Ehrenamt in der Krise? - Landessportbund Hessen eV
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Nr. 12 | 19. Juni 2021 | 75. Jahrgang Ehrenamt in der Krise? Jubiläum Vor 75 Jahren wurde der Landessportbund gegründet Darlehen Wie Mitgliederkredite Vereinsmaßnahmen finanzieren
EDITORIAL Editorial Liebe Sportfreundinnen und Sportfreunde, es geht endlich wieder los! Dank der sinkenden Inzi- denzwerte in ganz Hessen nimmt der Sportbetrieb Fahrt auf. Wer dieser Tage das schöne Sommerwetter für einen Spaziergang nutzt, der sieht gefüllte Sport- und Tennisplätze, Freibäder, an deren Rand Trainer An- weisungen geben, junge Leichtathletinnen, die in die Sandgrube springen, Alt-Herren-Teams, die sich be- seelt die Bälle zuspielen und Seniorinnen, die bei der Stuhlgymnastik im Freien die Beine schwingen. Das ist der Verdienst von uns allen, die wir uns in den hat. Der Landessportbund und seine Bildungsakademie vergangenen Monaten eingeschränkt haben, um die unterstützen das mit Fortbildungen, Beratungen und Corona-Pandemie auszubremsen. Es ist aber auch der neuen Qualifizierungsformaten. Verdienst von den Zehntausenden Ehrenamtlichen, die unser Sportsystem über diese schwierige Phase hinweg Die Freude am Sport ist es auch, die die Geschichte des aufrecht erhalten haben. Heut möchte ich all jenen Landessportbundes zu einem Erfolg hat werden lassen. Danke sagen, die mit kleinen Aktionen, innovativen 75 Jahre wird unsere Dachorganisation dieser Tage alt. Konzepten und neuen Trainingsformen ihren Verein am In zwei Texten blicken wir auf dieses Jubiläum und Laufen gehalten haben und jetzt den Neustart stellen wieder fest: Tradition und Moderne, Stabilität organisieren. und Zukunftsgewandtheit gehen beim Sport Hand in Hand. Ich kann verstehen, dass es für sie nicht immer einfach gewesen ist, motiviert zu bleiben: Es gab Rückschläge Damit das so bleibt, sind unsere Vereine immer auf der zu verkraften, es war anstrengend, die immer neuen Suche nach neuen Ideen. Das Mitgliederdarlehen der Regeln umzusetzen, es hat geschmerzt, Mitglieder ge- TGS Walldorf, das wir in dieser Ausgabe vorstellen, ist hen zu sehen. Unser Titelthema und die Akteure, die eine davon. Und auch der Schulsportwettbewerb, den darin zu Wort kommen, stimmen mich aber optimis- der Landessportbund mit zahlreichen Fachverbänden tisch. Es ist toll zu sehen, dass die große Mehrheit der gestartet hat, ist einer der Bausteine, die die Zukunft Engagierten die Freude an ihrer Aufgabe nicht verloren des Sports sichern. Nun suchen Sie sich also am besten ein schattiges Plätzchen und genießen die Lektüre der druckfrischen „Sport in Hessen“. Viel Spaß dabei wünscht Ihre Dr. Susanne Lapp SIH 1 2 / 1 9. 06. 2021
AKTUELLES 3 Der Landessportbund Hessen e. V. ist 75 Jahre alt! Am 1. Juni 1946 wurde im Volksbildungsheim Frankfurt von 27 Sportbegeisterten der Landessportverband Groß-Hessen gegründet D ie Dachorganisation des Sports in Hessen, der zept sah ein Konstrukt, in dem Sportbezirke und Fach- Landessportbund Hessen e. V. (lsb h), hat Ge- verbände eine Einheit darstellen, vor. Die Idee sollte burtstag. Die mit zwei Millionen Mitgliedern sich bewähren. Heute sind es 23 Sportkreise, 60 Sport- größte Personenvereinigung des Landes wurde fachverbände und 14 Verbände und Organisationen am Dienstag, dem 1. Juni 2021, 75 Jahre alt. „Das ist mit besonderen Aufgaben, die die Struktur für die ein Jubiläum, das wir voller Freude, stolz und selbstbe- 7.600 Sportvereine mit ihren zwei Millionen Mitglie- wusst begehen“, so lsb h-Präsident Dr. Rolf Müller. dern bilden. Die Sportkreise stellen dabei die regiona- Voller Freude, weil es in einer immer schnelllebigeren len Bindeglieder zwischen den Vereinen und beispiels- Zeit nicht mehr selbstverständlich sei, dass eine Orga- weise der Politik vor Ort oder im Kreis dar. Die nisation nach siebeneinhalb Jahrzehnten noch erfolg- Sportverbände wiederum haben die sportfachliche reich bestehe. Stolz, weil Begriffe wie Vielfalt, Tole- Kompetenz inne. Beides zusammen ergibt ein Gebilde ranz, Demokratie und Miteinander nach wie vor die mit großer Tiefenwirkung in Gesellschaft und Politik. Werte des Sports prägen. Und selbstbewusst, „weil Die Verankerung des Sports als Staatsziel in der Lan- das, was der organisierte Sport leistet, für die Gesell- desverfassung oder die Einbeziehung des Sports in die schaft und die Menschen in unserem Land unverzicht- Gremien gesellschaftsrelevanter Organisationen, bei- bar geworden ist“, sagte Müller, der seit mittlerweile spielsweise in den Rundfunkrat des Hessischen Rund- OBEN knapp 25 Jahren an der Spitze des Landessportbundes funks, belegen das. Dr. Rolf Müller steht steht, in Frankfurt. seit knapp 25 Jahren „Dass wir uns heute trotz aller Erfolge nicht zurückleh- als Präsident an der Spitze des lsb h. Gesundheitssport, Sport für und mit Älteren, Integra- nen, liegt in der Natur des Sports. Wir engagieren uns Foto: hr/Ben Knabe tion und zunehmend mehr die Inklusion sind in diesem aktuell mehr denn je in der Inklusion, der Integration Zusammenhang Themenfelder, die heute zur „Alltags- oder in vielen Bereichen, die mit dem demografischen arbeit“ der 7.600 hessischen Sportvereinen Wandel zusammenhängen. Wir kämpfen gehören. Dass Hessens Sportvereine darü- für den Erhalt und die Schaffung adäqua- ber hinaus zahlreiche international erfolg- ter und umweltverträglicher Sportstät- reiche Spitzensportler/innen hervorge- ten, wir qualifizieren unsere Mitglieder in bracht haben und hervorbringen, rundet vielen Belangen und wir sind zu diesen das Bild ab. Zudem bestätigt es die Visionen und vielen Themen mehr im ständigen der „Gründerväter“, die schon bald nach der Austausch mit der Landespolitik“, erläu- bedingungslosen Kapitulation der Wehr- terte Dr. Rolf Müller das Engagement des macht am 8. Mai 1945 erste Überlegungen zu einem Landessportbundes Hessen. Ein Austausch, dem ge- „Neustart“ des Sports in Hessen anstellten. rade in der Zeit der Corona-Pandemie besondere Be- deutung zukomme. Der Erhalt des bewährten Sportsys- Im Februar 1946 nahmen diese Pläne langsam Gestalt tems und im Kontext die Hilfen für die Vereine bildeten an. Auf einer Versammlung von Vereinsvertretern in dabei wesentliche Punkte. Wiesbaden wurde die Forderung nach einem Einheits- sportverband für Hessen laut. Heinz Lindner, der spä- Bei all dem dürfe der Sport als solcher natürlich nicht tere Vorsitzende des Verbands, war damals maßgebli- zu kurz kommen. Betty Heidler, Fabian Hambüchen, cher Initiator eines Briefes an den Hessischen Timo Boll, Alexander Wieczerzak und viele mehr: „Wir Ministerpräsidenten Karl Geiler. In dem Brief wurde sind stolz auf die Erfolge unserer Athletinnen und Ath- das Gerüst eines landesweiten Sportverbands skizziert. leten und tun alles, damit Hessen auch in Zukunft in Als wesentliche Grundlagen – neben den rein sportli- der Sportlandschaft weiter vorn bleibt“, so Müller. chen Intentionen – wurden parteipolitische, rassische und konfessionelle Neutralität sowie das Verbot militä- Wer erfolgreich in die Zukunft blicken will, muss sich ristischer Zielsetzungen genannt. Grundlagen, die bis aber seiner Geschichte bewusst sein. Die wird der Lan- heute Bestand haben. dessportbund Hessen anlässlich des 75. Geburtstages in einer Ausstellung, einer Broschüre, hier in der Zeit- Am 1. Juni 1946 wurde in einer Versammlung im Volks- schrift „Sport in Hessen“ sowie in den Sozialen Medien bildungsheim Frankfurt schließlich der Landessport- darstellen. Überlegungen zu einer größeren Jubilä- verband Groß-Hessen, der heutige Landessportbund umsveranstaltung wurden Corona-bedingt demgegen- Hessen, gegründet. Bemerkenswert dabei: Das Kon- über nicht weiter verfolgt. Ralf Wächter S IH 1 2 / 19. 06.2 021
