ALLE SOLLEN TEILHABEN - Wie Kreise und kreisfreie Städte mit Integrationskonzepten ungleichwertige Lebensverhältnisse abbauen wollen
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gefördert von der ALLE SOLLEN TEILHABEN Wie Kreise und kreisfreie Städte mit Integrationskonzepten ungleichwertige Lebensverhältnisse abbauen wollen
Impressum Originalausgabe August 2021 Über die Stiftung Mercator © Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Die Stiftung Mercator ist eine private, unabhängige Stiftung, die auf der Grundlage wissenschaftlicher Expertise und praktischer Projekterfahrung handelt. Sie strebt mit Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertung bleibt ihrer Arbeit eine Gesellschaft an, die sich durch Weltoffenheit, Solidarität und Chan- vorbehalten. cengleichheit auszeichnet. Um diese Ziele zu erreichen, fördert und entwickelt sie Projekte, die Chancen auf Teilhabe und den Zusammenhalt in einer diverser werdenden Herausgegeben vom Gesellschaft verbessern. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa will die Stiftung Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Mercator durch ihre Arbeit stärken, die Auswirkungen der Digitalisierung auf Demo- Schillerstraße 59 10627 Berlin kratie und Gesellschaft thematisieren und den Klimaschutz vorantreiben. Die Stiftung Telefon: (030) 22 32 48 45 Mercator engagiert sich in Deutschland, Europa und weltweit. Dem Ruhrgebiet, Heimat Telefax: (030) 22 32 48 46 der Stifterfamilie und Stiftungssitz, fühlt sie sich besonders verbunden. E-Mail: info@berlin-institut.org www.stiftung-mercator.de www.berlin-institut.org www.aufruhr-magazin.de – Das Magazin der Stiftung Mercator Das Berlin-Institut finden Sie auch bei Facebook und Twitter (@berlin_institut). Autor:innen: Adrián Carrasco Heiermann, Thomas Nice, Catherina Hinz Lektorat: Daniel Hegemann Über das Berlin-Institut Design: Jörg Scholz (www.traktorimnetz.de) Layout und Grafiken: Christina Ohmann Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unabhängiger Thinktank, (www.christinaohmann.de) der sich mit Fragen regionaler und globaler demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut wurde 2000 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die Aufgabe, ISBN: 978-3-946332-64-0 das Bewusstsein für den demografischen Wandel zu schärfen, nachhaltige Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die Politik einzubringen und Konzepte zur Lösung demografi- Die Hauptautor:innen scher und entwicklungspolitischer Probleme zu erarbeiten. In seinen Studien, Diskussi- ons- und Hintergrundpapieren bereitet das Berlin-Institut wissenschaftliche Informatio- Adrián Carrasco Heiermann, Master of Science in nen für den politischen Entscheidungsprozess auf. Weitere Informationen, wie auch die Public Policy an der University of Bristol. Wissenschaft- Möglichkeit, den kostenlosen regelmäßigen Newsletter „Demos“ zu abonnieren, finden licher Mitarbeiter am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Sie unter www.berlin-institut.org. Thomas Nice, Master of Science in Volkswirtschafts- Unterstützen Sie die unabhängige Arbeit des Berlin-Instituts lehre an der Wirtschaftsuniversität Wien. Wissenschaft- licher Mitarbeiter am Berlin-Institut für Bevölkerung und Das Berlin-Institut erhält keinerlei öffentliche institutionelle Unterstützung. Projektför- Entwicklung. derungen, Forschungsaufträge, Spenden und Zustiftungen ermöglichen die erfolgreiche Die Publikation ist Teil des Projekts „Teilhabe für alle“, Arbeit des Instituts. Das Berlin-Institut ist als gemeinnützig anerkannt. Spenden und gefördert von der Stiftung Mercator. Zustiftungen sind steuerlich absetzbar. Im Förderkreis des Berlin-Instituts kommen interessierte und engagierte Privatperso- nen, Unternehmen und Stiftungen zusammen, die bereit sind, das Berlin-Institut ideell und finanziell zu unterstützen. Informationen zum Förderkreis finden Sie unter https://www.berlin-institut.org/partner-foerderer/foerderkreis-des-berlin-instituts 2 Alle sollen teilhaben
INHALT Das Wichtigste in Kürze.......................................................................................................................... 4 1 | Alle wollen gut leben ................................................................................................... 6 2 | Teilhabechancen in Stadt und Land.............................................................................. 8 2.1. Die Clusteranalyse....................................................................................................................... 8 2.2. Integrationsarbeit mit Konzept überwiegt .......................................................................... 11 2.3. Teilhabe kommt von unten....................................................................................................... 12 2.4. Die Inhalte zählen ..................................................................................................................... 15 3 | Große Ziele, durchmischte Pläne................................................................................ 16 3.1. Lokale Bedarfe statt Herkunft?............................................................................................... 17 3.2. Handlungsfelder – Arbeit, Bildung und Sprache dominieren ........................................... 18 Box: Von der Integration zur Teilhabe.......................................................................................... 20 3.3. Maßnahmen – Zusammenleben stärken und Strukturen öffnen....................................... 21 4 | Fazit und Ausblick ..................................................................................................... 24 Methodik................................................................................................................................................. 26 Quellen ................................................................................................................................................... 28
