DRESDEN BERICHTET - ifo Institut

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DRESDEN                                                                               02
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BERICHTET
                                                                                        März/April
                                                                                      28. Jahrgang

AK TUELLE                                  AK TUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE
FORSCHUNGSERGEBNISSE

Die Resilienz deutscher                    Welche Faktoren
Kreise gegenüber der Natur-
katastrophe Sturm „Lothar“
Mona Förtsch, Xenia Frei und Anna Kremer
                                           begünstigen die
Landesweite Lockdowns,                     Erholung der
wirtschaftliche Wahrnehmung
und politische Einstellungen               deutschen Kreise
in der Bevölkerung
Marcel Thum                                von der Finanzkrise?
Entwicklung der Mobilität in               Mona Förtsch, Xenia Frei und Anna Kremer
Deutschland und Sachsen im
zweiten Corona-Lockdown
Joachim Ragnitz

Wie man wirtschaftliche Un-
sicherheit empirisch messen
kann – Eine Darstellung am
Beispiel von Deutschland
Niels Gillmann und Alexander Hilgenberg

IM BLICKPUNK T

Deutscher Arbeitsmarkt ist
lokal widerstandsfähig
Mona Förtsch, Xenia Frei und Anna Kremer

DATEN UND PROGNOSEN

ifo Konjunkturumfragen
Ostdeutschland und Sachsen
ifo Dresden berichtet
ISSN 0945-5922
28. Jahrgang (2021)
Herausgeber: ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.,
Niederlassung Dresden, Einsteinstraße 3, 01069 Dresden
Telefon: 0351 26476-0, Telefax: 0351 26476-20
E-Mail: dresden@ifo.de
Redaktion: Joachim Ragnitz
Technische Leitung: Katrin Behm
Vertrieb: ifo Institut, Niederlassung Dresden
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Bezugspreis jährlich: 25,00 Euro
Preis des Einzelheftes: 5,00 Euro
Preise einschl. Mehrwertsteuer, zzgl. Versandkosten
Grafik Design: © ifo Institut München
Satz und Druck: Neue Druckhaus Dresden GmbH
Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): Nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung
eines Belegexemplars

Im Internet:
http://www.ifo-dresden.de

              Die Niederlassung Dresden des ifo Instituts wird mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grund-
              lage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.
ifo Dresden
berichtet                                                                                                          02/2021

AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE

Welche Faktoren begünstigen die Erholung der deutschen Kreise von der Finanzkrise?                                                     3
Mona Förtsch, Xenia Frei und Anna Kremer

Infolge der globalen Finanzkrise brach das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner der deutschen Kreise im Jahr 2009 im Vergleich
zum Vorjahr deutlich ein. Dieser Beitrag untersucht auf Kreisebene, welche Faktoren dazu beitrugen, dass sich das reale Brutto-
inlandprodukt je Einwohner vollständig und relativ schnell wieder erholte. Unsere Ergebnisse zeigen, dass vor allem eine breit
aufgestellte Wirtschaftsstruktur sowie ein stabiler Arbeitsmarkt ausschlaggebend zu sein scheinen.

Die Resilienz deutscher Kreise gegenüber der Naturkatastrophe Sturm „Lothar“                                                           9
Mona Förtsch, Xenia Frei und Anna Kremer

Dieser Artikel untersucht die wirtschaftliche Resilienz der deutschen Kreise gegenüber einer Naturkatastrophe. Hierfür betrachten
wir die Auswirkungen des Sturms Lothar, welcher zum Ende des Jahres 1999 besonders in Süddeutschland wütete. Unsere
Untersuchung zeigt, dass die deutschen Regionen gegenüber dem Sturm Lothar recht resilient waren. Nur in besonders stark
betroffenen Orkanregionen hatte Lothar einen negativen Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner. Kreise, in denen die
Windstärken geringer ausfielen, waren demgegenüber weniger anfällig. Auch in den stark betroffenen Kreisen kam es aber zu
einer sehr schnellen wirtschaftlichen Erholung, in der Regel innerhalb eines Jahres.

Landesweite Lockdowns, wirtschaftliche Wahrnehmung und politische Einstellungen
in der Bevölkerung                                                                                                                   15
Marcel Thum

Die Covid-19-Pandemie hat die Lebensumstände der Menschen weltweit verändert. Möglicherweise haben sich durch die Pan-
demie selbst wie auch durch die tiefgreifenden Politikinterventionen die politischen und ökonomischen Wahrnehmungen der
Bürger*innen verschoben. Dieser Beitrag fasst einige Ergebnisse aus einer großangelegten Befragung in Deutschland, Frankreich,
Spanien und dem Vereinigten Königreich zu politischen Einstellungen und ökonomischen Wahrnehmungen aus dem März 2020
zusammen, als in diesen vier Ländern zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhebliche Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen
eingeführt wurden. Insgesamt hat sich die wirtschaftliche Unsicherheit vor allem bei jüngeren Menschen erhöht, populistische
Tendenzen haben nicht zugenommen. Überraschend können wir eine leicht positivere Haltung gegenüber Globalisierung
registrieren. Ebenfalls zu beobachten war allerdings auch ein Anstieg der autoritären Tendenzen.

Entwicklung der Mobilität in Deutschland und Sachsen im zweiten Corona-Lockdown                                                      19
Joachim Ragnitz

Ein wesentlicher Bestandteil der politischen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland ist die Ver-
meidung von Kontakten. Als unterstützende Maßnahme hierfür wird dabei die Einschränkung der Mobilität angesehen. Im
vorliegenden Beitrag wird vor diesem Hintergrund dargestellt, wie sich die Mobilität in Deutschland im zweiten Lockdown ab
Anfang November 2020 entwickelt hat. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Entwicklung im Freistaat Sachsen gelegt,
wo die Infektionszahlen in den Wintermonaten besonders hoch waren. Es zeigt sich – wenig überraschend –, dass die Mobilität
insbesondere mit der weitgehenden Schließung von Einzelhandelsgeschäften und vermehrter Nutzung von Homeoffice deutlich
abgenommen hat. Ein enger räumlicher oder zeitlicher Zusammenhang zwischen Mobilität und Infektionszahlen lässt sich indes
nicht feststellen.

                                                                                                           ifo Dresden berichtet   2/2021   1
Wie man wirtschaftliche Unsicherheit empirisch messen kann – Eine Darstellung am Beispiel
    von Deutschland                                                                                                             24
    Niels Gillmann und Alexander Hilgenberg

    In wirtschaftlichen Krisen steigt auch die Unsicherheit über die weitere Wirtschaftsentwicklung. Die empirische Messung dieser
    Unsicherheit ist allerdings schwierig, da diese nicht direkt beobachtet werden kann, sondern anhand von anderen verfügbaren
    Variablen abgeleitet werden muss. Deswegen gibt es viele verschiedene Ansätze, um Unsicherheit messbar zu machen. In diesem
    Artikel stellen wir die bekanntesten Ansätze anhand von Beispielen für Deutschland vor und überprüfen, welcher Ansatz am
    vielversprechendsten für die Messung von Unsicherheit erscheint. Die Ansätze unterscheiden sich teils deutlich voneinander.
    Insgesamt scheinen allerdings die Unsicherheitsmaße basierend auf Unternehmensbefragungen am besten für die Quantifi-
    zierung von Unsicherheit in Deutschland geeignet zu sein.

    IM BLICKPUNKT

    Deutscher Arbeitsmarkt ist lokal widerstandsfähig                                                                           30
    Mona Förtsch, Xenia Frei und Anna Kremer

    Selbst in Zeiten einer florierenden Wirtschaft, wie wir sie in den zehn Jahren vor Ausbruch der Corona-Pandemie beobachten
    konnten, kommt es immer wieder zu lokal begrenzten Einbrüchen am Arbeitsmarkt, bspw. aufgrund der Insolvenz eines lokal
    großen Unternehmens oder einer Werksschließung. Wir nutzen diese Einbrüche, gemessen an dem Anstieg der lokalen Arbeits-
    losigkeit, um zu untersuchen, wie schnell sich die regionalen Arbeitsmärkte in Deutschland hiervon wieder erholen. Unsere
    Ergebnisse zeigen, dass der deutsche Arbeitsmarkt in guten Zeiten widerstandsfähig ist. Selbst große lokale Arbeitsmarktschocks
    erhöhen die Arbeitslosigkeit kaum und sind nach acht Monaten vollständig verarbeitet.