4 H A U P TT AI UT ES LS TC HH EU MS AS Viel mehr als „nur“ Sport In den 75 Jahren seines Bestehens hat sich der organisierte Sport in Hessen mit seinen 7.600 Vereinen und zwei Millionen Mitgliedern zu einem unverzichtbaren Teil der Gesellschaft entwickelt E in Ministerium des Innern und für Sport. Für Und die Delegierten Heinz Lindner zum ersten Präsi- (sport-)politisch interessierte Zeitgenossen in denten wählten. Aber das „und für Sport“ als explizite Hessen ist dieser Zusatz „und für Sport“ gewohn- Minister-Aufgabe kommt nicht von ungefähr. Denn die ter Alltag, seit Ministerpräsident Volker Bouffier organisierte Körperertüchtigung nimmt inzwischen ei- OBEN das Amt des „Innen- und Sportministers“ ab 1999 für nen wichtigen Stellenwert in unserer Gesellschaft ein. Das klare Bekenntnis elf Jahre innehatte. Ein solches Angebot hätten Heinz Sport ist mehr als nur Spitzen- und Leistungssport auf des Sports zur Lindner, Heinrich Sorg und ihre Mitstreiter vor über 75 der einen sowie Breiten- und Freizeitsport auf der an- Demokratie prangte in großen Lettern Jahren aber mit großer Wahrscheinlichkeit abgelehnt, deren Seite. Wobei neben dem Landessportbund die auf dem Banner über als sie nach dem Ende der Nazi-Herrschaft und des Sportjugend Hessen zu nennen ist, die gleichermaßen dem Podium des Zweiten Weltkriegs versuchten, dem Sport in Hessen engagiert wie erfolgreich im und für den organisierten 1. Ordentlichen wieder auf die Beine zu helfen und ihm neue organisa- Sport in Hessen wirkt. Verbandstags im Juli torische und vor allem unabhängige, demokratische 1947 in Mörfelden. Strukturen zu geben. Zu intensiv und nah waren die Wechselwirkung Sport und Gesellschaft Foto: Archiv Folgen der zwölf Jahre des „Tausendjährigen Reiches“ noch spürbar. Zu traumatisch die Erfahrungen der Ver- In der nachfolgenden Betrachtung geht es um fünf nichtung des jüdischen Sports, der Zerschlagung des große gesellschaftliche Bereiche, in denen der Sport Arbeitersports und der Gleichschaltung aller anderen mehr bedeutet als Tore, Sekunden, Kilogramm und Sportverbände. Zentimeter oder Sieger und Verlierer. Etwa als Mittel zur Integration. Daneben als Maßnahme zur Inklusion. Deshalb galt es erst einmal, das Sporttreiben in den Nicht zu vergessen als Komponente unseres Gesund- Ruinen wieder zu ermöglichen und zu organisieren, ei- heitssystems. Zum Vierten als wichtiger Pfeiler unseres nen Spiel- und Wettkampfbetrieb zu installieren und außerschulischen Bildungssystems. Und schließlich die bisherigen unterschiedlichen Organisationen unter als politischer Mitspieler. einem Dach zu vereinen. Alleine diese fünf Stichworte zeigen eine Entwicklung Die Rahmenbedingungen dazu waren auch im ausge- auf, die sich die Männer (und später dazu gestoßenen zehrten und zerstörten sowie politisch neugebildeten Frauen) der ersten Stunde kaum hätten vorstellen Hessenland alles andere als ideal. „Sport first!“ So können. würde im neudeutschen Sprachgebrauch vielleicht das Motto geheißen haben, als vor 75 Jahren, am 1. Juni Die zwei Millionen Mitglieder in 7.600 Vereinen, 23 1946, der Landessportbund (damals noch Landessport- Sportkreisen, 60 Sportverbänden und 14 Verbänden verband) Groß-Hessen in Frankfurt gegründet wurde. und Organisationen mit besonderen Aufgaben im Lan- S I H 1 2 / 1 9. 06. 2021
75 JAHRE LANDESSPORTBUND HESSEN 5 dessportbund (lsb h) werden alles daran setzen, diese Entwicklung fortzusetzen. Referat Vielfalt Integration durch Sport, das ist ohne Zweifel eine Er- folgsgeschichte für den Landessportbund. Und vor al- lem für die Sportjugend. Schon früh hatten sich die beiden Organisationen überlegt, was die Zielgruppe dieses Engagements sein sollte. „Das sind nun einmal die Kinder und Jugendlichen“, blickt Frank Eser, der Landeskoordinator für „Integration durch Sport“, zurück. Bereits seit 1970 gibt es in Hessen Initiativen der inte- grativen Arbeit im Sport mit den damaligen „Gastarbei- tern“. Richtig los ging es 1989, als das Programm „Sport für Alle“ vornehmlich auf osteuropäische Aus- siedler zielte. „Das wurde dann auch bundesweit ange- boten“, sagt Eser. Elf Jahre später, zur Jahrtausend- wende, wurde das Programm ausgeweitet auf Menschen mit Migrationshintergrund. 2002 folgte ein Grundsatz- programm „Integration durch Sport“ für die sich immer des (HBRS), des Hessischen Gehörlosen Sportverban- mehr ausdifferenzierende Arbeit vor Ort. Basierend auf des (HGSV), der Special Olympics Hessen (SOH) und diesen Erfahrungen erfuhren die Aktivitäten eine Er- der Sportjugend einluden. Lsb h und HBRS sollten sich weiterung für sozial Benachteiligte. „Für Menschen am in der Folge als treibende Kräfte erweisen. OBEN Rande der Vereine und der Gesellschaft“, wie es der „Inklusion“ ist eines Landeskoordinator formuliert. Die Hauptaufgaben sieht Sonnenberg darin, in die Ver- der Felder, in dem der eine hineinzugehen, zu deren Unterstützung Netz- lsb h im gesamtge- sellschaftlichen 2015 stellte das Programm „Sport für Flüchtlinge“ den werke aufzubauen und Übungsleiter zu schulen. Ganz Kontext arbeitet. Start einer neuen Etappe dar. Die vielen Ansätze veran- wichtig sei die Kommunikation mit den Vereinen. Beim Foto: lsb h lassen die Verantwortlichen, von einem „Referat Viel- jüngsten Kind des lsb h verwundert es nicht, dass auch falt“ zu sprechen. So gibt es 16 Integrationskoordina- im Blick auf neue Formate und soziale Medien eine Vor- toren, die sich um 340 Sport-Coaches und 240 Vereine reiterrolle eingenommen wird. in 202 Kommunen kümmern. Dazu noch fünf Modell- Landkreise. Das alles sei nicht möglich ohne die Unter- Prävention und Nachsorge stützung des Innenministeriums, will Eser hervorgeho- ben wissen. Doch bei alldem darf eine „Schlüsselperson“ Die Bedeutung des Sports für die Gesundheit als nicht unter den Tisch fallen: der Übungsleiter vor Ort. Schwerpunkt der Aktivitäten des Landessportbundes Egal für welches Programm geworben wird, die Mund- hat eine vergleichsweise lange Geschichte. Ältere Zeit- Propaganda der Übungsleiterinnen und Übungsleiter genossen werden sich noch an die 70er Jahre und die ebnet in der Regel den Weg in die Sportvereine. Symbolfigur „Trimmy“ erinnern, an die Kampagne des Trimm-Trabs und der Familiensportfeste. „Trimming Sport und Inklusion jetzt fest verankert 130 – Bewegung ist die beste Medizin“ war ein Slogan aus den 80er Jahren. Inzwischen sind der Landessport- Das Referat „Sport und Inklusion“ im Geschäftsfeld bund und mit ihm seine Fachverbände und Vereine Sportentwicklung blickt noch auf seine ersten Gehver- vielfältig tätig. Diese Vielfalt wird durch das Landes- suche. 