Digitale Lernszenarien im Schul-unterricht in Italien. Erfahrungen aus der Corona-Zeit

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Digitale Lernszenarien im Schul-
     unterricht in Italien. Erfahrungen aus
     der Corona-Zeit
     Digital learning scenarios in school lessons in Italy.
     Experiences from the Corona period

Caterina Cerutti                     Abstract (Deutsch)

Seit 1992 Deutschlehrerin an
                                     Vor welche Herausforderungen hat die Corona-Pandemie Lehrkräfte und
italienischen Schulen (Sekundar-
                                     Schüler gestellt? Wie hat das „Homeschooling“ sich sozial und emotional auf
stufe) und am Istituto Tecnico
                                     die Beteiligten ausgewirkt? Wie haben sich Lehr- und Lernbiographien im Ver-
Commerciale „Antonio Bordoni“
                                     gleich zur „alten Normalität“ des Lehrens und Lernens seitdem entwickelt?
in Pavia (Italien). Außerdem
                                     Was davon sollte in künftige Entwicklungen des Akteursfelds „Schule“ aufge-
arbeitet sie als Lehrbeauftragte
                                     nommen und fortgeführt werden? Auf diese Fragen versucht der nachstehende
für Deutschdidaktik an den
                                     Erfahrungsbericht aus der Perspektive sowohl von Lehrenden als auch von
Universität Turin und Mai-
                                     Lernenden erste Antworten zu finden – in einer nach wie vor unsicheren und
land mit den Schwerpunkten:
                                     ungeklärten Zeit, was die Pandemiebekämpfung und damit auch die Zukunfts-
Didaktik der deutschen Sprache
                                     perspektiven der Unterrichtspraxis betrifft.
und Kultur, bilingualer Unter-
richt (Clil), digitaler Unterricht
                                     Abstract (English)
und Wirt­schaftskommunikation.
Weiterhin ist sie Referen­tin für
                                     What challenges has the Corona pandemic posed for teachers and students? How
Lehrerfortbildung und Lehr-
                                     has “homeschooling” had a social and emotional impact on those involved? How
buchautorin.
                                     have teaching and learning biographies developed since then compared to the
                                     “old normality” of teaching and learning? Which of these should be included and
                                     continued in future developments in the field of “school”? The following experi-
                                     ence report attempts to find initial answers to these questions from the perspective
                                     of both teachers and learners − in a still uncertain and unclarified time with
                                     regard to the fight against the pandemic and thus also the future perspectives of
                                     teaching practice.

                                                                                                                    107
Einleitung                                      Unterrichtsformen mit Lehrenden und
                                                Lernenden, wie verändert sich deren
„Kommunikation findet immer in einem            Beziehung zueinander? Was ist dabei
bestimmten ´Rahmen´ statt, dessen Re-           am bemerkenswertesten? Wie motiviert
geln dafür sorgen, dass Akteure auf Basis       sind die Schüler/innen? Welche Emoti-
ihrer Vertrautheit mit diesen Regeln etwas      onen entstehen dabei?
´gemeinschaftlich machen´ können.“
                                                Diese und weitere Fragen werden
(J. Bolten:2020)
                                                nachfolgend in Form eines Erfahrungs-
Der „Rahmen“ schulischen Unterrichts            berichts und am Beispiel von zwei
war bislang vor allem durch Präsenzun-          Lernszenarien diskutiert, deren jewei-
terricht geprägt, sodass sich das commu-        lige Rahmenbedingungen vorab kurz
nicare (dt.: „gemeinschaftlich machen“)         skizziert werden sollen.
