DRESDNER BRÜCKENBAUSYMPOSIUM - PLANUNG, BAUAUSFÜHRUNG, INSTANDSETZUNG UND ERTÜCHTIGUNG VON BRÜCKEN 9./10. MÄRZ 2020 30 ...
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FAKULTÄT BAUINGENIEURWESEN Institut für Massivbau www.massivbau.tu-dresden.de 30. DRESDNER BRÜCKENBAUSYMPOSIUM PLANUNG, BAUAUSFÜHRUNG, INSTANDSETZUNG UND ERTÜCHTIGUNG VON BRÜCKEN 9./10. MÄRZ 2020
C M Y CM MY CY CMY z.lamelle.s+p.a5.2.17.indd 1 06.02.17 09:38 K © 2020 Technische Universität Dresden Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichnungen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetz- lich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie als solche nicht eigens markiert sind. Herausgeber: Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Manfred Curbach Technische Universität Dresden Institut für Massivbau 01062 Dresden Redaktion: Silke Scheerer, Angela Heller Layout: Ulrich van Stipriaan Anzeigen: Harald Michler Titelbild: Fehmarnsundbrücke, Zeichnung von Gerd Lohmer Broschüre Rotary und die Kunst / Gerd Lohmer (aus dem Privatarchiv von Bettina Lohmer) Druck: addprint AG, Am Spitzberg 8a, 01728 Bannewitz / Possendorf ISSN 1613-1169 ISBN 978-3-86780-625-1
Institut für Massivbau http://massivbau.tu-dresden.de Tagungsband 30. Dresdner Brückenbausymposium Institut für Massivbau Freunde des Bauingenieurwesens e.V. TUDIAS GmbH 9. und 10. März 2020
30. Dresdner Brückenbausymposium Inhalt Grußwort des Rektors …………………………………………………………………………………………………… 9 Prof. Dr.-Ing. habil. DEng/Auckland Hans Müller-Steinhagen Entwicklung des Instituts für Massivbau – Lehre und Forschung im Brückenbau an der TU Dresden ……………………………………………… 13 Dipl.-Ing. Oliver Steinbock, Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Manfred Curbach Die neue Erhaltungsstrategie des Bundes – Planung und Bau von Brücken auf den Hauptverkehrsrouten ……………………………………… 27 MR Prof. Dr.-Ing. Gero Marzahn Brücken aus bewehrtem UHPC (Stahl-UHFB) ……………………………………………………………… 33 Prof. Dr. Eugen Brühwiler, dipl. Ing. ETH/SIA, IABSE Nutzung von Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA – Rückblicke und Perspektiven ……………………………………………………………………………………… 47 Stéphane Cuennet, Guido Biaggio Neufassung der Nachrechnungsrichtlinie für Massivbrücken ……………………………………… 57 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger, Viviane Adam M.Sc., Dr.-Ing. Frederik Teworte, Dr.-Ing. Naceur Kerkeni Historische Eisenbahnbrücken – Denkmale im Netz …………………………………………………… 71 Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx, Dipl.-Ing. Markus Köppel, Dipl.-Ing. Jens Müller 85 Jahre Autobahnbrückenbau – 30 Jahre Dresdner Brückenbausymposium………………… 83 Dipl.-Ing. Werner Buhl Gerd Lohmer (1909–1981) Der Brückenarchitekt der Nachkriegszeit ……………………………………………………………………101 Prof. Cengiz Dicleli Ersatzneubau der Rheinbrücke Leverkusen – Gesamtplanung des 8-streifigen Ausbaus der A1 zwischen Köln und Leverkusen ……………………………………123 Dipl.-Ing. (FH) Nicole Ritterbusch, Dr. sc. techn. Hans Grassl, Dominic Reyer, M.Sc. Ein neuer Schritt im Großbrückenbau: Querverschub einer Verbundbrücke mit Pfeilern und Gründung bei der Talbrücke Rinsdorf im Zuge der A 45 …………………………………………139 Dipl.-Ing. Roger Istel, Dipl.-Ing. Ralf Schubart S-Bahn-Querung im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof S21 – erstmaliger Einsatz von interner verbundloser Vorspannung bei der DB AG …………………149 Prof. Dr.-Ing. Manfred Keuser, Dipl.-Ing. Angelika Schmid, Prof. Dr.-Ing. Christian Sodeikat Reduzierte Bauzeit bei Ersatzneubauten von Straßenbrücken durch Carbonbeton ………165 Dr.-Ing. Sergej Rempel, Dipl.-Ing. (FH) Eugen Kanschin Robust, wirtschaftlich und schön – der Entwurf von integralen Brücken ……………………177 Dipl.-Ing. Andreas Keil Neubau der Busbrücke über den Bahnhof in Zwolle………………………………………………………191 Dr.-Ing. Gerhard Setzpfandt, Tristan Wolvekamp MSc, Dipl.-Des. Marion Kresken Katastrophen vermeiden: Brückenmonitoring mit einem Netzwerk leistungsstarker dreiachsiger MEMS-Beschleunigungssensoren……………………………………207 Dipl.-Ing. Ulrich Dähne Brückenvielfalt in Süddeutschland und den Alpen – Bericht zur Brückenexkursion 2019 ……213 Dipl.-Ing. Oliver Steinbock, Dipl.-Ing. Philipp Riegelmann Chronik des Brückenbaus ………………………………………………………………………………………… 227 Zusammengestellt von Dipl.-Ing. (FH) Sabine Wellner 5
Manfred Keuser et al.: S-Bahn-Querung im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof S21 S-Bahn-Querung im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof S21 – erstmali- ger Einsatz von interner verbundloser Vorspannung bei der DB AG Prof. Dr.-Ing. Manfred Keuser1, Dipl.-Ing. Angelika Schmid2, Prof. Dr.-Ing. Christian Sodeikat3 1 Einleitung Die Architektur des neuen Stuttgarter Bahn- hofs stammt vom Düsseldorfer Architekten Das Bahnprojekt Stuttgart Ulm („S21“) umfasst Christoph Ingenhoven, der 1997 nach drei neben dem Neubau von zahlreichen Tunneln Auswahlrunden einen mit 126 Teilnehmern be- und Trassen auch eine komplette Umgestal- setzten internationalen Wettbewerb für sich tung des Eisenbahnknotens Stuttgart: Der alte entscheiden konnte [1]. Werner Sobek über- Kopfbahnhof wird durch einen unterirdischen nahm ab dem Jahr 2009 die Tragwerks- und Durchgangsbahnhof ersetzt. Das Herzstück Fassadenplanung für den neuen Tiefbahnhof. des alten Bahnhofs (der sogenannte Bonatz- Im Rahmen dieser Planung wurde die Ent- bau) bleibt erhalten und verbindet die Innen- wurfsplanung technischen Anforderungen an- stadt mit den Gleisanlagen. Durch die neue gepasst und die Genehmigungs- und