2016 mit der Einstellung von William Sonnen- programm „Sportland Hessen bewegt“ gefördert. Vor berg ins Leben gerufen, ist das Thema seit dem 1. Sep- allem die Zielgruppe der Älteren wird hier verstärkt in tember 2020 im Sportbund fest integriert. „Wir sind den Blick genommen. jetzt fest verankert“, freut sich Sonnenberg, dass das Thema in die Aufgabenpalette des Dachverbands des Unter dem Stichwort „Gesundheit“ muss aber auch das organisierten Sports in Hessen aufgenommen worden Deutsche Sportabzeichen erwähnt werden. Schließlich ist. firmiert dieses in seiner über 100 Jahre währenden (Er- folgs-)Geschichte auch als „Fitnessorden“. Die Ursprünge resultieren in der UN-Behinderten- rechtskonvention mit dem „Leitbild Inklusion“ von Lebenslanges Lernen 2008. Die Bundesregierung entschied damals, dass die praktische Umsetzung Ländersache sei. In Hessen bil- Wie groß der Stellenwert der Bildung im organisierten deten das Ministerium des Innern und für Sport sowie Sport in Hessen ist, das unterstreicht die Bildungsaka- das Sozialministerium eine „AG Inklusion und Sport“, demie des lsb h, die schon 1983 (als Bildungswerk) ge- in die sie Vertreter des Landessportbundes, des Hessi- gründet wurde. Den Anspruch der Bildungsakademie schen Behinderten- und Rehabilitations-Sportverban- verdeutlichte Sabine Roth bei ihrem Abschied nach S IH 1 2 / 19. 06.2 021
6 75 JAHRE LANDESSPORTBUND HESSEN 34 Jahren als Geschäftsführerin. Das Ziel der Akademie sei es, „Bildung im Sport mit Freude und Überzeugung als Beitrag zum lebenslangen Lernen zu vermitteln“. Die Bildungsakademie „ist Ihr Partner in allen Bil- dungsfragen des Sports“, heißt es im Selbstverständ- nis der Untergliederung. Jährlich werden mehr als 800 Weiterbildungskurse angeboten, wozu 500 professio- nell ausgebildete Kursleiterinnen und Kursleiter zur Verfügung stehen. Nach den Statistiken der Bildungs- akademie haben „mehr als 500.000 teilnehmende Bür- gerinnen und Bürger in Hessen“ bislang das Angebot wahrgenommen. Müßig zu erwähnen, dass die Bil- dungsakademie auch Bildungsurlaub anbietet. Politischer Mitspieler Bei der Volksabstimmung von 2018 wurden unter an- derem der Sport und das Ehrenamt als Staatsziele in die hessische Verfassung aufgenommen, was vom Lan- dessportbund als „einer der großen Erfolge der jünge- ren Vergangenheit“ gefeiert wird. Wobei die Nagel- probe immer wieder zu erbringen ist. Etwa bei der Frage, ob dieser Verfassungsauftrag auch handlungs- leitend für die politisch Handelnden und Entscheiden- den ist. Vor allem auf kommunaler Ebene, wenn Stich- Bund, Land und Kommunen aktiv wurden. Jetzt wer- worte wie Schuldenbremse oder Schutzschirm den schon länger Stimmen laut, mit einem neuen „Gol- vielerorts die Diskussion mitbestimmen und immer denen Plan“ für eine längst fällige und notwendige Re- noch ein Schwimmbad nach dem anderen geschlossen novierung und Modernisierung vieler Sportstätten in wird. Hessen zu sorgen. Vor allem, da die Anforderungen deutlich gestiegen sind. Sportstätten sollen genauso Ein neues Feld ist die Förderung der Digitalisierung des flexibel nutzbar wie barrierefrei und ökologisch ge- Ehrenamts in den Sportvereinen, Sportkreisen und prägt sein. Dabei muss erwähnt werden, dass der lsb h Fachverbänden. Hier besteht ein enger Kontakt des längst kompetenter Partner, Berater und Förderer der Sportbundes mit dem neu eingerichteten Hessischen Vereine bei sportlichen Infrastrukturmaßnahmen ist, OBEN Ministerium für Digitale Strategie und Entwicklung. beispielsweise durch die Messe „sportinfra“, die im Beratung und Aber auch die Sportorganisation tut das Ihre, um die vergangenen Jahr ihre achte Auflage und dabei ihre Unterstützung der Zusammenarbeit mit den politischen Strukturen zu er- Online-Premiere erlebte. Das wird unter den immer Vereine im Bereich Sport und Umwelt leichtern. So sind inzwischen alle hessischen Sport- dringlicher werdenden Vorgaben durch die Klimakrise ordnet sich ebenfalls kreise den geografischen Grenzen der Landkreise an- nur noch bedeutsamer. in die Aufgaben des gepasst worden. Landessportbundes Corona und der Sport in Hessen Hessen ein. Unser Bild Mit viel Engagement werden Initiativen voran getrie- zeigt eine Szene der ben, die sich gegen Diskriminierung, Antisemitismus Wichtiger Partner seiner Vereine ist der Landessport- Messe „sportinfra“. und Rassismus im Sport wenden. Akteurin ist hier vor bund auch in der aktuellen, durch die Corona-Krise ge- Foto: lsb h allem die Sportjugend Hessen. Bei vielen Sportlerin- prägten Situation. Die seit mehr als einem Jahr andau- nen und Sportlern stoßen die Initiatoren dabei auf ernde Pandemie stellte und stellt die Sportvereine vor große Zustimmung. große Herausforderungen. Mit kreativen Ansätzen wie digitalen Trainingsstunden bieten die Vereine ihren Sport und Umwelt Mitgliedern in dieser Zeit Möglichkeiten zum „Sport im Wohnzimmer“ an und versuchen so, Austritte zu ver- Auf dem Feld der Sportinfrastruktur ist der Lan- hindern und Strukturen zu erhalten. Der lsb h unter- dessportbund ein ganz wichtiger (Mit-)Gestalter. Denn stützt dabei mit Ideen, Tipps und Hinweisen. bei der Gestaltung des urbanen wie des ländlichen Raums für Freizeit und Sportbetätigung kann es keinen Trotzdem haben die Vereine insgesamt 69.000 Mitglie- kompetenteren Partner geben. Schließlich verfügt der der verloren; 63 Prozent davon – das wies die jüngste organisierte Sport seit über 200 Jahren sowohl in Sa- lsb h-Bestandserhebung aus – im Bereich der Kinder chen Sportstätten als auch zu den Bedürfnissen der und Jugendlichen. Gemeinsam mit der Hessischen Sport treibenden Bevölkerung über umfassende Kennt- Landesregierung wendet der Landessportbund alle nisse. Schon 1960 gab es den „Goldenen Plan“ der Energie zum Erhalt des bewährten Sportsystems in Deutschen Olympischen Gesellschaft. Ziel war es, bun- Hessen auf. Denn ohne den Sport mit seinen vielfälti- desweit für adäquate Sportstätten für die stetig größer gen Ausprägungsmerkmalen ist eine Gesellschaft wie werdende Zahl von Sporttreibenden zu sorgen. Das wir sie kennen, nicht vorstellbar. mündete 1965 in den „Großen Hessenplan“, bei dem Albert Mehl S IH 1 2 / 19 .06 .20 21