    DATEN UND PROGNOSEN

    ifo Konjunkturumfragen Ostdeutschland und Sachsen                                                                           34
    Niels Gillmann und Jannik A. Nauerth

    AUS DEM ifo DRESDEN

    ifo Veranstaltungen                                                                                                         37

    ifo Veröffentlichungen                                                                                                      37

    ifo Vorträge                                                                                                                38

    ifo in den Medien                                                                                                           38

    ifo Team                                                                                                                    38

2   ifo Dresden berichtet 2/2021
Ak tuelle Forschungsergebnisse

Mona Förtsch, Xenia Frei und Anna Kremer*

Welche Faktoren begünstigen die Erholung
der deutschen Kreise von der Finanzkrise?

Infolge der globalen Finanzkrise brach das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner der deutschen Kreise im
Jahr 2009 im Vergleich zum Vorjahr deutlich ein. Dieser Beitrag untersucht auf Kreisebene, welche Faktoren
dazu beitrugen, dass sich das reale Bruttoinlandprodukt je Einwohner vollständig und relativ schnell
wieder erholte. Unsere Ergebnisse zeigen, dass vor allem eine breit aufgestellte Wirtschaftsstruktur sowie
ein stabiler Arbeitsmarkt ausschlaggebend zu sein scheinen.

Die globale Finanzkrise, die in den USA begann, führte in            nologisch) wissensbasierte Beschäftigungsstruktur und einen
Deutschland in 2009 und den darauffolgenden Jahren zu einer          hohen Anteil an qualifizierter Arbeitskraft aufweisen, resilienter
Rezession. Das durchschnittliche reale Bruttoinlandsprodukt          sind als Regionen, in denen das nicht der Fall ist. Der direkte
(BIP) je Einwohner lag 2009 um mehr als 5% unterhalb des             Einfluss von Forschungs- und Entwicklungsausgaben scheint
Wertes von 2008. Doch nicht alle Kreise waren gleichermaßen          dagegen kurzfristig sogar negativ mit dem Wirtschaftswachs-
von der Krise betroffen. Abbildung 1 zeigt, dass es Kreise gab,      tum zusammenzuhängen (Crescenzi und Milio 2016). Hinsicht-
die ohne einen negativen Einfluss auf das BIP je Einwohner           lich geografischer Faktoren finden die meisten Studien, dass
durch die Krise kamen (rund 7% der Kreise). In den meisten           Städte resilienter sind als ländliche Regionen und begründen
Kreisen (rund 87%) brach das reale BIP je Einwohner zwar ein,        dies etwa durch die Erreichbarkeit oder Verfügbarkeit von
jedoch erholten sich die Kreise vollständig von dem Einbruch         Produktionsfaktoren (Martin und Gardiner 2019).
und erreichten oder übertrafen ihr Vorkrisenniveau in den
Folgejahren. In nur wenigen Kreisen (rund 6%) brach das reale        DATEN
BIP je Einwohner so tief ein, dass die Wirtschaft auch im Jahr
2017 das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht hatte.           Um zu untersuchen, warum die deutschen Kreise unterschied-
     Dieser Beitrag fasst wesentliche Ergebnisse der ifo Dresden     lich stark auf die Finanzkrise reagierten, verwenden wir Regio-
Studie 86 (vgl. Foertsch et al. 2021) zusammen. In der Studie        naldaten auf Kreisebene von 2008 bis 2017.1 Die Hauptdaten-
untersuchen wir, welche Faktoren dazu beitragen, dass sich die       quelle ist die INKAR-Datenbank des Bundesamtes für Bau-,
deutschen Kreise gegenüber der Finanzkrise in 2009 resilient         Stadt- und Raumforschung (BBSR), welche wir durch zusätzli-
zeigten. Resilienz bezeichnet die Fähigkeit eines Wirtschafts-       che Daten des Arbeitskreises Volkswirtschaftliche Gesamt-
systems, nach einem exogenen Schock auf sein Vorkrisen-              rechnungen der Länder (AK VGRdL) sowie der Statistischen
niveau zurückzukehren. Sie gliedert sich in die Komponenten          Ämter des Bundes und der Länder ergänzen.
Vulnerabilität und Regenerationsfähigkeit. Als Vulnerabilität              Wir messen die Erholung der deutschen Kreise von der
wird die Verwundbarkeit eines Wirtschaftssystems bezeichnet,         Finanzkrise im Jahr 2009 anhand von zwei Maßen, welche auf
sprich, wie stark die Wirtschaftskraft in Folge eines Schocks        dem preisbereinigten BIP je Einwohner basieren.2 Dazu unter-
einbricht. Regenerationsfähigkeit bezeichnet die Geschwindig-        suchen wir sowohl die Erholungsintensität als auch die Erho-
keit und Intensität, in der ein Wirtschaftssystem nach einem         lungsdauer. Die Erholungsintensität ist der Prozentwert des
Einbruch auf sein Vorkrisenniveau zurückkehrt. Dieser Beitrag        realen BIP je Einwohner des Vorkrisenniveaus zu einem be-
fokussiert sich auf die Regenerationsfähigkeit, sprich die Er-       stimmten Zeitraum. Wir wählen zwei unterschiedlich lange
holung nach einem exogenen Schock am Beispiel der Finanz-            Erholungsperioden, da ein zu kurzer Zeitraum langfristige
krise. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich vor allem Kreise mit      Auswirkungen der Finanzkrise auf die Wirtschaft oder Effekte
einer vielseitigen Wirtschaftsstruktur als auch einem stabilen       von ergriffenen Gegenmaßnahmen eventuell nicht vollständig
Arbeitsmarkt gut und schnell von der Krise erholten.                 erfasst. Ein zu langer Zeitraum könnte hingegen dazu führen,
     Welche Faktoren die Resilienz von Regionen und Ländern          dass andere Einflüsse die Effekte der Finanzkrise verzerren.
gegenüber externen Einflüssen beeinflussen, wurde in der             Wir untersuchen die Erholungsintensität daher einmal nach
Forschungsliteratur bereits vielfach untersucht. Die meisten         fünf Jahren, ein weiteres Mal nach neun Jahren. Die Erho-
Studien stellen eine höhere Resilienz bei einer vielseitigen Wirt-   lungsdauer ist die Dauer (in Jahren) bis zur Rückkehr auf das
schaftsstruktur im Vergleich zu sehr spezialisierten Regionen        Niveau vor der Krise. Sie erlaubt keinen Rückschluss auf den
fest. Spezialisierung wirkt sich allerdings in sehr dynamischen      Verlauf der Erholung. Es ist möglich, dass einige Kreise die Er-
Sektoren (definiert durch eine überdurchschnittliche Entwick-        holungsphase nutzten, um bspw. ihre Wirtschaftsstruktur zu
lung vor der Krise) positiv aus (z. B. Sensier und Artis 2016,
                                                                     * Mona Förtsch, Xenia Frei und Anna Kremer sind Doktorandinnen an der
Cuadrado-Roura und Maroto 2016, Xiao et al. 2018). Andere               Niederlassung Dresden des ifo Instituts – Leibniz-Institut für Wirtschafts­
Studien zeigen wiederum, dass Regionen, die eine stark (tech-           forschung an der Universität München e. V.

                                                                                                                          ifo Dresden berichtet   2/2021   3
Ak tuelle Forschungsergebnisse

    Abb. 1
    Auswirkungen der Finanzkrise auf das reale Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in den deutschen Kreisen

            1a) Entwicklung des realen BIP je Einwohner                                           1b) Dauer in Jahren, bis das Vorkrisenniveau
                           2008 bis 2009                                                                      wiederhergestellt ist
        -15 bis -20%                                                                         9+ Jahre
        -10 bis -15%                                                                         6-8 Jahre
        -10 bis -5%                                                                          3-5 Jahre
        -5 bis 0%                                                                            2 Jahre
        0 bis +5%                                                                            1 Jahr

    Anmerkungen: Panel 1a) zeigt die Entwicklung des realen BIP je Einwohner in Euro in den deutschen Kreisen von 2008 bis 2009. Panel 1b) zeigt
    die Dauer in Jahren, bis das reale BIP je Einwohner das Vorkrisenniveau von 2008 wieder erreicht hat. Für Kreise, deren reales BIP je Einwohner
    im Jahr 2009 über dem des Jahres 2008 lag, nehmen wir eine Erholungsdauer von einem Jahr an, da wir aufgrund der Jahresdaten nicht be-
    obachten können, wie sich deren BIP je Einwohner in den Monaten direkt nach dem Beginn der Krise verhielt.
    Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (2020), Darstellung des ifo Instituts.                             © ifo Institut

