DIE SEPSIS - EPIDEMIOLOGIE, DIAGNOSE UND THERAPIE

 
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DIE SEPSIS - EPIDEMIOLOGIE, DIAGNOSE UND THERAPIE
Alois Riedl: O. T., Acryl auf Leinwand 2017, 100 x 100 cm

DIE SEPSIS – EPIDEMIOLOGIE,
DIAGNOSE UND THERAPIE
Zirka 31 Millionen Menschen erkranken jährlich an generalisierten Infektionen. Davon versterben weltweit
nach groben Schätzungen etwa sechs Millionen Menschen1. Allerdings handelt es sich dabei nur um eine
grobe Schätzung der Todesfälle, da in zahlreichen Gegenden der Welt der Zugang, vor allem der ländlichen
Bevölkerung, zu einer medizinischen Versorgung kaum oder gar nicht gewährleistet ist.

EPIDEMIOLOGIE DER SEPSIS                                             VON PRIM. UNIV.-            ist daher mit ca. 28.000 Sepsisfällen
Weltweit wird derzeit ein Anstieg der                                PROF. DR. WALTER            pro Jahr (286 Fälle pro 100.000 Ein-
Sepsisfälle beobachtet. In den Jahren                                HASIBEDER                   wohner) zu rechnen. Bei vergleichba-
                                                                     Leiter der Abteilung
2005 bis 2015 wurde eine geschätzte                                                              rer Sterberate bedeutet das, dass in
                                                                     für Anästhesiologie und
Sepsisinzidenz von ca. 440 Fällen pro                                operative Intensivmedizin   Österreich ca. 6.700 PatientInnen pro
100.000 Einwohner und Jahr berich-                                   am Krankenhaus              Jahr an Sepsis versterben (Tabelle 1).
tet1, 2, 3. Zehn bis zwanzig Prozent der                             St. Vinzenz, Zams
auf Intensivstationen aufgenommenen                                                              Diese Zahlen zeigen das wahrschein-
Sepsispatienten entwickeln im Rahmen                                                             liche Ausmaß des Problems. Schwere
der Erkrankung Organdysfunktionen                                                                generalisierte Infektionen sind eine
mit und ohne Herz-Kreislauf-Versagen.                                                            der Haupttodesursachen, insbesonde-
Die Mortalität wird bei der „unkompli-             sisfälle und der Sterbehäufigkeit im          re beim älteren, vorerkrankten Men-
zierten“ Sepsis mit elf bis 26 Prozent             Rahmen der Erkrankung leider keine            schen, aber auch beim Säugling und
angegeben1. Bei der Sepsis mit Organ-              verlässlichen Angaben. Wir können             beim Kleinkind.
dysfunktionen („schwere Sepsis“) oder              aber, durch Kenntnis der Daten aus
gar mit einem Herz-Kreislauf-Versagen              Deutschland, auf die Sepsishäufigkeit         Prinzipiell können viele Bakterien, Vi-
(„septischer Schock“) werden 28-Ta-                in Österreich schließen. Im Jahr 2013         ren und Pilze Infektionen auslösen.
ge-Mortalitätszahlen zwischen 30 und               wurden in Deutschland 280.000 Sep-            Auch durch Parasiten können Infekti-
50 Prozent berichtet 1, 4.                         sisfälle erfasst. Davon sind 68.000           onen hervorgerufen werden. Zirka 53
                                                   PatientInnen (24,3 Prozent) im Kran-          bis 65 Prozent aller generalisierten In-
Für Österreich gibt es bezüglich der               kenhaus verstorben. In Österreich, mit        fektionen werden ambulant erworben
tatsächlichen Anzahl jährlicher Sep-               etwa 1/10 der deutschen Bevölkerung,          (außerhalb des Krankenhauses, auch:
18   ANÄSTHESIE Nachrichten Nr. 2 | April 2019
DIE SEPSIS - EPIDEMIOLOGIE, DIAGNOSE UND THERAPIE
INTENSIVMEDIZIN

Tabelle 1 zeigt die vermutete Zahl der Sepsistoten in Österreich im Vergleich                Bakterien der Gattung Acinetobacter
zu Erkrankungen, die von der Bevölkerung gemeinhin als die häufigsten Todes-                 befallen mit zunehmender Häufigkeit
ursachen in unserem Land angesehen werden:                                                   immungeschwächte, oft beatmete
                                                                                             Patienten und sind für komplizierte
 KRANKHEIT TODESFÄLLE IN ÖSTERREICH   % ALLER                                                Pneumonien, Meningitiden und Wund-
 		TODESFÄLLE
                                                                                             infektionen verantwortlich.
 		                                 (n = 83270b)
 Sepsis                                   6700a                          8                   DIAGNOSE
 Herzinfarkt                              4784   b
                                                                        5,7                  Die Sepsis ist ein komplexes Syn-
                                                                                             drom, dessen klinischer Ausprägungs-
 Schlaganfall (zerebrovaskuläre
                                                                                             grad durch die Stärke der immuno-
 Todesfälle)                              4784b                         5,7
                                                                                             logischen, hormonellen und vegeta-
 Lungenkarzinom                           3874   b
                                                                        4,6                  tiv-nervalen Antwort auf einen in-
 Dickdarmkarzinom                         2145   b
                                                                        2,6                  fektiösen Stimulus bestimmt wird14, 15.
                                                                                             Dabei führt eine massive Reaktion des
 Mammakarzinom                            1587   b
                                                                         1,9
                                                                                             unspezifischen Immunsystems, die
 Verletzungen und Vergiftungen            2504   b
                                                                         3                   Überaktivierung des sympathischen
                                                                                             Nervensystems und der hypothala-
a Hochrechnung aus deutschen statistischen Erhebungen aus dem Jahr 2013 (Fleischmann C und
  Mitarb. Dtsch Arztebl Int 2016; 113:159–166)                                               mo-hypophysären-adrenoglandulä-
b Daten des Österreichischen Statistischen Zentralamtes aus dem Jahr 2016                    ren Hormonachse zur zunehmenden
                                                                                             Schädigung der Organe durch direk-
„community-acquired (CA)“) 5 ,6, 7, 8, 9.     reichischen Krankenanstalten. Diese            te Zellschädigung, Hypovolämie und
Außerhalb des Krankenhauses ist die           Situation könnte sich durch die vom            Mikrozirkulationsstörungen 16, 17, 18, 19.
häufigste Ursache einer Sepsis die            BMASGK geforderte Erfassung von                Das Spektrum der Organbeteiligung
Pneumonie, meist durch Haemophi-              nosokomialen Infektionen, zum Bei-             im Rahmen der Sepsis kann von mild,
lus influenzae, Pneumokokken, Myco-           spiel durch Teilnahme am KISS, in Zu-          moderat bis hin zum manifesten Mul-
plasma pneumoniae, Chlamydophila              kunft verändern.                               tiorgandysfunktionssyndrom (MODS)
pneumoniae und das Influenzavirus                                                            im Rahmen des septischen Schocks
ausgelöst. Legionelleninfektionen             Ebenso gibt es keine genauen Anga-             reichen.
treten in der Regel als lokale Ausbrü-        ben zur Inzidenz primärer oder sekun-
che in Institutionen mit mangelhafter         därer Abdominalinfektionen wie z. B.           Allerdings wurde in den 1980er-Jah-
Wasserhygiene auf. Dem Influenzavi-           der Peritonitis in Österreich. Letztere        ren bereits richtig erkannt, dass eine
rus kommt bei erworbenen CA-Pneu-             sind meist Folge von Perforationen im          überschießende Immunreaktion und
monien häufig eine Schrittmacher-             Bereich der Abdominalorgane, z. B.             Stressreaktion auch durch nicht in-
funktion für sekundäre bakterielle            einer perforierten Appendizitis, einer         fektiöse Stimuli, wie z. B. ein schweres
Pneumonien zu10. Das Virus schädigt           Divertikel- oder Ulcusperforation.             Trauma, Verbrennungen, große ope-
die Schleimhäute der Trachea und der                                                         rative Eingriffe oder eine Ischämie/
Bronchien und vermindert damit die            Im Krankenhaus dominieren als Sep-             ein Reperfusionsereignis, also auch
Clearancefunktion des mukoziliären            siserreger Staphylokokkus aureus und           ohne Beteiligung von Mikroorganis-
Apparats. Das virale Membranprotein           Enterobakterien wie z. B. Escherichia          men, entstehen kann. Auf der Basis
Neuraminidase erleichtert Bakterien           coli. International werden im zuneh-           dieser Beobachtungen wurde 1992
das Andocken an die Zellen des Re-            menden Maß Resistenzentwicklun-                das „Systemic Inflammatory Response
spirationstraktes – eine essenzielle          gen dieser Bakterien gegen die meis-           Syndrome (SIRS)“ als Diagnosebegriff
Voraussetzung für die Entstehung der          ten gängigen Antibiotika berichtet13.          geprägt (Tabelle 2; 14, 15).
Pneumonie10, 11.                              Das Methicillin-resistente Bakterium
                                              Staphylokokkus aureus verursacht               Ein wichtiger Kritikpunkt an den
Zu den häufigsten im Krankenhaus er-          schwere bis tödliche Wundinfektio-             SIRS-Kriterien war, dass sie als solche
worbenen Infektionen (nosokomiale             nen, Pneumonien und Harnwegsinfek-             sehr unspezifische Momentaufnah-
Infektionen) gehören, laut einer 2008         tionen. Hochresistente, sogenannte             men der Klinik eines Patienten dar-
veröffentlichen Studie des Robert             Vancomycin-resistente Enterokokken             stellen. Ein kurzfristiger postoperati-
Koch-Instituts, postoperative Wund-           sind für Harnwegsinfektionen, Ab-              ver Temperaturanstieg, zusammen mit
infektionen, Infektionen der Harnwe-          dominalinfektionen meist im Rahmen             einem schmerzbedingten Anstieg der
ge, die Pneumonie und katheterasso-           einer tertiären Peritonitis sowie für          Atemfrequenz – > 20 Atemzüge pro
ziierte Infektionen12. In der beschrie-       sekundäre Infektionen an Herzklap-             Minute – würde demnach bereits die
benen Studie waren fast ein Viertel           pen verantwortlich. Pseudomonas                Diagnose eines manifesten SIRS er-
der nosokomialen Infektionen Wund-            aeruginosa, ein Bakterium, das im              geben! Wir haben, um diesen Umstand
infektionen nach Operationen. Meines          Leitungswasser, in Duschen und Toi-            ausreichend zu berücksichtigen, be-
Wissens existieren keine verlässlichen        letten überleben kann, ist bei ca. zehn        reits frühzeitig im klinischen Alltag die
Daten bezüglich Häufigkeiten und der          Prozent aller Krankenhausinfektionen           SIRS-Diagnose an die Zeit gekoppelt.
Prognose dieser Infektionen in öster-         in Deutschland beteiligt. Resistente           Die Diagnose SIRS wurde gestellt,