TITELTHEMA „EHRENAMT IN DER KRISE?“ 7 Die Pandemie und das Ehrenamt Noch ist schwer absehbar, wie Corona das ehrenamtliche Engagement verändern wird W ie hoch ihre Zahl ist, lässt sich nur schätzen. Trotzdem bedarf es keinem Beweis: Ohne Eh- renamtliche wäre die hessische Vereinsland- schaft nicht die, die sie ist. Wie klein oder groß ein Sportverein auch ist, wo immer er seinen Sitz hat: Überall gibt es Menschen, die sich freiwillig engagieren. Die Vorstandsämter haben folgende Aufgaben zu über- nehmen, als Trainerin oder Übungsleiter im Einsatz sind, den Sportabzeichen-Treff organisieren, die Webseite pfle- gen, Kuchen für Veranstaltungen backen, die Mitglieder- daten verwalten, den Rasen mähen, Flyer erstellen. Weil viele von ihnen unentgeltlich ihren Einsatz erbrin- gen, werden zumindest die, die kein Wahlamt ausüben oder eine Lizenz besitzen, statistisch kaum erfasst. „Wären sie nicht da, würde unsere Gesellschaft das aber bitter spüren. Denn Ehrenamtliche sind die Seele unserer Sportvereine – und ihre größten Stützen“, als eine der entscheidenden Kernaufgaben während sagt Landessportbund-Präsident Dr. Rolf Müller. der Corona-Krise. Auch gegenüber dem Landessport- OBEN bund Hessen wird die Sorge, Ehrenamtliche zu verlie- Wie sich die Häufig musste in den Vereinen gar nicht mehr darüber ren, häufig geäußert. Für Jochen Roose, Engagement- Corona-Pandemie gesprochen werden, wer wann welche Aufgaben über- Forscher bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, steht auf auf das ehrenamtli- che Engagement in nimmt. Vieles war eingespielt. Dann kam Corona. Die jeden Fall fest, „dass mögliche Abgänge zunächst ein- Hessens Sportverei- Pandemie hat das Sportsystem vor die größte Heraus- mal nicht durch neue Helferinnen und Helfer, die man nen auswirkt, lässt forderung seit dem Zweiten Weltkrieg gestellt. Lock- unter normalen Umständen in den vergangenen Mona- sich noch nicht downs und Lockerungen haben das ehrenamtliche En- ten gewonnen hätte, kompensiert werden können“. vollständig absehen. gagement verändert: digitale Formate gewannen an Warten die Bedeutung, manches konnte einfach nicht stattfinden, Altbekannte Herausforderungen Ehrenamtlichen nur neue Aufgaben wie die Erstellung und Umsetzung von darauf, wieder loslegen zu können? Hygienekonzepten kamen hinzu. Doch Ehrenamtliche zu gewinnen und zu halten – das Haben sich war schon vor der Pandemie eine zentrale Herausfor- Engagierte von den Zwischen Optimismus und Sorge derung für Vereine – und ein Grund dafür, warum der Vereinen losgesagt? Landessportbund und die Landesehrenamtsagentur Und wird es Was das mit den Ehrenamtlichen gemacht hat, lässt eine neue Qualifizierung im Bereich Freiwilligenmana- gelingen, neue sich heute noch nicht endgültig absehen. Hat man En- gement entwickelt haben. Während der Pandemie fand Aktivposten zu gewinnen? gagierte verloren, die sich von der neuen Technik über- die Pilotveranstaltung statt – und lieferte zahlreiche Bild: pexels / fordert fühlten? Konnte man junge Ehrenamtliche ge- Impulse und Denkanstöße (siehe S. 12/13). cottonbro winnen, weil sie innovative Ideen umsetzen konnten und dabei nicht gebremst wurden? Kommen alle Helfer Auf unserem Instagram-Kanal (www.instagram.com/ zurück? Oder bleiben diejenigen, die vor Corona schon lsb_hessen) wollten wir kürzlich, als Lockerungen be- nur noch halbherzig dabei waren, endgültig weg? Die reis in Kraft getreten waren, von den Nutzern wissen, Soziologin Dr. Karin Stiehr blickt eher positiv in die Zu- wie es um ihre ehrenamtliche Motivation steht. Es Titelthema kunft. „Wir alle sind nach dieser langen Phase der Ein- waren vor allem jüngere Leute, die sich an der Um- schränkung erpicht darauf, endlich wieder unter Leute frage beteiligten. Am Nullpunkt war die Motivation Ehrenamt zu kommen, aktiv zu sein und Neues zu erleben“, sagt bei den wenigsten von ihnen. Deutlich mehr gaben in der Krise? sie im Interview auf Seite 8/9. an, zu 100 Prozent motiviert zu sein. Bei zwei der mittelmäßig motivierten haben wir anschließend Eine Umfrage der Think-Tanks Zivilgesellschaft in Zah- nachgefragt (siehe S. 10/11). Wie auch im Gespräch len (ZiviZ) zeigt jedoch, dass viele Verantwortliche ge- mit weiteren Engagierten zeigte sich: Es gibt Dinge, meinnütziger Organisationen sich Sorgen machen: die frustrieren. Aber es siegt meist die Lust, endlich 70 Prozent nennen die Bindung (neuer) Engagierter wieder loszulegen. Isabell Boger S IH 1 2 / 19. 06.2 021
8 TITELTHEMA „EHRENAMT IN DER KRISE?“ Von Sehnsüchten, leeren Akkus und der Lust auf Neues Die Soziologin Dr. Karin Stiehr spricht im Interview über die Probleme und Chancen bei der (Rück-)Gewinnung von Ehrenamtlichen nach dem Lockdown D roht den hessischen Vereinen nach dem Mitglie- derrückgang auch ein Verlust an Ehrenamtli- chen? Wir haben mit der Soziologin und Wissen- schaftlerin Dr. Karin Stiehr darüber gesprochen, warum das nicht unbedingt der Fall sein muss, welcher Umgang mit Engagierten während der Pandemie der richtige war und wie sich Ehrenamt verändern wird. Frau Dr. Stiehr, viele Vereine befürchten, dass einige Ehrenamtliche nach der Pandemie nicht mehr zurück- kehren. Ist das aus Ihrer Sicht eine berechtigte Sorge? Das kommt darauf an, wie die Vorstandsteams während der Pandemie agiert haben. Es gibt viele Vereine, die den Kontakt zu ihren Engagierten aufrechterhalten ha- ben. Manche haben regelmäßig Newsletter verschickt, andere Treffen organisiert – zum Beispiel ein digitales Kaffeetrinken mit Gesprächen zu wechselnden Themen lingt es, sie nach einer langen Pause für eine Fortset- –, wieder andere sind telefonisch in Kontakt geblieben, zung des Engagements zu gewinnen? OBEN haben vielleicht zu Weihnachten eine kleine Aufmerk- Wenn Vereine trotz samkeit geschickt. Damit haben sie schon mal Vieles Eine englische Studie ist vor einigen Jahren der Frage Pandemie und richtig gemacht, weil sie wertschätzend waren und ge- nachgegangen, warum sich viele Menschen nicht eh- Kontaktbeschrän- kungen mit ihren zeigt haben: Ihr seid uns wichtig – auch, wenn ihr ge- renamtlich engagieren. Die überwiegende Mehrheit Ehrenamtlichen in rade nicht aktiv seid. Noch besser dürfte die Situation hatte eine auf den ersten Blick vielleicht überraschende Verbindung sein, wenn es praktische Engagement-Angebote gab. Antwort: Sie sagten, sie seien nicht gefragt worden. Für geblieben sind, Sportvereine heißt das, dass sie nach der Unterbre- wenn auf digitalem Was genau meinen Sie damit? chung wieder auf ihre Ehrenamtlichen zugehen müs- Wege gemeinsames sen. Dabei ist es wichtig, Leute auf konkrete Aufgaben Engagement Bei meinen Recherchen bin ich auf verschiedene Bei- anzusprechen. Übungsleitende sollten beispielsweise vorangetrieben wurde, sagt die spiele gestoßen, bei denen die Ehrenamtlichen eines gefragt werden, ob sie ihr Angebot auch unter verän- Soziologin Dr. Karin Vereins auch während der Pandemie Gemeinschaftspro- derten Bedingungen wieder starten würden – zum Bei- Stiehr, muss der jekte angegangen sind. Oft ging es darum, die Bedürf- spiel outdoor. Sie sind aber nur eine Gruppe von vielen. Kontakt jetzt nicht nisse der Vereinsmitglieder zu stillen. Da wurden Ein- Auch die, die sonst vielleicht eher bei Veranstaltungen erst mühevoll wieder kaufshilfen für hochaltrige oder chronisch kranke angepackt haben, kann man fragen, ob sie bei einer aufgebaut werden. Mitglieder