Eben noch wahrnehmbare Änderungen von Klangeigen-schaften des Fahrzeuginnengeräusches
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Eben noch wahrnehmbare Änderungen von Klangeigen- schaften des Fahrzeuginnengeräusches Otto Martner, Carsten Zerbs Abstract For the subjective assessment of the interior noise of cars different methods and pro- cedures can be applied. Beside real driving tests also listening tests in the laboratory can be carried out. Depending on the different boundary conditions the test results can differ. In general, the assessments under real driving conditions show higher de- viations than those obtained for listening tests in the laboratory. To quantify this difference, listening tests concerning just noticeable differences of the sound properties of the interior noise of a car have been carried out on the one hand under real driving conditions in a car equipped with an ASD-system (active sound design with m|klang technology) and, on the other hand, in the laboratory. In this article, the detected differences in the subjective assessments are discussed. Kurzfassung Bei der subjektiven Beurteilung von Fahrzeuginnengeräuschen können unterschied- liche Methoden und Vorgehensweisen angewandt werden. So werden neben Fahr- versuchen auch Hörversuche im Labor durchgeführt. Bedingt durch die unterschied- lichen Randbedingungen können sich die Ergebnisse aus den Versuchen unter- scheiden. Im Allgemeinen weisen Fahrzeugbeurteilungen größere Schwankungen auf als Tests im Hörlabor. Um diesen Unterschied zu quantifizieren, wurden Hörversuche zu eben wahrnehm- baren Änderungen der Klangeigenschaften eines Fahrzeuginnengeräusches zum einen in einem Fahrzeug, das mit einem sog. ASD-System (active sound design mit m|klang Technologie) ausgestattet war, und zum anderen im Labor über Kopfhörer durchgeführt. In diesem Beitrag werden die festgestellten Unterschiede in den Beur- teilungsergebnissen diskutiert. 1. Einführung Der Bereich Simulation und Prognose von Fahrzeuginnengeräuschen gewinnt immer mehr an Bedeutung, da Prototypen von Fahrzeugen in der Entwicklungsphase nur selten oder mittlerweile sogar gar nicht für Akustikuntersuchungen zur Verfügung stehen. Hier muss oft auf bereits durchgeführte Messungen der Innengeräusche von vergleichbaren Fahrzeugen zurückgegriffen werden.
Die Anforderungen steigen ständig, da das Innengeräusch kein Zufallsergebnis aus der Summe aller beitragenden Schallquellen sein darf, sondern sich aus sorgfältig entwickelten und untersuchten Teilgeräuschen zusammensetzt, um den sog. Brand Sound eines Fahrzeugs sicherstellen zu können. Insbesondere wird dabei das An- triebsgeräusch mit Motor/Getriebe/Abgasanlage, das Rollgeräusch aus dem Rei- fen-/Fahrbahnkontakt sowie die vielen anderen Geräusche über Kette und Riemen angetriebener Zusatzaggregate verwendet. Bedingt durch die Zündfolge des Verbrennungsmotors zeigt das Spektrum eines Fahrzeuginnengeräusches üblicherweise neben den breitbandigen Anteilen durch Wind-/Rollgeräusch ausgeprägte Frequenzlinien bei den Motor- oder Getriebeord- nungen. Da das Amplitudenverhältnis der Ordnungen für die subjektive Beurteilung des Fahrzeuginnengeräusches von großer Bedeutung ist, ist die Auflösung oder das Erkennen von eben wahrnehmbaren Änderungen im Geräusch von besonderem In- teresse. Ziel der Untersuchung war es, Erkenntnisse zu gewinnen, inwieweit von Ergebnissen von Hörversuchen unter Laborbedingungen auf die Beurteilung unter realistischen Fahrbedingungen geschlossen werden kann. Deshalb wurden Fahrversuche in ei- nem mit einem sogenannten ASD-System [2] ausgerüsteten Fahrzeug zur variablen Gestaltung des Innengeräusches und Hörversuche im Labor mit denselben Schallen durchgeführt und die Ergebnisse gegenübergestellt. 