                                                                                               ANÄSTHESIE Nachrichten Nr. 2 | April 2019   19
DIE SEPSIS - EPIDEMIOLOGIE, DIAGNOSE UND THERAPIE
Tabelle 2: SIRS-Kriterien und die Definitionen von Sepsis,                                   die bis dahin geltende SIRS-Diagnose
schwerer Sepsis und septischem Schock                                                        verzichtet21. Mit den Sepsis-3-Kriteri-
                                                                                             en und dem daraus hervorgegangenen
 SYMPTOM                              KRITERIUM FÜR DIE SIRS–DIAGNOSE
                                                                                             „quick Sequential Organ Failure Score
 Temperatur                           > 38 °C oder < 36 °C                                   (qSOFA)“ wollte man den Klinikern
 Herzfrequenz                         > 90 Schläge/Minute                                    ein Diagnosewerkzeug mit hoher Sen-
                                                                                             sitivität und Spezifität zur raschen Er-
 Atemfrequenz (spontan)               > 20/Minute oder PaCO2 < 32 mmHg (4,3 kPa)
                                                                                             kennung systemischer Infektionen in
 Leukozytenzahl                       > 12000/µl oder < 4000/µl oder                         die Hände geben.
                                      > 10 % unreife Formen im Ausstrich
                                                                                             Laut Sepsis-3-Kriterien wird die Sep-
 Sepsis                        Vorhandensein von > 2 SIRS-Kriterien + ein klinisch           sis als lebensbedrohliche Organdys-
                               vermuteter oder nachgewiesener Infektionsherd                 funktion definiert, deren Ursache eine
 Schwere Sepsis                Sepsis + Zeichen der Organdysfunktion (z. B. Urinzeit-        fehlgeleitete, überschießende Immun-
                               volumen < 0,5 ml/(kgxh); Laktat > 2 mmol/l;                   antwort auf eine Infektion ist. Für den
                               Hypotension, die auf Volumengabe reversibel ist)              Kliniker besteht eine neu aufgetretene
                                                                                             Organfunktionsstörung dann, wenn in
 Septischer Schock             Schwere Sepsis + Hypotension (systolischer Blutdruck
                                                                                             der Evaluierung des Sequential Organ
                               < 90 mmHg) mit Notwendigkeit zur Vasopressortherapie
                                                                                             Failure Scores (SOFA; Tabelle 3) ein
                                                                                             Anstieg von mehr als 2 Punkten ge-
                                                                                             messen wird. Ein Anstieg im SOFA um
             Der quick „SOFA“-Score                                                          2 Punkte ist mit einer Steigerung der
                                                                                             Hospitalsmortalität um zirka zehn Pro-
                                                                                             zent assoziiert21.

               Hypotension                                    Tachypnoe                      Um im Alltag eine nicht auf Labor-
                Systolischer              Veränderte         Atemfrequenz                    untersuchungen angewiesene rasche
                 Blutdruck              Bewusstseinlage        > 22/min                      Sepsis-Diagnose zu stellen, wurden
               < 100 mmHG                                                                    drei klinisch relativ einfach zu evalu-
                                                                                             ierende Organsysteme (Respiration,
                                                                                             Herz-Kreislauf-System, ZNS) ausge-
                                                                                             wählt und mit leichten Abänderungen
           ≥ 2 Symptome erfüllt – deutet auf eine schlechte Progose hin
                                                                                             der Definitionen in einen quick SOFA-
                                                                                             Score abgewandelt (Abbildung 1).

