Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise - WEIZENBAUM SERIES 16

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WEIZENBAUM SERIES \16
                                           POLICY-BRIEF \
                                                JUNI 2021 \

Florian Butollo, Jana Flemming, David Wandjo,
Christine Gerber und Martin Krzywdzinski

Digitalisierung der
Arbeitswelt in und nach der
COVID-19-Krise
Thesen und Handlungsempfehlungen
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise
Florian Butollo* \ florian.butollo@wzb.eu; Jana Flemming* \ jana.flemming@wzb.eu;
David Wandjo* \ david.wandjo@wzb.eu; Christine Gerber* \ christine.gerber@wzb.eu;
Martin Krzywdzinski* \ martin.krzywdzinski@wzb.eu
* Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

              ISSN 2748-5587 \ DOI 10.34669/WI.WS/16

              HERAUSGEBER: Der Vorstand des Weizenbaum-Instituts e.V.
              Prof. Dr. Christoph Neuberger
              Prof. Dr. Sascha Friesike
              Prof. Dr. Martin Krzywdzinski
              Dr. Karin-Irene Eiermann

              Hardenbergstraße 32 \ 10623 Berlin \ Tel.: +49 30 700141-001
              info@weizenbaum-institut.de \ www.weizenbaum-institut.de

              COPYRIGHT: Diese Veröffentlichung ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namens-
              nennung 4.0 International“ (CC BY 4.0) lizenziert: https://creativecommons.org/
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              WEIZENBAUM-INSTITUT: Das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft –
              Das Deutsche Internet-Institut ist ein vom Bundesministerium für Bildung und
              Forschung (BMBF) gefördertes Verbundprojekt. Es erforscht interdisziplinär und
              grundlagenorientiert den Wandel der Gesellschaft durch die Digitalisierung und
              entwickelt Gestaltungsoptionen für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

              Diese Arbeit wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
              gefördert (Förderkennzeichen: 16DII121, 16DII122, 16DII123, 16DII124, 16DII125,
              16DII126, 16DII127, 16DII128 – „Deutsches Internet-Institut“).

Zusammenfassung
Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die durch die                sich die Arbeitswelt in der Krise durch die digita-
COVID-19-Pandemie ausgelöste Krise zu struk-                   le Kommunikation im virtuellen Raum verändert.
turellen Veränderungen der Arbeitswelt geführt                 Menschen die bereits im Homeoffice arbeiten, sind
hat, die in engem Zusammenhang mit Digitalisie-                jedoch verschiedenen Schwierigkeiten ausgesetzt.
rungsprozessen stehen. Einige Veränderungen sind               Virulent sind Fragen der Geschlechtergerechtig-
in industriellen Produktionsprozessen, der mobi-               keit, die Vermischung von beruflichem und priva-
len Arbeit und auch der Plattformarbeit zu erwar-              ten, sowie die Ausstattung des häuslichen Arbeits-
ten. Damit solche Veränderungen sich positiv auf               platzes. Aufgrund der Erschütterung der regulären
die Arbeitswelt auswirken ist politische Gestaltung            Arbeitsmärkte nahm auch über digitale Plattformen
gefragt. Beobachtbar ist, dass einige Unternehmen              vermittelte Arbeit zu. Die prekären Arbeitsbedin-
ihre Digitalstrategien überdenken, teils forcieren             gungen der Plattformarbeiter_innen haben sich
und vermehrt mit neuen Möglichkeiten experimen-                während der Pandemie noch zugespitzt, gleichzei-
tieren. Hier ist es notwendig, Betriebsrät_innen               tig ist international aber eine politische Regulierung
und Beschäftigte frühzeitig in die Gestaltung neu-             der Plattformarbeit in Sicht, die inzwischen auch in
er Ansätze einzubinden. Am offensichtlichsten hat              Deutschland in Ansätzen stattfindet.
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise

          Inhaltsverzeichnis

     1    Einleitung	                                            4

     2    Strategien der Digitalisierung: Mehr Rationalisie-
          rung oder mehr Humanisierung?	                         5

     3    Homeoffice: Vom Ausnahmezustand in eine bessere
          Normalität?	                                           6

     4    Plattformarbeit: Unsichere Arbeit oder soziale Re-
          gulierung?	                                            8

