Drohnen und Diplomatie Sechs Wochen Krieg um Berg-Karabach haben im Süd-kaukasus neue Fakten geschaffen. Die Sieger: Ankara und Moskau - ein ...
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Weltspiegel Drohnen und Diplomatie Sechs Wochen Krieg um Berg-Karabach haben im Süd- kaukasus neue Fakten geschaffen. Die Sieger: Ankara und Moskau – ein verhee- rendes Signal vor der Haustür Europas. Von Silvia Stöber S eit dem 10. November 2020 ist es in gewesen war. Von dieser strategisch vor- der Region Berg-Karabach so ruhig teilhaften Position auf einer Anhöhe hät- wie seit Langem nicht mehr. Die ten sie die Hauptstadt Stepanakert und Konfliktparteien Armenien und Aserbaid- das restliche Gebiet Berg-Karabachs ein- schan ließen sich nach 44 Tagen Krieg auf nehmen und die verbliebenen Armenier eine Vereinbarung ein, die erstmals eine vertreiben können, hätte Armeniens Pre- Friedensmission zur Überwachung des mierminister Nikol Paschinjan nicht am Waffenstillstands zulässt – vermittelt von 9. November der Friedensvereinbarung Russland, das in den kommenden fünf Jah- zugestimmt. ren die bewaffneten „Peacekeepers“ stellt. Die schwere Niederlage war ein Schock Die Türkei als Verbündeter Aserbaidschans für die Menschen in Armenien; die Berge wird an einem Friedensüberwachungs Karabachs galten als uneinnehmbar, zu- zentrum beteiligt. mindest von den Ebenen Aserbaidschans Die Vereinbarung fixiert den Sieg der aus. Die 176 Kilometer lange Frontlinie aserbaidschanischen Streitkräfte. Sie bestand aus einem weitverzweigten Sys- hatten einen Großteil des Territoriums tem aus Schützengräben, in die sich die eingenommen, das die armenische Sei- armenischen Streitkräfte seit dem ersten te 26 Jahre lang als Sicherheitszone um Krieg um Berg-Karabach 1992 bis 1994 mit Silvia Stöber Berg-Karabach herum besetzt hielt. Über Panzern, Geschützen und Abwehrsyste- ist als Journalis- tin und Autorin die restlichen drei dieser Gebiete über- men eingegraben hatten. Zudem war das auf den postso- nahmen sie vereinbarungsgemäß bis zum Gebiet schwer vermint. wjetischen Raum 1. Dezember die Kontrolle. Darüber hinaus spezialisiert. Sie arbeitet für öf- waren sie während der Kriegstage von Sü- Aufklären und Zerstören fentlich-rechtliche den her nach Berg-Karabach selbst vorge- Nur wenige Stimmen in Armenien hatten Sender und Publi- drungen und hatten die Stadt Schuscha offen davor gewarnt, dass sich Aserbaid- kationen in Deutsch- land, Österreich (armenisch: Schuschi) eingenommen, die schan über die Jahre die notwendigen mi- und der Schweiz. einst das kulturelle Zentrum der Region litärischen Fähigkeiten aneignen würde, 80 | IP • Januar/Februar 2021
Drohnen und Diplomatie Weltspiegel um diese Festung stürmen zu können. Einnahmen aus Erdöl und Erdgas erlaub- ten es der Führung in Baku zu Beginn Aserbaidschan der 2000er Jahre, nicht nur herkömmli- che Waffen aus russischer Produktion zu kaufen, sondern auch modernes und hoch effektives Militärgerät, insbesondere aus Israel. Bereits beim „Vier-Tage-Krieg“ von Berg-Karabach Region 2016 setzte Aserbaidschan laut damaligen Karabach Medienberichten „Harop“-Drohnen der Armenien Firma Israel Aerospace Industries (IAI) ein. Diese kreisen über einem Gebiet und stürzen sich ferngesteuert auf ein Ziel. Zu- Region dem behaupteten die armenischen Streit- Karabach kräfte in Berg-Karabach damals, sie hät- Aserbaidschan ten eine Überwachungsdrohne vom Typ „ThunderB“ aus israelischer Produktion Iran abgeschossen. Die Jerusalem Post berichtete, Aser- baidschan habe neben den „Harop“ da- nach auch Drohnen der Typen „Aerostar“, „Orbiter“ und „Orbiter 1k“ aus Israel be- zogen; letztere produziere Aserbaidschan baidschanische Verteidigungsministeri- inzwischen in Lizenz. Hinzu kämen die um veröffentlichte. Aufklärungsdrohnen „Hermes 450“ und Aufklärungs- und Kamikaze-Drohnen „Hermes 900“ des Unternehmens Elbit im Verbund mit Waffensystemen wie Systems. Raketenwerfern und Geschützen ermög- Zudem profitierte Aserbaidschan von lichten es den Aserbaidschanern, die seiner langjährigen Militärpartnerschaft Luftabwehr der Armenier auszuschalten. mit der Türkei. Im Juni 2020 kündigte das Zum Einsatz sollen allerdings auch alte Verteidigungsministerium in Baku den Antonow-AN-2-Mehrzweckflugzeuge aus Kauf türkischer Aufklärungsdrohnen Sowjetproduktion gekommen sein. Als an. Dass während des Krieges im Herbst Lockmittel seien sie ferngesteuert über ar- türkische „Bayraktar TB-2“ zum Einsatz menische Stellungen geflogen. Deren Po- kamen, die auch mit Raketen bestückt sitionen wiederum registrierten Drohnen werden können, belegt nach Aussagen in größerer Höhe, wie der aserbaidscha- von Experten Bildmaterial, das das aser- nische Experte Fuad Schabasow schrieb. Vorbild Anti-Taliban-Kampf Am Boden wandten die aserbaidschani- Mit Aufklärungs- und schen Streitkräfte offenbar Taktiken der Kamikaze-Drohnen gelang US-geführten Allianz gegen die Taliban in den Bergen Afghanistans an; dabei es, die Luftabwehr der werden nur kleine Teams zu Einsätzen Armenier auszuschalten geschickt. Der US-Journalist Ron Synovitz IP • Januar/Februar 2021 | 81
Weltspiegel schrieb darüber mit Verweis auf Videos, Dass syrische Söldner auf die aserbaidschanische Soldaten im Mes- senger-Dienst Telegram geteilt hatten. Auf aserbaidschanischer Seite armenischer Seite gab es Berichte über kämpfen würden, dementier- gegnerische „Sabotage-Trupps“, die in Wäldern und Dörfern hinter den arme- ten Ankara und Baku nischen Verteidigungslinien aufgetaucht seien. Der Sicherheitsexperte Richard Gi- baidschans Präsident Ilham Alijew jedoch ragosian in Jerewan sagt, im Krieg um einräumen, dass F-16-Kampfjets der Tür- Berg-Karabach hätten die aserbaidscha- kei im Land stationiert waren. nischen Truppen NATO-Kampfmethoden Ebenso dementierten Ankara und Baku angewendet. Trainiert worden seien diese die Präsenz syrischer Söldner. Frankreich, bei gemeinsamen Militärübungen mit dem Russland und Iran hatten den Abzug sol- NATO-Mitglied Türkei. So fand im Som- cher Kämpfer gefordert, nachdem Medien mer die Übung „TurAz Quartali-2020“ auf über deren Rekrutierung im türkisch kon- aserbaidschanischem Territorium statt. trollierten Gebiet Syriens berichtet hatten Die Führung in Ankara wollte keine An- – ähnlich wie für die Kämpfe in Libyen. gaben darüber machen, ob danach Mili- Auch hier würde die Türkei dem Beispiel tärgerät, Berater und Drohnenspezialisten anderer Staaten folgen, die Militäreinsät- in Aserbaidschan blieben. Nach einem ze teilprivatisieren, weil diese dann ein- Bericht der New York Times musste Aser- facher zu leugnen sind. Bild nur in Printausgabe verfügbar Den Aserbaidschanern gelang es, die armenische Luftabwehr auszuschalten: Angriff auf ein Lager der arme- nischen Armee am 2. Oktober. Das Bild stammt vom aserbaidschanischen Verteidigungsministerium. 82 | IP • Januar/Februar 2021
Drohnen und Diplomatie Weltspiegel In Berg-Karabach erwiesen sich Militär- In der Endphase des Krieges um technik und Taktik der Aserbaidschaner Berg-Karabach griffen russische Streitkräf- als so effektiv, dass die armenischen Trup- te nach Einschätzung Reisners dann auf pen nach sechs Wochen Kampf ohne aus- Seiten Armeniens ein. Es gebe klare Hin- reichenden Nachschub aufgerieben wa- weise, dass russische „Orlan-10“-Drohnen ren. Insbesondere die Kamikaze-Drohnen, zur Zielaufklärung für armenische Artil- vor denen die armenischen Soldaten auch leriesysteme und von „Krasukha-4“-Stör- in der Nacht keinen Schutz fanden, hatten systemen eingesetzt wurden, um die „Bay- einen stark demoralisierenden Effekt. Der raktar TB-2“ abzuschießen. armenische