Ehrenamt in der Krise? - Landessportbund Hessen eV

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Ehrenamt in der Krise? - Landessportbund Hessen eV
Nr. 12 | 19. Juni 2021 | 75. Jahrgang

                                                    Ehrenamt in
                                                     der Krise?

Jubiläum
Vor 75 Jahren wurde der Landessportbund gegründet

Darlehen
Wie Mitgliederkredite Vereinsmaßnahmen finanzieren
Ehrenamt in der Krise? - Landessportbund Hessen eV
EDITORIAL

                                                     Editorial

                Liebe Sportfreundinnen und Sportfreunde,

                es geht endlich wieder los! Dank der sinkenden Inzi-
                denzwerte in ganz Hessen nimmt der Sportbetrieb
                Fahrt auf. Wer dieser Tage das schöne Sommerwetter
                für einen Spaziergang nutzt, der sieht gefüllte Sport-
                und Tennisplätze, Freibäder, an deren Rand Trainer An-
                weisungen geben, junge Leichtathletinnen, die in die
                Sandgrube springen, Alt-Herren-Teams, die sich be-
                seelt die Bälle zuspielen und Seniorinnen, die bei der
                Stuhlgymnastik im Freien die Beine schwingen.

                Das ist der Verdienst von uns allen, die wir uns in den    hat. Der Landessportbund und seine Bildungsakademie
                vergangenen Monaten eingeschränkt haben, um die            unterstützen das mit Fortbildungen, Beratungen und
                Corona-Pandemie auszubremsen. Es ist aber auch der         neuen Qualifizierungsformaten.
                Verdienst von den Zehntausenden Ehrenamtlichen, die
                unser Sportsystem über diese schwierige Phase hinweg       Die Freude am Sport ist es auch, die die Geschichte des
                aufrecht erhalten haben. Heut möchte ich all jenen         Landessportbundes zu einem Erfolg hat werden lassen.
                Danke sagen, die mit kleinen Aktionen, innovativen         75 Jahre wird unsere Dachorganisation dieser Tage alt.
                Konzepten und neuen Trainingsformen ihren Verein am        In zwei Texten blicken wir auf dieses Jubiläum und
                Laufen gehalten haben und jetzt den Neustart               stellen wieder fest: Tradition und Moderne, Stabilität
                organisieren.                                              und Zukunftsgewandtheit gehen beim Sport Hand in
                                                                           Hand.
                Ich kann verstehen, dass es für sie nicht immer einfach
                gewesen ist, motiviert zu bleiben: Es gab Rückschläge      Damit das so bleibt, sind unsere Vereine immer auf der
                zu verkraften, es war anstrengend, die immer neuen         Suche nach neuen Ideen. Das Mitgliederdarlehen der
                Regeln umzusetzen, es hat geschmerzt, Mitglieder ge-       TGS Walldorf, das wir in dieser Ausgabe vorstellen, ist
                hen zu sehen. Unser Titelthema und die Akteure, die        eine davon. Und auch der Schulsportwettbewerb, den
                darin zu Wort kommen, stimmen mich aber optimis-           der Landessportbund mit zahlreichen Fachverbänden
                tisch. Es ist toll zu sehen, dass die große Mehrheit der   gestartet hat, ist einer der Bausteine, die die Zukunft
                Engagierten die Freude an ihrer Aufgabe nicht verloren     des Sports sichern.

                                                                           Nun suchen Sie sich also am besten ein schattiges
                                                                           Plätzchen und genießen die Lektüre der druckfrischen
                                                                           „Sport in Hessen“. Viel Spaß dabei wünscht

                                                                           Ihre

                                                                           Dr. Susanne Lapp

SIH 1 2 / 1 9. 06. 2021
Ehrenamt in der Krise? - Landessportbund Hessen eV
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AKTUELLES                                                                                                                                     3

           Der Landessportbund
         Hessen e. V. ist 75 Jahre alt!
                          Am 1. Juni 1946 wurde im Volksbildungsheim Frankfurt von 27 Sportbegeisterten der
                                             Landessportverband Groß-Hessen gegründet

D
        ie Dachorganisation des Sports in Hessen, der      zept sah ein Konstrukt, in dem Sportbezirke und Fach-
        Landessportbund Hessen e. V. (lsb h), hat Ge-      verbände eine Einheit darstellen, vor. Die Idee sollte
        burtstag. Die mit zwei Millionen Mitgliedern       sich bewähren. Heute sind es 23 Sportkreise, 60 Sport-
        größte Personenvereinigung des Landes wurde        fachverbände und 14 Verbände und Organisationen
am Dienstag, dem 1. Juni 2021, 75 Jahre alt. „Das ist      mit besonderen Aufgaben, die die Struktur für die
ein Jubiläum, das wir voller Freude, stolz und selbstbe-   7.600 Sportvereine mit ihren zwei Millionen Mitglie-
wusst begehen“, so lsb h-Präsident Dr. Rolf Müller.        dern bilden. Die Sportkreise stellen dabei die regiona-
Voller Freude, weil es in einer immer schnelllebigeren     len Bindeglieder zwischen den Vereinen und beispiels-
Zeit nicht mehr selbstverständlich sei, dass eine Orga-    weise der Politik vor Ort oder im Kreis dar. Die
nisation nach siebeneinhalb Jahrzehnten noch erfolg-       Sportverbände wiederum haben die sportfachliche
reich bestehe. Stolz, weil Begriffe wie Vielfalt, Tole-    Kompetenz inne. Beides zusammen ergibt ein Gebilde
ranz, Demokratie und Miteinander nach wie vor die          mit großer Tiefenwirkung in Gesellschaft und Politik.
Werte des Sports prägen. Und selbstbewusst, „weil          Die Verankerung des Sports als Staatsziel in der Lan-
das, was der organisierte Sport leistet, für die Gesell-   desverfassung oder die Einbeziehung des Sports in die
schaft und die Menschen in unserem Land unverzicht-        Gremien gesellschaftsrelevanter Organisationen, bei-
bar geworden ist“, sagte Müller, der seit mittlerweile     spielsweise in den Rundfunkrat des Hessischen Rund-        OBEN
knapp 25 Jahren an der Spitze des Landessportbundes        funks, belegen das.                                        Dr. Rolf Müller steht
steht, in Frankfurt.                                                                                                  seit knapp 25 Jahren
                                                           „Dass wir uns heute trotz aller Erfolge nicht zurückleh-   als Präsident an der
                                                                                                                      Spitze des lsb h.
Gesundheitssport, Sport für und mit Älteren, Integra-      nen, liegt in der Natur des Sports. Wir engagieren uns
                                                                                                                      Foto: hr/Ben Knabe
tion und zunehmend mehr die Inklusion sind in diesem       aktuell mehr denn je in der Inklusion, der Integration
Zusammenhang Themenfelder, die heute zur „Alltags-         oder in vielen Bereichen, die mit dem demografischen
arbeit“ der 7.600 hessischen Sportvereinen                               Wandel zusammenhängen. Wir kämpfen
gehören. Dass Hessens Sportvereine darü-                                 für den Erhalt und die Schaffung adäqua-
ber hinaus zahlreiche international erfolg-                              ter und umweltverträglicher Sportstät-
reiche Spitzensportler/innen hervorge-                                   ten, wir qualifizieren unsere Mitglieder in
bracht haben und hervorbringen, rundet                                   vielen Belangen und wir sind zu diesen
das Bild ab. Zudem bestätigt es die Visionen                             und vielen Themen mehr im ständigen
der „Gründerväter“, die schon bald nach der                              Austausch mit der Landespolitik“, erläu-
bedingungslosen Kapitulation der Wehr-                                   terte Dr. Rolf Müller das Engagement des
macht am 8. Mai 1945 erste Überlegungen zu einem           Landessportbundes Hessen. Ein Austausch, dem ge-
„Neustart“ des Sports in Hessen anstellten.                rade in der Zeit der Corona-Pandemie besondere Be-
                                                           deutung zukomme. Der Erhalt des bewährten Sportsys-
Im Februar 1946 nahmen diese Pläne langsam Gestalt         tems und im Kontext die Hilfen für die Vereine bildeten
an. Auf einer Versammlung von Vereinsvertretern in         dabei wesentliche Punkte.
Wiesbaden wurde die Forderung nach einem Einheits-
sportverband für Hessen laut. Heinz Lindner, der spä-      Bei all dem dürfe der Sport als solcher natürlich nicht
tere Vorsitzende des Verbands, war damals maßgebli-        zu kurz kommen. Betty Heidler, Fabian Hambüchen,
cher Initiator eines Briefes an den Hessischen             Timo Boll, Alexander Wieczerzak und viele mehr: „Wir
Ministerpräsidenten Karl Geiler. In dem Brief wurde        sind stolz auf die Erfolge unserer Athletinnen und Ath-
das Gerüst eines landesweiten Sportverbands skizziert.     leten und tun alles, damit Hessen auch in Zukunft in
Als wesentliche Grundlagen – neben den rein sportli-       der Sportlandschaft weiter vorn bleibt“, so Müller.
chen Intentionen – wurden parteipolitische, rassische
und konfessionelle Neutralität sowie das Verbot militä-    Wer erfolgreich in die Zukunft blicken will, muss sich
ristischer Zielsetzungen genannt. Grundlagen, die bis      aber seiner Geschichte bewusst sein. Die wird der Lan-
heute Bestand haben.                                       dessportbund Hessen anlässlich des 75. Geburtstages
                                                           in einer Ausstellung, einer Broschüre, hier in der Zeit-
Am 1. Juni 1946 wurde in einer Versammlung im Volks-       schrift „Sport in Hessen“ sowie in den Sozialen Medien
bildungsheim Frankfurt schließlich der Landessport-        darstellen. Überlegungen zu einer größeren Jubilä-
verband Groß-Hessen, der heutige Landessportbund           umsveranstaltung wurden Corona-bedingt demgegen-
Hessen, gegründet. Bemerkenswert dabei: Das Kon-           über nicht weiter verfolgt.                Ralf Wächter

