Die Wissenschaft als Wegbegleiterin zur Umsetzung der Leitlinien Deutscher Arktispolitik

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Die Wissenschaft als Wegbegleiterin zur Umsetzung der Leitlinien Deutscher Arktispolitik
Polarforschung

                                                                                                                                                 Scientific article
                                                                                                                                   Open Access
Polarforschung, 89, 37–45, 2021
https://doi.org/10.5194/polf-89-37-2021
© Author(s) 2021. This work is distributed under
the Creative Commons Attribution 4.0 License.

Die Wissenschaft als Wegbegleiterin zur Umsetzung der
Leitlinien Deutscher Arktispolitik
Sebastian Leskien
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Universität Potsdam, Potsdam, Deutschland

Correspondence: Sebastian Leskien (sebastian.leskien@outlook.de)

Published: 20 May 2021

Kurzfassung. On 21 August 2019 the German Federal Ca-                king at the project “Marine Conservation in the Arctic” the
binet stipulated its New Arctic Policy Guidelines. Science is        article illustrates how these different academic fields can suc-
an integral part of this political document according to which       cessfully be merged.
scientific findings shall be the starting point of the German
activities in the Arctic. The present article argues that an in-
dependent “German” Arctic policy can only be successfully            1   Vorwort
shaped by taking scientific knowledge into consideration. In
order to investigate the role of science in German Arctic po-        In den vergangenen Jahren hat sich die Arktis in der öf-
licy different governmental documents have been analyzed,            fentlichen Wahrnehmung von einer „Randregion“ zu ei-
notably the New German Arctic Policy Guidelines.                     ner „Schlüsselregion der Weltpolitik“ (Deutscher Bundes-
    First of all, the article discusses why Germany as a Non-        tag, 2019) gewandelt. Insbesondere das letzte Internationale
Arctic riparian state is pursuing its own Arctic policy. For this    Polarjahr 2007–2008 gab zahlreichen Nationen den Anstoß,
purpose, it considers the main reasons which have caused             Ziele für eine eigene Arktispolitik zu setzen (McCallum,
    Germany to exert an influence on the Arctic. These in-           2018). Zu jenen Nationen zählte auch Deutschland, das 2013
clude strategic, economic, ecologic and especially research-         erstmals und sodann 2019 in überarbeiteter Form, die „neu-
oriented interests. Concerning the implementation of the             en“ Leitlinien deutscher Arktispolitik (Abb. 1) formulierte
goals of the New Arctic Policy Guidelines the knowledge              mit Entwicklungszielen und Handlungsansätzen für eine ei-
transfer between science and politics is of special significan-      gene deutsche Arktispolitik (Auswärtiges Amt, 2019). Ob-
ce. The article describes how science contributes to politi-         wohl es sich bei den neuen Leitlinien zunächst um eine über-
cal decisions by generating explanation models, different ap-        arbeitete Neuauflage der 2013 vom Auswärtigen Amt ver-
proaches to solutions or by issuing recommendations. In or-          öffentlichten Fassung handelt, waren an deren Novellierung
der to tackle the multi-layered and complex structured goals         erstmals die Bundesregierung sowie sieben weitere Bundes-
of the German Arctic Guidelines politics need to take into           ministerien1 gemeinsam beteiligt – eine ressortübergreifen-
account research and science to remain capable of acting.            de Ausarbeitung. Ähnlich wie in dieser Erstausgabe werden
Thus, science is indispensable for the realisation of the Ger-       die Freiheit der Meere, der Umweltschutz, wirtschaftliche In-
man Arctic Policy goals.                                             teressen sowie die Erforschung der Arktis betont. Die Wis-
    Finally, the article points out that the traditional polar re-   senschaft nimmt in diesem politischen Dokument jedoch ei-
search system is shifting from a traditional natural scientific-     ne hervorgehobene Rolle ein, wonach „wissenschaftliche Er-
based orientation to a more inclusive and broad-ranging ori-         kenntnisse der Ausgangspunkt für das Handeln Deutschlands
entation. It shows how diverse academic disciplines scien-           im arktischen Raum“ (Auswärtiges Amt, 2019) sein sollen.
tifically deal with questions regarding the Arctic. Here, the
article argues that the traditional natural scientific-based ori-        1 Hierbei handelt es sich um folgende Ressorts: Ernährung und
entation of polar science is outdated whereas a demand for           Landwirtschaft (BMEL), Forschung (BMBF), Umwelt (BMU),
interdisciplinary Arctic polar science has emerged. By loo-          Verkehr (BMVI), Verteidigung (BMVg), Wirtschaft (BMWi), Wirt-
                                                                     schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Published by Copernicus Publications on behalf of the Deutsche Gesellschaft für Polarforschung e.V.
Die Wissenschaft als Wegbegleiterin zur Umsetzung der Leitlinien Deutscher Arktispolitik
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                                                                       tivation, eigene Impulse zur Gestaltung des Hohen Nordens
                                                                       zu setzen, wird dabei von verschiedenen nationalen Begehr-
                                                                       lichkeiten flankiert:
                                                                          Forschungsinteressen. Deutschland kann auf eine über
                                                                       150-jährige polare Forschungsgeschichte zurückblicken. Be-
                                                                       reits im 19. Jh. waren es vor allem deutsche Wissenschaft-
                                                                       ler (u.a. Carl Koldewey, August Petermann), welche zu ei-
                                                                       ner ersten kartografischen Erfassung von Teilen des Hohen