                                                                                             Vergleicht man SIRS- und Sep-
                                                                                             sis-3-Score-Kriterien für die Diag-
Abbildung 1                                                                                  nose des Sepsis-Syndroms, fällt aus
                                                                                             klinischer Sicht sofort auf, das Sep-
wenn zwei der geforderten Sympto-                der Patienten waren aber SIRS-nega-         sis-3-Kriterien und der daraus abgelei-
me für mindestens 24 Stunden, trotz              tiv, das heißt, sie zeigten klinisch ent-   tete qSOFA-Score eine bereits fort-
intensivmedizinischer Therapie, nach-            weder kein oder nur ein SIRS-Sym-           geschrittene Erkrankung mit deutlich
weisbar waren.                                   ptom. Die Mortalität SIRS-positiver         eingeschränkten Organfunktionen
                                                 Patienten lag im letzten Studienjahr        abbilden 22, 23. Haydar S et al. unter-
An dieser Stelle muss mit Nachdruck              bei 18,3 Prozent. Von den SIRS-ne-          suchten 200 Patienten mit genera-
darauf hingewiesen werden, dass le-              gativen Patienten starben immerhin          lisierten Infektionen bei Aufnahme
bensbedrohliche, ja tödliche Infek-              noch 9,3 Prozent. Die Studie zeigte         in einer Notfalleinrichtung auf das
tionen durchaus auch ohne Erfüllung              auch einen direkten Zusammenhang            Vorhandensein von > 2 SIRS-Krite-
zweier SIRS-Kriterien auftreten kön-             von Mortalität und der Anzahl erfüll-       rien oder das Vorhandensein von zwei
nen. In einer großen Multizenterstudie           ter SIRS-Kriterien. Die mittlere Mor-       bzw. drei qSOFA-Kriterien24. Während
in Australien und Neuseeland wurden              talität stieg von ca. 15 Prozent mit        immerhin 94 Prozent der septischen
Daten von über einer Million Patienten           einem SIRS-Symptom auf 28 Prozent           Patienten bei Aufnahme SIRS-positiv
auf das Vorhandensein einer syste-               bei Vorhandensein von vier SIRS-Sym-        waren, erfüllten nur 58 Prozent der
mischen Infektion mit und ohne Vor-              ptomen.                                     Patienten > 2 qSOFA-Kriterien. Von
handensein eines SIRS untersucht20.                                                          den qSOFA-Kriterien waren Verände-
Zirka 110.000 Patienten litten an einer          Um die Diagnosen Sepsis und septi-          rungen des Bewusstseins am häufigs-
systemischen Infektion mit Organdys-             scher Schock besser zu charakterisie-       ten vorhanden. Recht ähnlich präsen-
funktion. Der überwiegende Teil die-             ren, wurden im Rahmen einer inter-          tieren sich die Ergebnisse einer Studie
ser Patienten (87,9 Prozent) präsen-             nationalen Konferenz die neuen Sep-         von Askim A et al.25. In dieser Studie
tierte sich SIRS-positiv. 12,1 Prozent           sis-3-Kriterien definiert und damit auf     wurde ein Triage-Score in der Notauf-
20   ANÄSTHESIE Nachrichten Nr. 2 | April 2019
INTENSIVMEDIZIN

Tabelle 3: Der SOFA-Score als Grundlage der Sepsis-3-Diagnose
 ORGANSYSTEM              0 PUNKTE              1 PUNKTE            2 PUNKTE               3 PUNKTE                4 PUNKTE
 RESPIRATION
 PaO2/FIO2 ≥ 400 < 400 < 300                                                               < 200 mit               < 100 mit
 mmHg				                                                                                  Atemhilfen              Atemhilfen
 GERINNUNG
 Thrombozyten             ≥ 150                 < 150               < 100                  < 50                    < 20
 x103/µl
 LEBER
 Bilirubin mg%            < 1,2                 1,2–1,9             2–5,9                  6–11,9                  > 12
 HERZ-KREISLAUF
   MAP       MAP       Dopamin                                                             Dopamin                 Dopamin
   > 70 mmHg > 70 mmHg < 5 µg/(kgxmin)                                                     5,1–15 µg/(kgxmin)      > 15 µg/(kgxmin)
 			                   oder Dobutamin                                                      oder Adrenalin          oder Adrenalin
 				                                                                                      < 0,1 µg/(kgxmin)       > 0,1 µg/(kgxmin)
 				                                                                                      oder Noradrenalin       oder Noradrenalin
 				                                                                                      < µg/(kgxmin)           > µg/(kgxmin)
 ZENTRALES NERVENSYSTEM
 Glasgow                  15                    13–14               1012                   69                      5
 Harnzeitvolumen 				                                                                      < 500                   < 200
 ml/24 h

PaO2– arterieller Sauerstoffpartialdruck; FIO2 – inspiratorische Sauerstoffkonzentration

Tabelle 4: Die Aussagekraft von SIRS-Kriterien, qSOFA und dem „Rapid Emergency Triage and Treatment System
(RETTS)“-Score zur Diagnose und Prognose der schweren Sepsis

 Triage-Werkzeug                                     Korrekte Diagnose             Korrekte Identifikation von Patienten,
 		                                                 Schwere Sepsis N (%)         die innerhalb von 7 Tagen versterben N (%)

 SIRS ≥ 2		                                               80 (74,1 %)                                15 (57,7 %)
 ohne Leukozytenzahl und Reife
 qSOFA > 2 33                                              (30,6 %)                                  4 (15,4 %)
 RETTS rot 37                                              (30,6 %)                                  8 (30,8 %)
 RETTS orange                                             55 (50,9 %)                                8 (30,8 %)
 RETTS rot und orange                                     92 (85,2 %)                                16 (61,5 %)
modifiziert nach Askim A et al. Scand J Trauma, Resuscitation and Emerg Med 2017; 25:56

nahme, das „Rapid Emergency Triage           gestellt werden. Die Sensitivität des         Interventionsstudien wurden retros-
and Treatment System (RETTS)“ mit            qSOFA zur Diagnose der Sepsis war             pektiv in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine
SIRS-Kriterien und qSOFA-Score für           mit 31 Prozent bescheiden. Auch be-           Gruppe (n = 200) erfüllte die neuen
die Diagnose- und Prognosestellung           züglich der Überlebensprognose wa-            Sepsis-3-Kriterien, die andere Grup-
einer Sepsis verglichen (Tabelle 4).         ren SIRS-Kriterien und RETTS-Score            pe (n = 270) „nur“ die SIRS-Definitio-
In der Notaufnahme war die korrekte          dem qSOFA überlegen.                          nen der Sepsis bei Studienaufnahme.
Sepsisdiagnose in 74 Prozent der Fälle                                                     Die Mortalität der Sepsis-3-positiven
mit der Erfassung der SIRS-Sympto-           Die interessante Frage, inwieweit             Patienten war mit 28,5 Prozent deut-
me zu stellen. Wurden Patienten nach         durch Änderungen des verwendeten              lich höher als die der SIRS-positiven
dem RETTS-System triagiert, konnte           Scoringsystems die Überlebensprog-            (14,4 Prozent). In den Interventions-
eine korrekte Sepsis-Diagnose durch          nose septischer Patienten beeinflusst         gruppen war ein mortalitätssenkender
Zusammenfassung der Patienten, die           wird, versuchte die Studie von Sterling       Effekt durch die Intervention nur bei
dringlich oder unverzüglich zu behan-        S. et al. zu beantworten26. Patienten         SIRS-positiven, Sepsis-3-negativen
deln waren, in 85 Prozent der Fälle          aus zwei randomisiert kontrollierten          Patienten nachweisbar.