Ausfüh- Streckenführung können umfangreiche Gleis- rungsplanung erstellt. flächen im Zentrum Stuttgarts rückgebaut und durch Parkanlagen bzw. ein neues Stadtquar- Die Topographie des Stuttgarter Talkessels tier ersetzt werden. Insgesamt handelt es sich ebenso wie die erforderliche Unter- bzw. um eine Fläche von rund 100 Hektar. S21 ist so- Übertunnelung von bestehenden Verkehrs- mit nicht nur verkehrstechnisch, sondern auch bauwerken und Infrastruktureinrichtungen hinsichtlich der Stadtentwicklung von großer stellten die Planer vor besonders große Her- Bedeutung für Stuttgart. ausforderungen. Dies galt insbesondere für Bild 1 Übersichtsplan Stuttgarter Hauptbahnhof; 1) zeigt die neue Bahnsteighalle, 2) den Bonatzbau © Werner Sobek, Stuttgart 1 BUNG GmbH, München 2 Werner Sobek AG, Stuttgart 3 Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat GmbH, München 149
30. Dresdner Brückenbausymposium Bild 2 Übersichtsplan Stuttgarter Hauptbahnhof; 1) zeigt die neue Bahnsteighalle, 2) den Bonatzbau; 3) verweist auf den bestehenden S-Bahn-Tunnel, 4) auf die neue S-Bahn-Querung © Werner Sobek, Stuttgart die S-Bahn-Querung, die im vorliegenden Bei- Urbanisierung und Wohnraumknappheit ein trag beschrieben wird. Der Fokus liegt dabei erhebliches Entwicklungspotential bietet. neben der Konstruktion mit ihrer internen verbundlosen Vorspannung auch auf dem Damit auch die Stuttgarter City städtebaulich über die normativen Anforderungen hinaus- möglichst fließend an den neu entstehenden gehenden Bemessungskonzept sowie dem Innenstadtbereich nördlich des Bahnhofs Monitoring. angebunden wird, darf das Dach der neuen Bahnsteighalle nicht zu hoch liegen. Gleich- zeitig musste der Tiefbahnhof aufgrund der 2 Der neue Tiefbahnhof Besonderheiten der Stuttgarter Topographie so positioniert werden, dass er am nordwest- 2.1 Städtebauliche Einbindung und lichen Ende oberhalb der bestehenden S-Bahn- architektonisches Konzept Tunnel liegt (Bild 2), die Tunnelbauwerke am südöstlichen Anschluss aber unterhalb der Gemäß dem Entwurf von Christoph Ingenho- Konrad-Adenauer-Straße verlaufen. Die Bahn- ven entsteht die neue Bahnsteighalle unmittel- steighalle kann daher nur mit einer begrenzten bar hinter dem historischen Bonatzbau (Bild 1). Konstruktionshöhe und einem leichten Ge- Die derzeit oberirdisch verlaufenden Gleise fälle realisiert werden. Gleichzeitig sollte der werden rückgebaut und durch neue Gleisanla- Tiefbahnhof aber eine offene und großzügige gen in Tunnelbauwerken ersetzt. Durch das Ab- Atmosphäre bieten und durch Tageslicht be- senken der Gleisanlagen kann der Stuttgarter leuchtet werden. Aus diesen Randbedingungen Schlosspark bis an die Rückseite des Bonatz- heraus entwickelte Christoph Ingenhoven die baus herangeführt werden. Die bisher durch einzigartige Geometrie des neuen Bahnhofs die Gleisanlagen getrennten Stadteile Stutt- mit seinen kelchartig geformten Stützen, die gart-Ost und Stuttgart-Nord werden so nach das Erscheinungsbild des Tiefbahnhofs ent- mehr als 100 Jahren wieder fußläufig mitein- scheidend prägen (Bild 3). Die Kelchstützen re- ander verbunden. Für Stuttgart ist das Projekt flektieren durch ihre geschwungene Form das daher auch und insbesondere ein städtebauli- auf die helle Betonstruktur treffende Tageslicht ches Projekt, das in Zeiten der zunehmenden weit in die Halle hinein. Ventilationsklappen in 150
Manfred Keuser et al.: S-Bahn-Querung im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof S21 Bild 3 Innenansicht der unterirdischen Bahnsteighalle © Ingenhoven Architekten, Düsseldorf den die Stützen nach oben hin abschließenden schen 45 cm im Feldbereich und 130 cm im Stahl-Glas-Schalen erlauben eine natürliche Randbereich. Gestützt wird das Schalendach Belüftung und – durch den Luftaustausch mit durch die Trogwände und 28 Kelchstützen. To- den Tunnelröhren – auch eine natürliche Kli- pographisch bedingt variiert der Abstand zwi- matisierung. schen Dach und Trog. Hierdurch verändert sich auch die Bauhöhe der Kelchstützen. 2.2 Geometrie und Tragwerk des Aufgrund seiner Belastung aus dem Eigenge- neuen Tiefbahnhofs wicht mit Erdauflast, den seitlichen Erdlasten, den Erdbebenlasten und den aus Kriechen und Die 420 m lange, 80 m breite und bis zu 12 m Schwinden sowie Temperaturänderungen er- hohe Bahnsteighalle besteht aus einem Trog zeugten Zwangsbeanspruchungen des mit dem aus Normalbeton und dem darauf fugenlos Trog monolithisch verbundenen Baukörpers ist aufsetzenden Schalendach aus Weißbeton. das Schalendach keine rein druckbeanspruch- Das gesamte Bauwerk ist als fugenlose Massiv- te Konstruktion. Durch baukonstruktion ausgelegt (Bild 4). Erst an den seine hochkomplexe Übergängen zum Nord- und Südkopf finden geometrische sich Raumfugen. Die Anforderungen an den Form aus Massivbau sind durch die WU-Konstruktion des Troges und die Sichtbetonanforderungen (Sichtbetonklasse SB4) an die Weißbeton oberfläche des Schalendachs sehr hoch. Die Deckenuntersicht des Schalendaches ist eine dop- pelt gekrümmte Fläche; die Bauteilstärken variieren je Bild 4 FE-Modell der Bahnsteighalle nach Beanspruchung zwi- © Werner Sobek, Stuttgart 151