    ändern. Derartige Anpassungen könnten helfen, die Krise lang-                       Erholungsdauer als Maße für regionale Erholung der Kreise
    fristig nachhaltiger zu überwinden. Dies könnte allerdings die                      von der Finanzkrise.
    hier untersuchte Erholungsdauer erhöhen.                                                 In 23 Kreisen war das reale BIP je Einwohner einige Jahre
          Wir können auf eine Vielzahl an möglichen Einflussfakto-                      nach der Krise größer als das Vorkrisenniveau, lag im Jahr 2017
    ren aus verschiedenen Bereichen zugreifen und deren Einfluss                        allerdings unterhalb des Wertes von 2008 (Erholungsintensität
    auf die Erholung betrachten, deren Bedeutung bereits in der                         < 1, Erholungsdauer < 9 Jahre). Das BIP je Einwohner dieser
    wissenschaftlichen Literatur herausgestellt wurde. Dazu zählen                      Kreise ist also nicht unmittelbar im Jahr nach der Finanzkrise
    Informationen zur Branchen- und Bevölkerungsstruktur, Inno-                         abgesackt, sondern erst einige Jahre später. Da davon ausge-
    vationskraft, zu Wanderungsbewegungen, kommunalen Finan-                            gangen werden kann, dass das geringere BIP je Einwohner im
    zen und zum Arbeitsmarkt.                                                           Jahr 2017 andere Ursachen als die Finanzkrise hat, verwenden
                                                                                        wir für die Erholungsdauer die Anzahl an Jahren, bis das reale
    JE LÄNGER DIE ERHOLUNG DAUERTE,                                                     BIP je Einwohner das erste Mal wieder das Vorkrisenniveau
    DESTO SCHLECHTER WAR SIE                                                            erreichte bzw. überschritt. Für Kreise, deren reales BIP je Ein-
                                                                                        wohner in allen Jahren von 2009 bis 2017 unterhalb des Vor-
    Abbildung 2 zeigt einen negativen Zusammenhang zwischen                             krisenniveaus lag, legen wir eine Erholungsdauer von zehn
    der Erholungsintensität nach neun Jahren und der Erholungs-                         Jahren fest, um diese bei unserer Analyse nicht auszuschließen.
    dauer des BIP je Einwohner. Je schlechter sich ein Kreis erholte,                        In 30 Kreisen lag das reale BIP je Einwohner im Jahr 2009
    umso länger brauchte er, um auf das Vorkrisenniveau zurück                          oberhalb des Wertes von 2008 (Erholungsintensität > 1, Erho-
    zu gelangen. Die Korrelation der beiden Größen beträgt -0,54.                       lungsdauer ≤ 1 Jahr). Es ist durchaus möglich, dass es dort zu
    Aufgrund dieses eher mittleren empirischen Zusammenhangs                            keinem BIP-Einbruch kam oder dieser nur für einige Monate
    betrachten wir sowohl die Erholungsintensität als auch die                          auftrat. Da uns auf Kreisebene lediglich jährliche Daten zum

4   ifo Dresden berichtet 2/2021
Ak tuelle Forschungsergebnisse

   Abb. 2
   Negativer Zusammenhang zwischen Erholungsintensität und Erholungsdauer

                                    1,8
Erholungsintensität nach 9 Jahren

                                    1,6

                                    1,4

                                    1,2

                                    1,0

                                    0,8
                                          0   1   2          3              4              5              6            7      8              9              10

                                                                          Erholungsdauer in Jahren

   Anmerkungen: Die Abbildung zeigt den Zusammenhang zwischen der Erholungsintensität (neun Jahre nach der Krise) und der Erholungsdauer
   des realen BIP je Einwohner in Deutschland. Kreise, deren reales BIP je Einwohner im Jahr 2017 unter dem des Jahres 2008 lag, wurden zu einer
   Restkategorie mit einer Erholungsdauer von zehn Jahren zusammengefasst und sind nicht in der Abbildung enthalten. Die graue Linie stellt
   den negativen Zusammenhang dar.
   Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (2020), Darstellung des ifo Instituts.                                   © ifo Institut

   BIP je Einwohner vorliegen, können wir keine Aussage über                           Infobox 1: Regressionsanalyse
   die Anfälligkeit dieser Kreise treffen. Wir gehen in der Analyse
   davon aus, dass auch diese Kreise (zumindest kurzfristig) von                         Wir verwenden Kleinste-Quadrate-Schätzungen (KQ), um zu
   der Finanzkrise betroffen waren und berücksichtigen diese in                          erklären, welche Faktoren mit der Erholung der Kreise zu-
   den Berechnungen.3                                                                    sammenhängen. Dazu schätzen wir folgende Spezifikation:
                                                                                                            yi = xi‘β + εi mit i = 1,..,n
                                                                                         Die abhängige Variable yi hängt linear von mehreren unab-
   BRANCHENSTRUKTUR UND ARBEITSMARKT
                                                                                         hängigen Variablen xi‘ ab. Als abhängige Variable nutzen wir
   HÄNGEN MIT DER ERHOLUNG ZUSAMMEN
                                                                                         sowohl die Erholungsintensität als auch die Erholungsdauer.
                                                                                         Diese regressieren wir auf Informationen zur Branchen-
   In diesem Abschnitt führen wir Querschnittsanalysen durch
                                                                                         struktur, dem Arbeitsmarkt, der Bevölkerungsstruktur so-
   und regressieren sowohl die Erholungsintensität als auch die
                                                                                         wie der Bildung. Da nicht alle Faktoren, die mit der abhängi-
   Erholungsdauer auf die jeweiligen Werte der erklärenden Va-
                                                                                         gen Variablen in Verbindung stehen, richtig gemessen oder
   riablen von 2008, um statistische Zusammenhänge aufzeigen
                                                                                         beobachtet werden können, enthält die Gleichung den
   zu können.
                                                                                         Fehlerterm εi. Bei der KQ-Schätzung wird die Summe der
        Mittels der Regionaldaten und der dargestellten Methodik
                                                                                         quadrierten Fehlerterme minimiert, um so den interessie-
   versuchen wir zu erklären, warum sich manche Regionen
                                                                                         renden Koeffizienten β möglichst genau schätzen zu kön-
   besser und andere schlechter vom exogenen Schock der Fi-
                                                                                         nen. Da diese lineare Gleichung keine kausalen Effekte,
   nanzkrise erholten. Die Ergebnisse stellen allerdings keinen
                                                                                         sondern lediglich Korrelationen zeigt, sehen wir im Weiteren
   kausalen Zusammenhang dar, sondern lediglich Korrelationen,
                                                                                         davon ab, die genaue Größe der Koeffizienten zu interpre-
   da auch unbeobachtete Größen die Entwicklung des BIP beein-
                                                                                         tieren. Wir werden lediglich das Vorzeichen sowie die sta-
   flussen können. Infobox 1 erläutert Details zur Methodik.
                                                                                         tistische Signifikanz bewerten.
        Die Ergebnisse der Regression mit der Erholungsintensität
   als abhängiger Variable sind in Tabelle 1 dargestellt. Die ab-
   hängige Variable in Spalte (1) ist die Erholungsintensität fünf                     am Arbeitsmarkt scheint die Erholung zu begünstigen, wäh-
   Jahre nach der Krise relativ zum Vorkrisenjahr. In Spalte (2) ist                   rend ein hoher Anteil an Personen in der Qualifikationsphase
   die abhängige Variable genauso definiert, allerdings neun                           sowie außerhalb des Erwerbslebens eher negativ zur Erholung
   Jahre nach der Krise.                                                               beiträgt. Während eine hohe Bruttowertschöpfung in der
        Die Erholungsintensität der deutschen Kreise korreliert                        Land-, Forstwirtschaft und Fischerei positiv, aber statistisch
   mit der Vielseitigkeit der Branchenstruktur. Eine gute Situation                    nicht signifikant, mit der Erholungsintensität eines Kreises