                                                                                             ANÄSTHESIE Nachrichten Nr. 2 | April 2019   21
mittels der kapillären Füllungszeit.
                                 SEPSIS-ENTWICKLUNG ÜBER DIE ZEIT                                                                        Schmerzen, deren Lokalisation, Quali-
                                                                                                                                         tät und zeitlicher Verlauf geben dabei
                                                                                                                                         oft erste wichtige Hinweise auf den
                                                                                                                                         Ausgangspunkt der Infektion und auf
                                                                MODS                                                                     die Dringlichkeit, mit der eine Behand-
                                                                                                                            ck           lung einzuleiten ist (Abbildung 2). Zum
                                                                                                                         ho
                                                                                                                     , Sc ien
                                                                                                                   n
                                                                                                                sio hm
                                                                                                                                         Beispiel sind Schmerzen im Abdomen
                                                                                                            t en rhyt                    in Kombination mit Abwehrspannung
                                                                                                          po ar
                                                                                                        Hy achy                          oft Hinweis auf das Vorliegen einer
                                                                                                          T
                                                                                                                                 he ie   Peritonitis und erfordern eine soforti-
                                                                                                                              isc th
                                                                                                ng                          pt iopa
                    MORTALITÄT

                                                                                            llu                           e
                                                                                                                         S rd
                                                                                en nfü                                       a           ge Abklärung27, 28. Dabei gibt der Ort
                                                                         it ä t     e                                     ok
                                                                       em Ve
                                                                                  n                                    My                des maximal empfundenen Schmerzes
                                                                 E xtr here FZ                                                           erste wichtige Hinweise auf den Ur-
                                                            lte       ip      eK
                                                         ka per gert                                                                     sprung der Infektion (Abbildung 3).
                                                             t e       n                         lir
                                                         d er erlä
                                                                                        “ ,  De                                          Extremer Schmerz ohne ausgeprägte
                                                     i n        v                     g
                                               ve
                                                  rm                              tlin rie
                                                                            M   ot ligu                                                  abdominelle Abwehrspannung muss
                                                                          „        O
                                                                                                                                         an Mesenterialischämie denken lassen
                                                                                                                                         und sollte in einer sofortigen CT-An-
                                                                                                                                         giographie-Abklärung münden 29, 30.
                                  Krankeitsgefühl          organspezifische Thorax, Abdomen, ZNS                                         Kommt es bei diesen Patienten im
                                  Leistungsknick           Leitsymptome     Stütz-/Bewegungsapparat                                      Verlauf weniger Stunden zu einer Bes-
                                  ± Fieber                                                                                               serung der Schmerzsymptomatik, ist
                                  SEPSIS         SCHWERE SEPSIS                                    SEPTISCHER SCHOCK                     dies meist Zeichen der transmuralen
                                                                                                                                         Darmnekrose – eine Situation, in der
                                                                                                                                         nur noch eine sofortige chirurgische
                                                                               ZEIT                                                      Intervention das Leben retten kann.

               Abbildung 2                                                                                                               Neue oder in der Qualität sich ver-
                                                                                                                                         ändernde Schmerzen im Bereich der
Shutterstock

                                                                                                                                         Wirbelsäule, im Zusammenhang mit
                                                                                                                                         zunehmendem Leistungsknick und all-
                                                                                                                                         gemeinem Krankheitsgefühl, müssen
                                                                                                                                         an spinale Infektionen denken lassen31.
                                    Cholecystitis/Cholangitis                                       Milzabzess
                                     Hepatitis/Leberabzess                                     Dickdarmperforation
                                                                                                                                         Dabei entwickelt nur etwa ein Drittel
                                          Pankreatitis                                             Pankreatitis                          der Patienten > 65 Jahre auch erhöh-
                                         Pyelonephritis                                           Pyelonephritis                         te Körpertemperaturen. Patienten
                                                                                                                                         mit vermuteten spinalen Infektionen
                                                                                                                                         haben zudem ein hohes Risiko für die
                                                               Pankreatitis
                                                                                                                                         Entwicklung septischer Absiedlungen
                                                                   Ileus
                                                          Mesenteriale Ischämie                                                          an Herzklappen. Bis zu 27 Prozent der
                                                        Mesenterialvenenthrombose                                                        Patienten zeigen im Rahmen einer
                                                                                                                                         Echokardiographie eine gleichzeitig
                                     Appendizitis                                                      Dickdarmperforation
                                                                                                                                         bestehende septische Endokarditis32.
                                  Tuboovarialabszesss                                                      Divertikulitis
                                                                                                                                         Bleibt diese unentdeckt, haben die Pa-
                                     Psoasabszess                                                       Tuboovarialabszess
                                  Coecumperforation                                                           Kolitis                    tienten ein erheblich erhöhtes Schlag-
                                                                                                           Psoasabszess                  anfallrisiko und insgesamt ein deutlich
                                                                                                                                         erhöhtes Sterberisiko.
                                                       Pelvic Inflammatory Disease
                                                                                                                                         Eine übermäßige Aktivierung des
               Abbildung 3                                                                                                               sympathischen Nervensystems und
                                                                                                                                         des Nebennierenmarks im Rahmen
               Aus Sicht des Autors sind bisherige                                      Die Sepsis als äußerst komplexes kli-            generalisierter Infektionen verhindert
               Sepsis-Diagnosekriterien daher un-                                       nisches Syndrom erfordert zur frühen             über lange Zeit einen signifikanten
               befriedigend. Besonders bei der aus-                                     Diagnose eine genaue Patientenana-               Abfall des Blutdrucks, trotz massiver
               schließlichen Anwendung der Sep-                                         mnese und neben der Evaluierung von              Flüssigkeitsverluste in den 3. Raum.
               sis-3-Kriterien ist mit erheblichen,                                     Blutdruck, Atemfrequenz, Temperatur              Diese Phase des frühen septischen
               nicht zu rechtfertigenden Kollate-                                       und Bewusstseinslage auch die Unter-             Schocks wird von Klinikern und Pfle-
               ralverlusten von Menschenleben zu                                        suchung des Halte- und Stützappara-              gepersonen, in Ambulanzen und auf
               rechnen.                                                                 tes, der Haut und der Mikrozirkulation           Normalstationen, oft nicht erkannt33.
               22       ANÄSTHESIE Nachrichten Nr. 2 | April 2019
INTENSIVMEDIZIN

                                                                                   sive Care Medicine ist als „Surviving
                                                                                   Sepsis Campaign (SCC)“ bekannt ge-
                                                                                   worden. Updates der Empfehlungen
                                                                                   haben seit damals in weiteren Kon-
                                                                                   ferenzen in den Jahren 2008, 2012
                                                                                   und 2016 stattgefunden 37, 38, 39. Die
                                                                                   Maßnahmen zur effektiveren Diagno-
                                                                                   se und Therapie wurden als Maßnah-
                                                                                   menbündel zusammengefasst. Diese
                                                                                   Maßnahmenbündel sollen im Idealfall
                                                                                   innerhalb definierter Zeitfenster ab-
                                                                                   gearbeitet werden. Im Folgenden soll
                                                                                   besonders auf die ersten Stunden der
                                                                                   Sepsisbehandlung eingegangen wer-
                                                                                   den (Tabelle 5). Aus Sicht des Autors
                                                                                   stellen die SSC-Bundles wichtige Min-
                                                                                   deststandards in der Sepsisdiagnose
                                                                                   und Behandlung dar. Die einzelnen
                                                                                   Empfehlungen sind das Resultat eines
                                                                                   Expertenkonsenses und sollten daher
Abbildung 4                                                                        nicht als Dogmen verstanden werden.

