Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise - WEIZENBAUM SERIES 16
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WEIZENBAUM SERIES \16 POLICY-BRIEF \ JUNI 2021 \ Florian Butollo, Jana Flemming, David Wandjo, Christine Gerber und Martin Krzywdzinski Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise Thesen und Handlungsempfehlungen
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise Florian Butollo* \ florian.butollo@wzb.eu; Jana Flemming* \ jana.flemming@wzb.eu; David Wandjo* \ david.wandjo@wzb.eu; Christine Gerber* \ christine.gerber@wzb.eu; Martin Krzywdzinski* \ martin.krzywdzinski@wzb.eu * Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) ISSN 2748-5587 \ DOI 10.34669/WI.WS/16 HERAUSGEBER: Der Vorstand des Weizenbaum-Instituts e.V. Prof. Dr. Christoph Neuberger Prof. Dr. Sascha Friesike Prof. Dr. Martin Krzywdzinski Dr. Karin-Irene Eiermann Hardenbergstraße 32 \ 10623 Berlin \ Tel.: +49 30 700141-001 info@weizenbaum-institut.de \ www.weizenbaum-institut.de COPYRIGHT: Diese Veröffentlichung ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namens- nennung 4.0 International“ (CC BY 4.0) lizenziert: https://creativecommons.org/ licenses/by/4.0/ WEIZENBAUM-INSTITUT: Das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft – Das Deutsche Internet-Institut ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Verbundprojekt. Es erforscht interdisziplinär und grundlagenorientiert den Wandel der Gesellschaft durch die Digitalisierung und entwickelt Gestaltungsoptionen für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Diese Arbeit wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert (Förderkennzeichen: 16DII121, 16DII122, 16DII123, 16DII124, 16DII125, 16DII126, 16DII127, 16DII128 – „Deutsches Internet-Institut“). Zusammenfassung Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die durch die sich die Arbeitswelt in der Krise durch die digita- COVID-19-Pandemie ausgelöste Krise zu struk- le Kommunikation im virtuellen Raum verändert. turellen Veränderungen der Arbeitswelt geführt Menschen die bereits im Homeoffice arbeiten, sind hat, die in engem Zusammenhang mit Digitalisie- jedoch verschiedenen Schwierigkeiten ausgesetzt. rungsprozessen stehen. Einige Veränderungen sind Virulent sind Fragen der Geschlechtergerechtig- in industriellen Produktionsprozessen, der mobi- keit, die Vermischung von beruflichem und priva- len Arbeit und auch der Plattformarbeit zu erwar- ten, sowie die Ausstattung des häuslichen Arbeits- ten. Damit solche Veränderungen sich positiv auf platzes. Aufgrund der Erschütterung der regulären die Arbeitswelt auswirken ist politische Gestaltung Arbeitsmärkte nahm auch über digitale Plattformen gefragt. Beobachtbar ist, dass einige Unternehmen vermittelte Arbeit zu. Die prekären Arbeitsbedin- ihre Digitalstrategien überdenken, teils forcieren gungen der Plattformarbeiter_innen haben sich und vermehrt mit neuen Möglichkeiten experimen- während der Pandemie noch zugespitzt, gleichzei- tieren. Hier ist es notwendig, Betriebsrät_innen tig ist international aber eine politische Regulierung und Beschäftigte frühzeitig in die Gestaltung neu- der Plattformarbeit in Sicht, die inzwischen auch in er Ansätze einzubinden. Am offensichtlichsten hat Deutschland in Ansätzen stattfindet.