Journalist Tatul Hakobjan be- Es war die Phase, in der die russische richtete, sobald das sirrende Drohnenge- Führung Teile des „Lawrow-Plans“ von räusch zu hören sei, blieben noch sieben 2015 umsetzen konnte. Der nie öffentlich Sekunden zum Weglaufen. präsentierte Vorschlag des russischen Außenministers sah den Rückzug der Erfolg für Russland armenischen Truppen aus den Gebieten Auf den ersten Blick erschien es, als ob rund um Berg-Karabach und die Statio- Armeniens Schutzmacht Russland der nierung russischer Friedenstruppen in der modernen Kampftechnik nicht gewach- Konfliktregion vor. Das hatten beide Seiten sen sei. Tatsächlich folgte die russische zuvor abgelehnt. Als die Armenier jedoch Führung aber ihren eigenen Zielen und vor dem kompletten Verlust Berg-Kara- gab ihre militärischen Fähigkeiten kaum bachs standen und die Aserbaidschaner zu erkennen. mit ihren Geländegewinnen zufrieden wa- Die Militärexperten Gustav Gressel und ren, stimmten beide zu – ein Erfolg auch Markus Reisner gehen davon aus, dass die der jahrelangen Vermittlertätigkeit Russ- russischen Streitkräfte unter anderem lands. Bereits wenige Tage danach waren aufgrund der Erfahrungen in Syrien in der die russischen Truppen in Berg-Karabach Lage sind, auch Drohnenschwärme zu be- und im Latschin-Korridor stationiert, der kämpfen. Auch sei Russland den Türken einzig verbliebenen Verbindung zwischen in elektronischer Kampfführung vermut- Armenien und Karabach. Nachschub für lich überlegen, so Gressel – anders als die die russischen Truppen erfolgt auch über europäischen Staaten. In Armenien und aserbaidschanische Eisenbahnstrecken. Syrien schütze Russland allerdings nur Russland ist damit wieder in allen drei seine eigenen Truppen und Stützpunkte Südkaukasus-Republiken militärisch prä- mit weiter entwickelten Flugabwehrsys- sent und kann den Einfluss der Türkei temen und Störsendern. Die Verbünde- teilweise kontrollieren: Die Einbeziehung ten müssten sich mit Exportversionen der Türkei in das Friedensüberwachungs- zufriedengeben. zentrum verband die Führung in Moskau mit der Forderung, dass kein bewaffnetes türkisches Militär in Berg-Karabach an- wesend sein dürfe. Auch was nach einem Die russische Führung weiteren Erfolg für die Türkei und Aser- verfolgte ihre eigenen Ziele baidschan aussieht, hat einen Haken: Ein in der Friedensvereinbarung festge- und ließ sich nicht in die legter Korridor zwischen Aserbaidschan Karten schauen und seiner Exklave Nachitschewan über IP • Januar/Februar 2021 | 83
Weltspiegel rmenisches Territorium schafft zwar eine a Minsk Group unter Führung Russlands, direkte Landverbindung zwischen den Frankreichs und der USA jedoch gelang, beiden Verbündeten. Kontrolliert wird einen Kompromiss zwischen den Kon- diese jedoch von den Grenztruppen des fliktparteien zu finden, desto mehr sah russischen Inlandsgeheimdiensts FSB, die sich die Führung in Baku dazu berechtigt, seit Jahren an der Grenze zwischen Arme- das völkerrechtlich zu Aserbaidschan ge- nien und Iran stationiert sind. hörende Territorium militärisch zurückzu- erobern. Außer Acht blieb dabei das Recht Eine Russifizierung Berg-Karabachs? der Armenier auf Selbstbestimmung, wo- Die Verhandlungen zwischen Russland bei die nach wie vor angestrebte interna- und der Türkei um die konkrete Ausge- tionale Anerkennung Berg-Karabachs als staltung der in der Friedensvereinbarung unabhängiger Staat auch nach Meinung nur grob festgelegten Punkte zogen sich in einiger Armenier stets aussichtslos war. den Wochen nach Kriegsende hin. Die Um- An den ungeklärten Fragen wie dem Sta- setzung enthält Konfliktpotenzial nicht tus Berg-Karabachs und der Sicherheit der allein zwischen diesen beiden Regional- dort beheimateten Armenier und der Aser- mächten, sondern auch für den Iran. Zu- baidschaner, die