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE Der demografische Wandel und seine Fol- Integrationsarbeit mit Konzept ist weit Integrationskonzepte sollen die Teilhabe gen beeinträchtigen vielerorts die Teilha- verbreitet. Unsere Auswertung zeigt, dass insgesamt fördern. Kreise und Gemeinden bechancen der Menschen. Dies verschärft über die Hälfte der Landkreise und kreisfrei- halten in solchen strategischen Dokumenten das Gefälle zwischen Deutschlands Regionen en Städte in Deutschland ihre Integrationsbe- Leitlinien und konkrete Maßnahmen für die bei den Einkommen, der Gesundheit oder der mühungen systematisiert haben. 221 der 401 lokale Integrationsarbeit fest. So erhalten Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs. Kreise und Städte haben ein Integrations- etwa Verwaltungsmitarbeiter:innen Schu- In schrumpfenden und alternden Gemeinden konzept oder inhaltlich gleichwertiges Papier lungen zur interkulturellen Kompetenz, es erleben die Bürger:innen in ihrem Alltag, wie erstellt. Davon stellen 149 klar, dass es ihnen entstehen Nachbarschaftszentren für alle Dorfläden und Gaststätten schließen, weil die bei Integration im Kern um die gleichberech- und mancherorts setzt sich die Gemeinde für Nachfrage nicht ausreicht. Vielerorts sehen tigte Teilhabe aller Menschen geht. Sie legen niedrigere Ticket-Preise im öffentlichen Nah- sie, wie Ärzt:innen keinen Nachwuchs finden, ihrer Arbeit ein teilhabeorientiertes Integrati- verkehr ein. Damit reagiert die Politik auf die der die Praxen übernehmen könnte. Gleich- onsverständnis zugrunde. ungleichen Teilhabechancen von Eingewan- zeitig fehlen häufig gutbezahlte Arbeitsplätze, derten, ihren Nachkommen und alteingeses- um die Menschen vor Ort zu halten. Besonders in der Stadt sind Integrationskon- senen Bewohner:innen zugleich. zepte die Regel, auf dem Land hingegen noch Zuwanderung ist ein wichtiger Faktor, um oft die Ausnahme. Das dürfte unter anderem Längst nicht alle Orte mit geringen Teilha- diese demografischen und sozioökonomi- daran liegen, dass in den Städten eher eine bechancen weisen ein Integrationskonzept schen Herausforderungen zu bewältigen. internationale Bevölkerung lebt als auf dem vor. Das bedeutet, dass dieses Instrument Gerade ländliche Regionen können davon Land. Doch auch viele eher abgelegene Land- noch nicht umfassend genutzt wird, wo es profitieren, wenn mehr Menschen hinzuzie- kreise und kreisfreie Städte haben in den besonders großes Potenzial besitzt. Gerade hen und damit die Dörfer wiederbeleben. vergangenen Jahren Integrationskonzepte in Regionen mit geringen Teilhabechancen Doch bemühen sich die Verantwortlichen in erstellt – mehr als drei Viertel davon in ihrer können Integrationskonzepte Verbesserun- den Rathäusern um neue Einwohner:innen aktuellen Form seit 2016. gen für viele Menschen anstoßen. mit Migrationsbiografie, stößt dies nicht selten auf Ablehnung. Vor allem in Regionen Politischer Wille kann die Entstehung von Alle sollen profitieren: Noch richten sich mit geringen Teilhabechancen kann bei den Integrationskonzepten voranbringen. viele Konzepte vor allem an die Bevölkerung Alteingesessenen das Gefühl entstehen, dass Die Konzepte sind in der Vergangenheit vor mit internationaler Biografie. Zudem geben Neuankömmlinge Unterstützung erhalten, die allem dort entstanden, wo etwa die Län- viele Konzepte zwar das Ziel aus, die Teilhabe ihnen selbst verwehrt bleibt. Viele Landkreise der Fördergelder bereitgestellt und Anreize aller Bewohner:innen fördern zu wollen, aber und Gemeinden versuchen daher mit vielfäl- geschaffen haben. Das ist insbesondere in die vorgeschlagenen Maßnahmen spiegeln tigen Konzepten und Maßnahmen nicht nur Nordrhein-Westfalen gelungen, wo alle Krei- dies nicht wider. Dabei kann teilhabeorien- die Zugewanderten zu integrieren, sondern se und Städte über ein Integrationskonzept tierte Integrationspolitik allen zugutekom- die Teilhabechancen aller zu verbessern. Das verfügen. Häufig springen die Landkreise für men und zugleich eine wichtige Bewälti- vorliegende Papier untersucht, mit welchen ihre zugehörigen Kommunen ein, um ein In- gungsstrategie im demografischen Wandel Konzepten sie ihre Integrationsarbeit gestal- tegrationskonzept zu erstellen. Sie verfügen sein. Integration bedeutet dann nicht mehr, ten und ob dies mit den Teilhabechancen vor eher über das nötige Geld und Personal, um dass sich die Einzelnen in eine vermeintlich Ort zusammenhängt. Konzepte anzuregen und Beteiligungsverfah- homogene Aufnahmegesellschaft einglie- ren zu organisieren. dern, sondern dass alle Bewohner:innen durch gleichberechtigte Teilhabe am Gemein- wesen zusammenwachsen. Integrationskon- zepte tragen zur ländlichen Entwicklung bei, wenn sie einen Rahmen dafür schaffen, dass Neuzuwandernde gut in der Stadt oder dem Dorf ankommen und junge Menschen mehr Perspektiven vor Ort sehen, da sich ihre Teil- habechancen verbessern. 4 Alle sollen teilhaben
Arbeit, Bildung, Sprache, Wohnen und Auf Konzepte sollten Taten folgen. Aus Gesundheit gehören zu den wichtigsten den Integrationskonzepten wird nicht immer Handlungsfeldern der teilhabeorientierten deutlich, ob und wie die Verantwortlichen sie Integrationsarbeit. Kreise und Städte fragen vor Ort umsetzen wollen, denn die Konzep- sich etwa, wie sie Menschen besser zu einer te sind nicht verpflichtend. Hier knüpft das ihrer Qualifikation entsprechenden Beschäf- Gesamtprojekt an, dessen Teil dieses Papier tigung verhelfen oder allen Kindern gleiche ist. Auf Grundlage der vorliegenden Auswer- Chancen auf einen guten Abschluss bieten tung werden sechs Landkreise ausgewählt, in können. Zu den weiteren Handlungsfeldern denen die Mitarbeitenden des Berlin-Instituts zählen häufig politisches oder ehrenamtli- über anderthalb Jahre mit verschiedenen ches Engagement, Kultur sowie Freizeit und Methoden regelmäßig die Sichtweisen und Sport. In ihren jeweiligen Handlungsfeldern Erfahrungen der zentralen Akteure in der In- nehmen sich die Landkreise und kreisfreien tegrationsarbeit vor Ort erheben. Städte einen umfassenden Maßnahmenkata- log vor. In der Regel stehen Sprachförderung, Beratung und interkulturelle Öffnung ganz oben auf der Agenda. Unsere Auswertung zeigt aber auch, dass nur zwischen 31 und 38 Prozent der teilhabeorientierten Konzepte konkrete Maßnahmen vorschlagen, mit denen sie die politische Teilhabe fördern oder die Antidiskriminierungsarbeit vor Ort stärken wollen. Sie rufen etwa Parteien dazu auf, die gesellschaftliche Vielfalt auch in ihren eige- nen Reihen abzubilden oder verstetigen die Antirassismusarbeit an Schulen. Berlin-Institut 5