zwischen den Akteuren hauptsächlich             Zwei Lernszenarien im italie-
im Klassenraum abgespielt hat.                  nischen Schulunterricht wäh-
Mit der Corona-Pandemie ergab sich              rend der Corona-Pandemie
– quasi von einem Tag auf den ande-
                                                Im März 2020 wurden die Schulen
ren – die Notwendigkeit, den Unter-
                                                wegen der Corona-Pandemie in Italien
richtsrahmen zu verändern, virtuelle
                                                geschlossen und der Schulunterricht
oder zumindest digital unterstützte
                                                ist ab diesem Zeitpunkt ausschließlich
Unterrichtsformen zu konzipieren und
                                                digital verlaufen. Die Schule, an der die
umzusetzen. Didaktisch-methodische
                                                beiden Lernszenarien realisiert worden
Konzeptualisierung und „neue“
                                                sind, ist das Wirtschaftsgymnasium
Unterrichtspraxis gingen dabei in einem
                                                „Antonio Bordoni“ in Pavia. Vorteilhaft
immens schnellen Learning-by-doing-
                                                für die technischen Rahmenbedingun-
Prozess Hand in Hand.
                                                gen erwies sich eine funktionierende
Theoretisch war klar, dass sich asyn-           Infrastruktur, die vor allem dadurch
chrone und synchrone Lernmöglich-               gewährleistet werden konnte, dass
keiten in einem neuen Methodenmix               Schülern, sofern nötig, Laptops oder
abwechseln, dass im Vergleich zu                Tablets zur Verfügung gestellt werden
konventionellem Präsenzunterricht bei           konnten.
entsprechendem hybridem digitalem               Die Lernszenarien beinhalteten jeweils
Lernen längere Selbstlernphasen mit             ein Lernmodul, wobei folgende Spe-
Videokonferenzen oder mit kürzeren              zifikationen die lernorganisatorischen,
Face-to-face-Phasen verbunden sein              didaktischen und inhaltlichen Rahmen-
würden. Auch hatte sich sehr schnell            bedingungen charakterisiert haben:
herausgestellt, dass bei Videokonfe-
renzen eindeutige Regeln und große              Lernszenario 1: Fenster-
Disziplin sowie Verantwortung seitens           blicke in Italien und im
der Lernenden und der Lehrenden                 deutschsprachigen Raum
nötig sein würden – ebenso wie „neue“           Fach „Deutsche Sprache und Kultur“,
Formen der Lernstandkontrolle und des           19 Schüler/innen im Alter von 16
Feedbacks. Vieles war aus der Beschäf-          Jahren mit Deutschkenntnissen der
tigung mit Fragen der Online-Didaktik           Niveaustufe A2+ (90 Unterrichtstunden
in abstrakter Weise bekannt – und               Deutsch). Unterrichtsvolumen: 6 Stun-
groß natürlich auch die Erwartungen             den (synchron) mit den Sozialformen
im Hinblick auf das Potential und den           Unterrichtsgespräch via Zoom Meeting,
Mehrwert, die digitalen Medien und              Einzelarbeit, Paararbeit.
digitalem/virtuellem Lernen zugespro-           Modulaufgabe: Die Lernenden sol-
chen werden.                                    len (a) Fotos aus einem Fenster ihres
Aber die Praxis? Wie verläuft eine der-         „Homeschooling“-Bereichs aufnehmen,
maßen rasante Umstellung? Schafft               ihre mit dem „Fensterblick“ verbunde-
digitaler/ virtueller Unterricht eher Dis-      nen Emotionen beschreiben und dem
tanz oder Nähe? Was machen die neuen            Foto einen Titel geben. Aus einer von

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der Lehrerin beschafften äquivalen-        den Lernenden als auch zwischen Leh-
ten Auswahl von Fensterblicken aus         renden und Lernenden zu einer Stär-
Deutschland und Österreich sollen sich     kung der sozialen Eingebundenheit im
die Schüler (b) ein Foto aussuchen, das    Sinne einer neuen Qualität des Bezie-
ihnen gefällt, beschreiben, was sie auf    hungsaufbaus geführt. Dies ist für die
dem Bild wahrnehmen und Hypothe-           Motivation der Schüler sehr wichtig
sen über die Person formulieren, die       gewesen.
in der Wohnung lebt. Die Ergebnisse        In der ersten kurzen Phase im Lock-
sollen in einer Power-Point-Präsentati-    down haben sich sowohl die Schüler/
on zusammengefasst und im virtuellen       innen als auch die Lehrer/innen eher
Raum den anderen Lernenden vorge-          verunsichert und sozial isoliert gefühlt.