                                                                       Nordens beigetragen haben (Venzke, 1988). Gegenwärtig
                                                                       sind es vor allem Meilensteine wie die MOSAIC-Expedition
                                                                       oder die wissenschaftlichen Erkenntnisse des AWIs mit de-
                                                                       nen sich Deutschland weltweit erfolgreich in der Arktisfor-
                                                                       schung profiliert. Die in Forschungsvorhaben gesammelten
                                                                       Ergebnisse sind laut der neuen Arktisleitlinien insbesonde-
                                                                       re für politische Handlungen relevant, wonach „alle arktis-
                                                                       politischen Entscheidungen erst auf der Basis von Erkennt-
                                                                       nissen einer „freien“ und „verantwortungsvollen“ Forschung
Abb. 1. Titelseite der „Leitlinien deutscher Arktispolitik“ der Bun-   getroffen werden sollen (Auswärtiges Amt, 2019). Zudem
desregierung, veröffentlicht am 21. August 2019 (Bildquelle: Mee-      definieren die Leitlinien Deutschland vor allem aufgrund sei-
reisportal, 2019. Kurzmeldung vom 30. August 2019).                    nes starken Profils in der Polarforschung als „internationa-
                                                                       len Akteur im Hohen Norden“ (Auswärtiges Amt 2019). Die
                                                                       heutige Relevanz der Polarforschung für die Bundesrepublik
   Vorliegender Beitrag soll zum Verständnis beitragen, wel-           spiegelt sich u.a. auch in der Forschungsförderung wider.
che Schlüsselrolle der Wissenschaft in der Umsetzung der               So finanzierte Deutschland zwischen 2007–2016 mit insge-
Leitlinien deutscher Arktispolitik zukommt. Es wird argu-              samt 250 arktisbezogenen Forschungsprojekten mehr Vorha-
mentiert, dass nur durch das Einwirken von Wissenschaft ei-            ben als mancher der arktischen Anrainerstaaten (z.B. Finn-
ne eigene „deutsche“ Arktispolitik erfolgreich gestaltet wer-          land, Schweden) (Osipov et al., 2017).
den kann. Des Weiteren hinterfragt die Arbeit das Bestehen-               Ökonomische Interessen. Eine sich im Nordpolarmeer ra-
de polarwissenschaftliche Forschungssystem und betont die              pide vollziehende Klimaerwärmung lässt Meereis schmel-
Notwendigkeit eines fachübergreifenden Austausches.                    zen und neue Seewege entstehen, die Pazifik und Atlantik
   Wissenschaft wird hierbei begriffen als die Vielfalt                nördlich der Kontinente verbindet (Abb. 2: Deutsches Ark-
des nach Erkenntnisgewinn strebenden Fächerkanons, die                 tisbüro, 2019a). Als Industrieland mit einem Umsatz von
gleichwohl in der Lage ist, ihre Forschungsergebnisse zur              EUR 511,1 Mrd. (2018) durch den Seehandel, hat Deutsch-
sinnvollen und nachvollziehbaren Erklärung bestimmter Zu-              land allerdings ein Interesse daran, durch neue maritime In-
sammenhänge oder Phänomene bereitzustellen (Lenhard-                   frastrukturen (Nordwest- und Nordostpassage) in der Arktis,
Schramm, 2012) und dabei gleichzeitig einen Gestaltungs-               den Wirtschaftsverkehr mit seinem wichtigsten Handelspart-
anspruch verfolgt (Rost, 1966).                                        ner, China, zu intensivieren (Hansa, 2019). Schätzungen ge-
                                                                       hen davon aus, dass eine Schifffahrt zwischen dem Hambur-
                                                                       ger Hafen und Shanghai entlang der rund 6500 km langen
2    Warum hat Deutschland eine eigene Arktispolitik?
                                                                       Nordküste Russlands eine Zeitersparnis von einer Woche ge-
                                                                       genüber der traditionellen Schiffsroute über den Suezkanal
Obwohl Deutschlands nördlichster Landpunkt Alemböög
                                                                       bedeutet (Görner, 2018).
(Sylt) etwa 1224.5 km südlich des 66. Breitengrades,2 dem
                                                                          Ökologische Interessen. Die globale Erwärmung voll-
Nördlichen Polarkreis, liegt und Deutschland somit im Ver-
                                                                       zieht sich durch den Albedo-Effekt in der Arktis gleich
ständnis des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) der Vereinten
                                                                       doppelt schneller als im Vergleich zum globalen Mittel-
Nationen nicht als arktischer Anrainerstaat gilt, findet die
                                                                       wert (IPCC, 2019). Die Auswirkungen dieser Veränderungen
Arktis seit 19693 dennoch Beachtung in der Außenpolitik
                                                                       (u.a. Auftauen der Permafrostböden, Anstieg des Meeress-
der Bundesrepublik (Deutscher Bundestag, 1969). Die Mo-
                                                                       piegels durch Schmelzwasser, Versauerung der Ozeane) sind
   2 Die hier verwendete Koordinate für den nördlichen Polar-          jedoch nicht nur regional in der Arktis wahrnehmbar, son-
kreis lautet 66◦ 330 43 N. Für Alemböög die Koordinate 55◦ 30 8 N.     dern werden nach Einschätzung von Klimaforschern auch
Berechnet mithilfe von https://rechneronline.de/geo-koordinaten/       in anderen Weltregionen, darunter Deutschland, langfristig
#entfernung (letzter Zugriff: 17. Februar 2021).                       spürbar werden (EEA, 2019). Gerade weil die Arktis über
   3 Jahr 1969: Teilnahme der deutschen Delegation an der Nordat-      Atmosphäre und Meeresströmungen mit den übrigen Erdtei-
lantischen Versammlung, in welcher die Erforschung der arktischen      len verbunden ist, hat Deutschland ein großes Eigeninteres-
Gewässer empfohlen wurde.