     5    Die Arbeitswelt von morgen: Wie arbeiten wir nach
          der Krise?	                                            9

     6    Quellen	                                              10
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1     Einleitung

Die COVID-19-Krise hat unseren Alltag abrupt auf        in Bewegung, denn die COVID-19-Krise stellt einen
den Kopf gestellt. Vermutlich werden wir uns noch       Ausnahmezustand für die politische Regulierung der
viele Jahre später an die Zeit während der Lock-        Marktwirtschaft dar: Nur durch drastische Auswei-
downs und ihre weitreichenden Folgen für unser          tung staatlicher Maßnahmen wie Kurzarbeit und
Leben erinnern. Dabei sind die mittelfristigen Fol-     Überbrückungskredite konnten die wirtschaftlichen
gen der Krise noch längst nicht absehbar. Das gilt      und sozialen Folgen der Krise in Deutschland eini-
insbesondere für die Entwicklung von Wirtschaft         germaßen unter Kontrolle gebracht und abgefedert
und Arbeitswelt. Wird die momentan anhaltende           werden. Doch wie sieht die auch durch die Digita-
Krise im Rückblick als ein Strukturbruch erkenn-        lisierung veränderte Zeit nach dem Abklingen der
bar sein, in dessen Folge die Digitalisierung der       Pandemie aus? Und wie wollen wir die neue Nor-
Arbeitswelt einen mächtigen Schub erfahren hat?         malität politisch gestalten? Eröffnet der Ausnahme-
Anhaltspunkte für einen solchen Strukturbruch gibt      zustand gar die Chance für eine sozial-ökologische
es bereits. So ist die Arbeit im Homeoffice für viele   Transformation, die den zukunftsfähigen Umbau
Menschen zur tagtäglichen Realität geworden und         unserer Wirtschaftsordnung befördert?
viele Blockaden, digitale Arbeitsprozesse einzu-
führen, wurden erzwungenermaßen aus dem Weg             Im Folgenden skizzieren wir diese Weichenstel-
geräumt. Allerdings ist ein differenzierter Blick       lungen und den politischen Handlungsbedarf
gefragt, denn wirtschaftliche Einschränkungen           in Bezug auf drei Themen, bei denen deutliche
können auch dazu führen, dass Investitionen zu-         Veränderungen zu erwarten sind und die in den
rückgehalten werden. Oder aber die Investitionen        nächsten Monaten Gegenstand unserer empiri-
konzentrieren sich nur auf bestimmte Typen digita-      schen Untersuchungen sein werden: dem Arbeiten
ler Technologien. So könnte bspw. Software für Vi-      im Homeoffice, der Veränderung von Arbeitspro-
deokonferenzen oder Cloud-Lösungen angeschafft          zessen durch Digitalisierung und Automatisie-
werden, während auf kostenintensivere Automati-         rung (Industrie/Arbeit 4.0), sowie der über digita-
sierungslösungen verzichtet wird.                       le Plattformen vermittelten Arbeit.

Im Forschungsprojekt „Automatisierung, Digitali-
sierung und Virtualisierung der Arbeitswelt in Fol-
ge der COVID-19-Krise“ wollen wir eine systema-
tische Untersuchung dieser Frage vornehmen. Wir
möchten wissen, ob die derzeitige Wirtschaftskrise
– ähnlich wie es bereits bei ökonomischen Krisen
in der Vergangenheit der Fall war – ein Katalysa-
tor für strukturelle Veränderungen in Industrie- und
Dienstleistungssektoren sein kann, die schon zuvor
im Keim vorhanden waren. Dabei richten wir insbe-
sondere ein Augenmerk auf die Digitalisierung der
Arbeitswelt. Die Frage, ob solche Veränderungen die
Arbeitsbedingungen positiv oder negativ beeinflus-
sen, hängt maßgeblich von der Gestaltung betriebli-
cher und überbetrieblicher Verhältnisse durch Politik
und Sozialpartner*innen ab. Hier ist derzeit Einiges
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2     Strategien der Digitalisierung: Mehr Rationalisierung oder
      mehr Humanisierung?