stellt werden.                             Das Bedürfnis nach Nähe und gelebter
Lernszenario 2: Innova-                    Zusammenarbeit war so groß, dass –
tion für den Markt in der                  vollkommen anders, als im Lehrplan
Corona-Zeit                                vorgesehen – auf metakommunikativer
                                           Ebene kontinuierlich und durchaus
Fach „Deutsche Sprache und Wirt-
                                           emotional Thematisierungen der Coro-
schaftskultur“, 12 Schüler/innen im
                                           na-Pandemie stattfanden, die letztlich
Alter von 17-18 Jahren mit Deutsch-
                                           in beiden Lernszenarien zum gemein-
kenntnissen der Niveaustufe B1 (150
                                           samen Entschluss führten, die Lerner-
Unterrichtstunden Deutsch). Unter-
                                           fahrungen der Module mit Bezugnah-
richtsvolumen: 4 Stunden (synchron)
                                           me auf die individuellen Erfahrungen
mit den Sozialformen Unterrichtsge-
                                           der Corona-bedingten „anderen“
spräch via Zoom Meeting, Einzelar-
                                           Lernkontexte zu ergänzen. Und hierzu
beit, Gruppenarbeit.
                                           zählten vor allem die Erfahrungen mit
Modulaufgabe: Die Lernenden sollen         digitalem Lernen.
(a) eine Bedarfs- und Marktanalyse
bei Freunden und/ oder in der Familie      Schon vor der Corona-Krise war mit
durchführen, um herauszufinden, wel-       Bezug auf die Byod-Didaktik (Böttcher
ches neue Produkt bzw. welche Dienst-      2015:10) der Einsatz von digitalen
leistung in der Pandemiezeit nützlich      Medien und insbesondere der von
sein kann. Auf diesen Daten aufbauend,     mobilen Endgeräten der Lernenden
soll (b) das Portrait eines zu gründen-    im Fremdsprachenunterricht diskutiert
den Unternehmens entworfen werden,         und auch partiell realisiert worden.
das in der Lage ist, eine entsprechende    Die Verzahnung von Online-Phasen
Realisation der Idee zu übernehmen.        mit dem Präsenz-Sprachunterricht
Zu diesem Zweck wird ein Unterneh-         wurde dabei als wichtiger Erfolgsfak-
mensporträt erstellt, das zur Vorberei-    tor proklamiert: Digitale und analoge
tung einer Unternehmensgründung            Komponenten des Fremdsprachen-
dienen soll.                               unterrichts sollten sinnvoll verknüpft
                                           werden (Pfeil 2015:30-31). Vor diesem
Perspektiven der Lehrenden                 Hintergrund war es mit Beginn der
Eine wesentliche lehrbezogene Heraus-      Corona-Zeit ein zentrales Anliegen der
forderung bestand darin, individuelle      Umstellung auf digitales Lernen, ein
Lernprozesse im „Homeschooling“ der        Gleichgewicht zwischen asychronen
Lernenden mit den formalen/curri-          und synchronen Aktivitäten anzustre-
cularen Unterrichtsanforderungen in        ben. Asynchrones Lernen wurde mit
Einklang zu bringen. Als zielführend       der Bearbeitung von Aufgaben außer-
hat es sich dabei erwiesen, die Interes-   halb von synchronen Zoom-Meetings
sen und die Bedürfnisse der Lernenden      (Fotografieren, Texte verfassen u. a.)
in die Lehrplanung zu integrieren. Die     realisiert, synchrones durch die Treffen
Möglichkeit der Mitbestimmung der          im virtuellen Konferenzraum. Wesent-
Lernenden in den verschiedenen Phasen      liches Ziel war es, die Selbstlernphasen
der Modularbeiten hat sowohl zwischen      mit synchronen Unterrichtsstunden

                                                                               109
zu kombinieren, sodass − ganz im               optimal beobachtet und entsprechend
Sinne des „flipped classrooms“ − der im        spontan thematisiert werden. (Um
Selbstlernprozess vorbereitete Stoff in        Frust zu vermeiden, hat sich die Ein-
Videokonferenzen eingehend diskutiert          führung eines Gruppenlerntagebuch
werden konnte. Bei den beschriebenen           zum Zweck der Selbstreflexion als hilf-
Erfahrungen ist das regelmäßige Treffen        reich erwiesen.)