Tabelle 5 gibt einen Überblick über die Maßnahmen, die im Rahmen einer Sepsis      In den ersten drei Stunden nach kli-
innerhalb von 3 und 6 Stunden gesetzt werden sollen.                               nischer Präsentation sollten laut SSC
 Innerhalb von 3 Stunden nach klinischer Präsentation                              Blutkulturen abgenommen, ein Se-
                                                                                   rum-Laktatwert bestimmt und, bei
 ◊    Serum Laktatbestimmung                                                       erhöhtem Laktat, Flüssigkeitsboli
 ◊    Blutkulturen abnehmen                                                        gegeben werden. Die Abnahme von
 ◊    Beginn mit einer Breitspektrum-Antibiotikatherapie                           mindestens zwei Blutkulturen aus ver-
                                                                                   schiedenen Abnahmestellen vor Be-
 ◊    Bei Laktat > 4 mmol/l i.v. Bolusgabe von 30 ml/kg Kristalloid                ginn einer Antibiotikatherapie halte
 Innerhalb von 6 Stunden nach klinischer Präsentation                              ich für diagnostisch extrem wertvoll.
 ◊    Bei Persistieren der Hypotension (MAP < 65 mmHg) trotz adäquater             Vor allem im Rahmen der schweren
      Volumentherapie Beginn mit Vasopressortherapie                               Sepsis und des septischen Schocks
                                                                                   gewinnen wir häufig positive Kultur-
 ◊    Reevaluierung des Herz-Kreislauf-Systems (Volumenstatus und Gewebe-          befunde, die Einfluss auf die weitere
      perfusion) regelmäßig, solange die Hypotension und ein erhöhtes              antimikrobielle Therapie haben kön-
      Serumlaktat persistieren                                                     nen. Auch die wiederholte Messung
 ◊   Normalisierung des Laktats                                                    von Laktat-Werten und vor allem die
                                                                                   Laktat-Clearance während der Herz-
                                                                                   Kreislauf-Therapie sind wichtige Pro-
Der rasch progrediente Krankheits-       „Mottlingscore“ quantifiziert35. Das      gnoseparameter in der Behandlung
verlauf mündet im manifesten Schock      relative Sterberisiko war bei einem       des septischen Schocks40, 41. Eine ra-
und frühen Multiorgandysfunktions-       Mottlingscore > 2 (= z. B. bläuliche      sche Normalisierung des Laktatwer-
syndrom mit signifikant verschlech-      Hautveränderungen der unteren Ext-        tes ist ein wichtiger Hinweis auf eine
terter Überlebensprognose. In diesem     remität, die sich über das Kniegelenk     erfolgreiche Schocktherapie und geht
Zusammenhang kommt der frühen            ausdehnen) um das 6,5-fache erhöht!       mit einer signifikant verbesserten
Untersuchung der Haut und der Mi-        Eine kapilläre Füllungszeit > 4 Sekun-    Patientenprognose einher. Bei der
krozirkulation über Messung der ka-      den erhöhte das Sterberisiko um das       Interpretation initialer Laktatwerte
pillären Füllungszeiten eine wichtige    2-fache.                                  ist aber Vorsicht geboten 42. Gerade
Bedeutung zu (Abbildung 4). Jouffroy                                               bei Patienten mit besonders ausge-
R. et al. haben bei Patienten mit der    THERAPIE                                  prägter Zentralisation im Schock sind
Verdachtsdiagnose septischer Schock      Im Jahr 2004 wurden erstmals im Rah-      initiale Laktatwerte meist kein ver-
prähospital das Vorhandensein von        men einer internationalen Konsensus-      lässlicher Schweregradparameter des
bläulichen Hautveränderungen (Mott-      konferenz Richtlinien zur raschen Dia-    HerzKreislauf-Versagens. Bei diesen
ling) als Ausdruck verminderter Haut-    gnose und Behandlung der Sepsis und       Patienten beobachten wir einen An-
durchblutung untersucht und zusätz-      damit assoziierter Organfunktionsstö-     stieg des Serumlaktats erst unter Flüs-
lich die kapilläre Füllungszeit an der   rungen publiziert36. Die Initiative der   sigkeits-, Vasopressor- und oftmals
Fingerbeere gemessen34. Das Ausmaß       American Society of Critical Care Me-     Inotropikatherapie. Diese meist älte-
des Hautmottling wurde mittels eines     dicine und European Society of Inten-     ren Patienten leiden häufiger an chro-

                                                                                     ANÄSTHESIE Nachrichten Nr. 2 | April 2019   23
lich wichtigeres und kaum in Studien
                                                                                                           behandeltes Thema ist die Frage, wie
                      Die ersten 24 Stunden auf der Intensivstation                                        und in welchen Schritten dem Pa-
                                                                                                           tienten nach hämodynamischer Sta-
                                                                                                           bilisierung dieses Volumen wieder
                                     11000                           Septischer Schock (n = 95)            entzogen werden kann 44. Bereits in
                                                  148        Alter (Median/MW±SD) = 76/73±16 Jahre         den 80er-Jahren hat der Intensivme-
                                    10000
                                                               SAPS III (Median/MW±SD) =59/59±17           diziner David Bihari in einem Editorial
                                                                 SOFA (Median/MW±SD) = 11/9±17
                                     9000                                                                  darauf hingewiesen, dass das „Erträn-
 Flussigkeitbilanz in Millilitern

                                                  820                                                      ken von Patienten auf Intensivstationen
                                     8000          88
                                                                                                           endemisch sein kann und manchmal
                                     7000                                                                  sogar epidemische Ausmaße annehmen
                                                                                                           kann“! So berichteten Mitchell KH. et
                                     6000
                                                                                                           al. vor Kurzem, dass fast 90 Prozent
                                     5000                                                                  der Überlebenden eines septischen
                                                                                                           Schocks die Intensivstation mit positi-
                                     4000
                                                                                                           ven Flüssigkeitsbilanzen verlassen und
                                     3000                                                                  35 Prozent als „flüssigkeitsüberladen“,
                                                                                                           d. h. mit einer Gewichtszunahme von
                                     2000                                                                  mindestens zehn Prozent, auf Nor-
                                     1000                                                                  malstation transferiert werden45. Das
                                                                                                           Überraschende dabei ist, dass nur 40
                                        0
                                                                                                           Prozent der Überlebenden jemals min-
                                    – 1000                                                                 destens eine Dosis eines Diuretikums
                                                                                                           auf der Intensivstation erhalten ha-
                                    – 2000                                                                 ben. Das Alter und das Vorhandensein
                                             Überlebende                    Verstorbene                    einer „Flüssigkeitsüberladung“ waren
                                                                                                           unabhängige Risikofaktoren für ein
                                                                                                           vermindertes Rehabilitationspotenzial
Abbildung 5
                                                                                                           und einen häufigeren Transfer in eine
nischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen                               Variationen in der Pulsdruckamplitude    permanente Pflegeeinrichtung.
mit deutlichen Einschränkungen der                                oder dem Schlagvolumen geachtet
myokardialen Pumpfunktion und ha-                                 werden. Abbildung 5 zeigt die Flüs-      Nach hämodynamischer Stabilisie-
ben oft seit Stunden oder manchmal                                sigkeitsbilanzen der ersten 24 Stun-     rung, Fokussanierung und unter ad-
Tagen Symptome der generalisierten                                den von 95 Patienten im septischen       äquater antibiotischer Therapie soll-
Infektion ohne adäquate Behandlung.                               Schock. Die Abbildung inkludiert nur     te spätestens nach 48 Stunden ein
                                                                  Flüssigkeitsbilanzen auf der Intensiv-   stufenweiser, geplanter Flüssigkeits-
Flüssigkeitstherapie                                              station ohne Berücksichtigung der        entzug begonnen werden. Dies setzt
Patienten, die sich im septischen                                 Bilanzen aus dem Operationssaal. Die     exakte tägliche Ein- und Ausfuhrbe-
Schock präsentieren, sind häufig                                  Heterogenität im Flüssigkeitsbedarf      rechnungen mit vernünftiger Planung
schwer hypovoläm! Die SSC publiziert                              beweist die großen klinischen Unter-     der erlaubten Einfuhrmengen, die
zwar die Gabe von 30 ml/kg KG Kris-                               schiede zwischen den Patienten und       Verwendung von Schleifendiuretika
talloid in den ersten drei Stunden – die                          betont die Notwendigkeit eines indi-     oder Nierenersatzverfahren beim Pa-
Experten relativieren aber selbst in                              vidualisierten Vorgehens in der Vo-      tienten mit unzureichender Nieren-
ihrem Text diese, aus Sicht des Au-                               lumentherapie. Wir können in dieser      funktion voraus.
tors, unglückliche „Kochbuch“-Emp-                                Zeit auch keine Unterschiede im ku-
fehlung! Im Text wird richtigerweise                              mulativen Flüssigkeitsbedarf zwischen    Abbildung 6 zeigt unseren standardi-
darauf hingewiesen, dass nach einem                               Überlebenden und auf der Intensiv-       sierten Algorithmus für die Herz-Kreis-
initialen Flüssigkeitsbolus die weitere                           station Verstorbenen nachweisen. Wir     lauf-Therapie in der Initialphase der
Flüssigkeitstherapie durch wiederhol-                             verwenden in der Initialphase der Be-    schweren Sepsis und des septischen
te klinische Untersuchung des Patien-                             handlung vorzugsweise kolloidale Infu-   Schocks. Ziel der Therapie ist die Besei-
ten unter Beachtung physiologischer                               sionslösungen – nach Beseitigung des     tigung der Zentralisation mit Normali-
Parameter erfolgen sollte39, 43. Dabei                            intravasalen Volumendefizits wird der    sierung der kapillären Füllungszeit und
soll neben der Makrohämodynamik auf                               Erhaltungsbedarf ausschließlich über     Minimierung des Temperaturgradien-
die kapilläre Füllungszeit, den Haut-                             kristalloidbasierte Lösungen ersetzt.    ten zwischen Körperstamm und Peri-
status (Mottling, Venenfüllung), die                                                                       pherie. Aus unserer Sicht besonders
Harnausscheidung, die hämodynami-                                 Aus Sicht des Autors fürchten sich In-   wichtig erscheint die ausreichende und
sche Antwort auf eine Hochlagerung                                tensivmediziner grundlos vor hohem       sofortige Volumentherapie noch vor
der Beine und, beim nicht spontan at-                             Volumenbedarf in den ersten Stunden      dem Einsatz von Vasopressoren. In ei-
menden Patienten, auf atemabhängige                               des septischen Schocks. Ein wesent-      ner retrospektiven Analyse der hämo-
24               ANÄSTHESIE Nachrichten Nr. 2 | April 2019
INTENSIVMEDIZIN