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Ehrenamt in der Krise? - Landessportbund Hessen eV
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                Viel mehr als „nur“ Sport
                 In den 75 Jahren seines Bestehens hat sich der organisierte Sport in Hessen mit seinen 7.600
               Vereinen und zwei Millionen Mitgliedern zu einem unverzichtbaren Teil der Gesellschaft entwickelt

    E
          in Ministerium des Innern und für Sport. Für        Und die Delegierten Heinz Lindner zum ersten Präsi-
          (sport-)politisch interessierte Zeitgenossen in     denten wählten. Aber das „und für Sport“ als explizite
          Hessen ist dieser Zusatz „und für Sport“ gewohn-    Minister-Aufgabe kommt nicht von ungefähr. Denn die
          ter Alltag, seit Ministerpräsident Volker Bouffier   organisierte Körperertüchtigung nimmt inzwischen ei-       OBEN
    das Amt des „Innen- und Sportministers“ ab 1999 für       nen wichtigen Stellenwert in unserer Gesellschaft ein.     Das klare Bekenntnis
    elf Jahre innehatte. Ein solches Angebot hätten Heinz     Sport ist mehr als nur Spitzen- und Leistungssport auf     des Sports zur
    Lindner, Heinrich Sorg und ihre Mitstreiter vor über 75   der einen sowie Breiten- und Freizeitsport auf der an-     Demokratie prangte
                                                                                                                         in großen Lettern
    Jahren aber mit großer Wahrscheinlichkeit abgelehnt,      deren Seite. Wobei neben dem Landessportbund die
                                                                                                                         auf dem Banner über
    als sie nach dem Ende der Nazi-Herrschaft und des         Sportjugend Hessen zu nennen ist, die gleichermaßen        dem Podium des
    Zweiten Weltkriegs versuchten, dem Sport in Hessen        engagiert wie erfolgreich im und für den organisierten     1. Ordentlichen
    wieder auf die Beine zu helfen und ihm neue organisa-     Sport in Hessen wirkt.                                     Verbandstags im Juli
    torische und vor allem unabhängige, demokratische                                                                    1947 in Mörfelden.
    Strukturen zu geben. Zu intensiv und nah waren die        Wechselwirkung Sport und Gesellschaft                      Foto: Archiv
    Folgen der zwölf Jahre des „Tausendjährigen Reiches“
    noch spürbar. Zu traumatisch die Erfahrungen der Ver-     In der nachfolgenden Betrachtung geht es um fünf
    nichtung des jüdischen Sports, der Zerschlagung des       große gesellschaftliche Bereiche, in denen der Sport
    Arbeitersports und der Gleichschaltung aller anderen      mehr bedeutet als Tore, Sekunden, Kilogramm und
    Sportverbände.                                            Zentimeter oder Sieger und Verlierer. Etwa als Mittel
                                                              zur Integration. Daneben als Maßnahme zur Inklusion.
    Deshalb galt es erst einmal, das Sporttreiben in den      Nicht zu vergessen als Komponente unseres Gesund-
    Ruinen wieder zu ermöglichen und zu organisieren, ei-     heitssystems. Zum Vierten als wichtiger Pfeiler unseres
    nen Spiel- und Wettkampfbetrieb zu installieren und       außerschulischen Bildungssystems. Und schließlich
    die bisherigen unterschiedlichen Organisationen unter     als politischer Mitspieler.
    einem Dach zu vereinen.
                                                              Alleine diese fünf Stichworte zeigen eine Entwicklung
    Die Rahmenbedingungen dazu waren auch im ausge-           auf, die sich die Männer (und später dazu gestoßenen
    zehrten und zerstörten sowie politisch neugebildeten      Frauen) der ersten Stunde kaum hätten vorstellen
    Hessenland alles andere als ideal. „Sport first!“ So       können.
    würde im neudeutschen Sprachgebrauch vielleicht das
    Motto geheißen haben, als vor 75 Jahren, am 1. Juni       Die zwei Millionen Mitglieder in 7.600 Vereinen, 23
    1946, der Landessportbund (damals noch Landessport-       Sportkreisen, 60 Sportverbänden und 14 Verbänden
    verband) Groß-Hessen in Frankfurt gegründet wurde.        und Organisationen mit besonderen Aufgaben im Lan-

                                                                                                                            S I H 1 2 / 1 9. 06. 2021
Ehrenamt in der Krise? - Landessportbund Hessen eV
75 JAHRE LANDESSPORTBUND HESSEN                                                                                                                5

dessportbund (lsb h) werden alles daran setzen, diese
Entwicklung fortzusetzen.

Referat Vielfalt

Integration durch Sport, das ist ohne Zweifel eine Er-
folgsgeschichte für den Landessportbund. Und vor al-
lem für die Sportjugend. Schon früh hatten sich die
beiden Organisationen überlegt, was die Zielgruppe
dieses Engagements sein sollte. „Das sind nun einmal
die Kinder und Jugendlichen“, blickt Frank Eser, der
Landeskoordinator für „Integration durch Sport“,
zurück.

Bereits seit 1970 gibt es in Hessen Initiativen der inte-
grativen Arbeit im Sport mit den damaligen „Gastarbei-
tern“. Richtig los ging es 1989, als das Programm
„Sport für Alle“ vornehmlich auf osteuropäische Aus-
siedler zielte. „Das wurde dann auch bundesweit ange-
boten“, sagt Eser. Elf Jahre später, zur Jahrtausend-
wende, wurde das Programm ausgeweitet auf Menschen
mit Migrationshintergrund. 2002 folgte ein Grundsatz-
programm „Integration durch Sport“ für die sich immer       des (HBRS), des Hessischen Gehörlosen Sportverban-
mehr ausdifferenzierende Arbeit vor Ort. Basierend auf      des (HGSV), der Special Olympics Hessen (SOH) und
diesen Erfahrungen erfuhren die Aktivitäten eine Er-        der Sportjugend einluden. Lsb h und HBRS sollten sich
weiterung für sozial Benachteiligte. „Für Menschen am       in der Folge als treibende Kräfte erweisen.               OBEN
Rande der Vereine und der Gesellschaft“, wie es der                                                                   „Inklusion“ ist eines
Landeskoordinator formuliert.                               Die Hauptaufgaben sieht Sonnenberg darin, in die Ver-     der Felder, in dem der
                                                            eine hineinzugehen, zu deren Unterstützung Netz-          lsb h im gesamtge-
                                                                                                                      sellschaftlichen
2015 stellte das Programm „Sport für Flüchtlinge“ den       werke aufzubauen und Übungsleiter zu schulen. Ganz
                                                                                                                      Kontext arbeitet.
Start einer neuen Etappe dar. Die vielen Ansätze veran-     wichtig sei die Kommunikation mit den Vereinen. Beim      Foto: lsb h
lassen die Verantwortlichen, von einem „Referat Viel-       jüngsten Kind des lsb h verwundert es nicht, dass auch
falt“ zu sprechen. So gibt es 16 Integrationskoordina-      im Blick auf neue Formate und soziale Medien eine Vor-
toren, die sich um 340 Sport-Coaches und 240 Vereine        reiterrolle eingenommen wird.
in 202 Kommunen kümmern. Dazu noch fünf Modell-
Landkreise. Das alles sei nicht möglich ohne die Unter-     Prävention und Nachsorge
stützung des Innenministeriums, will Eser hervorgeho-
ben wissen. Doch bei alldem darf eine „Schlüsselperson“     Die Bedeutung des Sports für die Gesundheit als
nicht unter den Tisch fallen: der Übungsleiter vor Ort.     Schwerpunkt der Aktivitäten des Landessportbundes
Egal für welches Programm geworben wird, die Mund-          hat eine vergleichsweise lange Geschichte. Ältere Zeit-
Propaganda der Übungsleiterinnen und Übungsleiter           genossen werden sich noch an die 70er Jahre und die
ebnet in der Regel den Weg in die Sportvereine.             Symbolfigur „Trimmy“ erinnern, an die Kampagne des
                                                            Trimm-Trabs und der Familiensportfeste. „Trimming
Sport und Inklusion jetzt fest verankert                    130 – Bewegung ist die beste Medizin“ war ein Slogan
                                                            aus den 80er Jahren. Inzwischen sind der Landessport-
Das Referat „Sport und Inklusion“ im Geschäftsfeld          bund und mit ihm seine Fachverbände und Vereine
Sportentwicklung blickt noch auf seine ersten Gehver-       vielfältig tätig. Diese Vielfalt wird durch das Landes-
suche. 2016 mit der Einstellung von William Sonnen-         programm „Sportland Hessen bewegt“ gefördert. Vor
berg ins Leben gerufen, ist das Thema seit dem 1. Sep-      allem die Zielgruppe der Älteren wird hier verstärkt in
tember 2020 im Sportbund fest integriert. „Wir sind         den Blick genommen.
jetzt fest verankert“, freut sich Sonnenberg, dass das
Thema in die Aufgabenpalette des Dachverbands des           Unter dem Stichwort „Gesundheit“ muss aber auch das
organisierten Sports in Hessen aufgenommen worden           Deutsche Sportabzeichen erwähnt werden. Schließlich
ist.                                                        firmiert dieses in seiner über 100 Jahre währenden (Er-
                                                            folgs-)Geschichte auch als „Fitnessorden“.
Die Ursprünge resultieren in der UN-Behinderten-
rechtskonvention mit dem „Leitbild Inklusion“ von           Lebenslanges Lernen
2008. Die Bundesregierung entschied damals, dass die
praktische Umsetzung Ländersache sei. In Hessen bil-        Wie groß der Stellenwert der Bildung im organisierten
deten das Ministerium des Innern und für Sport sowie        Sport in Hessen ist, das unterstreicht die Bildungsaka-
das Sozialministerium eine „AG Inklusion und Sport“,        demie des lsb h, die schon 1983 (als Bildungswerk) ge-
in die sie Vertreter des Landessportbundes, des Hessi-      gründet wurde. Den Anspruch der Bildungsakademie
schen Behinderten- und Rehabilitations-Sportverban-         verdeutlichte Sabine Roth bei ihrem Abschied nach