im digitalen Klassenraum sehr wichtig
                                               • Was aus Sicht der Lehrenden vor
gewesen: Das hat den Lernenden ein
                                               allem gefehlt hat, sind die gegenüber
Gefühl der Sicherheit vermittelt. Der
                                               Präsenzunterricht beschränkteren
kontinuierliche Face-to-face-Kontakt
                                               Möglichkeiten, Humor und Spontani-
mit den Lernenden oder mit der ganzen
                                               tät zu realisieren. Gerade Humor schafft
Klasse, war auch für den Lehrenden
                                               jedoch in unserem Gehirn neue Netz-
wichtig um regelmäßige Lernstandkon-
                                               werke, das Lachen wirkt ansteckend
trollen durchzuführen, die intrinsische
                                               und schafft Gemeinsamkeit und Nähe
Motivation der Lernenden intensiver
                                               (entsprechend der Fragebogen-Umfrage
zu fördern und vor allem die Schüler/
                                               haben auch aus diesem Grund zwei
innen zu ermutigen.
                                               Drittel der Lernenden den Präsenz-
Den Lernenden gegenüber wurde die
                                               unterricht vermisst).
Notwendigkeit didaktisch-methodi-
scher Veränderungen transparent unter          • Ein häufig beobachteter Fehler
dem Titel der Erprobung einer „Didak-          vieler Lehrer/innen hat zweifellos darin
tik auf Distanz“ kommuniziert.                 bestanden, die Methoden des Präsenz-
Als „lessons learned“ mit Optimie-             unterrichts einfach auf den digitalen zu
rungspotential für künftigen digitalen/        übertragen. Eine Konsequenz war, dass
virtuellen Unterricht lassen sich die          virtuelle Unterrichtsphasen nicht statt-
folgenden Aspekte festhalten:                  fanden und man sich auf die Verteilung
                                               von Links, Erklärvideos oder Aufga-
• Die Phasen des Ideenaustausches,
                                               benblätter zum Selbstlernen beschränkt
der Kooperation in der Gruppe, des
                                               hat – zu Ungunsten möglicher Schüler-
Miteinander- und Voneinander-Lernens
                                               interaktionen.
konnten zeitweise nicht intensiv genug
verfolgt werden. Ursachen waren z. B.          • Leistungsbewertungen erweisen
Zeitgründe, technische Gründe oder             sich in digitalen Lernumgebungen als
auch Vorgaben der Schulordnung (man            komplex, vor allem weil die Ganzheit-
durfte nicht zu viele synchrone Treffen        lichkeit des Lernprozesses schwerer
organisieren, um die Schüler/innen             evaluierbar ist als im Präsenzunterricht.
nicht zu überfordern).                         Ganz besonders betrifft dies die Bewer-
• Aufgrund der Komplexität und                 tung der individuellen Leistungen im
sozialen Isolation der Lernprozesse            Rahmen von Gruppenarbeiten. Eine
wurde den individuellen Beiträgen              angemessene Lösung könnte darin
der einzelnen SchülerInnen in ihrer            bestehen, Noten durch Kommentare zu
kooperativen Arbeit nicht immer                ersetzen, was aber aus institutionellen
genügend Aufmerksamkeit geschenkt.             Gründen nicht möglich war.