2. Eigenschaften des Gehörs Psychoakustische Effekte hängen über die rein akustische Wahrnehmung hinaus häufig mit visuellen und taktilen Wahrnehmungen und Eindrücken zusammen und werden durch sie beeinflusst. Dies zeigt sich auch in der Tatsache, dass die Be- zeichnung psychoakustischer Größen, wie z. B. Rauigkeit und Schärfe, auch für die taktile Wahrnehmung verwendet werden oder Maskierung und Tonhöhe aus dem Bereich der visuellen Wahrnehmung stammen. Die individuellen Wahrnehmungen der verschiedenen menschlichen Sinne interagieren untereinander. Aus der Erfahrung in psychoakustischen Versuchen ist bekannt, dass geübte Ver- suchspersonen oder Versuchspersonen mit Vorwissen deutlich geringere Schwan- kungen in den subjektiven Beurteilungen aufweisen als ungeübte Personen, d. h. Laien. Die Beurteilung des Fahrzeuginnengeräusches während der Fahrt ist für Per- sonen, die sich durch das eigentliche Führen des Fahrzeugs und durch den sonst vorhandenen Straßenverkehr nicht oder kaum beeinflussen lassen, einfach und kann mit geringer Streubreite abgegeben werden. Für ungeübte Personen kann die Auf- gabe, das Innengeräusch zu beurteilen, schwierig oder sogar unmöglich sein. Neben vielen anderen Eigenschaften des Gehörs spielen die Amplitudenauflösung, die Frequenzauflösung und der Verdeckungseffekt bei der Beurteilung von Fahrzeug- innengeräuschen eine wichtige Rolle. Nachfolgend werden dazu Grundlagen wieder- holt [3].
2.1 Amplitudenauflösung Die Amplitudenauflösung des Gehörs kann durch den eben wahrnehmbaren Pegel- unterschied zweier zeitlich isoliert dargebotener Töne beschrieben werden, siehe Bild 1. Die Pegelunterschiedsschwelle (englisch JNLD, just noticeable level diffe- rence) vermindert sich mit steigendem Tonpegel von ΔL = 2 dB für sehr leise Töne bei Darbietungspegeln von weniger als 20 dB bis auf ΔL = 0,2 dB bei Darbietungs- pegeln bis zu 100 dB, gemessen für Töne mittlerer Frequenz (z. B. 1 kHz). Bild 1: Eben wahrnehmbarer Pegelunterschied für 1 kHz-Töne 2.2 Frequenzauflösung Die Frequenzauflösung des Gehörs kann z. B. durch die eben wahrnehmbare Fre- quenzmodulation eines Sinustones beschrieben werden, siehe Bild 2. Die Fre- quenzmodulationsschwelle für sinusförmig amplitudenmodulierte Töne beträgt etwa 3,5 Hz für Frequenzen unterhalb 500 Hz und oberhalb etwa 7 ‰ der Mittenfrequenz. Dies ist für die Wahrnehmbarkeit von Gleichlaufschwankungen, z. B. bei im Fahrzeug verbauten Fensterhebermotoren, von Bedeutung. Subjektiv werden solche fre- quenzveränderlichen Geräusche z. B als Leiern bezeichnet. (Anmerkung aus dem Bereich der Musik: Eine Änderung der musikalischen Tonhöhe um einen Halbton entspricht etwa einer Frequenzänderung von 6 %. Dies zeigt, wie empfindlich unser Gehör für Frequenzunterschiede ist). 2.3 Spektrale Verdeckung Neben der zeitlichen Verdeckung, auf die hier nicht eingegangen wird, spielt die spektrale Verdeckung bei der Beurteilung von Fahrzeuginnengeräuschen eine wich- tige Rolle. Um die Abhängigkeiten der Verdeckung zu untersuchen, werden üb- licherweise sogenannte Mithörschwellen gemessen. Die Mithörschwelle gibt denjeni- gen Schalldruckpegel des Testschalls (meist ein Sinuston) an, den dieser haben muss, damit er neben dem Störschall gerade noch wahrgenommen werden kann, d. h. gerade noch mitgehört wird.