                                                                                                                                  ifo Dresden berichtet   2/2021   5
Ak tuelle Forschungsergebnisse

    Tab. 1
    Einflussfaktoren auf die Erholungsintensität und die Erholungsdauer
    Abhängige Variable:                                                            Erholungsintensität                        Erholungsdauer
                                                                       Nach fünf Jahren           Nach neun Jahren
                                                                              (1)                        (2)                          (3)
    Branchenstruktur
    Bruttowertschöpfung (BWS) Land-, Forstwirtschaft                         0,01294                    0,00794                   -0,35903
    und Fischerei (in Mill. Euro je Einwohner)                              (0,01606)                  (0,01837)                  (0,39775)
    BWS Produzierendes Gewerbe (in Mill. Euro je Einwohner)                -0,02305***                -0,02367***                0,38425***
                                                                            (0,00425)                  (0,00402)                  (0,11363)
    BWS Baugewerbe (in Mill. Euro je Einwohner)                             -0,02695**                -0,03569***                  -0,01715
                                                                             (0,01231)                 (0,01248)                  (0,23747)
    BWS Dienstleistungsbereiche (in Mill. Euro je Einwohner)               -0,02727***                -0,02951***                0,37544***
                                                                            (0,00499)                  (0,00406)                  (0,11796)
    Arbeitsmarkt
    Arbeitnehmerentgelt (in Mill. Euro je Einwohner)                       0,01519***                 0,01663***                -0,31085***
                                                                            (0,00289)                  (0,00342)                 (0,09398)
    Arbeitslosenquote (in %)                                                 0,00174                    0,00332                   -0,07772
                                                                            (0,00179)                  (0,00210)                  (0,07082)
    Selbstständige je 1 000 Erwerbstätige                                  0,00090***                 0,00132***                 -0,01539**
                                                                            (0,00028)                  (0,00037)                  (0,00767)
    Bevölkerungsstruktur
    Bevölkerungsdichte (Einwohner je Quadratkilometer)                     -0,00003***                -0,00004***                  0,00029
                                                                            (0,00001)                  (0,00001)                  (0,00029)
    Durchschnittsalter                                                     -0,01034***                -0,01366***                  0,06409
                                                                            (0,00390)                  (0,00476)                  (0,11153)
    Bildung/Qualifikation
    Studenten je Einwohner                                                  -0,17644*                  -0,21999*                   0,30900
                                                                            (0,10604)                  (0,12042)                  (0,38900)
    Sonstiges
    Neuerrichtete Gewerbebetriebe je 1 000 Einwohner                       -0,00786***                -0,01228***                0,33666***
                                                                            (0,00265)                  (0,00336)                  (0,09878)
    Durchschnittliches reales BIP je Einwohner 2004-2008                   0,00002***                 0,00002***                 -0,00022**
    (in Mill. Euro)                                                         (0,00000)                  (0,00000)                  (0,00010)
    Mittelwert der abhängigen Variablen                                       1,069                      1,124                      3,277
    Beobachtungsanzahl                                                          401                       401                        401
    R²                                                                        0,520                      0,532                      0,295
    Anmerkungen: Die Tabelle zeigt die Ergebnisse einer KQ-Schätzung mit drei verschiedenen abhängigen Variablen: der Erholungsintensität
    nach fünf Jahren (Spalte (1)) und nach neun Jahren (Spalte (2)), sowie der Erholungsdauer (Spalte (3)). In der Schätzung sind zusätzliche Bundes-
    landdummies und eine Konstante enthalten. Angabe robuster Standardfehler in Klammern. Signifikanzniveaus: *0,1; **0,05; ***0,01.
    Quelle: Darstellung des ifo Instituts.                                                                                                  © ifo Institut

    einhergeht, ist der Zusammenhang mit der Bruttowertschöp-                 niveau wieder erreicht hat. Die Dauer der Erholung korreliert
    fung des Produzierenden Gewerbes, des Baugewerbes sowie                   vor allem mit der Branchenstruktur sowie dem Arbeitsmarkt.
    der Dienstleistungsbereiche negativ. Hinsichtlich des Arbeits-            Hinsichtlich der Bruttowertschöpfung der Branchen zeigen
    marktes scheinen der Anteil der Selbstständigen sowie ein                 sich ähnliche Implikationen wie zuvor bei der Erholungsinten-
    höheres Arbeitnehmerentgelt je Einwohner mit einer höheren                sität. Je höher die Bruttowertschöpfung im Produzierenden
    Erholungsintensität einherzugehen. Dazu kommt ein negativer               Gewerbe, im Baugewerbe sowie bei verschiedenen Dienst-
    Zusammenhang des Studentenanteils mit der Erholungsinten-                 leistungen, desto länger dauerte die Erholung. Eine gute Situa-
    sität. Zudem scheint eine jüngere Bevölkerung die Erholungs-              tion am Arbeitsmarkt trägt zu einer schnelleren Erholung bei:
    intensität zu begünstigen. Je mehr Gewerbebetriebe neu er-                Ein höheres Arbeitnehmerentgelt sowie ein größerer Anteil
    richtet wurden, desto geringer war die Erholungsintensität.               Selbstständiger gehen mit einer schnelleren Erholung einher.
         In Spalte (3) von Tabelle 1 ist die abhängige Variable die           Jedoch dauerte die Erholung umso länger, je mehr neue Be-
    Dauer in Jahren, bis das reale BIP je Einwohner das Vorkrisen-            triebe errichtet wurden.

6   ifo Dresden berichtet 2/2021
Ak tuelle Forschungsergebnisse

     Die Ergebnisse der empirischen Analyse ändern sich nicht,                      FAZIT
wenn man als Vorkrisenniveau anstelle des realen BIP je Ein-
wohner im Jahr 2008 den Fünfjahresdurchschnitt von 2004                             Die Finanzkrise führte in Deutschland ab dem Jahr 2009 zu
bis 2008 verwendet, um zu berücksichtigen, dass in manchen                          einem deutlichen Einbruch der Wirtschaft, gemessen am realen
Kreisen das BIP im Jahr 2008 unverhältnismäßig hoch oder                            BIP je Einwohner. Die deutschen Kreise erholten sich auf unter-
niedrig war.                                                                        schiedliche Weise von diesem externen Einfluss. Dies unter-
                                                                                    suchen wir anhand der Erholungsintensität und der Erholungs-
NOCH NICHT VOLLSTÄNDIG ERHOLTE KREISE                                               geschwindigkeit. Positiv korreliert mit einer schnellen und
                                                                                    vollständigen Erholung sind eine breit aufgestellte Wirtschafts-
Wie bereits erwähnt, lag das reale BIP je Einwohner im Jahr                         struktur und ein großer Anteil an hochqualifizierten Arbeit-
2017 in 23 Kreisen noch immer unter dem jeweiligen Vorkrisen-                       nehmern. Zudem erholten sich vor allem Kreise mit einem
niveau des Jahres 2008. Aus der empirischen Analyse kann                            höheren Anteil an Selbstständigen und einer geringeren Ar-
man nicht erkennen, ob diese Kreise Gemeinsamkeiten auf-                            beitslosenquote schnell und vollständig. Interessant ist zudem,
weisen oder sie die Ergebnisse verzerren. Deskriptiv erkennt                        dass es sich bei denjenigen Kreisen, die auch im Jahr 2017 noch
man jedoch, dass es sich dabei vorwiegend um kreisfreie Städte                      unter ihrem Vorkrisenniveau zurückblieben, vorwiegend um
in Westdeutschland (vor allem in Nordrhein-Westfalen und                            kreisfreie Städte in Westdeutschland handelt, die vor der Krise
Hessen) handelt, die vor der Krise ein höheres Niveau des BIP                       ein höheres Niveau des BIP je Einwohner aufwiesen als dieje-
je Einwohner hatten als die Gruppe, die ihr Vorkrisenniveau                         nigen Kreise, die ihr Vorkrisenniveau bereits wieder erreichen
wieder erreichte bzw. steigerte, was mit einem verhältnismäßig                      oder steigern konnten, und durch die Finanzkrise einen wesent-
tieferen Einbruch einherging (vgl. Abb. 3). Die Entwicklung des                     lich stärkeren Einbruch zu verzeichnen hatten.
realen BIP je Einwohner der vollständig und der nicht voll-
ständig erholten Kreise 2009 zeigt zudem, dass der Unterschied
im BIP-Niveau vor allem in den letzten Jahren abgenommen                            LITERATUR
hat. Die Gruppe der Kreise, die ihr Vorkrisenniveau wieder er-
                                                                                    AK VGRdL – Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder
reicht hat, schließt zu der anderen auf, was zur innerdeutschen                     (Hrsg.) (2020), Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung in den kreisfreien
Konvergenz beiträgt.                                                                Städten und Landkreisen der Bundesrepublik Deutschland 1992 und 1994
                                                                                    bis 2017, Download unter http://www.vgrdl.de/, zuletzt abgerufen am
                                                                                    1. September 2020.