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 4 2 Strategien der Digitalisierung: Mehr Rationalisie- rung oder mehr Humanisierung? 5 3 Homeoffice: Vom Ausnahmezustand in eine bessere Normalität? 6 4 Plattformarbeit: Unsichere Arbeit oder soziale Re- gulierung? 8 5 Die Arbeitswelt von morgen: Wie arbeiten wir nach der Krise? 9 6 Quellen 10
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise \4 1 Einleitung Die COVID-19-Krise hat unseren Alltag abrupt auf in Bewegung, denn die COVID-19-Krise stellt einen den Kopf gestellt. Vermutlich werden wir uns noch Ausnahmezustand für die politische Regulierung der viele Jahre später an die Zeit während der Lock- Marktwirtschaft dar: Nur durch drastische Auswei- downs und ihre weitreichenden Folgen für unser tung staatlicher Maßnahmen wie Kurzarbeit und Leben erinnern. Dabei sind die mittelfristigen Fol- Überbrückungskredite konnten die wirtschaftlichen gen der Krise noch längst nicht absehbar. Das gilt und sozialen Folgen der Krise in Deutschland eini- insbesondere für die Entwicklung von Wirtschaft germaßen unter Kontrolle gebracht und abgefedert und Arbeitswelt. Wird die momentan anhaltende werden. Doch wie sieht die auch durch die Digita- Krise im Rückblick als ein Strukturbruch erkenn- lisierung veränderte Zeit nach dem Abklingen der bar sein, in dessen Folge die Digitalisierung der Pandemie aus? Und wie wollen wir die neue Nor- Arbeitswelt einen mächtigen Schub erfahren hat? malität politisch gestalten? Eröffnet der Ausnahme- Anhaltspunkte für einen solchen Strukturbruch gibt zustand gar die Chance für eine sozial-ökologische es bereits. So ist die Arbeit im Homeoffice für viele Transformation, die den zukunftsfähigen Umbau Menschen zur tagtäglichen Realität geworden und unserer Wirtschaftsordnung befördert? viele Blockaden, digitale Arbeitsprozesse einzu- führen, wurden erzwungenermaßen aus dem Weg Im Folgenden skizzieren wir diese Weichenstel- geräumt. Allerdings ist ein differenzierter Blick lungen und den politischen Handlungsbedarf gefragt, denn wirtschaftliche Einschränkungen in Bezug auf drei Themen, bei denen deutliche können auch dazu führen, dass Investitionen zu- Veränderungen zu erwarten sind und die in den rückgehalten werden. Oder aber die Investitionen nächsten Monaten Gegenstand unserer empiri- konzentrieren sich nur auf bestimmte Typen digita- schen Untersuchungen sein werden: dem Arbeiten ler Technologien. So könnte bspw. Software für Vi- im Homeoffice, der Veränderung von Arbeitspro- deokonferenzen oder Cloud-Lösungen angeschafft zessen durch Digitalisierung und Automatisie- werden, während auf kostenintensivere Automati- rung (Industrie/Arbeit 4.0), sowie der über digita- sierungslösungen verzichtet wird. le Plattformen vermittelten Arbeit. Im Forschungsprojekt „Automatisierung, Digitali- sierung und Virtualisierung der Arbeitswelt in Fol- ge der COVID-19-Krise“ wollen wir eine systema- tische Untersuchung dieser Frage vornehmen. Wir möchten wissen, ob die derzeitige Wirtschaftskrise – ähnlich wie es bereits bei ökonomischen Krisen in der Vergangenheit der Fall war – ein Katalysa- tor für strukturelle Veränderungen in Industrie- und Dienstleistungssektoren sein kann, die schon zuvor im Keim vorhanden waren. Dabei richten wir insbe- sondere ein Augenmerk auf die Digitalisierung der Arbeitswelt. Die Frage, ob solche Veränderungen die Arbeitsbedingungen positiv oder negativ beeinflus- sen, hängt maßgeblich von der Gestaltung betriebli- cher und überbetrieblicher Verhältnisse durch Politik und Sozialpartner*innen ab. Hier ist derzeit Einiges
