Digitales Lernen und interreligiöse Kompetenz - Verortungen im Handlungsfeld Schule - Ein Projekt im hessischen Weiterbildungspakt 2017-2020 - KEB ...
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Dokumentation Digitales Lernen und interreligiöse Kompetenz Verortungen im Handlungsfeld Schule Ein Projekt im hessischen Weiterbildungspakt 2017–2020
Impressum Herausgeber Katholische Erwachsenenbildung Hessen Landesarbeitsgemeinschaft e. V. (KEB Hessen) Domplatz 3 60 311 Frankfurt/Main Gefördert aus den Mitteln Tel.: 069 80 08 71 84 63 des Landes Hessen im E-Mail: info@keb-hessen.de Weiterbildungspakt 2017–2020 www.keb-hessen.de Redaktion Dr. Frank van der Velden KEB Hessen e. V. Domplatz 3 60 311 Frankfurt/Main Satz/Layout meinhardt Verlag und Agentur Titelfoto © A. Krumpholz
Grußwort Liebe Leserin, lieber Leser, Weiterbildung als ein Teil lebensbegleitenden Lernens ist eine zentrale Antwort auf die tiefgreifenden technologischen, sozialen, wirtschaftlichen und demographischen Verände- rungen der Gesellschaft. Zur Stärkung der Weiterbildung und des lebensbegleitenden Lernens hat die Hessische Landes- regierung deshalb mit den öffentlichen und freien Trägern der Weiterbildung den Weiterbildungspakt für die Jahre 2017 bis 2020 geschlossen. Dieser setzt sich in Kapitel II, Absatz 2 (Integration, Inklusion, Teilhabe und Chancengerechtigkeit fördern) die Förderung interkultureller Kompetenzen zu sei- nen Zielen. In den Handlungsfeldern (Kapitel III, Absatz 2) dieses Zielbereiches wird ausdrücklich auch die Förderung der interreligiösen Kompetenz zur Stärkung resilienten Ver- haltens bei Konfliktprävention und Konfliktlösungen benannt. Die katholische Erwachsenenbildung Hessen e. V. hat dieses im Kontext von Migration und Flucht hochaktuelle Thema bereits seit dem Jahr 2015 über mehrere Hessencampus-Pro- jekte aufgenommen. Im Rahmen des Weiterbildungspaktes wendet sie sich nun den Begegnungsbereichen von ehren- amtlich Engagierten und Multiplikatoren mit professionell Helfenden im Handlungsfeld Schule zu. Aufgrund der coronabedingten Einschränkungen im Bericht- zeitraum mussten für die geplanten Projektteile zusätzlich hybride oder rein digitale Formate erarbeitet werden. Dass dies gelingen konnte, zeigt das Veränderungsbewusstsein und das Innovationspotenzial der an diesen Projekten in der Erwachsenenbildung beteiligten Kooperationsgemeinschaft. So wurden den beteiligten Einrichtungen neue Netzwerke und neue Kommunikationswege eröffnet und die Kompe- tenzvermittlung im Verbund erprobt. Die KEB Hessen ist stolz, für dieses wichtige Thema interreli- giöser gesellschaftlicher Bildung in den vergangenen Jahren eine Plattform aufgebaut zu haben, auf der Kompetenzgrup- pen von qualifizierten Fachleuten sich mit ehrenamtlichen und professionellen Mitarbeiter*innen über Bedarfe und Stan- dards solcher Qualifizierungsmaßnahmen austauschen und diese weiterentwickeln können. Wir danken besonders dem hessischen Kultusministerium für die finanzielle Förderung. Johannes Oberbandscheid Vorsitzender der Katholischen Erwachsenenbildung Hessen 5
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Seite 7 Interreligiös sensible Arbeit im schulischen Handlungsfeld. Projektbericht (Berichtzeitraum 2020) Frank van der Velden Kapitel 2 Seite 13 Digitale Bildung und interreligiöse Kompetenz Frank van der Velden (Nachdruck aus Eulenfisch 25/2020) Kapitel 3 Seite 16 »Saints of Color« rassismuskritisch reflektiert. Digitaler Kompetenzerwerb interreligiös Frank van der Velden Kapitel 4 Seite 19 Alternative Lernorte und interaktive Lernarten: Der »Digitale interreligiöse Advents-Salon« Frank van der Velden/Lisa Thielsch Kapitel 5 Seite 23 Zusatzqualifikation »Religiöse Diversität in der sozialen Arbeit«. Nachhaltige Wirkung unseres Jahresprojekts 2019 Frank van der Velden
© v. l. n. r. Fayum-Bildnis/Britishmuseum – Public Domain | Frank van der Velden | Wikimedia Creative Commons/JoJan/Public domain | Banana Stock Kapitel 1 Interreligiös sensible Arbeit im schulischen Handlungsfeld Autor: Frank van der Velden Projektbericht (Berichtzeitraum 2020) Das Projekt 2020 der Katholischen Erwachsenenbil- öser Menschen zur Stärkung von Resilienz sowie in dung Hessen e. V. im hessischen Weiterbildungspakt der Konfliktprävention und bei der Problemlösung wurde gemeinsam mit Professor Dr. Harry Harun Behr, zu aktivieren.« Dieses Entwicklungsziel des hessischen Professurinhaber für Erziehungswissenschaft mit Weiterbildungspakts für die Jahre 2017 bis 2020 (Ka- Schwerpunkt Islamische Religionspädagogik und pitel III, Absatz 2) gilt für das schulische Handlungsfeld Fachdidaktik des Islamischen Religionsunterrichts an insgesamt, wo der Plural der Religionen und Kulturen der Goethe Universität Frankfurt am Main durchge- längst der Normalfall geworden ist. Es verlangt nicht führt. nur von den professionell Betreuenden, sondern auch von ehrenamtlich Helfenden, von Eltern und von den Schüler*innen selbst den Erwerb spezifischer Kom- Ausgangslage petenzen, um in kulturell und religiös gemischten Lerngruppen, Kollegien etc. Bedarfe und Möglichkei- »Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftli- ten zu erkennen und diese in eine teamfähige Situa- chen Entwicklung steigt die Bedeutung nicht nur der tion kooperativen Lebens und Lernens zu inkludieren. interkulturellen, sondern auch der interreligiösen Kompetenz für die Arbeit in Bildungseinrichtungen In Richtung dieser Bedarfe sollte unser Projekt für und sozialen Institutionen. Im Rahmen des Weiter- den Berichtzeitraum 2020 – über eine Fachtagung bildungspaktes sollen entsprechende Fortbildungen und einen praxisrelevanten Seminarkurs – für den etabliert werden mit dem Ziel, die Potentiale religi- Lernort (offene) Schule, mit Schwerpunkt auf der 7