• Wie Konflikte unter den Lernenden            • Wichtig ist es, mit den Lernenden
motiviert waren und auf welche Weise           klare Nutzungsregeln der Medien zu
sie überwunden wurden, ist im Detail           vereinbaren, um eine Eigendynamik der
weniger nachvollziehbar gewesen als im         digitalen Aktivitäten zu vermeiden.
konventionellen Präsenzunterricht.             • Zentralen Stellenwert hat die Ko-
• Non- und paraverbales Verhal-                operationsbereitschaft der Lehrenden
ten (Mimik, Gestik, Körperhaltung,             untereinander, um fächerübergreifendes
Körperbewegungen) als Indikator für            Lernen in effektiver Weise zu ermögli-
schwelende soziale Spannungen kann             chen.
im virtuellen/ digitalen Unterricht nicht

 110            interculture j our na l 19/33 (2 0 2 0 )
Falls das nächste Schuljahr wieder on-        Das kooperative Arbeiten hat seiner-
line abgehalten werden müsste, wäre es        seits dazu beigetragen, Motivation zu
sinnvoll, mit einer Reform des Lehr-/         fördern:
Lernplans zu beginnen, wobei die ex-          Die Präsentation mit den Fensterbli-
plizit ausgedrückten Bedürfnisse und          cken hat mir so gut gefallen, dass ich sie
Erwartungen der Lerner sehr ernst ge-         meinen Eltern gezeigt habe. (Elisa,
nommen werden sollten.                        Lernszenario 1)
Perspektiven der Lernenden                    Ich freue mich über das Endprodukt, weil
Die Perspektiven der Lernenden auf die        wir es geschafft haben, aus dem Nichts ein
digitalen und virtuellen Unterrichtser-       Unternehmen zu „gründen“. (Milagros,
fahrungen wurden zum Abschluss der            Lernszenario 2)
Bearbeitung der Lernmodule mithilfe           Bemerkenswert ist dabei, dass die
eines Fragebogens ermittelt und im            Motiviertheit der Lernenden über den
Rahmen einer synchronen Zoom-                 unmittelbaren „classroom discourse“
Diskussion in Videokonferenz mit den          hinausgeht und letztlich zu kollabora-
Schüler/innen diskutiert.                     tiver Projektarbeit und damit zu einem
Besonders aufschlussreich sind dabei          weiterführenden, qualitativ neuen
die freien Äußerungen zum Gesamt-             Lernszenario außerhalb des unmittelba-
eindruck und zu den Erfahrungen der           ren Schulbereichs anregt:
SchülerInnen und Schüler in Bezug auf
die digitale und virtuelle Umstellung         Es wäre echt schön, wenn unser Produkt
des Unterrichts.                              in der Wirklichkeit hergestellt werden
Den Zitaten der Schüler/innen lässt           könnte. (Andriana, Lernszenario 2)
sich entnehmen, dass vor allem der            Räumliche und zeitliche Flexibilität
Aspekt der Kooperation untereinander          des E-Learnings stellen zweifellos einen
sehr stark wertgeschätzt worden ist:          erheblichen Mehrwert für die Lernen-
Jeder von uns musste das Projekt funkti-      den dar. Sie können dabei ihrem indivi-
onieren lassen. Wir haben uns geholfen        duellen Lerntempo Rechnung tragen:
und die Präsentation der verschiedenen        Wir hatten keine Eile, wie es oft im
Landschaften ist sehr schön geworden.         Präsenzunterricht geschieht. (Martina,
(Martina, Lernszenario 1)                     Lernszenario 1)
Jeder von uns hat sein Bestes getan! Ich      Bei dieser Arbeit, wie bei der ganzen Er-
war sehr neugierig, als unsere Lehrerin       fahrung „Didaktik auf Distanz“ ist sehr
uns die deutschen Fotos angekündigt           schön gewesen, dass ich den Lernstoff nach
hatte. (Chiara, Lernszenario 1)               meinem Lerntempo bearbeiten konnte.