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise \5 2 Strategien der Digitalisierung: Mehr Rationalisierung oder mehr Humanisierung? Neuen digitalen Technologien wird das Potenzial zu- betrieblich gestaltet wird. Das war schon vor gesprochen, den Standort Deutschland in und nach COVID-19 der Fall, gilt nun aber umso mehr. Be- der Krise wettbewerbsfähig zu halten, indem neue triebsrät_innen und Beschäftigte müssen frühzei- digitale Geschäftsmodelle aufgesetzt werden und tig in Investitions- und Innovationsprojekte ein- die Produktion flexibler gestaltet wird (vgl. Platt- gebunden werden und ihre Gestaltungsspielräume form Industrie 4.0, 2020). Weil aufgrund der Kon- ausschöpfen, was Kompetenzaufbau und die Ko- taktbeschränkungen deutlich geworden ist, welchen operationsbereitschaft des Managements voraus- konkreten Nutzen die Digitalisierung haben kann, ist setzt. Und die Politik sollte ein Monitoring der Di- in den meisten Unternehmen das Bewusstsein und gitalisierungsschritte und ihrer jeweiligen sozialen die Bereitschaft für Investitionen in diese Richtung Folgen betreiben. Auf Ebene der Innovations- und gestiegen. Aber wie groß sind die finanziellen Spiel- Wirtschaftsförderung kann darauf Einfluss ge- räume unter dem Eindruck der ökonomischen Effek- nommen werden, dass die Digitalisierungsschritte te der Pandemie tatsächlich? Und wie wirken sich nicht auf eine rein kostengetriebene Rationalisie- die neuen Investitionen in digitale Technologien auf rung hinauslaufen, sondern tatsächlich eine qua- die Arbeitswelt aus? Verstärken sich im Kontext der litative Transformation anstoßen, die mit einer ökonomischen Schwierigkeiten Strategien der Auto- Aufwertung der Arbeit und mit Maßnahmen zur matisierung und Rationalisierung, die Arbeit substi- Verbesserung der Ökobilanz einhergeht. Die um- tuieren und einseitig an Effizienzkriterien ausrichten fangreiche Förderung von Programmen zur Hu- oder eröffnen sich zugleich Möglichkeiten für eine manisierung der Arbeitswelt in den 1980er Jahren, Aufwertung der Arbeit? sowie die Überlegungen zu einer an sozial-ökolo- gischen Zielsetzungen orientierten missionsgetrie- Bislang hat die COVID-19-Krise bereits dazu ge- benen Innovations- und Wirtschaftspolitik können führt, dass Unternehmen ihre Digitalstrategien hier ein Orientierungspunkt sein (siehe Kasten). überdenken und vermehrt mit neuen Möglichkeiten Ist COVID-19 in der Rückschau gar ein Auslöser experimentieren. Dies legen zumindest Befragun- für den längst notwendigen sozial-ökologischen gen nahe, nach denen sich einige Digitalisierungs- Umbau unserer Wirtschaftsordnung? blockaden gelöst zu haben scheinen (vgl. Fraunho- fer ISI, 2020; bitkom, 2020; Telekom, 2020). Aus einigen Unternehmen hört man aber auch, dass die Digitalaktivitäten stärker auf einzelne technologi- sche Anwendungen fokussiert werden, dass also ein Teil der Projekte an Bedeutung verliert, während mehr in einige wenige Schlüsselprojekte investiert wird. Wie auch immer sich das genau darstellt: es ist wahrscheinlich, dass die meisten Unternehmen nach der Pandemie in Bezug auf ihre Digitalstrate- gien anders dastehen als davor. Die Frage, wie die konkreten Auswirkungen auf die Arbeitswelt aussehen, hängt entscheidend davon ab, wie die Digitalisierung politisch und