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Ehrenamt in der Krise? - Landessportbund Hessen eV
6                                                                                                    75 JAHRE LANDESSPORTBUND HESSEN

    34 Jahren als Geschäftsführerin. Das Ziel der Akademie
    sei es, „Bildung im Sport mit Freude und Überzeugung
    als Beitrag zum lebenslangen Lernen zu vermitteln“.
    Die Bildungsakademie „ist Ihr Partner in allen Bil-
    dungsfragen des Sports“, heißt es im Selbstverständ-
    nis der Untergliederung. Jährlich werden mehr als 800
    Weiterbildungskurse angeboten, wozu 500 professio-
    nell ausgebildete Kursleiterinnen und Kursleiter zur
    Verfügung stehen. Nach den Statistiken der Bildungs-
    akademie haben „mehr als 500.000 teilnehmende Bür-
    gerinnen und Bürger in Hessen“ bislang das Angebot
    wahrgenommen. Müßig zu erwähnen, dass die Bil-
    dungsakademie auch Bildungsurlaub anbietet.

    Politischer Mitspieler

    Bei der Volksabstimmung von 2018 wurden unter an-
    derem der Sport und das Ehrenamt als Staatsziele in
    die hessische Verfassung aufgenommen, was vom Lan-
    dessportbund als „einer der großen Erfolge der jünge-
    ren Vergangenheit“ gefeiert wird. Wobei die Nagel-
    probe immer wieder zu erbringen ist. Etwa bei der
    Frage, ob dieser Verfassungsauftrag auch handlungs-
    leitend für die politisch Handelnden und Entscheiden-
    den ist. Vor allem auf kommunaler Ebene, wenn Stich-       Bund, Land und Kommunen aktiv wurden. Jetzt wer-
    worte wie Schuldenbremse oder Schutzschirm                 den schon länger Stimmen laut, mit einem neuen „Gol-
    vielerorts die Diskussion mitbestimmen und immer           denen Plan“ für eine längst fällige und notwendige Re-
    noch ein Schwimmbad nach dem anderen geschlossen           novierung und Modernisierung vieler Sportstätten in
    wird.                                                      Hessen zu sorgen. Vor allem, da die Anforderungen
                                                               deutlich gestiegen sind. Sportstätten sollen genauso
    Ein neues Feld ist die Förderung der Digitalisierung des   flexibel nutzbar wie barrierefrei und ökologisch ge-
    Ehrenamts in den Sportvereinen, Sportkreisen und           prägt sein. Dabei muss erwähnt werden, dass der lsb h
    Fachverbänden. Hier besteht ein enger Kontakt des          längst kompetenter Partner, Berater und Förderer der
    Sportbundes mit dem neu eingerichteten Hessischen          Vereine bei sportlichen Infrastrukturmaßnahmen ist,      OBEN
    Ministerium für Digitale Strategie und Entwicklung.        beispielsweise durch die Messe „sportinfra“, die im      Beratung und
    Aber auch die Sportorganisation tut das Ihre, um die       vergangenen Jahr ihre achte Auflage und dabei ihre        Unterstützung der
    Zusammenarbeit mit den politischen Strukturen zu er-       Online-Premiere erlebte. Das wird unter den immer        Vereine im Bereich
                                                                                                                        Sport und Umwelt
    leichtern. So sind inzwischen alle hessischen Sport-       dringlicher werdenden Vorgaben durch die Klimakrise
                                                                                                                        ordnet sich ebenfalls
    kreise den geografischen Grenzen der Landkreise an-         nur noch bedeutsamer.                                    in die Aufgaben des
    gepasst worden.                                                                                                     Landessportbundes
                                                               Corona und der Sport in Hessen                           Hessen ein. Unser Bild
    Mit viel Engagement werden Initiativen voran getrie-                                                                zeigt eine Szene der
    ben, die sich gegen Diskriminierung, Antisemitismus        Wichtiger Partner seiner Vereine ist der Landessport-    Messe „sportinfra“.
    und Rassismus im Sport wenden. Akteurin ist hier vor       bund auch in der aktuellen, durch die Corona-Krise ge-   Foto: lsb h
    allem die Sportjugend Hessen. Bei vielen Sportlerin-       prägten Situation. Die seit mehr als einem Jahr andau-
    nen und Sportlern stoßen die Initiatoren dabei auf         ernde Pandemie stellte und stellt die Sportvereine vor
    große Zustimmung.                                          große Herausforderungen. Mit kreativen Ansätzen wie
                                                               digitalen Trainingsstunden bieten die Vereine ihren
    Sport und Umwelt                                           Mitgliedern in dieser Zeit Möglichkeiten zum „Sport im
                                                               Wohnzimmer“ an und versuchen so, Austritte zu ver-
    Auf dem Feld der Sportinfrastruktur ist der Lan-           hindern und Strukturen zu erhalten. Der lsb h unter-
    dessportbund ein ganz wichtiger (Mit-)Gestalter. Denn      stützt dabei mit Ideen, Tipps und Hinweisen.
    bei der Gestaltung des urbanen wie des ländlichen
    Raums für Freizeit und Sportbetätigung kann es keinen      Trotzdem haben die Vereine insgesamt 69.000 Mitglie-
    kompetenteren Partner geben. Schließlich verfügt der       der verloren; 63 Prozent davon – das wies die jüngste
    organisierte Sport seit über 200 Jahren sowohl in Sa-      lsb h-Bestandserhebung aus – im Bereich der Kinder
    chen Sportstätten als auch zu den Bedürfnissen der         und Jugendlichen. Gemeinsam mit der Hessischen
    Sport treibenden Bevölkerung über umfassende Kennt-        Landesregierung wendet der Landessportbund alle
    nisse. Schon 1960 gab es den „Goldenen Plan“ der           Energie zum Erhalt des bewährten Sportsystems in
    Deutschen Olympischen Gesellschaft. Ziel war es, bun-      Hessen auf. Denn ohne den Sport mit seinen vielfälti-
    desweit für adäquate Sportstätten für die stetig größer    gen Ausprägungsmerkmalen ist eine Gesellschaft wie
    werdende Zahl von Sporttreibenden zu sorgen. Das           wir sie kennen, nicht vorstellbar.
    mündete 1965 in den „Großen Hessenplan“, bei dem                                                     Albert Mehl

                                                                                                                          S IH 1 2 / 19 .06 .20 21
Ehrenamt in der Krise? - Landessportbund Hessen eV
TITELTHEMA „EHRENAMT IN DER KRISE?“                                                                                                                7

                               Die Pandemie und
                                 das Ehrenamt
                          Noch ist schwer absehbar, wie Corona das ehrenamtliche Engagement verändern wird

W
           ie hoch ihre Zahl ist, lässt sich nur schätzen.
           Trotzdem bedarf es keinem Beweis: Ohne Eh-
           renamtliche wäre die hessische Vereinsland-
           schaft nicht die, die sie ist. Wie klein oder groß
ein Sportverein auch ist, wo immer er seinen Sitz hat:
Überall gibt es Menschen, die sich freiwillig engagieren.
Die Vorstandsämter haben folgende Aufgaben zu über-
nehmen, als Trainerin oder Übungsleiter im Einsatz sind,
den Sportabzeichen-Treff organisieren, die Webseite pfle-
gen, Kuchen für Veranstaltungen backen, die Mitglieder-
daten verwalten, den Rasen mähen, Flyer erstellen.