Kooperation von Haupt- und Ehrenamtlichen bzw. der Planung und Ablauf des offenen Elternarbeit, ein Konzept für Fort- und Wei- dritten Projektteils (2020) terbildungen im interreligiösen Handlungsfeld ent- wickeln. Zielgruppen waren entsprechend die haupt- Zur Durchführung der einzelnen Arbeitspakete über- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden in Schulen und nahm Dr. Frank van der Velden, Studienleiter interreli- sonstigen Bildungseinrichtungen, dazu die Eltern giöse Bildung der KEB Hessen e. V. die Projektleitung, schulpflichtiger Kinder. Die Zielgruppen sollten glei- das Verfassen und die Endredaktion von wissenschaft- chermaßen in Einrichtungen kirchlicher, kommunaler lichen Beiträgen zur Projektdokumentation sowie die oder sonstiger freier Träger angesprochen werden. Koordination der Projektpartner in Teilzeit. Dem Projekt wurde weiter in Teilzeit mit Sabine Tomasko eine Re- Das Corona-Jahr 2020 stellte jedoch alle Konzepte für ferentin für die wissenschaftliche Projektbetreuung Fortbildungen in Schulen und mit Lehrer*innen grund- und die Unterstützung der Aufgaben des Studienleiters sätzlich infrage. Ein Präsenzbetrieb von Fortbildungen zugeordnet. Zur selbständigen Mitarbeit bei der Er- und Fachtagungen war entweder gar nicht möglich, stellung des Fortbildungsdesigns, zur Planung und oder die Kolleg*innen erhielten aufgrund der Hygi- Durchführung der Qualifizierungsmaßnahmen, zur enerichtlinien keine Erlaubnis zur Teilnahme. Interre- Referenteneinwerbung, Kommunikationsabwicklung, ligiöse Kompetenzvermittlung im Handlungsfeld Materialerstellung und Lektorat der Veröffentlichungen Schule bedeutete in Zeiten der Pandemie daher, dass wurde als Koordinatorin Lisa Thielsch auf Honorarbasis erst einmal die Bedarfe unter Corona-Bedingungen in Teilzeit eingestellt. Dabei war die im Rahmen des neu bestimmt und hernach die Grundsätze einer gu- Projektes durch dieses Team geleistete Arbeit von den ten hybriden oder digitalen Lehre gefunden und durch das HWBG geförderten Maßnahmen des Zuwen- diskutiert werden mussten. Die volatile Entwicklung dungsempfängers KEB Hessen e. V. deutlich abgegrenzt. und die regional unterschiedlichen Interpretationen von Hygienevorschriften veränderten dabei die Pla- nungsmöglichkeiten im Berichtzeitraum mehrfach Planung und Absage der Fachkonferenz grundlegend. So legten wir im Sommer 2020 Planun- gen für hybride Veranstaltungsformate im Rahmen Wie geplant wurden die Abteilungsleitung Religions- unseres Projektes auf, die wir im Spätherbst des glei- pädagogik im Bistum Limburg, das Fachreferat Isla- chen Jahres in dieser Form nicht mehr durchführen mischer Religionsunterricht im hessischen Kultusmi- durften. Insofern dokumentiert die folgende Beschrei- nisterium und Sebastian Lindner vom Pädagogischen bung von sich ändernden Planungen und Abläufen Zentrum der Bistümer in Hessen für eine Kooperation unsere kontinuierliche Suche nach alternativen Durch- bei der vorgesehenen Fachtagung angesprochen. führungsmöglichkeiten in einem schwierigen Jahr. Diese Planungen stoppten jedoch mit Beginn des ersten coronabedingten Lockdowns Anfang März 2020. Der Termin der Fachkonferenz war bereits auf den 20./21. Juni 2021 im Tagungshaus des Bistums © A. Krumpholz Limburg in Wiesbaden-Naurod festgelegt worden – in der Hoffnung, dass dort im Frühsommer eine Prä- senzveranstaltung wieder möglich wäre. Diese Hoff- nung zerschlug sich durch die im Frühjahr 2020 schnell wechselnden Hygienevorschriften des Landes und durch betriebsbedingte Regularien. Letztendlich ka- men die Kooperationspartner*innen überein, dass aufgrund der allgemein herrschenden Unsicherheit eine sinnvolle Ausschreibung der Fachkonferenz nicht möglich sei. Neben Unsicherheiten bzgl. der Anreise der Referent*innen war auch kein sicherer Anmel- destand von Teilnehmenden zu erwarten. Die Sache wurde daher auf den Spätherbst verschoben, in der Gewissheit, dass damit der Wechsel auf ein digitales Format – also auch auf ein anderes Setting der Ver- anstaltung - verbunden sein müsse. Zwei digitale Zusatzveranstaltungen Als Ersatz für die ausgefallene Fachkonferenz wurden im Herbst 2020 zwei zusätzliche digitale Fachveran- staltungen geplant und durchgeführt, die in den folgenden Artikeln dieser Broschüre näher beschrie- ben werden. Es handelt sich um die Fachveranstaltung 8
Im Rahmen der Datum Universität (FB) Feedback durch TN Veranstaltung … Q+-Programm »Religion 27. 10. 2020 JGU Mainz (Kath. Prof. Dr. Stefan betrifft! Kompetenz im 17 6. 11. 2020 Religionspädagogik Altmeyer Umgang mit Religionen« PH Heidelberg (Kath. Seminar »50 Jahre interreligiö- Prof. Dr. Katja Boehme 2. 12. 2020 25 Religionspädagogik) ses Lernen – ein Überblick« Dr. Regine Oberle Goethe-Universität Seminar »Interreligiöse 7. 12. 2020 Frankfurt (Rel.päd. Kompetenz in der Lehrer* Jette van der Velden 25 mit Schwerpunkt innenbildung« MA, Lehrbeauftragte Islam) JLU Gießen (islam. Prof. Dr. Sarikaya 13. 1. 2020 Doktorandenkolloquium 8 Religionspädagogik) Prof. Dr. Naime Cakir Universität Tübingen Vorlesung »Islamische 27. 1. 2021 (Islam. Religions Prof. Dr. Fahimah Ulfat 15 Religionspädagogik« pädagogik) Université de CAS »Pastoral in den Prof. Dr. Salvatore 1. 2. 2021 Fribourg/CH (Kath. Kontexten menschlicher 7 Loiero Pastoraltheologie) Mobilität und Migration« Sechs Durch An sechs Universitä- Acht Forscher*innen 97 TN führungen ten in D und CH »Digitaler interreligiöser Advents-Salon«, die am raum geplanten Seminarkurses hätte integriert wer- 17. 12. 2020 mit über 50 Teilnehmenden durchgeführt den sollte. Um dies zu kompensieren, wurden im Juni wurde und um das digitale Good-Practice-Beispiel 2020 drei qualitative Interviews (Lehrerin/Eltern/ interreligiöser digitaler Didaktik »Saints of Color«. Die- Schülerin) durchgeführt. In diesen Interviews wurden ses digitale Format zum rassismuskritischen und reli- fachdidaktische Probleme mit dem digitalen Unter- gionssensiblen Umgang mit kultureller und religiöser richt (im interreligiösen Handlungsfeld) erhoben und Vielfalt in Deutschland wurde von September 2020 bis diese anschließend gemeinsam mit den Kooperati- Februar 2021 an sechs verschiedenen universitären onspartner*innen ausgewertet. Ab Juli 2020 flossen Standorten in der Lehrer*innenausbildung eingesetzt zusätzlich Daten aus Umfragen zur digitalen Lehre und erhielt ein Feedback von fast 100 Teilnehmer* im Sommersester 2020 an der katholisch-theologi- innen und von acht Wissenschaftler*innen. (s. Tabelle) schen Fakultät der JGU Mainz ein, sowie aus der Ver- Technisch möglich wurde die Durchführung dieser öffentlichung einer bundesweiten Elternbefragung beiden, mit vielen interaktiven Elementen gestalteten während des Lockdowns von Prof. Dr. Anja Wildemann Zusatzveranstaltungen, durch den Einsatz einer digitalen (Universität Koblenz-Landau). Auf dieser Grundlage Flipchart, welche über die Projektmittel angeschafft konnte eine kompetenzorientierte Reflexion digitaler werden konnte. Lehr- und Lernprozesse unternommen werden, deren Ergebnisse in Form eines Fachartikels publiziert wur- den. In dieser Broschüre erfolgt die Zweitveröffent- Aufstellung des Seminarkurses lichung des Artikels mit freundlicher Genehmigung des Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Noch im Juli wurde der geplante Seminarkurs gemäß Bildung. den geltenden Hygienevorschriften als eine Reihe von Hybrid-Veranstaltungen aufgestellt, die digitale In dieser Situation entstand ein Seminarkurs, der Module mit Begegnungen in kleinen Gruppen kom- eine Standortbestimmung der digitalen interreligi- binierten. Allerdings fehlte nun das Ergebnis der ösen Kompetenzvermittlung unter Einschluss inter- Fachtagung, welches ja ausgewertet, kurrikular re- aktiver Methoden vornahm. Der Seminarkurs wurde flektiert und in das Konzept des für den Berichtszeit- als Hybrid-Veranstaltung aufgestellt und behandelte 9