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise \6 Missionsorientierte Wirtschaft? Die britische Ökonomin Mariana Mazzucato öffentlicher Förderprogramme waren, in der (2014; 2021) plädiert für eine strategische Regel im Kontext militärischer Projekte. Solche Innovations- und Wirtschaftspolitik, die Förderung, so das Plädoyer, sollte nun der gemeinwohlorientierte Zielsetzungen verfolgt. Lösung drängender zivilisatorischer Probleme Am Beispiel der Schlüsseltechnologien des iPhone wie dem Klimawandel zugutekommen. Die (Internet, Touchpad, GPS, Spracherkennung) Europäische Kommission hat diese Anregungen illustriert sie, dass radikale Innovationen in ihrem Programm: „Mission Innovation“1 meist das Produkt langfristig ausgerichteter jüngst aufgenommen. 3 Homeoffice: Vom Ausnahmezustand in eine bessere Normalität? Das Homeoffice ist im Zuge der COVID-19-Krise Allerdings stellt sich die Frage, ob dies auch der ohne Zweifel zu einem Massenphänomen gewor- Fall sein wird, wenn ein Teil der Arbeit langfris- den. Mittels digitaler Kommunikation im virtuel- tig von zu Hause aus erledigt wird. Zwar wird die len Raum waren viele Beschäftigte schlagartig mit Pendelzeit zum Arbeitsplatz gespart, allerdings dieser Form des mobilen Arbeitens konfrontiert. wird diese kaum für Freizeitaktivitäten oder zur Er- Möglich ist, dass so einerseits Vorbehalte gegen- holung genutzt. Stattdessen arbeiten die Beschäf- über digitalem Arbeiten abgebaut wurden und in tigten im Homeoffice häufig einfach länger (Lott, fehlende Infrastrukturen investiert wurde, sowie 2020). Auch bleiben die mentalen und sozialen Be- andererseits die fehlende Präsenz im Büro kon- lastungen durch soziale Isolation oder räumliche servative Managementkulturen abgeschwächt hat. Enge vermutlich mindestens bis zur Überwindung Es ist davon auszugehen, dass auch nach Ende der der Pandemie bestehen. Unter diesen Bedingungen Pandemie die Zusammenarbeit im virtuellen Raum müssen sich Politik und Sozialpartner auch darü- die Arbeitswelt stärker prägen wird. Doch wie muss ber im Klaren sein, dass sich gesellschaftliche Un- die Arbeit im Homeoffice gestaltet werden, damit gleichheiten im Homeoffice verstärken können. positiven Aspekte zur Geltung kommen, ohne dass Schließlich arbeitet es sich im Arbeitszimmer eines neue Belastungen entstehen? großzügigen Eigenheims mit Garten sicherlich konzentrierter als wenn der Wohnraum knapp be- Für die meisten Angestellten und Selbständigen, messen ist und sich mehrere Familienangehörige die zuvor nicht im Homeoffice gearbeitet hatten, an improvisierten Büroarbeitsplätzen drängen. war dies zunächst eine Phase der Improvisation. In Befragungen während des ersten Lockdowns Neuralgische Punkte, die dringend politisch gestal- zeigte sich ein Großteil der Beschäftigten, die im tet werden müssen, sind Fragen der Geschlechterge- Homeoffice arbeiteten, zufrieden mit der Arbeitssi- rechtigkeit, der Vermischung von Beruflichen und tuation. Sie konnten durchaus an Gestaltungsspiel- Privatem („Entgrenzung“), der Ergonomie der häus- raum gewinnen, auch was die Vereinbarkeit von lichen Büroausstattung bzw. des Gesundheitsschut- Beruflichem und Privaten im schwierigen Kontext zes, sowie die Verfügbarkeit geeigneter Infrastruktu- während der Lockdowns angeht (BMAS, 2020a). ren. So wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass 1 http://mission-innovation.net