Weil viele von ihnen unentgeltlich ihren Einsatz erbrin-
gen, werden zumindest die, die kein Wahlamt ausüben
oder eine Lizenz besitzen, statistisch kaum erfasst.
„Wären sie nicht da, würde unsere Gesellschaft das
aber bitter spüren. Denn Ehrenamtliche sind die Seele
unserer Sportvereine – und ihre größten Stützen“,               als eine der entscheidenden Kernaufgaben während
sagt Landessportbund-Präsident Dr. Rolf Müller.                 der Corona-Krise. Auch gegenüber dem Landessport-           OBEN
                                                                bund Hessen wird die Sorge, Ehrenamtliche zu verlie-        Wie sich die
Häufig musste in den Vereinen gar nicht mehr darüber             ren, häufig geäußert. Für Jochen Roose, Engagement-          Corona-Pandemie
gesprochen werden, wer wann welche Aufgaben über-               Forscher bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, steht auf        auf das ehrenamtli-
                                                                                                                            che Engagement in
nimmt. Vieles war eingespielt. Dann kam Corona. Die             jeden Fall fest, „dass mögliche Abgänge zunächst ein-
                                                                                                                            Hessens Sportverei-
Pandemie hat das Sportsystem vor die größte Heraus-             mal nicht durch neue Helferinnen und Helfer, die man        nen auswirkt, lässt
forderung seit dem Zweiten Weltkrieg gestellt. Lock-            unter normalen Umständen in den vergangenen Mona-           sich noch nicht
downs und Lockerungen haben das ehrenamtliche En-               ten gewonnen hätte, kompensiert werden können“.             vollständig absehen.
gagement verändert: digitale Formate gewannen an                                                                            Warten die
Bedeutung, manches konnte einfach nicht stattfinden,             Altbekannte Herausforderungen                               Ehrenamtlichen nur
neue Aufgaben wie die Erstellung und Umsetzung von                                                                          darauf, wieder
                                                                                                                            loslegen zu können?
Hygienekonzepten kamen hinzu.                                   Doch Ehrenamtliche zu gewinnen und zu halten – das          Haben sich
                                                                war schon vor der Pandemie eine zentrale Herausfor-         Engagierte von den
Zwischen Optimismus und Sorge                                   derung für Vereine – und ein Grund dafür, warum der         Vereinen losgesagt?
                                                                Landessportbund und die Landesehrenamtsagentur              Und wird es
Was das mit den Ehrenamtlichen gemacht hat, lässt               eine neue Qualifizierung im Bereich Freiwilligenmana-        gelingen, neue
sich heute noch nicht endgültig absehen. Hat man En-            gement entwickelt haben. Während der Pandemie fand          Aktivposten zu
                                                                                                                            gewinnen?
gagierte verloren, die sich von der neuen Technik über-         die Pilotveranstaltung statt – und lieferte zahlreiche
                                                                                                                            Bild: pexels /
fordert fühlten? Konnte man junge Ehrenamtliche ge-             Impulse und Denkanstöße (siehe S. 12/13).                   cottonbro
winnen, weil sie innovative Ideen umsetzen konnten
und dabei nicht gebremst wurden? Kommen alle Helfer             Auf unserem Instagram-Kanal (www.instagram.com/
zurück? Oder bleiben diejenigen, die vor Corona schon           lsb_hessen) wollten wir kürzlich, als Lockerungen be-
nur noch halbherzig dabei waren, endgültig weg? Die             reis in Kraft getreten waren, von den Nutzern wissen,
Soziologin Dr. Karin Stiehr blickt eher positiv in die Zu-      wie es um ihre ehrenamtliche Motivation steht. Es            Titelthema
kunft. „Wir alle sind nach dieser langen Phase der Ein-         waren vor allem jüngere Leute, die sich an der Um-
schränkung erpicht darauf, endlich wieder unter Leute           frage beteiligten. Am Nullpunkt war die Motivation          Ehrenamt
zu kommen, aktiv zu sein und Neues zu erleben“, sagt            bei den wenigsten von ihnen. Deutlich mehr gaben          in der Krise?
sie im Interview auf Seite 8/9.                                 an, zu 100 Prozent motiviert zu sein. Bei zwei der
                                                                mittelmäßig motivierten haben wir anschließend
Eine Umfrage der Think-Tanks Zivilgesellschaft in Zah-          nachgefragt (siehe S. 10/11). Wie auch im Gespräch
len (ZiviZ) zeigt jedoch, dass viele Verantwortliche ge-        mit weiteren Engagierten zeigte sich: Es gibt Dinge,
meinnütziger Organisationen sich Sorgen machen:                 die frustrieren. Aber es siegt meist die Lust, endlich
70 Prozent nennen die Bindung (neuer) Engagierter               wieder loszulegen.                        Isabell Boger

S IH 1 2 / 19. 06.2 021
Ehrenamt in der Krise? - Landessportbund Hessen eV
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      Von Sehnsüchten, leeren
    Akkus und der Lust auf Neues
                         Die Soziologin Dr. Karin Stiehr spricht im Interview über die Probleme und Chancen
                                bei der (Rück-)Gewinnung von Ehrenamtlichen nach dem Lockdown

    D
           roht den hessischen Vereinen nach dem Mitglie-
           derrückgang auch ein Verlust an Ehrenamtli-
           chen? Wir haben mit der Soziologin und Wissen-
           schaftlerin Dr. Karin Stiehr darüber gesprochen,
    warum das nicht unbedingt der Fall sein muss, welcher
    Umgang mit Engagierten während der Pandemie der
    richtige war und wie sich Ehrenamt verändern wird.

    Frau Dr. Stiehr, viele Vereine befürchten, dass einige
    Ehrenamtliche nach der Pandemie nicht mehr zurück-
    kehren. Ist das aus Ihrer Sicht eine berechtigte Sorge?

    Das kommt darauf an, wie die Vorstandsteams während
    der Pandemie agiert haben. Es gibt viele Vereine, die
    den Kontakt zu ihren Engagierten aufrechterhalten ha-
    ben. Manche haben regelmäßig Newsletter verschickt,
    andere Treffen organisiert – zum Beispiel ein digitales
    Kaffeetrinken mit Gesprächen zu wechselnden Themen           lingt es, sie nach einer langen Pause für eine Fortset-
    –, wieder andere sind telefonisch in Kontakt geblieben,      zung des Engagements zu gewinnen?                            OBEN
    haben vielleicht zu Weihnachten eine kleine Aufmerk-                                                                      Wenn Vereine trotz
    samkeit geschickt. Damit haben sie schon mal Vieles          Eine englische Studie ist vor einigen Jahren der Frage       Pandemie und
    richtig gemacht, weil sie wertschätzend waren und ge-        nachgegangen, warum sich viele Menschen nicht eh-            Kontaktbeschrän-
                                                                                                                              kungen mit ihren
    zeigt haben: Ihr seid uns wichtig – auch, wenn ihr ge-       renamtlich engagieren. Die überwiegende Mehrheit
                                                                                                                              Ehrenamtlichen in
    rade nicht aktiv seid. Noch besser dürfte die Situation      hatte eine auf den ersten Blick vielleicht überraschende     Verbindung
    sein, wenn es praktische Engagement-Angebote gab.            Antwort: Sie sagten, sie seien nicht gefragt worden. Für     geblieben sind,
                                                                 Sportvereine heißt das, dass sie nach der Unterbre-          wenn auf digitalem
    Was genau meinen Sie damit?                                  chung wieder auf ihre Ehrenamtlichen zugehen müs-            Wege gemeinsames
                                                                 sen. Dabei ist es wichtig, Leute auf konkrete Aufgaben       Engagement
    Bei meinen Recherchen bin ich auf verschiedene Bei-          anzusprechen. Übungsleitende sollten beispielsweise          vorangetrieben
                                                                                                                              wurde, sagt die
    spiele gestoßen, bei denen die Ehrenamtlichen eines          gefragt werden, ob sie ihr Angebot auch unter verän-         Soziologin Dr. Karin
    Vereins auch während der Pandemie Gemeinschaftspro-          derten Bedingungen wieder starten würden – zum Bei-          Stiehr, muss der
    jekte angegangen sind. Oft ging es darum, die Bedürf-        spiel outdoor. Sie sind aber nur eine Gruppe von vielen.     Kontakt jetzt nicht
    nisse der Vereinsmitglieder zu stillen. Da wurden Ein-       Auch die, die sonst vielleicht eher bei Veranstaltungen      erst mühevoll wieder
    kaufshilfen für hochaltrige oder chronisch kranke            angepackt haben, kann man fragen, ob sie bei einer           aufgebaut werden.
    Mitglieder organisiert, für die eine Virusinfektion beson-   anderen Sache helfen würden. Das können ganz prakti-         Collage: Boger
    ders große Risiken birgt, digitale Arbeitsgruppen ge-        sche Aufgaben sein, etwa das Streichen des Clubhauses
    gründet, um Bewegungsaufgaben für die Mitglieder zu          oder die Erstellung eines Wiedereinstiegs-Flyers. Dabei
    entwickeln, Telefonketten organisiert oder ein Sorgente-     muss natürlich berücksichtigt werden, was dem oder
    lefon für Mitglieder eingerichtet, die unter den Kontakt-    der Einzelnen Freude bereitet. Ehrenamtliche haben
    beschränkungen litten. Dass sich das Engagement auch         viele Talente. Beim Umgang mit ihnen sollte man
                                                                                                                               Titelthema
    auf Außenstehende richten kann, zeigt das Beispiel ei-       aber nie vergessen: Ehrenamtliche Arbeit ist immer
    nes Rollatoren-Walking-Teams, dessen Mitglieder in der       ein Geschenk, keine Selbstverständlichkeit.                  Ehrenamt
    Adventszeit mehr als 200 Weihnachtspäckchen gepackt
    und an die Bewohnerinnen und Bewohner einer Pflege-           Gibt es Aspekte, die dafür sprechen, dass Menschen         in der Krise?
    einrichtung verteilt haben. Solche Aktionen haben zu-        jetzt sogar motiviert sind, sich zu engagieren?
    sammengeschweißt! Wer den Kontakt aufrechterhalten
    hat, muss ihn jetzt nicht wieder mühevoll aufbauen.          Das ist psychologisch naheliegend. Wir alle sind nach
                                                                 dieser langen Phase der Einschränkung erpicht darauf,
    Nicht in allen Vereinen ist das erfolgt, und nicht im-       endlich wieder unter Leute zu kommen, aktiv zu sein
    mer waren alle Ehrenamtlichen eingebunden. Wie ge-           und Neues zu erleben. Tatsächlich ist im Moment ein gu-