Abb. 3
Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts je Einwohner von erholten und noch nicht erholten Kreisen

                                                                                                                                    über Vorkrisenniveau
             Bruttoinlandsprodukt je Einwohner                                                                                      unter Vorkrisenniveau
50 000

45 000

40 000

35 000

30 000

25 000
         2000                                        2005                                         2010                                      2015
Anmerkungen: Die Abbildung zeigt den Verlauf des durchschnittlichen realen BIP je Einwohner in Deutschland zwischen 2000 und 2017. Dunkel-
grün: BIP nicht wieder auf Vorkrisenniveau. Hellgrün: BIP auf/über Vorkrisenniveau. Die vertikale graue Linie markiert das Jahr der Finanzkrise
2009.
Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (2020), Darstellung des ifo Instituts.                                          © ifo Institut

                                                                                                                                      ifo Dresden berichtet   2/2021   7
Ak tuelle Forschungsergebnisse

    BBSR – Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumentwicklung (Hrsg.) (2020),              Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hrsg.) (verschiedene
    INKAR – Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung, Download            Jahrgänge), Regionaldatenbank Deutschland, verschiedene Indikatoren,
    unter https://www.inkar.de, zuletzt abgerufen am 1. September 2020.                Download unter https://www.regionalstatistik.de, zuletzt abgerufen am
                                                                                       1. September 2020.
    Crescenzi, R., Luca, D. und S. Milio (2016), „The Geography of the Economic
    Crisis in Europe: National Macroeconomic Conditions, Regional Structural           Xiao, J., Boschma, R. und M. Andersson (2018), „Resilience in the European
    Factors and Short-term Economic Performance”, Cambridge Journal of                 Union: The Effect of the 2008 Crisis on the Ability of Regions in Europe to
    Regions, Economy and Society, 9(1), S. 13–32.                                      Develop New Industrial Specializations”, Industrial and Corporate Change,
                                                                                       27(1), S. 15–47.
    Cuadrado-Roura, J. R. und A. Maroto (2016), „Unbalanced Regional Resilience
    to the Economic Crisis in Spain: A Tale of Specialisation and Productivity”,
    Cambridge Journal of Regions, Economy and Society, 9(1), S. 153–178,
    Download unter https://doi.org/10.1093/cjres/rsv034

    Foertsch, M., Frei, X., Kremer, A. und J. Ragnitz (2021), Analyse regionaler
    Risiko- und Resilienzfaktoren in Deutschland, ifo Dresden Studie, 86,              1 Die meisten Daten sind für den gesamten betrachteten Zeitraum verfügbar,
    ifo Institut, München/Dresden.                                                        jedoch nicht immer für alle Kreise.
    Martin, R. und B. Gardiner (2019), „The Resilience of Cities to Economic Shocks:   2 Wir nutzen einen Deflator auf Bundeslandebene, um das reale BIP je
    A Tale of Four Recessions (and the Challenge of Brexit)”, Papers in Regional          Einwohner eines Kreises zu berechnen.
    Science, 98(4), S. 1 801–1 832, Download unter https://doi.org/10.1111/
    pirs.12430                                                                         3 Geht man davon aus, dass diese Kreise doch nicht von der Krise betroffen
                                                                                          waren und vernachlässigt diese bei den Berechnungen, ändert sich nichts
    Sensier, M. und M. Artis (2016), „The Resilience of Employment in Wales:              an der Interpretation (Vorzeichen und Signifikanz) der Ergebnisse.
    Through Recession and Into Recovery”, Regional Studies, 50(4), S. 586–599.

8   ifo Dresden berichtet 2/2021
Ak tuelle Forschungsergebnisse

Mona Förtsch, Xenia Frei, Anna Kremer und Lisa-Marie Müller*

Die Resilienz deutscher Kreise gegenüber
der Naturkatastrophe Sturm „Lothar“

Dieser Artikel untersucht die wirtschaftliche Resilienz der deutschen Kreise gegenüber einer Naturkata-
strophe. Hierfür betrachten wir die Auswirkungen des Sturms Lothar, welcher zum Ende des Jahres 1999
besonders in Süddeutschland wütete. Unsere Untersuchung zeigt, dass die deutschen Regionen gegen-
über dem Sturm Lothar recht resilient waren. Nur in besonders stark betroffenen Orkanregionen hatte
Lothar einen negativen Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner. Kreise, in denen die Wind-
stärken geringer ausfielen, waren demgegenüber weniger anfällig. Auch in den stark betroffenen Kreisen
kam es aber zu einer sehr schnellen wirtschaftlichen Erholung, in der Regel innerhalb eines Jahres.

Der Jahrhundertsturm Lothar fegte am 26. Dezember 1999                 wirkungen haben können. So zeigt eine Untersuchung der
über Mitteleuropa hinweg. Den Südwesten Deutschlands traf              Auswirkungen des Elbe-Hochwassers im Jahr 2002 in Sachsen
er besonders stark: Die Höchstgeschwindigkeit von 272 km/h             kurzfristige, positive Wachstumseffekte (Berlemann und Vogt
wurde auf dem Hohentwiel bei Singen, Baden-Württemberg,                2008). Bedingt sind diese zum einen durch Aufwendungen für
gemessen. Auch in vielen anderen Regionen kam es zu Strom-             den Wiederaufbau. Zum anderen werden Infrastrukturzerstö-
ausfällen, Häuser wurden zerstört und der Verkehr wurde groß-          rungen bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
flächig beeinträchtigt. Der gesamtwirtschaftliche Verlust durch        nicht eingerechnet.
den Sturm betrug laut einer Schätzung der Munich RE 11,5 Mrd.               Die bestehende Literatur verdeutlicht, dass die Möglichkeit
Euro.1 Wie stark der Sturm die deutsche Wirtschaft tatsächlich         verschiedener Reaktionen der Wirtschaft nach einem Sturm
beeinträchtigt hat, soll im Folgenden untersucht werden. Wir           besteht. Kurz nach der Katastrophe kann diese aufgrund von
untersuchen zu diesem Zweck die Resilienz deutscher Kreise             Produktionsausfällen oder bspw. Stoppen des Verkehrs einen
nach dem Sturm. Der Beitrag fasst wesentliche Ergebnisse von           negativen Einfluss auf die Wirtschaft haben. Ein weiterer Aspekt,
Förtsch et al. (2021) zusammen.                                        der in der Literatur thematisiert wird, ist der des Wiederauf-
     Resilienz bezeichnet die Fähigkeit eines Wirtschaftssys-          baus nach der Katastrophe. Die dafür benötigten Aufwendun-
tems, nach einem exogenen Schock auf sein Vorkrisenniveau              gen gehen positiv in die Berechnung des BIP ein.
zurückzukehren. Sie gliedert sich in die Komponenten Vulnera-               Aufgrund der Gegebenheit, dass der Sturm Lothar in unse-
bilität und Regenerationsfähigkeit. Als Vulnerabilität wird die        rem Beispiel erst zum 26. Dezember des Jahres 1999 auftrat
Verwundbarkeit eines Wirtschaftssystems bezeichnet, sprich             und dies darüber hinaus in die Zeit zwischen Weihnachten und
wie stark die Wirtschaftskraft in Folge eines Schocks einbricht.       Neujahr fällt, erwarten wir hier keine starken Effekte im Jahr
Regenerationsfähigkeit bezeichnet die Geschwindigkeit und              1999 direkt nach dem Auftreten des Sturmes. Es besteht aller-
Intensität, mit der ein Wirtschaftssystem nach einem Einbruch          dings die Möglichkeit, dass Lothar einen negativen Effekt zu
auf sein Vorkrisenniveau zurückkehrt.                                  Beginn des Jahres 2000 hatte, da es möglicherweise weiterhin
     Resilienz sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen von             Einschränkungen gab. Je stärker ein Gebiet von der Katastro-
Naturkatastrophen auf die Wirtschaft wurden in der Literatur           phe betroffen war, umso länger und stärker könnten die Aus-
bereits vielfältig diskutiert. Eine Studie von Cavallo et al. (2013)   wirkungen ausfallen. Gleichzeitig gab es aber auch Wiederauf-
betrachtet wirtschaftliche Auswirkungen von Katastrophen               bau. Daher ist es ebenfalls möglich, dass der negative Schock zu
in mehreren Ländern, wie etwa Tsunamis, Hurrikans und Erd-             einer Steigerung des BIP-Wachstums im Jahr 2000 geführt hat.
beben. Sie kommt zu dem Schluss, dass sich lediglich extreme                Ungeachtet der verschiedenen Mechanismen besteht aber
Natur- und Wetterereignisse kurz- und langfristig negativ auf          auch die Möglichkeit, dass es Folgen von Lothar gab, diese
das Wirtschaftswachstum auswirken. Ursächlich dafür sind u. a.         aber bei jährlicher Betrachtung nicht ausreichend sichtbar
eine erhöhte Staatsverschuldung, um die Kosten für den Wieder-         sind, da im Jahresdurchschnitt auch andere wichtige Ereignisse
aufbau tragen zu können, und eine durch die Katastrophe indu-          auf die Konjunktur wirken. Ein spezifisches Problem ist hier
zierte Arbeitsmigration. Barone und Mocetti (2014) untersuchen         das Platzen der Dotcom-Blase im März 2000.
die wirtschaftlichen Auswirkungen von zwei Erdbeben Ende der                Insgesamt ist es unklar, ob der Sturm Lothar kurz- oder
1990er Jahre in Italien. In der kurzen Frist finden Barone und         langfristige positive oder negative wirtschaftliche Effekte in
Mocetti kaum Veränderungen des Wirtschaftswachstums. Die               den betroffenen deutschen Regionen hatte oder ob es mögli-
Autoren argumentieren, dass dies auf staatliche finanzielle
Unterstützung der betroffenen Regionen zurückzuführen ist.             * Mona Förtsch, Xenia Frei und Anna Kremer sind Doktorandinnen und Lisa-
                                                                          Marie Müller war zum Zeitpunkt der Erstellung des Artikels Praktikantin an
Andere Studien zeigen, dass Naturkatastrophen in der langen               der Niederlassung Dresden des ifo Instituts – Leibniz-Institut für Wirt­schafts­
Frist sowohl positive als auch negative wirtschaftliche Aus-              ­forschung an der Universität München e. V.