Bild 2: Eben wahrnehmbare Frequenzmodulation als Funktion der Mittenfrequenz für 4 Hz-Modulationsfrequenz Bild 3 zeigt die Mithörschwelle von Sinustönen, die durch einen 1 kHz-Sinuston ver- deckt werden. Die Mithörschwellen steigen von tiefen Frequenzen her kommend stei- ler an als sie nach hohen Frequenzen hin abfallen. Der Anstieg beträgt etwa 100 dB/Oktave. Alle Mithörschwellen erreichen einen Maximalwert, der etwa jeweils 12 dB unter dem Pegel des Störtons liegt. Nach höheren Frequenzen hin zeigt sich eine pegelabhängige "nichtlineare Auffäche- rung" der oberen Flanke. Wird der Pegel bei 1 kHz um nur 1 dB erhöht, dann ergibt sich bei hohen Frequenzen eine Zunahme der Verdeckung um bis zu 5 dB. Der Verdeckungseffekt spielt bei Fahrzeuginnengeräuschen, insbesondere bei tieffrequenten Geräuschen wie z. B. beim klassischen Schiebedachwummern, eine Rolle. In diesem Fall wird im Wesentlichen die erste Frequenzgruppe mit hohen Pe- geln angeregt, wodurch viele Geräuschanteile mit Frequenzen oberhalb verdeckt werden und ein unangenehmer Eindruck des Geräusches entsteht. Bild 3: Mithörschwelle (MHS) von Sinustönen, verdeckt durch einen Sinuston von 1 kHz unterschiedlichen Pegels
3. Hörversuche 3.1 Vorversuche Für einen ersten Versuch zur Wahrnehmbarkeit der Unterschiedsschwellen wurden Messungen in einem Fahrzeug (Audi Avant, 120 kW, 1781 ccm), das mit einem ASD- System (m|klang) ausgerüstet war, durchgeführt. Bei diesen Messungen wurden eine oder mehrere Motorordnungen in 1 dB-Schritten bis zu 12 dB angehoben. Anschlie- ßend wurden 3 s lange Zeitausschnitte fünf Versuchspersonen in einem 3-AFC-Test dargeboten (alternative forced choice). Der lineare Darbietungspegel lag zwischen 80 dB und 96 dB. Für den Test wurde eine Matlab Routine PSYLAB [5] eingesetzt. Die Mittelwerte und Standardabweichungen sind in Bild 4 dargestellt. Da die 2. Motorordnung während der Tests pegelbestimmend war, beträgt die im Labor festgestellte eben wahrnehmbare Änderung in diesen Beispiel 1 dB. Das Erkennen von Änderungen bei Ordnungen mit geringerem Pegel ist ab einer Pegeländerung von 3,5 dB bis 8 dB möglich. Da die 4. Ordnung in verschiedenen Drehzahlbereichen untersucht wurde, ist die 4. Ordnung in Bild 4 zweimal enthalten. Bild 4: Mittelwerte und Standardabweichung von Hörversuchen im Labor mit Ände- rungen bei einzelnen Ordnungen Der Bereich innerhalb der Standardabweichung liegt im Allgemeinen unter 5 dB. Der Gesamtpegel der Geräusche wurde durch das Anheben einzelner Ordnungen um etwa 1 dB angehoben.
3.2 Fahrversuche Das Versuchsfahrzeug war mit einem 5 x 6-System ausgestattet (fünf Lautsprecher und sechs Mikrofone), um die Schallfeldbeeinflussung im Fahrzeug global zu opti- mieren. Das zu beurteilende über das ASD-System geregelte Geräusch wurde dem Fahrer über einen offenen Kopfhörer dargeboten, um möglichst unabhängig von dessen Bewegungen und Sitzpositionen zu sein. Zur Kontrolle wurde dasselbe Signal, das der Fahrer über den Kopfhörer hörte, über einen zweiten Kopfhörer mit einem Kunst- kopf, der sich auf dem Beifahrersitz befand, mitgemessen. Die Reproduzierbarkeit für die 2. Ordnung bei einer Ordnungsbeeinflussung von 0 dB zeigt Bild 5. Bild 5: Messaufbau für die Fahrversuche mit einem ASD-Kopfhörersystem und einer Kunstkopf-Messeinheit auf dem Beifahrersitz Bild 6: Reproduzierbarkeit (Mittelwert und Standardabweichung) der 2. Ordnung bei sieben Beschleunigungsfahrten, Ordnungsoffset 0 dB