                                              (Giulia, Lernszenario 1)
Das Wichtigste ist die Kooperation mit
meinen Schulkameraden gewesen (Laura,         Gleichzeitig bewirkt die veränderte
Lernszenario 1)                               räumliche Situation auch, dass Ler-
                                              nergebnisse wie etwa die Fotos und
Wir haben viel diskutiert, vor allem als
                                              Präsentationen auch nach der eigentli-
wir das Logo erfinden wollten. (Martina,
                                              chen Unterrichtsstunde noch einsehbar
Lernszenario 2)
                                              waren und eine größere Transparenz der
Ich fand super gut, dass es meine             Arbeiten der Mitschüler ermöglichten,
Schulkameraden auch in der Quaran-            als es im Präsenzunterricht in der Regel
täne-Zeit geschafft haben, die Gruppen-       der Fall ist:
arbeit so zu organisieren, als ob wir
                                              Da wir alle unsere Fotos in der Gruppe
in der Normalität wären; wir haben
                                              geteilt haben, waren wir alle sehr aktiv
eine neue Art Schülerbeziehung auf
                                              (Giulia, Lernszenario 1)
Distanz kreiert. Ich bin darauf sehr stolz!
(Alessia, Lernszenario 2)

                                                                                     111
Dies setzt ein nicht unerhebliches Maß            Ich habe viele Wörter gelernt. Das
an Selbstorganisation voraus, das                autonome Suchen der Wörter im Online-
seinerseits wiederum wesentlich durch            Lexikon, hat mir erlaubt, die neuen
digitale Medien, insbesondere Social             Vokabeln besser im Kopf zu behalten.
Media, unterstützt worden ist:                   (Martina, Lernszenario 1)
 Wir haben uns durch Whats-                      Wir haben aktiv gelernt. Die Tatsache,
App und Telefon gut organisiert.                 dass wir die Materialien allein suchen
(Iris, Lernszenario 1)                           sollten, hat uns gezwungen, viele Wörter
                                                 zu lernen. (Greta, Lernszenario 2)
Wir haben eine Gruppe auf Whats-
App gebildet, nur für unser Team,                Interessanterweise wird Lernerautono-
so dass jeder, der eine Idee hatte, sie          mie von den Lernenden strukturprozes-
sofort mit der Gruppe teilen konnte.             sual verstanden. Also „so viel Freiheit
(Greta, Lernszenario 2)                          wie möglich“, aber auch „so viel Anlei-
                                                 tung und Steuerung wie nötig“:
Dass Selbstorganisation und Lerndif-
ferenzierung in einem engen Zusam-                Es war gut, dass jede/r SchülerIn im
menhang stehen, wurde vor allem von              Zweifelsfall die Lehrerin zu jeder Zeit
den älteren SchülerInnen bemerkt:                durch WhatsApp kontaktieren durfte.
                                                 (Giosuè, Lernszenario 1)
Ich habe mich vor allem um die tech-
nischen und grafischen Aspekte der                Wir wussten, dass wir in jedem Moment
Präsentation gekümmert.                          die Lehrerin um Hilfe bitten konnten,
(Dorin, Lernszenario 2)                          aber zuerst wollten wir allein die Proble-
                                                 me lösen. (Greta, Lernszenario 2)
Ich habe wenig Fantasie gehabt, aber
ich glaube, ich habe bei der Suche der            Am Ende finde ich gut, dass die Leh-
besten Dias-Progression sehr geholfen.           rerin die Richtlinien erklärt hat und
(Andriana, Lernszenario 2)                       uns dann „allein” gelassen hat. Wir
                                                 haben auf diese Weise richtig autonom
Genauso wie die Erfahrung, dass durch            gelernt, ohne immer die Lehrerin um
Lerndifferenzierung Synergien entdeckt           Hilfe zu bitten. Auch bei Konflikten.
und in anschließender Teamarbeit reali-          (Laura, Lernszenario 2)
siert werden können:
                                                  Ich fand es gut, dass wir die Bewertungs-
Ich habe das Gefühl, dass ich                    kriterien für unser Firmenporträt zu-
erst jetzt gelernt habe, in einer                sammen mit der Lehrerin erstellt haben.
Gruppe zu arbeiten. Zuerst haben wir             (Raffaele, Lernszenario 2)
allein gearbeitet, erst dann zusammen.