1 ALLE WOLLEN GUT LEBEN Die deutschen Landkreise und kreisfrei- en Städte stehen vor enormen Heraus- Der demografische Wandel verschärft die regionale Ungleichheit der die Praxen mittelfristig übernehmen könnte. Die Unternehmen leiden nicht nur un- forderungen: Sie müssen die regional ter der wegbrechenden Nachfrage, sondern höchst unterschiedliche demografische Seit Jahren wächst die demografische Kluft sie suchen auch händeringend nach Fach- und sozioökonomische Entwicklung so- in Deutschland. So konnten die alten Bun- kräften. Kurz: Wenig hält die Menschen dort, wie deren Konsequenzen bewältigen, die desländer zwischen 1990 und 2019 einen wo sie keine Perspektive für sich sehen. Aber Daseinsvorsorge organisieren und ihre Einwohner:innenzuwachs von 5,4 Millionen auch in bislang wirtschaftlich erfolgreichen Einwohner:innen in die Stadt- oder Dorfge- Menschen verzeichnen, während die ostdeut- Regionen wie dem Emsland oder der Schwä- sellschaft integrieren. Könnten teilhabeori- schen Flächenländer 2,2 Millionen verloren. bischen Alb fehlt es an Arbeitskräften. Vor entierte Integrationskonzepte ihnen dabei Doch die Bevölkerungsentwicklung trennt allem die gut qualifizierten Jüngeren machen helfen? nicht nur Ost und West, sondern auch die sich auf in die wenigen großen Ballungszen- attraktiven Großstädte samt Umland und die tren mit ihren Universitäten und Hochschu- 2024 steht das nächste Superwahljahr in entlegenen ländlichen Regionen. Frankfurt len.4, 5 Deutschland an. Dann geben die Bürger:innen und Hamburg dürften laut einer Bevölke- nicht nur ihre Stimmen für ein neues Euro- rungsprognose des Berlin-Instituts bis 2035 Die Corona-Pandemie erschwert die Situati- päisches Parlament ab, sondern wählen in um über zehn Prozent wachsen, Leipzig sogar on für die Landkreise und Gemeinden noch acht Flächenländern auch ihre Kreis- und um fast 17 Prozent. Die Landkreise an den weiter. Vor allem Kommunen mit geringen Gemeindevertreter:innen. Wer sich für die Lo- Rändern Brandenburgs oder im Norden Sach- Teilhabechancen und chronisch klammen kalpolitik aufstellen lässt, braucht dabei Mut sen-Anhalts werden dagegen voraussichtlich Kassen blicken nun sorgenvoll in die Zukunft, und gute Ideen. Denn die Kreise und Gemein- mehr als ein Fünftel ihrer Bewohner:innen weil ihnen etwa die (Gewerbe-)Steuereinnah- den müssen zahlreiche Herausforderungen einbüßen. In Nordhessen und der Südwest- men fehlen. So schätzt der Arbeitskreis Steu- meistern: Auch mittelfristig müssen sie noch pfalz kämpfen die Gemeinden ebenfalls mit erschätzung beim Bundesfinanzministerium, die Corona-Maßnahmen vor Ort umsetzen sinkenden Einwohner:innenzahlen.2 Hier dass die Steuereinnahmen der Städte und und ihre Einwohnerschaft durch die unsiche- macht sich bereits bemerkbar, was künftig Gemeinden 2021 um 9,4 und 2022 um 10,1 ren Pandemie-Zeiten navigieren. Langfris- die meisten Regionen Deutschlands treffen Milliarden Euro unter den ursprünglichen tig gesehen stehen etwa Digitalisierung und dürfte: Die Zahl der verfügbaren Arbeitskräf- Erwartungen liegen werden.6, 7, 8 Das zwingt Klimaschutz weit oben auf der Agenda. Doch te sinkt. Denn die geburtenstarken Jahrgänge die Verantwortlichen, noch stärker als bislang vor allem brauchen sie kluge Ideen, um die re- gehen in den nächsten Jahren in Rente und politische Prioritäten zu setzen. gional höchst unterschiedliche demografische die nachfolgenden Generationen können und sozioökonomische Entwicklung zu bewäl- diese Lücke zahlenmäßig nicht schließen.3 All tigen. Auch einem Teil der Einwohner:innen dies erschwert es Kreisen und Gemeinden, Die Gemeinden können von selbst brennt diese Frage unter den Nägeln. den verbleibenden Einwohner:innen gesell- Zuwanderung profitieren Laut dem Politbarometer, einer repräsentati- schaftliche Teilhabe zu ermöglichen. ven Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, Wie also vorgehen angesichts sich türmen- vom August 2021 sehen etwa zehn Prozent Wie sich die Bevölkerungsentwicklung aus- der Herausforderungen? Ein wichtiger Faktor der Bevölkerung das soziale Gefälle als wich- wirkt, erleben die Menschen in ihrem Alltag: für Gemeinden ist Zuwanderung. Gerade tigstes Problem in Deutschland an.1 Ähnlich Während sie in der Großstadt nur zehn Minu- die ländlichen Regionen könnten davon viele Menschen nennen auf diese Frage Mig- ten warten, wenn ihnen der Bus vor der Nase profitieren, wenn wieder mehr Menschen ration und Flucht. Die Mitarbeitenden in den wegfährt, müssen sie in ländlichen Gemein- beim Einwohnermeldeamt vorsprechen, um Amtsstuben dürften deshalb darüber grübeln, den ihre Erledigungen nach den zwei tägli- ihren Wohnsitz anzumelden. Dabei können wie sie Alten wie Jungen, Armen und Reichen, chen Abfahrten planen. Dorfläden und Gast- die Kommunen selbst dazu beitragen, dass Menschen mit und ohne deutschen Pass ein stätten schließen, weil die Kundschaft fehlt. Zugezogene in einem freundlichen Klima an- gutes Leben ermöglichen können. Und Ärzt:innen finden keinen Nachwuchs, kommen und sich schnell integriert fühlen. 6 Alle sollen teilhaben
Die Zuwanderung könnte den Mangel an Ar- Teilhabe für alle ermöglichen Ein Teil der Landkreise und kreisfreien Städte beitskräften zumindest teilweise verkleinern, hat die Integrationsarbeit bereits unter das die Zuwanderer:innen würden zudem dazu Im Werkzeugkoffer der Landkreise und kreis- Motto Teilhabe für alle gestellt. Dieses Papier beitragen, Schulen, Busse, kleine Geschäfte freien Städte befindet sich bereits ein poli- geht der Frage nach, wo sie dieses Motto be- und Einkaufsgelegenheiten oder die Gemein- tisches Instrument, mit dem die Gemeinden reits in Integrationskonzepte gegossen haben schaftspraxis im Ort zu erhalten sowie an- das Leben aller Einwohner:innen verbessern und was sie sich vornehmen. Was verstehen dernfalls leerstehende Wohnungen mit Leben können: Ein teilhabeorientiertes Integrati- die Landkreise und Gemeinden genau unter zu füllen. Viele Unternehmen und auch einige onskonzept, das allen Unterstützung bietet, Integration? Erstellen sie eher ein teilhabe- Kommunen haben dies bereits erkannt. Sie die diese benötigen. Die lokale Integrations- orientiertes Integrationskonzept, wenn sie planen Wirtschafts- und Stadtentwicklung politik richtet sich bislang aber nur in einem zugleich mehr als anderswo mit zunehmen- sowie Zuwanderung zusammen und denken Teil der Landkreise an alle Menschen. Dabei der Abwanderung und hoher Arbeitslosigkeit Integration gleich mit. Einige Kreise und dürften beispielsweise viele junge Erwachse- zu kämpfen haben? Oder nutzen prospe- Gemeinden werben etwa Fachkräfte direkt ne, unabhängig von ihrer Herkunft, von Un- rierende wie strukturschwache Regionen aus dem Ausland an, wie in Wunsiedel oder terstützungsangeboten in Schule, Ausbildung gleichermaßen dieses Instrument? Und in Frankfurt (Oder).9, 10 und Universität profitieren. Die Trennung welchen Handlungsfeldern, mit welchen Maß- zwischen Eingewanderten, ihren Nachkom- nahmen wollen sie ihr Ziel verfolgen, allen Kommunen, die ihre eigene Zuwanderungs- men und der ansässigen Bevölkerung prägt Bewohner:innen Teilhabe zu ermöglichen? strategie verfolgen, müssen diese auch den nach wie