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise \7 Vorteile einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Das Recht auf Homeoffice muss jedoch zwingend Familie während des Lockdowns auch in eine Retra- einhergehen mit verbesserten institutionellen Rah- ditionalisierung der Geschlechterrollen umschlagen menbedingungen, insbesondere sozialer Unterstüt- können. Denn es sind hauptsächlich Frauen, die wäh- zungsangebote wie der Kinderbetreuung und Pflege rend der Pandemie neben ihrer regulären Erwerbs- sowie der Nutzung von Elternteilzeit bzw. flexibler arbeit die Hauptlast der Haushalts-, Erziehungs-, und Arbeitszeitgestaltung. Gewährleistet werden muss Pflegeaufgaben übernehmen (Allmendinger, 2020). zudem, dass die (gesundheitsförderliche) Büroaus- Ohne ausreichende Kinderbetreuung und die Mög- stattung, die technischen Infrastrukturen sowie der lichkeit bei Bedarf auf die Vorteile einer räumlichen damit einhergehende Energieverbrauch nicht an die Trennung von Arbeits- und Wohnort zurückgrei- Beschäftigten ausgesourct werden, sondern von den fen zu können, könnten sich solche Effekte verste- Unternehmen gestellt werden. tigen. Ähnlich verhält es sich mit der Entgrenzung der Arbeit. Es wird vielfach als Vorteil empfunden, Gleichzeitig muss nicht nur das Recht auf Homeof- dass es im Homeoffice besser möglich ist, sich die fice eingefordert werden, sondern auch das Recht Arbeitszeiten so zu legen, dass private Aufgaben bes- auf Büro erhalten bleiben. Es wäre problematisch, ser erledigt werden können. Doch welche Effekte hat wenn Rationalisierungsbestrebungen von Unter- eine solche Vermischung mittelfristig und wie kann nehmen in Folge der Ausweitung des Homeoffice vermieden werden, dass sie zu einer Always-Onli- auch die Büroplätze der Beschäftigten ins Visier ne-Kultur auswächst, bei der der Arbeitstag gar keine nähmen. Gerade weil ein großer Teil der Beschäf- Grenzen mehr kennt (Lott, 2020)? Schließlich: verfü- tigten das Homeoffice aufgrund von Wohnungs- gen Beschäftigte überhaupt über die geeignete Infra- größe, Kinderbetreuung oder sozialer Isolation struktur, die effektives Arbeiten unter gesundheitsför- nicht als Dauerlösung bewältigen kann, muss sich derlichen Bedingungen fördert und wer kommt für hier die Politik bereits im Vorfeld zu Gunsten der sie auf? Bislang lebt die Ausweitung des Homeoffice Beschäftigten klar positionieren. von einem spontanen Einsatz privater Ressourcen, der arbeitspolitisch problematisch ist und nur gering- fügig über Steuererleichterungen ausgeglichen wird. Kurz: welche Kriterien gibt es dafür, damit die Arbeit im Homeoffice im Übergang von der Impro- visation zum Regelbetrieb auch gute Arbeit ist und wie lässt sich das umsetzen? Während der Pandemie geht es um den unmittelbaren Gesundheitsschutz der Beschäftigten. Darüber hinaus stellt sich die Fra- ge, ob es überhaupt gewollt ist, die Möglichkeit zur Arbeit im Homeoffice auch nach der Krise zu ge- währen. Dafür müssten konservative Führungskul- turen überwunden werden und die organisatorischen Voraussetzungen für einen nachhaltigen Übergang zu mobileren Arbeitskulturen geschaffen werden. Die politische Debatte kreist um ein Recht auf Ho- meoffice, welches sowohl aus Gründen des Infek- tionsschutzes, als auch hinsichtlich der souveräneren Gestaltung der Arbeits- und Lebenszusammenhänge von Beschäftigten zu begrüßen ist.