organisiert, für die eine Virusinfektion beson- anderen Sache helfen würden. Das können ganz prakti- Collage: Boger ders große Risiken birgt, digitale Arbeitsgruppen ge- sche Aufgaben sein, etwa das Streichen des Clubhauses gründet, um Bewegungsaufgaben für die Mitglieder zu oder die Erstellung eines Wiedereinstiegs-Flyers. Dabei entwickeln, Telefonketten organisiert oder ein Sorgente- muss natürlich berücksichtigt werden, was dem oder lefon für Mitglieder eingerichtet, die unter den Kontakt- der Einzelnen Freude bereitet. Ehrenamtliche haben beschränkungen litten. Dass sich das Engagement auch viele Talente. Beim Umgang mit ihnen sollte man Titelthema auf Außenstehende richten kann, zeigt das Beispiel ei- aber nie vergessen: Ehrenamtliche Arbeit ist immer nes Rollatoren-Walking-Teams, dessen Mitglieder in der ein Geschenk, keine Selbstverständlichkeit. Ehrenamt Adventszeit mehr als 200 Weihnachtspäckchen gepackt und an die Bewohnerinnen und Bewohner einer Pflege- Gibt es Aspekte, die dafür sprechen, dass Menschen in der Krise? einrichtung verteilt haben. Solche Aktionen haben zu- jetzt sogar motiviert sind, sich zu engagieren? sammengeschweißt! Wer den Kontakt aufrechterhalten hat, muss ihn jetzt nicht wieder mühevoll aufbauen. Das ist psychologisch naheliegend. Wir alle sind nach dieser langen Phase der Einschränkung erpicht darauf, Nicht in allen Vereinen ist das erfolgt, und nicht im- endlich wieder unter Leute zu kommen, aktiv zu sein mer waren alle Ehrenamtlichen eingebunden. Wie ge- und Neues zu erleben. Tatsächlich ist im Moment ein gu- S IH 1 2 / 19 .06 .20 21
TITELTHEMA „EHRENAMT IN DER KRISE?“ 9 ter Zeitpunkt, Ehrenamtliche (zurück) zu gewinnen. Ich nacharbeiten – angefangen bei der Anschaffung einer könnte mir auch vorstellen, dass es sinnvoll sein kann, Online-Konferenz-Software über die digitale Mitglieder- gerade Eltern gezielt anzusprechen. Sie wissen von ih- verwaltung bis hin zur Auffrischung des Auftritts in den ren eigenen Kindern, wie sehr sie in der Pandemie gelit- Sozialen Medien. ten haben. Nun sind sie vielleicht bereit, sich einzubrin- gen, um hier einen Kontrapunkt zu setzen. Wichtig ist Ehrenamtliche finden und binden war bereits vor der generell, dass man nicht zu lange wartet mit dem An- Pandemie ein großes Thema. Gibt es wissenschaftliche sprechen. Gerade läuft ja alles wieder an. Auch andere Erkenntnisse dazu, wie das am besten gelingt? Vereine und Institutionen bauen ihre Arbeit wieder auf und konkurrieren um das Engagement der Menschen. Ein Patentrezept gibt es nicht, nur die Leitlinie, dass die Interessen und Talente jedes und jeder Einzelnen ange- Das klingt recht optimistisch. Sehen Sie nicht die Ge- sprochen und ihnen ein zufriedenstellendes Aktionsfeld fahr, dass Ehrenamtliche verloren gehen, weil sie die geboten wird. Und natürlich sind Anerkennung und Freiheit erschmeckt haben, die daraus resultiert, nicht Wertschätzung wichtig. In unserer schnelllebigen Zeit mehr an zwei Abenden pro Woche verplant zu sein? verbringen wir nicht mehr unser ganzes Leben an einem Ort und in ein oder zwei Vereinen. Wir sind mobiler ge- Natürlich wird es auch diese Fälle geben. Der Sportwis- worden, und viele Angebote konkurrieren um unsere senschaftler Christoph Breuer hat einmal gesagt: „Der Zeit. Andererseits brauchen wir auch heute noch die Ein- Treue-Akku von Ehrenamtlichen ist größer und länger bindung in die Gemeinschaft. Sport bleibt ein interes- haltend als der von Mitgliedern.“ Aber natürlich verliert santes und niedrigschwelliges Angebot, wenn ich an ei- OBEN auch dieser Treue-Akku an Leistung, je länger die Ein- nen neuen Ort gezogen bin. Hier können Sportvereine Dr. Karin Stiehr ist schränkungen anhalten. Wenn man auf ehemals Enga- punkten, die eine freundliche Willkommenskultur pfle- Geschäftsführerin des gierte trifft, deren Akku leer ist, sollte man aus meiner gen und Interessenten nicht gleich nach dem Motto Instituts für Soziale Infrastruktur in Sicht das Gespräch suchen und darlegen, warum ihr En- „Wer den kleinen Finger reicht, dem nimmt man die Frankfurt. Die gagement wichtig ist und warum man ihn bzw. sie in die- ganze Hand“ verschrecken. Vor 30 Jahren, zu Beginn Sozialwissenschaftle- ser Position schätzt. Zu sehr zu einer Rückkehr drängen der Debatte um das „neue“ Ehrenamt, das nicht mehr rin untersucht dort sollte man aber nicht. Wir dürfen nicht vergessen: Hinter für Gotteslohn ausgeübt wird, war die Frage, wie man Strukturprozesse und uns allen liegt eine schwierige Zeit. Manche haben Fami- Engagierte gewinnt und hält, auch Gegenstand wissen- koordiniert regionale, lienmitglieder, die erkrankt oder vielleicht sogar gestor- schaftlicher Studien. Inzwischen liegt das Thema in der bundesweite und ben sind, andere fühlen sich nach einer Mehrfachbelas- Hand von Praktikerinnen und Praktikern. Es gibt zahlrei- europäische Sozialforschungs- und tung kraftlos. Ältere Ehrenamtliche könnten durch einen che Leitfäden und Bildungsangebote. Grundsätzlich Sozialpolitikprojekte. schlechteren Gesundheitszustand zu Einschränkungen geht es darum, Interessierte anzusprechen, den Einstieg Die Themen gezwungen sein oder – ganz im Gegenteil – entdeckt ha- zu gestalten, die Arbeit kontinuierlich zu begleiten und Zivilgesellschaft, ben, dass es auch ein Leben jenseits des Ehrenamts gibt. einen Ausstieg ohne schlechtes Gewissen zu ermögli- demografischer Wer auf eine solche Person trifft, sollte Verständnis ha- chen. Im sozialen Bereich werden für diese Funktion im- Wandel und ben. Manchmal hilft es, eine Pause zu vereinbaren und mer häufiger Freiwilligenkoordinierende eingesetzt. Freiwilligendienste gehören dabei zu einen festen Termin, an dem man sich nochmal aus- ihren Schwerpunkten. tauscht. Gut ist es auch, andere, vielleicht weniger zeit- Können wir in Sachen Engagement auch etwas aus der In ihrer Position berät aufwändige Optionen des Engagements vorzustellen. Pandemie lernen? sie auch die Landesregierungen Muss generell auch über neue Formen des Engage- Eine wichtige Lektion bestand sicherlich darin, die Be- von Hessen und ments nachgedacht werden? deutung der Digitalisierung zu erkennen und sie für den Nordrhein-Westfalen. eigenen Verein voranzutreiben. Andererseits sollte man Unbedingt, denn die Pandemie hat uns alle verändert. sie für die konkrete Arbeit der Ehrenamtlichen nicht Ich glaube, dass Online-Sportangebote nicht nur eine überbewerten. Zwar werden digitale Medien nach Daten Notlösung waren. Sie haben einige Vorteile, z. B. die der Freiwilligensurveys 2014 und 2019 von der Mehrheit Ortsunabhängigkeit bei Livestreaming-Formaten. Bei der Freiwilligen auch genutzt, aber nur 2,6 Prozent der Online-Tutorials kommt die zeitliche Unabhängigkeit Befragten waren ausschließlich im Internet aktiv. Übri- dazu. Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Mitglieder gens ist der Anteil am Engagement vor Ort ausgerechnet das auch künftig als attraktiv erachten. Vereine sollten bei Teenagern am größten, wie eine Sekundärauswer- deshalb gemeinsam mit ihren Engagierten darüber tung der Daten durch den Blogger Hannes Jähnert nachdenken, welche Online- oder Hybridformate auch zeigte. Eine andere wichtige Beobachtung, aus der man nach der Pandemie umgesetzt werden können und was lernen kann, war, dass es noch immer viele Menschen dafür an Know-how und Ausstattung erforderlich ist. gibt, die sich für die Gemeinschaft einsetzen. Nachbar- Wer digital unterwegs ist, erweitert ja auch seinen Kreis schaftshilfen erlebten eine Blütezeit. Eine repräsentative der potenziell Engagierten. Wenn die Mitgliederverwal- Umfrage der Fachhochschule Münster zeigte, dass wäh- tung digital erfolgt, kann diese Aufgabe auch ein Mit- rend der Corona-Pandemie zwei Drittel der Menschen glied übernehmen, das unter der Woche woanders arbei- bereit waren, sich für ihre Nachbarn zu engagieren. Vor tet. An hybriden Jugendsitzungen können auch junge der Pandemie war es nur ein Drittel. Manche Sportver- Menschen teilnehmen, die in einer anderen Stadt stu- eine haben bereits begonnen, sich über Sport- und Be- dieren. Und Trainingsvideos können zeit- und ortsunab- wegungsangebote hinaus für die Anliegen im Quartier hängig aufgezeichnet werden. Ich sehe hier große Po- zu öffnen. Für andere könnte dies eine Inspiration für tenziale. Um sie auszuschöpfen, müssen viele Vereine in die künftige Ausrichtung der Vereinsaktivitäten sein. Sachen Digitalisierung der Vereinsstruktur aber noch Die Fragen stellte Isabell Boger S IH 1 2 / 19. 06.2 021
10 TITELTHEMA „EHRENAMT IN DER KRISE?“ Neue Lust aufs Ehrenamt? Viele Engagierte freuen sich, endlich wieder loslegen zu können / Trotz gelegentlichem Frust wollen die Vereinsverantwortlichen das Beste aus der Krise mitnehmen G anz Hessen befindet sich in Stufe 2, als dieser die Pferdesportge- Text entsteht. Was das für den Sport heißt, meinschaft Molzbach muss man den Ehrenamtlichen in Hessens (Sportkreis Fulda- Sportvereinen nicht erklären. Seit Wochen ha- Hünfeld). „Zuletzt wa- ben sie diesem Moment entgegengefiebert, Sieben-Ta- ren es bis zu fünfmal ges-Inzidenzen beobachtet, Regeln studiert und ge- pro Woche, weil wir die deutet, Konzepte erstellt. Diesen Eindruck jedenfalls Kinder in Kleingruppen gewinnt man, wenn man mit einigen von ihnen spricht. aufgeteilt hatten.“ Der koordinative Aufwand „Unsere Ehrenamtlichen scharren mit den Hufen und sei aufgrund der unter- wollen jetzt wieder richtig durchstarten“, sagt Katrin schiedlichen Regelun- Dunsch. Sie selbst ist hauptberufliche Geschäftsführe- gen, die im Verlauf der rin des TV Eschersheim und hat damit einen ganz guten Pandemie galten, groß Überblick, wie der Verein und seine Engagierten durch gewesen: „Mal durften die Pandemie gekommen sind. Ihr Eindruck: überwie- die Kinder bis 14, dann gend gut. Natürlich sei die Pandemie eine riesige Her- bis 15 trainieren. Mal ausforderung gewesen – auch für die Ehrenamtlichen: war Kontaktsport er- „Nicht alle Vorstandsmitglieder konnten sich zum Bei- laubt, mal nicht.“ Und spiel gleich mit Zoom anfreunden. Aber als sie gemerkt manchmal ging analog haben, die Situation dauert an, haben sie die Notwen- eben gar nichts. digkeit erkannt und gelernt, damit umzugehen. Das ist auch für die Zukunft ein Vorteil.“ Ein Vorstandsmit- Zwischen Frust und glied, fürchtet sie aber, habe man dadurch verloren. Euphorie Auch Wolfgang Fröhlich, Vor- Mit Online-Unterricht sitzender des Sportkreises habe man versucht, Odenwald, kennt solche Bei- die schwierigsten Pha- spiele. „Manch Älterer hat ge- sen zu überbrücken. sagt: Da komme ich nicht mehr „Wir wollten unbe- mit, es ist Zeit, dass jetzt Jün- dingt den Kontakt zu den Kindern aufrechterhalten“, gere übernehmen.“ Das Posi- sagt die 23-Jährige. Prinzipiell sei das gut angenom- OBEN tive: In vielen Vereinen gebe es men worden, auch wenn Akrobatik im Kinderzimmer Die Voltigierpferde Jüngere, die parat stehen. Sie natürlich etwas ganz anderes ist als auf dem Pferderü- der Pferdesportge- werden einiges anders ma- cken. Vom Breiten- bis zum Leistungssport habe man meinschaft Molzbach mussten auch chen. Dass das häufig auch nötig ist, hat die Pandemie aber auch Sportlerinnen und Sportler verloren. „Für während der gezeigt. „Man war ja gezwungen zu überlegen, wie es viele Kinder strukturiert der Sport ja die Woche. Ge- Lockdowns versorgt noch gehen könnte, wie Kommunikation gestaltet, An- rade von den Älteren hat manch eine bzw. einer wäh- werden. Langweilig gebote verändert werden können.“ rend der Lockdowns gemerkt, dass man ohne das Volti- wurde es Viktoria gieren ganz schön viel Freizeit hat, und daran einen Baier neben Generell ist er, der selbst kein großer Fan von Online- gewissen Gefallen gefunden.“ Online-Einheiten Konferenzen ist und sich freut, dass man jetzt wieder und Trainer-Ausbil- dung also nicht. auf der Terrasse und mit Abstand beisammensitzen Eine Entwicklung, die bei Viktoria Baier und den ande- und etwas besprechen kann, begeistert von der Kreati- ren Trainerinnen in ihrem Verein durchaus für Frust vität der Vereine – und davon, dass die Ehrenamtlichen sorgt. So befinde sie sich in Sachen Motivation gerade selbst großen Aufwand nicht scheuten. Er erzählt bei- im Zwiespalt: „Einerseits freue ich mich total, dass es spielsweise von zwei Vereinen, die in ihren Hallen Be- wieder losgeht. Wenn ich aber die Kinder sehe und wegungslandschaften aufgebaut hatten. Eltern konn- merke, wie viel sie verlernt haben, dass man gerade Titelthema ten für sich und ihre Kinder einen Zeitslot buchen – und bei den Jüngsten gefühlt wieder bei Null anfangen sich dann mal richtig austoben. Anschließend wurde muss, dann zieht mich das aber auch runter.“ Ehrenamt desinfiziert, dann kamen die nächsten. in der Krise? Hin- und Hergerissen zwischen Euphorie und Ärger- Auch Viktoria Baier kann nicht behaupten, dass die nis ist auch Holger Bischoff. Als Jugendwart beim Pandemie zu mehr Freizeit geführt hat. Dreimal die Wo- Sportkreis Offenbach, Pressewart beim Fußballkreis che gibt sie in „normalen“ Zeiten Voltigierunterricht für und Obmann Öffentlichkeitsarbeit in seinem Verein, S IH 1 2 / 19 .06 .20 21