vor das Bild von Integration. Eine Die Analyse beschränkt sich dabei auf Integ- Bürger:innen vor Ort vermitteln und erklä- Integrationspolitik, die auf Teilhabe für alle rationskonzepte und vergleichbare Dokumen- ren, wie ihre Pläne im Zusammenspiel mit abzielt, hat das Potenzial, diese Trennung zu te aus den 401 Landkreisen und kreisfreien Integrations- oder allgemeinen Teilhabekon- überwinden. Sie würde die wichtigste Frage Städten. Denn vielerorts leisten Kreise die zepten helfen, die Zukunft für ihre Gemein- in den Vordergrund rücken: Wer braucht was, konzeptuelle Integrationsarbeit. Gerade wo den zu sichern. Doch nicht überall begrü- um gleichberechtigt am Stadt- oder Dorfle- es den zugehörigen Gemeinden an Geld oder ßen die Alteingesessenen neue Stadt- oder ben teilzunehmen? Personal mangelt, springen sie ein. Dorfbewohner:innen.11 Haben die Alteinge- sessenen den Eindruck, Zugewanderte er- hielten Unterstützungsleistungen, die ihnen selbst verwehrt blieben, kann sich dies in Was heißt Teilhabe? Neid, Konkurrenzgefühlen und Ablehnung äußern.12, 13 Zum Teil schlägt dies in Hass- „Integration ist ein langfristiger Prozess. recht etwa eine gute Bildung sowie später nachrichten, Bedrohungen oder sogar Gewalt Sein Ziel ist es, alle Menschen, die dauer- eine der Ausbildung entsprechende Arbeit, gegen kommunale Mandatsträger:innen haft und rechtmäßig in Deutschland leben, die genug zum Leben einbringt, eine be- um.14 Bürger:meisterinnen und andere in die Gesellschaft einzubeziehen und zahlbare Wohnung oder eine ausreichende Lokalpolitiker:innen können davon sowohl aus ihnen die Chancen zu einer gesellschaftli- Gesundheitsversorgung. Auch ein schnel- prosperierenden Städten wie Düsseldorf als chen Teilhabe zu ermöglichen.“18 Mit die- ler Internetzugang zählt heutzutage dazu. auch aus ländlichen Regionen wie dem Land- ser Feststellung stehen die Schöpfer:innen Und nicht zuletzt spielen für die Menschen kreis Bautzen berichten.15, 16 Petra Köpping, des Delmenhorster Integrationskonzeptes auch Freizeiteinrichtungen eine wichti- die sächsische Staatsministerin für Gleichstel- nicht alleine dar. Viele Landkreise und ge Rolle – vom Schwimmbad über den lung und Integration, schildert in ihrer „Streit- kreisfreie Städte haben ganz ähnliche Sportverein und das Kino bis zum Theater schrift für den Osten“ von 2018 ausführlich, Sätze in ihre Konzepte geschrieben. Aber oder Freiräumen, in denen sie auch ohne welche Gefühle ihr im Gespräch mit den was bedeutet Teilhabe eigentlich? Geld ihren Interessen nachgehen und sich Bürger:innen immer wieder entgegenschlu- mit anderen austauschen. 19 Durch gesell- gen. Der Titel des Buches fasst sie pointiert Für dieses Papier fassen wir den Begriff schaftliche Teilhabe können die Menschen zusammen: „Integriert doch erstmal uns!“.17 Teilhabe weit und verstehen darunter den somit ein möglichst selbstbestimmtes Zugang zum sozialen Gemeinwesen und Leben führen sowie ihre Interessen und dessen Errungenschaften. Dazu gehören Talente entfalten.20 neben dem passiven und aktiven Wahl- Berlin-Institut 7
2 TEILHABECHANCEN IN STADT UND LAND Vielerorts wollen Landkreise und Gemeinden mithilfe von Integrationskonzepten die Teilhabe von Eingewanderten, ihren Nachkommen sowie teilweise auch von Alteingesessenen verbessern. Liegen diese Konzepte eher in Regionen mit geringen Teilhabechancen vor oder arbeiten die lokalen Verantwortlichen im ganzen Land mit diesem Instrument? 2.1. Die Clusteranalyse Wer sich Teilhabe für alle auf die Fahne Ungleichwertige Lebensverhältnisse Einige ländliche Regionen Ostdeutsch- schreibt, muss auch wissen, ob und wie lands, sowie Teile von Rheinland-Pfalz und gut die lokale Bevölkerung in all ihrer Viel- Die Clusteranalyse zeigt, dass sich die des Saarlands befinden sich in einer Ab- falt am gesellschaftlichen Leben teilhaben Teilhabechancen zwischen Deutsch- wärtsspirale: Ihre Bildungseliten wandern kann. Dies zu messen, ist eine Herausfor- lands Regionen erheblich unterscheiden. früh ab und kehren selten zurück. Durch derung, denn viele Menschen verstehen Zunächst teilen sich die Landkreise und die Abwanderung sinken die Steuereinnah- unter Teilhabe sehr unterschiedliche kreisfreien Städte in eher ländliche und men, sodass die Kommunen und Kreise Dinge. Dennoch lassen sich einige objek- eher städtische Cluster auf. Besonders die kaum freiwillige Integrationsangebote wie tive Einflussfaktoren bestimmen, die alle Versorgungslage trennt sie voneinander. beispielsweise eine zusätzliche Beratung Menschen betreffen, wenn auch in unter- Wer in den Großstädten samt attraktivem für Azubis, die Unterstützung benötigen, schiedlichem Ausmaß: Wie viel Einkom- Umland wohnt, kommt meistens zu Fuß an bereitstellen. Auch mit einem attraktiven men haben etwa Haushalte im Schnitt zur alle Güter und Dienstleistungen des tägli- Kulturangebot oder regelmäßigen Busver- Verfügung? Welche finanziellen Spielräu- chen Bedarfs. In Dörfern und Kleinstädten bindungen können sie dann selten aufwar- me haben die Kommunen für freiwillige sieht das häufig anders aus. Dort sind die ten. Eine Zukunft im Dorf oder in der Klein- Aufgaben, also um ein Jugendzentrum Menschen auf ihr Auto angewiesen, um ins stadt wird so für die nächste Generation oder interkulturelle Beratungsangebo- nächste Zentrum zu gelangen. Wer wenig noch unattraktiver.1 Einige prosperierende te zu betreiben? Wie einfach lassen sich Geld und kein Fahrzeug hat, muss mit den Landkreise – vor allem in Teilen Baden- Apotheke, Supermarkt oder Oberschule wenigen Busfahrten am Tag vorliebneh- Württembergs, Südbayerns oder Westfa- erreichen? Diese und andere Indikatoren men. Die städtischen Räume ziehen zudem lens – können den Nachwuchs eher vor haben wir uns systematisch in einer Clus- aus ganz Deutschland sowie auch interna- Ort halten und auch neue (internationale) teranalyse angesehen. Sie fasst die Städte tional viele junge, qualifizierte Menschen Einwohner:innen gewinnen. Das liegt auch und Landkreise mit ähnlichen Teilhabe- an, die dort studieren, ihre Ausbildung daran, dass die vielen mittelständischen chancen zu möglichst homogenen Grup- absolvieren oder arbeiten. Ländliche Ge- Firmen für gutbezahlte Arbeitsplätze und pen zusammen ( Methodik, S.26). meinden sind für Migrant:innen hingegen eine hohe kommunale Steuereinnahme- weniger attraktiv und junge Menschen, die kraft sorgen.2 dort aufwachsen, wandern früh ab. 8 Alle sollen teilhaben