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise \8 4 Plattformarbeit: Unsichere Arbeit oder soziale Regulierung? Über Plattformen vermittelte Dienstleistungen, die Neben gestiegenem Auftragsvolumen konnten von formal Selbstständigen ausgeführt und über Dienstleistungsplattformen auch die Gunst der Stun- Apps oder Internetseiten koordiniert werden, be- de nutzen und ihre Angebote ausweiten. So hatte schäftigen sowohl Forschung als auch Politik seit der Mobilitätsdienstleister Uber zu Beginn der Pan- einigen Jahren. Die Befürchtungen waren zunächst demie zunächst massive Einbrüche erlebt, reagierte groß, dass sich mit der Plattformarbeit ein neues, aber, indem er die Plattform „work hub“ ins Leben prekäres Arbeitsmodell ausbreitet, das die Lücken rief. Auf dieser können die Fahrer*innen neben der bestehender Regulierungen ausnutzt und auch zur Personenbeförderung alternative Gigs annehmen, Gefahr für betriebliche Arbeit würde. Bisher blieb bspw. für Lebensmittellieferungen, LKW-Trans- Plattformarbeit jedoch eher ein Nischenphänomen. porte oder Zeitarbeitsschichten. Unternehmen wie Im Zuge der Corona-Pandemie und den damit ver- McDonald´s, 7-Eleven oder FedEx stellen Aufträge bundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten könnte direkt über die Uber Plattform ein (Chandler, 2020). dieses Arbeitsmodell jedoch stark an Bedeutung Die Krise könnte somit Anlass für Plattformunter- gewinnen (BMAS, 2020b). In Nordamerika führ- nehmen sein, sich über ihre jeweilige Nische im te die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 bereits Dienstleistungssektor hinaus zu bewegen und über- zu solch einem Effekt: Die Nachfrage nach über greifender zu agieren. Auf diese Weise verschwim- Plattformen vermittelte Gigs (kurzzeitige Auftrags- men die Grenzen zwischen regulären Leiharbeitsfir- jobs) nahm im Kontext der Erschütterung der regu- men und Arbeitsplattformen zusehends. lären Arbeitsmärkte stark zu. Auch in Deutschland ist nun damit zu rechnen, dass Plattformarbeit sich Gleichzeitig haben sich durch die Pandemie die oh- ausweitet. Umso mehr stellt sich die Frage, wie die nehin schon dürftigen Arbeitsbedingungen der Platt- politischen und sozialen Gefahren dieses Arbeits- formarbeiter_innen weiter verschlechtert. Sie sind modells in den Griff bekommen werden können. nicht nur einem hohen Ansteckungsrisiko ausge- setzt, auch die Auftragsvolumina schwanken je nach Dies zeigt sich insbesondere am Beispiel lokaler Einsatzfeld. Im Zuge der Kontaktbeschränkungen, Dienstleistungsplattformen. Große Teile der Be- die Plattformen für Mobilität und haushaltsnahe schäftigten in der Gastronomie sind derzeit unter- Dienstleistungen erheblich treffen, kann es schnell beschäftigt, erleben Einkommenseinbußen und zu Einkommensverlusten kommen. Darüber hinaus sind existenzbedroht. Restaurantschließungen, Ho- wächst die Zahl potenzieller Auftragnehmer*innen meoffice und Kontaktbeschränkungen machten je- auf den Plattformen der Lieferdienste weiter, wo- doch Essenslieferdienste wie Lieferando oder In- durch es schwieriger wird an Aufträge zu kommen. stacart zu wichtigen Versorgungsinfrastrukturen (Altenried et al., 2020). Genaue Zahlen hinsicht- Wenig bekannt ist bisher über die Entwicklungen lich des Anstiegs der dort Arbeitenden und des Um- in der ortsunabhängigen Plattformarbeit, der soge- fangs ihrer Arbeitsstunden sind allenfalls punktuell nannten Crowdwork. Zunächst ist kein direkter Ein- verfügbar, deuten aber auf einen sprunghaften An- fluss der Pandemie und Kontaktbeschränkungen zu stieg hin (BMAS, 2020b). Auch scheinen die Auf- erwarten, da die Arbeit in diesem Feld ausschließlich träge der Plattformen rasant zu steigen. Bei „Just Online stattfindet. Gleichzeitig könnten sich aber Eat Takeaway“, dem Mutterunternehmen von Lie- indirekte Effekte zeigen: aufgrund von in der Wirt- ferando, stiegen die Bestellungen im vierten Quar- schaftskrise entstandenem Rationalisierungsdruck, tal 2020 im Vergleich zum Vorjahr in Deutschland versuchen Unternehmen Personal einzusparen und um 56 Prozent (Boerse Online, 2021). lagern Arbeit zunehmend an flexibel skalierbare und