                                                                                                tienten aktiv gekühlt, Tachyarrhyth-
 Mit adäquater                        ZENTRALISATION                                            mien und Tachykardien werden immer
 (Sedo-)Analgesie               Kapillare Füllungszeit >2 Sekunden                              unverzüglich behandelt und bei aus-
 ± Peridurialanästhesie
 ± Atemtherapie/
                               Deutlicher Temperaturgradient (TG)                               gewählten Patienten wird versucht,
                                     Körperstamm/Peripherie                                     die Zentralisation durch die titrierte
   NIV/Beatmung
                                                                                                Gabe von Nitroglycerin zu durchbre-
                                                                                                chen47, 48, 49, 50.
                                           VOLUMEN
                             Bei beatmeten Patienten mit Sinusrhytmus
                          Steuerung über Pulsdruckvariabilität (PPV < 13%)
                                                                                                Die SSC empfiehlt, den MAP nach
  MAP < 60 mmHG                                                                                 adäquater Volumensubstitution über
         +
   Vasopressoren                                                                                65 mmHg zu halten. Die Empfehlung
         ±                                                                                      wird nach den GRADE-Kriterien zwar
   Glukokortikoide
                                      KFZ < 2 Sekunden
  Arginin Vasopressin                                                                           als hoch (Grad I), aber mit geringer
                                         TG minimal
                                                                                                Evidenz (C) eingestuft 39. Allerdings
                                                                                                empfiehlt die SSC auch eine Indivi-
                                                                                                dualisierung der Blutdruckziele. Stu-
                        JA                                            NEIN                      dien von Varpula M. et al. sowie von
                                                                                                Dünser M. et al. zeigen einen zeit- und
                                                                                                dosisabhängigen mortalitätssteigern-
                                                                                                den Effekt einer Hypotension erst bei
                 Primäre                                           Primäre                      MAP-Werten unter 60 mmHg51, 52. In
          Herz-Kreislauf-Therapie                           Herz-Kreislauf-Therapie
                erfolgreich                                                                     der SEPSISPAM-Studie wurden zwei
                                                               nicht erfolgreich
                                                                                                Gruppen von septischen Schock-
                                                                                                patienten mittels Noradrenalin auf
                                                                                                MAP-Werte zwischen 80–85 mmHg
                                         Persistierende                                         und 65–70 mmHg, im frühen septi-
                                         Zentralisation                                         schen Schock, titriert53. Patienten mit
                                                                             SVi
                                                                                                höherem MAP wurden mit deutlich
                                                                                                höheren Vasopressordosen therapiert
                             Volumen- und/oder Inotropika-Therapie                              und zeigten häufiger kardiovaskuläre
                           unter systemischer Blutflussmessung/TEE/                -10%         Komplikationen, insbesondere ein neu
                        Erfassung dynamischer Herz-Kreislauf-Parameter
                                                                                                aufgetretenes tachykardes Vorhof-
                                                                                      Preload   flimmern. Nur eine Subgruppe von Pa-
                                                                                                tienten mit chronischer Hypertension
                                       KFZ < 2 Sekunden
                                          TG minimal                                            zeigte unter höheren MAP-Werten ei-
                                                                                                ne signifikante Reduktion der Inzidenz
                                JA                              NEIN
                                                                                                von akutem Nierenversagen.
          Herz-Kreislauf-Therapie                                 Persistierende
                erfolgreich                                       Zentralisation                Zahlreiche Studien haben einen Zu-
                                                                                                sammenhang zwischen dem Einsatz
                                                                                                einer hohen Katecholamintherapie und
                                                          Körpertemperaturkontrolle             dem Auftreten von Organkomplika-
              ÜBERWACHUNG                                   Herzfrequenzkontrolle               tionen, insbesondere des Herz-Kreis-
                                                               Nitro-Perfusor                   lauf-Systems, mit erhöhter Mortalität
                                                                                                gezeigt54, 55, 56. Ähnlich wie bei der ini-
Abbildung 6                                                                                     tialen Flüssigkeitstherapie, ist es auch
                                                                                                beim Festlegen von Blutdruckzielen
dynamischen Therapie bei 2.849 Pa-                 geale Echokardiographie; dynamische          wichtig, individuell zu entscheiden,
tienten im septischen Schock zeigten               Verfahren wie die Pulsdruckvariabilität)     um einerseits Katecholamintoxizität
Waechter J. et al., dass das Überleben             zur Diagnostik und Therapie noch be-         zu vermeiden und andererseits einen
der Patienten am wahrscheinlichsten                stehender Volumendefizite und der            adäquaten Organblutfluss aufrechtzu-
war, wenn in den ersten sechs Stunden              myokardialen Dysfunktion eingesetzt.         erhalten.
aggressiv mit Volumen therapiert wur-              Die Therapie mit Flüssigkeit, Vaso-
de und erst ein bis sechs Stunden nach             pressoren und inotropen Substanzen           Antibiotikatherapie
Beginn der Flüssigkeitstherapie Vaso-              ist bei signifikanten Vorerkrankungen        Die SSC-Leitlinien empfehlen den Be-
pressoren begonnen wurden46. Persis-               des Herz-Kreislauf-Systems oft nicht         ginn einer raschen empirischen Breit-
tiert die Zentralisation trotz scheinbar           mehr in der Lage, den gesteigerten           spektrum-Antibiotikatherapie zur Be-
ausreichender Volumentherapie, wird                Sauerstoffbedarf, besonders beim             handlung generalisierter Infektionen.
erweitertes Monitoring (transpulmo-                fiebernden Patienten, zu decken. In          Die initiale „blinde“ Antibiotikathera-
nale Indikatormethoden; transösopha-               diesen Situationen werden unsere Pa-         pie sollte ein möglichst breites Spek-