                                                                                                                               S IH 1 2 / 19 .06 .20 21
Ehrenamt in der Krise? - Landessportbund Hessen eV
TITELTHEMA „EHRENAMT IN DER KRISE?“                                                                                                                  9

ter Zeitpunkt, Ehrenamtliche (zurück) zu gewinnen. Ich       nacharbeiten – angefangen bei der Anschaffung einer
könnte mir auch vorstellen, dass es sinnvoll sein kann,      Online-Konferenz-Software über die digitale Mitglieder-
gerade Eltern gezielt anzusprechen. Sie wissen von ih-       verwaltung bis hin zur Auffrischung des Auftritts in den
ren eigenen Kindern, wie sehr sie in der Pandemie gelit-     Sozialen Medien.
ten haben. Nun sind sie vielleicht bereit, sich einzubrin-
gen, um hier einen Kontrapunkt zu setzen. Wichtig ist        Ehrenamtliche finden und binden war bereits vor der
generell, dass man nicht zu lange wartet mit dem An-         Pandemie ein großes Thema. Gibt es wissenschaftliche
sprechen. Gerade läuft ja alles wieder an. Auch andere       Erkenntnisse dazu, wie das am besten gelingt?
Vereine und Institutionen bauen ihre Arbeit wieder auf
und konkurrieren um das Engagement der Menschen.             Ein Patentrezept gibt es nicht, nur die Leitlinie, dass die
                                                             Interessen und Talente jedes und jeder Einzelnen ange-
Das klingt recht optimistisch. Sehen Sie nicht die Ge-       sprochen und ihnen ein zufriedenstellendes Aktionsfeld
fahr, dass Ehrenamtliche verloren gehen, weil sie die        geboten wird. Und natürlich sind Anerkennung und
Freiheit erschmeckt haben, die daraus resultiert, nicht      Wertschätzung wichtig. In unserer schnelllebigen Zeit
mehr an zwei Abenden pro Woche verplant zu sein?             verbringen wir nicht mehr unser ganzes Leben an einem
                                                             Ort und in ein oder zwei Vereinen. Wir sind mobiler ge-
Natürlich wird es auch diese Fälle geben. Der Sportwis-      worden, und viele Angebote konkurrieren um unsere
senschaftler Christoph Breuer hat einmal gesagt: „Der        Zeit. Andererseits brauchen wir auch heute noch die Ein-
Treue-Akku von Ehrenamtlichen ist größer und länger          bindung in die Gemeinschaft. Sport bleibt ein interes-
haltend als der von Mitgliedern.“ Aber natürlich verliert    santes und niedrigschwelliges Angebot, wenn ich an ei-        OBEN
auch dieser Treue-Akku an Leistung, je länger die Ein-       nen neuen Ort gezogen bin. Hier können Sportvereine           Dr. Karin Stiehr ist
schränkungen anhalten. Wenn man auf ehemals Enga-            punkten, die eine freundliche Willkommenskultur pfle-          Geschäftsführerin des
gierte trifft, deren Akku leer ist, sollte man aus meiner    gen und Interessenten nicht gleich nach dem Motto             Instituts für Soziale
                                                                                                                           Infrastruktur in
Sicht das Gespräch suchen und darlegen, warum ihr En-        „Wer den kleinen Finger reicht, dem nimmt man die
                                                                                                                           Frankfurt. Die
gagement wichtig ist und warum man ihn bzw. sie in die-      ganze Hand“ verschrecken. Vor 30 Jahren, zu Beginn            Sozialwissenschaftle-
ser Position schätzt. Zu sehr zu einer Rückkehr drängen      der Debatte um das „neue“ Ehrenamt, das nicht mehr            rin untersucht dort
sollte man aber nicht. Wir dürfen nicht vergessen: Hinter    für Gotteslohn ausgeübt wird, war die Frage, wie man          Strukturprozesse und
uns allen liegt eine schwierige Zeit. Manche haben Fami-     Engagierte gewinnt und hält, auch Gegenstand wissen-          koordiniert regionale,
lienmitglieder, die erkrankt oder vielleicht sogar gestor-   schaftlicher Studien. Inzwischen liegt das Thema in der       bundesweite und
ben sind, andere fühlen sich nach einer Mehrfachbelas-       Hand von Praktikerinnen und Praktikern. Es gibt zahlrei-      europäische
                                                                                                                           Sozialforschungs- und
tung kraftlos. Ältere Ehrenamtliche könnten durch einen      che Leitfäden und Bildungsangebote. Grundsätzlich             Sozialpolitikprojekte.
schlechteren Gesundheitszustand zu Einschränkungen           geht es darum, Interessierte anzusprechen, den Einstieg       Die Themen
gezwungen sein oder – ganz im Gegenteil – entdeckt ha-       zu gestalten, die Arbeit kontinuierlich zu begleiten und      Zivilgesellschaft,
ben, dass es auch ein Leben jenseits des Ehrenamts gibt.     einen Ausstieg ohne schlechtes Gewissen zu ermögli-           demografischer
Wer auf eine solche Person trifft, sollte Verständnis ha-    chen. Im sozialen Bereich werden für diese Funktion im-       Wandel und
ben. Manchmal hilft es, eine Pause zu vereinbaren und        mer häufiger Freiwilligenkoordinierende eingesetzt.            Freiwilligendienste
                                                                                                                           gehören dabei zu
einen festen Termin, an dem man sich nochmal aus-
                                                                                                                           ihren Schwerpunkten.
tauscht. Gut ist es auch, andere, vielleicht weniger zeit-   Können wir in Sachen Engagement auch etwas aus der            In ihrer Position berät
aufwändige Optionen des Engagements vorzustellen.            Pandemie lernen?                                              sie auch die
                                                                                                                           Landesregierungen
Muss generell auch über neue Formen des Engage-              Eine wichtige Lektion bestand sicherlich darin, die Be-       von Hessen und
ments nachgedacht werden?                                    deutung der Digitalisierung zu erkennen und sie für den       Nordrhein-Westfalen.
                                                             eigenen Verein voranzutreiben. Andererseits sollte man
Unbedingt, denn die Pandemie hat uns alle verändert.         sie für die konkrete Arbeit der Ehrenamtlichen nicht
Ich glaube, dass Online-Sportangebote nicht nur eine         überbewerten. Zwar werden digitale Medien nach Daten
Notlösung waren. Sie haben einige Vorteile, z. B. die        der Freiwilligensurveys 2014 und 2019 von der Mehrheit
Ortsunabhängigkeit bei Livestreaming-Formaten. Bei           der Freiwilligen auch genutzt, aber nur 2,6 Prozent der
Online-Tutorials kommt die zeitliche Unabhängigkeit          Befragten waren ausschließlich im Internet aktiv. Übri-
dazu. Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Mitglieder    gens ist der Anteil am Engagement vor Ort ausgerechnet
das auch künftig als attraktiv erachten. Vereine sollten     bei Teenagern am größten, wie eine Sekundärauswer-
deshalb gemeinsam mit ihren Engagierten darüber              tung der Daten durch den Blogger Hannes Jähnert
nachdenken, welche Online- oder Hybridformate auch           zeigte. Eine andere wichtige Beobachtung, aus der man
nach der Pandemie umgesetzt werden können und was            lernen kann, war, dass es noch immer viele Menschen
dafür an Know-how und Ausstattung erforderlich ist.          gibt, die sich für die Gemeinschaft einsetzen. Nachbar-
Wer digital unterwegs ist, erweitert ja auch seinen Kreis    schaftshilfen erlebten eine Blütezeit. Eine repräsentative
der potenziell Engagierten. Wenn die Mitgliederverwal-       Umfrage der Fachhochschule Münster zeigte, dass wäh-
tung digital erfolgt, kann diese Aufgabe auch ein Mit-       rend der Corona-Pandemie zwei Drittel der Menschen
glied übernehmen, das unter der Woche woanders arbei-        bereit waren, sich für ihre Nachbarn zu engagieren. Vor
tet. An hybriden Jugendsitzungen können auch junge           der Pandemie war es nur ein Drittel. Manche Sportver-
Menschen teilnehmen, die in einer anderen Stadt stu-         eine haben bereits begonnen, sich über Sport- und Be-
dieren. Und Trainingsvideos können zeit- und ortsunab-       wegungsangebote hinaus für die Anliegen im Quartier
hängig aufgezeichnet werden. Ich sehe hier große Po-         zu öffnen. Für andere könnte dies eine Inspiration für
tenziale. Um sie auszuschöpfen, müssen viele Vereine in      die künftige Ausrichtung der Vereinsaktivitäten sein.
Sachen Digitalisierung der Vereinsstruktur aber noch                                   Die Fragen stellte Isabell Boger