Polarforschung, 89, 37–45, 2021                                                           https://doi.org/10.5194/polf-89-37-2021
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Abb. 2. Drei Routen kommen für eine Durchquerung des Nordpolarmeeres in Frage. Die Nordostpassage entlang der russischen und norwegi-
schen Küste ist aufgrund der günstigeren Eisbedingungen und besseren Beschiffbarkeit im Vergleich zur Nordwestpassage und Transpolaren
Passage zurzeit die aussichtsreichste Route (Quelle: Deutsches Arktisbüro (2019a): Fact Sheet. Schifffahrt in der Arktis).

se am Schutz und Erhalt der natürlichen Umwelt der Arktis            3    Worum geht es in den Leitlinien?
(Maribus, 2019; Notz, 2011).
   Kooperationen und Sicherheit. Die sicherheitspolitische           Die neuen Leitlinien deutscher Arktispolitik verfolgen einen
Diskussion um den Hohen Norden ist durch Konfliktfel-                ausgesprochen holistischen Aktionsansatz, d.h. es werden
der wie territoriale Fragen, Ressourcengewinnung und See-            die Interdependenzen und Synergien von sicherheitspoliti-
wegnutzung zwischen den Arctic Five (Kanada, Königreich              schen Fragen, Anliegen des Naturschutzes, Wirtschaftsför-
Dänemark, Norwegen, die Russische Föderation, Vereinigte             derung, Forschungsaktivitäten, internationale Kooperationen
Staaten von Amerika)4 bestimmt. Gespräche zwischen die-              als auch die Verantwortung aller in der Region agierenden
sen Staaten zur Nutzung und Entwicklung sind daher vom               Akteure beleuchtet. Obwohl die neuen Leitlinien insbeson-
Einsatz vertrauensbildender Maßnahmen begleitet, um die              dere den Umweltschutz (im Vergleich zur Ursprungsfassung
arktische Region als gewaltfreie, friedliche Zone multila-           von 2013) noch stärker in den Vordergrund rücken, sind sie
teraler Zusammenarbeit zu erhalten. Wichtigste Austausch-            keinesfalls ein Bekenntnis, die Arktis im Rahmen des deut-
plattform ist der Arktische Rat, einem zwischenstaatlichen           schen Engagements „unangetastet“ zu lassen, sondern mithin
Forum, welches sich ausschließlich mit arktischen Themen             auf einen „nachhaltigen“, aber insbesondere „schonenden“
befasst (Deutsches Arktisbüro, 2019b). Deutschland ist seit          Umgang mit der Region hinzuwirken (Auswärtiges Amt,
1996 als ständiger Beobachterstaat Mitglied im Arktischen            2019). Hinsichtlich der Nutzung der Arktis ergeben sich aus
Rat und hat ein hohes Eigeninteresse an dem Erhalt von Sta-          den aktuellen Leitlinien folgende Ziele deutscher Arktispoli-
bilität und Kooperation im Nordpolarmeer. Zum einen lassen           tik:
sich erst unter friedlichen Bedingungen die wissenschaftli-
chen, ökologischen und ökonomischen Interessen Deutsch-                  – Erhalt arktischer Biodiversität durch Ausweitung von
lands in der Arktis bestmöglich verfolgen. Zum anderen                     Schutzzonen und verstärkte nationale Beteiligung in
strebt Deutschland für sich eine Vermittlerrolle im arktischen             entsprechenden Naturschutzprojekten,
Akteursumfeld an (Auswärtiges Amt, 2019). In dieser kann
es seine Position im Rat dazu nutzen, um seine eigene Rolle
in den internationalen Arktisbeziehungen zu sichern.                     – Reduzierung der arktischen Umweltverschmutzung
                                                                           durch den Einsatz neuer Technologien, Treibstoffe
                                                                           bei gleichzeitiger Förderung von verantwortungsvollem
    4 Aufzählung gemäß ihrer Reihenfolge und Benennung im Ark-             Handeln in allen Nutzungsbereichen (Tourismus, Fi-
tischen Rat.                                                               scherei, Güterschifffahrt, Forschung),