nach ihrer Vertreibung in dem bleibt der Status des den Armeniern den 1990er Jahren wieder zurückkehren verbliebenen Gebiets von Berg-Karabach sollen, könnte die Minsk Group mitarbei- ungeklärt. Da ihre Sicherheit von den rus- ten. Zumindest sprechen sich Präsident sischen Truppen abhängt, regt sich Bereit- Putin und die armenische Regierung dafür schaft für eine „Russifizierung“ des Ge- aus. Der ehemalige OSZE-Sondergesandte biets – die Führung in Stepanakert sprach für den Südkaukasus, Günther Bächler, sich für Russisch als zweite Amtssprache hält es zur Stärkung der Minsk Group für aus. Die Rede ist zudem von der Hoffnung möglich, bald die eigentlich schon im auf eine vereinfachte Vergabe russischer ersten Krieg um Berg-Karabach geplante Pässe, ähnlich wie in den russisch besetz- Friedenskonferenz einzuberufen. Dafür ten Gebieten Abchasien und Südossetien wäre seiner Meinung nach jedoch eine in Georgien. starke Führung Schwedens, das 2021 den Die Stationierung russischer Friedens OSZE-Vorsitz innehat, sowie Deutschlands truppen ohne internationales Mandat notwendig. Ein Wille dazu lasse sich bis- zeigt die Schwäche von Organisationen lang allerdings nicht erkennen. Dieser wie der UN und insbesondere der OSZE, in wäre jedoch notwendig, um Aserbaid- deren Rahmen die Minsk Group seit dem schan von der Beibehaltung des Formats ersten Krieg um Berg-Karabach zwischen zu überzeugen, nachdem sich in Frank- 1992 und 1994 ein Friedensabkommen aus- reich beide Parlamentskammern für eine zuhandeln versuchte. Je weniger es der Anerkennung Berg-Karabachs ausgespro- chen haben, wenngleich die französische Regierung dieses Ansinnen ablehnt. So bleibt das verheerende Signal, dass Die Stationierung russischer vor der Haustür Europas mit militärischen Friedenstruppen offenbart Mitteln im Interesse der Türkei und Russ- lands eine Entscheidung herbeigeführt insbesondere die Schwächen wurde, während die Lage für die Men- der OSZE schen in der Region prekär bleibt und 84 | IP • Januar/Februar 2021
Drohnen und Diplomatie Weltspiegel Bild nur in Printausgabe verfügbar Die Niederlage in Berg-Karabach hat Armeniens Regierungspartei „Mein Schritt“ erheblich geschwächt: Demonstranten fordern vor dem Parlament in Jerewan den Rücktritt von Premier Nikol Paschinjan. emokratische Kräfte geschwächt wur- d Dort ist die nach einem friedlichen den. Im Krieg stellten sich auch die Gegner Machtwechsel 2018 begonnene Reform- der aserbaidschanischen Führung hinter politik in Gefahr, da die Regierungspar- Präsident Alijew, wenngleich dieser kurz tei „Mein Schritt“ von Premier Nikol Pa- nach dem Ende der Kämpfe bereits wieder schinjan durch die Niederlage erheblich die Opposition attackierte. Das den Arme- geschwächt ist. Radikale und durch Kor- niern verbliebene Gebiet in Berg-Karabach ruption diskreditierte Oppositionspartei- bleibt als Reizthema geeignet, um von Pro- en sehen in der Wut der Bevölkerung eine blemen im Land und von den hohen Opfer- Chance, die Reformer um Paschinjan zu zahlen auch auf aserbaidschanischer Seite stürzen. Inmitten dieses Machtkampfs abzulenken. In einer Rede am 1. Dezember werden viele Probleme nur schleppend pries Alijew den errungenen Zugriff auf angegangen. Während sich die Menschen die Ressourcen in den „befreiten Gebieten“ in Armenien von den demokratischen Re- an, darunter die Kontrolle über einen Fluss gierungen in Europa und Amerika allein- als wichtige Quelle, da Wasserknappheit gelassen fühlen, lässt Putin auch an dieser in der Region zu einem immer größeren Stelle seinen Einfluss spielen. So lobte er Problem wird. Seine aggressive Rhetorik Paschinjans Entscheidung, der Friedens- gegenüber Armenien behielt er bei. vereinbarung zuzustimmen. IP • Januar/Februar 2021 | 85
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