Neuen digitalen Technologien wird das Potenzial zu-      betrieblich gestaltet wird. Das war schon vor
gesprochen, den Standort Deutschland in und nach         COVID-19 der Fall, gilt nun aber umso mehr. Be-
der Krise wettbewerbsfähig zu halten, indem neue         triebsrät_innen und Beschäftigte müssen frühzei-
digitale Geschäftsmodelle aufgesetzt werden und          tig in Investitions- und Innovationsprojekte ein-
die Produktion flexibler gestaltet wird (vgl. Platt-     gebunden werden und ihre Gestaltungsspielräume
form Industrie 4.0, 2020). Weil aufgrund der Kon-        ausschöpfen, was Kompetenzaufbau und die Ko-
taktbeschränkungen deutlich geworden ist, welchen        operationsbereitschaft des Managements voraus-
konkreten Nutzen die Digitalisierung haben kann, ist     setzt. Und die Politik sollte ein Monitoring der Di-
in den meisten Unternehmen das Bewusstsein und           gitalisierungsschritte und ihrer jeweiligen sozialen
die Bereitschaft für Investitionen in diese Richtung     Folgen betreiben. Auf Ebene der Innovations- und
gestiegen. Aber wie groß sind die finanziellen Spiel-    Wirtschaftsförderung kann darauf Einfluss ge-
räume unter dem Eindruck der ökonomischen Effek-         nommen werden, dass die Digitalisierungsschritte
te der Pandemie tatsächlich? Und wie wirken sich         nicht auf eine rein kostengetriebene Rationalisie-
die neuen Investitionen in digitale Technologien auf     rung hinauslaufen, sondern tatsächlich eine qua-
die Arbeitswelt aus? Verstärken sich im Kontext der      litative Transformation anstoßen, die mit einer
ökonomischen Schwierigkeiten Strategien der Auto-        Aufwertung der Arbeit und mit Maßnahmen zur
matisierung und Rationalisierung, die Arbeit substi-     Verbesserung der Ökobilanz einhergeht. Die um-
tuieren und einseitig an Effizienzkriterien ausrichten   fangreiche Förderung von Programmen zur Hu-
oder eröffnen sich zugleich Möglichkeiten für eine       manisierung der Arbeitswelt in den 1980er Jahren,
Aufwertung der Arbeit?                                   sowie die Überlegungen zu einer an sozial-ökolo-
                                                         gischen Zielsetzungen orientierten missionsgetrie-
Bislang hat die COVID-19-Krise bereits dazu ge-          benen Innovations- und Wirtschaftspolitik können
führt, dass Unternehmen ihre Digitalstrategien           hier ein Orientierungspunkt sein (siehe Kasten).
überdenken und vermehrt mit neuen Möglichkeiten          Ist COVID-19 in der Rückschau gar ein Auslöser
experimentieren. Dies legen zumindest Befragun-          für den längst notwendigen sozial-ökologischen
gen nahe, nach denen sich einige Digitalisierungs-       Umbau unserer Wirtschaftsordnung?
blockaden gelöst zu haben scheinen (vgl. Fraunho-
fer ISI, 2020; bitkom, 2020; Telekom, 2020). Aus
einigen Unternehmen hört man aber auch, dass die
Digitalaktivitäten stärker auf einzelne technologi-
sche Anwendungen fokussiert werden, dass also ein
Teil der Projekte an Bedeutung verliert, während
mehr in einige wenige Schlüsselprojekte investiert
wird. Wie auch immer sich das genau darstellt: es
ist wahrscheinlich, dass die meisten Unternehmen
nach der Pandemie in Bezug auf ihre Digitalstrate-
gien anders dastehen als davor.

Die Frage, wie die konkreten Auswirkungen auf
die Arbeitswelt aussehen, hängt entscheidend
davon ab, wie die Digitalisierung politisch und
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise                                                 \6

    Missionsorientierte Wirtschaft?

    Die britische Ökonomin Mariana Mazzucato            öffentlicher Förderprogramme waren, in der
    (2014; 2021) plädiert für eine strategische         Regel im Kontext militärischer Projekte. Solche
    Innovations- und Wirtschaftspolitik, die            Förderung, so das Plädoyer, sollte nun der
    gemeinwohlorientierte Zielsetzungen verfolgt.       Lösung drängender zivilisatorischer Probleme
    Am Beispiel der Schlüsseltechnologien des iPhone    wie dem Klimawandel zugutekommen. Die
    (Internet, Touchpad, GPS, Spracherkennung)          Europäische Kommission hat diese Anregungen
    illustriert sie, dass radikale Innovationen         in ihrem Programm: „Mission Innovation“1
    meist das Produkt langfristig ausgerichteter        jüngst aufgenommen.