Doch auch zwischen den Städten besteht ein Unterschiedliche Teilhabechancen starkes Gefälle. So verdient ein Haushalt in Die Clusteranalyse fasst kreisfreie Städte und Landkreise mit ähnlichen Teilhabechancen in Gruppen zusam- München oder Stuttgart im Schnitt erheblich men. Daraus lassen sich sechs Cluster voneinander abgrenzen. Zu den Clustern 1 bis 3 zählen insbesondere mehr als einer in Gelsenkirchen oder Bremer- Städte und ihr Umland, zu den Clustern 4 bis 6 eher ländliche Kreise. Innerhalb dieser Gruppen sind die haven. Während vor allem Metropolregionen Teilhabechancen im städtischen Cluster 1 und im ländlichen Cluster 4 am besten. Diese sind am ehesten im im Süden der Republik starke Wirtschafts- Südwesten Deutschlands vertreten. Im städtischen Cluster 2 und ländlichen Cluster 5 bestehen vereinzelte Schwierigkeiten bei der gesellschaftlichen Teilhabe. Das städtische Cluster 3 sowie das ländliche Cluster 6 standorte sind, haben viele Städte Ost- bieten ihren Bewohner:innen die bundesweit geringsten Chancen zur Teilhabe. Besonders häufig befinden sich deutschlands, des Saarlands und des Ruhrge- diese Cluster in ostdeutschen Bundesländern. biets einen einschneidenden Strukturwandel hinter sich. Das schlägt sich in den kommu- Kreise und kreisfreie Städte nach Clustern, 2021 (Datengrundlage: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, BBSR, eigene Berechnungen)5, 6, 7, 8, 9, 10, 11 nalen Steuereinnahmen, Berufsperspektiven und im Anteil jener Menschen nieder, die sich ihre Mahlzeit bei der Tafel abholen müssen. Clusteranalyse der Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland NF SL Sowohl in der Stadt als auch auf dem Land Cluster 1 ländlich städtisch RD VR Kiel PLÖ gilt: Wo es schlecht um die Teilhabechancen Cluster 2 HEI NM S OH HRO steht, sind junge Menschen schon bei der Cluster 3 IZ SE LRO VG Bildung benachteiligt. In manchen Land- NW M Cluster 4 PI OD RZ CUX HH Schwerin kreisen und kreisfreien Städten erreichen Cluster 5 AUR WT M FRI STD Hamburg SN LUP MSE knapp zehn Prozent der Schüler:innen nicht BRA OHZ ROW WL Cluster 6 LER WS T Bremen LG OPR UM einmal den Hauptschulabschluss. Gerade PR DAN DE L OL VER HK SFA UE Kinder von Eingewanderten schneiden in CLP CL P OHV BAR EL DH CE PISA-Tests immer wieder schlechter ab als VEC VE C SAW SDL MO L NI GF HVL NOH OS H Berlin andere Schüler:innen. Der Grund dafür ist, MI SHG HannoverPE JL BRB Potsdam LOS FF BS dass sie deutlich häufiger aus Familien mit ST HE PM HF BK HM SZ WF TF BOR WF Magdeburg LDS geringem Einkommen stammen. In Deutsch- COE WA F GT LIP HOL HI GS SLK DE SPN HZ land hängt der schulische Erfolg stärker als WB KLE HX ABI RE NOM WE S HAM EE OSL BOT GE in anderen Ländern von der sozioökonomi- UN GÖ TDO HER SO PB MSH OB BO NDH MH E KS schen Herkunft ab.3 Menschen, denen ein KR EN HA EIC SK BZ VIE ME KYF GR W MK HSK L MEI MG Düsseldorf SG RS ESW UH SÖM BLK guter Abschluss und wichtige Kompetenzen NE KB HS OE LEV GL GM SI HR EA WE SHK ABG Dresden fehlen, haben erheblich schlechtere Chancen AC DN BM SU AK MR HEF WA K GTH Erfurt IK AP Z FG PIR GRZ auf eine gut bezahlte Arbeit und sind später EU NR WW LDK GI VB SM SHL SLF SOK ERZ FD häufig auf staatliche Transferleistungen ange- AW V LM HBN SON NES MY K FB CO HO KC wiesen. So werden ungleiche Teilhabechan- DAU EM S HG HO COC Wiesbaden MT K HU KG LIF BIT RÜD OF KU WU N cen an die nächste Generation „vererbt“. AB SW HAS SIM OF AB MS P WIL Mainz MZ GG DA SW BA BA BT TIR KH BT TR AZ MIL KT NEW BIR ERB ERH FO WE N TR HP KIB WO WÜ KUS NEA ER WN D FT TBB AS MZ G LU FÜ LAU KL KL DÜW HP MO S FÜ AM NK LU HD SAD SLS SaarbrückenLD NW SP HD AN SC CHA SB HOM ZW KÜN PS LD NM PS SÜW KA SHA AN RH HN HN GER WU G REG R SR PF LB RA KA WN EI SR PF AA FRG KEH DEG BAD Stuttgart DON CW DGF BB ES GP HDH PA DLG ND PAF LA PA FD S TÜ LA PAN OG AIC FS RT A UL GZ DAH ED RW BL NU FFB München MÜ AÖ EM EBE VS BC MN TUT SIG LL STA M MM RO FR TS KF RO KN RV WM FN OAL MB LÖ WT TÖL GAP BGL LI OA Berlin-Institut 9
Wohnort entscheidet nicht allein Auch die ländlichen Regionen werden internationaler über Teilhabe Die Bundesrepublik hat eine lange Geschichte als Migrationsgesellschaft und weiterhin wächst der Anteil von Menschen ohne deutschen Pass. Dies zeigt die Doch nicht nur zwischen den Regionen, Grafik aufgeteilt nach Clustern. Die Zahl der Ausländer:innen ist im letzten Jahr- sondern auch innerhalb der einzelnen Kreise zehnt stark gestiegen – von etwa 6,9 Millionen 2011 auf 11,4 Millionen 2020.12 In den vergangenen Jahren sind vor allem auch die ländlichen Kreise, in der Grafik und kreisfreien Städte profitieren nicht alle die Cluster vier bis sechs, deutlich internationaler geworden. Dazu hat vor allem gleichermaßen davon, wenn etwa die Steu- die dezentrale Verteilung von Geflüchteten, die 2015 und 2016 nach Deutschland ereinnahmen hoch ausfallen. Alle vier Jahre kamen, beigetragen.13, 14 belegt der von der Bundesregierung in Auf- Durchschnittlicher Anteil der Ausländer:innen an der Gesamtbevölkerung nach trag gegebene Diskriminierungsbericht, dass Cluster, in Prozent, 2011 bis 2019 viele Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ih- (Datengrundlage: Statistisches Bundesamt15, eigene Darstellung) res Geschlechts, Alters, Bildungsgrades oder weil sie arm sind systematisch benachteiligt Prozent 2011 werden – im Job, in der Schule, im Kontakt 20 2013 mit Polizeibehörden oder Verwaltung und bei 2015 ihrer politischen Mitbestimmung.4 Hier setzt 2017 teilhabeorientierte Integrationspolitik an, 2019 indem sie fragt, wer Unterstützung braucht, 15 anstatt diese an Herkunft oder Aufenthalts- status zu knüpfen. 10 5 0 1 2 3 4 5 6 Cluster städtisch ländlich Die Durchschnittswerte der Indikatoren 1 2 3 4 5 6 in den sechs Clustern im Überblick SGB II-Quote der unter 65-Jährigen Bevölkerung, in Prozent, 2019 4,9 8,4 14,9 4,0 5,0 8,6 jährliches verfügbares Haushaltseinkommen je Einwohner:in, 33.162,0 22.683,4 19.753,9 25.085,8 22.621,9 20.620,53 in Euro, 2018 kommunale Steuereinnahmekraft je Einwohner:in, in Euro, 2018 2.382,8 1.557,5 1.053,2 1.434,1 1.135,5 893,0 Anteil der Schulabgänger:innen ohne Hauptschulabschluss an allen 4,5 5,7 9,1 5,4 6,1 9,5 Absolvent:innen, in Prozent, 2019 Lebenserwartung von Neugeborenen, in Jahren, 2017 82,3 81,0 79,7 81,7 80,6 79,7 durchschnittlicher jährlicher Wanderungssaldo der 18- bis 29-Jährigen 28,5 45,8 28,1 6,3 -3,3 -7,7 je 1.000 Einwohner:innen der Altersgruppe, 2015 bis 2019 Versorgungsindex, 0 (schlechte Versorgungslage) bis 6 (sehr gute 4,9 5,0 5,0 4,0 3,3 3,5 Versorgungslage), jeweils letztes verfügbares Jahr 10 Alle sollen teilhaben