S IH 1 2 / 19. 06.2 021
10                                                                                                  TITELTHEMA „EHRENAMT IN DER KRISE?“

              Neue Lust aufs Ehrenamt?
                    Viele Engagierte freuen sich, endlich wieder loslegen zu können / Trotz gelegentlichem Frust
                              wollen die Vereinsverantwortlichen das Beste aus der Krise mitnehmen

     G
             anz Hessen befindet sich in Stufe 2, als dieser      die      Pferdesportge-
             Text entsteht. Was das für den Sport heißt,         meinschaft Molzbach
             muss man den Ehrenamtlichen in Hessens              (Sportkreis      Fulda-
             Sportvereinen nicht erklären. Seit Wochen ha-       Hünfeld). „Zuletzt wa-
     ben sie diesem Moment entgegengefiebert, Sieben-Ta-          ren es bis zu fünfmal
     ges-Inzidenzen beobachtet, Regeln studiert und ge-          pro Woche, weil wir die
     deutet, Konzepte erstellt. Diesen Eindruck jedenfalls       Kinder in Kleingruppen
     gewinnt man, wenn man mit einigen von ihnen spricht.        aufgeteilt hatten.“ Der
                                                                 koordinative Aufwand
     „Unsere Ehrenamtlichen scharren mit den Hufen und           sei aufgrund der unter-
     wollen jetzt wieder richtig durchstarten“, sagt Katrin      schiedlichen Regelun-
     Dunsch. Sie selbst ist hauptberufliche Geschäftsführe-       gen, die im Verlauf der
     rin des TV Eschersheim und hat damit einen ganz guten       Pandemie galten, groß
     Überblick, wie der Verein und seine Engagierten durch       gewesen: „Mal durften
     die Pandemie gekommen sind. Ihr Eindruck: überwie-          die Kinder bis 14, dann
     gend gut. Natürlich sei die Pandemie eine riesige Her-      bis 15 trainieren. Mal
     ausforderung gewesen – auch für die Ehrenamtlichen:         war Kontaktsport er-
     „Nicht alle Vorstandsmitglieder konnten sich zum Bei-       laubt, mal nicht.“ Und
     spiel gleich mit Zoom anfreunden. Aber als sie gemerkt      manchmal ging analog
     haben, die Situation dauert an, haben sie die Notwen-       eben gar nichts.
     digkeit erkannt und gelernt, damit umzugehen. Das ist
     auch für die Zukunft ein Vorteil.“ Ein Vorstandsmit-        Zwischen Frust und
     glied, fürchtet sie aber, habe man dadurch verloren.        Euphorie

                           Auch Wolfgang Fröhlich, Vor-          Mit Online-Unterricht
                           sitzender des Sportkreises            habe man versucht,
                           Odenwald, kennt solche Bei-           die schwierigsten Pha-
                           spiele. „Manch Älterer hat ge-        sen zu überbrücken.
                           sagt: Da komme ich nicht mehr         „Wir wollten unbe-
                           mit, es ist Zeit, dass jetzt Jün-     dingt den Kontakt zu den Kindern aufrechterhalten“,
                           gere übernehmen.“ Das Posi-           sagt die 23-Jährige. Prinzipiell sei das gut angenom-       OBEN
                           tive: In vielen Vereinen gebe es      men worden, auch wenn Akrobatik im Kinderzimmer             Die Voltigierpferde
                           Jüngere, die parat stehen. Sie        natürlich etwas ganz anderes ist als auf dem Pferderü-      der Pferdesportge-
                           werden einiges anders ma-             cken. Vom Breiten- bis zum Leistungssport habe man          meinschaft Molzbach
                                                                                                                             mussten auch
     chen. Dass das häufig auch nötig ist, hat die Pandemie       aber auch Sportlerinnen und Sportler verloren. „Für
                                                                                                                             während der
     gezeigt. „Man war ja gezwungen zu überlegen, wie es         viele Kinder strukturiert der Sport ja die Woche. Ge-       Lockdowns versorgt
     noch gehen könnte, wie Kommunikation gestaltet, An-         rade von den Älteren hat manch eine bzw. einer wäh-         werden. Langweilig
     gebote verändert werden können.“                            rend der Lockdowns gemerkt, dass man ohne das Volti-        wurde es Viktoria
                                                                 gieren ganz schön viel Freizeit hat, und daran einen        Baier neben
     Generell ist er, der selbst kein großer Fan von Online-     gewissen Gefallen gefunden.“                                Online-Einheiten
     Konferenzen ist und sich freut, dass man jetzt wieder                                                                   und Trainer-Ausbil-
                                                                                                                             dung also nicht.
     auf der Terrasse und mit Abstand beisammensitzen            Eine Entwicklung, die bei Viktoria Baier und den ande-
     und etwas besprechen kann, begeistert von der Kreati-       ren Trainerinnen in ihrem Verein durchaus für Frust
     vität der Vereine – und davon, dass die Ehrenamtlichen      sorgt. So befinde sie sich in Sachen Motivation gerade
     selbst großen Aufwand nicht scheuten. Er erzählt bei-       im Zwiespalt: „Einerseits freue ich mich total, dass es
     spielsweise von zwei Vereinen, die in ihren Hallen Be-      wieder losgeht. Wenn ich aber die Kinder sehe und
     wegungslandschaften aufgebaut hatten. Eltern konn-          merke, wie viel sie verlernt haben, dass man gerade          Titelthema
     ten für sich und ihre Kinder einen Zeitslot buchen – und    bei den Jüngsten gefühlt wieder bei Null anfangen
     sich dann mal richtig austoben. Anschließend wurde          muss, dann zieht mich das aber auch runter.“                Ehrenamt
     desinfiziert, dann kamen die nächsten.                                                                                 in der Krise?
                                                                 Hin- und Hergerissen zwischen Euphorie und Ärger-
     Auch Viktoria Baier kann nicht behaupten, dass die          nis ist auch Holger Bischoff. Als Jugendwart beim
     Pandemie zu mehr Freizeit geführt hat. Dreimal die Wo-      Sportkreis Offenbach, Pressewart beim Fußballkreis
     che gibt sie in „normalen“ Zeiten Voltigierunterricht für   und Obmann Öffentlichkeitsarbeit in seinem Verein,

                                                                                                                              S IH 1 2 / 19 .06 .20 21
TITELTHEMA „EHRENAMT IN DER KRISE?“                                                                                                            11

Hin- und Hergerissen zwischen Euphorie und Ärgernis
ist auch Holger Bischoff. Als Jugendwart beim Sportkreis
Offenbach, Pressewart beim Fußballkreis und Obmann
Öffentlichkeitsarbeit in seinem Verein, dem TV Hausen,
hat er einen umfassenden Blick auf die Dinge. Er fand
vor allem das Agieren vieler Kommunen während der
Pandemie ungünstig. „Häufig wurden Regelungen un-
terschiedlich und zum Teil sehr spät umgesetzt. Jetzt
konnten sich die Kommunen ja darauf einstellen, dass
der Kreis in Stufe 2 rutscht. Trotzdem sind viele Hallen
noch tagelang geschlossen geblieben.“ Die Sportplätze
seien entsprechend voll. Zu koordinieren, dass alle
Gruppen trotzdem Platz finden, sei anstrengend.