im Rahmen des interreligiösen Handlungsfelds u. a. Erklärvideos als Teil digitalen Lernens das aktuelle Thema des digitalen Homeschoolings. Modul 2 | Freitag, 30. 10. 2020, 16.00 – 17.30 Uhr Der Kurs mit dem Titel »Interreligiöse Kompetenz- vermittlung in Zeiten der Pandemie« und einem Referentin: Judith Uebing, Köln Workload von 16 Unterrichtsstunden wurde in der Folge in der Zielgruppe von haupt- und ehrenamt- Erklärvideos im Internet stehen derzeit bei Lernenden lichen Pädagog*innen und Multiplikator*innen be- hoch im Kurs. In Modul 2 des Seminarkurses wird worben. diese Möglichkeit, ein breites Publikum durch kurze erklärende Videos zu erreichen, untersucht und hin- terfragt. Welche Möglichkeiten ergeben sich hier für Programm des Seminarkurses den interreligiösen Kompetenzerwerb? Das Erklärvi- deo wird an einem Beispiel als Quelle und als Medium Der Seminarkurs »Interreligiöse Kompetenzvermitt- zur Vermittlung eingeführt und eine Methodik zur lung in Zeiten der Pandemie« ist auf vier Module Analyse vorgestellt, anhand derer die nötigen Kom- angelegt (Flyer s. Abb.) Als Hybrid-Veranstaltung hat petenzen für einen Umgang mit Erklärvideos veran- er folgende methodische Zielsetzung: schaulicht werden, wie sie für wissenschaftliches Bildung ist mehr als Wissenserwerb, es ist auch Arbeiten erforderlich sind. Was macht ein digitaler ein Lernen in Gemeinschaft. Unterricht über und mit Erklärvideos im Kompeten- In Hybrid-Veranstaltungen kommt diese Seite zerwerb? Welche Kompetenzen können diese Videos häufig zu kurz, denn die gegenseitige Wahrneh- bilden, wie müssen sie eingebettet sein und wie mung, Kommunikation und gemeinsame Dis- komme ich als Subjekt zu einer vernünftigen, reflek- kussion hybrider Gruppen ist gegenüber Prä- tierten Meinungsbildung? senzformaten erschwert. Der Seminarkurs soll dieses Problem durch eine stärkere Interaktivität im digitalen Format ange- Interreligiöses Lernen begegnungslos? hen. Modul 3 | Freitag, 06. 11. 2020, 16.00 – 17.30 Uhr Die Referent*innen arbeiten dazu mit einer mo- bilen digitalen Flip-Chart, die sie zusammen mit Referentin: Prof. Dr. Katja Boehme, PH Heidelberg einem mobilen Hotspot an jeden Veranstaltungs- ort mitbringen. Ohne Begegnungslernen ist interreligiöses Lernen Das Equipment ermöglicht ein kommunikatives schwierig. Bei einer Umfrage an der Johannes Guten und interaktives Arbeiten mit gemischten Grup- berg-Universität Mainz im digitalen Sommersemester pen aus anwesenden und digital zugeschalteten 2020 gaben mehr als die Hälfte der befragten Stu- Teilnehmer*innen: dierenden an, dass der fehlende persönliche Aus- Während der Veranstaltung können alle Materi- tausch negative Auswirkungen auf den Erwerb alien, auch Ergebnisse aus Diskussionen oder spezifischer Kompetenzen zur Wahrnehmung des Gruppenarbeiten, den Teilnehmer*innen sofort anderen, zur Kommunikation und zur Urteilsfähig- zur Verfügung gestellt werden. keit gegenüber Quellen habe. Was bedeutet dies für das interreligiöse Lernen, und welche Möglich- keiten gibt es in der digitalen Lehre, interreligiöse Demo-Veranstaltung: »Die ersten Begegnungen im digitalen Raum zu fördern? Die Christen in Deutschland waren … ?!« Veranstaltung führt nach einem fachlichen Input in Modul 1 | Freitag, 25. 09. 2020, 16.00 – 17.30 Uhr den Austausch. Referent: Dr. Frank van der Velden, JGU Mainz Homeschooling: Schnittstellen Welche Bedingungen und Chancen ergeben sich und Rollenklärungen durch hybride Veranstaltungsformate für die Erwach- Modul 4 | Freitag, 27. 11. 2020, 16.00 – 17.30 Uhr senenbildung, aber auch für den Schulalltag in und außerhalb des Unterrichts? Das Modul präsentiert Referentin: Prof. Dr. Anja Wildemann, Uni Koblenz hierzu Ideen für die digitale Praxis des interreligiösen Landau Kompetenzerwerbs mit anschließender Diskussion. Dabei werden die Möglichkeiten einer gleichberech- Die Landauer Bildungsforscherin Anja Wildemann tigten digitalen und Vor-Ort-Teilnahme in einer Hy- hat zusammen mit dem Psychologen Ingmar Ho- brid-Veranstaltung über den Einsatz einer mobilen senfeld während des Lockdowns eine bundesweite digitalen Flip-Chart demonstriert. Inhaltlich zeigt die Elternbefragung durchgeführt. Danach schätzen 1https://www.uni-kob- lenz-landau.de/de/landau/ Veranstaltung, wie das europäische Christentum von etwa 30 % der befragten Eltern die Beziehung zu fb5/bildung-kind-jugend/ Anfang an durch religiöse und kulturelle Diversität ihrem Kind durch das Homeschooling als sehr oder grupaed/medienord- geformt worden ist. Es ist in seinem Selbstverständ- ziemlich belastet ein. Die Befragten beklagten ner-grundschulpaedago- gik/Wildemann/bericht_ nis ein Gegenmodell zu den autoritären nationalen Schwierigkeiten, die eigenen Kinder zu einem re- homeschooling Vereinnahmungen unserer Tage. gelmäßigen Tages- und Lernrhythmus zu motivieren 10