3        Homeoffice: Vom Ausnahmezustand in eine bessere Normalität?

Das Homeoffice ist im Zuge der COVID-19-Krise          Allerdings stellt sich die Frage, ob dies auch der
ohne Zweifel zu einem Massenphänomen gewor-            Fall sein wird, wenn ein Teil der Arbeit langfris-
den. Mittels digitaler Kommunikation im virtuel-       tig von zu Hause aus erledigt wird. Zwar wird die
len Raum waren viele Beschäftigte schlagartig mit      Pendelzeit zum Arbeitsplatz gespart, allerdings
dieser Form des mobilen Arbeitens konfrontiert.        wird diese kaum für Freizeitaktivitäten oder zur Er-
Möglich ist, dass so einerseits Vorbehalte gegen-      holung genutzt. Stattdessen arbeiten die Beschäf-
über digitalem Arbeiten abgebaut wurden und in         tigten im Homeoffice häufig einfach länger (Lott,
fehlende Infrastrukturen investiert wurde, sowie       2020). Auch bleiben die mentalen und sozialen Be-
andererseits die fehlende Präsenz im Büro kon-         lastungen durch soziale Isolation oder räumliche
servative Managementkulturen abgeschwächt hat.         Enge vermutlich mindestens bis zur Überwindung
Es ist davon auszugehen, dass auch nach Ende der       der Pandemie bestehen. Unter diesen Bedingungen
Pandemie die Zusammenarbeit im virtuellen Raum         müssen sich Politik und Sozialpartner auch darü-
die Arbeitswelt stärker prägen wird. Doch wie muss     ber im Klaren sein, dass sich gesellschaftliche Un-
die Arbeit im Homeoffice gestaltet werden, damit       gleichheiten im Homeoffice verstärken können.
positiven Aspekte zur Geltung kommen, ohne dass        Schließlich arbeitet es sich im Arbeitszimmer eines
neue Belastungen entstehen?                            großzügigen Eigenheims mit Garten sicherlich
                                                       konzentrierter als wenn der Wohnraum knapp be-
Für die meisten Angestellten und Selbständigen,        messen ist und sich mehrere Familienangehörige
die zuvor nicht im Homeoffice gearbeitet hatten,       an improvisierten Büroarbeitsplätzen drängen.
war dies zunächst eine Phase der Improvisation.
In Befragungen während des ersten Lockdowns            Neuralgische Punkte, die dringend politisch gestal-
zeigte sich ein Großteil der Beschäftigten, die im     tet werden müssen, sind Fragen der Geschlechterge-
Homeoffice arbeiteten, zufrieden mit der Arbeitssi-    rechtigkeit, der Vermischung von Beruflichen und
tuation. Sie konnten durchaus an Gestaltungsspiel-     Privatem („Entgrenzung“), der Ergonomie der häus-
raum gewinnen, auch was die Vereinbarkeit von          lichen Büroausstattung bzw. des Gesundheitsschut-
Beruflichem und Privaten im schwierigen Kontext        zes, sowie die Verfügbarkeit geeigneter Infrastruktu-
während der Lockdowns angeht (BMAS, 2020a).            ren. So wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass

1
      http://mission-innovation.net
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Vorteile einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und       Das Recht auf Homeoffice muss jedoch zwingend
Familie während des Lockdowns auch in eine Retra-         einhergehen mit verbesserten institutionellen Rah-
ditionalisierung der Geschlechterrollen umschlagen        menbedingungen, insbesondere sozialer Unterstüt-
können. Denn es sind hauptsächlich Frauen, die wäh-       zungsangebote wie der Kinderbetreuung und Pflege
rend der Pandemie neben ihrer regulären Erwerbs-          sowie der Nutzung von Elternteilzeit bzw. flexibler
arbeit die Hauptlast der Haushalts-, Erziehungs-, und     Arbeitszeitgestaltung. Gewährleistet werden muss
Pflegeaufgaben übernehmen (Allmendinger, 2020).           zudem, dass die (gesundheitsförderliche) Büroaus-
Ohne ausreichende Kinderbetreuung und die Mög-            stattung, die technischen Infrastrukturen sowie der
lichkeit bei Bedarf auf die Vorteile einer räumlichen     damit einhergehende Energieverbrauch nicht an die
Trennung von Arbeits- und Wohnort zurückgrei-             Beschäftigten ausgesourct werden, sondern von den
fen zu können, könnten sich solche Effekte verste-        Unternehmen gestellt werden.
tigen. Ähnlich verhält es sich mit der Entgrenzung
der Arbeit. Es wird vielfach als Vorteil empfunden,       Gleichzeitig muss nicht nur das Recht auf Homeof-
dass es im Homeoffice besser möglich ist, sich die        fice eingefordert werden, sondern auch das Recht
Arbeitszeiten so zu legen, dass private Aufgaben bes-     auf Büro erhalten bleiben. Es wäre problematisch,
ser erledigt werden können. Doch welche Effekte hat       wenn Rationalisierungsbestrebungen von Unter-
eine solche Vermischung mittelfristig und wie kann        nehmen in Folge der Ausweitung des Homeoffice
vermieden werden, dass sie zu einer Always-Onli-          auch die Büroplätze der Beschäftigten ins Visier
ne-Kultur auswächst, bei der der Arbeitstag gar keine     nähmen. Gerade weil ein großer Teil der Beschäf-
Grenzen mehr kennt (Lott, 2020)? Schließlich: verfü-      tigten das Homeoffice aufgrund von Wohnungs-
gen Beschäftigte überhaupt über die geeignete Infra-      größe, Kinderbetreuung oder sozialer Isolation
struktur, die effektives Arbeiten unter gesundheitsför-   nicht als Dauerlösung bewältigen kann, muss sich
derlichen Bedingungen fördert und wer kommt für           hier die Politik bereits im Vorfeld zu Gunsten der
sie auf? Bislang lebt die Ausweitung des Homeoffice       Beschäftigten klar positionieren.
von einem spontanen Einsatz privater Ressourcen,
der arbeitspolitisch problematisch ist und nur gering-
fügig über Steuererleichterungen ausgeglichen wird.

Kurz: welche Kriterien gibt es dafür, damit die
Arbeit im Homeoffice im Übergang von der Impro-
visation zum Regelbetrieb auch gute Arbeit ist und
wie lässt sich das umsetzen? Während der Pandemie
geht es um den unmittelbaren Gesundheitsschutz
der Beschäftigten. Darüber hinaus stellt sich die Fra-
ge, ob es überhaupt gewollt ist, die Möglichkeit zur
Arbeit im Homeoffice auch nach der Krise zu ge-
währen. Dafür müssten konservative Führungskul-
turen überwunden werden und die organisatorischen
Voraussetzungen für einen nachhaltigen Übergang
zu mobileren Arbeitskulturen geschaffen werden.
Die politische Debatte kreist um ein Recht auf Ho-
meoffice, welches sowohl aus Gründen des Infek-
tionsschutzes, als auch hinsichtlich der souveräneren
Gestaltung der Arbeits- und Lebenszusammenhänge
von Beschäftigten zu begrüßen ist.
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4     Plattformarbeit: Unsichere Arbeit oder soziale Regulierung?