https://doi.org/10.5194/polf-89-37-2021                                                          Polarforschung, 89, 37–45, 2021
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    – Nutzung des ökonomischen Potentials der Arktis (u.a.         Arktisdialog oder (auf internationaler Ebene) die Arktische
      durch die Exploration und den Abbau von Bodenres-            Wissenschaftsministerkonferenz, die Deutschland 2018 aus-
      sourcen),                                                    gerichtet hat, etabliert, in denen vor allem ein Wissenstrans-
                                                                   fer im Vordergrund steht. In diesem Transfer kommt der Wis-
    – Stärkung multilateraler Kooperationen zur Lösung sich        senschaft als Urheberin von neuem Wissen eine Schlüssel-
      überschneidender Nutzungsinteressen,                         rolle zu. Durch die Generierung und die Bereitstellung von
                                                                   Systemwissen (Wissen über das Zustandekommen und die
    – Schutz und Anerkennung der Rechte und Freiheiten von
                                                                   potentielle Entwicklung eines bestimmten Ist-Zustandes),
      Indigenen durch Wahrung ihres Lebensraums sowie
                                                                   Ziel- bzw. Orientierungswissen (Wissen darüber, welche Zie-
    – Förderung der Arktisforschung durch Sicherstellung der       le mit der Veränderung eines bestimmten Ist-Zustandes an-
      Zugänglichkeit der arktischen Gebiete für Forschungs-        gestrebt werden sollen) und Transformationswissen (Wis-
      vorhaben.                                                    sen über den Weg vom Ist- zum Ziel-Zustand) (Pohl und
                                                                   Hirsch Hadorn, 2006) liefert Wissenschaft steuerungsrele-
Darüber hinaus werden die deutschen Nutzungsinteressen             vante Erklärungs- bzw. Lösungsansätze sowie Empfehlun-
in der Arktis determiniert durch die Hervorhebung des              gen zu bislang wenig erforschten Fragen für verschiedene
Vorsorge- und Verursacherprinzips als Grundlage für alle           Anwender*innen (z.B. Politiker*innen, Behördenmitarbei-
wirtschaftlichen und umweltpolitischen Aktivitäten sowie           tende, Medienvertretende). Gleichzeitig finden Rückkopp-
der Einhaltung internationaler Rahmenregelungen, wie etwa          lungen statt, denn wissenschaftliche Erkenntnisse werden
des Pariser Klimaabkommens, des Internationalen Seerechts-         nicht allein zu Praxiswissen, indem Forschung diese linear
übereinkommens (SRÜ) oder des Polar Codes.                         in die Praxis „transferiert“. Vielmehr handelt es sich stattdes-
                                                                   sen um einen höchst diskursiven und rekursiven Prozess, bei
                                                                   dem die Generierung, die Modifikation, die Bewertung sowie
4    Welche strategische Schlüsselrolle nimmt die
                                                                   die Weitergabe von Wissen ineinandergreifen und schließ-
     Wissenschaft bei der Verwirklichung der
                                                                   lich zu einer Rekombination von Wissen führen kann (Blo-
     Arktisleitlinien ein?
                                                                   tevogel und Wiegand, 2015). Diese Rekombination wird vor
Wissenschaftliche Erkenntnisse haben für politische Ent-           allem dann deutlich, wenn Forschende und praxisorientierte
scheidungen einen grundlegenden Stellenwert. Um gesell-            Akteur*innen (z.B. Politiker*innen, Behördenmitarbeitende)
schaftliche Kontexte zu regeln, Konflikte auszugleichen aber       im Rahmen von Ko-Produktionsprozessen miteinander in-
auch um (inner-)politische Auseinandersetzungen für sich           teragieren und anwendungsrelevantes Wissen erzeugen. Für
zu entscheiden, nehmen Politiker*innen zur Sicherung der           einen erfolgreichen Wissenstransfer mit einem Bezug zur
Legitimation ihrer Entscheidungen regelmäßig Rückgriff             Arktis ist die Verknüpfung verschiedener wissenschaftlicher
auf den Sachverstand von Expert*innen (Voßkuhle, 2008).            Perspektiven sowie die Einbeziehung ausgewählter Wissen-
Gleichzeitig profitieren auch Forschende in erheblichem Ma-        schaftsakteure, die sich mit spezifischem Wissen zur Ark-
ße von der Wahrnehmung ihrer Arbeit in Form von Anerken-           tis auszeichnen, gleichfalls wichtig. So können verschiedene
nung durch Politikvertretende, Forschungsförderung und im          Wissenschaftsdisziplinen aufgrund ihrer vielfältigen Metho-
Idealfall einem gesellschaftlichen „Impact“ ihrer Leistungen.      den und Fragestellungen unterschiedliches Wissen beitragen,
Auf der internationalen Ebene wird der operationelle Cha-          um den Wissenstransfer zwischen Politik und Wissenschaft
rakter dieser symbiotischen Beziehung in der Wissenschafts-        zu bereichern und darüber hinaus auf die vielfältigen Ziele
diplomatie deutlich. Diese bezeichnet den Einsatz und die          der Arktisleitlinien, die allein aufgrund ihres Umfanges in
Anwendung wissenschaftlicher Zusammenarbeit zur Förde-             der Praxis nicht nur durch eine Disziplin allein erfüllt wer-
rung des Brückenbaus und der Verbesserung der diplomati-           den können, hinwirken. Ein Beispiel bietet das in den deut-
schen Beziehungen zwischen Staaten5 (Cordis, 2009). Sie ist        schen Leitlinien häufig genannte Ziel der Verbesserung des
somit als „soft power“-Komponente mittlerweile fester Be-          arktischen Umweltschutzes. Dieses Ziel kann, je nach Dis-
standteil der Außenpolitik vieler Staaten und findet Ausdruck      ziplin, auf verschiedene Art und Weise bearbeitet werden.
in zahlreichen wissenschaftlichen Kooperationsprojekten in         Während naturwissenschaftlich-analytische Erkenntnisse ge-
denen über Dialoge zwischen Nationen und Kulturen ge-              nutzt werden, um die komplexen physikalischen und bio-
meinsame Ziele und Anliegen thematisiert werden. Aus deut-         geochemischen Wechselwirkungen in den arktischen Regio-
scher Sicht ist der Dialog zwischen Wissenschaftler*innen          nen erklärbar zu machen, leisten ingenieurswissenschaftlich-
(und mit Politiker*innen) in dem wachsenden Akteurs- und           technische Ausrichtungen dagegen ihren Beitrag zum ark-
Wirkungsumfeld der Arktis unerlässlich, um auf die Ziel-           tischen Umweltschutz durch die Konstruktion entsprechen-
erfüllung der Leitlinien deutscher Arktispolitik hinzuwirken       der umwelttechnischer Anlagen (z.B. zur Reduzierung von
(Grosfeld et al., 2019). Es haben sich z.B. Formate wie der        Stoffeinträgen in arktische Gewässer). Einen ganz anderen
                                                                   Ansatz nutzen geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer,
   5 Definition angelehnt an Vaughan Turekian, Direktor des Zen-   die ethische oder finanzieller Entscheidungshilfen für die po-
trums für Wissenschaftsdiplomatie, in: Cordis (2009)               litische Praxis auf der Basis empirischer Untersuchungen

Polarforschung, 89, 37–45, 2021                                                        https://doi.org/10.5194/polf-89-37-2021
S. Leskien: Die Wissenschaft als Wegbegleiterin zur Umsetzung der Leitlinien Deutscher Arktispolitik                         41