(über 50 %), eine mangelhafte digitale Ausstattung methodisch ausgerichteten Seminarkurs zusammen- oder eigene Kompetenz (über 25 %) und zu wenig gefasst. Anschließend wurden unter wiederum ver- Kommunikation und durch die Lehrenden vorgege- änderten Bedingungen rein digitale Veranstaltungs- bene Struktur. Hinzu kommt eine stärkere Elternbe- formate geplant und erprobt. Das fachliche Feedback lastung durch höhere Betreuungszeiten der eigenen aus diesen genannten Projektteilen fließt ein in die Kinder und durch berufliche Veränderungen (z. B. Optimierung der digitalen Lehre im schulischen Hand- Homeoffice, Kurzarbeit, Existenzängste etc.). Inter- lungsfeld. Zusammenfassend lassen sich drei Punkte religiöse Kompetenzvermittlung in Zeiten der Pan- hervorheben: demie bedeutet also auch die Klärung von Rollen und Schnittstellen des digitalen Lernens, die anhand 1. Die fachwissenschaftliche und –didaktische Dis- der Studie von Anja Wildemann diskutiert werden. kussion über die Bedingungen einer guten digi- talen Lehre im interreligiösen Handlungsfeld wur- de durchgeführt. Dies geschah über einen Artikel Durchführung des Seminarkurses »Digitale Bildung und interreligiöse Kompetenz« in der Zeitschrift Eulenfisch. Limburger Magazin Der Seminarkurs fand in Form von Hybrid- Veranstal- für Religion und Bildung (Nr. 25, 2020, S. 68–72), tungen am 25. 9. und am 30. 10. 2020 mit 20 Teilneh- der in der publizierten Arbeitshilfe noch einmal mer*innen statt. Aufgrund des erneuten Lockdowns abgedruckt ist. im November durften dann keine Hybrid-Veranstal- tungen mehr durchgeführt werden, so dass die wei- 2. Auf dieser Grundlage wurde ein Beispiel guter teren Termine am 6. 11. und 27. 11. 2020 abgesagt digitaler Lehre im interreligiösen Kompetenzbe- werden mussten. reich entwickelt. Das digitale Format »Saints of Color« wurde als interaktive Lehrveranstaltung bisher an sechs Hochschulstandorten zur Ausbil- Zu den inhaltlichen Ergebnissen dung von christlichen und muslimischen Religi- im Berichtzeitraum onslehrer*innen durchgeführt. Zusätzlich konnte über diese Durchführungen das fachliche Feedback Im Berichtsjahr 2020 konnte aufgrund der beschrie- von 8 Forscher*innen und von fast 100 Teilneh- benen volatilen Ausgangslage und der ständig sich mer*innen – überwiegend weiblich, fast zur Hälf- ändernden Bedarfe kein inhaltliches Kurrikulum für te muslimisch - eingeholt und dokumentiert wer- interreligiöse Fort- und Weiterbildungen im schuli- den. Da »Saints of Color« eine rassismuskritische schen Handlungsfeld erarbeitet und erprobt werden. und kultursensible Auseinandersetzung mit der Vielmehr wurden die Grundsätze einer guten hybri- eigenen religiösen Vergangenheit und Gegenwart den Lehre für interreligiöse Fort- und Weiterbildungen interaktiv befördert, ist damit auch das folgende im schulischen Handlungsfeld diskutiert und in einen Petitum des Berichtsjahres 2019 erfüllt: © Annie Spratt – unsplash.com 11
»Haupt- und ehrenamtliche Helfer*innen sehen sich zur Verfügung und wird im Frühsommer 2021 an auch außerhalb ihres beruflichen Feldes zunehmend weiteren Universitäten durchgeführt (PTH St. Geor- solchen Stimmen ausgesetzt, die eine Willkommens- gen, JGU Mainz). Es spricht in puncto Transferfähig- kultur für geflüchtete Menschen und speziell für mus- keit des Projektes für sich, dass die Veranstaltung limische Menschen grundsätzlich ablehnen. Im an- »Saints of Color« innerhalb eines Vierteljahres mit schließenden Seminarkurs wurde diese Problematik geringen Aktualisierungen für sechs Durchführun- querschnittmäßig thematisiert und soll im Transfer auf gen an unterschiedlichen universitären Bildungs- den dritten Zyklus des Projektes einen eigenen Platz orten gebucht worden ist. Hierbei fällt auf, dass drei finden« (aus dem Sachbericht vom Berichtsjahr 2019). Durchführungen im Bereich der islamischen Religi- onspädagogik erfolgten, drei weitere im Bereich der 3. Im Berichtsjahr 2020 konnten über die Veranstal- katholischen praktischen Theologie. Die Veranstal- tung »Digitaler interreligiöser Advents-Salon« al- tung ist also doppelt transferfähig: in Bezug auf den ternative digitale Lernorte und Methoden erprobt Bildungsort, und in Bezug auf die unterschiedlichen werden. Diese werden weiter unten in ihrer Be- Fakultäten. deutung für die Weiterentwicklung einer digitalen interreligiösen Didaktik beschrieben. Aus diesem Format ergab sich zudem eine nach- haltige fachwissenschaftliche Diskussion, die weit über den Projektrahmen und den Berichtszeitraum Nachhaltigkeit und Transfer hinausgeht: In der international anerkannten reli- gionspädagogischen Zeitschrift Katechetische Blät- Grundsätzlich sind die einzelnen Module des Semi- ter wird im Herbst 2021 ein kleiner Themenschwer- narkurses wiederholbar, und damit einsetzbar im punkt zur rassismuskritischen Bedeutung der »Saints Rahmen regelmäßiger Fortbildungen von Haupt- of Color« im Rahmen des interreligiösen Kompe- und Ehrenamtlichen in der schulischen Arbeit. Am tenzerwerbs erscheinen. 18. 11. 2020 wurden die einzelnen Module des Se- minarkurses bei einer Leiter*innentagung der Äm- Für die Öffentlichkeitswirkung ist dabei von Belang, ter für katholische Religionspädagogik im Bistum dass vier der sechs Universitäten, die »Saints of Co- Limburg für eine Weiterverwendung beworben. lor« durchführen ließen, außerhalb Hessen liegen, genauso wie am virtuellen interreligiösen Ad- Auch das digitale Format »Saints of Color« steht als vents-Salon Teilnehmer*innen aus 10 von 16 deut- interaktive Lehrveranstaltung für Bildungsträger schen Bundesländern beteiligt waren. 12
Kapitel 2 © A. Krumpholz Digitale Bildung und interreligiöse Kompetenz Autor: Frank van der Velden Durch digitale Lehre und Homeschooling sind alle Nachdruck aus Eulenfisch 25/2020 Beteiligten in andere Rollen hineingewachsen. Obwohl sich erfolgreiche digitale Bildungsformate etabliert Begegnungslernen ohne Begegnung ist schwierig. Professoren und Professorinnen gestreamt wurden. haben, bleiben die Und ohne Begegnungslernen ist interreligiöses Ler- Häufig wurde diese Form durch synchrone interakti- Begegnung und der nen schwierig. Diese – zugegebenermaßen – sehr ve Angebote auf Lernplattformen ergänzt – z. B. Fo- persönliche Austausch von Bedeutung. allgemeinen Feststellungen sollen für die Zeit des ren, Chats, Video-Konferenzen – aber auch durch digitalen Sommersemesters 2020 und des parallel asynchrone Angebote wie Reader oder Aufgaben- verlaufenen Homeschoolings mit Beobachtungen stellungen, die in Eigenarbeit zu erledigen waren und aus zwei aktuellen Umfragen und Studien ergänzt hinterher ein Feedback der Dozenten und Dozentin- werden. Deren Validität muss zwar noch überprüft nen erhielten. Bei einer (unveröffentlichten) Umfrage werden, aber sie geben trotzdem bereits deutliche an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johan- Hinweise auf die Entwicklungsbedarfe und Schnitt- nes Gutenberg-Universität Mainz gaben jedoch mehr stellen des digitalen Lehrens und Lernens. Dabei als die Hälfte der befragten Studierenden an, sich bleiben in diesem Beitrag die Fragen nach der not- nicht aktiv in die interaktiven digitalen Foren einge- wendigen technischen Ausstattung und der dafür bracht zu haben. Die angegebenen Gründe waren erforderlichen Anwenderkompetenz außen vor. Viel- unterschiedlicher Natur und reichten vom »Kiebitzen« mehr geht es um Bedarfe der Didaktik interreligiöser (ich habe nur mal gucken wollen, ob hier eine inter- digitaler Bildungsprozesse, die thesen- und beispiel- essante Diskussion läuft) über unklare Konkurrenzen haft formuliert werden sollen. (was ich fragen wollte, hat schon jemand anders schneller gefragt) bis zu Unsicherheiten gegenüber der unbekannten Gruppe der Teilnehmenden (es ist Kognitives Wissen und für mich schwerer, im digitalen Raum zu diskutieren, kommunikativer Diskurs denn das ist so anonym). Fast alle Studierenden be- obachteten an sich selber, dass sie in der Folge das Eine erste Beobachtung aus der akademischen Leh- Sprechen, Präsentieren und Diskutieren im wissen- re: Das digitale Sommersemester 2020 hatte an vielen schaftlichen Bereich weniger geübt hatten. Fast 80 % Instituten durchaus mehr zu bieten als Vorlesungen, der Befragten gaben an, dies durch verstärkte wis- die umständehalber aus den Arbeitszimmern der senschaftliche Lektüre kompensiert zu haben. 34 % 13