Über Plattformen vermittelte Dienstleistungen, die     Neben gestiegenem Auftragsvolumen konnten
von formal Selbstständigen ausgeführt und über         Dienstleistungsplattformen auch die Gunst der Stun-
Apps oder Internetseiten koordiniert werden, be-       de nutzen und ihre Angebote ausweiten. So hatte
schäftigen sowohl Forschung als auch Politik seit      der Mobilitätsdienstleister Uber zu Beginn der Pan-
einigen Jahren. Die Befürchtungen waren zunächst       demie zunächst massive Einbrüche erlebt, reagierte
groß, dass sich mit der Plattformarbeit ein neues,     aber, indem er die Plattform „work hub“ ins Leben
prekäres Arbeitsmodell ausbreitet, das die Lücken      rief. Auf dieser können die Fahrer*innen neben der
bestehender Regulierungen ausnutzt und auch zur        Personenbeförderung alternative Gigs annehmen,
Gefahr für betriebliche Arbeit würde. Bisher blieb     bspw. für Lebensmittellieferungen, LKW-Trans-
Plattformarbeit jedoch eher ein Nischenphänomen.       porte oder Zeitarbeitsschichten. Unternehmen wie
Im Zuge der Corona-Pandemie und den damit ver-         McDonald´s, 7-Eleven oder FedEx stellen Aufträge
bundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten könnte       direkt über die Uber Plattform ein (Chandler, 2020).
dieses Arbeitsmodell jedoch stark an Bedeutung         Die Krise könnte somit Anlass für Plattformunter-
gewinnen (BMAS, 2020b). In Nordamerika führ-           nehmen sein, sich über ihre jeweilige Nische im
te die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 bereits    Dienstleistungssektor hinaus zu bewegen und über-
zu solch einem Effekt: Die Nachfrage nach über         greifender zu agieren. Auf diese Weise verschwim-
Plattformen vermittelte Gigs (kurzzeitige Auftrags-    men die Grenzen zwischen regulären Leiharbeitsfir-
jobs) nahm im Kontext der Erschütterung der regu-      men und Arbeitsplattformen zusehends.
lären Arbeitsmärkte stark zu. Auch in Deutschland
ist nun damit zu rechnen, dass Plattformarbeit sich    Gleichzeitig haben sich durch die Pandemie die oh-
ausweitet. Umso mehr stellt sich die Frage, wie die    nehin schon dürftigen Arbeitsbedingungen der Platt-
politischen und sozialen Gefahren dieses Arbeits-      formarbeiter_innen weiter verschlechtert. Sie sind
modells in den Griff bekommen werden können.           nicht nur einem hohen Ansteckungsrisiko ausge-
                                                       setzt, auch die Auftragsvolumina schwanken je nach
Dies zeigt sich insbesondere am Beispiel lokaler       Einsatzfeld. Im Zuge der Kontaktbeschränkungen,
Dienstleistungsplattformen. Große Teile der Be-        die Plattformen für Mobilität und haushaltsnahe
schäftigten in der Gastronomie sind derzeit unter-     Dienstleistungen erheblich treffen, kann es schnell
beschäftigt, erleben Einkommenseinbußen und            zu Einkommensverlusten kommen. Darüber hinaus
sind existenzbedroht. Restaurantschließungen, Ho-      wächst die Zahl potenzieller Auftragnehmer*innen
meoffice und Kontaktbeschränkungen machten je-         auf den Plattformen der Lieferdienste weiter, wo-
doch Essenslieferdienste wie Lieferando oder In-       durch es schwieriger wird an Aufträge zu kommen.
stacart zu wichtigen Versorgungsinfrastrukturen
(Altenried et al., 2020). Genaue Zahlen hinsicht-      Wenig bekannt ist bisher über die Entwicklungen
lich des Anstiegs der dort Arbeitenden und des Um-     in der ortsunabhängigen Plattformarbeit, der soge-
fangs ihrer Arbeitsstunden sind allenfalls punktuell   nannten Crowdwork. Zunächst ist kein direkter Ein-
verfügbar, deuten aber auf einen sprunghaften An-      fluss der Pandemie und Kontaktbeschränkungen zu
stieg hin (BMAS, 2020b). Auch scheinen die Auf-        erwarten, da die Arbeit in diesem Feld ausschließlich
träge der Plattformen rasant zu steigen. Bei „Just     Online stattfindet. Gleichzeitig könnten sich aber
Eat Takeaway“, dem Mutterunternehmen von Lie-          indirekte Effekte zeigen: aufgrund von in der Wirt-
ferando, stiegen die Bestellungen im vierten Quar-     schaftskrise entstandenem Rationalisierungsdruck,
tal 2020 im Vergleich zum Vorjahr in Deutschland       versuchen Unternehmen Personal einzusparen und
um 56 Prozent (Boerse Online, 2021).                   lagern Arbeit zunehmend an flexibel skalierbare und
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kostengünstige Crowdworker*innen aus. Zudem ist           Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat
auch hier zu erwarten, dass sich aufgrund massiver        Eckpunkte für „Faire Arbeit in der Plattformökono-
Jobverluste viel mehr Menschen auf diesen Plattfor-       mie“ formuliert. Ziel ist es, faire Arbeit auch in der
men als arbeitssuchend registrieren.                      digitalen Wirtschaft zu ermöglichen und Plattform-
                                                          arbeiter*innen elementaren arbeits- und sozialrecht-
Plattformarbeiter*innen fordern in vielen Ländern         lichen Schutz zu ermöglichen, beispielsweise durch
bereits bessere Arbeitsbedingungen in und jenseits        die Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversiche-
der Pandemie. Dies betrifft z.B. die Ausstattung          rung, stärkeren Unfallschutz oder Mindestkündi-
mit FFP2-Masken oder Krankengeld. In mehreren             gungsfristen (BMAS, 2020b). Dass Plattformarbeit
Ländern Lateinamerikas organisierten Arbeiter*in-         reguliert werden kann, zeigen auch Beispiele aus
nen verschiedener Dienstleistungsplattformen ge-          Dänemark und Schweden, wo Gewerkschaften mit
meinsame Streiks – die ersten internationalen und         einigen Plattformanbieter*innen Vereinbarungen
sektorübergreifenden Arbeitskämpfe der Gig Eco-           ausgehandelt haben, die Tarifverträgen ähnlich sind
nomy. Einige marktführende Plattformen, darunter          (Jesnes et al., 2019). In der aktuellen Krise könnte
Uber, Instacart, Deliveroo, Ola oder DoorDash re-         sich entscheiden, inwiefern sich das Arbeitsmodell
agierten vielerorts mit Zugeständnissen. So wurde         auch längerfristig als prominenter Arbeitstypus ver-
in Australien eine Vereinbarung zu Verdienstaus-          ankern kann und ob es weiterhin die Merkmale einer
fällen aufgrund der COVID-19-Krise getroffen und          prekarisierten Arbeitswelt trägt oder ob es den dort
auch eine Interessensvertretung der Plattformarbei-       Beschäftigten tatsächlich ein stabiles Einkommen
ter*innen anerkannt (Forsyth et al., 2020).               und gute Arbeitsbedingungen bietet.