formulieren (z.B. zur Nutzbarmachung traditionellen indi-        Speziell für die Arktisforschung wäre es gleichwohl denkbar,
genen Wissens über die arktische Umwelt). Rechtswissen-          langfristig einen fachübergreifenden Arbeitskanon zu ent-
schaftliche Expertise ist hingegen in solchen Bereichen für      werfen, der eigene Zugangsweisen, Methoden, Regeln, Ver-
den arktischen Umweltschutz wichtig, wenn Maßnahmen              bote oder empirische Settings beinhaltet, um das fachüber-
des Umweltschutzes (a) eine extraterritoriale Wirkung entfal-    greifende Arbeiten positiv auszuweisen und zu typisieren
ten sollen, d.h. wenn zwischenstaatliche Abkommen notwen-        (Schmidt, 2005). Eine gewisse Standardisierung wäre nicht
dig werden, um eine gemeinsame Region im gleichen Terri-         zuletzt auch der Umsetzung der Ziele aus den neuen Ark-
torium zu schützen oder (b) innerstaatliches Umwelthandeln       tisleitlinien ausgesprochen zuträglich, weil sich durch fach-
eine Koordination oder Übertragung staatlicher Zuständig-        übergreifendes Arbeiten auch die Problemwahrnehmung er-
keiten zwischen verschiedenen Organisationen bedarf (Bo-         höht und im Idealfall umfangreichere Lösungsmöglichkeiten
the, 1972). Voraussetzung für eine solche fachliche Verknüp-     formulieren lassen.
fung ist jedoch, dass Arktisforschung nicht mehr nur als ei-        Aktuell durchgeführte Forschungsprojekte mit einem sol-
ne Teildisziplin der naturwissenschaftlichen Polarforschung      chen fachübergreifenden Charakter zeigen bereits auf, dass
wahrgenommen werden darf. Stattdessen wird die Arktis-           moderne wissenschaftliche Arktisforschung trotz prinzipi-
forschung spätestens mit der Etablierung von Governance-         eller Leistungsgrenzen (z.B. unterschiedlicher methodischer
Strukturen im Hohen Norden, wie dem Arktischen Rat oder          Ansätze), durchaus erfolgreich sein können: Hierzu zählt et-
der zunehmenden Verrechtlichung von Nutzungsansprüchen           wa das vom Bundesamt für Naturschutz vergebene und vom
im Nordpolarmeer, von verschiedenen Wissenschaftsdiszi-          IASS Potsdam, dem WWF sowie dem Ecologic-Institut um-
plinen betrachtet und ist mithin eine Integrationswissenschaft   gesetzte Vorhaben „Meeresnaturschutz in der Arktis“. Die
(hierzu auch Abb. 3: Arktisforschung als Integrationswis-        Partner erarbeiten gemeinsame naturschutzfachliche Vor-
senschaft). Obgleich sie sich aus unterschiedlichen Fachdis-     schläge für die „naturschutzrelevanten Arbeitsgruppen des
ziplinen mit eigenen Fragestellungen, Methoden und Hin-          Arktischen Rates“ mit dem langfristigen Ziel ein „pan-
tergrundüberzeugungen subsumiert, behandeln alle Teilge-         arktisches Netzwerk mariner Schutzgebiete“ zu etablieren
biete der Arktisforschung vor allem denselben Forschungs-        (Bundesamt für Naturschutz, 2018). Die fachübergreifende
gegenstand im Kern: die Arktis. Dieses einende Element           Arbeit äußert sich einerseits durch die an der Projektumset-
der verschiedenen Disziplinen könnte Ansatzpunkt sein, um        zung beteiligten Akteure aus unterschiedlichen Wissensge-
die Disziplinen zukünftig stärker in einer gemeinsamen For-      bieten (Sozial-, Rechts- und Naturwissenschaften) als auch
schung zu integrieren. Wie wichtig fachübergreifende For-        durch den Projektauftrag selbst. So soll die naturschutzfach-
schungsansätze sind, wurde bereits von Mittelstraß hervor-       liche Arbeit auf der Basis von „internationalem Meeresna-
gehoben, der von der „Einheit der Wissenschaft“ spricht, d.h.    turschutz, Ocean Governance und [. . . ] Jurisdiktion, als auch
die Vorstellung, dass das wissenschaftliche System über eine     über einschlägige Erfahrungen über die Arbeit des Arkti-
bloße Ansammlung von Wissensbeständen oder die Aufzäh-           schen Rates“ (Bundesamt für Naturschutz, 2018, 2) gestaltet
lung einzelner Disziplinen hinausgeht (Mittelstraß, 1989).       werden.
Nach ihm sei ein fachübergreifendes Denken fundamental,             Bei dem genannten Projekt handelt es sich jedoch um
weil „(1) die Welt als Gegenstand der Wissenschaft, eine ist     einen Präzedenzfall, der allerdings für die weitere Umset-
(Einheit der Natur), (2) das wissenschaftliche Interesse eines   zung der deutschen arktispolitischen Ziele durchaus Orien-
ist (es geht um ein rationales Begreifen der Welt)“ (Mittel-     tierung geben kann.
straß, 1989, 60). Diese Gedanken knüpfen wiederum an die
neuen Leitlinien deutscher Arktispolitik an. Obwohl die neu-
en Leitlinien deutscher Arktispolitik den heterogenen Cha-       5   Wer sind die Wissensträger*innen?
rakter der Arktis mit seinen vielfältigen Lebewesen, indige-
nen Völkern, natürlichen Gegebenheiten, Ressourcen oder          Ein Blick auf die polare Forschungsarchitektur hierzulande
auch deren Rollen im Klimawandel hervorhebt, wird eine           erscheint hilfreich, um die unterschiedlichen Akteure und
einzelne Disziplin kaum dazu in der Lage sein, das komplexe      Organisationen der deutschen Arktisforschung zu identifi-
Wechselwirkungsumfeld der Arktis vollständig zu erfassen         zieren, die an der Umsetzung der Arktisleitlinien wesentlich
und alle Ziele gleichzeitig bearbeiten zu können. Vielmehr       beteiligt sind, z.B. im Rahmen von Politikberatung, der Be-
ist ein hoher Grad an Offenheit gegenüber unterschiedlichen      reitstellung von Daten aus eigenen wissenschaftlichen Feld-
Denkstilen und Wissensarten bei der Bewältigung arktisbe-        forschungen oder der Einbringung technologischer Innova-
zogener Fragen überhaupt erst notwendig (Pohl und Hirsch         tionen. Es ist dabei festzustellen, dass die deutsche Arktis-
Hadorn, 2008), um diese detailliert bearbeiten zu können. Ei-    forschung durch ein breites Netz verschiedener Institute aus
ne Offenheit gegenüber anderen Wissenschaften führt in der       nahezu allen Wissenschaftsdisziplinen wahrgenommen wird.
Praxis nicht nur zu mehr Verständnis füreinander, sondern        Hierzu zählen allen voran Fachbehörden, Universitäten so-
erlaubt auch die besondere Chance punktuell einzelne Fra-        wie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Jeder der im
gestellungen mit fachfremden Methoden detaillierter zu be-       Folgenden genannten Akteure verfügt zwar über spezifische
antworten, wozu Einzelwissenschaften nicht möglich wären.        Ressourcen und verfolgt eigene wissenschaftliche Schwer-

https://doi.org/10.5194/polf-89-37-2021                                                     Polarforschung, 89, 37–45, 2021
42                   S. Leskien: Die Wissenschaft als Wegbegleiterin zur Umsetzung der Leitlinien Deutscher Arktispolitik