Nichtsdestotrotz seien sowohl Ehrenamtliche als auch
Aktive „heiß darauf“, Sport jetzt wieder in gewohnter
Form anbieten bzw. ausüben zu können. „In unserem
Verein spielt Geselligkeit eine große Rolle. Da lechzen
die Leute jetzt geradezu danach.“ Den persönlichen
Austausch könne einfach nichts ersetzen. „Da erzählt
man sich auch mal was Privates. Dadurch weiß man,
wie es den Leuten geht und wo man sie abholen
muss“, sagt Bischoff. Dennoch kann der 46-Jährige
einigen Entwicklungen, die die Pandemie in Gang ge-
setzt hat, auch etwas Gutes abgewinnen. „Viele haben
digitale Kompetenzen hinzugewonnen, von den wir
auch in Zukunft profitieren werden“, glaubt er. Nicht
mehr jede Sitzung des Vorstandes müsse künftig in
Präsenz stattfinden. „Wenn die Tagesordnung klein ist,      Über den Umgang der Ehrenamtlichen mit-
kann man das auch künftig mal online abhalten.“            einander haben sich die, die bereits jetzt
                                                           dem Vorstand angehören, und die, die neu
Die Pandemie als Chance begreifen                          kandidieren, auch schon Gedanken ge-
                                                           macht. „Wir wollen das Abteilungsdenken
Genauso sieht es Kartrin Dunsch. Generell findet sie,       aufbrechen und ein neues Wir-Gefühl im Verein schaf-
man müsse „alles als Chance begreifen“. Beim TV            fen. Dafür ist eine gute Mischung wichtig: in Sachen Al-    OBEN
Eschersheim hat man das getan: Der Verein hat sich         ter, Vorerfahrung und Abteilungs-Zugehörigkeit.“ Aus        Beim TV Eschersheim
während der Pandemie moderner aufgestellt: Ein You-        Fröhlichs Sicht außerdem wichtig: „Wer aufhören will,       bereiten FSJler
Tube-Kanal wurde aufgebaut, eine Facebook-Seite ein-       egal ob generell oder jetzt nach der Pandemie, dem soll-    Sebastian Maier (mit
                                                                                                                       Maske) und
gerichtet, Online-Kurse wurden angeboten und endlich       ten wir gut zuhören: Warum kann oder will er nicht
                                                                                                                       Übungsleiter Lucas
mit dem geplanten Relaunch der Webseite begonnen.          mehr? Gibt es vielleicht strukturelle Probleme?“            Kaufhold auf das
„Viele Jüngere haben sich eingebracht. Sie kennen sich                                                                 nächste Training vor.
in diesem Bereich aus und und wurden durch die Not-        Viktoria Baier denkt nicht ans Aufhören. Obwohl sie die
wendigkeit, die für alle sichtbar war, auch nicht ausge-   Rückschritte mancher Voltigierenden frustrieren, ob-
bremst. Ich hoffe, dass wir einige von ihnen halten und    wohl die Monate des Lockdowns anstrengend waren,            MITTE
vielleicht sogar für den Vorstand gewinnen können.“        weil die 23 Schulpferde des Vereins auch ohne Training      Holger Bischoff ist
                                                           versorgt und bewegt werden mussten, obwohl noch             gleich in mehreren
Wahlen stehen demnächst auch beim TSV Höchst an.           immer die Ziele, die Wettkämpfe, fehlen, auf die man        Positionen
                                                                                                                       ehrenamtlich aktiv.
Jens Fröhlich und eine ganze Reihe anderer Neuein-         fokussiert hinarbeiten kann. Das jedoch hat auch ge-
                                                                                                                       Manches hat ihn
steiger werden sich dann dem Votum der Mitglieder          wisse Vorteile. „Einige von uns haben die Zeit der Pan-     während der
stellen. „Schon vor der Pandemie war mir klar, dass es     demie genutzt, einen Trainerschein zu machen oder           Pandemie frustriert,
große Fußstapfen sind, in die ich da treten will“, sagt    die entsprechenden Vorbereitungskurse zu besuchen.          doch jetzt nimmt er
er über die mögliche Nachfolge von Horst Bitsch, der       Die sind häufig am Wochenende. Sich diese frei zu hal-       bei sich und anderen
nicht nur Vorsitzender, sondern auch Bürgermeister         ten, war jetzt leichter als normal“, berichtet sie.         neuen Tatendrang
der Odenwaldgemeinde ist. Kleiner sind die Herausfor-                                                                  wahr.
derungen nun nicht geworden. „Die Pandemie hat aber        Es sind Geschichten wie diese, die optimistisch stimmen.
auch gezeigt, dass gewisse Veränderungen im Verein         Es sind Aussagen wie die von Jens Fröhlich, der von Trai-   UNTEN
notwendig sind“, sagt Fröhlich. Gerade die Kommuni-        nern erzählt, die sogar das gelegentliche Gemecker der      Jens Fröhlich will
kation müsse verbessert werden. Mit seinen Mitstrei-       Kinder vermisst hätten. Erzählungen über junge Traine-      neuer Vorsitzender
tern arbeitet er deshalb seit längerem an einer App für    rinnen des TV Eschersheim, die während der „Bundes-         des TSV Höchst
                                                                                                                       werden. Die Pandemie
den 1.100-Mitglieder-Verein. Einfach sei das durch die     notbremse“ Schwebebalken und Matten aus der Halle
                                                                                                                       habe gezeigt, wo
Kontaktbeschränkungen nicht immer gewesen. „Durch          schleppten, um Outdoor-Gerätturntraining für fünf Mäd-      Verbesserungsbedarf
die Verschiebung der Wahlen im vergangenen Jahr ist        chen anbieten zu können. Es sind Planungen wie die des      bestehe.
die erste Euphorie verloren gegangen. Inzwischen sind      TV Hausen, wo man das Jubiläum 2023 bereits in den
wir aber wieder mit Schwung dabei“, erzählt er.            Blick genommen hat.                         Isabell Boger

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                                      Eine Frage
                                    der Perspektive
                           Landessportbund und Landesehrenamtsagentur schließen erste Qualifikation
                     „Freiwilligenmanagement – Fit für die Zukunft“ ab / Viele Impulse und positive Resonanz

     D
            as Ehrenamt steckt in der Krise: Lange bevor die
            Corona-Pandemie die hessischen Sportvereine
            in eine echte Krise stürzte, war dieser Satz im-
            mer wieder zu hören. Häufig war er verbunden
     mit Klagen: „Die Jungen engagieren sich nicht mehr.“
     „Es bleibt alles an uns hängen.“ „Unser Amt als X ist
     schon seit Jahren verwaist.“ „Die wollen sich heute
     nicht mehr binden.“ „Wir finden einfach niemanden.“
     Regelmäßig zeigen auch der Sportentwicklungsbericht
     und andere Studien: Die Sorge, in Zukunft nicht mehr
     genügend Ehrenamtliche zu finden, ist eine der größ-
     ten unter Vereinsverantwortlichen.

     Fest steht: Von alleine lösen wird sich das Problem
     nicht. „Und wir können auch kein Patentrezept heraus-
     geben nach dem Motto: Wenn ihr das und das tut, fin-       hofft. Die wichtigsten
     det ihr wieder mehr Ehrenamtliche“, sagt Christian        Werkzeuge, um das zu
     Kaufmann, Referent im Geschäftsbereich Schule, Bil-       ändern, benannten die
     dung und Personalentwicklung. Was der Landessport-        Referent/innen so: 1)
     bund Hessen aber tun könne, sei: Anregungen geben,        genau hinsehen, 2)
     Möglichkeiten aufzeigen, eine Plattform zum Austausch     sich fragen, wie der
     bieten. Gemeinsam mit der Landesehrenamtsagentur          Verein und seine Amts-
     Hessen wurde mitten in der Pandemie deshalb ein           träger von außen
     neues Qualifizierungsformat entwickelt: „Freiwilligen-     wahrgenommen wer-
     management – Fit für die Zukunft“.                        den, 3) sich aus dem
                                                               Blickwinkel der ande-
     Unter Anleitung von Karin Buchner (Freiwilligenzent-      ren betrachten.
     rum Mittelhessen) und Frank Gerhold (Freiwilligenzent-
     rum Region Kassel) setzten sich die 19 Teilnehmerin-      „Dieses Hinterfragen
     nen und Teilnehmer an drei Samstagen intensiv damit       ist ein ganz wichtiger
     auseinander, wo genau die Probleme liegen, warum ein      Punkt“, sagt auch
     Perspektivwechsel sinnvoll sein kann und wie die Rah-     Christian Kaufmann,
     menbedingungen im eigenen Verein optimiert werden         der die Ausbildung
     können. Corona-konform fand die Qualifizierung on-         gemeinsam         mit
     line statt. Vorträge und digitale Gruppenarbeiten         Christel Presber von
     wechselten sich dabei ab, auch Hausaufgaben gab es        der Landesehren-
     für die Teilnehmenden.                                    amtsagentur orga-
                                                               nisatorisch betreut
     Auf Krisenzeichen reagieren                               hat. „Wenn der Vor-
                                                               sitzende     20.000
     Viele von ihnen gehören selbst dem Vorstandsteam ei-      Jobs und viel Wis-
     nes Vereines an und nickten wissend, als die „Krisen-     sen exklusiv für sich hat, ist es wenig ver-
     zeichen“ vorgestellt wurden: Sinkende Bereitschaft,       wunderlich, dass keine neue Person ihren Hut in den
     Vorstandspositionen zu übernehmen, veränderte Le-         Ring wirft und sagt: Das mach ich mal eben!“
     bensgewohnheiten der Mitglieder, Wahrnehmung des
     Vereins als Dienstleister, zunehmender Konkurrenz-        Aufgaben analysieren
     druck durch andere Organisationen und Angebote.
     Eine Umfrage zeigte: Die Anstrengung, Neulinge für        Ein Anfang, so lernten die Teilnehmenden, sei es des-
     Ämter zu begeistern, ist in fast allen Vereinen vorhan-   halb, die vielfältigen Aufgaben, die in einem Verein
     den. Doch die Wirkung fällt meist schwächer aus als er-   anfallen, zu analysieren und auch schriftlich festzuhal-