                                                                                                  ANÄSTHESIE Nachrichten Nr. 2 | April 2019   25
trum an möglichen Erregern, je nach              Kranke oft ungenügend. Hinzu kommt,        vorhergehender ACTH-Test wird nach
vermuteter Herdlokalisation, abde-               dass Angaben wie die MIC, also jene        den SSC-Leitlinien nicht mehr emp-
cken. Die Leitlinien aus dem Jahr 2016           Antibiotikakonzentration, bei der Bak-     fohlen. Ähnlich lauten die Empfeh-
empfehlen eine Kombinationstherapie              teriumvermehrung verhindert wird,          lungen der SSC zur Verwendung von
aus mindestens zwei Antibiotika mit              eine reine In-vitro-Größe darstellt        Arginin-Vasopressin im septischen
unterschiedlichem Wirkmechanismus,               und uns keine verlässlichen Auskünfte      Schock. Wir verwenden Hydrocor-
aber breitem Erregerspektrum39. Nach             über tatsächliche „Killing-Konzentra-      tison frühzeitig bei jenen Patienten,
definitivem Erregernachweis sollte die           tionen“ in vivo geben61. Das Erreichen     die durch chronische, schwere Vorer-
Therapie rasch deeskaliert werden.               von In-vivo-Antibiotika-Konzentra-         krankungen klinisch deutlich mangel-
Bezüglich der Dauer der Antibiotika-             tionen, bei denen Bakterien abgetötet      ernährt erscheinen oder funktionell,
therapie empfiehlt die SSC-Leitlinie             und nicht nur im Wachstum gehemmt          vor Auftreten der schweren Infektion,
2016, dass eine Gabe von sieben bis              werden, ist letztlich für den Therapie-    stark eingeschränkt waren. Das sind
zehn Tagen für die meisten Fälle von             erfolg entscheidend.                       aus unseren Erfahrungen Patienten,
Sepsis und septischem Schock aus-                                                           bei denen eine relative Nebennieren-
reichend ist. Frühere Studien haben              Wong G. et al. untersuchten kürzlich       insuffizienz sehr wahrscheinlich ist.
auf einen mortalitätssteigernden Ef-             die Pharmakokinetik und Pharma-            Der Steroidversuch wird als erfolg-
fekt einer Verzögerung des Beginns               kodynamik von zehn verschiedenen           reich gewertet, wenn innerhalb von
der Antibiotikatherapie im septischen            ß-Laktam-Antibiotika bei erwachse-         24 Stunden bereits eine signifikante
Schock hingewiesen57, 58. In einer kürz-         nen Patienten mit generalisierten In-      Reduktion des Vasopressorbedarfs
lich veröffentlichten Metaanalyse von            fektionen62. Durch mehrfache Blut-         eintritt. In diesen Fällen wird die Ste-
Sterling SA. et al. werden diese Emp-            abnahmen und Messung der freien            roidtherapie fortgesetzt und Hydro-
fehlungen relativiert59. Die gepoolte            ungebundenen AB-Konzentrationen            cortison nach Stabilisierung der Hä-
Analyse von elf Studien mit insgesamt            wurden die Zeiten und Konzentratio-        modynamik langsam über mehrere
16.000 Patienten zeigt keinen An-                nen der jeweiligen Substanz über der       Tage ausgeschlichen. Arginin-Vaso-
stieg der Mortalität, wenn eine Anti-            MIC gemessen. Bei der Mehrzahl der         pressin wird oft in Kombination mit
biotikatherapie erst drei Stunden nach           Patienten gelang es durch Standard-        Glukokortikoiden bei jenen Patienten
Erstmanifestation der Erkrankung                 dosierungen, Antibiotika-Konzent-          eingesetzt, die durch aggressive Volu-
begonnen wird. Aus Sicht des Autors              rationen, zumindest 50 Prozent der         men- und Katecholamintherapie nicht
ist wahrscheinlich die Frage nach der            Zeit, über der MIC aufrechtzuerhal-        zu stabilisieren sind oder bei denen
richtigen Dosierung von Antibiotika              ten. Nur bei der Gabe von Ampicillin       frühzeitig Katecholamintoxizität meist
beim Patienten mit schwerer Sepsis               wurde auch dieses, sehr konservative       in Form von neu auftretenden Tachy-
oder septischem Schock von wesent-               Ziel, nicht erreicht. Allerdings waren     arrhythmien auftritt54, 55, 63. Katecho-
lich größerer Bedeutung als Empfeh-              nur bei 36,6 Prozent der Patienten die     lamintoxizität ist ein nicht zu unter-
lungen bezüglich möglicher Antibioti-            gemessenen Antibiotikakonzentratio-        schätzender prognostischer Faktor
ka-Kombinationen oder Zeitangaben                nen zu allen Messzeitpunkten über der      bei Patienten im septischen Schock.
zum raschen Therapiebeginn. Inwie-               MIC. Um den Serumspiegel über dem          Wir und andere Autoren konnten zeit-
weit Kombinationstherapien mit Anti-             Vierfachen der MIC zu erhalten, eine       und dosisabhängige Effekte von Kate-
biotika mit unterschiedlichem Wirk-              Konzentration, bei der ein rasches Ab-     cholaminen auf das Auftreten kardio-
mechanismus sinnvoll sind, hängt stark           töten vorhandener Bakterien erwartet       vaskulärer Komplikationen und Tod
vom regionalen Erregerspektrum und               wird, hätten die verwendeten Antibio-      der Patienten nachweisen64, 65. Sowohl
der regionalen Resistenzsituation ab.            tikadosen bei 64 Prozent der Patien-       Glukokortikoide als auch Arginin-Va-
In unserer Region sind z. B. primäre             ten zum Teil deutlich erhöht werden        sopressin können bei selektierten Pa-
Resistenzen gegen Breitspektrum-An-              müssen. Wir verwenden daher in der         tienten den Katecholaminbedarf signi-
tibiotika der ß-Laktamgruppe selten,             Behandlung der schweren Sepsis und         fikant reduzieren und katecholaminas-
sodass nur in Ausnahmefällen Kombi-              des septischen Schocks in den ersten       soziierte Nebenwirkungen beseitigen.
nationstherapien verabreicht werden.             24 bis 48 Stunden Antibiotika-Dosie-
                                                 rungen, die der doppelten empfoh-          Das ABCDEF-Bündel
Die Wirksamkeit von z. B. ß-Lak-                 lenen Tagesdosis entsprechen. Die          Ist der Infektionsfokus saniert oder
tam-Antibiotika wird hauptsächlich               Therapiedauer überschreitet nur bei        ausreichend therapiert, der Patient
von der zeitabhängigen Konzentration             ausgewählten Infektionen, wie z. B.        hämodynamisch stabilisiert, so ver-
der ungebundenen Substanz über die               Knocheninfektionen oder Infektionen        bessern, nach heutigem Wissensstand,
„minimal inhibitorische Konzentration            der Herzklappen, sieben bis zehn Tage.     verschiedene Maßnahmen, die allge-
(MIC)“ des jeweiligen Bakteriums be-                                                        mein unter dem ABCDEF-Bündel zu-
stimmt. Beim septischen Patienten                Glukokortikoide und                        sammengefasst werden, die weitere
sind Verteilungsvolumina, Protein-               Arginin-Vasopressin                        Prognose der Patienten (Tabelle 6).
bindung, Metabolismus und Ausschei-              Glukokortikoide sollen in einer Dosis      Ausgehend von den Erkenntnissen aus
dung der Antibiotika oft stark ver-              von 200 mg/Tag jenen Patienten ver-        der Delirforschung kam es zu einem
ändert 60. Die Dosis-Empfehlungen,               abreicht werden, die durch Volumen-        deutlichen Paradigmenwechsel in der
die durch Versuche an Gesunden er-               gabe und Vasopressoren hämodyna-           Behandlung von Intensivpatienten in
mittelt werden, sind daher für kritisch          misch nicht zu stabilisieren sind39. Ein   den letzten Jahren. Der wache, ko-
26   ANÄSTHESIE Nachrichten Nr. 2 | April 2019
INTENSIVMEDIZIN