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise \9 kostengünstige Crowdworker*innen aus. Zudem ist Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat auch hier zu erwarten, dass sich aufgrund massiver Eckpunkte für „Faire Arbeit in der Plattformökono- Jobverluste viel mehr Menschen auf diesen Plattfor- mie“ formuliert. Ziel ist es, faire Arbeit auch in der men als arbeitssuchend registrieren. digitalen Wirtschaft zu ermöglichen und Plattform- arbeiter*innen elementaren arbeits- und sozialrecht- Plattformarbeiter*innen fordern in vielen Ländern lichen Schutz zu ermöglichen, beispielsweise durch bereits bessere Arbeitsbedingungen in und jenseits die Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversiche- der Pandemie. Dies betrifft z.B. die Ausstattung rung, stärkeren Unfallschutz oder Mindestkündi- mit FFP2-Masken oder Krankengeld. In mehreren gungsfristen (BMAS, 2020b). Dass Plattformarbeit Ländern Lateinamerikas organisierten Arbeiter*in- reguliert werden kann, zeigen auch Beispiele aus nen verschiedener Dienstleistungsplattformen ge- Dänemark und Schweden, wo Gewerkschaften mit meinsame Streiks – die ersten internationalen und einigen Plattformanbieter*innen Vereinbarungen sektorübergreifenden Arbeitskämpfe der Gig Eco- ausgehandelt haben, die Tarifverträgen ähnlich sind nomy. Einige marktführende Plattformen, darunter (Jesnes et al., 2019). In der aktuellen Krise könnte Uber, Instacart, Deliveroo, Ola oder DoorDash re- sich entscheiden, inwiefern sich das Arbeitsmodell agierten vielerorts mit Zugeständnissen. So wurde auch längerfristig als prominenter Arbeitstypus ver- in Australien eine Vereinbarung zu Verdienstaus- ankern kann und ob es weiterhin die Merkmale einer fällen aufgrund der COVID-19-Krise getroffen und prekarisierten Arbeitswelt trägt oder ob es den dort auch eine Interessensvertretung der Plattformarbei- Beschäftigten tatsächlich ein stabiles Einkommen ter*innen anerkannt (Forsyth et al., 2020). und gute Arbeitsbedingungen bietet. 5 Die Arbeitswelt von morgen: Wie arbeiten wir nach der Krise? Wie diese kurzen Ausführungen verdeutlichen, ent- und Befragungen in sechs relevanten Sektoren (Fi- stehen durch die COVID-19-Krise gleich mehrere nanzdienstleistungen, Automobil, Chemie, Logistik, Weichenstellungen, an denen sich entscheidet, wie die Maschinenbau und Gesundheit) durch, um allgemei- Arbeitswelt von morgen gestaltet werden kann. Es ist ne Erkenntnisse über die digitale Transformation der wahrscheinlich, dass die Pandemie tatsächlich einen Arbeitswelt zu erlangen und konkrete Ansatzpunkte Digitalisierungsschub auslöst, doch statt dies pauschal für Gestaltungsinitiativen zu identifizieren. zu bejubeln, geht es darum, diese Entwicklungen dif- ferenziert zu analysieren und gezielt zu gestalten. Wir sind überzeugt, dass der aktuelle Krisenmoment Denn klar ist auch, dass die weitere Entwicklung der auch Potenziale für eine positive Transformation von Digitalisierung der Arbeitswelt unter dem Eindruck Wirtschaft und Arbeitswelt bietet. Dies betrifft die so- von Aufwertungspotenzialen einerseits und Kosten- zialverträgliche Gestaltung des wirtschaftlichen Wan- druck andererseits umkämpft sein wird und neben dels, arbeitnehmerfreundliche Formen neuer Arbeits- Gewinner*innen auch Verlierer*innen hervorbringt. welten sowie eine zukunftsfähige Ausrichtung unseres sozioökonomischen Modells. Ein wichtiger Fixpunkt Die präzise Analyse der aktuellen Tendenzen, der je- unserer Forschung ist daher die Frage, wie der Digi- weiligen Triebkräfte und der Möglichkeiten zur Ge- talisierungsschub in Folge der Covid-19-Krise auch staltung durch betriebliche Akteure, Sozialpartner zu einem Schub für eine sozial-ökologische Transfor- und den Staat ist Gegenstand unseres Forschungs- mation wird und wie sich politische und betriebliche projekts. In diesem Rahmen führen wir Fallstudien Perspektiven diesbezüglich ergänzen können.