2.2. Integrationsarbeit Sie fördern die Zusammenarbeit. Kreise, Kommunen, Vereine, migrantische Selbst- Sie sind eine Verpflichtung. Ein Integrati- onskonzept ist zwar rechtlich nicht bindend. mit Konzept überwiegt organisationen, Unternehmen und weitere Die Gemeinde oder der Landkreis bekennt Beteiligte müssen gut kooperieren, wenn sie sich so aber dazu, Eingewanderten und ihren Im Vorwort des aktuellen Duisburger Inte- wollen, dass die Integration aller Menschen Familien eine gleichberechtigte Teilhabe zu grationskonzeptes, welches die Stadt im gelingt. Das gilt auch für den Entstehungspro- ermöglichen oder weitet dieses Ziel sogar auf Ruhrgebiet 2016 verabschiedet hat, stellt der zess von Integrationskonzepten. Im Dialog die gesamte lokale Bevölkerung aus. Anhand Oberbürgermeister Sören Link klar: „Nicht kann die Politik ermitteln, was vor Ort fehlt der Maßnahmen in den Konzepten können die Herkunft von Menschen, sondern die und ihre Maßnahmen entsprechend zuschnei- die Einwohner:innen ihre Vertreter:innen in Gestaltung unserer Zukunft, für die wir alle den sowie Verantwortlichkeiten definieren.22 den Amtstuben in die Verantwortung neh- zusammen Verantwortung tragen, ist von Mit einem guten Netzwerk können die Verant- men und nachhaken, wenn die Kreise oder Bedeutung.“17 Das Konzept und die darin wortlichen langfristig die Integrationsarbeit Gemeinden es versäumen, ihren Worten auch vorgeschlagenen Maßnahmen thematisieren koordinieren und die jeweiligen Stärken vor Taten folgen zu lassen. vor allem die Bedarfe jener Menschen, die in Ort nutzen. Alle wissen, welche gemeinsa- der jüngeren Vergangenheit nach Duisburg men Ziele sie verfolgen und können an einem gekommen sind. Zugleich macht der Oberbür- Strang ziehen. germeister deutlich: Alle Duisburger:innen profitieren davon, wenn die Stadt etwas gegen Leerstand unternimmt oder wenn Auf Zuwanderung folgten Debatten und neue Strategien Schüler:innen mehr Beratungsangebote Auf die hohen Zuwanderungszahlen 2015 und 2016 folgten nicht nur hitzige Debatten. So entstanden die meis- nutzen können, um herauszufinden, was sie ten Integrationskonzepte der Landkreise und kreisfreien Städte in ihrer aktuellen Form in den Folgejahren. nach der Schulzeit machen möchten. Das ist vor allem in den Kreisen der Fall, die in der Clusteranalyse als ländlich eingestuft wurden. Neben dem gestiegenen Bedarf nach Orientierung und Leitlinien in Zeit hoher Zuwanderung, können zahlreiche weitere Mit dieser Ansicht ist die Großstadt an der Faktoren beeinflussen, ob ein Konzept entsteht: Lassen sich etwa Lokalpolitik und Verwaltung darauf ein und sind bereit auch in den eigenen Reihen die interkulturelle Öffnung voranzutreiben? Unterstützt die Landespo- Ruhrmündung nicht alleine. Auch viele litik Kreise und Kommunen bei der Entwicklung oder fordert sie sogar dazu auf? Und welchen Rückhalt hat die andere Kreise und kreisfreie Städte sehen lokale Integrationspolitik bei den Einwohner:innen?26, 27 eine wichtige Aufgabe darin, gemeinsam mit den Bürger:innen an einer guten Zukunft Anzahl der veröffentlichten Integrationskonzepte auf ländlich (Datengrundlage: für alle Menschen zu arbeiten und so allen Kreisebene nach ländlichen und städtischen Clustern städtisch Statistische Ämter und Wachstumsrate der ausländischen Bevölkerung, des Bundes und der Einwohner:innen Teilhabe am gesellschaftli- in Prozent, 2005 bis 2020 ausländische Bevölkerung Länder28, eigene chen Leben zu ermöglichen.18 Integrations- Darstellung16, 29) konzepte können somit nicht nur einen Rah- Anzahl Prozent men dafür schaffen, dass Neuzuwandernde gut in der Stadt oder dem Dorf ankommen, sondern sind Teil der allgemeinen strategi- 30 15 schen Stadtentwicklung. Vielfalt anerkennen und Kooperation 20 10 stärken Aus Sicht der Landkreise und Gemeinden erfüllen Integrationskonzepte noch weitere Funktionen:19 10 5 Sie setzen ein Zeichen. Ein Integrations- konzept signalisiert den Einwohner:innen und der Verwaltung, dass die Politik das Thema 0 0 ernstnimmt und voranbringen möchte.20, 21 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Jahr Berlin-Institut 11
Ungleiche Verteilung In der Stadt die Regel, Prozent auf dem Land seltener 100 Unsere Recherche zeigt, dass 221 von 401 Kreise und Städte, die zu den drei eher städtischen Landkreisen und kreisfreien Städten ein In- Clustern gehören, haben häufiger ein Integrati- tegrationskonzept oder inhaltlich gleichwer- onskonzept als ländliche Kreise. Das dürfte etwa 75 tiges Papier erstellt haben. Davon verfolgen daran liegen, dass der Anteil der migrantischen Bevölkerung dort seit Jahrzehnten hoch ist. Es gibt 149 Konzepte einen teilhabeorientierten allerdings nur geringe Unterschiede innerhalb der Ansatz. Zahlreiche Kreise und Gemeinden ha- eher städtischen oder ländlichen Cluster. Tendenziell 50 ben ihre aktuellen Konzepte bereits vor 2010 ist der Anteil von Kreisen und kreisfreien Städten mit verabschiedet. Die meisten der vorliegenden Konzept gerade in beiden Clustern mit den jeweils geringsten Teilhabechancen am höchsten. Dokumente sind aber seit 2015 entstanden 25 – vielerorts vermutlich auch als Reaktion auf Anteil der Kreise und kreisfreien ohne Konzept die erhöhte Zuwanderung in diesem und dem Städte mit Integrationskonzept mit Konzept folgenden Jahr. Insbesondere in ländlichen nach Cluster, in Prozent, 2021 0 (eigene Darstellung) 1 2 3 4 5 6 Regionen haben viele Kreise und kreisfreie Städte ihre Integrationsarbeit in den letzten städtisch Cluster ländlich Jahren konzeptuell erneuert. Lange sahen Landkreise und Gemeinden in Landespolitik kann den Anstoß geben kreisfreien Städte ein Integrationskonzept entlegenen Regionen keinen Bedarf für Integ- vorweisen. Doch das Land versucht dies zu rationskonzepte oder es fehlte die politische Die Verteilung von Integrationskonzepten ändern. So können hessische Kommunen mit Mehrheit, um einen entsprechenden Prozess trennt aber nicht nur Stadt und Land, sondern einer Einwohnerzahl von 10.000 bis 50.000 in Gang zu bringen. Das dürfte auch damit auch die Bundesländer voneinander. Dabei Personen zum Beispiel seit 2014 über das zu tun haben, dass ländliche Kreise häufig stechen einige ostdeutsche Flächenländer Programm „WIR – Vielfalt und Teilhabe“ För- deutlich weniger Erfahrung mit Zuwanderung heraus: In Mecklenburg-Vorpommern, Sach- derungen für die Erstellung eines Integrati- und Integration haben als Städte. Zwar hat sen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben onskonzepts erhalten.31, 32 sich der Ausländer:innenanteil im sächsi- mehr als zwei Drittel der Kreise und kreis- schen Meißen oder im brandenburgischen freien Städte ein Konzept erarbeitet. In den Märkisch-Oderland zwischen 2013 und 2017 verdoppelt, doch nach wie vor liegt er unter südlichen Ländern Bayern und