30. Dresdner Brückenbausymposium antiklastisch gekrümmten Flächen reduziert tung als vorgespannte Brückenkonstruktion das Schalendach die Zugkräfte und Momen- mit einer Spannweite von etwa 30 m ausgebil- te in der Struktur aber erheblich. In Abschnitt det, um eine Belastung des bestehenden Tun- 2.3.2 sind die Einwirkungen auf die S-Bahn- nelbauwerks durch die neue Bahnsteighalle zu Querung beschrieben, nicht die auf Schalen- verhindern. Das Brückentragwerk gründet auf dach oder Bahnsteighalle. Bohrpfahlwänden seitlich des S-Bahn-Tunnels. An den Stirnseiten des Brückentragwerks be- Der Trog besteht aus der Bodenplatte, die ent- findet sich jeweils ein Wartungsgang mit an- sprechend der Bahnsteig- und Gleisbereichs- grenzenden Technikräumen (Bilder 5–8). geometrie in ihrer Dicke zwischen ca. 1 m und 2,5 m variiert, sowie den Wänden. Die Boden- Auf dem Brückentragwerk stehen zwei Kelch- platte ist auf Pfählen gegründet. Lediglich im stützen – das Brückenbauwerk muss hier also Bereich des bestehenden S-Bahn-Tunnels auch Lasten aus dem Schalendach abtragen. überspannt sie diesen als Brückenkonstrukti- Erschwerend für die Planer kommt hinzu, dass on. Auf diese S-Bahn-Querung wird im Weite- die Brücke auch vier große Durchbrüche für ren detailliert eingegangen. die Treppenabgänge zum S-Bahn-Tunnel auf- nehmen muss. Aufgrund der hohen Belastung aus den Kelchstützen mit einer Größenord- 2.3 Die S-Bahn-Querung nung von jeweils 60 MN wird die Brücke vorge- spannt. Hierzu wird die „interne Vorspannung 2.3.1 Geometrie und Tragwerk ohne Verbund“ verwendet. Die Bodenplatte der Bahnhofshalle quert den Durch die Vorspannung ohne Verbund können bestehenden S-Bahn-Tunnel. Die Bodenplatte die Spannglieder frühzeitig eingebaut werden, wird in diesem Bereich in Bahnhofslängsrich- auch wenn sie erst später vorgespannt werden, Bild 5 Grundriss der S-Bahn-Querung; Bohrpfahlwand (links) und 1) Bahnsteig, 2) Kelchstützenfuß, 3) Treppenabgang, 4) Gleisbereich (rechts) © Werner Sobek, Stuttgart 152
Manfred Keuser et al.: S-Bahn-Querung im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof S21 Bild 6 Längsschnitt durch die S-Bahn-Querung (Bahnsteig ohne Kelchstütze): 1) Bahnsteig, 2) Konstruk- tionsbeton S-Bahn-Querung, 3) bestehender S-Bahn-Tunnel, 4) Bohrpfahlwand © Werner Sobek, Stuttgart Bild 7 Längsschnitt durch die S-Bahn-Querung (Bahnsteig mit Kelchstütze): 1) Bahnsteig, 2) Konstruk- tionsbeton S-Bahn-Querung, 3) bestehender S-Bahn-Tunnel, 4) Bohrpfahlwand, 5) Kelchstütze, 6) Treppenabgang © Werner Sobek, Stuttgart Bild 8 Typische Betonierabschnitte der S-Bahn-Querung © Werner Sobek, Stuttgart 153
30. Dresdner Brückenbausymposium z. B. nach Bau des Schalendachs sowie vor Her- Teile des S-Bahn-Tunnels sollen entsprechend stellung der monolithischen Verbindung der der ursprünglichen Belastung aus Überbauung Brückenkonstruktion mit den benachbarten und Erdüberschüttung nur eine Last abtragen, Bodenplatten. Darüber hinaus können auch die einer Betonierhöhe von 1,3 m entspricht. die bis zum Ende der Rohbauarbeiten eintre- Die einzelnen Abschnitte werden daher zu- tenden Spannkraftverluste aus Schwinden und nächst nur bis zur jeweils zulässigen Höhe Kriechen durch erneutes Vorspannen kompen- betoniert, d. h. bis zu einer Höhe von 1,3 m in siert werden. Feldmitte und von 3 m bzw. 3,3 m in den Aufla- gerbereichen. Letztgenannter Wert entspricht 2.3.2 Einwirkungen und statische Systeme bereits der endgültigen Dicke des Tragwerks. Bestimmender Faktor für die Bemessung der Die unteren Betonierabschnitte sind insgesamt S-Bahn-Querung sind die hohen Lasten aus in neun Areale unterteilt: Zunächst werden die dem Eigengewicht der zwei Kelchstützen sowie Bahnsteigbereiche betoniert, anschließend die aus dem Schalendach und dessen Erdauflast. Gleisbettbereiche. Nach Erhärten des unteren Weitere (jedoch deutlich untergeordnete) Ein- Betonierabschnitts und nach Aufbringen ei- wirkungen stellen die Verkehrslasten auf den nes Teils der vorgesehenen Vorspannung wird Bahnsteigen, der Zugverkehr in den Gleisbe- das Sand-Kies-Gemisch abgesaugt. Hierdurch reichen sowie nach oben wirkender Wasser- entsteht die für den Endzustand erforderliche druck dar. Für die Bemessung wurden darüber Fuge zwischen den beiden Bauwerken. Die hinaus auch Temperatur- und Erdbebenlasten Decke des S-Bahn-Tunnels wird dadurch nicht sowie Effekte aus Kriechen und Schwinden an- mehr durch das Brückentragwerk belastet. Die- gesetzt. Bei den Temperaturlasten wurde zwi- ses lagert seitlich auf den Pfahlkopfbalken der schen Bau- und Endzustand unterschieden, da Bohrpfahlwände. Hierbei ist, wie bereits darge- die Brückenkonstruktion während des Bauzu- legt, auf der einen Seite ein Gleitlager zwischen stands der Witterung ausgesetzt ist. Brücke und Pfahlkopfbalken angeordnet. Die- ses stellt sicher, dass das Brückentragwerk Je nach Bauzustand wurden der Bemessung während der sukzessiven Spannarbeiten alter- unterschiedliche statische Systeme zugrunde nierend zur Herstellung der restlichen Beto- gelegt. Im Bauzustand spannt das Brücken- nierabschnitte einseitig verschieblich gelagert bauwerk zwischen den beiden Pfahlkopfbal- ist und so keine Spannkräfte in die Gründung ken und stellt somit einen Einfeldträger mit abfließen. einseitig verschieblichem Lager (Gleitlager im Bauzustand) dar. Aufgrund ihrer Geometrie Das Schalendach wird in mehreren Schritten wurde die Brücke aber nicht als simpler Träger, betoniert: Zunächst werden die Kelchfüße her- sondern als Rahmen modelliert. Unter diesem gestellt, dann die oberen Bereiche der Kelche. statischen System werden neben den o. g. Las- Das Schließen der Schwindgassen zu den be- ten die Frischbetonlasten der verschiedenen nachbarten Kelchachsen erfolgt im Anschluss. Bauabschnitte aufgebracht. Sobald Brücke Die Fuge zwischen den Pfahlkopfbalken und und Schalendach vollständig