                                                                                                                             ifo Dresden berichtet   2/2021   9
Ak tuelle Forschungsergebnisse

     cherweise auch positive Effekte der Zerstörung gab. Um diese       Abb. 1
     Frage zu beantworten, gehen wir wie folgt vor: Im ersten           Gemessene Windstärken des Sturms Lothar (in m/s) in den deutschen
     Schritt werden die vom Sturm heimgesuchten Regionen auf            Kreisen (Jahr 1999)
     ihre Vulnerabilität überprüft. In einem zweiten Schritt schluss-
     folgern wir, ob es sich bei Lothar um einen wirtschaftlichen
     Schock gehandelt hat.

     DATEN

     Als Datenquelle für die quantitative Untersuchung werden
     die INKAR-Datenbank des Bundesamtes für Bau-, Stadt- und
     Raumforschung (BBSR) sowie als Ergänzung die Regionalda-
     tenbank der Statistischen Ämter und die Daten des Arbeits-
     kreises Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder
     (AK VGRdL) auf Kreisebene genutzt. Für den betrachteten
     Zeitraum in den 1990er Jahren liegen die Daten allerdings nur
     lückenhaft vor. Da mögliche Einflussfaktoren des Wirtschafts-                                                                Windstärke in m/s
     wachstums und der Resilienz betrachtet werden, orientiert                                                                       0
     sich die Auswahl der Variablen an dem Erkenntnisstand der
                                                                                                                                     - 24,4
     wissenschaftlichen Literatur.
           Für die Ermittlung der Resilienz gegenüber extremen                                                                       24,5 - 28,4
     Wetterereignissen und Naturkatastrophen kann auf verschie-                                                                      28,5 - 32,6
     dene Kennzahlen zur Approximation der wirtschaftlichen Lage                                                                     32,7 -
     zurückgegriffen werden. Das BIP sowie die Beschäftigtenquote
     werden in der Literatur regelmäßig verwendet (u. a. Crescenzi
     et al. 2016, Martin und Gardiner 2019). Es ist davon auszugehen,   Anmerkungen: Die Karte zeigt die gemessenen Windstärken in m/s
                                                                        während des Sturms „Lothar“ in Deutschland. Je dunkler die Farbe,
     dass der potenzielle Schock, der von der Naturkatastrophe
                                                                        desto höher war die gemessene Windstärke.
     Lothar ausging, eine eher kurzzeitige Wirkung hatte und die
                                                                        Quelle: Mareshot (2014), Darstellung des ifo Instituts.          © ifo Institut
     Wirtschaft nicht nachhaltig beeinflusste. Da strukturelle Ver-
     änderungen eher unwahrscheinlich sind, nehmen wir zudem
     an, dass es lediglich geringe Auswirkungen auf die Beschäfti-           Visuell sind keine unterschiedlichen Reaktionen von
     gungszahl gibt. Aus diesen Gründen greifen wir in dieser Ana-      betroffenen und nicht betroffenen Kreisen auf den Schock
     lyse nur auf das preisbereinigte BIP je Einwohner 2 als Resili-    Lothar zu erkennen. In betroffenen wie in nicht betroffenen
     enzindikator zurück. Als Basis- bzw. Ausgangsniveau vor der        Kreisen ist eine positive Entwicklung des BIP je Einwohner
     Naturkatastrophe ziehen wir das preisbereinigte BIP je Ein-        über alle betrachteten Jahre zu verzeichnen. Es ist auffällig,
     wohner des Jahres 1998 heran.                                      dass die von Lothar betroffenen Regionen eine stärkere Wirt-
           Mögliche kurzfristige wirtschaftliche Folgen des Sturms      schaft haben. Dennoch folgen sowohl die betroffenen als auch
     könnten sich sowohl in den Daten des Jahres 1999 als auch          die nicht betroffenen Kreise dem selben Trend.
     2000 zeigen. Dies liegt vor allem daran, dass Lothar „zwischen          Um festzustellen, ob die unterschiedlich starke Betroffen-
     den Jahren“ 1999 wütete.                                           heit vom Sturm die Regionen auch unterschiedlich beein-
                                                                        trächtigt hat, nutzen wir eine weitere, deutlichere Abgrenzung.
     STÄRKERE BETROFFENHEIT IN SÜDDEUTSCHLAND                           Damit soll ausgeschlossen werden, dass Lothar nur in den
                                                                        stark betroffenen Regionen zu Wirtschaftseinbrüchen geführt
     Eine Quantifizierung der Stärke der Naturkatastrophe nehmen        hat und unsere Ergebnisse von den weniger stark betroffenen
     wir durch die Erfassung der Windgeschwindigkeit in Meter pro       Regionen verzerrt werden. Wir ziehen daher die Beaufort-Skala
     Sekunde von Lothar vor. Es wurden Werte in der Spanne von          heran, um das Ausmaß der Windstärken zu klassifizieren. Die
     21,25 m/s bis 38,75 m/s festgestellt (vgl. Abb. 1). Viele Kreise   Beaufort-Skala unterscheidet „Sturm“ (20,8 – 24,4 m/s), „schwe-
     im Nordosten Deutschlands blieben vom Sturm verschont.             rer Sturm“ (24,5 – 28,4 m/s), „orkanartiger Sturm“ (28,5 – 32,6
     Für diese Regionen wurde der Wert 0 erfasst. Zudem gehen           m/s) und „Orkan“ (ab 32,7 m/s). Wir fassen „Sturm“ und „schwe-
     wir davon aus, dass Kreise, welche von der geringsten Wind-        rer Sturm“ zu einer Gruppe sowie „orkanartiger Sturm“ und
     stärkenklasse (bezeichnet als „Sturm“ mit einer Windstärke         „Orkan“ zu einer weiteren Gruppe zusammen, da die Beob-
     24,4 m/s) oder nicht (Windstärke
Ak tuelle Forschungsergebnisse

Abb. 2                                                                                           Abb. 3
Bruttoinlandsprodukt in von Lothar betroffenen und nicht betrof-                                 Bruttoinlandsprodukt in den Sturm- und Orkanregionen
fenen Kreisen

                    betroffen von Lothar                              nicht betroffen                                         kein Wind                        Sturm                   Orkan
29 000                                                                                           29 000

27 000                                                                                           27 000

25 000                                                                                           25 000

23 000                                                                                           23 000

21 000                                                                                           21 000

19 000                                                                                           19 000

17 000                                                                                           17 000

15 000                                                                                           15 000

                                                                                                              1995
                                                                                                                     1996
                                                                                                                            1997
                                                                                                                                   1998
                                                                                                                                          1999
                                                                                                                                                 2000
                                                                                                                                                        2001
                                                                                                                                                               2002
                                                                                                                                                                      2003
                                                                                                                                                                             2004
                                                                                                                                                                                    2005
                                                                                                                                                                                            2006
             1995
                    1996
                           1997
                                  1998
                                         1999
                                                2000
                                                       2001
                                                              2002
                                                                     2003
                                                                            2004
                                                                                   2005
                                                                                          2006