der Befragten konstatierten, trotz der verstärkten len Angeboten in direkte Konkurrenz zu einem pre- Lektüre bei der Bewertung und im Umgang mit die- senter wie Daniel Jung, dessen Youtube-Kanal aktu- sen Quellen bzw. der Sekundärliteratur unsicher oder ell 714.000 feste Abonnenten von Mittelstufenschü- sehr unsicher zu sein. lern bis hin zu Studenten aufweist. Einzelne Tutorials von »Mathe by Daniel Jung« erreichen Zugriffszahlen von weit über einer Million Aufrufe. In geisteswissen- Beziehungspflege und schaftlichen Fächern zeigt sich dabei eine besonde- Wissensvermittlung re Schwierigkeit, die Judith Uebing für das Fach Ge- schichte am Medium des Erklärvideos beschrieben Eine weitere Beobachtung aus der Zeit des Home- hat.7 Auch bei gut gemachten Erklärvideos (professi- schoolings: Die Landauer Bildungsforscherin Anja onal-generated content) – Uebing untersucht den Wildemann hat während des Shutdowns eine bun- Youtube-Kanal »MrWissen2Go-Geschichte« des stu- desweite Elternbefragung durchgeführt.1 Danach dierten Historikers Mirko Drotschmann – besteht die schätzen etwa 30 % der befragten Eltern die Bezie- Gefahr, den Eindruck hervorzurufen, »es gebe eine hung zu ihrem Kind durch das Homeschooling als fertige Geschichte, die man ›nehmen‹ und vermitteln sehr oder ziemlich belastet ein.2 Die Befragten be- kann.«8 Viel schwerer ist es in Erklärvideos, die Quel- klagten Schwierigkeiten, die eigenen Kinder zu einem lenkritik »als eine essentielle Methode der Geschichts- regelmäßigen Tages- und Lernrhythmus zu motivie- wissenschaft«9 sichtbar zu machen sowie Strategien ren (über 50 %).3 Hinzu kommt eine stärkere Eltern- zur Authentifizierung solcher Quellen und Kompe- belastung durch höhere Betreuungszeiten der eige- tenzen wissenschaftlicher Kommunikation zu vermit- nen Kinder4 und durch berufliche Veränderungen teln. »Die Geschichte erscheint als eine von großen, (z. B. Homeoffice, Kurzarbeit, Existenzängste etc.). mächtigen Männern und einheitlichen Gruppen ge- Dabei waren wieder die Mütter in erster Linie (zu 81 %) steuerte Ereignisabfolge, deren Beschreibung zeigt, für das Homeschooling verantwortlich.5 Deutlich ist wie es gewesen ist.«10 Was Judith Uebing hier an Er- ebenso, dass Kinder und Eltern in sozial verletzlichen klärvideos beschreibt, kann schnell zum Problem Familien mit geringeren Bildungsabschlüssen und digitaler Lehre insgesamt werden. Deren erfolgreichs- 1 Anja Wildemann/Ingmar Hosenfeld: Bundesweite weniger Familieneinkommen verstärkt belastet wa- te Formate, welche die digitalen Seh- und Bildungs- Elternbefragung zu ren. Viele Eltern sind also durch das Homeschooling gewohnheiten ihrer user steuern, tun sich schwer Homeschooling während in andere Rollen hineingewachsen. Häufig wurde von damit, Kompetenzen von differenzierter Wahrneh- der Covid 19-Pandemie Erkenntnisse zur ihnen beklagt, dass es dabei zu wenig Kommunika- mung, Kommunikation, Urteils- und Handlungsfä- Umsetzung des tion seitens der Lehrer und Lehrerinnen und zu wenig higkeit zu vermitteln, wie sie im Fachbereich (inter) Homeschoolings in vorgegebene Strukturen seitens der Schulen gegeben religiöser Bildung unabdingbar sind. Deutschland (29. 06. 2020), free-download (Zugriff am habe.6 In diesen Punkten zeigten sich aber vor allem 31. 10. 2020): https://www. große Unterschiede in der Bewertung der einzelnen uni-koblenz-landau.de/de/ Schulen und der einzelnen Lehrkräfte. Die Echokammern digitalen Wissens landau/fb5/bil- dung-kind-jugend/ grupaed/medienordner- Die Fähigkeit zur Quellenkritik, zur Ausbildung einer grundschulpaedagogik/ Der Mensch lernt nicht vom kritisch begründeten eigenen Meinung, und damit Wildemann/bericht_ho- meschooling »presenter« allein die hochaktuelle Befähigung, news von fake-news sicher unterscheiden zu können, hängen nicht nur 2 Ebd., 28. Aber auch die Lehrkräfte und Dozenten sind durch mit Wissenserwerb zusammen. Genauso wichtig sind die digitale Lehre in andere Rollen gekommen. Trotz die Begegnung und der persönliche Austausch, wel- 3 Ebd.,3,9–10,29. der Bemühungen, während der Zeit des Homeschoo- che die Kompetenzen zur offenen Wahrnehmung des 4 Ebd., 19–20. lings den persönlichen Kontakt mit ihren Schülern anderen, zur Kommunikation mit abweichenden Po- und Schülerinnen aufrechtzuerhalten, und trotz vie- sitionen und zur Aushandlung fairer Geschäftsord- 5 Ebd., 5. ler interaktiver Formate lässt sich bisher in der digi- nungen für eine lösungsorientierte Diskussion schu- 6 Ebd., 21–23. talen Lehre unter den oben geschilderten Bedingun- len. Hierzu fehlt im digitalen Lernen häufig nicht nur gen die folgende Rollenverschiebung kaum vermei- die persönliche Begegnung, sondern es hat auch mit 7 Judith Uebing: Geschichte den: die Rolle der allgemein- oder sozial-pädagogi- Wahrnehmungs- und Bildungsgewohnheiten zu tun. in 10 Minuten – Wie geht das?, in: Christian schen Bezugsperson tritt einen Schritt zurück, die Die erfolgreichen digitalen Bildungsformate sehen Bunnenberg / Nils Steffen Rolle des presenter von Bildung tritt einen Schritt vor. ihre user weniger als Teilnehmer am kritischen Diskurs (Hrsg.): Geschichte auf Die Rolle des presenter von Bildung im digitalen Ler- zur Sache, sondern als Abonnenten eines Dienstleis- Youtube. Neue Heraus forderungen für nen ist aber bereits erfolgreich besetzt. So treten ters von Bildung (Wer erklärt es dir so, dass du es am Geschichtsvermittlung Mathematiklehrer und -lehrerinnen mit ihren digita- besten verstehst?). und historische Bildung, de Gruyter Oldenbourg, 2019, S. 71–94. 8 Ebd., 87. 9 Ebd. »Die eigenen Kinder zu einem regelmäßigen Tages- und 10 Ebd. Lernrhythmus zu motivieren, war schwierig« 14