                                                                                                                          S IH 1 2 / 19 .06 .20 21
TITELTHEMA „EHRENAMT IN DER KRISE?“                                                                                                  13

ten, was genau zu tun ist. Daneben könne auch ver-          nehmenden, sind zwei Verfahrensweisen denkbar: Aus-
merkt werden, wie eine Aufgabe beschaffen ist: Fällt        gangspunkt kann die Aufgabe sein (Wen suchen wir für
sie kontinuierlich oder punktuell an? Wie hoch ist der      Aufgabe X?) oder die grundsätzliche Frage: Wen hätten
Zeitaufwand? Welche Kompetenzen oder Fähigkeiten            wir im Verein gerne dabei?
sind nötig, um sie zu erfüllen? Geht es ums Ausführen,
Delegieren oder Kontrollieren?                              Motive identifizieren und ansprechen

Ein solches internes Tätigkeitsprofil bildet die Grund-      Doch jemanden dabei haben wollen und ihn auch für
lage, um eine Person für das entsprechende Amt su-          den Verein zu gewinnen: Das ist zweierlei. Wichtig sei
chen zu können. „Es hilft, die mögliche Zielgruppe zu       es deshalb, die Wünsche, Interessen und Erwartungen
bestimmen und passgenaue Gewinnungsstrategien zu            der noch nicht Engagierten in den Blick zu nehmen und
entwickeln“, wie Frank Gerhold es ausdrückte. Und           Botschaften zu identifizieren, mit denen man ihn oder
häufig zeigt es auch: Die Fülle an Aufgaben, die der jet-    sie gewinnen könnte. „Der Wunsch, etwas Gutes und
zige Vorsitzende oder die aktuelle Schatzmeisterin          Anerkanntes für die Gesellschaft zu tun, kann ein Motiv
übernimmt, wird sich wohl keiner so schnell antun. In       sein, die Umsetzung eigener Ideen oder – gerade für
solchen Fällen sollten Vereine überlegen, ob Aufga-         junge Leute – der Erwerb von Qualifikationen“, nannte
benpakete neu geschnürt und damit auf mehrere               Gerhold einige Beweggründe.
Schultern verteilt werden können.
                                                            Manch Älterer sucht im Ehrenamt nach einem Ausgleich
In der Gruppe erarbeiteten die Teilnehmenden solche         zum Beruf. So kann es sein, dass die Bankkauffrau eben
Tätigkeitsprofile für Vorstandspositionen in ihrem Ver-      gerade nicht Schatzmeisterin werden will – sondern lie-
ein. Dabei wurden drei Dinge schnell klar: Jeder Verein     ber Übungsleiterin im Präventionssportbereich. Andere
tickt anders. Häufig fällt es selbst den Betroffenen         möchten ihre beruflichen Kompetenzen gerne auch an
schwer, alle Aufgaben aufzulisten. Und: Viele Vorsit-       anderer Stelle einbringen. Der Handwerker im Ruhe-
zende haben die Tendenz, alles selbst zu machen.            stand hat vielleicht Freude daran, die Geräte und Lie-
Selbst, wer gerade keinen Nachfolger sucht, kann mit-       genschaften des Vereins in Schuss zu halten. Doch wie
hilfe dieser Methode also herausfinden, wo er sich           weiß man, welche Motive und Komptenzen die eige-
selbst entlasten und Aufgaben delegieren kann. Nicht        nen Mitglieder haben? Eine Umfrage oder Abfrage             Titelthema
immer muss der- oder diejenige, die diese Aufgaben          im Mitgliedsantrag kann helfen. Und vor allem
übernimmt, gleich ein Wahlamt annehmen. Das er-             natürlich: der direkte Kontakt und Austausch.             Ehrenamt
leichtert zudem den Einstieg.                                                                                       in der Krise?
                                                            Um Austausch und Kontakt ging es auch bei der
Zielgruppe in den Blick nehmen                              Qualifizierung an sich. „Es ist gut zu sehen, dass
                                                            die anderen ähnliche Probleme haben. Außerdem
War das Konzept der Aufgabenprofile vielen Teilneh-          hilft der Austausch über das, was bereits funktioniert
menden zumindest theoretisch bekannt, konnten sie           hat. Man muss das Rad ja nicht immer neu erfinden“,
mit dem Begriff „Persona“ in der Mehrheit wenig an-         bilanzierte ein Teilnehmer. Der Merksatz, dass der Kö-
fangen. Dahinter steckt ein Konzept, das dabei helfen       der dem Fisch schmecken müsse, war für eine andere
soll, die Perspektive zu verändern: Vom suchenden Ver-      Teilnehmerin die wichtigste Erkenntnis. „Wir haben zu
ein hin zu potenziellen Mitarbeitenden. „Persona sind       oft vom Verein aus gedacht“, sagt sie selbstkritisch.
fiktive Personen, die stellvertretend für eine klar defi-
nierte Gruppe stehen. Sie helfen uns dabei, Zielgrup-       Karin Buchner griff diese Frage ganz am Ende ihres Vor-
pen zu definieren und Anknüpfungspunkte für ein              trags nochmal auf. So sei etwa die Botschaft „Wir sind
mögliches Engagement zu finden“, erläuterte Referen-         für euch da“ prinzipiell positiv. „Doch sie suggeriert
tin Karin Buchner.                                          auch, dass es „wir“ und „ihr“ im Verein gibt. Besser
                                                            wäre es, die Gemeinschaft zu betonen – sonst darf man
Die Entwicklung dieser Persona sei ein kreativer Prozess    sich nicht wundern, dass der Verein als Dienstleister
und funktioniere am besten in Teamarbeit. Vor dem           gesehen wird.“ Die Grundidee des Vereins müsste in
Start sei es hilfreich herauszuarbeiten, wie die Mit-       diesem Fall wieder stärker herausgearbeitet werden.
gliedsstruktur im Verein überhaupt aussieht – denn
meistens werden aus ihrer Mitte heraus neue Ehrenamt-       Wiederholung geplant
liche gewonnen. Als Beispiel-Persona wählten die Teil-
nehmenden die 45-jährige Sabine K. Welche Werte und         Auch ohne vorgebrachtes Patentrezept fiel die Rück-
Überzeugungen hat sie, welche Talente und Kompeten-         meldung der Teilnehmenden sehr positiv aus. Ehren-
zen bringt sie mit? Wie sieht ihr normaler Tagesablauf      amtsmanagement wollen sie nun stärker als eigene
aus – wo also könnte Zeit für ein Engagement sein? Wo-      Aufgabe für den Verein begreifen. Interesse an weite-
rüber bezieht sie Informationen und wie kommuniziert        ren Fortbildungen zum Thema ist deshalb gegeben.
sie – wie könnte man sie also ansprechen? Und vor al-       „Wir prüfen daher, ob wir vertiefende Module anbieten
lem: Was sind ihre „Touch Points“: Könnte sie also Lust     und dann vielleicht ein Zertifikat Freiwilligenmanager/
haben, sich im Ehrenamt zu verwirklichen? Ist sie als       in ausstellen können“, sagt Christian Kaufmann. Auch
Mutter bereit, sich in einer Gruppe für Kinder einzubrin-   Christel Presber freut sich, wie gut die Zusammenarbeit
gen? Könnte sie als aktives Mitglied besonders „mitzie-     mit dem Landessportbund bei dieser Pilotveranstaltung
hen“, wenn sie von Leuten aus ihrer Gruppe gefragt          gelaufen ist: „Eine Wiederholung kann ich mir sehr gut
wird? Bei der Entwicklung der Persona, lernten die Teil-    vorstellen.“                                Isabell Boger

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