Anmerkungen: Die Abbildung zeigt das durchschnittliche BIP je Ein-                               Anmerkungen: Die Abbildung zeigt das durchschnittliche BIP je Ein-
wohner in Euro in den Regionen, welche stark (Windstärke >24,4 m/s)                              wohner in Euro in den Regionen welche nicht (28,4 m/s) betroffen waren.
Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (2020),                    Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (2020),
Darstellung des ifo Instituts.                                   © ifo Institut                  Darstellung des ifo Instituts.                                   © ifo Institut

ein ähnlicher Trend in allen Gruppen zu erkennen und dass in                                     sichtlich, dass es auch in den Schockjahren ein bundesweites
den stärker von Lothar betroffenen Gebieten die Wirtschafts-                                     Wirtschaftswachstum gab, dieses aber statistisch keine rele-
kraft am höchsten ist.                                                                           vante Abweichung darstellt.
                                                                                                      Mit der Unterscheidung zwischen Kreisen ohne Wind,
„LOTHAR“ – EIN WIRTSCHAFTSSCHOCK?                                                                Kreisen mit Sturm und Kreisen mit Orkan – also zwei anstelle
                                                                                                 von einer Treatmentgruppe – wird zudem geprüft, ob Lothar
Da eine visuelle Analyse der Auswirkungen Lothar auf das BIP                                     einen Wirtschaftsschock in den besonders stark betroffenen
nicht ausreichend ist, um die Resilienz der Kreise zu bewerten,                                  Orkanregionen ausgelöst hat, während die weniger stark be-
schätzen wir im Folgenden den Effekt statistisch. Dabei nutzen                                   troffenen Sturmregionen die Folgen gut abfedern konnten
wir einen Differenz-von-Differenzen-Ansatz (Diff-in-Diff), um                                    (Spalten (3)-(5)). Für das Jahr 2000 kann für Orkanregionen
einen kausalen Effekt zu identifizieren.                                                         (die am stärksten betroffenen Kreise) ein negativer Wachstums-
     Als Kontrollvariablen verwenden wir in der Literatur häufig                                 effekt nachgewiesen werden. Der Koeffizient ist auf dem
genutzte Determinanten wie die Branchenstruktur (vgl. Cre-                                       10%-­Niveau statistisch signifikant von Null verschieden. Daher
scenzi et al. 2016, Groot et al. 2011), Arbeitsmarktsituation und                                wird auch das Jahr 2001 betrachtet, um die Wirkungsdauer
Qualifikation der Beschäftigten (vgl. Duschl 2014, Crescenzi                                     abzuschätzen. Bereits im Jahr 2001 ist jedoch kein Effekt von
et al. 2016) sowie die Bevölkerungsstruktur (vgl. Capello et al.                                 Lothar in Orkanregionen mehr messbar. Das verdeutlicht, dass
2015).                                                                                           Lothar nur einen kurzfristigen negativen Effekt auf die Wirt-
     In Spalten (1) und (2) von Tabelle 1 sind die Ergebnisse                                    schaft hatte und bereits im nächsten Jahr kein Effekt mehr
der Diff-in-Diff-Schätzungen für die Unterscheidung zwischen                                     nachgewiesen werden kann.
den betroffenen (größere Windstärken >24,4 m/s) und nicht                                             Zusammenfassend zeigt sich in den Schätzungen, dass die
betroffenen Kreisen (keine bzw. geringe Windstärken
Ak tuelle Forschungsergebnisse

     Tab. 1
     Betroffene gegenüber nicht betroffenen Kreisen sowie nicht betroffene Kreise gegenüber Sturm- und Orkanregionen
     Abhängige Variable:                                   Betroffene vs.                              Nicht betroffene Kreise,
                                                       nicht betroffene Kreise                        Sturm- vs. Orkanregionen
     BIP je Einwohner                                   1999              2000               1999               2000              2001
                                                         (1)               (2)                (3)                (4)               (5)
     Dummy Schockjahr                                   97,62             81,65              153,4              125,7           716,9***
                                                       (146,2)           (93,45)            (200,6)            (122,9)           (137,2)
     Dummy Schockbetroffenheit                          63,50             113,5
     (Interaktion Jahr x Region)                       (92,18)           (81,05)
     Dummy Sturmbetroffenheit                                                               -29,57              -14,19             -26,18
     (Interaktion Jahr x Region)                                                            (119,5)            (106,1)            (133,0)
     Dummy Orkanbetroffenheit                                                                -108,2            -235,6*            -136,8
     (Interaktion Jahr x Region)                                                            (139,5)            (129,4)            (180,6)
     Kontrollvariablen                                    ja                ja                ja                 ja                 ja
     Kreisfixe Effekte                                    ja                ja                ja                 ja                 ja
     Beobachtungsanzahl (Panel)                          802              1 203               802               1 203             1 604
     Korrigiertes R²                                    0,357             0,359              0,357             0,362              0,471
     Anmerkungen: Die Tabelle zeigt die Ergebnisse einer Diff-in-Diff -Schätzung zwischen 1998-1999, 1998-2000 bzw. 1998-2001. Angabe robuster
     Standardfehler in Klammern. Signifikanzniveaus: *0,1; **0,05; ***0,01.
     Quelle: Darstellung des ifo Instituts.                                                                                         © ifo Institut

         Möglich ist, dass der Schock in den Daten unterschätzt            klar, ob der Effekt, der gefunden wurde, die gesamten Auswir-
     wird, da ein Wiederaufbau nach den Schäden das BIP je Ein-            kungen darstellt oder ob positive und negative Folgen sich
     wohner stärkt und so die Wirtschaftseinbrüche verdecken               teilweise gegenseitig aufgehoben haben.
     könnte. Im Folgenden versuchen wir daher zu ermessen, ob                    Um herauszufinden, wie stark der Wiederaufbau als posi-
     Vulnerabilität und Erholung sich gegenseitig ausgeglichen             tive Folge auf das BIP je Einwohner in den betroffenen Regionen
     haben und die Regionen im Jahresschnitt resilient(er) ge-             gewirkt hat und ggf. die negativen Folgen aufgehoben hat,
     macht haben.                                                          wird die Auswirkung der Naturkatastrophe auf den Anteil des
                                                                           Bauhauptgewerbes am BIP je Einwohner mittels eines Diff-in-
     UNTERSCHÄTZUNG DES EINBRUCHS DURCH                                    Diff-Ansatzes untersucht (vgl. Infobox 1). Da davon auszugehen
     GEGENSÄTZLICH WIRKENDE EFFEKTE?                                       ist, dass Schäden und Wiederaufbau am deutlichsten in den
                                                                           Orkanregionen auftraten, untersuchen wir, ob sich die Orkan-
     Wie bereits ausgeführt, kann sich eine Naturkatastrophe in            regionen in ihrer Bautätigkeit von den anderen Regionen unter-
     zweierlei Hinsicht auf die Wirtschaft auswirken. Daher ist un-        scheiden. Da im Jahr 1999 lediglich fünf Tage „zwischen den

     Infobox 1: Differenz-in-Differenzen

       Das Konzept des Diff-in-Diff-Ansatzes beruht darauf, dass in        Zur Umsetzung werden hierfür drei verschiedene Dummy-
       zwei Dimensionen Differenzen gebildet werden können. Die            Variablen aufgenommen. Eine die anzeigt, ob man sich in dem
       erste bezieht sich auf das Ausgangsniveau der betrachteten          Jahr des Schocks bzw. im Folgejahr befindet. Als Schockjahre
       Größe. Hierbei wird die Abweichung zwischen den beiden              werden sowohl 1999 als auch 2000 definiert. Dies beruht auf
       Gruppen festgestellt. Im nächsten Schritt wird die durch-           der Überlegung, dass der Orkan um die Jahreswende herum
       schnittliche Veränderung über die Zeit für jede der Gruppen         sowohl in 1999 als auch in 2000 Schaden anrichtete. Die zweite
       ermittelt. Dies ist die zweite Differenz. Grundlage der Metho-      Dummy-Variable gibt an, ob es sich bei dem Kreis um einen
       dik und der Schlussfolgerung auf einen kausalen Effekt ist die      von Lothar betroffenen Kreis handelt. Diese kontrolliert, ob
       Annahme, dass sich beide Gruppen ohne Außeneinwirkung               es generelle Unterschiede zwischen den Gruppen gibt. Da wir
       gleich entwickelt hätten. Dass dies bei den vorliegenden            kreisfixe Effekte nutzen, werden diese Unterschiede in dieser
       Gruppen zutrifft, kann aufgrund der parallelen Trends argu-         Variablen abgefangen und der Dummy fällt weg. Der dritte
       mentiert werden (vgl. Abb. 2 und Abb. 3). Von Interesse ist         Dummy ist das Produkt aus den beiden vorhergehenden,
       schlussendlich die Änderung der betrachteten Variablen, die         und damit ein Interaktionsterm. Dieser nimmt nur dann den
       auf den externen Schock zurückzuführen ist. Ersichtlich wird        Wert 1 an, wenn ein von Lothar betroffener Kreis vorliegt
       die Wirkung, da die Gruppe „mit Maßnahme“ mit der Gruppe            und die Daten das Jahr 1999 oder 2000 betreffen. Der dazu-
       „ohne Maßnahme“ verglichen wird. Die betrachtete Wirkung            gehörige Koeffizient ist bei der Auswertung der Schätzung
       ist in unserem Fall die Änderung des BIP je Einwohner der           von Interesse. Er umfasst die Wirkung des exogenen Schocks
       betroffenen Kreise.                                                 Sturm Lothar.