»Oftmals ist den Nutzerinnen und Nutzern dabei Alternativen digitaler Bildung kaum bewusst, wie sehr die emotionale Zuschreibung als Aufgabe von Authentizität der oder des Darstellenden die ei- gene Entscheidung, die Inhalte als wahr zu akzeptie- Interreligiöses Lernen ist ein Bildungsprozess von ren, beeinflusst.«11 Menschen, die sich in ihrer religiösen Diversität be- gegnen und sich dabei folgende Fragen stellen: Wie Dies führt zu einer Alleinstellung des presenter als nehme ich den anderen und mich selber im Angesicht Monopolisten des kritischen Subjekts. Die crowd, des anderen wahr? Wie gehe ich souverän mit kom- die sich um ihn versammelt, ist damit noch nicht plexen Sachverhalten um, die häufig nicht auf eine vergleichbar mit der community einer Echokam- richtige oder falsche Antwort eingedampft werden mer der sozialen Netzwerke, aber den kritischen können? Wie schaffe ich eine »warme« vertraute Be- Diskurs lernt man hier wie dort nicht mehr. Und gegnung und wie übe ich faire Umgangsformen ein? das eigene kreative Tun der user findet selten im Im digitalen Lernen sind diese Bedarfe noch kaum digitalen Bildungsprozess selber seinen Platz, son- abzudecken, häufig stehen die digitalen Bildungsge- dern eher danach auf Portalen wie Instagram und wohnheiten dem sogar entgegen. Hier bleibt für die tiktok. Zukunft noch vieles zu entdecken und zu entwickeln. 11 Ebd., 75. © A. Krumpholz 15
Kapitel 3 © A. Krumpholz »Saints of Color« rassismuskritisch reflektiert Autor: Frank van der Velden Digitaler Kompetenzerwerb interreligiös Migration wird religiosiert »Hilfe! Christentum in Deutschland stammt aus der Migration!« Das rein digitale Format »Saints of Color« wurde als Beispiel guter interreligiöser Didaktik im Rahmen des Dabei ist unsere eigene Christentumsgeschichte in Projektes 2020 der KEB Hessen im hessischen Weiter- den deutschsprachigen Ländern zutiefst und von bildungspakt 2017-2020 entwickelt. »Saints of Color« allem Anfang an durch Migration geprägt. Das For- stärkt mit interaktiven features den Kompetenzerwerb mat »Saints of Color« didaktisiert die wenig bekann- zum Umgang mit kultureller und religiöser Vielfalt. te Tatsache, dass die ersten Christ*innen hierzulan- Dazu gehört ein rassismuskritischer Blick auf unsere de im 3. Jahrhundert Afrikaner*innen waren, die als historischen und aktuellen Wahrnehmungsgewohn- Angehörige der römischen Legionen in den Militär- heiten. Tatsächlich erleben wir in Deutschland auch lagern an Rhein, Main und Donau lebten. im schulischen Handlungsfeld zunehmend kritische Anfragen an die Willkommenskultur, und regelmäßig Ende des dritten Jahrhunderts befahl der römische sind diese mit religiösen Zuschreibungen verbunden: Kaiser Diokletian die Versetzung einer der drei ägyp- Migration wird dabei kulturalisiert, indem sie als tischen Legionen, nämlich diejenige unter dem ›afrikanisch‹ und ›orientalisch‹ gelesen wird. Migrati- Oberbefehl des Mauritius (der Name bedeutet im on wird dabei religiosiert, indem sie als ›muslimisch‹ Koptischen so viel wie Der Offizier aus dem Süden) gelesen wird. Die Zahlen sprechen freilich eine an- nach Westeuropa. In dieser thebäischen Legion dere Sprache: Mit Ausnahme der Jahre 2015–2018 dienten 6.600 überwiegend christliche Offiziere und kommt die Mehrheit der Migrant*innen aus osteuro- Soldaten aus Oberägypten, die teilweise mit ihren päischen Ländern, die überwiegend christlich geprägt Familien am Dienstort siedelten. Es ist für unser sind. Doch das angstbesetzte Narrativ einer ›musli- Thema von Belang, dass in dieser oberägyptischen mischen‹ Migration aus dem Orient oder Afrika hat Provinz – nahe der heutigen Stadt Luxor – seit pha- sich längst in den Köpfen festgesetzt. raonischer Zeit Menschen aus Oberägypten und 16
Nubien zusammenlebten. Die kulturelle Verbindung an was ich glaube, sondern gleichzeitig zu zeigen, zum subsaharischen Afrika ist in dieser Region aus- wie ich damit umgehe. Es ist eine Selbsterzählung geprägt. religiöser Lebenspraxis im Angesicht des anderen. Ihre Grundhaltung ist Einblick zu gewähren, nicht zu In den Christenverfolgungen der römischen Kaiser belehren. Dazu müssen neue Narrative der »Behei- Diokletian, Decius und Julian (3.-4. Jh.) wurden zahl- matung in religiöser Vielfalt« formuliert werden, wel- reiche dieser christlichen Ägypter*innen als Märty- che an die religiösen und kulturellen Überlieferungen rer*innen hingerichtet. Viele der großen Dome und der eigenen Wertegemeinschaft anknüpfen können. einige der ältesten christlichen Kirchen an Rhein Solche »Bilder im Kopf« und religiöse/kulturelle und Donau stehen auf den Gräbern von solchen Selbst-Erzählungen im Angesicht des anderen sollen koptischen Heiligen, die zu den ältesten namentlich Alternativen zu autoritären nationalen oder religiös bekannten Glaubenszeug*innen hierzulande gehö- begründeten Verschwörungserzählungen aufweisen ren. Unter anderem die große romanische Kirche und so die Wahrnehmungs-, Deute- und Kommuni- St. Gereon in Köln und das Bonner Münster. Im St. kationskompetenzen einer offenen, religiös pluralen Viktor-Dom zu Xanten am Niederrhein wird die Gesellschaftsordnung stärken. Pforte der koptischen Märtyrer – der namensge- bende Viktor, dazu Mauritius und Gereon – gezeigt. Weiterhin soll dazu beigetragen werden, einen ge- In der Schweiz sind St. Maurice, Zürich, Genf, Solo- sellschaftlichen Diskursraum zu eröffnen, der mit thurn und Bad Zurzach als Verehrungsorte kopti- solchen Selbstdeutungen und –erzählungen empa- scher Heiliger bekannt. Einen Überblick über die thisch und mehr oder weniger kompetent umgehen Topographien gibt Beat Näf in seinem Buch über kann. Ziel ist keine religiöse oder kulturelle ›Konfes- den Kult der thebäischen Legion. sionalisierung‹, sondern ein ressourcenorientierter Blick auf die unterschiedlichen religiösen Lebens- praktiken, inwieweit sie den Erwerb neuer sozialer Selbstbilder und White-facing Verhaltensmuster ermutigen, stärken, und ermögli- chen können. Dies erfordert allerdings eine allgemei- Christentum ist hierzulande also eine Ressource, die ne gesellschaftliche und schulische religiöse Grund- aus der ›afrikanischen‹ Migration erworben wurde. bildung – im Sinne der religious literacy (Diane L. Die exklusive Kulturalisierung eines schweizerischen, Moore) – als gemeinsame Aufgabe für alle. deutschen oder österreichischen Christentums ist von