Tabelle 6 zeigt die Maßnahmen, die unter dem Begriff ABCDEF-Bündel zusammengefasst werden
 A        Assess, prevent, and manage pain                             regelmäßige Schmerzmessung und adäquate Schmerztherapie
 B        Both spontaneous awakening and breathing trial               regelmäßige Aufwachversuche und Spontanatemversuche
 C        Choice of analgesia and sedation                             „optimale“ Medikamentenwahl bei Analgetika und Sedativa
 D        Delirium assess, prevent and manage                          aktive Delirdiagnostik, Prävention und Therapie
 E        Early Mobility and Exercise                                  Frühmobilisierung
 F Family engagement and empowerment                                   starke Einbindung der engsten Angehörigen in Behandlung
 		                                                                    und Behandlungsplan

                                                                                               Entwicklung des Alters und der Inten-
          DER SEPTISCHE SCHOCK IM WANDEL                                                       sivmortalität aus drei verschiedenen
               DER ZEIT UND THERAPIE                                                           Krankenanstalten (KA) im Wandel der
                                                                                               Zeit. Die Abbildung zeigt, dass, obwohl
               Alter (Median in Jahren)                             Mortalität (%)             Patienten über die Jahre deutlich äl-
                                                                                               ter und vorerkrankter (hier nicht dar-
     90                                 76           65        62                              gestellt) geworden sind, die Intensiv-
     80                     71
             66                                      60
                                                     55
                                                                                               mortalität drastisch zurückgegangen
     70
                                                     50                                        ist. Es ist die Überzeugung des Autors,
     60                                              45
     50                                              40                                        dass weitere signifikante Verbesserun-
                                                     35
     40                                              30                      23,6              gen im Überleben weniger durch Fort-
     30                                              25
                                                     20
                                                                                        17,5   schritte in der Intensivtherapie, son-
     20                                               15                                       dern hauptsächlich durch verbesserte
                                                     10
     10                                                5                                       Früherkennung und durch Maßnahmen
      0                                                0
                                                                                               im Bereich der Prophylaxe zu erzielen
              KA 1        KA 2        KA 3                   KA 1         KA 2          KA 3
                                                                                               sind. Was die Früherkennung betrifft,
          KA 1: Jahre 1997 bis 2001 (septische Schockpatienten ohne Herzchirurgie; n = 200)    bedarf es intensiver Aufklärungsmaß-
          KA 2: Jahre 2004 bis 2012 (septische Schockpatienten; n = 360)
                                                                                               nahmen über die Häufigkeit, Schwere
          KA3: Jahre 2014 bis 2017 (septische Schockpatienten; n = 95)
                                                                                               und die klinischen Symptome der Sep-
              Überlebende        Verstorbene                                                   sis, sowohl in der Bevölkerung als auch
                                                                                               in allen medizinischen Berufsgruppen.
Abbildung 7                                                                                    In österreichischen Krankenhäusern
                                                                                               sollten „Medical Emergency Teams
operative Patient ist heutzutage mehr              Durchführungsgrad der Einzelmaßnah-         (MET)“ verpflichtend etabliert werden
die Regel als die Ausnahme, die Früh-              men des ABCDEF-Bündels und dem              und in der Früherkennung der Sepsis
mobilisierung ist in aktuellen Leit-               Patientenoutcome gibt67. Die Autoren        geschult werden. Die Aktivierung der-
linien fest verankert und Schmerzen                berichten, dass die Durchführung al-        artiger Teams muss „niederschwellig“
werden beim Intensivpatienten mittels              ler Maßnahmen mit einer signifikant         erfolgen und auch durch Pflegeper-
etablierter Scoring-Systeme erfasst                geringeren Mortalität im Kranken-           sonal auf den Stationen möglich sein.
und in multimodalen Ansätzen be-                   haus, einer geringeren mechanischen         Durch die Etablierung von METs kann
handelt66. Dass solche Maßnahmen im                Beatmungsdauer, einem geringeren            die Intensivmedizin frühzeitig zum Pa-
Sinne eines PAD-Managements (Pain,                 Risiko für die Entstehung eines Delirs,     tienten gebracht werden und nicht der
Agitation, Delirium) den Verlauf einer             einer geringeren Wiederaufnahme-            Patient, oft schon zu spät, auf die In-
kritischen Erkrankung günstig beein-               rate auf der Intensivstation und einer      tensivstation. Die Einhaltung von Hy-
flussen, ist hinreichend bekannt. Über             höheren Entlassungsrate in das eigene       gienestandards in öffentlichen und pri-
das PAD-Management hinaus geht das                 Heim verknüpft war. Je mehr Einzel-         vaten Gesundheitseinrichtungen, Kin-
ABCDEF-Konzept 67. Dies erfordert                  maßnahmen des Behandlungsbündels            dergärten, Schulen und Ämtern muss
eine sehr intensive interdisziplinäre Zu-          in die Praxis umgesetzt wurden, desto       regelmäßig geschult und stichproben-
sammenarbeit zwischen Ärzten, Pfle-                größer war der Behandlungserfolg.           artig überprüft werden. Von der Politik
gekräften und Therapeuten mit dem                                                              ist zu fordern, dass wir durch verpflich-
Ziel, den Patienten möglichst wach, ko-            SCHLUSSFOLGERUNGEN                          tende Dokumentation der Infektions-
gnitiv und körperlich aktiv zu halten und          Die Überlebenschancen im Rahmen             art und der Schwere von Organdys-
damit seine Autonomie und sein Re-                 generalisierter Infektionen haben sich      funktionen valide Zahlen zur Inzidenz
habilitationspotenzial zu fördern. Pun             in den letzten Jahrzehnten durch zu-        und Prognose schwerer systemischer
BT. et al. untersuchten im Rahmen der              nehmende Standardisierung der Be-           Infektionen in Österreich erhalten.
ICU Liberation Collaborative bei 15.226            handlungsabläufe und Paradigmen-
Patienten aus 68 Intensivstationen,                wechsel in der Therapie deutlich ver-       Zur Infektionsprophylaxe gehört auch
ob es einen Zusammenhang zwischen                  bessert. Abbildung 7 zeigt Daten zur        ein deutliches politisches Bekenntnis

                                                                                                 ANÄSTHESIE Nachrichten Nr. 2 | April 2019   27
zu den derzeitigen Impfempfehlungen                         24 Haydar S et al. Comparison of qSOFA score and          49 Schmittinger CA et al. Combined Milrinone and
                                                               SIRS criteria as screening mechanism for emer-            enteral metoprolol in patients with septic myo-
sowie regelmäßige öffentliche Aufklä-                          gency department sepsis. Am J Emerg Med 2017;             cardial depression. Crit Care 2008; 14:R99
rungskampagnen über die Folgen des                             35:1730–33                                             50 Correa TD et al. Vasodilators in septic shock: a cli-
                                                            25 Askim A et al. Poor performance of quick-SOFA             nical perspective. Shock 2017; 47:269–75
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28    ANÄSTHESIE Nachrichten Nr. 2 | April 2019
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