12   ifo Dresden berichtet 2/2021
Ak tuelle Forschungsergebnisse

Jahren“ blieben, um Windschäden zu beheben, bezieht sich              stellt werden konnten. Zudem kann in dieser Zeit von einer
die Schätzung ausschließlich auf das Jahr 2000, da davon aus-         grundsätzlich niedrigeren wirtschaftlichen Aktivität ausge-
zugehen ist, dass erst dann der wesentliche Wiederaufbau              gangen werden. So pendeln bspw. weniger Menschen in dieser
stattfand. Die Ergebnisse sind in Tabelle 2 dargestellt.              Zeit, welche von einer Verkehrseinschränkung hätten betroffen
     Der Koeffizient des Interaktionsterms, ist positiv und sig-      sein können.
nifikant von Null verschieden. Lothar hatte demnach einen                  Es ist anzunehmen, dass der Fakt, dass die betroffenen
relevanten Einfluss auf das Bauhauptgewerbe. Dies zeigt,              Regionen grundsätzlich wirtschaftlich stark sind und die zu-
dass der negative Effekt auf das BIP je Einwohner durch den           grundeliegenden Strukturen hierfür nicht zerstört wurden, zu
Orkan zu einem gewissen Grad unterschätzt wird, da der po-            einer schnellen Erholung beigetragen hat. Fast alle Regionen
sitive Effekt des Orkans auf die Baubranche dem negativen             haben im Jahr nach dem Wirtschaftseinbruch wieder das ur-
Effekt entgegenwirkt.                                                 sprüngliche BIP je Einwohner erreicht.

FAZIT
                                                                      LITERATUR
Der Sturm Lothar, welcher zum Ende des Jahres 1999 be-
                                                                      Barone, G. und S. Mocetti (2014), „Natural Disasters, Growth and Institutions:
sonders in Süddeutschland wütete, hatte in besonders stark            A Tale of Two Earthquakes”, Journal of Urban Economics, 84, S. 52–66.
betroffenen Orkanregionen einen negativen Einfluss auf das            Berlemann, M. und G. Vogt (2008), „Kurzfristige Wachstumseffekte von Natur-
BIP je Einwohner pro Kopf. Dies zeigt gleichzeitig, dass die be-      katastrophen. Eine empirische Analyse der Flutkatastrophe vom August 2002
                                                                      in Sachsen“, Zeitschrift für Umweltpolitik & Umweltrecht 31 (02), S. 209-232.
troffenen Kreise gegenüber einem (starken) Sturm mit gerin-
geren Windstärken resilient waren.                                    Capello, R., Caragliuy, A. und U. Fratesi (2015), „Spatial Heterogeneity in
                                                                      the Costs of the Economic Crisis in Europe: Are Cities Sources of Regional
      Naturkatastrophen wie Orkane wirken über mehrere Ka-            Resilience?”, Journal of Economic Geography, 15(5), S. 951–972, Download
näle auf das BIP je Einwohner. So sind Produktionsausfälle            unter https://doi.org/10.1093/jeg/lbu053
und -beeinträchtigungen negative Faktoren, während der                Cavallo, E., Galiani, S., Noy, I. und J. Pantano (2013), Catastrophic Natural
Wiederaufbau zur Schadensbeseitigung das BIP je Einwohner             Disasters and Economic Growth, Review of Economics and Statistics, 95(5),
                                                                      S. 1 549-1 561.
steigert. In unserer Analyse finden wir einen signifikanten
                                                                      Crescenzi, R., Luca, D. und S. Milio (2016), „The Geography of the Economic
Nachweis, dass letzteres auch für das BIP je Einwohner in den
                                                                      Crisis in Europe: National Macroeconomic Conditions, Regional Structural
Orkanregionen nach dem Sturm relevant war.                            Factors and Short-term Economic Performance”, Cambridge Journal of
      Die Ergebnisse zur Resilienz deutscher Kreise werden aller-     Regions, Economy and Society, 9(1), S. 13–32.

dings von einem sehr speziellen Schock abgeleitet und sind            Duschl, M. (2014), Regional Resilience and Fat Tails: A Stochastic Analysis
                                                                      of Firm Growth Rate Distributions of German Regions, Working Papers on
daher nur bedingt übertragbar. Zum einen ist ein Sturm nur            Innovation and Space, Nr. 01.14.
ein recht kurzzeitig auftretendes Ereignis, welches nur sehr
                                                                      Förtsch, M., Frei, X., Kremer, A. und J. Ragnitz (2021), Analyse regionaler Risiko-
begrenzt Produktionsmittel vernichtet, anders als etwa bei            und Resilienzfaktoren in Deutschland, ifo Dresden Studie, 86, ifo Institut,
einem Hochwasser. Zum anderen wurden die wirtschaftlich               München/Dresden.
besonders starken Regionen, welche geografisch vor allem              Groot, S. P. T., Möhlmann, J. L., Garretsen, J. H. und H. L. F. de Groot (2011),
im Süden des Landes konzentriert sind, von Lothar stärker             „The Crisis Sensitivity of European Countries and Regions: Stylized Facts and
                                                                      Spatial Heterogeneity”, Cambridge Journal of Regions, Economy and Society,
getroffen. In den erfolgreichen Kreisen war die Erholung ver-         4(3), S. 437–456.
mutlich einfacher, da diese in ihrer Struktur gut aufgestellt sind.
                                                                      Marescot, L. (2014), Location, Location, Location: What Makes a Windstorm
Wären vorwiegend die wirtschaftlich schwächeren Regionen              Memorable?, Download unter https://www.rms.com/blog/2014/12/04/location-
von der Naturkatastrophe betroffen gewesen, so hätte die              location-location-what-makes-a-windstorm-memorable

Vulnerabilität größer und die Erholung langsamer ausfallen            Martin, R. und B. Gardiner (2019), „The Resilience of Cities to Economic Shocks:
                                                                      A Tale of Four Recessions (and the Challenge of Brexit)”, Papers in Regional
können. Zudem fiel Lothar in die Zeit „zwischen den Jahren“,          Science, 98(4), S. 1 801–1 832, Download unter https://doi.org/10.1111/
weshalb die Effekte sich auf die Jahre 1999 und 2000 aufge-           pirs.12430
teilt haben könnten, so dass statistisch keine Folgen festge-

Tab. 2
Wiederaufbau in Orkanregionen
Abhängige Variable:                                                             Bau als Anteil am BIP je Einwohner in 2000
Dummy Schockjahr                                                                                     -6 751,719***
                                                                                                       (722,452)
Dummy Schockbetroffenheit                                                                            7 155,426***
(Interaktion Jahr x Region)                                                                            (808,611)
Kreisfixe Effekte                                                                                            ja
Beobachtungsanzahl (Panel)                                                                                 1 097
Korrigiertes R²                                                                                           0,176
Anmerkungen: Die Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse einer Diff-in-Diff-Schätzung 1996 bis 2000. Angabe robuster Standardfehler in Klammern.
Signifikanzniveaus: *0,1; **0,05; ***0,01.
Quelle: Darstellung des ifo Instituts.                                                                                                       © ifo Institut

                                                                                                                             ifo Dresden berichtet   2/2021   13
Ak tuelle Forschungsergebnisse

     1 Vgl. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.rueckblick-auf-
        das-sturmtief-lothar-im-jahr-1999-der-15-minuten-jahrhundert-
        orkan.1ed1af12-0580-4c4b-a65d-5020a0ecccb0.html und
        http://www.planat.ch/fileadmin/PLANAT/planat_pdf/alle_2012/2001-2005/
        Munich_Re_Group_2001_-_Winterst%C3%BCrme_in_Europa_II.pdf

     2 Wir nutzen einen Deflator auf Bundeslandebene, um das reale BIP eines
        Kreises zu berechnen.

14   ifo Dresden berichtet 2/2021
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