(Martina, Lernszenario 2)                        Dementsprechend werden die Lehren-
                                                 den beim digitalen Unterricht nicht
Was die menschlichen Aspekte betrifft,           überflüssig – im Gegenteil: sie werden
war diese Arbeit für mich sehr wichtig,          als Moderatoren des Unterrichtsge-
weil ich gelernt habe, in der Gruppe zu          schehens verstärkt gefordert (Schneider
arbeiten, Kompromisse zu finden und              2005:42). Die Lernenden werden auf
Kritiken zu akzeptieren. Alles wichti-           diese Weise in der Selbststeuerung ih-
ge Aspekte in der Berufswelt. (Greta,            rer Lernprozesse unterstützt (Bimmel/
Lernszenario 2)                                  Rampillon 2000:55).
Die in der Aussage enthaltene Selbst-            Virtuelle Moderation besteht in
bewertung referiert auf die durch den            Unterrichtskontexten vor allem darin,
„neuen“ Unterricht gegebene Möglich-             den Lernprozess im Sinne einer mehr
keit autonomen Lernens und wird von              oder minder unsichtbaren Regie zu be-
MitschülerInnen durch deren Erfahrun-            gleiten und ein offenes und konstrukti-
gen bestätigt:                                   ves Arbeitsklima zu gewährleisten. Auch
                                                 der Mangel an sozialer Präsenz vermag
                                                 auf diese Weise zumindest partiell
                                                 kompensiert zu werden:

  112             interculture j our na l 19/33 (2 0 2 0 )
während einer Videokonferenz oder
 Die Beziehung zu der Lehrerin war
                                            auch die Tatsache, dass man in Video-
sehr gut; ich habe mich gefreut, dass sie
                                            konferenzen aufgrund der Stumm-
auch die Fotos von ihren Fenstern in die
                                            schaltung der Mikrofone nicht spontan
Präsentation eingeführt hat! Wir haben
                                            reagieren konnte und stattdessen auf die
uns deswegen näher gefühlt. (Christian,
                                            Chatfunktion ausweichen musste.
Lernszenario 1)
Ich fand gut, dass die Lehrerin uns oft     Thematisiert wurde auch die als zu
Mut gemacht hat. Auch durch Emoticons.      umfangreich empfundene Menge an zu
Ich fand toll, dass die Lehrerin uns das    bearbeitendem Lernstoff sowie an tech-
virtuelle Abendessen vorgeschlagen hat,     nischen Informationen und Videoanlei-
um das Schulende zusammen zu feiern.        tungen. Das Feedback der Lernenden
(Alessia, Lernszenario 2)                   belegt, dass sie sich zeitweise überfor-
                                            dert gefühlt haben:
Grundsätzlich denkbar wäre sicherlich
eine gezieltere Entwicklung inter-          Wir haben eine schwierige Zeit erlebt:
kultureller Kompetenz der Lernen-           Alle Lehrer waren sehr anspruchsvoll und
den. Durch den Deutschland-Bezug            haben von uns sehr viel verlangt. Das war
der beiden Lernszenarien waren die          ein ständiges Verschicken von Aufgaben
Bedingungen dafür gegeben, wobei die        und Tests. (Alessia, Lernszenario 2).
SchülerInnen gerne einen direkten Aus-      Die Angst vor dem Scheitern und der
tausch mit deutschen Klassen gehabt         Druck seitens einiger Lehrer/innen
hätten:                                     haben auch eine Flucht vor digitalem
Was mir sehr gefehlt hat, ist zu wissen,    Distanzunterricht von Lernenden ver-
was die Deutschen über unsere Fensterbli-   ursacht, die geflohen sind und haben
cke denken. (Elisa, Lernszenario 1)         gar nicht an den verschiedenen Online-
Ich habe verstanden welche Gefühle mei-     Aktivitäten teilgenommen haben. Das
ne Schulkameraden beim Fensterschauen       Aufgeben von einer Mitschülerin hat
haben, und habe Hypothesen gemacht          eine große Leere und ein Gefühl der
über Leute aus anderen Kulturen. (Carlo,    Traurigkeit hinterlassen.