5     Die Arbeitswelt von morgen: Wie arbeiten wir nach der Krise?

Wie diese kurzen Ausführungen verdeutlichen, ent-         und Befragungen in sechs relevanten Sektoren (Fi-
stehen durch die COVID-19-Krise gleich mehrere            nanzdienstleistungen, Automobil, Chemie, Logistik,
Weichenstellungen, an denen sich entscheidet, wie die     Maschinenbau und Gesundheit) durch, um allgemei-
Arbeitswelt von morgen gestaltet werden kann. Es ist      ne Erkenntnisse über die digitale Transformation der
wahrscheinlich, dass die Pandemie tatsächlich einen       Arbeitswelt zu erlangen und konkrete Ansatzpunkte
Digitalisierungsschub auslöst, doch statt dies pauschal   für Gestaltungsinitiativen zu identifizieren.
zu bejubeln, geht es darum, diese Entwicklungen dif-
ferenziert zu analysieren und gezielt zu gestalten.       Wir sind überzeugt, dass der aktuelle Krisenmoment
Denn klar ist auch, dass die weitere Entwicklung der      auch Potenziale für eine positive Transformation von
Digitalisierung der Arbeitswelt unter dem Eindruck        Wirtschaft und Arbeitswelt bietet. Dies betrifft die so-
von Aufwertungspotenzialen einerseits und Kosten-         zialverträgliche Gestaltung des wirtschaftlichen Wan-
druck andererseits umkämpft sein wird und neben           dels, arbeitnehmerfreundliche Formen neuer Arbeits-
Gewinner*innen auch Verlierer*innen hervorbringt.         welten sowie eine zukunftsfähige Ausrichtung unseres
                                                          sozioökonomischen Modells. Ein wichtiger Fixpunkt
Die präzise Analyse der aktuellen Tendenzen, der je-      unserer Forschung ist daher die Frage, wie der Digi-
weiligen Triebkräfte und der Möglichkeiten zur Ge-        talisierungsschub in Folge der Covid-19-Krise auch
staltung durch betriebliche Akteure, Sozialpartner        zu einem Schub für eine sozial-ökologische Transfor-
und den Staat ist Gegenstand unseres Forschungs-          mation wird und wie sich politische und betriebliche
projekts. In diesem Rahmen führen wir Fallstudien         Perspektiven diesbezüglich ergänzen können.
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise                                                \ 10

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