dessen Beginn an unsachlich. Kulturelle Diver- sität hat das Christentum in den deutschsprachigen Durchführungen der »Saints of Color« Ländern seit Beginn und bis heute befruchtet. Was bedeutet diese Erinnerung für unsere kulturellen Wenn der Prophet nicht zum Berg kommen kann, Selbstbilder als »deutsche« etc. Christ*innen? Die dann kann in digitalen Zeiten der Berg zum Prophe- Rezeptionsgeschichte der »Saints of Color« in deut- ten kommen: Den für die ursprünglich geplante Fach- schen Landen hält dazu zahlreiche überraschende tagung unseres Projektes vorgesehenen Speaker Aspekte bereit: vom White-facing afrikanischer Hei- wurde nun anders herum das Format »Saints of Color« liger bis hin zu kolonialen und rassistischen Entglei- als digitaler Gastvortrag innerhalb ihrer eigenen aka- sungen ihrer Darstellung. Aber es gibt auch respekt- demischen Lehrveranstaltungen angeboten. Die volle Abbildungen, die ihre afrikanische Herkunft Resonanz auf unsere Anfrage war sehr positiv (6 ernst nehmen, und es gibt faszinierende Momente, Durchführungen mit 8 Forscher*innen und 97 stu- z. B. dass die Erinnerung an den Thebäer St. Viktor in dentischen Teilnehmer*innen zwischen Oktober 2020 Xanten den Münsteraner Bischof Graf von Galen im und Februar 2021, s. Liste der Veranstaltungen im Jahr 1936 zu einer Widerstandspredigt gegen die Projektbericht). Nationalsozialisten inspirierte. Diese Aspekte werden interaktiv und digital erinnert, und in Übungen zur Zusätzlich konnte über diese Durchführungen das Vielfaltswahrnehmung und Kommunikationskompe- fachliche Feedback von 8 Forscher*innen und von tenz didaktisiert (s. Story-board). fast 100 Teilnehmer*innen – überwiegend weiblich, fast zur Hälfte muslimisch - eingeholt und dokumen- tiert werden. Über die App feedbackr.io wurden dazu Zur pädagogischen Zielsetzung qualitative und quantitative Bewertungen zum bil- dungspolitischen Setting und zur fachdidaktischen Religiöse Diversität gehört zur kulturellen Matrix Eu- Konzeption der Veranstaltung erbeten. Nach jeder ropas wie auch des Orients. Das Format »Saints of einzelnen Durchführung wurde das Feedback aus- Color« fragt, wie wir dies in unseren Narrativen ange- gewertet und zur Optimierung der Veranstaltung messen und kompetent ausdrücken können. Wie genutzt. In dieser Form steht das digitale Format reden wir also vom Eigenen unter den Bedingungen, »Saints of Color« weiterhin als interaktive Lehrveran- Bedarfen und Herausforderungen einer Migrations- staltung der Lehrer*innenausbildung zur Verfügung gesellschaft? Interreligiöse Narrativität in diesem und wird im Frühsommer 2021 an weiteren Univer- Sinne bedeutet nicht nur, den anderen mitzuteilen, sitäten durchgeführt (PTH St. Georgen, JGU Mainz). 17
Storyboard »Saints of color« Ablaufplan der digitalen Lehrveranstaltung Min. Interaktiv Modus 0–5 Begrüßung, Einführung in den Chat Chat posten smart-board Teil 1 Narrative Hinführung Bildschirmfreigabe 5–10 (Präsentation) »Ein Casting für die Hl. Verena« Eigene Auswahl treffen Übung: Vielfalt wahrnehmen lernen, (Poll-unit) 10–15 smart-board Reflexion und Diskussion Moderne koptische Devotion in Bad Zurzach/CH Info-Sheet zum »Kult der Thebäer« 15–30 Das Xantener Reliquiar (12. Jh.) Bildschirmfreigabe Predigt von Graf von Galen bei der (Präsentation) Viktorstracht in Xanten (1936) Die afrikanischen Thebäer in D/A/CH: Religion, Migration, Widerstand Teil 2 Input: Zur Frage der Darstellung der 30–35 thebäischen Heiligen in der Kunst 35–40 Film: Der Dom zu Xanten, Symbol des Eigene Wahrnehmung Video-clip über Widerstands (teaser) reflektieren smart-board Einführung in den online-Spaziergang im Bildschirmfreigabe 40 – 45 Dom zu Magdeburg: (Präsentation) Übung: Interpretiere die kulturelle Reprä- Online-Spaziergang in der URL und Tipps über 45–55 sentanz der Hl. Mauritius & Katharina im Kleingruppe den Chat Magdeburger Dom Kulturelle Aneignung am Bsp. der Darstel- lung der Hl. Katharina Individuelle und stereotype Bilddateien (Materi- Formen der Darstellung in alsammlung) 55–70 Koloniale Stereotype in der Darstellung des der Kleingruppe erörtern Hl. Mauritius als »Coburger Mohr« Das »christliche Abendland« als ideological Bildschirmfreigabe storytelling des 19. Jhs. (Präsentation) Die Sicht auf das »eigene« zwischen Diskussion: Eigene Beiträge 70–85 kulturellem othering & Rassismuskritik posten Abschluss und Materialausgabe QR-code 85–90 Feedback erbitten Feedback geben Feedback-App HA Übung: Ein Lernquiz zur Absicherung Quiz lösen Lernplattform Input Übung Interaktiv 18
Kapitel 4 Alternative Lernorte und interaktive Lernarten Autoren: Frank van der Velden, Lisa Thielsch Der »Digitale interreligiöse Advents-Salon« Diese Veranstaltung wurde am 17. 12. 2020 als virtu- menspiel von Theologie und Religionspädagogik elles Seminar mit Fachreferaten und Anregungen für gedacht und gesellschaftlich so verankert werden, eine gute digitale didaktische Lehre durchgeführt. dass sie zur Ressource werden? Der »Digitale interreligiöse Advents-Salon« war mit 50 Teilnehmenden sehr gut besucht. Er bestand im Einige Grundideen: Ein Konstitutivum moderner Ge- ersten Teil aus einer wissenschaftlichen Key-note mit sellschaften ist ihre gesellschaftliche, und damit auch anschließender Respons und Diskussion. ihre religiöse Pluralisierung (Peter Berger). Religiöse Pluralisierung aber erfordert nicht zuletzt auch eine Pluralisierung auf dem Gebiet der Theologie. Es kommt Key-note von Wolfram Weiße daher zu erheblichen Veränderungen der Priorisierung theologischer Forschungsrichtungen. Wolfram Weiße Für den Hauptvortrag zum Thema Religious diversi- beschrieb dazu Ansatzpunkte einer interreligiös dia- ty als Ressource der Migrationsgesellschaft konnte logischen Theologie, die verstärkt die Relationalität Prof. Dr. Wolfram Weiße (Akademie der Weltreligio- und Beziehung zu anderen Konfessionen und Religi- nen, Universität Hamburg) gewonnen werden. onen fokussiert (unter Einschluss aller Weltreligionen, z. B. auch des Buddhismus). Damit erscheint eine kon- Zur Themenfassung: Religiöse Vielfalt steht heute fessionell eng gefasste, auf sich begrenzte Theologie in der Spannung zwischen Risiko und Ressource. Es als ungenügend. Eine dialogische Theologie kann soll im Folgenden nur nach Ihrer Ressourcenfähigkeit Absolutheitsansprüche, die auf eine Abwertung an- im Rahmen solcher Gesellschaften gefragt werden, derer Religionen zielen, nicht akzeptieren. Sie setzt auf für deren Gesamtheit Migration eine wichtige Be- Offenheit