Lernszenario 1)                             Ausblick
Erstrebenswert, aufgrund der doch eher      Es ist deutlich geworden, dass die
disruptiven Veränderung des Schulall-       sehr disruptiv erfolge Umstellung auf
tags in der Corona-Zeit jedoch auf die      virtuellen/digitalen Unterricht in den
Schnelle nicht umsetzbar, wäre eine         beschriebenen Lernszenarien eine große
länderübergreifende digitale und virtu-     Herausforderungen für alle Beteilig-
elle Vernetzung zwischen italienischen      ten, Lehrende wie Lernende und nicht
und deutschen Schulen.                      zuletzt auch für die Schule als Organi-
Problemperspektiven                         sation, dargestellt hat.

Allerdings dokumentieren die Ant-           Bei allen Belastungen, die mit den
worten der Lernenden durchaus auch          Online-Aktivitäten im „Corona“-
negative Erfahrungen mit der Umstel-        Unterricht verbunden gewesen sind,
lung auf digitales und virtuelles Lernen.   lässt sich jedoch zweifelsfrei festhalten,
In erster Linie betrafen sie soziale        dass schulische Didaktik einen großen
Distanzerfahrungen, wobei die Gebor-        Entwicklungssprung gemacht hat.
genheit des Präsenzunterrichts auch in
                                            Hieran soll man anknüpfen und die
Bezug auf das Verhalten der Lehrenden
                                            positiven Ergebnisse wie beispielsweise
am meisten vermisst wurde.
                                            stärkere Schülerzentriertheit, kollabo-
Unsicherheitssituationen sind vor allem     ratives Arbeiten, vielschichtigere Inter-
im Kontext technischer Störungen auf-       aktion sowie projektorientiertes Arbei-
getreten. Hierzu zählten zum Beispiel       ten ausbauen, unabhängig davon, ob
die Unterbrechung der Verbindung            virtuelles/digitales Arbeiten aufgrund

                                                                                  113
fortdauernder Pandemieszenarien                 Karagiannaki, E. / Wicke, R. (2013):
unumgänglich ist oder auf freiwilliger          Kreative Arbeitsformen im Deutschun-
Basis erfolgt. Ideal wäre es im Sinne           terricht. In: Fremdsprache Deutsch 49,
eines „Blended Learning“ analoge und            S. 3-10.
digitale, Präsenz- und Onlinelehre auch         Mittler, A. (2015): Synchron online ler-
im Schulunterricht zu verzahnen –               nen und unterrichten. In: Fremdsprache
nicht zuletzt auch, um die Medienkom-           Deutsch 53, S. 52-56.
petenz als „Lebenskompetenzen“ der              Pfeil, A. (2015): Verzahnung als Schlüs-
Beteiligten zu stärken.                         sel für erfolgreichen Unterricht mit
Auf einer solchen Grundlage kann dann           digitalen Medien. In: Fremdsprache
auch der Schritt in grenzüberschreiten-         Deutsch 53, S. 29-39.
des virtuelles Lernen vollzogen werden
– beispielsweise im Rahmen der Durch-           Reisenleutner, S. (2015): Hybride
führung virtueller mehrsprachiger und           Lernszenarien. In: Fremdsprache Deutsch
gleichzeitig interkultureller Projekte.         53, S. 40-45.

Literatur                                       Rösler, D. (2010): Blended Learning im
                                                Fremdsprachenunterricht. In: Fremd-
Bimmel, P. / Rampillon, U. (2000):              sprache Deutsch 42, S. 5-11.
Lernerautonomie und Lernstrategien,
                                                Schneider, S. (2005): Sprachlernende
In: Fernstudieneinheit Langenscheidt 23,
                                                digital betreuen – Herausforderung für
S. 22-55.
                                                Lehrkräfte. In: Fremdsprache Deutsch
Bolten, J. (2018): Einführung in die in-        33, S. 42-46.
terkulturelle Wirtschaftskommunikation,
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 114             interculture j our na l 19/33 (2 0 2 0 )
115
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