Abb. 3. Arktisforschung als Integrationswissenschaft (Eigene Darstellung).

punkte. Ihre große Gemeinsamkeit besteht jedoch in ers-                Positionen zu Arktisfragen der Bundesregierung involviert
ter Linie im gemeinsamen Forschungsgegenstand, die Arktis              und trägt durch seine beratende Tätigkeit maßgeblich zur
wissenschaftliche zu erforschen und deren Zukunft im Rah-              Sichtbarkeit Deutschlands in der internationalen Arktispoli-
men der deutschen Arktisleitlinien mit zu gestalten:                   tik bei.
   Einen breiten Forschungsansatz verfolgt das Alfred-                    Ebenfalls in Potsdam ansässig ist das Institut für transfor-
Wegener-Institut (AWI) als Helmholtz-Zentrum für Polar-                mative Nachhaltigkeitsforschung (IASS), welches seit 2009
und Meeresforschung, welches seit 30 Jahren mithilfe von               im Rahmen verschiedener Projekte zu Fragen an der Schnitt-
Forschungsstationen, Schiffen und Flugzeugen Untersu-                  stelle von Nachhaltigkeit, Governance und Transformation
chungen zum Zusammenwirken von Mensch, Klima und                       der Arktis arbeitet. Die Forschungsbeiträge des IASS fließen
Ozean in den Polarregionen durchführt. Ebenfalls veranstal-            insbesondere in die Arbeitsgruppe für nachhaltige Entwick-
tet das AWI seit 2013 den alle halbe Jahre stattfindenden              lung des Arktischen Rates mit ein (IASS, 2020).
Arktisdialog zum Informationsaustausch zwischen Polarfor-                 Einen ähnlichen Ansatz wie das IASS verfolgt auch das
schung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu aktuel-           Ecologic Institut in Berlin, das naturschutzfachliche Beiträge
len Arktisfragen. Die Veranstaltung wird hierbei inzwischen            zu aktuellen Problemlagen in der Arktis erarbeitet. So konzi-
jeweils abwechselnd von einem der sieben Bundesministeri-              pierte das Institut in Kooperation mit dem Umweltbundesamt
en gastgebend mitbegleitet, die an der Konzeption der neuen            das Themenpapier „Umweltleitlinien deutscher Arktispoli-
Arktisleitlinien beteiligt waren und auf diese Weise thema-            tik“, deren Inhalte auch in den neuen Leitlinien deutscher
tisches Wissen aus ihren eigenen Ressorts einbringen. Die              Arktispolitik berücksichtigt wurden. Vom Ecologic Institut
Koordination des Arktisdialoges übernimmt seit seiner Grün-            initiiert wurde das zwischen 2012–2018 stattfindende Arctic
dung 2017 das am AWI ansässige Deutsche Arktisbüro, wel-               Summer College, eine politikorientierte Plattform zwischen
ches 2018 auch die fachliche Vorbereitung der zweiten Arkti-           Fachexpert*innen zum Austausch zu arktisspezifischen The-
schen Wissenschaftsministerkonferenz zur besseren interna-             men (Ecologic Institute, 2020). Neben den außeruniversitär-
tionalen Forschungszusammenarbeit übernommen hat. Des                  en Forschungseinrichtungen gelangen Arktisthemen zuneh-
Weiteren ist das Deutsche Arktisbüro in die Begleitung von             mend auch auf den Lehrplan deutscher Hochschulen. An

Polarforschung, 89, 37–45, 2021                                                            https://doi.org/10.5194/polf-89-37-2021
S. Leskien: Die Wissenschaft als Wegbegleiterin zur Umsetzung der Leitlinien Deutscher Arktispolitik                         43