hergestellt sind, den benachbarten Bodenplatten wird erst wird die Brücke an ihren beiden Längsenden nach Fertigstellung des Schalendachs sowie monolithisch mit den angrenzenden Boden- den letzten Spannvorgängen geschlossen. platten der Bahnhofshalle verbunden. Hier- Dann verliert auch das beschriebene Gleitlager durch entsteht für das Brückentragwerk eine seine Funktion. Durchlaufwirkung. Die Vorspannung wird während des Bauab- 2.3.3 Bauablauf laufs sukzessive mit der Laststeigerung aufge- bracht, um in allen Bauzuständen Tragfähigkeit Die Herstellung der S-Bahn-Querung erfolgt und Gebrauchstauglichkeit zu gewährleisten. bei laufendem S-Bahn-Betrieb. Vor Erstellung In den ersten beiden Spannvorgängen werden der Bodenplatte wurden vorbereitende Grün- diejenigen Spannglieder angespannt, die benö- dungsarbeiten durchgeführt. Dazu gehören tigt werden, um das Eigengewicht der eigent- auch die beiden o. g. Bohrpfahlwände und lichen Brückenkonstruktion aufzunehmen. Pfahlkopfbalken. Die Brücke wird anschlie- Einige Spannglieder werden bereits vorher ßend in mehreren Teilen auf dem vorhandenen im Rahmen einer Schwindvorspannung ange- S-Bahn-Tunnel betoniert. Zwischen der Decke spannt. Im dritten Spannvorgang wird so viel des S-Bahn-Tunnels und dem Brückenbauwerk Spannkraft aufgebracht, dass die Verformun- dient eine 10 cm dicke Schicht aus einem Sand- gen aus dem Bau der Kelchfüße kompensiert Kies-Gemisch als „Schalung“. werden und die Konstruktion etwas überhöht 154
Manfred Keuser et al.: S-Bahn-Querung im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof S21 wird. Dies wird auch in Bezug auf die Bautoleran- zen abgestimmt. Der drit- te Spannvorgang muss in mehrere Abschnitte unter- teilt werden, da die beiden Kelche auf der S-Bahn- Querung nicht gleichzeitig betoniert werden. Im vier- ten Spannvorgang werden die während des Baus der Kelche eingetretenen Verformungen ausgegli- chen. So wird auch für das Bild 9 Spannglied „SUSPA-Draht intern ohne Verbund“ im Endzustand, Schließen der Schwind- Auszug aus [3], Anlage 3 gassen sichergestellt, dass © DYWIDAG-Systems International GmbH, Königsbrunn die Kelche die richtige Lage zu den benachbarten Bauabschnitten aufweisen. Auch dieser Spann- werden. Dadurch ergeben sich bei Spann- vorgang muss in mehrere Abschnitte unterteilt gliedern ohne Verbund geringere Zusatz- werden, entsprechend dem zeitlichen Ablauf dehnungen aus den Einwirkungen und eine der Herstellung der beiden Kelche auf der daher größere Menge an Betonstahlbeweh- Brücke. Der fünfte und letzte Spannvorgang rung im Grenzzustand der Tragfähigkeit. findet nach Schließen der Schwindgassen im Schalendach statt. In diesem Spannvorgang q Die Hüllrohre der Spannglieder ohne Ver- werden zum einen durch das Betonieren der bund sind auch im Endzustand eine Schwä- Schwindgassen entstandene Verformungen chung der Druckstreben, während dies bei ausgeglichen und zum anderen Spannkraftver- Spanngliedern mit nachträglichem Verbund luste aus Schwinden und Kriechen des Betons nur für den Bauzustand gilt. kompensiert. Zuletzt werden die beiden Fugen zwischen den Pfahlkopfbalken und den be- q Spannglieder ohne Verbund können auch nachbarten Bodenplatten geschlossen. im Endzustand nachgespannt werden, Spannglieder mit nachträglichem Verbund können nur im Bauzustand vor dem Ver- 3 Interne Vorspannung pressen ausgetauscht und nachgespannt ohne Verbund werden. 3.1 Spannverfahren 3.1.1 Längsvorspannung Vom Tragwerksplaner wurde eine Anwendung Für die Längsvorspannung kommt das Spann- von internen Spanngliedern mit Spannverfah- verfahren „SUSPA-Draht intern ohne Verbund“ ren ohne Verbund vorgesehen, um den An- Spanngliedtyp CD-84, St 1570/1770, Spann- forderungen aus Herstellung und Belastung kraft P0,max = 4123 kN [2], [3] zum Einsatz. Die Rechnung zu tragen. Wesentliche Unterschie- Spannglieder bestehen aus 84 kaltgezogenen de der internen Spannverfahren ohne Verbund und jeweils 7 mm dicken Spannstahldrähten gegenüber den Spannverfahren mit nachträgli- mit rundem glattem Querschnitt sowie deren chem Verbund sind: Verankerungen (Bild 9). Die Spannstahldräh- te sind in einem Hüllrohr angeordnet und q Während Spannglieder ohne Verbund ei- werden im Herstellwerk mit einem Korrosi- nen werkseitigen Korrosionsschutz besit- onsschutz versehen, der aus einem mit Kor- zen, wird der Korrosionsschutz bei Spann- rosionsschutzmasse verpressten PE-Hüllrohr gliedern mit nachträglichem Verbund erst besteht. Die Verankerung der Spannstahl- durch das Verpressen der Hüllrohre mit Ze- drähte erfolgt über kalt aufgestauchte Köpf- mentmörtel auf der Baustelle hergestellt. chen. Für das Spannverfahren „SUSPA-Draht intern ohne Verbund“ liegen bereits Erfah- q Bei Spanngliedern ohne Verbund können im rungswerte aus mehreren Pilotprojekten für Gegensatz zu Spanngliedern mit nachträg- die Anwendung als interne Längsvorspan- lichem Verbund keine tangentialen Kräfte nung ohne Verbund bei Straßenbrücken vor entlang der Spannglieder aufgenommen [4]. 155