Baden-Würt- temberg sowie in Rheinland-Pfalz und dem 2.3. Teilhabe kommt von vier Prozent.23 Die Kluft zu Städten wie Duis- Saarland hat dagegen ein deutlich geringerer unten burg, wo ein Fünftel der Bevölkerung keinen Anteil der Kreise seine integrationspoliti- deutschen Pass besitzt, ist damit enorm. schen Ziele in einem Konzept festgehalten. Historisch gesehen waren es Metropolen Dies spiegelt sich auch in der Verbreitung wie Hamburg, Köln oder Leverkusen, die von Integrationskonzepten: In den urbanen Doch unter allen Bundesländern ist es Nord- bereits Ende der 1970er Jahre erste Integra- Regionen liegen diese deutlich häufiger vor. rhein-Westfalen (NRW), wo alle Landkreise tionskonzepte erstellten.33, 34 Damit reagier- Schließlich leben hier besonders viele Men- und kreisfreien Städte nach der Einführung ten sie auf den Zuzug vieler sogenannter schen mit einer internationalen Biografie. Die des Teilhabe- und Integrationsgesetzes im Gastarbeiter:innen, die der deutsche Staat in Politik ist schlichtweg mit großer Vielfalt kon- Jahr 2012 neue Konzepte entwickelt haben. der Nachkriegszeit anwarb, um den Bedarf frontiert, muss das Stadtleben entsprechend Liegt ein Integrationskonzept vor, fördert nach Arbeitskräften zu decken. Vor allem gestalten und hat Integration deshalb oftmals das Land hier sogenannte Kommunale In- junge Männer aus Italien, Spanien, Griechen- seit langem als Querschnittsthema etab- tegrationszentren, die für die Umsetzung land, der Türkei und Marokko sowie einigen liert.24 Einige Städte dürften zudem eher über der Integrationsarbeit vor Ort eine wichtige weiteren Ländern kamen. Sie setzten bei die Gelder und das Personal verfügen, um in Rolle spielen. Für die Gemeinden stellt diese Opel und Ford Autos zusammen oder bauten Integrationskonzepte zu investieren.25 Möglichkeit einen großen Anreiz dar, denn Straßen und Brücken (wieder) auf. Anstatt in jedem Kommunalen Integrationszentrum nach wenigen Jahren der Arbeit zurückzukeh- arbeiten Lehrkräfte und Bedienstete, die über ren, wie von der deutschen Regierung erwar- Landesmittel finanziert werden und die Ar- tet, gründeten sie Familien oder holten ihre beit vor Ort koordinieren und unterstützen.30 Ehefrauen und Kinder nach.35 Im Vergleich zu NRW kann in Hessen nur ein deutlich geringerer Anteil der Landkreise und 12 Alle sollen teilhaben
Der Bedarf nach Sprachkursen oder unter- Dementsprechend vermieden es beide politi- Die Bundes- und Landesgesetze stellen den stützenden Angeboten für die neu angekom- schen Ebenen über Jahrzehnte, Integrations- Rahmen für die Integrationsarbeit vor Ort. So menen Schulkinder dürfte den Zielstädten gesetze zu verabschieden. Erst im Jahr 2010 regelt der Bund etwa das Aufenthaltsrecht, der sogenannten Gastarbeiter:innen ver- beschlossen die Abgeordneten in Berlin als entscheidet also wer unter welchen Bedin- deutlicht haben: Es braucht Integration und erstem Bundesland und noch vor dem Bund gungen im Land leben und arbeiten darf. Die Teilhabe. Ob dies gelingt, entscheidet sich ein Integrationsgesetz. Dieses sollte den Länder können wiederum über ihre Fachgre- letztlich immer vor Ort, am Arbeitsplatz, in strukturellen Benachteiligungen von Men- mien beschließen, ob und in welchem Aus- der Schule, der Nachbarschaft oder im Ver- schen mit internationaler Biografie in vielen maß Vielfalt, Teilhabe oder Zuwanderungsge- ein.36, 37 Die kommunale Selbstverwaltung, Lebensbereichen entgegenwirken: Etwa schichte in Deutschland Teil der schulischen also Landkreise und Gemeinden, übernimmt wenn sie den Ausbildungsplatz oder die Woh- Curricula werden. Zudem können die Länder deshalb in der Integrationspolitik seit jeher nung aufgrund ihres Nachnamens nicht erhal- das Thema Integration und Teilhabe in den eine tragende Rolle. ten oder wenn das Verwaltungspersonal nicht Kreisen und Gemeinden auf die Agenda set- im Ansatz die Vielfalt in der Bevölkerung zen. Nordrhein-Westfalen und Baden-Würt- widerspiegelt. Zudem wollten die Abgeord- temberg verpflichten etwa ihre Kommunen, Länder und Bund ziehen nach neten so auch die Grundlage verbessern, auf alle fünf Jahre zu berichten, welche Integra- der Eingewanderte und ihre Nachkommen tionsbemühungen sie unternehmen und wie Während auf kommunaler Ebene somit am Stadtleben teilhaben und sich aktiv ein- sie die jeweiligen Landesintegrationsgesetze schon früh klar war, dass Deutschland ein bringen.38 Dem Berliner Vorbild folgten kurz umsetzen. Das Bayerische Integrationsgesetz Einwanderungsland ist, taten sich Länder darauf Nordrhein-Westfalen (2012), Baden- legt hingegen einen anderen Schwerpunkt und Bund lange schwer mit dieser Einsicht. Württemberg (2015), Bayern sowie der Bund und hebt hervor, welche Pflichten Zuge- (beide 2016).39 wanderten zukommen, etwa die Sprache zu erlernen und die „Leitkultur zu achten“.40 Prozent Die Integrationsgesetze spiegeln damit nicht 100 Anteil der Kreise und kreisfreien zuletzt wider, was die Politik unter Integrati- Städte mit Integrationskonzept nach on versteht. Bundesland, in Prozent, 2021 (eigene Darstellung) Die politischen Ebenen müssen letztlich gut 75 ineinandergreifen, um den Menschen Teil- habe zu ermöglichen. So hilft es Kreisen und Gemeinden, wenn das Land sie finanziell 50 oder personell bei der strategischen Aus- richtung ihrer Integrationsarbeit unterstützt. Der Bund wiederum kann Gemeinden und ihre Zusammenschlüsse beispielsweise mit 25 Förderprogrammen stärken, wenn sie die Themen Teilhabe und Integration voranbrin- gen wollen. 0 Bundes- land Berlin Bremen Hamburg Nordrhein- Westfalen Mecklenburg- Vorpommern Sachsen Sachsen-Anhalt Brandenburg Schleswig- Holstein Niedersachsen Hessen Thüringen Baden- Württemberg Rheinland-Pfalz Saarland Bayern Teilhabe und Integration sind bis heute eine Herausforderung Heute existieren auf allen politischen Ebenen Große Unterschiede zwischen den Ländern Gesetze oder Konzepte, die die Integration und Teilhabe von Eingewanderten stärken Gezielte Gesetze und Förderungen auf Landesebene können die Lokalpolitik unterstützen, um Konzepte zur besseren Integration und Teilhabe zu erstellen. Dies dürfte ein wichtiger Grund für die erheblichen Unterschie- sollen. Dennoch ist es der Politik bislang de zwischen den Bundesländern sein. Nordrhein-Westfalen hat systematisch die Erstellung von Integrations- nicht gelungen, gleichwertige Teilhabechan- konzepten gefördert und mit Anreizen für die Gemeinden verknüpft. Hier können alle Kreise und kreisfreien cen für Eingewanderte oder ihre Kinder, Städte ein Konzept vorweisen. In Bayern sind es dagegen nur knapp 25 Prozent. Hier hat die Landespolitik geschweige denn für alle Einwohner:innen, bislang keine Anreize oder gar Verpflichtungen geschaffen, um für mehr Integrationskonzepte zu sorgen. herzustellen. Berlin-Institut 13