den Universitäten Bielefeld, Kiel und der Freien Universität    6   Wie kann die Wissenschaft besser zur Erfüllung
Berlin lehren sozial- und geisteswissenschaftliche Polarfor-        der Leitlinien beitragen?
scher Studierende aus dem Bereich Politikwissenschaft, Phi-
losophie und Geschichte. Die Arktis aus naturwissenschaft-      Obwohl die neuen Leitlinien deutscher Arktispolitik einen
licher Sicht hat dagegen bereits Platz auf dem Lehrplan ver-    breiten Themenkanon aufgeschlagen haben, in dem alle
schiedener Universitäten, wie etwa denen in Rostock, Köln,      Fachdisziplinen der Polarforschung anknüpfen können, do-
Kiel, Bremen, Dresden, Trier und Leipzig, gefunden. Un-         minieren im wissenschaftlichen Praxisalltag noch immer
ter den Wissenschaftler*innen dieser Hochschulen engagie-       Einzeldisziplinen. Insbesondere der Brückenschlag zwischen
ren sich (neben weiteren außeruniversitären Forschern) ei-      naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Polar-
nige im Nationalkomitee für Polarforschung der Deutschen        forschung ist erweiterungsfähig. Eine Mobilisierung der
Forschungsgemeinschaft (DFG), welches die Aktivitäten der       Wissenschaft ist jedoch gerade im Hinblick auf die Bewäl-
deutschen Hochschulen zur Arktisforschung gemeinsam mit         tigung der Ziele in den Leitlinien essentiell, da hinter jedem
dem AWI, dem Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanfor-             Ziel komplexe Fragestellungen, Handlungsfelder aber auch
schung (GEOMAR) in Kiel sowie weiteren Bundeseinrich-           Zielkonflikte verborgen sind. Aus diesem Grund ist zu emp-
tungen und Instituten organisiert. Beachtenswert ist die im     fehlen, das Wissenschaftssystem insgesamt nutzbarer zu ma-
September 2017 erschienene „Polarforschungsagenda 2030“         chen, indem zukünftig ein inter- oder transdisziplinärer An-
zum heutigen Wissensstand der (deutschen) Polarforschung        satz angestrebt wird.
und den drängenden Forschungsfragen der Zukunft, wel-              Eine weitere Herausforderung ergibt sich vielmehr aus
che unter der Leitung des Nationalkomitees erarbeitet wurde     den politischen Rahmenbedingungen selbst. Bislang streben
(siehe Heinemann et al., 2017).                                 vier6 der nordischen Staaten eine Erweiterung ihrer natio-
   Eine Kooperation in der Lehre erfolgt seit 2002 in Form      nalen Wirtschaftszone auf 200 Seemeilen (370 km) auf Ba-
des POMOR-Studiengangs (Polar and Marine Sciences), ei-         sis des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen
nem deutsch-russischen Kooperationsprojekt für Studieren-       an, wodurch jene Anrainerstaaten größere Freiheiten in der
de an der Universität Sankt Petersburg und seinen beteilig-     wirtschaftlichen und sogar militärischen Nutzungen der Ark-
ten Partneruniversitäten in Bremen, Hamburg, Kiel, Pots-        tis erhalten (Görner, 2018). Unter diesen Voraussetzungen
dam sowie einigen Forschungseinrichtungen (AARI, AWI,           könnte der für die Forschung frei zugängliche Raum einge-
GEOMAR, IOW). In dem Studiengang wird den teilnehmen-           schränkt werden. Die Wissenschaft sollte daher rechtzeitig
den Studierenden fachübergreifendes Wissen zum arktischen       ihre Stimme nutzen und ihren Einfluss auf die Politik gel-
Erd- und Klimasystem vermittelt. Aus deutscher Sicht stellt     tend machen, um darauf hinzuwirken, dass zur Erfüllung der
der POMOR-Studiengang im Bereich der Polarforschung ein         Ziele in den Arktisleitlinien eine freie Polarforschung (auch
„international sichtbares Aushängeschild der wissenschaft-      bei Ausdehnung des Festlandsockels) garantiert wird.
lichen Nachwuchsförderung dar“ (Heinemann et al., 2017,
142).
                                                                7   Schlussbetrachtung
   Nicht zu unterschätzen ist der wissenschaftliche Impuls
von Fachbehörden zur Umsetzung der neuen Leitlinien deut-
                                                                Die im August 2019 veröffentlichten neuen Leitlinien deut-
scher Arktispolitik. So sind die im Geschäftsbereich des
                                                                scher Arktispolitik sind in mehrfacher Hinsicht ein beson-
Bundesumweltministeriums gehörenden Umweltbundesamt
                                                                deres Dokument der deutschen Außenpolitik. Sie legen als
oder das Bundesamt für Naturschutz nicht nur an der Ver-
                                                                zentrales Strategiepapier die Nutzungsziele Deutschlands in
gabe von Forschungsaufträgen beteiligt, sondern entwickeln
                                                                der Arktis dar, welche wiederum auf einem breitangelegten
auf der Basis von erhobenen Daten umweltrelevante Rege-
                                                                Themenspektrum aufbauen. Gleichzeitig betonen sie die be-
lungen zum Schutz der Arktis, die sie in den Arbeitsgruppen
                                                                sondere Rolle der deutschen Arktisforschung, auf deren aus-
des Arktischen Rates vorstellen (UBA, 2019). Die Bundes-
                                                                gesprochen langjähriger Expertise basierend, sich Deutsch-
anstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (nachgeordnete
                                                                land als „internationaler Akteur im Hohen Norden“ definiert
Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums) hat umfangrei-
                                                                und deren Forschungsergebnisse die Grundlage für sämtliche
che Informationen zum mineralischen Rohstoffpotential der
                                                                arktispolitische Handlungen der Bundesregierung sein sol-
Arktis zusammengetragen und gab hierzu eine Zusammen-
                                                                len.
fassung heraus, deren Inhalte wegweisend für das ökonomi-
                                                                   Der vorliegende Beitrag hat diese Schlüsselrolle der Wis-
sche Interesse Deutschlands an der Arktis ist (Elsner et al.,
                                                                senschaft bei der künftigen Umsetzung der Arktisleitlinien
2014).
                                                                näher betrachtet. Es wurde herausgearbeitet, dass eine be-
   Die Zusammenstellung aller Wissensträger*innen ist
selbstverständlich nicht abschließend. In den letzten Jahren        6 Bei der UN-Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels
ist das nationale Interesse an der Arktis stetig gewachsen,     (CLCS) haben folgende Länder Anträge zur Erweiterung ihrer Wirt-
sodass sich der Kreis der Akteure hierbei nur auf einige pro-   schaftszone gestellt: Russland (2001/2015), Norwegen (2006), Ka-
minente Beispiele bezieht.                                      nada (2013), Dänemark (2014). Bislang wurde nur der norwegische
                                                                Antrag positiv beschieden.

https://doi.org/10.5194/polf-89-37-2021                                                    Polarforschung, 89, 37–45, 2021
44                     S. Leskien: Die Wissenschaft als Wegbegleiterin zur Umsetzung der Leitlinien Deutscher Arktispolitik