30. Dresdner Brückenbausymposium Bild 10 Spannglied „BBV Litzenspannverfahren Typ Lo9 ohne Verbund“, [5], Anlage 11 © BBV Systems, Bobenheim-Roxheim 3.1.2 Quervorspannung im Bereich unter 150mm² Nennquerschnitt und einer Spann- den Kelchstützen kraft P0,max = 1944 kN. Weitere Bestandteile des Spannverfahrens sind die Korrosionsschutz- Eine Quervorspannung wird nur im Bereich masse, der PE-Mantel sowie die Verankerung unter den Kelchstützen vorgesehen. Es wird (Bild 10). Für dieses Spannverfahren liegen bis- das Spannverfahren „BBV Litzenspannverfah- lang Erfahrungen im Straßenbrückenbau als ren Typ Lo ohne Verbund“ [5], [6] eingesetzt. Querspannglied für vorgespannte Fahrbahn- Die Spannglieder Lo9 bestehen aus neun platten, im Behälterbau sowie im Hochbau für 7-drähtigen Spannstahllitzen St 1668/1860 mit vorgespannte Deckenkonstruktionen vor. Bild 11 Spanngliedführung – Grundriss Achse AE © Werner Sobek, Stuttgart Bild 12 Spanngliedführung – Längsschnitte © Werner Sobek, Stuttgart 156
Manfred Keuser et al.: S-Bahn-Querung im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof S21 3.2 Spanngliedführung sondere Anforderung, da insbesondere die Unterseite des Tragwerkes nicht zugänglich 3.2.1 Längsrichtung ist. Die Spanngliedführung und die Anzahl der Die nachfolgend beschriebenen Maßnahmen Spannglieder ergeben sich aus den stati- zur Kompensation der eingeschränkten Ins- schen Anforderungen an Standsicherheit, Ge- pektionsmöglichkeiten im Rahmen der Bemes- brauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit sowie sung haben folgende Zielsetzungen: aus den geometrischen Randbedingungen (Bil- der 11 und 12). Im Bereich der Treppenabgänge q Schaffung zusätzlicher Sicherheiten/Tragre- werden die Spannglieder in den Bahnsteigen serven, horizontal verschwenkt und in Richtung BA 12 konzentriert in mehreren Festankerreihen ver- q Minimierung einer Rissbildung unter plan- ankert. Die Spannanker werden in den Bahn- mäßigen Lasten, steigen ausnahmslos auf der Seite in Richtung BA 10 angeordnet und sind vom Wartungsgang q robuste Ausbildung des Tragwerkes. aus zugänglich. 3.3.1 Bemessungsansätze 3.2.2 Querrichtung in Längsrichtung Die Anordnung der Quervorspannung erfolgt In Längsrichtung werden folgende Verschär- in den Bahnsteigbereichen unterhalb der fungen der Bemessungsansätze vorgenom- Kelchstützen. Die Spannglieder verlaufen im men: Grundriss gerade, in Verti- kalrichtung gekrümmt und werden mit Spann- bzw. Festankern an den Bahn- steigkanten verankert (Bil- der 13 und 14). 3.3 Bemessungs ansätze und konstruktive Maßnahmen Für die Bemessung vorge- spannter Eisenbahnbrü- cken gelten die in der ELTB eingeführten Normen und Richtlinien, insbesondere Bild 13 Querschnitt Spanngliedführung – Quervorspannung – im Bahn- [7]. Zusätzliche Anforde- steigbereich © Werner Sobek, Stuttgart rungen für Brücken mit in- terner Vorspannung ohne Verbund enthält [8]. Bei der Nachweisführung wurde folgenden Aspekten in be- sonderem Maße Rechnung getragen: q Die interne Vorspan- nung ohne Verbund ist keine Regelbauweise der DB AG. q Durch die eingeschränk- ten Inspektionsmöglich- Bild 14 Querschnitt Quervorspannung im Bahnsteigbereich in Achse keiten ergeben sich be- Kelchstütze © Werner Sobek, Stuttgart 157
30. Dresdner Brückenbausymposium a) Festlegung einer Druckspannungs von 0,15 mm geführt. Damit wird die Stahlspan- reserve beim Dekompressionsnachweis nung der Bewehrung wesentlich reduziert und die Gefahr von großen Rissbreiten vermindert. Gemäß [7], Tabelle 7.102DE ist der Dekompres- Um analog zur Brückenlängsrichtung zusätzli- sionsnachweis bei verbundloser Vorspannung che Tragreserven im Grenzzustand der Tragfä- mit einer geforderten Randspannung von higkeit bei der Betonstahlbewehrung zu schaf- 0 N/mm² unter der quasi ständigen Einwir- fen, werden die Nachweise für die Bügel- und kungskombination mit einem Lastanteil der Biegebewehrung unter Berücksichtigung eines Eisenbahnverkehrslasten von 0,2 zu erbringen. theoretischen Spanngliedausfalls von mindes- Anstelle des Dekompressionsnachweises wird tens 15 % geführt. hier eine Druckspannungsreserve von min- destens –0,5 N/mm² unter der häufigen Ein- 3.3.3 Nachspannbarkeit und Austausch- wirkungskombination vorgesehen. Da so ein barkeit von Spanngliedern deutlich größerer Anteil veränderlicher Lasten abgedeckt ist als in der quasiständigen Einwir- Die Anforderungen hinsichtlich der Nach- kungskombination, wird das Risiko einer Riss- spannbarkeit und Austauschbarkeit der inter- bildung deutlich reduziert. nen Längsspannglieder ohne Verbund sind in [8], Kapitel 3.2 geregelt. b) Erhöhung des Bewehrungsgrades durch eine Festlegung des Vorspanngrades Bei den Längsspanngliedern ist grundsätzlich eine Kontrolle der Spannkraft, eine Kraftregu- Die erforderliche Betonstahlmenge ergibt sich lierung sowie ein Austausch möglich. Die er- zunächst aus den geforderten Nachweisen forderliche Zugänglichkeit der Spannanker ist der Tragfähigkeit, dem Robustheitsnachweis nach dem Rückbau der Vorsatzschale für alle und dem Nachweis der Rissbreitenbegrenzung Spannglieder gegeben. Weiterhin ergeben sich gemäß DIN EN 1992-2 einschließlich der Na- bzgl. der Nachspannbarkeit konstruktive Rand- tionalen Anhänge [7] und [9]. Zusätzlich wird bedingungen hinsichtlich der folgenden Punk- der Nachweis der Biegebewehrung im Grenz- te: zustand der Tragfähigkeit unter Ansatz eines Ausfalls von Spanngliedern vorgesehen. Als q Arbeitsraum für Pressen, Ausfallgrad wird ein Wert von 25 % der Spann- kraft angesetzt. Im Ergebnis führt dies zu einer q Arbeitsraum und Möglichkeit zum Ein- Erhöhung der erforderlichen Betonstahlbe- schrauben der Spannspindel. wehrung und zu einer Erhöhung der Robust- heit der Konstruktion. Bei den Querspanngliedern ist eine Spannkon- trolle mittels Abhebeversuch und ein Nach- 3.3.2 Bemessungsansätze in Querrichtung spannen nach Abtrennen der Litzenüberstän- de nicht möglich, aber nach [8] auch nicht a) Einwirkungskombination beim Riss gefordert. Darüber