TITELTHEMA „EHRENAMT IN DER KRISE?“ 11 Hin- und Hergerissen zwischen Euphorie und Ärgernis ist auch Holger Bischoff. Als Jugendwart beim Sportkreis Offenbach, Pressewart beim Fußballkreis und Obmann Öffentlichkeitsarbeit in seinem Verein, dem TV Hausen, hat er einen umfassenden Blick auf die Dinge. Er fand vor allem das Agieren vieler Kommunen während der Pandemie ungünstig. „Häufig wurden Regelungen un- terschiedlich und zum Teil sehr spät umgesetzt. Jetzt konnten sich die Kommunen ja darauf einstellen, dass der Kreis in Stufe 2 rutscht. Trotzdem sind viele Hallen noch tagelang geschlossen geblieben.“ Die Sportplätze seien entsprechend voll. Zu koordinieren, dass alle Gruppen trotzdem Platz finden, sei anstrengend. Nichtsdestotrotz seien sowohl Ehrenamtliche als auch Aktive „heiß darauf“, Sport jetzt wieder in gewohnter Form anbieten bzw. ausüben zu können. „In unserem Verein spielt Geselligkeit eine große Rolle. Da lechzen die Leute jetzt geradezu danach.“ Den persönlichen Austausch könne einfach nichts ersetzen. „Da erzählt man sich auch mal was Privates. Dadurch weiß man, wie es den Leuten geht und wo man sie abholen muss“, sagt Bischoff. Dennoch kann der 46-Jährige einigen Entwicklungen, die die Pandemie in Gang ge- setzt hat, auch etwas Gutes abgewinnen. „Viele haben digitale Kompetenzen hinzugewonnen, von den wir auch in Zukunft profitieren werden“, glaubt er. Nicht mehr jede Sitzung des Vorstandes müsse künftig in Präsenz stattfinden. „Wenn die Tagesordnung klein ist, Über den Umgang der Ehrenamtlichen mit- kann man das auch künftig mal online abhalten.“ einander haben sich die, die bereits jetzt dem Vorstand angehören, und die, die neu Die Pandemie als Chance begreifen kandidieren, auch schon Gedanken ge- macht. „Wir wollen das Abteilungsdenken Genauso sieht es Kartrin Dunsch. Generell findet sie, aufbrechen und ein neues Wir-Gefühl im Verein schaf- man müsse „alles als Chance begreifen“. Beim TV fen. Dafür ist eine gute Mischung wichtig: in Sachen Al- OBEN Eschersheim hat man das getan: Der Verein hat sich ter, Vorerfahrung und Abteilungs-Zugehörigkeit.“ Aus Beim TV Eschersheim während der Pandemie moderner aufgestellt: Ein You- Fröhlichs Sicht außerdem wichtig: „Wer aufhören will, bereiten FSJler Tube-Kanal wurde aufgebaut, eine Facebook-Seite ein- egal ob generell oder jetzt nach der Pandemie, dem soll- Sebastian Maier (mit Maske) und gerichtet, Online-Kurse wurden angeboten und endlich ten wir gut zuhören: Warum kann oder will er nicht Übungsleiter Lucas mit dem geplanten Relaunch der Webseite begonnen. mehr? Gibt es vielleicht strukturelle Probleme?“ Kaufhold auf das „Viele Jüngere haben sich eingebracht. Sie kennen sich nächste Training vor. in diesem Bereich aus und und wurden durch die Not- Viktoria Baier denkt nicht ans Aufhören. Obwohl sie die wendigkeit, die für alle sichtbar war, auch nicht ausge- Rückschritte mancher Voltigierenden frustrieren, ob- bremst. Ich hoffe, dass wir einige von ihnen halten und wohl die Monate des Lockdowns anstrengend waren, MITTE vielleicht sogar für den Vorstand gewinnen können.“ weil die 23 Schulpferde des Vereins auch ohne Training Holger Bischoff ist versorgt und bewegt werden mussten, obwohl noch gleich in mehreren Wahlen stehen demnächst auch beim TSV Höchst an. immer die Ziele, die Wettkämpfe, fehlen, auf die man Positionen ehrenamtlich aktiv. Jens Fröhlich und eine ganze Reihe anderer Neuein- fokussiert hinarbeiten kann. Das jedoch hat auch ge- Manches hat ihn steiger werden sich dann dem Votum der Mitglieder wisse Vorteile. „Einige von uns haben die Zeit der Pan- während der stellen. „Schon vor der Pandemie war mir klar, dass es demie genutzt, einen Trainerschein zu machen oder Pandemie frustriert, große Fußstapfen sind, in die ich da treten will“, sagt die entsprechenden Vorbereitungskurse zu besuchen. doch jetzt nimmt er er über die mögliche Nachfolge von Horst Bitsch, der Die sind häufig am Wochenende. Sich diese frei zu hal- bei sich und anderen nicht nur Vorsitzender, sondern auch Bürgermeister ten, war jetzt leichter als normal“, berichtet sie. neuen Tatendrang der Odenwaldgemeinde ist. Kleiner sind die Herausfor- wahr. derungen nun nicht geworden. „Die Pandemie hat aber Es sind Geschichten wie diese, die optimistisch stimmen. auch gezeigt, dass gewisse Veränderungen im Verein Es sind Aussagen wie die von Jens Fröhlich, der von Trai- UNTEN notwendig sind“, sagt Fröhlich. Gerade die Kommuni- nern erzählt, die sogar das gelegentliche Gemecker der Jens Fröhlich will kation müsse verbessert werden. Mit seinen Mitstrei- Kinder vermisst hätten. Erzählungen über junge Traine- neuer Vorsitzender tern arbeitet er deshalb seit längerem an einer App für rinnen des TV Eschersheim, die während der „Bundes- des TSV Höchst werden. Die Pandemie den 1.100-Mitglieder-Verein. Einfach sei das durch die notbremse“ Schwebebalken und Matten aus der Halle habe gezeigt, wo Kontaktbeschränkungen nicht immer gewesen. „Durch schleppten, um Outdoor-Gerätturntraining für fünf Mäd- Verbesserungsbedarf die Verschiebung der Wahlen im vergangenen Jahr ist chen anbieten zu können. Es sind Planungen wie die des bestehe. die erste Euphorie verloren gegangen. Inzwischen sind TV Hausen, wo man das Jubiläum 2023 bereits in den wir aber wieder mit Schwung dabei“, erzählt er. Blick genommen hat. Isabell Boger S IH 1 2 / 19. 06.2 021
12 TITELTHEMA „EHRENAMT IN DER KRISE?“ Eine Frage der Perspektive Landessportbund und Landesehrenamtsagentur schließen erste Qualifikation „Freiwilligenmanagement – Fit für die Zukunft“ ab / Viele Impulse und positive Resonanz D as Ehrenamt steckt in der Krise: Lange bevor die Corona-Pandemie die hessischen Sportvereine in eine echte Krise stürzte, war dieser Satz im- mer wieder zu hören. Häufig war er verbunden mit Klagen: „Die Jungen engagieren sich nicht mehr.“ „Es bleibt alles an uns hängen.“ „Unser Amt als X ist schon seit Jahren verwaist.“ „Die wollen sich heute nicht mehr binden.“ „Wir finden einfach niemanden.“ Regelmäßig zeigen auch der Sportentwicklungsbericht und andere Studien: Die Sorge, in Zukunft nicht mehr genügend Ehrenamtliche zu finden, ist eine der größ- ten unter Vereinsverantwortlichen. Fest steht: Von alleine lösen wird sich das Problem nicht. „Und wir können auch kein Patentrezept heraus- geben nach dem Motto: Wenn ihr das und das tut, fin- hofft. Die wichtigsten det ihr wieder mehr Ehrenamtliche“, sagt Christian Werkzeuge, um das zu Kaufmann, Referent im Geschäftsbereich Schule, Bil- ändern, benannten die dung und Personalentwicklung. Was der Landessport- Referent/innen so: 1) bund Hessen aber tun könne, sei: Anregungen geben, genau hinsehen, 2) Möglichkeiten aufzeigen, eine Plattform zum Austausch sich fragen, wie der bieten. Gemeinsam mit der Landesehrenamtsagentur Verein und seine Amts- Hessen wurde mitten in der Pandemie deshalb ein träger von außen neues Qualifizierungsformat entwickelt: „Freiwilligen- wahrgenommen wer- management – Fit für die Zukunft“. den, 3) sich aus dem Blickwinkel der ande- Unter Anleitung von Karin Buchner (Freiwilligenzent- ren betrachten. rum Mittelhessen) und Frank Gerhold (Freiwilligenzent- rum Region Kassel) setzten sich die 19 Teilnehmerin- „Dieses Hinterfragen nen und Teilnehmer an drei Samstagen intensiv damit ist ein ganz wichtiger auseinander, wo genau die Probleme liegen, warum ein Punkt“, sagt auch Perspektivwechsel sinnvoll sein kann und wie die Rah- Christian Kaufmann, menbedingungen im eigenen Verein optimiert werden der die Ausbildung können. Corona-konform fand die Qualifizierung on- gemeinsam mit line statt. Vorträge und digitale Gruppenarbeiten Christel Presber von wechselten sich dabei ab, auch Hausaufgaben gab es der Landesehren- für die Teilnehmenden. amtsagentur orga- nisatorisch betreut Auf Krisenzeichen reagieren hat. „Wenn der Vor- sitzende 20.000 Viele von ihnen gehören selbst dem Vorstandsteam ei- Jobs und viel Wis- nes Vereines an und nickten wissend, als die „Krisen- sen exklusiv für sich hat, ist es wenig ver- zeichen“ vorgestellt wurden: Sinkende Bereitschaft, wunderlich, dass keine neue Person ihren Hut in den Vorstandspositionen zu übernehmen, veränderte Le- Ring wirft und sagt: Das mach ich mal eben!“ bensgewohnheiten der Mitglieder, Wahrnehmung des Vereins als Dienstleister, zunehmender Konkurrenz- Aufgaben analysieren druck durch andere Organisationen und Angebote. Eine Umfrage zeigte: Die Anstrengung, Neulinge für Ein Anfang, so lernten die Teilnehmenden, sei es des- Ämter zu begeistern, ist in fast allen Vereinen vorhan- halb, die vielfältigen Aufgaben, die in einem Verein den. Doch die Wirkung fällt meist schwächer aus als er- anfallen, zu analysieren und auch schriftlich festzuhal- S IH 1 2 / 19 .06 .20 21