So stehen viele Gemeinden noch immer vor Großstädten Integrationskonzepte erarbeitet, Allein der Aufwand, um ein Integrations- dieser Aufgabe. Seit der hohen Zuwande- aber nur etwa eine von zehn Kleinstädten.42 konzept mit Beteiligung der Bevölkerung rung in den Jahren 2015 und 2016 setzt der Integrationskonzepte sind dabei eine freiwil- zu erstellen, kann Kommunen abschrecken. gewachsene Bedarf an Sprachkursen oder lige Selbstverwaltungsaufgabe, die für die lo- Denn viele Landkreise oder Gemeinden wen- Betreuungsangeboten insbesondere kleinere kalen Verantwortlichen deshalb nicht immer den viel Zeit und Ressourcen auf, um sich Kommunen mit knappen Kassen und wenigen an erster Stelle steht. Besonders schwierig ein Lagebild der vorhandenen Angebote und Mitarbeitenden unter zusätzlichen Druck. ist die Situation in ländlichen Kommunen mit Bedarfe zu verschaffen. Besonders syste- Während die Kommunen verpflichtet sind, unterdurchschnittlichen Teilhabechancen: matisch sind etwa die Mitarbeitenden der Integrationskurse anzubieten, ausreichende Hier grassiert die Arbeitslosigkeit, Eltern so- Region Hannover, einem Landkreisähnlichen Geflüchtetenunterkünfte vorzuhalten und die wie Schuldirektor:innen klagen über fehlende Kommunalverband, vorgegangen: Fast 200 Gesundheitsversorgung sicherzustellen, fehlt Lehrkräfte und es fließen nur geringe Steu- Teilnehmer:innen kamen 2014 zusammen, als es oft an Geld und Personal, um die Integra- ergelder in die kommunalen Kassen – keine die Verantwortlichen zur Auftaktveranstal- tionsarbeit darüber hinaus strategisch neu guten Ausgangsbedingungen, um langwierige tung für ein Integrationskonzept luden. Rund aufzustellen. So hatten 2017 neun von zehn Strategieprozesse anzustoßen. 19 Monate dauerte der Beteiligungsprozess. Aufgabe rechtliche Grundlage Handlungsfelder Staatsangehörigkeits- und Aufenthaltsrecht, Arbeitsmarkt, Wohnsitzauflage, BUND wesentliche Rechtsetzung Bundesintegrationsgesetz sonstige gesetzliche Rahmenbedingungen der Integrationsförderung Landesintegrationsgesetze Bildungspolitik, Wohnbaupolitik, Implementationshoheit bei der Umsetzung LÄNDER Ergänzung und Einfluss auf (Baden-Württemberg, Bayern, von Bundesrecht (z.B. bei der Einbürgerung), Auslegung der Gesetze Berlin, Nordrhein-Westfalen), Religionspolitik (z.B. Bestattungen, Feiertage) und sonstige Landesgesetze Gesundheitsversorgung, soziale Leistungen (Sozialhilfe, Wohngeld), übertragene Pflichtaufgaben Unterbringung von Geflüchteten, Integrationskurse UND KREISE KOMMUNEN Umsetzung der Gesetze verpflichtende Schulträgerschaft, Volkshochschulen, Kinder- und Jugendhilfe, Integration vor Ort Selbstverwaltungsaufgaben Integrations- und Ausländerbeiräte (manche Bundesländer) freiwillige kommunale Integrationskonzepte (z.T. an bestimmte Förderung geknüpft), Selbstverwaltungsaufgaben zusätzliche Sprachkurse, Unterstützung von Vereinen Umsetzung geschieht vor Ort Integration berührt als Querschnittsthema zahlreiche Politikfelder wie Familie, Wohnen, Arbeit, Bildung, Kultur oder Partizipation. Bund, Länder, Landkreise und Kommunen müssen sie deshalb in all diesen Arbeitsbereichen mitdenken. Das Bundesintegrationsgesetz gibt die wesentlichen Regeln vor, bestimmt etwa, wer in Deutschland arbeiten darf. Die Bildungs- oder Wohnbaupolitik sind hingegen Ländersache. Einige Bundesländer haben ergänzend eigene Integrationsgesetze verab- schiedet. In den Kommunen und Landkreisen wiederum bestimmen die Verantwortlichen im gesetzlichen Rahmen, ob sie ihre Arbeit etwa auf frühkindliche Bildung oder Wohnen fokussieren wollen. Hier beraten die Beschäftigten Eingewanderte, die Hilfe beim Antrag auf Elterngeld benötigen, sich mit ihrem Beruf selbständig machen wollen oder eine Wohnung suchen. Deshalb spielt die Ebene der Kommunen und Kreise eine zentrale Rolle für Teilhabe und Integration. Integrationspolitik nach Verwaltungsebene (eigene Darstellung nach SVR41) 14 Alle sollen teilhaben
Die Mitarbeiter:innen sprachen mit hunder- ten Menschen und zahlreichen Expert:innen, 2.4. Die Inhalte zählen Dass die Politik mit migrantischen Selbst- organisationen, Unternehmen und anderen befragten 713 Vereine, Verbände und andere zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammen- Integrationskonzepte als politisches Steue- relevante Organisationen.43 Ein derart umfas- kommt und sich Gedanken zur Integration rungsinstrument haben sich in vielen Land- sendes Verfahren kann nicht jede Gemeinde macht, ist dabei ein wichtiger erster Schritt, kreisen und kreisfreien Städten erfolgreich und auch nicht jeder Landkreis leisten. um ein gemeinsames Verständnis zu erlan- durchgesetzt. Auf den ersten Blick scheinen gen, welche Ziele es zu erreichen gilt. Jeder die Verantwortlichen tendenziell eher dort Vielerorts springen aber die Landkreise ein, Kreis und jede Gemeinde kann so die passen- ein Integrationskonzept zu entwickeln, wo wenn es um die Arbeit an einem Integrati- den Formulierungen für die eigene Situation die Teilhabechancen vor Ort auch gering aus- onskonzept geht. Die Kreisverwaltung verfügt vor Ort finden. Eine DIN-Norm für Integrati- fallen ( Clusteranalyse, S. 9). Dies ist jedoch meist über ein höheres Budget und mehr onskonzepte gibt es nicht und sie würde den nicht durchgängig der Fall. Ausschlaggeben- Mitarbeiter:innen als die einzelnen Kom- lokalen Besonderheiten auch nicht gerecht der als die Teilhabechancen dürfte der po- munen.44 So kann sie beispielsweise den werden. Daher ist es umso wichtiger, was die litische Rahmen sein, also, ob das Land An- Entstehungsprozess eines Integrationskon- Verantwortlichen sich vornehmen, welche reize für Kreise und Gemeinden schafft oder zeptes begleiten, die Beteiligungsverfahren konkreten Maßnahmen sie vorschlagen und Förderprogramme bereitstellt. Nicht zuletzt koordinieren sowie den Austausch zwischen in welchen Lebensbereichen sie aktiv werden braucht es engagierte Einzelpersonen oder allen Beteiligten anregen und so die Kommu- wollen. Nur so lässt sich beurteilen, inwie- Gruppen, die sich in Verwaltung und Lokalpo- nen entlasten. Zudem profitieren davon dann fern die Integrationskonzepte teilweise oder litik dafür einsetzen, Strategien zu entwi- gleich alle zugehörigen Gemeinden. gänzlich für die gesamte Einwohnerschaft ckeln, mit denen sie die Lebenssituation für offen sind. alle Bewohner:innen verbessern wollen. Berlin-Institut 15
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