hinaus ist aufgrund der breitennachweis in Querrichtung geringen Spanngliedlänge der Querspannglie- der der Nachspannweg so gering, dass der Die Quervorspannung ist nur lokal zur Lastab- Mindestabstand des Keileinbisses von 15 mm tragung unter den Kelchstützen vorgesehen, so nicht eingehalten wäre. dass grundsätzlich die Nachweise des Tragwer- kes in Querrichtung als Stahlbetonbauteil nach Entsprechend den Anforderungen nach [8] [7], Tabelle 7.102DE zu führen sind. Durch die ist ein Austausch des Spannstahls der Längs- Lage im Grundwasser ergibt sich der Rechen- spannglieder mit dauerhafter Wiederherstel- wert der zulässigen Rissbreite gemäß ZTV-ING lung des Korrosionsschutzes zu ermöglichen. [10] zu 0,15 mm. Nach [2] ist dies beim Spannsystem SUSPA Draht intern gegeben. In der Literatur (z. B. in Wegen der fehlenden Inspektionsmöglichkei- [11]) sind mehrere Brücken dokumentiert, bei ten und der Abweichung von der Regelbauwei- denen die Austauschbarkeit durch Ausziehver- se der DB infolge der Verwendung der internen suche erfolgreich belegt wurde. Für die hoch Spannglieder ohne Verbund wird der Rissbrei- belasteten Bahnsteigbereiche wird hier ein tennachweis in Querrichtung nach [7], Tabelle Grad der Austauschbarkeit von 90 %, für die 7.102DE als Kompensationsmaßnahme nicht Gleisbereiche von 100 % erreicht. in der häufigen Einwirkungskombination, son- dern in der seltenen Einwirkungskombination Die Monolitzen und die Korrosionsschutz- mit dem Rechenwert der zulässigen Rissbreite masse der Querspannglieder sind prinzipiell 158
Manfred Keuser et al.: S-Bahn-Querung im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof S21 austauschbar. Hierfür liegen in der Literatur Eisenbahnbundesamt wurde diesbezüglich dokumentierte Erfahrungswerte aus Pilot- eine Zustimmung im Einzelfall und von der projekten vor, z. B. in [12]. Nach Entfernen Deutschen Bahn eine unternehmensinterne der Betonvorsatzschalen auf beiden Veran- Genehmigung erteilt. kerungsseiten, dem Freilegen der Anker und dem Entspannen des betroffenen Spannglie- Die einzelnen Messsysteme beziehen sich auf des kann der litzenweise Austausch durch die Überwachung der Längsvorspannung, der Ankoppeln der neuen an die alte Litze und Quervorspannung und des Brückenüberbaus Durchziehen erfolgen. Die Korrosionsschutz- im Gesamten. masse bleibt im Wesentlichen an den Litzen haften und wird dadurch beim Einziehen der neuen Litze ausgetauscht und nachfolgend 4.2 Datenverarbeitung durch Nachverpressen mit Korrosionsschutz- fett komplettiert. Die Messdaten sämtlicher Monitoringsysteme werden automatisch erfasst und gespeichert. Die Datenaufnahme, -speicherung, -bewer- 4 Monitoring tung und Generierung von Alarmwerten er- folgt in vier Stufen (Bild 15). 4.1 Anlass In Stufe 1 werden die Messdaten von spezi- Die Brückenuntersicht des Bauwerks ist nicht ellen Messrechnern aufgenommen und ana- inspizierbar, da der Abstand zur Oberseite lysiert (z. B. Schallemissionsmessungen und der darunter liegenden S-Bahntunneldecke faseroptische Messungen). Stufe 2 bildet ein nur rd. 10 cm beträgt und diese Fuge im Edge-Server, in dem sämtliche Messdaten fu- Grundwasser liegt. Die Feststellung einer sioniert, gespeichert und weitergehend ana- Rissbildung infolge möglicher Überlastung lysiert werden. Stufe 3 bildet ein spezielles des Bauteils oder infolge möglicher Spann- Dashboard. Hier werden die Daten visuali- stahlausfälle ist somit auf herkömmlichem siert. Sie sind für einen ausgewählten Perso- Wege nicht möglich. nenkreis einseh-, aber nicht manipulierbar. Im Dashboard erfolgen auch das Reporting und Die fehlende Inspizierbarkeit an der Brü- der Datenexport für weitergehende Analysen ckenunterseite wird deshalb durch eine Dau- (Stufe 4), z. B. an die Tragwerksplaner. Daten erüberwachung in Form eines Monitorings externer Analysen können dann in den Edge- ersetzt, welches aus verschiedenen, sich er- Server und das Dashboard zurückgeführt gänzenden Messsystemen besteht und der werden. Erreichung der gleichen Sicherheit dient. Vom Bild 15 Schema der Datenverarbeitung und Generierung von Alarmmeldungen © Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat GmbH, Vallen Systeme GmbH 159
30. Dresdner Brückenbausymposium 4.3 Schallemissionsmessungen Bei Schallereignissen muss zwischen Quellen innerhalb des Bauwerks und Quellen außer- 4.3.1 Grundlagen halb des Bauwerks unterschieden werden. Schallquellen innerhalb des Bauwerks (interne Mit dem Messverfahren Acoustic Emission Quellen) sind z. B.: (AE) werden Schallemissionen (SE) gemessen, welche sich als elastische Wellen bei sponta- q Spannstahlbrüche, Betonstahlbrüche, ner Energiefreisetzung in Festkörpern aus- breiten. Weitere Informationen und Praxisan- q Rissentstehung im Beton oder Stahlbautei- wendungen an Brückenbauwerken sind z. B. len, [13, 14, 15] zu entnehmen. Bei Schallereig- nissen in Festkörpern entstehen drei unter- q Verbundversagen zwischen Bewehrung und schiedliche Wellenarten: Kompressionswelle/ Beton, Longitudinalwelle/p-Welle, Scherwelle/s-Welle sowie Oberflächenwelle/Rayleigh-Welle/R- q Reibung von Spannstahl in unverpressten Welle. Jede Wellenart weist eine andere Aus- Hüllrohren [14]. breitungsgeschwindigkeit auf; dies muss in der Sensoranordnung und der Auswertung von Schallquellen außerhalb des Bauwerks (exter- Schallsignalen berücksichtigt werden. ne Quellen) sind z. B.: q Arbeiten am Bauwerk (Ausführung von Boh- rungen, Arbeiten mit mechanischen Häm- mern etc.), q Unfall- bzw. Anpraller- eignisse. Eine exakte Zuordnung stellt das Herzstück jeder Schallanalyse dar, ist mit- unter jedoch schwierig. Werden durch ein Schall ereignis vorab eingestellte Schwellwerte überschrit- ten, beginnt die Daten- speicherung. Anhand be- Bild 16 Schallsignal bei einem Spannstahlbruch (Amplituden-Zeit-Ver- stimmter Parameter wird lauf) mit Darstellung wesentlicher Schallparameter [13] dann analysiert, ob es sich © Vallen Systeme GmbH, bei diesem Schallereignis Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat GmbH um einen Spannstahlbruch Bild 17 Schallsignale eines Schlagbohrers [13] © Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat GmbH 160