sonders enge Zusammenarbeit zwischen Politik und (Arktis-            Literatur
)Forschung besteht, aus der ein Wissenstransfer entstanden
ist, der für die erfolgreiche Zielerreichung der Arktisleitlini-
en unerlässlich erscheint. Beispielhaft haben sich verschiede-
                                                                     Auswärtiges Amt: Leitlinien deutscher Arktispolitik: Verantwor-
ne Formate wie etwa der Arktisdialog etabliert, mithilfe derer
                                                                        tung übernehmen. Vertrauen schaffen. Zukunft gestalten, Zar-
Forschungswissen, Erfahrungen und internationale Experti-               bock, Berlin, 2019.
se nicht nur innerhalb des Wissenschaftssystem zur Verfü-            Blotevogel, H. H. und Wiegand, T. S.: Zur Evaluation von Wissens-
gung gestellt, sondern auch in Gesellschaft und Politik kom-            generierung und Wissenstransfer in der Akademie für Raumfor-
muniziert werden. Darüber hinaus wurden mehrere bekannte                schung und Landesplanung (ARL), Leibniz-Forum für Raum-
Wissensträger*innen der Arktisforschung aus verschiedenen               wissenschaften, Raumforschung und Raumordnung, 73, Hanno-
Forschungseinrichtungen betrachtet, die aufgrund ihres un-              ver, 155–165, 2015.
terschiedlichen wissenschaftlichen Hintergrundes vielfältige         Bothe, M.: Umweltschutz als Aufgabe der Rechtswissenschaft.
Lösungsansätze bieten können, um auf die Zielerreichung                 Völkerrecht und Rechtsvergleichung, Zeitschrift für ausländi-
der Arktisleitlinien hinzuwirken. Es wurde die Ansicht ver-             sches öffentliches Recht und Völkerrecht, 32, C. H. Beck, Mün-
treten, dass sich die Arktisforschung trotz ihrer ursprüngli-           chen, 483–515, 1972.
                                                                     Bundesamt        für     Naturschutz     (BfN):      Interessenbekun-
chen naturwissenschaftlichen Verwurzelung zu einer diszi-
                                                                        dungsverfahren        UFOPLAN       2018,      online    aufrufbar:
plinübergreifenden Integrationswissenschaft entwickelt hat.             https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/foerderung/Dokumente/
So nutzen die verschiedenen Teilbereiche, die unterschiedli-            Ufoplan_2018/3518_83_1100_Arktis_Meeresschutz.pdf (letzter
chen Wissenschaftsdisziplinen, jeweils eigene Methoden zur              Zugriff: 10. November 2020), 2018.
Generierung von neuem Wissen (Systemwissen, Orientie-                Cordis: Forschungsergebnisse der EU: Interviews (2009): Die
rungswissen, Transformationswissen) zur Beantwortung von                Wissenschaft als ein Werkzeug der internationalen Diplo-
arktisrelevanten Fragen. Anstatt sich nur auf eines dieser              matie, online aufrufbar: https://cordis.europa.eu/article/id/
Teilgebiete zu konzentrieren, soll mit dieser Arbeit für eine           30532-science-as-a-tool-for-international-diplomacy/de, letzter
noch stärkere Verknüpfung plädiert werden, um mittels ei-               Zugriff: 10. Mai 2020.
nes disziplinübergreifenden Forschungsansatzes die hetero-           Deutscher Bundestag: Drucksachen: Nordatlantische Versamm-
genen, komplexen und anspruchsvollen Ziele der neuen Ark-               lung. 15. Jahrestagung vom 5. bis 21. Oktober 1969, onli-
                                                                        ne aufrufbar: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/06/001/0600191.
tisleitlinien zu forcieren.
                                                                        pdf (letzter Zugriff: 10. Mai 2020), 1969.
                                                                     Deutscher Bundestag: Drucksache 19/13193: Antwort der Bundes-
                                                                        regierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hun-
Datenverfügbarkeit. Für diesen Artikel wurden keine Datensätze          ko, Hubtertus Zdebel, Lorenz Gösta Beutin, weiterer Abgeord-
genutzt.                                                                neter und der Fraktion DIE LINKE., online aufrufbar: https:
                                                                        //dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/153/1915326.pdf (letzter Zu-
                                                                        griff: 10. November 2020), 2019.
Interessenkonflikt. Die Autor*innen erklären, dass kein Interes-     Deutsches Arktisbüro: Fact Sheet. Schifffahrt in der Arktis, online
senkonflikt besteht.                                                    aufrufbar: https://www.arctic-office.de/fileadmin/user_upload/
                                                                        www.arctic-office.de/PDF_uploads/FactSheet_Schifffahrt.pdf
                                                                        (letzter Zugriff: 10. May 2020), 2019a.
Danksagung. Das vorliegende Thema wurde mit wertvollen An-           Deutsches Arktisbüro: Fact Sheet. Arktischer Rat, online auf-
regungen von Volker Rachold, Donovan Dennis, Philip Matuschka           rufbar:       https://www.arctic-office.de/fileadmin/user_upload/
sowie Michael Wenger geschrieben. So wurden dem Autor dan-              www.arctic-office.de/PDF_uploads/Arktischer_Rat/Factsheet_
kenswerterweise durch die Bereitstellung von Informationen und          Arktischer_Rat.pdf (letzter Zugriff: 10. Mai 2020), 2019b.
zusätzlichen, themenbezogenen Literaturbeiträgen wichtige Impul-     Ecologic Institute: Arctic Summer College, online aufrufbar: https:
se während des gesamten Schreibprozesses gegeben. Volker Ra-            //www.arcticsummercollege.org/, letzter Zugriff: 10. Mai 2020.
chold, Donovan Dennis, Maria Weigel, und Philip Matuschka sei        Elsner, H., Sievers, H., Szurlies, M., und Wilken, H.: Das mine-
zudem für die kritische Durchsicht des Beitrages gedankt. Ein wei-      ralische Rohstoffpotential der Arktis, Commodity Top News,
teres Dankeschön auch an Renate Treffeisen für die Bereitstellung       41, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR),
des Titelbildes „Leitlinien deutscher Arktispolitik“.                   Hannover, 1–12, 2014.
                                                                     European Environment Agency (EEA): The melting Arctic, online
                                                                        aufrufbar: https://www.eea.europa.eu/articles/the-melting-arctic
Begutachtung. This paper was edited by Donovan Dennis.                  (letzter Zugriff: 10. Mai 2020), 2019.
                                                                     Görner, G.: Die Arktis und das Seevölkerrecht, Welttrends, Das
                                                                        Außenpolitische Journal, 140, Potsdamer Wissenschaftsverlag,
                                                                        Potsdam, 51–56, 2018.
                                                                     Grosfeld, L., Lenz, J., Fugmann, G., Gunnarsson, P., Níelsson,
                                                                        E., and Rachold, V.: Raising awareness and building capacity
                                                                        for science-based policy-making. Workshop Summary, online
                                                                        aufrufbar: https://www.arctic-office.de/fileadmin/user_upload/

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S. Leskien: Die Wissenschaft als Wegbegleiterin zur Umsetzung der Leitlinien Deutscher Arktispolitik                                     45

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