TITELTHEMA „EHRENAMT IN DER KRISE?“ 13 ten, was genau zu tun ist. Daneben könne auch ver- nehmenden, sind zwei Verfahrensweisen denkbar: Aus- merkt werden, wie eine Aufgabe beschaffen ist: Fällt gangspunkt kann die Aufgabe sein (Wen suchen wir für sie kontinuierlich oder punktuell an? Wie hoch ist der Aufgabe X?) oder die grundsätzliche Frage: Wen hätten Zeitaufwand? Welche Kompetenzen oder Fähigkeiten wir im Verein gerne dabei? sind nötig, um sie zu erfüllen? Geht es ums Ausführen, Delegieren oder Kontrollieren? Motive identifizieren und ansprechen Ein solches internes Tätigkeitsprofil bildet die Grund- Doch jemanden dabei haben wollen und ihn auch für lage, um eine Person für das entsprechende Amt su- den Verein zu gewinnen: Das ist zweierlei. Wichtig sei chen zu können. „Es hilft, die mögliche Zielgruppe zu es deshalb, die Wünsche, Interessen und Erwartungen bestimmen und passgenaue Gewinnungsstrategien zu der noch nicht Engagierten in den Blick zu nehmen und entwickeln“, wie Frank Gerhold es ausdrückte. Und Botschaften zu identifizieren, mit denen man ihn oder häufig zeigt es auch: Die Fülle an Aufgaben, die der jet- sie gewinnen könnte. „Der Wunsch, etwas Gutes und zige Vorsitzende oder die aktuelle Schatzmeisterin Anerkanntes für die Gesellschaft zu tun, kann ein Motiv übernimmt, wird sich wohl keiner so schnell antun. In sein, die Umsetzung eigener Ideen oder – gerade für solchen Fällen sollten Vereine überlegen, ob Aufga- junge Leute – der Erwerb von Qualifikationen“, nannte benpakete neu geschnürt und damit auf mehrere Gerhold einige Beweggründe. Schultern verteilt werden können. Manch Älterer sucht im Ehrenamt nach einem Ausgleich In der Gruppe erarbeiteten die Teilnehmenden solche zum Beruf. So kann es sein, dass die Bankkauffrau eben Tätigkeitsprofile für Vorstandspositionen in ihrem Ver- gerade nicht Schatzmeisterin werden will – sondern lie- ein. Dabei wurden drei Dinge schnell klar: Jeder Verein ber Übungsleiterin im Präventionssportbereich. Andere tickt anders. Häufig fällt es selbst den Betroffenen möchten ihre beruflichen Kompetenzen gerne auch an schwer, alle Aufgaben aufzulisten. Und: Viele Vorsit- anderer Stelle einbringen. Der Handwerker im Ruhe- zende haben die Tendenz, alles selbst zu machen. stand hat vielleicht Freude daran, die Geräte und Lie- Selbst, wer gerade keinen Nachfolger sucht, kann mit- genschaften des Vereins in Schuss zu halten. Doch wie hilfe dieser Methode also herausfinden, wo er sich weiß man, welche Motive und Komptenzen die eige- selbst entlasten und Aufgaben delegieren kann. Nicht nen Mitglieder haben? Eine Umfrage oder Abfrage Titelthema immer muss der- oder diejenige, die diese Aufgaben im Mitgliedsantrag kann helfen. Und vor allem übernimmt, gleich ein Wahlamt annehmen. Das er- natürlich: der direkte Kontakt und Austausch. Ehrenamt leichtert zudem den Einstieg. in der Krise? Um Austausch und Kontakt ging es auch bei der Zielgruppe in den Blick nehmen Qualifizierung an sich. „Es ist gut zu sehen, dass die anderen ähnliche Probleme haben. Außerdem War das Konzept der Aufgabenprofile vielen Teilneh- hilft der Austausch über das, was bereits funktioniert menden zumindest theoretisch bekannt, konnten sie hat. Man muss das Rad ja nicht immer neu erfinden“, mit dem Begriff „Persona“ in der Mehrheit wenig an- bilanzierte ein Teilnehmer. Der Merksatz, dass der Kö- fangen. Dahinter steckt ein Konzept, das dabei helfen der dem Fisch schmecken müsse, war für eine andere soll, die Perspektive zu verändern: Vom suchenden Ver- Teilnehmerin die wichtigste Erkenntnis. „Wir haben zu ein hin zu potenziellen Mitarbeitenden. „Persona sind oft vom Verein aus gedacht“, sagt sie selbstkritisch. fiktive Personen, die stellvertretend für eine klar defi- nierte Gruppe stehen. Sie helfen uns dabei, Zielgrup- Karin Buchner griff diese Frage ganz am Ende ihres Vor- pen zu definieren und Anknüpfungspunkte für ein trags nochmal auf. So sei etwa die Botschaft „Wir sind mögliches Engagement zu finden“, erläuterte Referen- für euch da“ prinzipiell positiv. „Doch sie suggeriert tin Karin Buchner. auch, dass es „wir“ und „ihr“ im Verein gibt. Besser wäre es, die Gemeinschaft zu betonen – sonst darf man Die Entwicklung dieser Persona sei ein kreativer Prozess sich nicht wundern, dass der Verein als Dienstleister und funktioniere am besten in Teamarbeit. Vor dem gesehen wird.“ Die Grundidee des Vereins müsste in Start sei es hilfreich herauszuarbeiten, wie die Mit- diesem Fall wieder stärker herausgearbeitet werden. gliedsstruktur im Verein überhaupt aussieht – denn meistens werden aus ihrer Mitte heraus neue Ehrenamt- Wiederholung geplant liche gewonnen. Als Beispiel-Persona wählten die Teil- nehmenden die 45-jährige Sabine K. Welche Werte und Auch ohne vorgebrachtes Patentrezept fiel die Rück- Überzeugungen hat sie, welche Talente und Kompeten- meldung der Teilnehmenden sehr positiv aus. Ehren- zen bringt sie mit? Wie sieht ihr normaler Tagesablauf amtsmanagement wollen sie nun stärker als eigene aus – wo also könnte Zeit für ein Engagement sein? Wo- Aufgabe für den Verein begreifen. Interesse an weite- rüber bezieht sie Informationen und wie kommuniziert ren Fortbildungen zum Thema ist deshalb gegeben. sie – wie könnte man sie also ansprechen? Und vor al- „Wir prüfen daher, ob wir vertiefende Module anbieten lem: Was sind ihre „Touch Points“: Könnte sie also Lust und dann vielleicht ein Zertifikat Freiwilligenmanager/ haben, sich im Ehrenamt zu verwirklichen? Ist sie als in ausstellen können“, sagt Christian Kaufmann. Auch Mutter bereit, sich in einer Gruppe für Kinder einzubrin- Christel Presber freut sich, wie gut die Zusammenarbeit gen? Könnte sie als aktives Mitglied besonders „mitzie- mit dem Landessportbund bei dieser Pilotveranstaltung hen“, wenn sie von Leuten aus ihrer Gruppe gefragt gelaufen ist: „Eine Wiederholung kann ich mir sehr gut wird? Bei der Entwicklung der Persona, lernten die Teil- vorstellen.“ Isabell Boger S IH 1 2 / 19. 06.2 021
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