gegenüber anderen, auf mögliche, wech- zugsgröße darstellt. In solchen Gesellschaften kann selseitige Lernprozesse und auf Selbstreflexivität, Selbst- religious diversity Ausdruck der Toleranz einer Ge- kritik und Demut, statt auf Selbstgenügsamkeit. Die sellschaft sein. Ein hohes Gut ist die Religionsfreiheit, eigenen religiösen Positionen sollen in der Theologie wie sie Art. 4 GG unterschiedslos allen Menschen natürlich deutlich werden, aber vorzugsweise im Rah- zusichert. Aber zur Ressource wird diese erst, wenn men eines gemeinsamen Entdeckungsprozesses, einer darüber hinaus gefragt wird, wie sich Menschen un- offenen Kommunikation. Eine Verankerung in der ei- terschiedlicher Religion in der Gesellschaft und zuei- genen Religion kann so mit einer In-Beziehung-Setzung nander verhalten. Wichtig sind dabei das gegensei- zu anderen Religionen verbunden werden; neue Ori- tige Kennenlernen und auch Respekt. Von den vielen entierung zu gewinnen kann als gemeinsamer Such- Fragen, die sich daraus ergeben, soll im Folgenden prozess geschehen. In diesem Sinne kann Theologie nur dieser ausgewählte Aspekte angesprochen wer- auch als Ressource für die Entwicklungslinien einer den: Wie können interreligiöse Dialoge im Zusam- religiös und kulturell pluralen Gesellschaft gelten. 19
Ist eine solche Offenheit gegenüber anderen Be- Harry H. Behr beschrieb, dass theologische Lehre kenntnissen in den Ursprungstexten und im Kern aus dem Wechselverhältnis von Subjekt und Kol- der einzelnen Religionen aber möglich oder gar lektiv heraus lebt. Insofern gehört die soziale Situ- geboten? Dies führt zur Frage einer angemessenen ation ihrer Zielgruppen – also auch das, was Mus- Hermeneutik. Auch wenn es in den Schriften der lim*innen über religiöse Zuschreibungen in Schulen, Religionen kritische, abgrenzende Auseinanderset- sozialen Institutionen, gesellschaftlichen Kontexten zung mit Angehörigen anderer Religionen gibt, fin- etc. erleben – zu ihren normativen Setzungen. Hier den sich im Kern der Ursprungstexte vieler Religio- erlebt theologische Lehre also eine normative Ver- nen beachtliche Übereinstimmungen, die den Dia- änderung, und diese wird über die sich verstärken- log mit den anderen Religionen als geradezu gebo- de intrareligiöse Pluralität zu einer kritischen An- ten erscheinen lassen. Wo die bestehenden und frage. gebotenen Unterschiede, und teilweise auch Ge- gensätze respektiert werden, dort können die an- Einerseits in Richtung auf die Traditionen und Struk- sonsten vorliegenden Gemeinsamkeiten als umso turen der eigenen Religionsgemeinschaften und ih- wertvoller erachtet werden. Die Frage des Umgangs rer Vertreter*innen. Hier hat die Religionspädagogik der eigenen religiösen Tradition mit diesen beiden eine wichtige Aufgabe, zwischen diesen beiden Be- Aspekten – also mit der Abgrenzung und mit der reichen als ›Transmissionsriemen‹ eine Übersetzungs- Akzeptanz anderer Religionen – wäre im Sinne des arbeit zwischen Lebensweltorientierung und akade- gemeinsamen Lernprozesses am besten im direkten mischer Theologie zu leisten. Gespräch mit den Angehörigen der betroffenen an- deren Religionen zu beantworten. Dies ist auch als Andererseits in Richtung auf die gesellschaftliche und Hinweis auf die Wichtigkeit eines begegnungsori- politische Ebene, an die sie die folgenden fünf Anfra- entierten Religionsunterrichts in unseren Schulen gen stellt: zu verstehen. 1. Toleranz/Pluralität: Auf der dieser gesellschaftli- Fazit: Die Weiterentwicklung einer ressourcenori- chen Ebene bleibt unser Toleranzbegriff häufig entierten religious diversity erfordert die Trans- einer mehrheitsgesellschaftlichen Deutungshoheit formation einer auf Zukunft hin geöffneten Theo- unterworfen, im Sinne einer Duldung und Zubil- logie, die ungeachtet der bleibenden Unterschie- ligung von Diversität. Dieser Toleranzbegriff selber de der Religionen doch im Sinne einer Trans-Dif- gehört kritisch zur Diskussion gestellt, um die ferenz (Ephraim Meir) zu neuen Ansätzen im Bereich durch Fremdzuschreibungen als territorial oder wissenschaftlicher Theologie führt. Und zu ver- kulturell »anders« markierten Bürger*innen auf stärkten Ansätzen für reale und konkrete Aussa- Augenhöhe in den Diskurs mit hinein zu holen. gen, die den Menschen für ihre Begegnungssi- Entsprechendes gilt für die erwähnte religiöse tuationen mit Menschen anderer Religionszuge- Pluralität, die wir in der Gesellschaft zwar erleben hörigkeit eine Legitimation an die Hand geben. –aber sie wird nicht rahmenpolitisch gestaltet. Dies bedingt eine größere Bodenhaftung der Wo ›muslimisch‹ und ›modern‹ als Gegensatzpaar Theologie und mehr Offenheit für das Innovati- aufgebaut wird, führt dies in der Lebensweltori- onspotential, das besonders auch junge Menschen entierung gerade junger Muslim*innen in einen einbringen. kognitiven Konflikt, der sich häufig in einen ästhe- tischen, emotionalen, spirituellen und sozialen Konflikt ausweitet. Respons von Harry H. Behr 2. Intrareligiöse Ebene: Wie verfahren wir mit den Für die Respons konnte Prof. Dr. Harry H. Behr, Pro- zunehmend differenten Meinungsbildungen und fessor für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Ausprägungsformen innerhalb einer Religion? Islamische Religionspädagogik und Fachdidaktik des Islamischen Religionsunterrichts (Goethe-Universität 3. Interreligiöse Ebene: Wie gehen wir mit unter- Frankfurt) gewonnen werden. schiedlichen religiösen Gestaltungsansprüchen innerhalb eines staatlichen Territoriums und seiner Stichpunkte seiner Antwort: Wo einerseits in der rechtsstaatlichen Verfasstheit um? akademischen Forschung eine neue Morgendämme- rung der Religion als Kriterium der gesellschaftswis- 4. Rechtsstaatliche Ebene: Wie verhalten wir uns zu senschaftlichen Analyse zu beobachten ist, ist ande- religiöser Indifferenz, zu religionskritischen Ver- rerseits auf der gesellschaftswissenschaftlichen und ortungen? politischen Ebene genauso eine Überforderung mit den ästhetischen, ethischen und soziokulturellen 5. Politische Ebene: Welche religionspolitische Visi- Ausdrucksformen des Religiösen zu vermerken. Hier on entwickeln wir als Zivilgesellschaft, aber auch herrscht auch in aktuellen Studien eine gewisse Blind- in der Vernetzung mit der legislativen und judi- fleckigkeit gegenüber Religion in ihrer gesamten kativen Ebene? Was also geht als gesamtgesell- Vielfalt. schaftliche Vision über das Handling der Exeku- 20
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