Während der Versuche musste der Fahrer als Testperson in zwei aufeinander fol- genden Beschleunigungsphasen im 3. Gang von 60 km/h auf 70 km/h beschleunigen und entscheiden, ob ein Unterschied zwischen den beiden Beschleunigungsfahrten vorhanden war. Bild 7 zeigt einen typischen Drehzahl-Zeitverlauf während der Ver- suche. Bild 7: Beispiel für den Drehzahlverlauf während der beiden zu vergleichenden Be- schleunigungsphasen Insgesamt nahmen zehn Testpersonen im Alter zwischen 22 Jahren und 44 Jahren an dem Test teil. Die Fahrten wurden auf normaler Straße zur Tageszeit mit regulä- rem Verkehrsaufkommen mit folgenden Versuchen durchgeführt: 1: Anhebung der 2. Motorordnung 2: Anhebung der Ordnungen 3, 4 und 6 bei um 20 dB reduzierter 2. Ordnung. Die Frequenzbereiche, die dabei geändert werden sind in Tabelle 1 zusammen- gestellt. Sie liegen zwischen 87 Hz und 310 Hz, also im unteren Frequenzbereich. Tabelle 1. Ordnungen und korrespondierende Frequenzen Ordnung fStart [Hz] fEnd [Hz] nd 2 87 103 3rd 130 155 4th 173 207 6th 260 310 4. Ergebnisse der Hörversuche Die Ergebnisse aus den Hörversuchen mit der in 1 dB-Schritten geänderten 2. Ordnung zeigen, dass die Versuchspersonen in drei Gruppen zusammengefasst werden können:
Gruppe 1: schmaler Übergang zwischen Wahrnehmen und Nicht-Wahrnehmen der Änderung, Gruppe 2: relativ weiter Bereich für den Übergang zwischen Wahrnehmen und nicht Wahrnehmen der Änderung, Gruppe 3: keine konsistenten Antworten. Der Mittelwert für die eben wahrnehmbare Änderung bei der 2. Motorordnung liegt bei 7,5 dB mit einer Standardabweichung von 2,6 dB. Ohne die Versuchspersonen aus der Gruppe 3 wandert der Mittelwert auf 7,8 dB, wobei die Standardabweichung um 0,9 dB auf 1,7 dB zurückgeht. Betrachtet man den Gesamtpegel, so benötigen die Versuchspersonen im Fahrversuch mindestens 2 bis 4 dB Änderung, bevor eine Änderung des Fahrzeuginnengeräusches wahrgenommen wird. Im Mittel sind es je- doch etwa 5 dB bis 6 dB. Für die Änderung bei den Ordnungen 3, 4, und 6 ergibt sich im Versuch ein Wert von etwa 7,5 dB bei einer Standardabweichung von 1,7 dB. 5. Vergleich der Fahrversuche mit den Hörversuchen im Labor Um einen Vergleich zwischen den im Fahrzeug durchgeführten subjektiven Bewer- tungen mit den im Labor erhaltenen Ergebnissen zu erhalten, wurden die im Fahr- zeug während der Versuche mit dem Kunstkopf gemessenen Geräusche den Ver- suchpersonen nach der Fahrt im Labor über Kopfhörer dargeboten. Bild 8: Mittelwerte und Standardabweichung aller Versuchspersonen der Beschleu- nigungsfahrten im Labor, über Kopfhörer dargeboten Der Mittelwert liegt in diesem Fall bei etwa 4 dB für die Änderungen in der 2. Motorordnung und bei etwa 5 dB für die Änderungen in den Ordnungen 3, 4 und 6. Der Gesamtpegel ändert sich dabei um weniger als 1 dB. Allgemein zeigt sich, dass die Pegeländerungen im Fahrversuch auf normaler Straße deutlich höher liegen müssen als bei Hörversuchen im Labor, bevor die Versuchs- personen eine Änderung des Fahrzeuginnengeräusches wahrnehmen.
Literatur [1] L. J. Simon: Gerade Wahrnehmbare Klangunterschiede in einem Aktive Sound Design-Fahrzeug. Diplomarbeit, Fachhochschule Oldenburg; Institut für Hör- technik und Audiologie. (2006) [2] R. Schirmacher, R Lippold: Designing Vehicle Sound by the Use of ANC and Active Sound Design: Theory, Application and Practical Experiences. In: Trans- actions IMechE European Conference on Vehicle Noise and Vibration, (2000) 379–385, London, UK [3] E. Zwicker, H. Fastl: Psychoacoustics - Facts and Models. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, (1999). 4. edition [4] N. Otto, S. Amman, C. Eaton and S. Lake. Guidelines for Jury Evaluations of Automotive, Sounds. Speech Communication (Special Issue on Noise Robust ASR), (2001) 34(1-2):3–12 [5] M. Hansen: PSYLAB-Dokumentation (2006)
Sie können auch lesen