Manfred Keuser et al.: S-Bahn-Querung im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof S21 handelt oder das Schallereignis eine andere Quelle hat. Bild 16 zeigt das Schallsignal eines Spannstahlbruchs (interne Quelle), Bild 17 die Schallsignale von Arbeiten an einem Bauwerk mit einem Schlagbohrer (externe Quelle). 4.3.2 Schallemissionen am Bauwerk Die Brücke ist in Längs- und Querrichtung vor- gespannt; bezüglich der Quervorspannung gibt es keine Sensoren, welche die Spannkraft Bild 18 Schematische Anordnung der Schall direkt messen könnten. Aus diesem Grund sensoren jeweils im geometrischen wird die Quervorspannung mit Schallsenso- Schwerpunkt einer 4-er Gruppe von ren auf etwaige Bruchereignisse hin über- Spannankern © Ingenieurbüro Schiessl wacht. Die Schallsensoren werden jeweils im Gehlen Sodeikat GmbH geometrischen Schwerpunkt von vier Spann (Ankerköpfe: Werner Sobek, Stuttgart) ankern wechselseitig auf beiden Bahnsteig- seiten angebracht. Bei einem Bruchereignis ist dann eine Zuordnung zu einer bestimmten 4.5 Temperaturmessungen Vierergruppe möglich (Bild 18). Da die eigentli- che Betonoberfläche nach der Betonage nicht mehr zugänglich ist, werden die Schallsignale Die Temperaturen werden an verschiedenen über Wave Guides, an deren Ende die Schall- Stellen der Bahnsteig- und Gleisbereiche je- sensoren befestigt sind, nach außen geleitet weils über die gesamte Querschnittshöhe (Bild 19). gemessen. Die Messungen erfolgen durch Temperatursensoren, welche der jeweiligen 4.4 Verformungsmessungen Bauteilhöhe angepasst sind und jeweils 6 bzw. 8 einzelne Temperaturfühler PT 1000 aufwei- Durch automatisierte Verformungsmessungen sen. Die Kabel sind im Inneren eines Trägerroh- wird das Tragverhalten des Bauwerks fortlau- res verlegt; die Temperaturfühler werden an fend überprüft. Hierzu werden kennzeichnen- der jeweiligen Messhöhe nach außen geführt de Punkte im Bahnsteig- und Gleisbereich mit (Bild 20). Der Temperatursensor wird dann in motorisierten Totalstationen fortlaufend über- ein einbetoniertes Leerrohr, welches mit einem wacht. Die gemessenen Verformungen werden speziellen Wärmeleitfett gefüllt ist, eingeführt. mit rechnerisch ermittelten Verformungen ab- geglichen und bewertet. Für diese Bewertung müssen alle Einflüsse auf das Bauwerk erfasst 4.6 Verformungsmessungen mit und rechnerisch berücksichtigt werden. Maß- Glasfaseroptik gebenden Einfluss haben hierbei der Grund- wasserdruck von bis zu 0,4 bar und die Tem- Die Unterseite des Brückenquerschnitts wird peraturverteilung über den Querschnitt. Beide durch Dehnungsmessungen mit Glasfaserlei- Einflussgrößen erreichen die Größenordnung tungen (Lichtwellenleiter), welche auf der un- der lastbedingten Verformungen. tersten Bewehrungslage befestigt sind, auf eine mögliche Rissbildung überwacht. Zum Einsatz kommt hierbei das OFDR-Verfahren Bild 19 Wave Guide zur Weiterleitung von Schallsignalen © Vallen Systeme GmbH 161
30. Dresdner Brückenbausymposium Bild 20 Schematischer Aufbau eines Temperatursensors © Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat GmbH (Optical Frequency Domain Reflectometer), ters/Messkabels ortsverteilt gemessen wer- welches mit einer Frequenzanalyse arbeitet den. und die Rayleigh-Streuung verwendet. Wäh- rend der Messung werden Lichtsignale von Die Ortsauflösung liegt im Millimeter- bis Zenti- einem Messgerät in die Glasfaserleitungen meterbereich, die Messzeit ist mit Abtastraten eingeleitet; die rückgestrahlten Signale wer- von bis zu 250 Hz sehr gering. Die Messungen den mit demselben Messgerät gemessen und erfolgen mit einem Dehnungsinkrement von ausgewertet. Mit dem OFDR-Verfahren kann 10 mm. Dies bedeutet, dass die Dehnung je- die Dehnung entlang des gesamten Lichtlei- weils auf eine „virtuelle“ Messkabellänge von 10 mm bezogen wird. Dadurch kann die Deh- nungszunahme infolge eines Risses in dem gemessenen Inkrement jeweils eindeutig be- stimmt werden. Durch den parallelen Einbau von speziellen Glasfaserkabeln zur Tempera- turmessung werden Temperatureinflüsse auf die Dehnungsmessung kompensiert. Bild 21 zeigt einen Laborversuch der TU Graz, bei dem die Rissbildung mit dem OFDR-Verfahren ein- deutig nachgewiesen wurde. Für weitere Infor- mationen s. z. B. [16]. 5 Schlussbemerkung Der neue Tiefbahnhof Stuttgart ist ein tech- nisch komplexes Bauwerk mit zahlreichen Bild 21 Laborversuch an einem Tübbing zur De- innovativen Komponenten. Neben den Kelch- tektion von Rissen mit dem OFDR-Verfah- stützen wird insbesondere bei der Überbrü- ren © Christoph Monsberger ckung der S-Bahn-Tunnel technisches Neuland und Werner Lienhart, TU Graz [07] betreten. Wegen der hohen Vertikallasten aus den Kelchstützen und den Anforderungen aus 162