Digitalisierung der Arbeitswelt in und nach der COVID-19-Krise \ 10 6 Quellen Allmendinger, Jutta (2020). Familie in der Co- Forsyth, Anthony (2020). Collectivising the Gig rona-Krise: Die Frauen verlieren ihre Würde. Economy in Australia. International Union Die Zeit, 12.05.2020. https://www.zeit.de/ge- Rights 27 (3): 18–28. sellschaft/zeitgeschehen/2020-05/familie-co- Fraunhofer ISI (2020). Produktion in Zeiten der rona-krise-frauen-rollenverteilung-rueckentwi- Corona-Krise. https://www.isi.fraunhofer.de/ cklung (12.03.2021) content/dam/isi/dokumente/modernisierung-pro- Altenried, Moritz, Niebler, Valentin & Wallis, duktion/erhebung2018/PI_78_Produktion_in_ Mira (2020). Corona-Krise - On-demand. Pre- Corona_Web.pdf (12.03.2021) kär. Systemrelevant. Der Freitag, 25.03.2020. Jesnes, Kristin, Ilsøe, Anna & Hotvedt, Marianne https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/on-de- (2019) Collective Agreements for Platform mand-prekaer-systemrelevant Workers? Examples from the Nordic Countries. bitkom (22.11.2020). Corona-Pandemie zwingt Nordic future of work Brief 3. https://faos.ku.dk/ Unternehmen zur Digitalisierung. https://www. pdf/faktaark/Nfow-brief3.pdf (12.03.2021) bitkom.org/Presse/Presseinformation/Coro- Lott, Yvonne (2020). Work-Life Balance im na-Pandemie-zwingt-Unternehmen-zur-Digitali- Home-Office: Was kann der Betrieb tun? Wel- sierung (12.03.2021) che betrieblichen Bedingungen sind für eine BMAS (2020a). Verbreitung und Auswirkungen gute Work-Life Balance im Homeoffice notwen- von mobiler Arbeit und Homeoffice. Kurzexper- dig? Hans-Böckler-Stiftung (Report, 54). tise. Institut Arbeit und Qualifikation; Zentrum Mazzucato, Mariana (2014). Das Kapital des für europäische Wirtschaftsforschung; Institute Staates: Eine andere Geschichte von Innovation of Labor Economics. und Wachstum. Kunstmann: München. BMAS (2020b). Faire Arbeit in der Plattform- öko- Mazzucato, Mariana (2021). Mission Economy: nomie – Positionspapier des BMAS. https://www. A Moonshot Guide to Changing Capitalism. bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Pressemit- Harper Business. teilungen/2020/eckpunkte-faire-plattformarbeit. Plattform Industrie 4.0 (2020). Corona und die Fol- pdf?__blob=publicationFile&v=1 gen - Thesenpapier. https://www.plattform-i40. Boerse Online (2021). Essenslieferdienst Just Eat de/PI40/Redaktion/DE/Downloads/Publikation/ Takeaway Setzt Starkes Wachstum Auch Ende Corona_Thesen.html (12.03.2021) 2020 Fort. https://www.boerse-online.de/nach- Telekom (2020), Gesamtbericht 2021 – Digitali richten/aktien/essenslieferdienst-just-eat-takea- sierungsindex. https://www.digitalisierungsin- way-setzt-starkes-wachstum-auch-ende-2020- dex.de/studie/gesamtbericht-2021/ fort-1029963060. Borchert, Kathrin, Hirth, Matthias, Kummer, Mi- chael E., Laitenberger, Ulrich, Slivko, Olga & Viete, Steffen (2018). Unemployment and online labor. ZEW-Centre for European Economic Re- search Discussion Paper, Nr. 18–023. Chandler, Simon (2020). Coronavirus Turns Uber Into Gig Platform For All Work. Forbes. 07.04.2020. https://www.forbes.com/sites/si- monchandler/2020/04/07/coronavirus-turns- uber-into-gig-platform-for-all-work/.
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