen flossen in die Publikation »Die Münzen von Diepholz« (2001) ein, der nur kurze Zeit später »Die Münzen von Hoya« (2004) folgte. Bis heute sind beides Standardzitierwerke für Münzsammler dieser Gebiete, für die Klaus Giesen 2013 auch den Eligius-Preis erhielt. Das Interesse für die ottonisch-salischen Münzen wurde allerdings schon weitaus früher geweckt. 1978 kaufte er die erste Münze dieses Zeitraums bei einem Osnabrücker Münzhändler. Zunächst blieb jedoch aus beruflichen Gründen lange keine Zeit, sich intensiver damit zu beschäftigen. Erst rund 20 Jahre später konnte er das in dem Gespräch mit dem Münzhändler geweckte Interesse für ottonisch-salische Münzen vertiefen und zielstrebig bis zur heutigen Sammlung ausbauen. Dabei beließ er es nicht ausschließlich beim Erwerb der Stücke, sondern nutzte diese als Anknüpfungspunkte für weitreichende historisch-numismatische Untersuchungen: Zwischen 2012 und 2019 hat er zahlreiche Aufsätze verfasst, von denen insbesondere die Untersuchungen zu den Hälblingen (Obolen) der Otto- Adelheid-Pfennige, den EILHARD-Denaren und der Münzstätte Remagen im 11. Jahrhundert auch in Fachkreisen große Beachtung gefunden haben. Fragt man ihn nach seiner »Lieblingsmünze«, so verweist Klaus Giesen allgemein auf die Produkte der Münzstätte seines Geburtsortes Duisburg, die ihn wegen ihrer besonders qualitätsvollen Prägung faszinieren. Stets lag ihm aber auch die Förderung des numismatischen Nachwuchses sehr am Herzen. Im Dezember 2019 schenkte er eine Sammlung von knapp 800 Münzen aus aller Welt zu Unterrichtszwecken an das Gymnasium in Damme. Die Stücke hatte er von vielen beruflichen und privaten Reisen mitgebracht und durch etwa 130 deutsche Münzen ergänzt, anhand derer sich der Flickenteppich der Münzprägung vor der Gründung des Kaiserreiches 1871 besonders anschaulich den Schüler*innen näherbringen lässt. Klaus Giesen ist auch ein gefragter Gesprächspartner (nicht nur) in Fragen zur mittelalterlichen oder westfälischen Münzprägung. Zu den Münzfreunden für Westfalen und Nachbargebiete kam er über die Bekanntschaft mit Peter Ilisch, den er wegen der Bibliothek in Münster Ende der 1990er Jahre erstmals anschrieb und um eine Aufsatzkopie bat. Bis heute ist er festes Mitglied der sich regelmäßig treffenden Münzbolde und schätzt nicht nur den fachlichen Austausch, sondern vor allem den persönlichen Kontakt zu seinen Münzfreunden. Vielleicht beschäftigen ihn auch deshalb in den letzten Jahren immer wieder die Biographien bekannter Sammlerpersönlichkeiten. Augenblicklich liegt auf seinem Schreibtisch der »Leitfaden für die Sammlung der Münzen des Mittelalters und der neueren Zeit« (Berlin 1850) … vielleicht der Ausgangspunkt einer neuen Publikation über die Entwicklung des privaten Münzensammelns und der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Münzen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts? Aber auch in so manchen Lehrveranstaltungen an den Universitäten von Münster und Osnabrück war er ein gern gesehener Gast, der den Studierenden mit Literaturhinweisen oder Aufsatzkopien hilfreich zur Seite stand und sogar Stücke aus seiner Sammlung als Anschauungsmaterial mitbrachte. Denn für Klaus Giesen steht fest: Münzen erzählen oftmals mehr als die spärlichen Schriftquellen des frühen und hohen Mittelalters und das Originalobjekt übt immer noch die größte Faszination aus. Der Beweis dafür liegt nun in Gestalt des Auktionskatalogs der Sammlung Giesen vor, deren Stücke hoffentlich viele neu am Mittelalter interessierte Besitzer finden werden. © Frankfurter Münzhandlung Nachf. GmbH, 2021 4
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