Manfred Keuser et al.: S-Bahn-Querung im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof S21 dem Bauablauf wird hier erstmals bei einem [10] Bundesanstalt für Straßenwesen (Hrsg.): Projekt der DB AG die interne verbundlose Vor- Zusätzliche Technische Vertragsbedingun- spannung eingesetzt. Zur Kompensation der gen und Richtlinien für Ingenieurbauwer- fehlenden Zugänglichkeit zur Inspektion des ke. Bergisch-Gladbach, 2018 Bauwerks wird eine verschärfte Bemessung [11] Haupt, R.; Henneck, M.: Pilotprojekt Roß- vorgenommen sowie ein komplexes Monito- riether-Graben-Brücke. In Zilch, K. (Hrsg.): ringsystem verwendet. Mit dem innovativen Massivbau 2006, Forschung, Entwicklung Vorspannsystem und der permanenten Über- und Anwendung, Berlin, 2006 wachung des Tragwerks wird langfristig eine [12] Zilch, K.; Göger, G.; Roos, F.; Gläser, Ch.: uneingeschränkte Nutzung der Konstruktion Fertigteilbrückenbau mit Hochleistungs- sichergestellt. beton B 85 und verbundloser interner Längsvorspannung (Ortsumgehung Bad Griesbach – St 2116). Bauingenieur 76 Literatur (2001) 4, S. 157–161 [13] Sodeikat, Ch.; Groschup, R.; Knab, F.; Ober- [1] Bechmann, R.; Schmid, A.; Noack, T.; So- meier, Ph.: Acoustic Emission in der Bau- bek, W.: Neuland in Planung und Rea- werksüberwachung zur Feststellung von lisierung: Die Kelchstützen des neuen Spannstahlbrüchen. Beton- und Stahlbe- Stuttgarter Hauptbahnhofs. Beton- und tonbau 114 (2019) 10, S. 707–723 Stahlbetonbau 114 (2019) 5, S. 346–355 [14] Müller, A.; Sodeikat, Ch.; Schänzlin, J.; [2] Z-13.2-109: SUSPA-Draht intern ohne Ver- Knab, F.; Albrecht, L.; Groschup, R.; Ober- bund. Allgemeine bauaufsichtliche Zulas- meier, Ph.: Die Gänstorbrücke in Ulm – Un- sung des DIBt, Berlin, 5.3.2019 tersuchung, Probebelastung und Brücken- [3] Z-13.3-139: SUSPA-Draht EX für externe monitoring. Beton- und Stahlbetonbau Vorspannung mit 30 bis 84 Spannstahl- (Aufsatz angenommen, Veröffentlichung drähten nach DIN EN 1992-1-1 und DIN EN 02/2020 geplant) 1992-2. Allgemeine bauaufsichtliche Zu- [15] Schacht, G.; Käding, M.; Bolle, G.; Marx, lassung des DIBt, Berlin, 13.4.2018 S.: Konzepte für die Bewertung von Brü- [4] Mehlhorn, G.; Curbach, M. (Hrsg.): Hand- cken mit Spannungsrisskorrosionsgefahr. buch Brücken. 3. Aufl., Berlin: Springer Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019) 2, S. Vieweg, 2014 85–94 [5] Z-12.3-70: BBV Litzenspannverfahren Typ [16] Fischer, O.; Thoma, S.; Crepaz, S.: Quasi- Lo 140 mm² und 150 mm² ohne Verbund. kontinuierliche faseroptische Dehnungs- Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung messung zur Rissdetektion in Betonkonst- des DIBt, Berlin, 16.7.2015 ruktionen. Beton- und Stahlbetonbau 114 [6] Z-12.3-84: Spannstahllitzen St 1660/1860 (2019) 3, S. 150–159 aus sieben kaltgezogenen, glatten Ein- [17] Monsberger, C.; Lienhart, W.: In-situ De- zeldrähten mit Nenndurchmesser: 6,9- formation Monitoring of Tunnel Segments 9,3-11,0-12,5-12,9-15,3 und 15,7mm so- using High-resolution Distributed Fib- wie Korrosionsschutzsysteme für die re Optic Sensing. In: Chan, T.; Mahini, S. Nenndurchmesser: 12,5 – 12,9 – 15,3 und (Hrsg.): Structural Health Monitoring in 15,7mm. Allgemeine bauaufsichtliche Zu- Real-World Application – Proc. of the 8th lassung des DIBt, Berlin, 17.9.2018 Int. Conf. on Structural Health Monito- [7] DIN EN 1992-2/NA:2013-04: Nationaler ring of Intelligent Infrastructure (SHMII-8), Anhang – National festgelegte Parameter 5.–8.12.2017 in Brisbane (Australien), Red – Eurocode 2: Bemessung und Konstrukti- Hook (NY): Curran Associates, Inc., 2018, on von Stahlbeton- und Spannbetontrag- S. 109–120 werken – Teil 2: Betonbrücken – Bemes- sungs- und Konstruktionsregeln. [8] DIN EN 1992-2/NA Anhang NA.UU. Ergän- zungen für Brücken mit internen Spann- gliedern ohne Verbund in Längstragrich- tung. [9] DIN EN 1992-2:2010-12: N Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahl- beton- und Spannbetontragwerken – Teil 2: Betonbrücken – Bemessungs- und Kon- struktionsregeln; Deutsche Fassung EN 1992-2:2005 + AC:2008. 163
9 Grußwort des Rektors 13 Entwicklung des Instituts für Massivbau – Lehre und Forschung im Brückenbau an der TU Dresden 27 Die neue Erhaltungsstrategie des Bundes – Planung und Bau von Brücken auf den Hauptverkehrsrouten 33 Brücken aus bewehrtem UHPC (Stahl-UHFB) 47 Nutzung von Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA – Rückblicke und Perspektiven 57 Neufassung der Nachrechnungsrichtlinie für Massivbrücken 71 Historische Eisenbahnbrücken – Denkmale im Netz 83 85 Jahre Autobahnbrückenbau – 30 Jahre Dresdner Brückenbausymposium 101 Gerd Lohmer (1909–1981) – Der Brückenarchitekt der Nachkriegszeit 123 Ersatzneubau der Rheinbrücke Leverkusen – Gesamtplanung des 8-streifigen Ausbaus der A1 zwischen Köln und Leverkusen 139 Ein neuer Schritt im Großbrückenbau: Querverschub einer Verbundbrücke mit Pfeilern und Gründung bei der Talbrücke Rinsdorf im Zuge der A 45 149 S-Bahn-Querung im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof S21 – erstmaliger Einsatz von interner verbundloser Vorspannung bei der DB AG 165 Reduzierte Bauzeit bei Ersatzneubauten von Straßenbrücken durch Carbonbeton 177 Robust, wirtschaftlich und schön – der Entwurf von integralen Brücken 191 Neubau der Busbrücke über den Bahnhof in Zwolle 207 Katastrophen vermeiden: Brückenmonitoring mit einem Netzwerk leistungsstarker dreiachsiger MEMS-Beschleunigungssensoren 213 Brückenvielfalt in Süddeutschland und den Alpen – Bericht zur Brückenexkursion 2019 227 Chronik des Brückenbaus ISSN 1613-1169 ISBN 978-3-86780-625-1
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